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Endormis

von

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Auferstanden

Protagonist: James Potter
 

***
 

Der Abend war ruhig. Ich saß noch mit Harry auf dem Sofa im Wohnzimmer und spielte mit ihm, bevor er ins Bett sollte. Er war schon umgezogen, aber er liebte es, wenn er vor dem Schlafen gehen noch bunte Rauchwolken fangen durfte.
 

Und so ließ ich die bunten Wölkchen aus meinem Zauberstab herauspaffen und Harry sprang, vor Freude quietschend, auf dem Sofa herum und versuchte sie zu greifen.
 

Schließlich ging die Tür auf und Lily kam herein.
 

„Schlafenszeit für Harry“, sagte sie lächelnd.

„Ja“, antwortete ich ihr kurz und nahm den Kleinen auf den Arm.
 

Er quengelte. Er wollte noch nicht ins Bett gehen. Normalerweise wachte er auch immer noch nachts auf und weinte dann, weil er spielen wollte, aber nicht aus seinem Bettchen rausklettern konnte. Dann dauerte es auch immer eine Weile, bis wir ihn wieder hingelegt hatten und zum Einschlafen bringen konnten.
 

„Gute Nacht, mein kleiner Rabauke“, sagte ich und drückte ihm noch einen Kuss auf die Wange, bevor ich ihn Lily übergab.
 

Sie lächelte, als sie ihn entgegennahm und mit ihm aus dem Zimmer ging. Ich konnte hören, wie sie liebevoll mit ihm redete, während sie ihn die Treppen hoch, in sein Zimmer trug.
 

Ich warf meinen Zauberstab auf das Sofa, ließ mich darauf nieder und streckte mich ausgiebig. Harry hielt uns den Tag über ganz schön auf Trapp. Wenn man ihn auch nur für einen Moment aus den Augen ließ, dann hatte er sich auch schon wieder irgendwo versteckt und freute sich, wenn wir ihn suchten.
 

Plötzlich flog krachend die Haustür auf. Ich langte noch nach meinem Zauberstab, doch er entglitt mir wieder, als ich hastig in den Hausflur stürmte.
 

Ich hatte nicht mal die Zeit, mir Gedanken darüber zu machen, dass wir verraten worden waren. Wir hatten Peter vertraut, als wir ihn zum Geheimniswahrer gemacht hatten. Selbst Sirius hatte seinen Kopf für ihn hingehalten, indem wir niemandem verraten hatten, dass sie getauscht hatten. Nicht einmal Jana hatte ich es erzählt. Ihre Sorgen, die sie sich gemacht hätte, wären berechtigt gewesen, aber ich hatte keine Zeit mehr, zu bereuen, dass ich es ihr nicht erzählt hatte.
 

Über all das konnte ich mir jetzt keine Gedanken machen. Voldemort stand vor mir und er war im Begriff meine Familie auszulöschen.
 

„Lily, nimm Harry und lauf!“, rief ich noch panisch zu ihr nach oben. „Er ist es! Schnell fort, ich halte ihn auf!“
 

Aber natürlich konnte ich ihn ja gar nicht aufhalten. Mein Zauberstab lag ja gerade sonst wo. Und so hörte ich nur noch sein kaltes, schrilles Lachen und sah gerade noch den gleißenden grünen Lichtblitz. Danach war alles schwarz.
 

Es war dunkel, als ich wieder zu mir kam. Nur ein spärliches Licht flackerte. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, dass ich nicht zu Hause war. Ich lag nicht auf meinem Sofa oder im Bett. Ich lag in einer hölzernen Kiste und alles um mich herum war aus Stein. Ich befand mich ein einer Gruft!
 

Wie konnte das sein? Das Jenseits hatte ich mir doch irgendwie anders vorgestellt, irgendwie viel heller. So hell, dass es schon blendete und ganz bestimmt würde ich nicht in einer Gruft aufwachen! War ich also tatsächlich noch am Leben?
 

Das war gruselig! Ich sah an mir herunter, sah auf meine Hände und fuhr mir über das Gesicht. Soweit ich das sagen konnte, war ich kein Zombie, oder? Aber ich musste doch eigentlich tot sein. Niemand hatte jemals den Todesfluch überlebt und der grüne Lichtblitz war doch eindeutig der Todesfluch gewesen, oder? … Oder hatte ich mir vielleicht in meiner Panik nur eingebildet, dass Voldemort den Todesfluch gesprochen hatte und tatsächlich hatte er irgendeinen anderen Fluch gesprochen? … Nein, diese Vorstellung war definitiv absurd. Natürlich war es der Todesfluch gewesen. Aber wieso lebte ich dann noch?
 

