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Nur mit dir, für dich

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo an alle Leser, die den Weg hierher gefunden haben und ich wünsche euch allen dabei ein frohes Lesen. ;-) Und natürlich ein herzliches Dankeschön an Kio4578 für die Korrektur meiner FF. :-*

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Mit diesem Kapitel wünsche ich euch schon mal fröhliche Weihnachten, frohes Fest und besinnliche Weihnachtszeit. :-*

Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Einen schönen 1.Weihnachtstag und eine angenehme Lesestunde. :-*
Liebe Grüße,
Saph_ira Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Nun ist auch diese FF von mir zu Ende und die nächste beabsichtige ich in zwei - drei Monaten hochzuladen, so etwa im März. Ich bedanke mich sehr herzlich bei allen, die diese FF gelesen und favoritisiert haben. Besonders dankeschön an Kio4578 für die Korrektur und die Geduld für meine Schreibfehler. :-)

Ich wünsche euch noch einen guten Rutsch und alles Gute für das neue Jahr 2017. :-*

Bis zum nächsten Mal und ganz liebe Grüße,
eure Saph_ira Komplett anzeigen

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Prolog

Als Kapitän der königlichen Garde nahm Oscar ihre Pflicht und ihre Aufgaben sehr ernst. Schon ab dem ersten Tag ihres Dienstes, hatte sie allen Höflingen gezeigt, dass sie aus einem anderen, härteren, Holz geschnitzt war. Genauso hielt sie sich von dem ganzen Hofklatsch, der nur so in den prachtvollen Sälen Versailles an der Tagesordnung stand, fern und mied meistens jegliche Art von Auseinandersetzungen. Eine schöne und stolze Lady, nannte man sie. Die Damen fanden es amüsant, weil sie als Frau eine Uniform trug und sich wie ein Mann benahm, sodass sie von manchen bewundert und von manchen beneidet wurde.

 

Oscar selbst waren solche Anbetungen, Bewunderungen und alles was damit zusammenhing, völlig gleichgültig. Sie war hier, um die königlichen Thronfolger Frankreichs zu beschützen - der Rest um sie herum interessierte sie nicht. Außer ihrem Freund André.

Er, ihr Begleiter und Gefährte seit Kindesbeinen, der ihr wie ein Schatten überallhin folgte, war der Einziger, mit dem sie offen das Wort über alles Mögliche sprach.

 

Das war wie ein Wunder, dass sich keiner der Höflinge über die zwei das Maul zerriss, denn Intrigen, Skandale und lügnerische Klatschgeschichten waren doch deren Lieblingsspeise! Vielleicht lag es daran, dass André ein Stallbursche war – eine unbedeutende Figur, über den es nicht zu tratschen lohnte und wenn, dann hätte Oscar ihnen schon längst die Mäuler gestopft! Oder man hatte André an Oscars Seite nicht richtig zu Kenntnis genommen? Wenn dem so war, dann war es gut so!

 

In Versailles geschah ohnehin Aufregenderes, womit man sich lieber befasste: Da war diese österreichische Kronprinzessin, Marie Antoinette mit dem französischen Prinzen Louis, dem Enkel des Königs und dessen Thronfolger, verheiratet und alle Menschen waren sehr neugierig auf sie. Man munkelte sogar, sie sei die Schönste in Versailles. Na ja, über Geschmäcker konnte man sich streiten... Hübsch war sie, keine Frage, aber nicht gerade klug. Naiv und leichtgläubig, traf da schon eher auf sie zu. So dachte André bei sich, als er Oscar mit der Kronprinzessin in seinem Geiste verglich.

 

Marie Antoinette war das ganze Gegenteil von Oscar, obwohl alle beide gleichaltrig waren und ein gutes Herz trugen. Nur verbarg Oscar alle ihre Gefühle sorgfältig in sich, was Marie Antoinette dagegen zur Schau trug. Somit war die Kronprinzessin der am heißesten begehrte Gesprächsstoff am Hofe.

 

Seit ihrer Ankunft in Versailles legte sich die Kronprinzessin sogar mit der Mätresse des Königs, Gräfin Dubarry, an. Marie Antoinette sprach kein Wort mit ihr, weil diese eine dunkle Vergangenheit hatte und aus einem ärmlichen Verhältnis stammte. Diese Zwistigkeit zwischen den beiden Frauen war reinste Sahnetorte für die intriganten Höflinge in Versailles - so als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt!

 

Der Konflikt spitzte sich zu und die Gerüchteküche brodelte ihr Süppchen weiter - bis zu einem Neujahresfest.

Marie Antoinette sprach endlich mit Dubarry. Nur einen einzigen Satz, der nur sieben Wörter enthielt: „Es sind heute viele Menschen in Versailles.“

Es war demütigend, als die Mätresse des Königs triumphierend auflachte und die Kronprinzessin damit zutiefst beleidigt hatte. Sie schwor sich, nie wieder mehr mit Dubarry zu sprechen. Ein einziges Mal hatte ihr genügt!

 

Oscar war die Einzige, die diesen Schwur vernommen hatte. Die Kronprinzessin tat ihr aufrichtig Leid. Sie und Marie Antoinette waren im Laufe der Zeit, so etwas wie Freundinnen geworden.

 

Marie Antoinette hatte man vieles durchgehen lassen, ihr vieles erlaubt und das kostete sie natürlich aus. Ihr Ehemann, Louis, seines Zeichens Prinz und Thronfolger, beschäftigte sich ohnehin lieber mit seinem Hobby – Türschlösser zu bauen. Daher war das Verhalten seiner Gattin nachvollziehbar.

 

Oscar hatte alle Hände voll zu tun, um die Kronprinzessin von falschen Zungen und allgemeinen Gefahren zu schützen.

Eines Abends, auf einem der zahlreichen Maskenbällen, die es Marie Antoinette ständig aufzusuchen beliebte, lernten die beide achtzehnjährigen, junge Frauen einen gleichaltrigen Grafen Namens Hans Axel von Fersen aus Schweden, kennen. Oscar bemerkte rasch, dass sich die zwei vom ersten Augenblick an zueinander hingezogen fühlten. Und das gefiel ihr keineswegs! Sie selbst hatte für den Grafen nicht viel übrig und behielt ihn scharf im Auge - denn sie sah schon den nächsten Hofklatsch kommen...

Unfall

André vermisste seine langjährige Freundin in letzter Zeit wie noch niemals zuvor. Er träumte fast jede Nacht von ihr, sie beherrschte sein Leben und sein Sein. Ja, er gab das nicht einmal sich selbst gegenüber zu, aber er war verliebt: Verliebt in die junge Frau, die das natürlich nicht merkte und seine Gesellschaft meistens als selbstverständlich empfand.

Oscar war durch ihre Erziehung als Mann und Soldat nicht in der Lage solche Gefühle zu verstehen, geschweige denn selbst zuzulassen. Er dagegen tat für sie praktisch alles, was sie von ihm verlangte oder auch brauchte. Nicht, dass sie beide sich gestritten hätten - nein, das nicht... Aber sie unternahmen kaum noch etwas miteinander. Oscar behielt meistens die Kronprinzessin im Auge, hauptsächlich weil diese zu oft Besuch von Graf von Fersen bekam.

So auch heute, an einem schönen Frühlingstag, als sie durch den prachtvollen Garten von Versailles liefen und Ihre Hoheit mit ihren Hofdamen und dem jungen Grafen aus gebührender Entfernung beobachteten.

 

Sie interessiert sich nur für Marie Antoinette...“, dachte der neunzehnjähriger André betrübt bei sich. Er stand zusammen mit Oscar an einem dieser Weggabelungen, die von beiden Seiten mit prachtvollen Rosensträuchern bestückt waren.

Die Kronprinzessin mit ihren Hofdamen und dem Graf von Fersen spazierten nicht weit entfernt und sie genoss die Schönheit der Natur um sich. Ihre helle und fröhliche Stimme drang sogar bis zu ihnen herüber.

Oscar schien nur sie zu sehen und ihren Freund neben ihr nahm sie kaum noch wahr. André seufzte tief. Er wollte, dass sie sich seiner Anwesenheit bewusst wurde und meinte daher ganz beiläufig: „Wie es aussieht, ist Marie Antoinette ein wenig verliebt in den Grafen.“

 

Oscar sah nur stur in Richtung der spazierenden Kronprinzessin. Aber wenigstens ließ sie ihn diesmal nicht ohne Antwort da stehen: „Sie verbirgt ihre Gefühle nicht besonders gut und das könnte ihr schaden.“

 

„Wenigstens sie hat Gefühle. Warum soll sie sie dann auch verbergen?“, sagte André gleich das Nächste aus, ohne vorher darüber nachzudenken.

 

Oscar warf ihm daraufhin einen eisigen Blick von der Seite zu. „Was soll das heißen?“

 

„Ach, nichts. Es ist mir nur so ausgerutscht.“ André wandte seinen Blick verlegen von ihr und wippte leicht auf seinen Stiefelspitzen auf und ab. Er konnte ihr doch nicht sagen, dass er in letzter Zeit nur noch von ihr träumte und dass sie sein ganzes Denken beherrschte...

 

Oscar konnte sich nicht im Geringsten vorstellen, was in ihm vorging, aber sie spürte plötzlich ein seltsames Kribbeln in ihrer Magengegend. Wie verloren er da stand! Warum redete er nicht mit ihr über das, was ihn bedrückte? Sie waren doch Freunde! Sie hätte ihn angehört und bestimmt eine Lösung für sein Problem gefunden!

 

Hufschläge von mehreren Pferden rissen sie aus den Gedanken, noch bevor sie über seine melancholische Gemütsverfassung nachsinnen konnte. Eine kleine Truppe Reiter galoppierte an ihnen vorbei und Oscar erkannte unter ihnen die Mätresse des Königs.

Es war zwar nichts Außergewöhnliches, dass Dubarry manchmal mit ihren Hofdamen im Garten von Versailles ausritt, aber nun hatte sie auch die Kronprinzessin gesehen und verspürte prompt den Wunsch, auch auf so einem edlen Pferd ausreiten zu wollen!

