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Endormis

von

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Emma

Protagonist: Sirius Black
 

***
 

Gedankenversunken und etwas k.o. lag ich auf Janas Bett und konnte noch kaum glauben, dass es vorbei war. Auf meiner Brust lag, in eine kuschelige Decke eingewickelt, meine kleine Tochter, die neugierig in die Welt guckte und dabei offenbar glücklich an meinem Finger nuckelte.
 

Emma war noch etwas klein – gerademal so groß wie ein Butternut-Kürbis. Harry war damals größer gewesen und auch etwas schwerer, glaubte ich mich jedenfalls zu erinnern. Emma brachte gerade einmal knapp 2.500g auf die Waage. Aber sie war ja immerhin auch etwas zu früh dran. Trotzdem aber war sie in ihrer Entwicklung offenbar weit genug, um alleine zu überleben.
 

Ich konnte mein Glück immer noch nicht so richtig fassen. Ich hatte damit gerechnet gehabt, dass ich sie mit einigen Zaubern aufpäppeln müsste, sobald sie da war. Ich hatte mir alle Bücher zusammengesammelt, die Lily zu dem Thema gehabt hatte, bereit, um mein Versprechen einzuhalten und das Kind durchzubringen. Doch das hatte Emma gar nicht gebraucht.
 

Gleich nach der Geburt hatte sie einen kurzen, kräftigen Schrei ausgestoßen, wie um uns zu sagen, dass es ihr gut ging. Jana war darüber unglaublich erleichtert gewesen. Bis zum Schluss hatte sie sich Sorgen um die Kleine gemacht. Nun, da sie endlich da war, hatte sie sie sofort in den Arm nehmen wollen.
 

Emma hatte sich sofort wieder beruhigt, als sie auf Janas Bauch lag. Mit großen Kulleraugen hatte sie an ihr hochgeguckt und hatte sich sogar von ganz alleine bis zu ihrer Brust hochgeschoben. Ganz fasziniert und glücklich hatte Jana die Kleine dabei beobachtet, wie sie ihre ersten paar Züge trank. Dabei hatte sie auch völlig die Strapazen der letzten Stunden vergessen. Die Geburt war anstrengend gewesen und hatte sich ziemlich lange hingezogen. Ich hatte Jana auch immer wieder mit ihrem Trank aufpäppeln müssen, aber am Ende hatte sie es endlich überstanden.
 

Eine ganze Weile lang hatte die Kleine einfach nur auf Janas Brust gelegen zufrieden mit ihrer Mama gekuschelt, während ich mich neben sie und schützend einen Arm um sie gelegt hatte. Irgendwann waren sowohl Jana als auch Emma friedlich eingeschlafen.
 

Behutsam hatte ich Jana zugedeckt und Emma nun auf meine Brust gelegt. Davon war sie wieder aufgewacht und hatte kurz ein wenig geknatscht, aber offenbar fand sie es ganz toll, dass sie an meinem Finger nuckeln konnte. Jedenfalls ließ sie sich von dem Positionswechsel nicht weiter aus der Ruhe bringen.
 

Je länger ich die Kleine betrachtete, desto mehr überwältigten mich nun meine Gefühle. Monatelang hatte ich mir solche Sorgen um Jana gemacht, dass sie es nicht überleben könnte, dass ich den Gedanken daran, Vater zu werden, nicht an mich herangelassen hatte. Ich hatte es nicht gewagt, mich wirklich auf das Kind zu freuen und mich stattdessen davor gefürchtet, ich könnte Jana verlieren.
 

Doch Jana hatte es überstanden. Sie war erschöpft, völlig ausgelaugt und brauchte dringend Erholung, doch sie hatte es überstanden und ich konnte mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal, oder überhaupt jemals in meinem bisherigen Leben, so glücklich gewesen war.
 

Jetzt erst begriff ich, wie James sich damals, direkt nach Harrys Geburt, gefühlt haben musste. Er war überschwänglich gewesen vor Freude und ich hatte mich natürlich auch für ihn und Lily gefreut. Doch so richtig nachvollziehen konnte ich seine Gefühle jetzt erst.
 

Ich musste grinsen und ich kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus. Eigentlich war ich auch müde. Schließlich waren es jetzt fast 36 Stunden, in denen ich nicht geschlafen hatte, weil sich die Geburt einfach so lange hingezogen hatte. Und doch war ich wach und irgendwie machte mir meine Müdigkeit auch nicht so viel aus.
 