Ich kletterte etwas unbeholfen aus meinem Sarg. Meine Beine fühlten sich noch etwas taub an und es dauerte einen kurzen Moment bis sie mich wieder selbstständig trugen.
 

Ich sah mich um. Neben meinem Sarg stand ein zweiter Sarg. Auch er war offen. Warum waren die Särge eigentlich überhaupt offen? … Aber diese Frage beschäftigte mich nicht lange. Lily lag in dem zweiten Sarg. Geschockt ging ich darauf zu. Meine Knie gaben etwas nach und ich hatte Mühe, mich noch immer auf den Beinen zu halten.
 

„Lily?“, hauchte ich verzweifelt.
 

Ich streichelte ihr sanft über die Wange und betrachtete sie traurig. Sie hatte also nicht fliehen können. Aber wo war Harry?
 

Plötzlich regte sie sich und ich zog verdutzt meine Hand zurück. Was ging hier nur vor?
 

„Lily?“, fragte ich, diesmal lauter.
 

Sie blinzelte.
 

„James?“, erwiderte sie etwas irritiert. Dann richtete sie sich mit einem Mal ruckartig auf. „Wo ist Harry?“
 

Ich hielt sie an der Schulter fest.
 

„Ich weiß es nicht“, gestand ich ihr. Ich sah mich um, aber es war kein weiterer Sarg zu sehen, in dem er hätte liegen können.

„Was ist passiert?“, fragte sie weiter. „Wo sind wir hier?“

„Ich weiß es nicht. Ich bin auch gerade erst aufgewacht und ich versteh wirklich nicht, wie. Ich müsste tot sein und doch… Seh ich eigentlich aus wie ein Zombie?“
 

Sie sah mich erschrocken an.
 

„Nein“, antwortete sie. „Du siehst ganz normal aus.“

„OK“, erwiderte ich etwas beruhigt. „Lass uns hier erst einmal von hier verschwinden.“

„Ohne Harry?“

„Er ist nicht hier. Ich sehe hier nirgends noch einen dritten Sarg. … Lass uns von hier verschwinden, bitte. Wir werden herausfinden, was passiert ist und wo Harry ist.“
 

Ich half ihr dabei, aus ihrem Sarg heraus zu steigen. Sie fiel mir schluchzend in die Arme.
 

„Er wollte Harry töten“, erzählte sie mir unter Tränen. „Er wollte von mir, dass ich zur Seite gehe und dabei zusehe, wie er ihn tötet. Ich habe ihn angefleht, lieber mich zu töten und Harry zu verschonen, aber ich weiß nicht, was dann passiert ist.“
 

Ich hielt sie nur unbeholfen in meinen Armen und streichelte ihr beruhigend das Haar.
 

„Vielleicht hat er ihn ja verschont“, mutmaßte ich zaghaft.
 

Das war unwahrscheinlich. Seit wann hörte Voldemort auf Bitten? Und doch; Harry war nicht hier. Eine vernünftige Erklärung dafür, warum er nicht hier war, war, dass er vielleicht lebte. War vielleicht zufällig jemand gerade noch rechtzeitig dazu gekommen, um wenigstens ihn zu retten?
 

„Komm“, sagte ich zu ihr, griff nach unseren Zauberstäben in den Särgen und wir wandten uns zum Gehen um.
 

Die Tür zur Gruft war nicht verriegelt. Das war schon etwas seltsam. Aber es war auch gut für uns. Was würden wohl die Leute denken, wenn sie uns aus der Gruft rufen hörten? Sie wären wohl berechtigterweise geschockt.
 

Es war mitten in der Nacht und in keinem der Häuser, die ich von hier aus erkennen konnte, brannte Licht. Wir verließen den Friedhof. Das Tor quietschte ein wenig, aber nirgendwo in den Häusern ging das Licht an.
 

Gerade wollten wir uns auf den Weg zu uns nach Hause machen, als uns der Obelisk auffiel, der schon immer hier gestanden hatte. Er hatte sich in eine Statue verwandelt, die uns zeigte. Sie war ein Abbild von Lily und mir mit Harry auf dem Arm.
 

Was sollte das? Warum stand hier eine Statue von uns? Das war doch echt verrückt!
 

Lily neben mir zitterte. Sie hatte Tränen in den Augen.
 

„Lass uns weiter gehen“, sagte ich schließlich und nahm sie an der Hand.