 

All die Überredungskünste sie von diesem Wunsch abzubringen nützten nichts. Nicht einmal ihr Gemahl konnte überzeugt werden, dass es gefährlich für die Kronprinzessin sei, im Gegenteil: Prinz Louis schenkte stattdessen seiner Gattin einen temperamentvollen, weißen Hengst, den sie ohne zu zögern ausprobierte. Jedoch, kaum dass Marie Antoinette auf dem Pferd saß, ging es mit ihr durch. André, der das Tier an den Zügel gepackt hielt, wollte es aufhalten, aber wurde stattdessen mitgeschleift. Das Pferd war einfach zu stark für ihn und nicht aufzuhalten.

„Du musst seine Zügel loslassen!“, schrie Oscar aus voller Kehle ihrem Freund nach und preschte schon selbst auf ihrem Schimmel hinterher.

 

„Nein, ich muss es aufhalten!“ André umklammerte den losen Zügel noch fester. Sein Körper schmerzte bei dem schnellen Galopp des Hengstes, seine Kleider scheuerten auf, die Nähte gaben schnell nach und dann riss der Zügel plötzlich. André blieb unerwartet liegen und nahm nur wahr, wie Oscar auf ihrem Schimmel an ihm vorbei preschte.

 

Es dauerte nicht lange, bis Oscar die Kronprinzessin einholte, zu ihr in den Sattel hinübersprang und dann zusammen mit ihr von dem durchgegangenen Hengst auf Erdboden fiel. Alle beide landeten im weichen Gras und Oscar spürte, dass etwas schneidendes in ihren linken Oberarm eindrang - es war ein abgebrochener Ast, wie sie beim Aufstehen im nächsten Moment feststellte. Mit verzogenem Gesicht zog sie ihn heraus und ein heftiger Schmerz durchfuhr ihren Arm.

Ihre eigene Verletzung war aber nebensächlich, denn die Kronprinzessin lag bewusstlos auf dem Boden und Oscar ignorierte deshalb alle ihre Schmerzen, hob Marie Antoinette auf die Arme und trug sie bis zum Hof zurück.

 

 

 

- - -

 

 

 

André seinerseits kam mit wenigen Abschürfungen davon. Dank seiner dicht gewebten Dienstkleider hatte es ihn nicht allzu schlimm erwischt. Dennoch wollte er auf Nummer Sicher gehen und die Wunden wenigstens reinigen, damit sie sich nicht entzünden konnten. Er schaffte es gerade bis zum Stall, als ihm schon die königliche Abordnung entgegen kam.

„Ihr kommt mit!“

Zwei Soldaten packten ihn dabei schon grob von beiden Seiten an.

André war zu verblüfft, um Reißaus zu nehmen und nur ein halblautes: „Wieso...“, verließ seine Lippen.

 

„Befehl des Königs!“, meinte einer der Soldaten barsch und trieb ihn mit einem heftigen Stoß an.

 

 

 

- - -

 

 

 

Die Kronprinzessin befand sich in ihren Gemächern und war bereits versorgt worden. Oscar war bei ihr geblieben, denn Marie Antoinette lag noch immer bewusstlos in ihrem Bett, während die Ärzte sie untersuchten und die Hofdamen dabei in ihre Taschentücher schnieften.

Oscar flehte in Gedanken, dass ihre Hoheit schon bald aufwachen möge. Ganz beiläufig hörte sie hastige Schritte außerhalb des Gemachs und sah zur Tür. Graf de Girodel, einer ihrer Untergebenen in der königlichen Garde, lugte vorsichtig herein. „Lady Oscar. Ich muss Euch etwas Wichtiges mitteilen.“

 

Oscar wollte nicht, aber ging aus Höflichkeit mit ihm vor der Tür. „Was gibt es, Girodel? Sprecht rasch, denn ich muss wieder zu Ihrer Hoheit zurück!“

 

„Gewiss, Lady Oscar. Ich bringe Euch eine unerfreuliche Nachricht.“ Victor senkte seine Stimme zu einem Flüsterton: „Man hat Euren Freund André gerade eben, auf Befehl des Königs, verhaftet.“

 

„Wie bitte?“ Das traf Oscar wie ein harter Schlag, mitten ins Gesicht. Viele unfassbare Fragen wirbelten ihr durch den Kopf und gleichzeitig brach für sie die Welt zusammen. Warum hatte man André verhaftet? Er war doch vollkommen schuldlos!

 

Oscar rannte ohne zu zögern, wie noch nie in ihrem Leben, los. Das Blut der Armwunde tränkte den Stoff ihrer weißen Uniform und sickerte ihren Ärmel entlang. Oscar bedeckte die Verletzung im Laufen mit der Hand und rannte schneller. Ihr körperlicher Schmerz war ihr gleichgültig. Die Nachricht, André sei verhaftet, sauste ihr wie ein geißelnder Peitschenhieb durch den Kopf! Ihr Atem stockte, ihr Herz pumpte rasend und ihre Gefühle überschlugen sich. Niemals würde sie zulassen, dass man André dem Henker übergab!

 

Nach endlosen, prachtvollen Gängen und vielen, mit Goldmuster verzierten Türen, erreichte Oscar endlich den Audienzsaal. Mit aller Kraft stieß sie die große Doppeltür auf und ungeachtet dessen, was der König gerade gesprochen hatte, rief sie laut über die Köpfe all die Schaulustigen hinweg: „Nein, Euer Majestät! Haltet ein!“

Sie kam gerade noch rechtzeitig. Man wollte André schon abführen und in den Kerker werfen. Oscar ahnte: Der König hatte ihn für den Vorfall mit dem durchgegangenen Pferd und für den darauffolgenden Sturz der Kronprinzessin verantwortlich gemacht, ihn für schuldig erklärt. Man hatte ihm die Todesstrafe auferlegt. Wie ungerecht!

 

„Nein, Oscar, nicht!“, rief André ganz überrascht von ihrem urplötzlichen Erscheinen. Er wollte nicht, dass sie wegen seiner Wenigkeit in Schwierigkeiten geriet und sich deshalb für ihn einsetzte.

 

Oscar ignorierte seinen Ausruf geflissentlich und marschierte gradlinig durch den Saal. Der polierte Fließboden knirschte leise unter ihren Stiefeln und die empörten Gesichtsausdrücke der Anwesenden schienen sie zu durchbohren. Das gab es doch nicht! Niemand wagte seiner Majestät zu widersprechen, aber diese selbstgerechte Lady Oscar war anscheinend anderer Meinung. Was für ein beispielloses und unverschämtes Auftreten ihrerseits!

 

Fest entschlossen und auf alles gefasst stellte sich Oscar neben ihrem Freund und beugte huldvoll das Knie vor dem König. „Eure Majestät! Das war ein Unfall! Bitte lasst André gehen, er ist unschuldig!“

Der König stand turmhoch vor ihnen in seinem Hochmut und wand nur verächtlich das Gesicht ab. Er hatte den Urteil gesprochen und würde es nicht mehr zurückziehen!

Oscar geriet derweilen innerlich in Rage. Das Blut in ihren Adern brodelte heiß und kalt. Sie schaute die versammelte Höflinge im Saal vernichtend an. „Viele der hier Anwesenden haben den Vorfall beobachtet und wissen, dass es keine Rechtfertigung für einen Todesurteil gibt!“ Sie vernahm, wie manche scharf die Luft einzogen und irgendwelche Floskeln der Fassungslosigkeit unter ihrer Nase murmelten. Ohne nachzudenken, zog Oscar ihr Schwert und richtete ihn mit dessen Spitze in die Höhe. Dabei richtete sie ihr Augenmerk wieder auf den König. „Ich fordere eine gerechte Gerichtsverhandlung und ein gerechtes Urteil! Und im Namen der de Jarjayes gewähre ich André Schutz bis dieses geschehen ist! Wenn Ihr jedoch weiterhin auf ein Todesurteil besteht, Majestät, dann tötet mich ebenso!“

 

„Aber Oscar...“, stotterte André perplex vor sich. Er hatte sich getäuscht! Er war ihr nicht gleichgültig! Seine Freundin erschien ihm in einem neuen Licht, das er als angenehm und gleichzeitig ernüchternd empfand.

Oscar legte ihr Schwert neben sich ab und senkte ihr Haupt. Schweigende Stille legte sich über den Saal und kein Mensch wagte sich zu regen. Nur einer von ihnen fasste seinen Mut zusammen und trat hervor. Er beugte an der Seite von Oscar und vor dem König das Knie. „Eure Majestät! Kapitän Oscar hat recht. André trifft keinerlei Schuld. Das war nur ein Unfall.“

Oscar schielte überrascht nach links und sah Graf von Fersen direkt neben sich. „Er hat Mut...“, dachte sie bei sich dabei erstaunt: „Was würde der König jetzt wohl tun?“

 

Weiterhin Stille...

Die Sekunden verstrichen wie unerträglich langwierige Stunden und die stickige Luft schien noch schwerer über dem Saal zu hängen als noch wenige Augenblicke zuvor.

 

„Eure Majestät!“, hallte es unverhofft aus einem Nebenraum und alle Köpfe drehten sich in die Richtung, aus der die Stimme kam. „Bestraft bitte niemanden!“ Marie Antoinette eilte von Abseits des Thronstuhls herbei und warf sich vor dem König auf die Knie. „Ich alleine trage die Schuld an dem Unfall! Niemand ist dafür verantwortlich!“

 

Der König schaute reglos auf die aufgelöste Kronprinzessin herab, überlegte eine kurze Weile, ließ die Spannung etwas in die Länge ziehen und nickte dann versonnen. „Nun gut. Wenn Ihre Hoheit das so sagt, dann ist wirklich niemand dafür verantwortlich.“ Sein Blick schweifte sogleich über die drei vor ihm Knieenden und er hob den Ton: „Erhebt euch alle! André, du hast noch einmal Glück gehabt. Bedanke dich bei Ihrer Majestät!“

 

„Danke, Euer Majestät...“, sagte André mit vor Erleichterung tränenden Augen. Er konnte sein Glück kaum fassen! Er warf einen Blick auf Oscar und lächelte sie an. Er konnte das, was er gerade für sie empfand kaum in Worte fassen: Beseelt, dankbar und beflügelt waren einer dieser unbeschreiblichen Emotionen von Gefühlen, die ihn gerade vereinnahmten.

 

Oscar atmete erleichtert auf. Diese Sache war gerade noch einmal gut ausgegangen und niemand musste sterben! Ohne das Eingreifen von Fersens und Marie Antoinettes, wäre das Ganze bestimmt anders verlaufen. Ob zum Guten oder nicht, darüber wollte Oscar lieber nicht nachzudenken. André wurde verschont und das war das Wichtigste für sie, was gerade zählte!