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war jetzt halb 12 am Morgen und Emma war jetzt so ziemlich genau eine Stunde alt. Außerdem war heute der 27. März. Mein Grinsen wurde noch ein wenig breiter. Wenn ich vielleicht Glück hatte, und James mir nicht den Kopf abschlagen würde, dafür, dass ich ein Kind mit seiner kleinen Schwester hatte, dann würde er es vielleicht auch cool finden, dass er und Emma am selben Tag Geburtstag feiern könnten.
 

Im Grunde machte ich mir immer noch Gedanken, wie ich James eigentlich erzählen sollte, dass er jetzt Onkel war. Ein bisschen nervös war ich schon noch, aber auf der anderen Seite hatte ich ja auch noch knapp zwei Monate Zeit, mir das zu überlegen.
 

Emma, auf meiner Brust, streckte sich etwas und schlief dann friedlich ein. Ich dagegen fühlte mich immer noch nicht wirklich müde genug, um zu schlafen. Stattdessen lag ich einfach nur weiter da, beobachtete Emma während sie schlief und streichelte sie sanft.
 

Ich fand, dass sie mehr nach Jana kam, obwohl sie noch etwas zerknautscht aussah. Und doch wirkten ihre Gesichtszüge Jana irgendwie ähnlicher als mir. Nur ihr feiner Haarschopf war offenbar schwarz. Eigentlich fand ich es schon ein wenig schade. Ich mochte Janas Haarfarbe – ein sehr heller Braunton. Und doch, sah Emma Jana immer noch so ähnlich, dass es mich nicht weiter störte.
 

Stundenlang lag ich so da und konnte nicht anders, als zu grinsen. Emma schaffte es sogar, Peter aus meinen Gedanken zu vertreiben. Ich bedauerte es nur, immer noch auf der Flucht zu sein, denn im Augenblick hatte ich das Bedürfnis, allen meinen Freunden die Kleine vorzustellen. Aber das funktionierte leider nicht. James und Lily schliefen noch zwei Monate und von Remus hatte ich seit meiner Gefangennahme damals nichts mehr gehört. Und selbst wenn ich wüsste, wo er sich gerade aufhielt, würde er mich wohl nicht sehr freundlich begrüßen.
 

Ich seufzte kurz. Weder Jana noch Emma wachten davon auf. So langsam hatte ich das Gefühl, dass ich wohl auch in zwei Monaten noch auf der Flucht sein würde, wenn ich schließlich James und Lily aufwecken ging. Das war schon wirklich schäbig. James hätte allen Grund dazu, mich zu köpfen. Ich hatte es noch nicht mal geschafft, Peter zu fassen und Harry vor ihm zu schützen.
 

Aber diese Gedanken konnte gar nicht richtig zu mir vordringen. Emma war einfach zu süß, um mich länger als einen Momentlang mit etwas anderem zu beschäftigen als mit der Tatsache, dass sie da war und es ihr gut ging.
 

Mittlerweile breitete sich allerdings doch die Müdigkeit in mir aus und ich war gerade schon am Wegdösen, als plötzlich Corbie vor mir auftauchte.
 

„Oh, hallo Corbie“, grüßte ich sie.

„Mr James hatte darum gebeten, dass Corbie etwas für das Kind vorbei bringt“, sagte sie mit einer kurzen Verbeugung.
 

‚Mr James?‘ Ich stutzte etwas über diese Anrede. Aber auf der anderen Seite war Corbie natürlich auch schon so alt und ich hatte sie war schon ein paar Monatelang nicht mehr gesehen. Sie wurde wohl langsam senil.
 

„Ach richtig“, antwortete ich und überging also ihre Anrede.
 

Sie holte ein kleines Bündel aus ihrer Tasche und tatsächlich hatte sie ein Beistellbettchen, eine Wickelkommode, ein Stillkissen und einige andere grundlegende Dinge darin, welche sie so klein gezaubert hatte, dass sie sie ohne Probleme hatte transportieren können. Mit einem Schnipsen nahmen die Sachen ihre normale Größe an.
 

„Warte, ich helfe dir“, versicherte ich Corbie und legte Emma behutsam neben Jana.
 

Sie ningelte etwas im Schlaf, doch sie wachte nicht auf. Dann half ich Corbie mit einem Wink mit Janas Zauberstab dabei, die Babymöbel ordentlich aufzustellen.
 

„Danke, Corbie“, sagte ich. Sie verbeugte sich noch einmal.