„Was ist bloß passiert?“, fragte sie.

„Ich weiß es nicht. Aber wir werden es herausfinden. Komm.“
 

Ich zog sie sachte mit mir und wir gingen weiter zu unserem Haus. Als es schließlich in Sichtweite kam, sackte mir das Herz in die Hose.
 

Die Hecke und das Gras wucherten wild vor sich hin. Die Hauswand war über und über mit Efeu bedeckt und in der Hauswand, genau an der Stelle, wo Harrys Kinderzimmer gewesen war, klaffte ein riesiges Loch.
 

Wir erstarrten einen Moment. Lily schlug die Hand vor den Mund.
 

„Harry“, schluchzte sie.
 

Ich antwortete nicht und zog sie weiter. Das Tor war verrostet. Es ließ sich kaum öffnen. Plötzlich stieg ein Schild aus dem Boden.
 

An dieser Stelle verloren in der Nacht des 31. Oktober 1981

Lily und James Potter ihr Leben.

Ihr Sohn Harry ist bis heute der einzige Zauberer,

der jemals den Todesfluch überlebt hat.

Dieses Haus, für Muggel unsichtbar,

wurde in seinem zerstörten Zustand belassen

zum Gedenken an die Potters

und zur Erinnerung an die Gewalt,

die ihre Familie zerriss.
 

Ich musste die Aufschrift auf dem Schild zweimal lesen, ehe ich begriff, was sie bedeutete. Harry hatte überlebt. Voldemort hatte ihn nicht verschont, aber er hatte überlebt. Es war auch niemand noch gerade rechtzeitig zu seiner Rettung erschienen. Er hatte einfach überlebt! Wie sollte das gehen? Er war doch nur ein kleines Baby gewesen! Er war gerade 15 Monate alt! Wie konnte er den Todesfluch überlebt haben? … Natürlich sollten Lily und ich eigentlich auch nicht hier stehen, um diese Aufschrift hier zu lesen, aber irgendwie erschien es mir seltsamer, dass Harry den Fluch so überlebt hatte, dass offensichtlich auch noch alle davon wussten.
 

Auch Lily, neben mir, schien sich das zu fragen.
 

„Er hat überlebt?“, hauchte sie verwundert und hoffnungsvoll zugleich. „Aber wo ist er?“

„Er wird wohl kaum noch hier in der Gegend wohnen“, antwortete ich mit Blick auf das Haus. „Lass uns reingehen. Vielleicht finden wir ja einen Hinweis.“
 

Ich stieß das Tor auf und wir betraten unser Haus. Jemand hatte es ausgeräumt. Alle Möbel standen zwar noch an ihrem Platz, aber unsere sämtlichen persönlichen Dinge waren verschwunden. Da hatte man dieses Haus zwar in seinem Zustand belassen zum Gedenken an uns, aber unsere persönlichen Dinge hatte man offenbar doch eingesammelt. Na super!
 

Wir betraten jeden einzelnen Raum. Doch: Nichts. Das ganze Haus war aufgeräumt. Nur noch die Möbel standen hier, aber nirgendwo lag noch etwas von uns rum. So interessant waren unsere persönlichen Sachen doch nun auch wieder nicht gewesen. Warum hatte man sie mitgenommen? Hätte nicht in der Hauswand so ein riesiges Loch geklafft, hätte man fast meinen können, das Haus würde als Ferienhaus genutzt und stünde nur vorübergehend leer.
 

Ich sah mich nach Lily um. Sie war eigenständig durch das Haus gewandert und ich fand sie in Harrys ehemaligem Zimmer. Sie war auf dem Fußboden zusammengesackt und weinte.
 

Auch hier hatte man alle persönlichen Gegenstände zusammengesammelt; Spielsachen, Kuscheltiere, alles! Warum? … Gut, wenn es nur Harrys Spielsachen und Kuscheltiere gewesen wären, könnte ich es auch noch irgendwo einsehen. Schließlich hatte er überlebt, also hatte Sirius wohl vermutlich Harrys Sachen zusammengepackt. Aber der Rest?
 

Ich half Lily dabei, aufzustehen.
 

„Komm“, sagte ich. „Es hat keinen Zweck mehr, hier zu bleiben. Es findet sich doch kein Hinweis.“

„Aber wo sollen wir hin?“, fragte sie.

„Zu Sirius? Vermutlich ist Harry sogar bei ihm. Er wird uns sicher alles erklären können. Komm.“
 

Sie nickte und wir apparierten von hier aus zu Sirius‘ Haus. Wir kamen auf seiner Terrasse an. Es war ebenfalls stockfinster. Vermutlich schlief er, aber das kümmerte mich nicht. Ich klingelte.
 