Oscar wollte gerade aufstehen, als ihr auf einmal schwarz vor Augen wurde. Ihre Verletzung forderte nun den Tribut und sie schwankte. Ihr Gesicht verzog sich schmerzlich und ihr Körper kippte zur Seite, direkt in Andrés Arme.

„Oscar!“ André fing sie erschrocken auf und entdeckte die blutverschmierte Stelle am Arm. Er erbleichte. „Sie ist verletzt!“

Gefühle

Oscar wurde unverzüglich auf das elterliche Anwesen gebracht und vom Arzt der Familie der de Jarjayes behandelt. Doktor Lasonne meinte, sie hätte viel Blut verloren und heute Nacht würde es sich entscheiden, ob sie wieder aufwacht.

 

Heute Nacht...

 

André fühlte sich so elend und schrecklich hilflos. Er konnte in dieser Nacht kein Auge zumachen und kaum dass der Morgen graute, war er schon bei Oscar.

Sie lag noch immer reglos unter der Decke, so wie er sie vor ein paar Stunden verlassen hatte. Seine Großmutter kniete vor der anderen Seite des Bettes und betete. André störte sie dabei nicht und kniete sich selbst ihr gegenüber am Kopfende des Bettes. Er gab sich die Schuld am Zustand seiner Freundin und flehte innerlich ganz verzweifelt: „Bitte, Oscar... Du darfst nicht sterben... Ich schäme mich so... Ich dachte, ich bin dir gleichgültig, aber du bist genauso, wie du in unseren Kindheit warst... Bitte, Oscar! Mache deine Augen auf!“ Im gleichen Moment sah so aus, als seien seine Bitten zu ihr durchgedrungen. Die ersten Sonnenstrahlen breiteten sich im Zimmer aus und Oscars Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern. André erfasste eine Glückseligkeit, die er gleich bekundete: „Großmutter! Oscar wacht auf!“ Er sprach das nicht einmal zu Ende aus, da schaute sie ihn schon mit ihren blauen Augen an.

 

„Ich bin so glücklich!“, schniefte Sophie in ihr Taschentuch und erhob sich auf ihre noch etwas wackelige Beine. „Ich werde Euren Vater holen!“

 

„Ich habe von unseren Kindheit geträumt...“, sprach Oscar schwach zu ihrem Freund, gleich nachdem Sophie aus dem Zimmer war: „Du hast mit sehr traurigen Stimme nach mir gerufen...“

 

„Ach, Oscar...“ Mehr brach André nicht heraus. Ihm fiel gerade ein Stein vom Herzen und Freudentränen sammelten sich in seinen grünen Augen.

 

„Du weinst ja!“, neckte ihn Oscar. Aus irgendeinem Impuls angetrieben, hob sie ihren unverletzten Arm und ihr Zeigefinger berührte vorsichtig seine Wange, als wollte sie ihm die Träne wegwischen. Sie wusste selbst nicht, was sie dazu getrieben hatte und war gleichermaßen überrascht, wie auch André. Vielleicht waren das die Nachwirkungen ihrer Ohnmacht oder sie wollte sich vergewissern, dass ihm wirklich nichts geschehen war.

 

André hielt inne. Das war das erste Mal, dass Oscar ihn auf diese Weise berührte. Er umfasste sachte ihre Hand und entfernte sie von seiner Wange, aber ließ sie nicht los. In einem anderen Fall hätte er ihre Berührung genossen, aber sie würde dies vielleicht falsch verstehen und ihn schroff anfahren.

Deswegen war es besser, es erst gar nicht dazu kommen zu lassen. Für Oscar sah so aus, als würde ihm ihre Berührung unangenehm sein und sie forschte daher nicht weiter nach. André kam dabei auf ihren letzten Satz zurück: „Einer von uns muss es ja sein. Wenn du schon dafür erzogen wurdest, keine Gefühle zu zeigen, dann muss es doch einen Gegensatz dazu geben. Meinst du nicht?“

 

„Ach, André. Du bist einfach unverbesserlich.“ Oscar wunderte sich selbst über den weichen Ton in ihrer sonst so harschen Stimme. Vielleicht lag das noch an der Schwäche auf Grund des Blutverlustes und der Ohnmacht. Sie betrachtete ihren Freund mit einer Mischung aus Freude und noch etwas anderem, fremdartigem, was sie sich nicht erklären konnte. Dennoch verursachte es ihr ein angenehmes Kribbeln am ganzen Körper. „Hilfst du mir aufzusitzen, wenn du schon meine Hand hältst, André?!“

 

„Aber natürlich.“ Dass er noch immer ihre Hand umschlossen hielt, hatte André glatt vergessen. Leicht verlegen beeilte er sich, ihrem Wunsch nachzukommen und stopfte ihr anschließend ein Kissen hinter dem Rücken. „Ist es so angenehm?“

 

„Ja, André, ich danke dir.“ Oscar lehnte sich zurück, ohne abzuwarten, bis André zurücktrat. Ihre goldblonden Haare streiften ihm leicht an der Wange. André zog ihren milden Duft tief in sich auf und versuchte ihn sich einzuprägen. Das geschah in Bruchteile wenigen Sekunden und im nächsten Moment sah er schon direkt in ihre Augen.

Nicht einmal eine fingerbreite Distanz trennte ihn von ihrem Gesicht. So nah war er ihr noch nie gewesen und die Zeit blieb für ihn plötzlich still stehen. Sein Verstand warnte ihn, sich sofort zurückzuziehen. Denn wenn er es nicht täte, würden seine Gefühle mit ihm durchgehen und er würde sie küssen. André konnte aber nicht weg. Irgendeine innerliche Kraft ließ das nicht zu. Sein Herz schlug schneller, sein Atem beschleunigte sich auch und ein heißer Schauer durchströmte seinen Körper.

 

Auch Oscar verharrte reglos. „Was ist mit ihm?“, dachte sie bei sich und konnte ihren Blick nicht von seinen abwenden. Etwas magisches lag darin und zog sie in seinen Bann. Das angenehme Kribbeln von vorhin verstärkte sich in ihrer Magengegend und eine unerklärliche Wärme umhüllte ihr Herz. Was war da mit ihr auf einmal los?! Sie bekam mit, wie André etwas schneller atmete und wie er gleichzeitig versuchte sein Atem unter Kontrolle zu bekommen.

 

Oscar hielt erschrocken inne. Es sah so aus, als würde André sie küssen wollen! Aber warum? Und wieso sollte er das tun wollen? Das verstand sie nicht. Sie öffnete ihre Lippen, um etwas zu sagen. „André...“, hauchte sie. Mehr brachte sie nicht zu Stande. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals und Andrés Blick senkte sich auf ihren leicht geöffneten Mund. Welch eine süße Verlockung... Könnte er sich nur überwinden und sie küssen... Aber würde Oscar das auch wollen?

 

Hastige Schritte von mehreren Personen außerhalb des Zimmers zerstörten die stumme Zweisamkeit. André wurde auf der Stelle hellwach und rückte sofort von Oscar weg. Er flüchtete an das Fußende des Bettes und blieb dort an einem Pfosten stehen. Zeitgleich versuchte er seinen durchgewühlten Gefühlen Herr zu werden. Oscar bedauerte beinahe, dass ihr Freund sich so hastig zurückzog. Aber das war richtig so. Und besser, für alle beide.

 

Die Tür flog auf und General de Jarjayes stürmte herein, gefolgt von Graf von Fersen und Sophie. „Sag schon, mein Kind, wie fühlst du dich?“

 

„Schon viel besser, Vater“, erwiderte Oscar mit einem höflichen Lächeln. Sie bemühte sich gleichzeitig ihren aufgeregten Herzschlag, den sie André zu verdanken hatte, zu beruhigen. Niemand sollte davon etwas mitbekommen! Und es schien zu funktionieren, wie sie mit Erleichterung feststellte.

 

Der General nahm sich einen Stuhl, stellte ihn ans Kopfende des Bettes und setzte sich. „Alle sind so stolz auf dich, Oscar! Du hast der Prinzessin das Leben gerettet!“ Er strahlte über das ganze Gesicht.

 

Oscar ließ sein Lob mit halben Ohr über sich ergehen und sah sich im Raum suchend um. „Wo ist eigentlich meine Mutter?“

 

„Sie hat sich sofort um die Prinzessin gekümmert, als Ihr außer Gefahr ward“, erklärte Sophie noch etwas schniefend. Sie stand hinter dem Stuhl, auf dem der General saß.

 

Oscars Blick wanderte weiter und entdeckte, dass neben André, Graf von Fersen stand. „Danke, dass Ihr auch gekommen seid. Ich habe Euch erst jetzt richtig kennengelernt.“

 

„Mir geht es mit Euch ebenso.“ Von Fersen schmunzelte daraufhin freundlich.

 

Oscar sah ihren langjährigen Freund an. „André, du stehst da so schweigsam in der Ecke. Fehlt dir etwas?“ Sie wollte ihn necken, aber das klappte nicht. Ein Kloß hatte sich in ihrer Kehle gebildet und hinderte sie am weitersprechen. Ihr Freund sah irgendwie verloren aus und gab ihr keine Antwort – so, als wäre er in Gedanken versunken. In Wirklichkeit jedoch schwor er sich selbst, sein Leben für Oscar jederzeit einzusetzen – so wie sie das bei ihm getan hatte.

„Etwas beschäftigt ihn!“, dachte Oscar bei sich grübelnd: „Aber was? Ich muss das unbedingt herausfinden!“ Um nicht die ganze Zeit so auffallend zu André zu starren, richtete sie ihren Blick wieder auf den General. „Vater, ich will meinen Dienst so schnell wie möglich wieder antreten.“

 

„Ruhe dich erst einmal aus, mein Kind. Und ich werde am Hofe melden, dass du dein Dienst morgen wieder aufnehmen wirst.“

 

„In Ordnung, Vater.“ Obwohl Oscar nicht sonderlich darauf erpicht war, den ganzen Tag im Bett zu verbringen, akzeptierte sie es trotzdem. Vielleicht würden ihr der eine Tag im getrauten Heim doch noch gut tun und sie würde nebenbei ihren verletzten Arm trainieren können.