„Was immer Mr James wünscht“, antwortete Corbie mit einer weiteren Verbeugung. „Kann Corbie sonst noch etwas tun?“

„Nein, nein danke, Corbie“, erwiderte ich. „Du hast dir Ruhe verdient.“

„Aber Mr James, mit irgendetwas muss Corbie Ihnen doch noch behilflich sein können. Mr James sieht hungrig aus.“
 

Ach, tat ich das? Eigentlich war mein Hunger irgendwie gerade gar nicht so wichtig, aber Corbie ließ sich nicht davon abbringen einen riesigen Teller mit Sandwiches zu machen, von denen die meisten mit Fischfilet belegt waren. Offenbar glaubte sie tatsächlich, James vor sich zu haben. Ihm hätte sie mit Fischsandwiches natürlich eine Freude machen können. Aber zu meinem Glück belegte sie ein paar Sandwiches auch mit Hühnchen, Schinken und Käse.
 

Während sie in der Küche vor sich hin werkelte, erzählte sie gedankenversunken irgendwelche Geschichten von James, Jana und mir, als wir noch Kinder gewesen waren. Es war irgendwie witzig, ihr dabei zuzuhören, doch sie schien mich nicht weiter zu bemerken.
 

Schließlich war Corbie fertig und sie reichte mir den Teller. Nur mit Mühe konnte ich sie nun davon abhalten, auch noch das ganze Haus aufzuräumen. Ich überzeugte sie davon, dass sie sich nun wirklich etwas Ruhe gönnen und nach Hardwins Place zurückkehren sollte. Und gerade, als sie wieder abgereist war, hörte ich, wie Emma im Obergeschoss quengelte. Offenbar war sie jetzt wieder aufgewacht.
 

Auch Jana war wach, als ich das Zimmer wieder betrat. Gerade war sie dabei, sich aufzurichten.
 

„Kommst du klar?“, wollte ich wissen und stellte den Teller mit Sandwiches auf dem Nachttisch ab.
 

Jana nickte bloß und nahm die Kleine behutsam in den Arm, um sie zu stillen. Das stellte sich als schwieriger heraus, als gedacht. Offenbar hatte Emma Schwierigkeiten, die Brust richtig zu fassen. Jedenfalls drehte sie ihr Köpfchen oft weg.
 

Ich saß nur daneben und konnte nicht helfen. An dem Tag, an dem Harry zur Welt gekommen war, war ich damals für einen Auftrag unterwegs gewesen und James und ich hatten uns nie über so etwas unterhalten.
 

Jana hingegen schien sich davon noch nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Geduldig versuchte sie die Kleine, an ihre Brust zu führen, doch so richtig gelingen wollte es nicht.
 

„Vielleicht hat sie ja gar keinen Hunger, sondern will etwas anderes“, schlug ich etwas ratlos vor, als Emma nach einer Weile langsam unruhig wurde.
 

Jana, deren Stimme noch nicht wieder fitt war, um zu sprechen, konnte mir nicht antworten. Die Kleine lag noch immer in ihren Armen. Und trotzdem versuchte sie mir wohl mit einem kurzen Kopfnicken zu sagen, dass sie sehr wohl hungrig war. Jedenfalls versuchte sie weiter, die Kleine zu stillen, was sich ziemlich in die Länge zog.
 

Auch Jana wurde nach einer Weile nervös, als die Kleine nach einiger Zeit immer noch nicht wirklich getrunken hatte. Emma war mittlerweile schon ziemlich aufgewühlt und weinte.
 

„Und wenn du dich einfach wieder hinlegst?“, fragte ich sie schließlich. „Vorhin hat es doch geklappt, als sie einfach nur auf deiner Brust lag.“
 

Jana guckte mich etwas verwirrt an, doch dann legte sie sich wieder auf den Rücken. Emma brauchte einen Moment, bevor sie sich wieder beruhigt hatte. Dann jedoch schien es ihr tatsächlich leichter zu fallen und endlich begann sie an Janas Brust zu nuckeln und zu trinken.
 

Jana schien darüber sehr erleichtert zu sein und sie streichelte die Kleine behutsam. Schließlich, als sie satt zu sein schien, schlief Emma wieder ein.
 

„Soll ich sie dir kurz abnehmen, damit du dich wieder anziehen kannst?“, fragte ich Jana.
 

Sie schüttelte den Kopf. Jetzt, da sie Emma auf ihrer Brust liegen hatte, hatte sie auch ihre Hände frei, um mir mit Gesten zu antworten.
 

„Es ist gut, wenn sie so auf meiner Brust liegt“, erzählte sie. „Das hat Lily mit Harry damals auch gemacht. Es stärkt die Eltern-Kind-Bindung, hat sie erzählt.“

„Oberkörperfrei?“, fragte ich etwas verwundert nach.
 

Jana nickte.
 

„So kann sie besser meine Nähe spüren.“

„Wenn du das sagst.“
 

Ich legte sanft die Decke über die beiden, sorgfältig darauf achtend, Emmas Köpfchen nicht zu verdecken. Dann legte ich mich wieder neben sie und gab Jana einen zärtlichen Kuss.
 