Keine Reaktion. Ich klingelte noch einmal. Wieder kam keine Reaktion von drinnen. Es ging nicht einmal das Licht an. War er nicht zu Hause?
 

„Alohomora“, flüsterte ich leise und die Tür öffnete sich.
 

Das Haus wirkte verlassen. Alles hier war verstaubt. Es lag noch alles rum, was Sirius so besaß, aber es sah so aus, als hätte es schon lange niemand mehr angefasst. Von Sirius selbst oder von Harry war im ganzen Haus keine Spur zu sehen. Nicht mal Harrys Spielsachen waren hier.
 

So langsam machte ich mir wirklich Sorgen. Wo war Sirius? Kümmerte er sich etwa nicht um Harry? Vielleicht waren die beiden ja gerade für eine Weile nicht zu Hause, aber warum waren dann Harrys Sachen nicht hier? Warum hatte Sirius hier alles zurückgelassen? War ihm vielleicht etwas zugestoßen? War er vielleicht dazu gekommen und hatte versucht, Harry zu retten? Aber dann hätte ja vielleicht ein Hinweis auf dem Schild gestanden. Was war ihm also passiert?
 

„Ich versteh das nicht“, sagte ich.
 

Ich bekam keine Antwort. Lily blickte sich nur geschockt um und wirkte mehr und mehr verzweifelt. Auch ich hatte langsam Mühe, noch einen vernünftigen Gedanken zu fassen.
 

„Lass uns Dumbledore aufsuchen“, schlug ich schließlich vor. „Vielleicht hat er Antworten für uns.“
 

Sie nickte nur.
 

Nach Hogwarts selbst konnten wir nicht apparieren. Also apparierten wir nur bis zur Station von Hogsmeade, wo der Hogwartsexpress immer hielt. Hier traf uns gleich der nächste Schock.
 

Dementoren! Hunderte! Und sie sahen aus, als hätten sie schon lange keine Opfer mehr in die Finger bekommen!
 

Wir hatten keine Zeit uns lange darüber Gedanken zu machen. Ich griff nach meinem Zauberstab und konzentrierte mich mit aller Macht auf ein glückliches Ereignis; Harrys Geburt zum Beispiel.
 

„Expecto Patronum“, brüllte ich, doch aus meinem Zauberstab kam nur schwächlicher Rauch.
 

Auch Lily, neben mir, hatte Schwierigkeiten, sich auf eine glückliche Erinnerung zu fokussieren. Schließlich, nach dem dritten oder vierten Versuch, gelang es mir einen Patronus zu erschaffen. Der silberne Hirsch brach aus meinem Zauberstab hervor und vertrieb die Dementoren um uns herum.
 

Ich packte Lily bei der Hand und wir rannten so schnell wir konnten auf das Gelände.
 

Sie waren nicht auf dem Gelände, nur davor und sie kamen uns auch nicht auf das Gelände hinterher. Also waren wir jetzt wieder vor ihnen sicher. Aber was bei Merlin suchten sie hier?!?
 

Der Schock saß tief und im nächsten Moment spürte ich, wie Lily, neben mir, in sich zusammensackte.
 

„Lily!“, rief ich und ging neben ihr auf die Knie. Ich versuchte sie wieder wachzurütteln. „Lily!“
 

Sie rührte sich nicht. Ich lief zum See hinüber und hielt meine Hände kurz in das kalte Wasser. Dann rannte ich wieder zurück zu ihr und gab ihr einen Klapps auf die Wange. Schließlich regte sie sich wieder und ich atmete erleichtert auf. Es war nur der Schreck gewesen, nahm ich an.
 

„Ist alles OK?“, wollte ich wissen, als sie mich verwirrt anblickte.

„Gar nichts ist OK!“, schrie sie aufgebracht. „Harry ist weg, Sirius ist nicht zu Hause und in seiner Wohnung gibt es auch keine Anzeichen davon, dass Harry bei ihm lebt. Wir wissen immer noch nicht, was passiert ist und jetzt finden wir hier rund um die Schule hunderte Dementoren vor!“
 

Sie brach in Tränen aus und fiel mir weinend in die Arme. Eine Weile lang saßen wir nur so da. Sie lag in meinen Armen und weinte und ich konnte nichts sagen, um sie zu trösten. Sie hatte ja Recht, es war nichts in Ordnung gerade.
 