 

„Dann sind wir uns einig.“ Reynier erhob sich und verabschiedete sich von ihr. „Ich fahre jetzt nach Versailles zurück und werde alles klären.“

 

„Ich werde dann mich auch verabschieden.“ Graf von Fersen verneigte sich leicht. „Ich wünsche Euch eine gute Besserung, Lady Oscar.“

 

„Danke Graf.“ Oscar geleitete die zwei Männer mit ihren Blick, bis sie hinter der Bogenöffnung zwischen ihrem Schlafgemach und ihrem Salon außer Sicht waren.

 

„Was stehst du immer noch hier, du Faulpelz!“, schimpfte urplötzlich Sophie auf ihren Enkel los und drohte ihm mit mahnendem Finger in der Luft. „Die Gäste aus dem Haus zu geleiten gehört auch zu deinen Aufgaben!“

 

„Entschuldigt, Großmutter.“ André schreckte auf und beeilte sich seinen Versäumnis zu korrigieren.

 

„Dieser Nichtsnutz!“, grummelte Sophie weiter, als André schon fort war.

 

„Lass ihn doch. Er hat es bei uns wirklich nicht leicht.“ Oscar setzte sich unvermittelt für ihn ein. Eigentlich war das nichts Ungewöhnliches. „Bedenke doch, was ihm gestern beinahe widerfahren wäre.“

 

„Ihr habt ja recht, Lady Oscar“, gestand sich Sophie entschuldigend ein. Im Grunde genommen mochte sie ihren Enkel. Wäre er nur nicht so sehr auf ihren Schützling bezogen, dann hätte sie ihm die kleine Fehler durchgehen lassen können. Aber so fühlte sie sich dazu verpflichtet, ihn ständig hinzuweisen, dass er außer auf Lady Oscar aufzupassen, auch andere Aufgaben als Bedienstete in diesem Haus inne hatte.

 

„Schon gut, Sophie.“ Oscar hatte es ihr verziehen. Sie wusste ohnehin, wie wichtig André seiner Großmutter war. Deshalb ging sie nicht mehr darauf ein. „Würdest du ihn bitten, mir das Frühstück zu bringen?“

 

„Wie Ihr es wünscht, Lady Oscar.“

Beobachtung

André geleitete General de Jarjayes und Graf von Fersen auf den Hof, wie seine geordnete Pflicht es von ihm verlangte. Die beide Männer unterhielten sich miteinander, ohne ihn großartig zu beachten. Das war normal. Er war ja nur ein Bediensteter. Und wenn er ehrlich war, dann war ihm das auch gerade recht, so unbeachtet zu bleiben. Seine Gedanken beschäftigte sich ohnehin mit Oscar – diesmal intensiver als sonst: Was wäre geschehen, wenn es doch noch zu einem Kuss zwischen ihnen gekommen wäre? Hätte Oscar dies überhaupt zugelassen? Ihr leicht verwirrter Blick, ihre blauen Augen, ihre rosige Wangen und ihre blutroten Lippen hatten so verführerisch ausgesehen...

 

André konnte es nicht verhindern, dass ihm dabei selbst eine gewisse Röte der Verlegenheit ins Gesicht schoss. Er glaubte noch immer ihren warmen Atem auf seinem Gesicht zu spüren und das bescherte ihm noch zusätzlich eine unartikulierte Hitze in seinem Körper. Er hätte zu gerne gewusst, was Oscar in dem Moment selbst gefühlt hatte... Erging es ihr genauso wie ihm? Oder ließ sie ihre Gefühle erst gar nicht zu?

 

Eine Kutsche für General de Jarjayes fuhr vor und hinterher führte ein Stallbursche das Pferd des Graf von Fersen an den Zügeln. Reynier verabschiedete sich von dem Grafen, der Kutscher öffnete ihm die Tür und er stieg ein. Von Fersen stieg in den Sattel seines Grauen und fast gleichzeitig machten die beiden Herren sich auf den Weg nach Versailles.

 

Andrés Aufgabe war somit getan, aber er wollte nicht mehr in das Haus zurück. Seine Großmutter würde ihm bestimmt etwas auferlegen oder irgendwelche Litaneien lesen und das brauchte er gerade am wenigsten! Er legte seinen Kopf in den Nacken und schaute in den Himmel empor. Federleichte, weiße Wolken verdeckten leicht die Sonne und ließen sie nicht so grell scheinen. Ein schönes Wetter – nicht allzu heiß und nicht mehr so kalt wie noch vor einigen Monaten. Es herrschte Frühling und der Sommer stand kurz vor der Tür. Hoffentlich würde das nicht so ein unerträglich heißer Sommer werden wie im letzten Jahr...

 

André seufzte und machte sich auf den Weg in den Stall. Die Pferde, besonders Oscars und seines, mussten gebürstet und ausgeführt werden. Sein Herz und seine verrücktspielenden Gefühle hatten sich bis hierher zwar etwas gelegt, aber entflammten erneut auf, sobald er wieder an Oscar dachte und wie nahe er ihr heute war. Ob sie etwas von seinen Empfindungen mitbekam? Und hatte sie überhaupt geahnt, dass er beinahe drauf und dran war, sie zu küssen? Ganz sicher nicht. Oscar sah nicht danach aus, dass sie etwas davon wahrgenommen hatte. Sie wirkte, wenn überhaupt, nur etwas über die Situation irritiert, leicht überrascht und wusste offensichtlich nicht damit umzugehen...

 

André hatte gemerkt, dass in ihr etwas vorgegangen war, aber bestimmt nicht das Gleiche wie in ihm. Es war töricht daran zu glauben, dass sie seine Gefühle jemals erwidern würde! Deren großer Standesunterschied wäre einer der Gründe dafür! Besser, sie würden weiterhin Freunde bleiben! Sonst würde er das auch noch aufs Spiel setzen und das wollte er am allerwenigsten!

 

In Ruhe und sich viel Zeit nehmend, versorgte André die zwei Pferde und führte sie anschließend hinaus zum Bach, um sie zu bürsten. Die Tiere stiegen ins Wasser, senkten ihre Köpfe und André fuhr dem Schimmel schon mit einer Bürste den Rücken entlang. Dass er dabei beobachtet wurde, wusste er allerdings nicht.

 

Oscar stand am Fenster ihres Salons und verfolgte jede seiner Bewegungen mit Argusaugen. Er hatte seine Hosenbeine und die Ärmeln seines Hemdes hochgekrempelt und ging sehr konzertiert bei seiner Arbeit vor. Oscar betrachtete die straffen Muskeln seiner Waden und Unterarmen mit einem merkwürdigen Sehnen und Ziehen in ihrer Leistengegend. Die Finger ihrer linken Hand umfassten den Kragen ihres Hemdes am Ausschnitt noch fester, als würde sie damit das heftige Pochen ihres Herzens verhindern können. Und mit den Fingern ihrer Rechten umspielte sie gedankenverloren die Spitzen ihrer Haarlocken.

 

André...

 

Seit er heute so nahe bei ihr war, kam er ihr irgendwie anders vor als sonst. Sie konnte dieses kribbelndes und warmes Gefühl nicht beschreiben und erst recht nicht deuten. Ihre Wangen glühten, als André sich mit dem Arm über die Stirn fuhr und damit einen tieferen Einblick in den Ausschnitt seines Hemdes gewährte.

Aus ihrer Entfernung war nicht viel zu sehen und doch konnte sie einen Blick auf ein kleines Teil von seinem Brustkorb erhaschen. Dann ging er zu dem Braunen, begann auch ihn zu Bürsten und Oscar konnte ihn nicht mehr genauer betrachten. André stand nun zwischen den maßigen Körpern der beiden Pferde und ihr Schimmel verdeckte die Hälfte seiner Statur. Leises Bedauern stieg in ihr hoch und zeitgleich rief sie sich zur Ordnung. Was auch immer mit ihr gerade durchgegangen war, durfte nicht sein! Sie schrieb diese eigenartige Gefühle der Schwäche ihrer Verletzung zu. Nachdem sie wieder gesund und bei Kräften sein würde, würde wieder alles so sein, wie es bisher war! Also bräuchte sie sich nicht mehr darüber den Kopf zerbrechen. Nicht sie, denn sie war wie ein Mann erzogen worden, hatte einen wichtigen Posten inne und genügend andere Aufgaben, als sich mit irgendwelchen weiblichen Gefühlen herumzuschlagen!

 

Ein leises Knarzen hinter ihr riss sie in die Gegenwart zurück und Oscar strafte ihre Haltung. Die Tür zu ihrem Salon ging auf und sie drehte sich langsam um. Sophie kam mit einem beladenen Tablett herein und steuerte den Tisch an. „Entschuldigt, Lady Oscar, aber ich konnte meinen Enkel nirgends finden. Deswegen bringe ich Euch Euer Frühstuck.“

 

„Das macht nichts, Sophie. Danke.“ Oscar setzte sich an ihren Tisch und wartete, bis Sophie das Tablett abgestellt hatte. „André versorgt gerade unsere Pferde im Hof.“

 

„War er also doch hier gewesen?“ Sophie sah sie überrascht an. Aber gleich besann sie sich ihrer Aufgabe und goss für Oscar Tee ein.

 

„Nein, er war nicht hier. Ich habe ihn nur gerade aus dem Fenster gesehen“, sagte Oscar, während Sophie die Tasse mit Tee vor sie stellte.

Ihre Kinderfrau erwiderte zwar nichts darauf, aber Oscar ahnte, dass André heute höchstwahrscheinlich eine Standpauke erwartete, sobald er seiner Großmutter unter die Augen kam.

Oscar überlegte und suchte nach einer Möglichkeit, wie sie ihrem Freund das ersparen könnte. „Sophie, sag André danach Bescheid, er soll unsere Pferde satteln. Ich möchte mit ihm ausreiten.“

Er konnte seiner Großmutter fast nie gerecht werden. Auch wenn Oscar selbst manchmal diejenige war, die den Tadel verdient hatte, musste er trotzdem dafür hinhalten. Das tat ihr leid. Ihr Herz zog sich wehmütig zusammen und es kribbelte ihr wieder unter der Haut. Was war bloß mit ihr los?! Das war genauso wie eben gerade am Fenster oder auch wie vor kurzem, als sie so nah sein Gesicht betrachtet hatte, wie noch nie zuvor.

