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TOXIC

von

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Kapitel 4

 

Jemanden vergessen wollen, heißt an ihn denken

 

- Jean de La Bruyère

 

 

 

Victor saß an dem Labortisch und starrte auf das leere Blatt Papier vor sich. Nervös klackte der Linkshänder mit dem Kugelschreiber auf und ab, als er jetzt schon stundenlang keinen klaren Gedanken fassen konnte. Ob es an den ganzen Schmerzmitteln und Medikamenten lag, die Angel ihm immer wieder verabreichte, oder er einfach nur Wahnsinnig wurde wusste er nicht.

 

Er hatte wie so oft einen weißen Laborkittel übergeworfen dessen Ärmel er hochgekrempelt hatte, da er so besser arbeiten konnte. Victor begutachtete seine Handgelenke. Viele Stellen waren blau und vernarbt – Angel war so gewalttätig und schien seine Kraft nicht einschätzen zu können.

'Er sagt er liebt mich. Doch das hat nichts mit Liebe zu tun...'

Victor krallte den Kugelschreiber auf einmal fest in seine Hand und holte aus. Doch einige Millimeter vor seinem rechten Handgelenk kam sein Arm abrupt zum Halten. Eine starke Hand griff mühelos um sein Handgelenk und hatte ihn gestoppt.

 

„Du bist wieder da?“ seufzte Vic.

Angel zog Victors Hand zu sich und küsste dessen Handrücken. „Natürlich. Irgendwer muss dich ja von solchen dummen Ideen abhalten.“

Wäre es unter anderen Umständen, hätte Victor von Angels Lächeln sicher weiche Knie bekommen können. „Und wer hält dich von dummen Ideen ab, 'Angel'?“

Victors Miene verfinsterte sich.

Angel zuckte erstaunt mit den Augenbrauen, doch er blieb antwortete nicht auf die Frage des Schwarzhaarigen.

 

Er lies die zarte Hand des Anderen los und war gerade dabei das kleine Laborzimmer zu verlassen als er Inne hielt.

Er sah Victor nicht an während er zu sprechen begann.

„Du weist dass ich das alles nur für uns getan habe. Sie wollten sich zwischen uns stellen. Uns trennen. Das konnte ich nicht zulassen.“

 

Victor stieg die Übelkeit hoch und er kämpfte mit dem Erbrechen. Er hörte kaum, dass die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war. 'Er… das Ganze ist… einfach so krank. Wie.. wie konnte es so weit kommen? Hätte ich etwas tun können… um ihm damals zu helfen?'

 

Er erinnerte sich, als wäre es gestern gewesen.

 

Sie waren ein ungefähr 3 Wochen zusammen gewesen. Nach einem geradezu High-School-kitschigen Liebesgeständnisses in einem abgelegenen Flur der Uni. Er war so glücklich gewesen. Chris was ein so liebevoller, Mensch – klar vielleicht etwas unsicher, aber genau das machte ihn so liebenswert. Sie hatten sich für den nächsten Morgen vor der Uni verabredet. Doch Chris kam nicht. Victor hatte ihn auch nicht erreichen können. Weder zu Hause noch auf seinem Handy, auch in der Uni war er nicht. Es war, als hätte sich die Erde aufgetan und ihn verschluckt. Als hätte es diesen wundervollen Menschen, den er inzwischen so sehr liebte nie gegeben.

 

Und dann ein paar Tage später, als er Morgens selbst viel zu spät dran war, hörte er eine ihm wohlbekannte Stimme hinter sich die seinen Namen rief. Doch als er herumwirbelte um auf Chris zu zustürmen, wollten sich seine Beine nicht bewegen. Denn der Anblick der sich ihm bot, war nicht der, den er erwartet hatte.

 

Chris stand einfach dort. Verschmiert mit inzwischen getrocknetem Blut welches fast seinen ganzen Körper bedeckte. Sein Gesicht und Oberkörper waren von blauen Flecken und Platzwunden übersät, als wäre er verprügelt worden. In einer Hand hielt er ein schwarzes Messer auf dem ebenfalls getrocknetes Blut klebte. Doch dann streckte er seine freie Hand aus und hielt sie Victor hin.

Lass uns gehen. Hier gibt es nichts für uns.“

 

Es war als stünde die Zeit still. Und gegen alle Vernunft wollte Victor zu ihm. Gerade als Victor trotz allen Warnungen, die in seinem Kopf schrien, auf Chris zustürmen wollte um seine Hand zu greifen, um diesem Verlangen in seiner Brust nachzugeben, packte ihn von hinten eine Hand fest an der Schulter und hielt ihn zurück.