„Lily, beruhig dich doch“, versuchte ich sie schließlich zu besänftigen. „Es wird alles wieder gut, das versprech ich dir.“
 

Aber sie wollte sich nicht beruhigen. Sie klammerte sich nur an meine Brust und weinte.
 

„Lily, bitte“, redete ich auf sie ein. „Wir werden Dumbledore aufsuchen. Er wird uns erzählen können, was passiert ist. Er wird uns sagen können, wo Harry und Sirius sind. Es wird alles wieder gut. Bitte beruhig dich.“
 

Ich hoffte nur, dass Dumbledore hier überhaupt noch Schulleiter war. Wenn hier schon hunderte Dementoren rum schwirrten, war vielleicht noch Schlimmeres geschehen. Eigentlich hatte ich, nachdem ich das Schild vor unserem Haus gelesen hatte, die leise Hoffnung gehegt, Voldemort wäre mittlerweile besiegt worden. Aber die Dementoren hier nahmen mir diese Hoffnung gerade wieder weg.
 

Aber diesen Gedanken teilte ich Lily lieber nicht mit. Sie hatte sich nun tatsächlich etwas beruhigt und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Ich half ihr wieder auf die Beine.
 

Mittlerweile wurde es schon langsam hell. Noch war kein Schüler auf dem Gelände unterwegs. Wir liefen um den See herum und während wir dem Schloss näherkamen, stieg die Sonne etwas höher.
 

Schließlich kamen wir an der kleinen Besenhütte in der Nähe des Quidditchfeldes vorbei. Wir liefen nun geradewegs auf das Schloss drauf zu. Drei Schüler, zwei Jungen und ein Mädchen kamen nun raus auf das Gelände und machten sich auf den Weg zum Quidditchfeld. Nur einer der beiden Jungen trug einen Besen. Sie unterhielten sich und bemerkten uns nicht sofort.
 

Das Mädchen bemerkte uns zuerst und blieb abrupt stehen vor Schreck.
 

„Hermine?“, hörte ich einen der beiden Jungen sagen und die beiden wandten sich zu ihr um.
 

Dann folgten sie ihrem Blick in unsere Richtung und auch ihnen verschlug es die Sprache. Der andere Junge ließ seinen Besen fallen.
 

Es traf mich wie ein Schock. Es war, als würde ich in einen Spiegel blicken. Er hatte schwarze, zerzauste Haare, hatte meine Statur und er trug eine Brille. Überhaupt sah er so aus wie ich, nur jünger. Es gab nur zwei offensichtliche Unterschiede: seine Augen waren grün, so wie die von Lily und er hatte eine blitzförmige Narbe auf der Stirn.
 

Lily, neben mir, schlug die Hand vor den Mund und ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, als sie Harry erblickte. Ich hingegen stand da wie festgefroren. Ich hatte erwartet, dass wohl ein paar Monate vergangen sein mochten, aber Jahre? Und dann noch so viele? Harry war groß geworden. Wie alt mochte er jetzt sein? Vielleicht 12 oder 13? Vielleicht auch schon 14? Ich konnte es nicht sagen und mir sank das Herz in die Hose.
 

Dass es Harry war, stand jedenfalls außerfrage. Er sah mir zu ähnlich, als dass es jemand anderes sein konnte. So sehr ich doch versuchte, zu leugnen, dass er es sein konnte, es ging nicht. Ich musste mir eingestehen, dass tatsächlich so viele Jahre vergangen sein mussten und Harry nun direkt vor uns stand.
 

Er starrte uns an und wir starrten zurück. Ich konnte nicht sagen, was er wohl denken mochte. War er wütend, dass wir ihn so lange alleine gelassen hatten? Würde er es uns übelnehmen, dass wir hierhergekommen waren? Würde er uns je verzeihen können? Wie sollten wir die verlorene Zeit jemals wieder gut machen?
 

Neben mir, löste sich Lily von mir und machte einen zaghaften Schritt auf Harry zu. Auch er schien sich aus seiner Starre zu lösen, trat auf uns zu und fiel uns unvermittelt um den Hals. Lily brach nun endgültig in Tränen aus und umklammerte ihn fest. Auch ich umarmte sie beide, doch ich war immer noch wie paralysiert.
 

Erst nach einer ziemlichen Weile lösten wir uns wieder voneinander. Ich betrachtete Harry und er blickte uns an.
 

„Ihr lebt?“, wollte er wissen.
 