 

Sophie richtete sich sogleich auf und stellte das Teekännchen auf das Tablett zurück. Das was ihr Schützling gerade zu tun beabsichtigte, passte ihr ganz und gar nicht. „Ihr könnt doch nicht jetzt schon wieder ausreiten! Bei Eurem Zustand müsstet Ihr eigentlich noch im Bett bleiben!“

 

Oscar verdrehte die Augen. Sie war es leid, ständig von Sophie bevormundet zu werden – und das auch noch obwohl sie mittlerweile achtzehn Jahre zählte. „Ich fühle mich bestens und ein kleiner Ausritt wird schon nicht schaden.“

 

„Nein, nein, Lady Oscar, Ihr solltet trotzdem heute auf Eurem Zimmer bleiben und Euch schonen!“ Wenn es um das Wohlergehen ihres Schützlings ging, blieb Sophie meistens hartnäckig.

 

Oscar zog missmutig ihre Augenbrauen zusammen, stemmte angespannt ihre Hände gegen der Tischplate und erhob sich langsam. „Dann sage ich André selbst Bescheid!“, knurrte sie gereizt und verließ mit großen Schritten ihre Gemächer.

 

„Aber, Lady Oscar!“ Sophie eilte ihr nach. „Was ist mit Eurem Frühstuck?! Ihr habt doch nichts gegessen!“

 

„Das kann ich auch nach dem Ausritt machen!“, warf ihr Oscar entnervt zurück und beschleunigte ihren Schritt.

 

Sophie war schon in kürze außer Atem und war gezwungen, stehen zu bleiben. Ihr Alter machte sich bemerkbar und sie schaffte es nicht mehr so schnell zu laufen. Daher blieb ihr nur, für sich zu schimpfen: „Diese Kinder!“

 

 

 

 

 

André führte gerade eines der Pferde in die Box zurück, als Oscar aufgebracht in den Stall hereinstürmte. „Sattle sofort die Pferde, wir machen einen Ausritt!“

 

„Was ist passiert?“ André schaute sie überrascht und gleichzeitig besorgt an.

 

„Nichts ist passiert!“ Oscar ging schon selbst an die Wand und holte die Satteldecken für Pferde. Eines davon reichte sie ihrem Freund. „Deine Großmutter will mich am liebsten in Decken einhüllen und im Zimmer einsperren! Aber nicht mit mir! Ich will ausreiten!“

 

André verstand und schmunzelte. „Wenn das so ist...“ Er nahm die ihm von Oscar gereichte Decke und sattelte dann mit ihr zusammen die Pferde. Seine Großmutter übertrieb es oft mit ihrer Fürsorge, daher konnte er seine Freundin verstehen, wenn diese am liebsten Reißaus nahm.

Was das Herz wirklich begehrt

Seit einer langen Zeit ritten sie wieder einmal zusammen aus.

Die Sonne stand ganz oben und warf auf sie ihre warme Strahlen hinab. Der frische Wind wehte ihnen entgegen und zerzauste ihnen wild die Haare - besonders die von Oscar. Im schnellen Galopp war sie wieder einmal schneller als André - er heftete sich nur knapp hinter sie. Ob er sie diesmal mit Absicht gewinnen ließ, war schwer zu sagen. Oscar galoppierte vorne weg und genoss diesen kleinen Moment der Freiheit. Sie freute sich, Sophie und ihren ständigen Fürsorge entkommen zu sein.

 

Schon bald kam der altbekannte See in Sicht und dessen glitzernde Oberfläche hatte auch noch etwas magisches an sich, sodass Oscar ihren Schimmel am seichten Ufer gleich zügelte. Die Oberfläche spiegelte das Blau des Himmels, mit seinen vorbeiziehenden Federwolken und Oscar legte ihren Kopf in Nacken. Sie streckte ihr Gesicht gen Himmel empor und zog die Luft des angebrochenen Tages in ihren Lungen ein. „Ist es nicht schön hier?“

 

André hielt seinen Braunen direkt neben ihrem Schimmel an und musste ihr zweifelsfrei recht geben. „Ja, wunderschön“, sagte er, allerdings mehr auf Oscar bezogen als auf das Naturschauspiel. Um nicht weiter ihrer Erscheinung zu verfallen, stieg er unvermittelt aus dem Sattel. „Wollen wir nicht etwas um den See spazieren, Oscar?“

 

„Warum nicht? Wir haben ja genug Zeit.“ Oscar tat es ihm gleich und setzte langsam ihre Füße in Bewegung. Ihre Pferde führten sie hinter sich an den Zügeln. Dabei kam ihr das Bild von André am Bach wieder in den Sinn und ihr Herz begann erneut schneller zu schlagen. Das alles hätte sie nicht mehr erlebt, wenn er hingerichtet worden wäre...

Der Gedanke daran, dass sie ihr Leben ohne ihn weiter führen müsste, bescherte ihr ein flaues Gefühl im Magen. Sie versuchte diesen schrecklichen Gedanken zu zerstreuen, denn André lief gerade wohlbehalten an ihrer Seite und das war das Wichtigste, aber es gelang ihr nicht. Ihr flatterndes Herz umhüllte sich mit einer Wehmut und sie wusste, sie musste das unbedingt loswerden.

„Wie fühlst du dich?“, fragte Oscar nach wenigen Schritten beiläufig. Ihr Augenmerk war in die Ferne gerichtet und ihre Stimme klang ungewohnt sanft.

 

André, der vor seinen Füßen gescharrt hatte, schreckte auf. Was hatte dieser Ton zu bedeuten? Oder hatte sie womöglich von seinen Gefühlen zu ihr etwas mitbekommen? Das konnte nicht sein! „Was meinst du damit, Oscar?“

 

„Ich meine wegen dem Unfall. Du wurdest doch schließlich vom Pferd der Prinzessin mitgeschleift und hast dich sicherlich dabei verletzt. Und dann noch die Verhaftung...“ Oscar stockte. Das war das erste Mal, dass sie sich so offen zeigte und wäre eigentlich nie so gesprächig, aber es betraf André, sie sorgte sich um ihn und das wollte sie ihm nicht vorenthalten.

 

„Ach, das...“ André seufzte schwer, froh und bedauernd zugleich. Ihre Sorge um ihn rührte ihn, aber er wollte ebenso wenig an seine missliche Lage erinnert werden. „Du brauchst dir um mich keine Sorgen machen, Oscar. Ich habe nur ein paar Prellungen abbekommen, mehr nicht. Das verheilt gut und mir droht dadurch keine Gefahr mehr.“

 

„Gut.“ Mehr sagte Oscar nicht. Ausschweifende Reden waren nicht ihre Art und wie es aussah, gab er sich mit dieser Antwort zufrieden.

 

André atmete tief ein und aus. Schuldbewusst kam ihm noch etwas in den Sinn und er holte es verspätet ein: „Ich habe mich bei dir noch gar nicht bedankt. Für deinen Einsatz bei dem König.“

 

„Das ist doch selbstverständlich, André. Wir sind doch Freunde und Freunde stehen zueinander.“ Ein kaum merklicher Stich durchfuhr Oscars Herz. Sie verstand nicht warum, aber etwas in ihr sagte, dass es die falsche Worte waren.

 

„Ja, Oscar, das sind wir.“ Auch André schmerzte es im Herzen. Aber sie waren nun mal Freunde und so würde es auch bleiben. Umso mehr überraschte es ihn, dass Oscar, zwar etwas stockend, aber mit einer eigenartigen Traurigkeit in der Stimme fortfuhr: „Als Girodel mir sagte, dass man dich verhaften ließ, war mir so, als bräche um mich herum alles zusammen. Ich weiß nicht, was mit mir geschah, aber mir kam es so vor, als würde mir das Herz aus der Brust gerissen und es vor meinen Augen zerstückelt...“ Sie verstummte wieder. Das wollte sie ihm nicht sagen – sie wollte dies eigentlich mit sich selbst ausmachen, aber nun war es heraus. Und nebenbei gemerkt, sich auszusprechen und sich jemanden anvertrauen zu können, erleichterte ihre Seele. Nein, nicht jemanden. André hatte schon sein Anrecht zu erfahren, was sie über ihn dachte.

 

„Oscar...“ André blieb fassungslos stehen. Sie hatte sich ihm gerade offenbart! Zwar keine direkte Liebesbekenntnis, aber immerhin. Sie sprach doch nie über ihre Gefühle! Im Gegenteil: Oscar unterdrückte sie mit allen Mitteln und versuchte sie im Keim zu ersticken!

 

Oscar ging noch eins zwei Schritte, als sie merkte, dass er ihr nicht mehr folgte, so blieb sie auch stehen. Sie verstand sich selbst nicht. Wenn André nur wüsste, was in ihr gerade vorging! So gesehen wusste sie das eigentlich selber nicht. Sie rang mit sich selbst verzweifelt – zwischen ihrer Erziehung als hartherziger Soldat und dieser weichen Seite in ihr, die mehr und mehr die Oberhand gewann, als ihr lieb war. „André... ich weiß nicht warum, aber ich kann mir mein Leben nicht ohne dich vorstellen. Als ich daran dachte, dass man dich hinrichtet, da kam mir auch mein Leben sinnlos vor. Du bist mir wichtig. Sehr wichtig sogar...“

 

André starrte perplex und mit offenem Mund ihren Rücken an. Sie hatte zwar leise gesprochen, aber jedes einzelne Wort von ihr hatte er ganz deutlich verstanden. Ihre Haltung war gerade gestrafft und ihr Kopf leicht nach vorn gesenkt. Eine Hand hielt die Zügel ihres Schimmels und die andere ballte sie an ihrer Seite zur Faust.

 

„Vielleicht ist es die Liebe?“, murmelte André und biss sich zu spät auf der Zunge. Das hätte er nicht sagen wollen, aber das war ihm irgendwie ohne vorher überlegt zu haben herausgerutscht.