 

Er war so auf seinen Freund fixiert gewesen dass er nicht bemerkt hatte, dass sie von der Polizei umstellt waren. Zwei Beamte hielten Victor zurück, aus dem jedoch nun jegliche Kraft verschwunden war. Ungläubig versuchte er sich aus den Griffen der Polizisten zu winden, doch er konnte sich nicht lösen. Je mehr er versuchte sich zu befreien, umso stärker hielten sie ihn zurück. Er schrie, dass sie ihn loslassen sollten, doch je mehr er sich wehrte umso gewalttätiger wurde er zurückgehalten.

 

Chris war mit gezückten Waffen umstellt. Die Beamten schrien ihn an, dass er das Messer fallen lassen und sich ergeben sollte. Trotz all der Pistolen, die auf Chris gerichtet waren, war sein Blick allein auf Victor gerichtet. Als sähe er einfach durch die uniformierte Menschenmasse vor ihm einfach hindurch. Selbst als ihn zwei Polizisten von hinten überwältigten und auf den Boden pressten sagte er keinen Ton, zeigte keine Emotion. Er blickte ihn nur an. Auch noch als er abgeführt wurde und in einem Streifenwagen fortgebracht wurde, tat er nichts außer Victor anzulächeln bis er ihn nicht mehr sehen konnte. Victors Starre hielt noch lange an. Er konnte nicht verstehen was geschehen war.

 

Laut Aussage der Polizei hatte er in einem Streit seinen Vater niedergestochen. Ihn regelrecht ausgeweidet. Seiner Mutter, bei der er lebte ging es zwar verhältnismäßig gut, doch gegen sie wurde ebenfalls ermittelt.

Sie war bei der Tat anwesend, griff jedoch nicht ein. Zudem war sie momentan aufgrund ihres erlittenen Traumas unzurechnungsfähig.

Chris hatte ihm nie viel von seiner Familie erzählt, aber Victor wusste, dass er mit seinem Vater nicht besonders gut zurecht kam. Er hatte einmal erwähnt dass sein Vater ein brutaler Mensch war. Aber Chris war ganz anders – er war so freundlich, so liebevoll. All diese Vorwürfe konnten doch nicht stimmen. Doch es gab nichts, was er tun konnte. Man sagte ihm dass er aufgrund schwerer Psychosen in ein eine weiter entfernte, geschlossene psychiatrische Klinik eingewiesen worden war, und dass er keinen Kontakt zu ihm haben durfte.

Er war außerhalb seiner Reichweite und er würde den, den er so sehr geliebt hatte wohl nie wieder sehen.

 

Aber Victors schlechtes Gewissen hing über ihm wie ein Schatten. Er hatte nicht hinterfragt was geschehen war. Er hatte nur zugesehen. Er hatte ihn im Stich gelassen.

 

Victor kauerte über dem kleinen Labortisch und verfluchte sich und seine eigene Unfähigkeit. 'Was wäre wenn ich damals mutiger gewesen wäre? Wenn ich seine Hand ergriffen hätte? Hätte es etwas geändert?'

Aber nein. Er hatte es irgendwann verdrängt. Er hatte die Person, die er geliebt hatte verdrängt und schließlich vergessen.

Während Chris allein gekämpft hatte, lebte Victor sein scheinbar glückliches Leben, auch wenn er selbst wusste, das es nur eine Lüge war…

 

Vielleicht war dies alles die Strafe dafür, dass er ihn damals im Stich gelassen hatte. All diese negativen Gedanken brachen über ihn herein und zerrten ihn zurück in die Dunkelheit.

 

*

 

Drakes Situation hatte sich durchaus verbessert. Angel hatte ihn die letzten zwei Tage in Ruhe gelassen. Er hatte ihm, dem „Hündchen“ oder „Welpen“ wie Angel ihn so gerne nannte ein kleines Zimmer zugewiesen. Wie alle anderen die Drake bisher erkundet hatte, waren auch hier keine Fenster. Das Haus war von innen so abgeschottet, dass wirklich nichts hinein- oder herausdrang. Kein Funken Sonnenlicht gab Gewissheit über die Zeit, die verstrich. Langsam verlor er sämtliches Gefühl für Zeit, denn ob Tag oder Nacht- in diesem Gefängnis machte das keinen Unterschied.

 

Drake lag auf 'seinem' Bett und starrte die Neonröhre an, die summend Licht spendete. Er versuchte zu verstehen was hier eigentlich vor sich ging. ‘Warum… hat er mich hier her gebracht? Was erhofft er sich davon? Was… will er von Victor?‘

Er rollte sich auf die Seite und versank noch tiefer in seinen Gedanken.