Er klang nicht verärgert oder anklagend. Er klang nur überrascht. Und doch … was sollte ich ihm darauf antworten? Lily rang mit ihren Worten und sie hatte immer noch Tränen in den Augen.
 

„Vielleicht … sind wir ja auch einfach bloß Zombies“, erwiderte ich matt.
 

Das war die plumpste Antwort, die ich ihm nur hatte geben können, stellte ich bereits im nächsten Moment fest und ich ärgerte mich über mich selbst. Er starrte mich verdutzt an.
 

„Ich meine … ähm…“, stammelte ich, „tut mir leid, ich weiß nicht, was eigentlich passiert ist. … … Ich bin einfach froh, dass du lebst.“
 

Und ich zog ihn noch einmal in eine Umarmung und ich hielt ihn fest. Ich wollte ihn nicht wieder loslassen. Was würde passieren, wenn ich ihn wieder losließ? Würde ich ihn dann wieder verlieren? Ein bisschen fühlte es sich an, als hätte ich ihn bereits verloren. Er war so groß geworden und im Grunde kannte ich ihn gar nicht mehr. Das letzte, was ich von ihm wusste, war, dass er mit 15 Monaten liebend gern bunte Rauchwölkchen aus meinem Zauberstab gefangen hatte. Mir kam es im wahrsten Sinne des Wortes so vor, als wäre das erst gestern gewesen. Aber wie viel Zeit war seitdem wirklich vergangen?
 

Irgendwann, nach einer gefühlten Stunde, löste ich mich wieder von ihm. Ich blickte ihn nur traurig an und wusste nicht, was ich sagen sollte. Lily stand wie paralysiert neben uns, während Harry uns abwechselnd abwartend anblickte.
 

„Sie sind wirklich von den Toten wieder auferstanden?“, wollte sein Freund wissen. Auch er und das Mädchen waren noch da und beobachteten uns.

„Ron!“, zischte sie und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite.

„Was?“, verlangte er, als wisse er nicht, was er falsch gemacht hatte.
 

Ich ließ ein schwächliches und nervöses Lachen hören.
 

„Wenn man das so sagen kann“, antwortete ich dem Jungen, „dann sind wir wohl von den Toten wieder auferstanden.“
 

Das war unmöglich, aber gab es eine andere Erklärung?
 

Wir ließen uns neben der Besenhütte nieder. Es gab einiges zu erzählen, auch wenn ich absolut keine Ahnung hatte, wo ich anfangen sollte. Harry stellte seine Freunde als Ron Weasley und Hermine Granger vor, die mit ihm in Gryffindor waren. Ich konnte nur nicken. Es erschien mir überflüssig Lily und mich vorzustellen. Ein Moment der Stille trat ein.
 

„Wie ist es so, von den Toten wieder aufzuerstehen?“, wollte Ron schließlich wissen.

„Ron, um Himmels Willen!“, zischte Hermine und stieß ihm noch einmal in die Seite.
 

Ich musste irgendwie grinsen. Der Junge war schon etwas witzig.
 

„Bisher verwirrend“, antwortete ich bloß. Dann blickte ich kurz zur Seite und seufzte kurz. Dann blickte ich wieder zu Harry und seinen beiden Freunden. „Was ist eigentlich passiert?“

„Ähm“, begann Harry, „naja … Voldemort hatte euch getötet …“
 

Ich stieß einen kurzen gequälten Lacher aus.
 

„OK“, erwiderte ich. „Und danach?“
 

Harry holte Luft und erzählte uns eine ziemlich verrückte Geschichte. Er wäre bei Lilys Schwester Petunia aufgewachsen, die ihn eigentlich nur widerwillig aufgenommen hatte. Erst an seinem elften Geburtstag hätte er dann von Hagrid erfahren, dass er ein Zauberer war, weil Hagrid ihm den Brief gebracht hatte.
 

Er erzählte uns etwas von seinen bisherigen Schuljahren, gerade war er im dritten Schuljahr. Und er erzählte uns etwas von Sirius, der aus Askaban ausgebrochen sei und nun hinter ihm her wäre. Er wäre irgendwo auf dem Gelände und man hätte ihn noch nicht in die Finger bekommen.
 

Lily und ich blinzelten ihn irritiert an und es dauerte einen ziemlichen Augenblick, bis seine letzten Worte zu mir durchdrangen.
 

„Sirius ist aus Askaban ausgebrochen?“, fragte ich noch einmal nach.

„Ähm. Ja“, antwortete Hermine für Harry. „Wir haben erfahren, dass er einen weiteren Ihrer Freunde getötet hat, bevor er nach Askaban gebracht werden konnte.“

„Wen hat er denn getötet?“, wollte ich wissen.