„Ich liebe dich“, schwor ich ihr.
 

Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich diese drei Worte jemals zuvor verwendet hatte und in diesem Moment wurde mir das erst bewusst. Tatsächlich hatte ich dieses Gefühl jedoch auch noch nie so intensiv gespürt wie jetzt und mir kam es so vor, als könnte dieser einfache Satz im Grunde niemals ausreichen, um das Gefühl passend zu beschreiben.
 

Janas Augen begannen zu strahlen.
 

„Ich dich auch“, hauchte sie leise. Ihre Stimme war kaum zu vernehmen, doch ich verstand sie.
 

Eine Weile lang lagen wir einfach nur so da und irgendwie wirkte die Welt um uns herum plötzlich so friedlich, wie sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr gewesen war. Die Zeit hatten wir bereits völlig vergessen und irgendwann übermannte uns schließlich die Müdigkeit. Ich wusste nicht, wie lange es her war, dass ich so friedlich geschlafen hatte. Ich hatte mich bereits vor über zehn Jahren an die Albträume gewöhnt, dass sie Alltag für mich geworden waren. Nun jedoch war ich einfach nur glücklich.
 


 

In den folgenden Tagen versuchten wir einen neuen Alltag mit der Kleinen zu finden. Ich hatte bisher gedacht, dass mir das eigentlich nicht so schwerfallen dürfte, da ich ja früher auch auf Harry aufgepasst hatte. Ich hatte Lily und James damals so oft besucht, dass immer geglaubt hatte, ich wäre auf den Umgang mit Emma wenigstens ein bisschen vorbereitet. Doch das stellte sich jetzt als Irrtum heraus.
 

Emma schlief viel, doch niemals länger als drei oder vier, manchmal auch fünf Stunden am Stück. Lily und James hatten damals müde ausgesehen und sie hatten davon geredet, wenn ich es mir recht überlegte. Und doch hatte ich es nicht so wirklich für voll genommen. Ich war selten über Nacht geblieben. Deswegen ging mir die ganze Bedeutung dieser Tatsache erst jetzt auf.
 

Natürlich war mein Schlaf in den letzten Jahren kaum erholsamer gewesen, aber ich hatte es irgendwie geschafft, mich derart an die Albträume zu gewöhnen, dass ich immerhin durchgeschlafen hatte. Emma dagegen wachte mitten in der Nacht auf und weinte dann, weil sie Hunger hatte. Jana schien das weniger zu überraschen, als mich. Tatsächlich wirkte sie überhaupt nicht überrascht.
 

Sie blinzelte nur, richtete sich etwas umständlich auf und hob die Kleine aus ihrem Bettchen, das neben unserem Bett stand. Dann legte sie sich wieder hin und ließ Emma trinken. Sie hatte den Dreh noch nicht so ganz raus, wie sie sie im Sitzen stillen sollte. Deswegen ließ sie Emma einfach auf ihrer Brust liegen, was immer noch am besten klappte.
 

Jana schlief dann einfach wieder ein, ohne die Kleine wieder in ihr Bettchen zu legen und auch Emma schlief nach dem Stillen sofort wieder ein. Ein Lächeln huschte mir über das Gesicht. Es sah so süß aus, doch ich nahm Jana die Kleine wieder von der Brust und legte sie sanft zwischen uns ab. Dann deckte ich die beiden wieder zu und legte mich ebenfalls wieder hin.
 

Trotzdem, dass Jana in der Nacht so schnell wieder eingeschlafen war, wirkte sie am Morgen danach sehr unausgeruht. Offenbar hatte sie nur einen sehr leichten Schlaf gehabt.
 

„Bleib liegen“, sagte ich ihr und nahm ihr Emma behutsam von der Brust. „Ich kümmere mich schon um sie.“
 

Sie nahm das Angebot an und schlief noch etwas weiter, während ich die Kleine in eine Decke einwickelte und mit ihr nach unten ins Wohnzimmer ging. Sie schlief dabei friedlich weiter und nachdem ich mit ihr ein paar Runden durch das Zimmer gedreht hatte, legte ich sie behutsam auf das Sofa, um schon einmal Frühstück vorzubereiten.
 

Ablegen fand Emma aber anscheinend gar nicht toll, denn sie wachte sofort auf und fing an zu weinen. Noch während ich versuchte sie wieder zu beruhigen, kam Jana ins Zimmer dazu.
 