 

Oscar drehte sich schlagartig zu ihm um. Ihre Gesichtszüge verhärteten sich und ihr zuvor so milder Ton klang jetzt schneidend: „Das glaubst du doch wohl selber nicht?! Liebe gibt es nur in Märchen!“

 

„Und was ist mit der Kronprinzessin?“ André wunderte sich über sich selbst. Vielleicht lag es an Oscars scharfen Tonfall, der noch schmerzlicher in sein Herz schnitt, als der bester Dolch es je vermochte. Oder waren das gerade ihre letzte Worte gewesen, die ihn so übermütig machten? Auf jeden Fall konnte er nicht mehr seine Gefühle für sich stillschweigend behalten. „Sie scheint in Grafen von Fersen regelrecht vernarrt zu sein! Das hast du doch selbst gesehen!“

 

„Marie Antoinette ist etwas völlig anderes!“, platzte nun auch Oscar mit ihren Gefühlen aus. Sie versuchte zudem ihren wutentbrannten Blick und die Schroffheit in der Stimme beizubehalten. „Sie wurde aus politischen Gründen mit dem Thronfolger Frankreichs vermählt und das heißt, es gibt keine Liebe!“

 

In André brodelte es langsam auch. Sein ganzes Empfinden, Denken und all seine Sinne, galten nur Oscar. Er bekam urplötzlich den Wunsch, es ihr heimzuzahlen und ihr zu beweisen, dass sie unrecht hatte. „Ob du es glaubst oder nicht, aber die Liebe existiert sehr wohl!“

 

„Woher willst du denn das wissen?“ Oscar schnaufte ununterbrochen. Zugegebenermaßen, wollte sie das wirklich wissen.

 

„Ich weiß es einfach.“ Mit einem Satz war André schon bei ihr. Er verringerte die Distanz zwischen ihnen – so, dass ihre Körper sich leicht berührten. Oscar wollte nach hinten ausweichen, aber da schloss er schon seine Arme um ihre schlanken Taille und hielt sie fest. „Ich weiß wovon ich spreche, Oscar...“ Andrés Herz hämmerte ihm bis zum Hals, die Nähe zu Oscar beraubte ihn aller seiner Sinne und der Vorfall am heutigen Morgen geisterte ihm nur so durch den Kopf. „...weil ich...“ Er schluckte hart: Jetzt oder nie! „...weil ich dich liebe, Oscar...“

 

„Aber, André...“ Oscar war baff und nicht mehr fähig, sich zu Wehr zu setzen. Ihr Puls beschleunigte sich und ihr Herz hämmerte rasend gegen ihren Brustkorb. Und als wäre sein Geständnis nicht schon irritierend genug, presste er unerwartet seine Lippen ihr auf den Mund – hart und doch lag eine Note der Sanftheit darin. Oscar erschauerte. Nichtsdestotrotz begann sie sich aber gleichzeitig zu wehren. „Lass mich sofort los!“, zischte sie in seinen Kuss hinein.

 

Das brachte André zu Besinnung. Er ließ sie abrupt los, machte einen Schritt rückwärts und senkte beschämend seinen Blick. Was hatte er nur getan?! Oscar würde sich jetzt sicherlich von ihm abwenden und ihn verachten, was er mit seinem unbeherrschten Verhalten auch verdient hatte! Er wartete stumm auf ihr Urteil, aber sie schwieg nur betroffen.

 

Oscar selbst versuchte das Geschehene zu realisieren und zu verarbeiten. „Warum, André? Wir sind doch Freunde...“ Das war nur der Hauch eines Gedankens. Sie schüttelte unfassbar ihren Kopf, als wollte sie damit alles abwerfen und stieg hastig auf ihr Pferd. „Wir sehen uns auf dem Anwesen!“, kam es verstockt von ihr und mit heftigen Stoß in die Flanken, trieb sie ihr Pferd an. Sie brachte es nicht über sich, bei André weiter zu bleiben. Obwohl sie genau gemerkt hatte, wie er selbst über seine eigene Tat erschrocken war, ließ sie ihn alleine und ritt vor ihm davon. Seine Worte der Liebe hallten in ihrem Kopf den ganzen Heimweg und dabei schmerzte es ihr zutiefst. Nein, sie durfte nicht lieben! Sie wurde nicht dazu erzogen! Sie musste hartherzig wie ein Mann sein und jegliche Gefühle aussperren! Besonders die, die sie weich machten und weiblich waren.

„André... warum hast du das getan?“, fragte sie sich zum wiederholten Male. Der Gedanke an ihn trieb ihr die Tränen in den Augen und verschleierte ihr die Sicht. „Nein, ich darf nicht weinen!“, schollt sie sogleich sich selbst.

 

Kurz vor dem elterlichen Anwesen zügelte sie ihr Pferd und fuhr sich mit dem Ärmel über die Augen, aber da kamen schon die nächste Tränen. Sie konnte nichts dafür und sie wollte es nicht, aber es geschah ganz von alleine. Was hatte das alles zu bedeuten?! „Reiße dich zusammen, Oscar! Du bist wie ein Mann erzogen worden und sollst dich auch wie einer verhalten!“, herrschte sie sich selbst an und vernahm beiläufig, wie weinerlich und erstickt ihre eigene Stimme klang.

„Nein, so darf mich doch kein Mensch sehen! Sonst werde ich noch bald in ein Kleid gesteckt!“

Die Vorstellung von einem Kleid und wie sie darin aussehen mochte, kam ihr auch wie von alleine durch den Kopf geschossen. Oscar lachte freudlos auf. „Nein, niemals werde ich das zulassen! Ich will nicht wie eine Frau sein und den Männern gehorchen!“

Unwillkürlich musste sie auch daran denken, dass die Frauen in ihrem Alter schon längst verheiratet waren - zwangsweise und zum Wohle der Familie. Die Liebe spielte dabei keine Rolle. Die Ehen waren meistens arrangiert und die Frauen mussten sich fügen. Oscars Gedanken schweiften wieder zu André. Wie anders er doch war! Er würde sie niemals zu etwas zwingen und ihre Entscheidung in Frage stellen. Oscar hatte das beklemmende Gefühl, sie müsste sich für etwas entscheiden, was speziell ihn und ihr bisheriges Leben als Mann betraf.

Verzweiflung

André stand noch eine Weile niedergeschlagen am See und nagte mit seinen Schuldgefühlen. Oscar hatte ihn weder geohrfeigt, noch wütend angefahren. Sie hatte nur lediglich gesagt, sie sähen sich auf dem Anwesen wieder und dann war sie weg geritten. Aus ihrem entsetzten Ton hatte er nur Bitterkeit und Erschütterung herausgehört. Er hatte seinen gesenkten Blick verwundert gehoben, aber da sah er nichts außer der aufgewirbelten Staubwolke von den Hufen ihres Pferdes und ihre Silhouette, die in der Ferne verschwand. Fort von ihm und seiner Tat. Es hatte keinen Sinn, ihr nachzureiten. Und auch keinen Zweck. Er hatte gerade ihre Freundschaft zerstört und Oscar würde ihn sicherlich nicht mehr sehen wollen. Sie würde ihn meiden und schlimmstenfalls verachten.

 

André wusste nicht zu sagen, wie lange er überhaupt dort am See stand und benommen in die Richtung, in der von Oscar schon längst nichts mehr zu sehen war, starrte. Die Zeit blieb für ihn unerträglich lang stehen und die Welt hörte auf sich zu drehen. Alles um ihn herum brach zusammen.

Sein Pferd stupste ihn an der Schulter an, als wolle es ihn zu einem Ritt antreiben, aber er reagierte nicht. Ihm war alles egal, er fühlte sich taub und verloren.

Sein Brauner stupste ihn erneut an und André seufzte tiefsinnig. Es würde nichts nützen und vor allem nichts mehr ändern, wenn er weiterhin hier Wurzeln schlagen würde. Er griff nach den Zügeln, schob sein Fuß in den Steigbügel und stieg doch noch in den Sattel. Im leichten Trab ritt er an, aber nicht zum Anwesen, sondern in Richtung Paris, um seine Schuldgefühle in einem der Gasthöfen zu ertränken. Würde es ihm aber danach besser gehen? Man sagte doch, dass Alkohol zwar Vergessen bescheren konnte, aber eine Lösung für das Seelenleid würde das nicht sein. Also würde ihm das womöglich auch nicht helfen, denn es würde nichts nützen. Sobald er wieder nüchtern sein würde, würde er wieder an Oscar und seine Verfehlung denken – das wusste André mit Sicherheit. Und sich danach jederzeit und immer wieder aufs Neue mit Bier oder Wein zu beschwipsen, wollte er auch nicht. Was konnte er aber dagegen tun?

 

André wendete sein Pferd, ritt Stundenlang ziellos durch den Wald und dann machte er sich widerwillig doch noch zum Anwesen auf. Im Stall führte er seinen Braunen in die Box. Dabei entdeckte er den weißen Schimmel von Oscar in der benachbarten Box und ging zu ihm. Jemand hatte ihn schon längst abgesattelt und versorgt. Bestimmt einer der Stallknechten. Sanft strich André dem Schimmel über die Nüstern. „Was wohl deine Herrin jetzt macht? Weißt du zufällig, was sie jetzt über mich denkt?“

 

Oscars Schimmel entriss ihm sein langes Maul, schüttelte mit seiner Mähne und schnaubte leise. André wandte sich von ihm bedauernd ab. „Ich rede schon mit Pferden... Ach, Oscar...“ Mit schwermütigen Gedanken an sie, widmete er sich wieder seinem Braunen und sattelte ihn ab. Er brachte ihm danach Wasser und Futter und als alles erledigt war, schlenderte er gedankenverloren um das Anwesen herum. In das Haus und auf sein Zimmer wollte er nicht – aus dem Grund, jemanden zu begegnen - insbesondere Oscar oder seiner Großmutter. Die letztere würde ihm sicherlich nur wieder die Leviten lesen und Aufgaben auftragen, die ganz bestimmt mit Oscar zu tun hatten und darauf legte er zur Zeit keinen Wert.

 

So schlenderte er ziellos weiter, bis er auf den Hof zum Brunnen und den Bäumen kam. Sofort kamen ihm die Erinnerungen hoch, wie oft er hier mit Oscar schon Fechten geübt hatte. Seine Füße trugen ihn tiefer in den Garten, zu einer alten Eiche, wo er oft mit Oscar gespielt hatte als sie noch Kinder waren und wo sie ihm hier eines ihrer Schwerter geschenkt hatte - das war seine erste Zeit im Hause de Jarjayes gewesen. André erinnerte sich noch genau an die erste, turbulente Begegnung mit Oscar und wie sie miteinander später Freundschaft geschlossen hatten. Das alles lag mindestens zehn Jahre zurück, wenn nicht mehr, aber ihm schien es, als wäre das alles erst gestern gewesen...