„Peter Pettigrew“, erwiderte Harry.
 

Ich musste lachen. Ich konnte nicht anders und Harry und seine Freunde starrten mich an, als wäre ich verrückt geworden. Aber die Geschichte klang so absurd. Sirius ein Todesser? Und er hatte in Askaban gesessen, weil er Peter getötet hatte?
 

„Seid ihr sicher, dass die Geschichte so stimmt?“, vergewisserte ich mich.

„Ja“, antworteten alle drei im Chor und sie sahen so aus, als zweifelten sie an meinem Geisteszustand.
 

Mein Lachen erstarb.
 

„Es … es tut mir wirklich leid, Mr Potter“, sagte Hermine vorsichtig.

„Was sollte dir daran leidtun?“, fragte ich. „Von euch kann doch niemand etwas dafür!“
 

Sie antwortete nicht und ich dachte angestrengt nach. Sirius war tatsächlich in Askaban gelandet! Man hielt ihn für einen Todesser und Harry wirkte beim Klang seines Namens unglaublich wütend. … Hatte ich nicht wenigstens Dumbledore geschrieben, dass Sirius nicht unser Geheimniswahrer geworden war?
 

Ich blickte Lily an, die die ganze Zeit nur geschockt dagesessen und zugehört hatte.
 

„Was hab‘ ich Dumbledore eigentlich in meinem letzten Brief geschrieben?“, fragte ich sie.

„Dass wir den Fideliuszauber ausgeführt haben?“, erwiderte sie etwas matt.

„Ja, aber hab‘ ich ihm auch geschrieben, wen wir nun zum Geheimniswahrer gewählt hatten?“

„Ich hab‘ mir den Brief nicht durchgelesen.“

„Oh…“
 

Offensichtlich musste ich tatsächlich vergessen haben zu erwähnen, dass Sirius und Peter getauscht hatten. Es war ja Teil des Plans gewesen, dass so wenige Leute, wie möglich eingeweiht wurden, aber wenigstens Dumbledore hätte es wohl erfahren müssen.
 

„Oh…“, wiederholte ich und war ziemlich entsetzt. Ich war also mehr oder weniger Schuld daran, dass mein bester Freund in Askaban gelandet war.
 

Harry und seine beiden Freunde starrten uns fragend an.
 

„Ähm, offensichtlich gab es ein Missverständnis“, erzählte ich schließlich. „Sirius war nie ein Anhänger von Voldemort. Das kann definitiv nicht sein.“

„Aber er hat euch doch verraten, oder?“, widersprach Harry.

„Nein, hat er nicht“, antwortete nun Lily, die langsam ein Stück ihrer Fassung zurückzugewinnen schien. „Er kam zu uns und hat uns vorgeschlagen jemanden anderes zu nehmen. Er hielt es für sicherer. Er wollte damit Voldemort auf eine falsche Fährte locken. Peter ist unser Geheimniswahrer geworden.“

„Aber ich kann irgendwie nicht traurig darüber sein, dass der jetzt tot ist“, fügte ich leicht grimmig hinzu.
 

Einen Moment lang herrschte Stille.
 

„Aber warum bricht er dann aus Askaban aus und ist hinter Harry her?“, fragte Ron plötzlich.

„Woher wollt ihr wissen, dass er hinter Harry her ist?“, erwiderte ich.

„Warum sollte er sonst nach Hogwarts kommen?“, wollte Harry wissen.
 

Ich überlegte.
 

„Naja… er hat immerhin einige Jahre in Askaban verbracht“, mutmaßte ich. „Vielleicht ist er ja ein wenig verwirrt und eigentlich will er nur mal ‚Hallo‘ sagen.“
 

Harry und Ron mussten lachen.
 

„Ach ich weiß es doch nicht“, setzte ich noch hinterher. „Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er hinter dir her ist, Harry. Das kann nicht sein. Warum sollte er das tun? Er ist dein Pate.“
 

Wieder herrschte einen Moment lang Stille.
 