„Du hättest noch nicht aufstehen müssen“, wandte ich mich an sie, als sie Emma auf den Arm nahm und sich mit ihr auf das Sofa setzte, um sie ein weiteres Mal zu stillen.

„Sie könnte vielleicht Hunger haben“, antwortete sie mit einer kurzen Geste.

„Na gut, das könnte sein“, gab ich zu. „Ich mach dann schon mal Frühstück.“
 

Sie nickte mir zu und ich drückte ihr einen kurzen Kuss auf die Stirn. Dann verschwand ich in der Küche.
 

Ich konnte hören, wie Emma etwas quengelte. Offenbar hatte Jana den Dreh mit dem Stillen immer noch nicht ganz raus. Als ich jedoch den Tisch fertig gedeckt hatte, das Essen auf dem Tisch stand und ich wieder zu den beiden in das Wohnzimmer ging, schien es endlich geklappt zu haben und Jana wirkte sehr erleichtert darüber.
 

Wir ließen die Tage eher ruhig angehen und konzentrierten uns ganz auf die Kleine. Tatsächlich stellte ich fest, dass Jana sich noch sehr gut daran erinnern konnte, wie Lily und James sich damals um Harry gekümmert hatten. Sie schien ungewohnt selbstsicher, wenn es darum ging, Emma zu wickeln, anzuziehen oder zu baden. Ich hatte das noch nie gemacht. Wenn ich mich um Harry gekümmert hatte, dann nur für ein paar Stunden und das Wickeln hatte ich immer Lily oder James überlassen. Jana hingegen hatte den beiden, was das anbelangte, wohl mehr unter die Arme gegriffen und überhaupt keine Probleme damit.
 

Dennoch machte sie sich wegen jeder Kleinigkeit Gedanken, ob sie alles richtigmachte. Sie überprüfte ständig, ob die Kleine es warm genug hatte, aber auch nicht zu warm. Sie machte sich Sorgen, ob sie genug trank und wog sie nach jeder Mahlzeit, um zu überprüfen, ob sie auch genug an Gewicht zulegte. Selbst über die Atmung der Kleinen machte sie sich einen Kopf.
 

Jedes Mal, wenn die Kleine anfing zu weinen, ging sie gedanklich alle Möglichkeiten durch, was sie wollen könnte. Hatte sie vielleicht Hunger? War ihre Windel voll? War sie müde? Tat ihr irgendwas weh? Emmas Schreien zu deuten fiel ihr immer noch am schwersten und manchmal dauerte es eine ganze Weile, bis sie die Kleine wieder beruhigt hatte. Das schlauchte auch Jana.
 

Ich fühlte mich oft etwas hilflos, denn ich schaffte es kaum Janas Nerven wieder zu beruhigen. Mehr denn je, wünschte ich mir, dass James und Lily jetzt da sein könnten. Ich versuchte mir vorzustellen, was sie uns raten würden, doch ich konnte mich kaum erinnern, wie es damals bei Harry gewesen war. Es fühlte sich so an, als hätte ich im Grunde fast gar nichts mitbekommen und es war alles so lange her, dass ich mich an das Wenige, das ich mitbekommen hatte in Vergessenheit geraten war.
 

Und dennoch musste ja einer von uns die Nerven behalten und so versuchte ich jedes Mal aufs Neue Jana zu versichern, dass alles in Ordnung war.
 

„Soll ich dir ein Bad einlassen?“, schlug ich ihr am dritten Tag mit der Kleinen vor, als sie sie gerade zum Mittagsschlaf in ihr Kinderbettchen gelegt hatte. „Du machst dir viel zu viel Stress und du weißt, dass das nicht gut für dich ist. Du solltest dich noch ausruhen.“

„Und du solltest mich nicht ständig in Watte packen“, erwiderte sie mit schwacher Stimme. Sie war noch kaum wieder zu hören.
 

Ich war überrascht von dieser Antwort und hob irritiert die Augenbrauen.
 

„Wie meinst du das?“, wollte ich wissen.

„Ich möchte nicht, dass du mir alles abnimmst“, erklärte sie. „Ich will-“ Doch ihre Stimme war noch zu schwach, für lange Ausführungen also fuhr sie schließlich doch in Zeichensprache fort. „Ich hab‘ genauso meine Verantwortung als Mutter zu tragen.“

„Das wollte ich gar nicht abstreiten.“

„Aber du versuchst mir so viel Verantwortung abzunehmen. Und das ist auch lieb von dir, aber ich muss doch auch lernen, damit klar zu kommen.“

„Öhm…“
 

Ich blinzelte sie immer noch irritiert an und wusste gar nicht, was ich darauf antworten sollte.
 