 

Vor kurzem war sein größtes Problem noch, dass seine McDonald’s Rabattcoupons seit einem Tag nicht mehr gültig waren Victor sein strahend gewesen wäre? Hätte es etwas geändert? Aber nein. Er hatte es verdrängt. . Dass seine Freunde es vergessen hatten, ihm den nächsten angekündigten Überraschungstest mitzuteilen, den er mal wieder verpeilt hatte.

„Leute…“ es war mehr ein lautes Seufzen, das aus seiner Kehle drang. 'Wenn ich wüsste wie es euch geht…. Ob ihr… überhaupt noch lebt?' Das letzte woran er sich erinnern konnte, bevor er damals das Bewusstsein verlor waren die Schreie seiner Freunde. Die Panik die um sich griff. Die Schüsse, die fielen.

 

„Dieser Bastard… Ich schwöre, wenn er euch etwas angetan hat, bring ich ihn um…!“ Es war eher ein laut ausgesprochener Gedanke – bis er auf einmal an den Haaren nach oben gerissen wurde. Ein diabolisches Lächeln strahlte ihm entgegen, umrahmt von schneeweißem Haar.

 

„Ich kann es kaum erwarten. Ich freue mich schon.“

 

Drakes Stirn war schweißgebadet – er hatte Angel nicht kommen hören. Er war wie ein Geist, er war überall und nirgendwo. Er tauchte stets wie aus dem Nichts auf, spielte auf makabere Weise mit ihm und seinen Gedanken, als könnte seine teuflischen, roten Augen direkt in seinen Kopf schauen. Als Lägen seine Gedanken vor ihm wie ein offenes Buch.

 

„Du Scheißkerl…“ fauchte ihm Drake entgegen, während er sich versuchte aus dem Griff der Älteren zu lösen. „Na na na… dabei wollte ich dir und deinem Herrchen doch erzählen dass ich ein paar Tage geschäftlich unterwegs sein werde.“

 

Er kroch regelrecht an Drake’s Ohr und flüsterte „Du solltest Victor dankbar sein. Aber pass' auf was du tust - er wird nicht immer da sein um sich schützend vor dich zu werfen. Du bist ein Köter mehr nicht. Merk dir das.“

Drake fuhr es durch Mark und Bein als Angel ihm einen verspielten Kuss in den Nacken gab - nur um ihn dann wieder unsanft auf die Matratze zu werfen.

 

Drake umklammerte seinen Kopf und kauerte auf dem Bett. Vor Angst gelähmt versuchte die Panik zu vertreiben, doch das war leichter gesagt als getan.

‚Was zum Teufel war DAS?!... dieser… dieser Arsch ist komplett übergeschnappt. Ich… hab keine Ahnung wie… ich gegen so jemanden gewinnen soll…‘ Doch bevor er weiter diesen panischen Gedanken fortführen konnte war Angel längst wieder verschwunden. So lautlos wie er aufgetaucht war, hatte er sich auch regelrecht wieder in Luft aufgelöst. Doch die Gänsehaut und die Kälte in seinem Nacken blieb.

 

Der junge Rotschopf richtete sich auf. Er musste mit Victor reden. Solange er nichts tun würde, was Angel wohl verärgern könnte, war er halbwegs sicher. Auch wenn er nicht sicher war, was Angel verärgern konnte und was nicht. Aber immerhin hatte er eine potentielle Schwäche seines Gegners erkannt – er war zu selbstsicher und glaubte dass ihm niemand etwas anhaben konnte. Dass er unbesiegbar war. Aber das stimmte nicht – er war ein Mensch. Er konnte bluten. Er konnte sterben.

 

Es war ein Schwur den Drake sich selbst auferlegt hatte. Wenn Angel seine Freunde verletzt haben sollte, würde er dafür leiden. Er würde ihn dieselben Schmerzen erleiden lassen.

Und er würde ihn leiden lassen, wenn er Vic auch nur noch ein weiteres Haar krümmen würde. Bei dem Gedanken an den Anderen zog sich seine Brust zusammen. Er versuchte dieses Gefühl abzuschütteln. Jetzt war weder die Zeit noch der richtige Ort für solche Gefühle - doch er musste zu Victor. Er musste ihn sprechen, musste erfahren was immer er wusste. Damit sie vielleicht zusammen auf eine Lösung stießen, mit der sie aus dieser Hölle entkommen konnten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ravenchild
2021-01-29T22:48:38+00:00 29.01.2021 23:48
hmm kaum gedacht schon bekommt man etwas einblick, oder eher eine grobe Idee was da Kauptt sein könnte, man kann sich zumindest mit den Informationen ein wenig was zusammen reihmen. Und ansonsten kann man auch wieder sehr schön mit den Charakteren Mitfühlen, also zumindest mit Vic und Drake. Angel kommt wirklich beängstigend rüber und seeehr Psysho. Auch wieder ein Super Kapitel ^^


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