 

Jetzt würde es keine Freundschaft mehr geben - das hatte er selbst verschuldet. André setzte sich unter den alten Baum und lehnte sich mit dem Rücken gegen den massiven Stamm. In den grünen Baumkronen zwitscherten die Vögeln, der Wind spielte rauschend mit den Blättern und die Sonnenstrahlen lichteten sich durch die Äste. Ein sinnliches Bild der Ruhe und Harmonie. Aber nicht für André. Dennoch machte ihn das Naturschauspiel schläfrig. Er zog seine Beine an sich, bettete darauf seine Arme und seinen Kopf, schloss die Augen, horchte dem Rauschen des Windes zu und nickte ein.

 

Als er erwachte, brach schon der Abend an. Er musste bestimmt den halben Tag verschlafen sein. André gähnte herzhaft, streckte ausgiebig seine Glieder und erhob sich. Was wohl Oscar dazu sagen würde? Sie suchte schon ganz bestimmt nach ihm! Bei der Vorstellung ihres verärgerten Gesichtsausdruckes, schmunzelte er. Dann plötzlich erstarb sein Schmunzeln ihm schlagartig, als ihm die vergangene Ereignisse wie scharfe Messerstiche wieder einholten. Nein, sie würde nicht nach ihm suchen! Nicht nach dem, was er getan hatte! Hilflos donnerte André mit der Faust gegen den alten Baumstamm. Was sollte er jetzt tun? Er konnte Oscar nicht mehr unter die Augen treten! Am besten würde es wohl sein, wenn er fortgehen würde! Aber wohin?

 

„Verdammt!“ Nochmal donnerte André gegen den massiven Stamm mit seiner Faust. Den Schmerz an seinen Fingerknöchel nahm er kaum wahr. Der körperliche Schmerz war rein gar nichts mit dem zu vergleichen, den er tief in seinem Inneren verspürte. Aber er musste wohl oder übel irgendetwas unternehmen! Wie ein Betrunkener setzte er einen Fuß vor dem anderen und torkelte in das Haus – stets darauf bedacht, niemanden anzutreffen.

 

„André! Komm sofort her!“, schallte urplötzlich die altbekannte Stimme seiner Großmutter aus der Küche. André blieb wie angewurzelt stehen. Heute war anscheinend nicht sein Tag! Natürlich konnte er so tun, als hörte er sie nicht und einfach weiter gehen, aber er wusste ganz genau, was danach folgen würde. Seine Großmutter würde ihn mit ihrem berüchtigten Nudelholz auf seinem Zimmer aufsuchen und ihm so oder so eine Standpauke erteilen. André seufzte, ordnete schnell sein Hemd, setzte eine Unschuldsmiene auf und betrat die Küche. Er hatte ja ohnehin keine andere Wahl. „Ihr habt gerufen, Großmutter?“

 

„Setz dich dahin!“, forschte Sophie ihren Enkel streng an und fuchtelte mit ihrem Holzlöffel in Richtung des Tisches, wo bereits Brot, Schinken, Käse und Butter für eine Person eingedeckt standen. Ein Abendmahl für ihn, erkannte André unschwer und sein knurrende Magen erinnerte ihn noch zusätzlich, dass er heute noch kaum etwas gegessen hatte. „Ich danke Euch, Großmutter.“ Brav begab er sich zum Tisch und nahm auf einem der Stühle Platz. „Habt Ihr schon gespeist?“

 

„Ja. Alle haben schon gespeist! Nur du treibst dich den ganzen Tag irgendwo in der Stadt herum, ohne mir ein Wort zu sagen! Gut, dass Lady Oscar mir Bescheid gegeben hatte, sonst wüsste ich nicht, wo du bist!“ Sophie stemmte bei ihrem aufgebrachten Redefluss ihre Hände in die Seiten und musterte ihren Enkel ausgiebig. „Wo warst du genau?! Lady Oscar sagte, du würdest später nachkommen! Aber nicht fast den halben Tag später!“

 

„Beruhigt Euch, Großmutter. Oscar wollte, dass ich für sie in der Stadt etwas erledige. Jetzt bin ich ja wieder da.“ Bei der Erwähnung von Oscar, zuckte André unmerklich zusammen. Wie es aussah, hatte sie nichts von dem Vorwahl zwischen ihnen preisgegeben und für ihn sogar eine Ausrede gefunden. Das war ihre typische Art, sich mit ihren Problemen selbst auseinanderzusetzen, ohne dass jemand davon etwas mitbekam. Und André war in dem Moment froh darüber. Er nahm eine Scheibe Brot, bestrich sie mit Butter und legte ein Stück von Schinken und Käse drauf.

 

„Immer treibst du dich irgendwo herum!“ Sophie bedachte ihn mit einem tadelnden Blick und räumte das gewaschene und abgetrocknete Geschirr in die Regale ein. „Falls es dir entgangen ist, wirst du schon bald zwanzig Jahre alt!“

 

„Und was soll das heißen?“, fragte André kauend nach. Dieses Gespräch war ihm nicht geheuer.

 

„Was das heißen soll?“ Sophie wirbelte mit einem kleinen Stapel Teller zu ihm herum. „Du stehst schon seit Jahren in den Diensten dieses Hauses und außer Pferde versorgen und auf Lady Oscar aufzupassen, hast du nichts anderes zu tun! Würde sich Lady Oscar nicht ständig für dich einsetzen, wärst du schon längst vor der Tür gelandet!“

 

Erneut zuckte André bei Oscars Namen zusammen. Er schluckte den letzten Bissen herunter und stand auf. „Kommt, Großmutter, ich helfe Euch.“

 

Sophie drückte ihm den Stapel Teller in die Hände, als hätte sie nur darauf gewartet und räumte den Tisch ab. Eigentlich war ihr Enkel hilfsbereit und packte mit an, wo er konnte, aber heute war sie nur durch seine lange Abwesenheit beunruhigt. Nun aber war er wieder da, sie hatte ihrem Ärger Luft gemacht und es ging alles wieder seinem geordnetem Gang.

 

André atmete innerlich erleichtert auf, weil seine Großmutter nicht weiter auf ihm herumhackte und räumte für sie die letzten Gläser und das Besteck ein. „Hat Oscar auch schon gespeist?“, fragte er zum Schein ganz beiläufig, wobei ihm am Herzen unwohl zumute war.

 

„Du sollst Lady Oscar sagen!“, warf ihm Sophie bei der Tischwäsche mürrisch an den Kopf, aber beließ es sogleich, ihn weiter darauf hinzuweisen. Es war doch immer das Gleiche mit ihm und würde sich wohl ohnehin nicht mehr ändern. „Lady Oscar hat auch schon gespeist. Da ihre Eltern in Versailles sind, hat sie es auf ihrem Zimmer getan. Sie wollte noch vor dem zu Bett gehen eine Tasse Tee trinken und du wirst sie ihr bringen, sobald du hier fertig bist!“

 

„Ich? Aber...“ Erschrocken sah André seine Großmutter an. Wenn er jetzt etwas in den Händen gehalten hätte, dann wäre ihm das bestimmt zu Boden gefallen.

 

„Wer den sonnst? Natürlich du!“ Sophie war zu beschäftigt, um seine erschrockene Miene zu bemerken. Sie holte ein großes Silbertablett aus dem unterem Geschirrschrank und stellte es auf dem Tisch ab. Dann erblickte sie ihren Enkel, der sich schon gefangen hatte. „Oder denkst du, dass der Tee alleine zu ihr kommt? Ich will mit dir nicht diskutieren, André. Ich bin müde und andere Bedienstete sind auch schon schlafen gegangen.“

 

„Schon gut, Großmutter. Ich werde das schon machen“, seufzte André ergeben und holte aus der obersten Regal eine Teekanne, eine Tasse mit Unterteller und Besteck. Seine Großmutter bereitete derweile den Tee zu und stellte etwas Gebäck in einer Schale zu dem Geschirr auf das Tablett.

Aussprache

Als die Sonne gänzlich unterging, wurden im Haus bereits die Kerzen angezündet und auch Sophie ging schon auf ihr Zimmer. Sie hatte ihren Enkel noch ermahnt: solange es noch hell war, sollte er sich mit dem Tee für Lady Oscar beeilen, um die neue Kerzen in der Halterungen an der Wand im Gang nicht mehr umsonst anzuzünden.

 

André hatte es ihr versprochen und nun stand er ganz alleine am Tisch in der Küche und starrte reglos aus dem Fenster. Die Sonne war nicht mehr zu sehen und die Abenddämmerung breitete sich überall aus. Bald würde es ganz dunkel werden. André seufzte trüb. Es nützte nichts. Er musste Oscar den Tee bringen, solange die Dunkelheit der Nacht noch nicht alles um ihn herum verschlungen hatte. Er nahm das beladene Silbertablett vom Tisch und verließ schleppend die Küche.

 

Der Weg bis zu Oscars Gemächer kam André endlos vor. Mitten auf der Treppe, die in den oberen Stockwerk führte, vernahm er eine liebliche Melodie. Jemand spielte leise am Klavier. André wusste ohne zu raten, dass es Oscar war. Nur sie konnte so Spielen und auch noch zu dieser späten Stunde. Sie spielte meistens, um ihre Gedanken zu ordnen oder sich zu beruhigen und zu entspannen.

 

André hoffte auf ihre bessere Gemütsverfassung, aber sicher war er sich nicht. Sein Herz pochte immer nervöser, als er sich ihrem Zimmer nährte. Er blieb vor der Tür stehen und verharrte einen kurzen Augenblick, um Mut zu finden. Er musste da hinein, ob er wollte oder nicht! André schluckte den entstandenen Kloß in seinem Hals herunter, atmete tief durch und betrat Oscars Salon ohne anzuklopfen. Daran hatte er nicht gedacht. Er hatte es vergessen. Er schloss nur die Tür hinter sich, durchquerte ihren großen Salon bis zum Tisch am Fenster und zwang sich, nicht in die Richtung des Klaviers zu schauen.

 

Oscar spielte gedankenverloren weiter. Sie hatte seine Anwesenheit schon längst bemerkt, aber reagierte nicht darauf. Stattdessen legte sie in ihrem Kopf das Gespräch mit ihm zurecht. Sie beide mussten sich miteinander aussprechen, sonst würde auch noch der Rest ihrer Freundschaft in die Brüche gehen und das wollte sie nicht. Egal was er getan und gesagt hatte. Sie brauchte ihn, wie auch er sie.