„Ich möchte ja nur, dass du dich genug ausruhst“, sagte ich nach einer kurzen Pause. „Die Geburt war immerhin anstrengend für dich.“

„Du möchtest immer, dass ich mich richtig ausruhe“, erwiderte sie. „Und ich pass doch auch auf mich auf, aber ich frage mich, ob ich vielleicht auch früher schon besser zurechtgekommen wäre, wenn ihr mich nicht immer so in Watte gepackt hättet?“
 

Ich stutzte.
 

„Hätte ich dich vielleicht einfach so alleine zurücklassen sollen?“, fragte ich etwas verletzt. „Hast du dich damals eigentlich mal im Spiegel angeguckt, als du alleine warst? Du sahst schrecklich aus. Du brauchtest Hilfe!“
 

Sie schüttelte den Kopf.
 

„So habe ich das nicht gemeint“, widersprach sie. „Ich meine nur, dass du mich trotzdem auch was alleine machen lassen sollst. Einfach nicht so überbeschützen.“
 

Für einen kurzen Augenblick sagte niemand von uns beiden etwas. Ich starrte sie immer noch mit großen Augen an.
 

„Erinnerst du dich noch daran, wie du mir in der dritten Klasse geholfen hast, dass ich lerne, alleine zurecht zu kommen, wenn du, James und Lily Hogwarts verlassen haben werdet?“, setzte sie schließlich wieder an.

„Damals ging es ja auch nur darum, dass du alleine in den Krankenflügel gehen könntest, wenn du Hilfe brauchtest“, antwortete ich.

„Ja, aber vorher konnte ich nicht einmal das“, erinnerte sie mich. „Ich musste immer James oder dich zur Hilfe rufen. Und ich hätte es niemals gelernt, wenn du mir damals nicht geholfen hättest. Und ich frage mich, ob ich es dann nicht auch schaffen kann, besser auch für mich selber zu sorgen? Ich möchte nicht immer nur auf deine Hilfe angewiesen sein. Ich möchte, dass wir uns beide gleichwertig um Emma kümmern können, ohne dass ich ständig auf meine Gesundheit achten muss.“
 

Jetzt verstand ich so langsam, was sie meinte. Tatsächlich musste ich zugeben, dass sie durchaus recht hatte. Sie war niemals wirklich zur Selbstständigkeit erzogen worden und während wir damals auf Hogwarts gewesen waren, hatte auch James stets beharrlich ignoriert, dass Jana ein Problem bekommen könnte, wenn sie schließlich, alleine nach Hogwarts ging und nicht mehr James oder mich rufen konnte, um ihr zu helfen. Kurzerhand hatte ich es mir in unserem siebten Schuljahr schließlich zur Aufgabe gemacht, sie auf ihre letzten vier Schuljahre vorzubereiten. Doch weiter als bis dahin hatte auch ich niemals gedacht. Und dennoch wunderte es mich ein wenig, dass Jana es jetzt zur Sprache brachte.
 

„OK, ich verstehe jetzt, worauf du hinaus willst“, versicherte ich ihr. „Aber wie kommst du da jetzt eigentlich drauf?“
 

Sie zuckte mit den Achseln.
 

„Ich hab‘ mir darüber schon eine Weile lang Gedanken gemacht“, gestand sie. „Und irgendwie habe ich seit Emmas Geburt immer mehr das Gefühl, dass es wirklich wichtig ist. Emma braucht uns doch als Eltern. Ich sollte ihr nicht die Aufmerksamkeit wegnehmen, die doch eigentlich sie braucht.“
 

Ich nickte langsam. Das klang wohl einleuchtend.
 

„Gut, ich verspreche dir, dass ich dich zukünftig nicht mehr so sehr in Watte packen werde“, schwor ich ihr. „Aber du könntest jetzt trotzdem einen Moment für dich gebrauchen. Ein bisschen Entspannung kann einfach nicht schaden. Ich lass dir ein Bad ein und dann kümmere ich mich in der Zeit um Emma.“
 

Damit war sie schließlich einverstanden und sie nickte dankbar.
 

„OK, dann mach ich dir jetzt das Wasser fertig“, sagte ich und drückte ihr noch einen Kuss auf die Stirn und verschwand im Badezimmer.
 

Nach dieser kleinen Diskussion schien sie wieder zufrieden zu sein und der Alltag spielte sich langsam etwas besser ein. Sie machte sich immer noch wegen jeder Kleinigkeit Sorgen um Emma und ich versuchte ihr weiterhin gut zuzureden, ohne sie dabei zu sehr mit Samthandschuhen anzufassen. Dennoch bestand ich darauf, dass sie nicht alles alleine machte. Immerhin hatte ich ja auch meine Vaterpflichten zu erfüllen.
 