„Es tut mir leid, dass du bei deiner Tante Petunia aufwachsen musstest, Harry“, meinte ich schließlich. „Ich dachte, ich hätte Dumbledore geschrieben, dass wir den Plan geändert hatten. Offensichtlich habe ich das vergessen. Hätte wenigstens Dumbledore Bescheid gewusst, dann hättest du sicher bei Sirius aufwachsen können. …“

„Warum musste er überhaupt zu Petunia?“, warf Lily verzweifelt ein. „Gab es keine andere Möglichkeit?“
 

Ich überlegte angestrengt, wer Harry sonst noch hätte großziehen sollen. Dann schüttelte ich den Kopf. Jana wäre auch nicht infrage gekommen, selbst, wenn sie gewollt hätte. … Jana! Was war eigentlich mit Jana? Die ganze Zeit hatte ich mir kaum Gedanken über sie gemacht. Bevor wir Harry getroffen hatten, hatte ich wohl unbewusst angenommen, dass sie noch hier in Hogwarts sein müsse. Aber es war so viel Zeit vergangen, dass sie längst fertig sein musste. Aber was sollte sie dann angefangen haben?
 

„Ich trau mich kaum zu fragen“, setzte ich an. „Aber, wenn du bei deiner Tante Petunia aufgewachsen bist und nichts von unserer Welt wusstest, bevor Hagrid dir gesagt hat, du wärst ein Zauberer, was ist dann aus Jana geworden?“

„Wer ist Jana?“, fragte Harry daraufhin.
 

Ich hatte es befürchtet! Ich vergrub mein Gesicht in meinen Händen. Jahre waren vergangen, Harry war fernab der Zauberwelt aufgewachsen, Sirius hatte in Askaban gesessen und war nun auf der Flucht und Jana war verschwunden! Ein Teil von mir hoffte, dass sie noch lebte. Der andere Teil jedoch – und dieser Teil war ziemlich dominant – war davon überzeugt, dass sie keine Chance gehabt haben konnte, wenn sich nicht jemand um sie gekümmert hatte.
 

„James‘ Schwester“, antwortete Lily für mich. Auch sie wirkte betroffen. „Sie war kränklich. Sie hätte sich nicht selber um dich kümmern können.“

„Sie hätte ja selber jemanden gebraucht, der sich um sie kümmerte“, fügte ich hinzu. „Aber wer soll das getan haben?“

„Vielleicht hat sie ja auch jemanden gefunden“, versuchte Lily mich zu besänftigen.

„Ja, aber dann hätte sie sich ja bei Harry gemeldet“, widersprach ich frustriert.
 

Ein weiteres Mal trat Stille ein. Ron sah aus, als wollte er etwas sagen, aber Hermine boxte ihm schon wieder in die Seite, als wolle sie ihm bedeuten, still zu sein. In dem Moment war ich ihr dankbar dafür. Es traf mich wirklich hart, dass Jana verschwunden war. Der hoffnungsvolle Teil in mir gab immer mehr dem Teil von mir nach, der mir sagte, dass es wirklich unwahrscheinlich war, dass Jana nach all den Jahren noch lebte.
 

„Würde es euch etwas ausmachen, wenn wir jetzt zu Dumbledore gehen könnten?“, wandte ich mich schließlich an die drei. Ich wollte mich ablenken und außerdem hatte ich so langsam das Gefühl, dass es wirklich überfällig war, mit Dumbledore zu reden.
 

Sie schüttelten nur die Köpfe und standen auf.
 

„Was ist heute eigentlich für ein Tag?“, wollte ich neugierig wissen. Es war jedenfalls kein Unterricht, ganz offensichtlich.

„Montag“, antwortete Ron. „Aber es sind Osterferien. Und Harry hat mir eigentlich versprochen, dass ich mit seinem Feuerblitz fliegen darf.“

„Ron, du bist unmöglich!“, schimpfte Hermine, doch Harry drückte ihm seinen Besen in die Hand.

„Geh schon“, forderte er ihn auf. Ron bekam leuchtende Augen und Harry fügte noch grinsend hinzu: „Aber mach ihn nicht kaputt.“

„Boah! Danke, Harry“, freute sich Ron. „Wir sehen uns dann später, ja?“
 

Ich sah, wie Hermine die Augen verdrehte. Dann warf sie Harry und uns einen kurzen Blick zu, bevor sie Ron hinterherrannte. Ich nahm an, sie wollte uns damit etwas Privatsphäre verschaffen.
 

„Du spielst Quidditch?“, fragte ich, während Harry uns zu Dumbledores Büro begleitete.

„Ja, als Sucher“, antwortete er und ich konnte nur noch in mich hineingrinsen, während er mir auf dem ganzen Weg hoch zu Dumbledores Büro davon erzählte, wie er in die Mannschaft gekommen war, wie das Team so war und alles, was es darüber sonst noch so zu erzählen gab. Es verschaffte mir wenigstens ein bisschen Ablenkung für diesen Moment.



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