Sie kam diesem Wunsch nach, indem sie etwas von ihrer Milch abpumpte, sodass auch ich Emma ab und zu füttern konnte. Wir einigten uns auf das Ritual, dass ich Emma abends füttern, wickeln und ins Bett bringen würde, während Jana sich in dieser Zeit in der Wanne entspannte. Damit konnten wir beide gut leben.
 

Am fünften Tag fühlte auch ich mich langsam immer sicherer im Umgang mit der Kleinen. Gerade hatte ich Jana wieder ein Bad eingelassen und ihr Emma abgenommen. Jetzt saß ich entspannt auf dem Bett, hatte sie auf dem Arm und gab ihr ihr Fläschchen.
 

Sie trank langsam. Jedenfalls nuckelte sie mehr, als dass sie wirklich trank. Doch anscheinend war das vollkommen normal. Jana sagte jedenfalls, dass das bei Harry damals wohl auch nicht viel anders gewesen war. Ich machte mir darüber jedenfalls keine Gedanken. Stattdessen überlegte ich, ob ich der Kleinen vielleicht eine Geschichte erzählen sollte.
 

Ich kannte nicht viele Kindergeschichten. Meine eigenen Eltern hatten mir und Regulus nie Märchen erzählt. Erst von James‘ und Janas Eltern hatte ich ein paar gelernt. James und Jana hatten die Märchen von Beedle dem Barden geliebt. Doch ich konnte mich nicht mehr an alle Details erinnern und war mir nicht sicher, ob ich diese Geschichten nacherzählen könnte, also sog ich mir einfach selber eine Geschichte aus den Fingern.
 

„Hab ich dir schon einmal die Geschichte erzählt, wie Schnuffel seinen Freund Bambi kennen gelernt hat?“, fragte ich unnötigerweise. Natürlich nicht! Doch ich fuhr einfach ohne Umschweife fort. „Es war einmal ein kleiner schwarzer Hund. Der hieß Schnuffel. Er lebte in einem großen dunklen Haus und seine Eltern ließen ihn immer nur mit anderen Hundewelpen spielen. Doch Schnuffel war immer schon ein neugieriger kleiner Hund gewesen und er fragte sich, ob die anderen Tiere nicht auch nett waren. Aber seine Eltern hatten ihm verboten mit diesen Tieren zu spielen und sie wurden jedes Mal böse, wenn sie ihn dabei erwischten.

Eines Tages jedoch ging der kleine Schnuffel alleine zum Spielen in den großen Park. Dort traf er auf viele andere Tier-Kinder und sie spielten alle so friedlich miteinander. Schnuffel überlegte sich, ob er sich nicht einfach zu ihnen gesellen sollte. Seine Eltern waren ja gerade gar nicht dabei. Also konnten sie auch nicht böse werden, wenn sie es gar nicht erfuhren, dachte er sich.

Und so mischte er sich unter die anderen Tier-Kinder und traf dabei auch ein kleines Rehkitz, mit Namen Bambi. Bambi war ein aufgewecktes Rehkitz und seine Eltern ließen ihn immer mit allen Tieren spielen. Und er und Schnuffel freundeten sich auch ganz schnell an.

Und bald schon nahm Bambi Schnuffel auch zum Spielen mit zu sich nach Hause, wo Schnuffel auch Bambis Familie kennen lernte. Er fand Bambis Eltern so viel freundlicher, als seine eigenen Eltern. Und doch musste er abends immer wieder zurück nach Hause, wo seine Eltern wissen wollten, wo er gewesen war.

Schnuffel erzählte seinen Eltern nicht, wen er kennen gelernt hatte, denn er wusste, dass sie das nicht mögen würden. Doch von nun an hatte er einen neuen besten Freund gefunden und er und Bambi waren ganz bald schon unzertrennlich.“
 

Schließlich wandte Emma ihr Köpfchen ab, um zu zeigen, dass sie anscheinend satt war. Ich stellte das Fläschchen auf den Nachttisch ab und nahm Emma noch in den Arm, um mit ihr zu kuscheln und damit sie ein Bäuerchen machen konnte.
 

„Hat dir die Geschichte gefallen?“, sprach ich beruhigend auf sie ein.
 

Für einen Außenstehenden mochte es vielleicht komisch aussehen, wie ich mit der Kleinen sprach. Schließlich konnte sie mir ja sowieso noch nicht antworten. Und wahrscheinlich verstand sie auch noch nicht einmal, was ich ihr überhaupt erzählte. Doch wenigstens daran erinnerte ich mich noch, dass auch James und Lily immer liebevoll mit Harry geredet hatten und ihm Geschichten erzählt hatten, selbst wenn er noch zu klein gewesen war, um es überhaupt zu verstehen.
 

Das wichtigste, hatte Lily damals erklärt, war es, dass man in einem ruhigen und liebevollen Ton mit dem Kind redete. Dann wäre es vollkommen egal, was man überhaupt erzählte. Es wirkte beruhigend auf die Kinder, die Stimme der Eltern zu hören.
 

In diesem Moment spuckte mir die Kleine hinten in meinem Nacken ins T-Shirt. Ich denke, das zählte wohl als Bäuerchen oder es war einfach ihre Art, mir zu sagen, dass sie die Geschichte mochte. Vielleicht sollte ich aber beim nächsten Mal doch lieber ein Spucktuch verwenden.
 

Ich griff nach Janas Zauberstab, der ebenfalls auf dem Nachttisch lag und beseitigte die kleine Sauerei mit einem kurzen Wink. Danach machte ich Emma für ihr Bettchen fertig.
 

Der Abend verlief sehr ruhig. Emma schlief so schnell ein und so hatte ich etwas mehr Zeit, ihn gemeinsam mit Jana ausklingen zu lassen.
 


 

Der nächste Morgen begann mit strahlendem Sonnenschein. Ich hatte bereits den Frühstückstisch vorbereitet und wartete auf Jana, die sich im Moment noch um die Kleine kümmerte.
 

Schließlich kam sie dazu. Sie hatte Emma in ein Tragetuch gewickelt und trug sie vor sich auf der Brust. Ich bewunderte sie dafür, wie viel sie noch von Harry damals wusste. Zwar konnte ich mich noch daran erinnern, dass Lily Harry auch gelegentlich in einem Tragetuch getragen hatte, doch ich hätte beim besten Willen nicht mehr sagen können, wie man das Kind darin sicher einwickelte. Jana dagegen schien über solche Dinge nicht nachdenken zu müssen.
 

„Wie machst du das nur?“, wollte ich von ihr wissen.

„Was?“, fragte sie nach. Ihre Stimme war immer noch zaghaft, doch bereits wieder kräftiger als noch zwei Tage zuvor.

„Du gehst so selbstverständlich mit der Kleinen um.“
 

Sie überlegte einen Moment.
 

„Naja ich war ja bei Harry damals dabei gewesen, oder?“, erzählte sie schließlich. „Ich hab Lily und James immer dabei zugesehen, wie sie es gemacht haben und Lily hat mir auch immer alles erklärt. … Und trotzdem. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles richtigmache. An was ich mich erinnern kann, ist doch alles nur Theorie!“

„Das ist mehr Wissen, als ich habe“, merkte ich an und sie lächelte verlegen.
 

Für einen kurzen Moment trat Stille zwischen uns ein, während wir uns dem Frühstück zuwandten. Nur Emmas leise Glucks-Geräusche waren zu hören.
 

„Du solltest heute vielleicht wieder auf das Gelände gehen und nach Peter suchen“, schlug Jana schließlich vor, nachdem wir aufgegessen hatten.
 

Ich sah sie eindringlich an.
 

„Meinst du, du kommst alleine klar?“, fragte ich.
 

Im Grunde war die Frage unnötig. Jana kam immerhin besser mit der Kleinen klar, als ich. Und dennoch hatte ich manchmal das Gefühl, dass ihr meine Anwesenheit guttat, wenn sie wieder einmal angestrengt überlegte, warum die Kleine gerade weinte. Außerdem konnte ich ihr andere Dinge abnehmen, für die ihr alleine keine Zeit blieben.
 

„Ich werde den Tag über schon zurecht kommen“, versprach sie mir. „Aber du musst doch auch vorankommen.“

„Da hast du wohl recht“, erwiderte ich und nickte. „Ich nehm den Zwei-Wege-Spiegel mit. Wenn du mich brauchst, dann klopf einfach.“
 

Sie schüttelte nur bestimmt den Kopf.
 

„Du sollst mich nicht so in Watte packen“, widersprach sie. „Pass du auf dich auf.“
 

Ich musste kurz lachen. Sie hatte mich wohl ertappt. Schließlich nickte ich erneut zustimmend.
 

„Ja, ist gut“, sagte ich. „Ich nehm trotzdem den Zwei-Wege-Spiegel mit. Nur für den Fall. Und mach dir keine Sorgen um mich.“
 

Ich erhob mich und drückte ihr und Emma noch jeweils einen zärtlichen Kuss auf die Stirn. Dann wandte ich mich um und trat wieder durch das Portal in die Heulende Hütte.
 

***
 



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