 

André stellte das Tablett auf dem Tisch ab und goss für sie eine Tasse Tee ein. Als er damit fertig war, ließ er das einfach stehen und ging zu Tür. Es gab keinen Grund, hier länger zu verbleiben. Die Ignoranz von Oscar schnürte ihm fast den Atem zu. Schleppend bewegte er seine Füße und als er das Klavier passierte, hörte plötzlich die Musik auf.

 

„Bleib bitte noch hier, André. Wir müssen miteinander reden.“ Mehr kam von Oscar nicht und sie spielte das abgebrochene Stück weiter.

 

Nun gut, dann werde ich noch bleiben...“, dachte André bei sich und kehrte zu dem Tisch zurück. Er setzte sich auf einen der Stühle. Dass Oscar überhaupt das Wort an ihn richtete, hatte er nicht erwartet und erst recht nicht in diesem gelassenen Ton. Das war bestimmt dem Klavier zu verdanken. Wie dem auch sei. Wenigstens strafte sie ihn nicht mit Verachtung. In dieser Hinsicht war er froh. Vielleicht kam ihm eine Aussprache ganz gut zu Pass und sie würden dann wieder Freunde sein können. Auf mehr hoffte André bei Oscar nicht. Nicht nach dem, was heute zwischen ihnen am See geschehen war.

 

Oscar spielte ihr Musikstück zu ende. Dann stand sie auf, klappte den Deckel zu und ging zum Tisch. André verfolgte sie mit seinem Blick achtsam und mit mulmigen Gefühlen. Oscar nahm ihren Tee, trank einen Schluck und ging mit der Tasse ans Fenster. Sie hatte ihn kein einziges Mal angesehen und dennoch bemerkte er ihre feuchten Wimpern. Hatte Oscar etwa geweint? Aber doch nicht seinetwegen, oder? Noch mehr von Schuldgefühlen stiegen in ihm hoch. Wie gerne hätte er sie in seine Arme geschlossen und sie getröstet! Aber er beherrschte sich. Diesmal würde er nicht überstürzt handeln und alles vermasseln!

 

„Ich habe über uns nachgedacht“, sprach Oscar leise, aber mit fester Stimme. Sie schaute aus dem Fenster in die nächtliche Dunkelheit des späten Abends. „Ich möchte, dass wir Freunde bleiben. Ich werde morgen nach Versailles gehen und mein Dienst wieder aufnehmen. Ob du mich weiterhin begleitest, überlasse ich dir. Ich will dich zu nichts zwingen.“

 

„Ich werde dich selbstverständlich begleiten“, sagte sein Mund, bevor sein Geist ihre Worte erst verdauen konnte. Innerlich verspürte er jedoch, wie ihm ein Stein vom Herzen fiel.

 

„Gut, dann ist es erledigt“, meinte Oscar knapp und führte ihre Tasse wieder an die Lippen. Wenn er nur wüsste, was in ihr vorging, dann wäre er vor Sorge um sie bestimmt schon zergangen. Sie erinnerte sich an seinen kummervollen Blick und seine Tränen, als sie aus ihrer Bewusstlosigkeit nach dem Unfall erwacht war. Und wie hauchzart er dabei ihre Hand gehalten hatte! Bei dieser Erinnerung kribbelte es Oscar unter der Haut und wieder umhüllte eine angenehme Wärme ihr Herz. Nein, sie durfte auf kein Fall schwach werden! Sie musste stark und hartherzig wie ein Mann bleiben, sonst würde sie noch nachgeben! Vor André nachgeben, wo er doch der schwächere von ihnen beiden war! Oscar versteifte sich, schloss ihre Augen und versuchte alle ihre Empfindungen auszusperren. Ihre Hand mit der Tasse zitterte und klimperte leise auf dem Unterteller.

 

André bemerkte das. Wie gestochen sprang er auf und im nächsten Augenblick war er schon bei ihr. „Geht es dir nicht gut, Oscar?“ In seiner Stimme schwang die Besorgnis mit: „Gib mir lieber die Tasse, sonst lässt du sie fallen und verletzt dich dabei!“

 

Wie umsichtig er doch ihretwegen war! In dem Moment kam er Oscar stärker vor als sie. „Mir geht es gut“, erwiderte sie kühl, aber dennoch drehte sie sich zu ihm um und reichte ihm ihre Tasse.

 

André stellte sie auf den Tisch ab und kehrte zu Oscar zurück. Zum ersten Mal nach dem Vorfall mit dem Kuss sahen sie sich direkt an - von Angesicht zu Angesicht. „Oscar, bist du dir sicher, dass es dir gut geht?“ André sah ihre feuchte Wimpern nun deutlicher und seine Besorgnis um ihr Wohlergehen stieg in ihm noch mehr.

 

„Mach dir um mich keine Sorgen.“ Oscar wandte sich von ihm ab und ging zu ihrem Bettzimmer. An der Bogenöffnung blieb sie kurz stehen. „Ich werde es schon überleben, André. Morgen werde ich wieder ich, wie ich es schon immer war, sein. Du wirst es sehen.“

 

„Warum machst du das, Oscar?“, kam es aus seiner Richtung leise gesprochen. Er hatte ihren Schmerz und Bitterkeit in ihren rötlichen Augen deutlich gelesen, was ihm einiges zum Bedenken bescherte. Sie hatte in seiner Abwesenheit definitiv geweint und versuchte das nun vor ihm zu verbergen.

 

Oscar warf ihm einen irritierten Blick über die Schulter zu. „Warum tue ich was, André?“

 

„Ich meine, deine Gefühle zu verstecken“, erklärte André offen und machte langsame Schritte auf sie zu. Auf einer Armeslänge blieb er jedoch vor ihr stehen, um die versprochen Distanz zu wahren. „Ich dachte, wir haben keine Geheimnisse voreinander. Wir kennen uns doch schon so lange! Warum sprichst du nicht mit mir darüber, was dich bedrückt oder beschäftigt?!“

 

„André, bitte, hör auf damit!“, schnitt ihm Oscar das Wort ab und wandte sich ihm gänzlich zu. Ihre Hände baumelten stramm an den Seiten und formten sich zu losen Fäusten. Ihr Gesicht verzog sich streng, aber in ihrer Stimme fehlte jegliche Härte. „Dein Geständnis am See hatte mir bereits genügt! Es fehlte noch, dass ich mich verliere und meinen Gefühlen nachgebe! Ich darf das nicht! Nicht wie du!“

 

„Ich entschuldige mich für mein Verhalten. Aber was ich zu dir gesagt habe, ist wahr.“ Langsam aber sicher, verstand André, was in Oscar wirklich vorging. Er war ihr sehr wichtig - das hatte sie ihm deutlich offenbart. Und als er ihr seine Liebe gestanden hatte, bekam ihre harte Schale Risse. Nun begann diese Schale zu bröseln und Oscar versuchte sie wiederzuerrichten – zwecklos und verzweifelt, wie er vermutete. Sie tat ihm aufrichtig leid.

 

„Und das was du mir gestanden hast, ist gefährlich, André!“ Oscar war nicht mehr in der Lage, ihre Hartherzigkeit durchzusetzen, trotz aller ihrer Mühe. „Besonders für dich! Ich kann es mir nicht leisten, dich zu verlieren! Deine Verhaftung hatte mir schon gereicht! Mehr würde ich nicht ertragen können! Verstehst du, was ich damit meine?!“

 

„Du liebst mich!“ Diese Erkenntnis traf André wie eine Erleuchtung.

 

Oscar traf sie dagegen wie ein harter Schlag. „Nein, André, du verstehst das falsch!“, versuchte sie sich auszureden: „Ich kann nicht lieben! Ich bin wie ein Mann erzogen worden und so etwas passt nicht dazu! Nicht zu mir! Ich will keine Frau sein!“

 

„Du bist aber eine. Ich habe dich schon immer als Frau betrachtet“, hörte André sich sanft sagen. Er hatte keine Angst mehr, dass sie ihn schroff anfahren würde. Nicht nachdem ihre harte Schalle zerbrach. „Warum stehst du nicht einziges Mal zu deinen Gefühlen, Oscar?! Liebe ist doch etwas schönes!“

 

„Hör auf, André!“

 

„Aber es stimmt doch, Oscar.“

 

„Ach, André...“ Oscar konnte nicht mehr standhalten. Sie legte erschöpft eine Hand sich auf die Stirn und schloss die Augen. „Warum musst du ausgerechnet mich lieben...“

 

„Weil du wunderbarste und schönste Frau für mich bist.“ André wagte sich ihr langsam anzunähern. „Und weil ich, seit ich dich kenne, nur mit dir zusammen bin.“

 

Oscar ließ ihre Hand von der Stirn nach unten herabsinken und öffnete ihre Augen. André stand direkt vor ihr, so ähnlich wie am See und kurz bevor er sie geküsst hatte. Sein und ihr erster Kuss. Das war zwar nur ein Lippendruck gewesen, aber sie glaubte dennoch das immer noch zu spüren. Ihr Herz schlug schneller, ihr wurde warm am ganzen Körper und eine zarte Röte stieg ihr auf den Wangen, ohne dass sie das wollte. Sie senkte ihren Blick zur Seite und ihre hellblonde Haarlocken umrahmten sogleich ihr Gesicht. „Bitte, André, höre endlich damit auf... Du bringst mich in Verlegenheit...“ Ihr Hartherzigkeit war gebrochen und es verblieb diese Schwäche einer Frau, die sie weich machte.

 

„Aber ich mache doch gar nichts.“ André hörte ihren brüchigen Unterton, der beinahe weinerlich klang und rührte sich nicht vom Fleck. Auch jetzt gab sie nicht nach und focht einen aussichtslosen Kampf mit sich aus. „Oscar, gib auf. Dagegen kannst du nicht ankämpfen.“

 

Seine sanftmütige Stimme drang in ihr Gehör, wie ein Hauch des rauschendes Windes. Sie hob den Blick und sah ihn wieder an. „Ich kämpfe nicht... Ich weiß nur nicht, was ich tun soll...“ Oscar bekam urplötzlich weiche Knie und nach einem Halt suchend, drückte sie sich unvermittelt an ihren Freund. „Sag es mir, ist es das, was du unter der Liebe verstehst? Sich verloren und schwach zu fühlen? Und dann noch dieser Schmerz, der dich innerlich auffrisst, bis es zu unerträglichen Qual wird? Nennst du das etwa schöne Liebe?“

 

André stand wie erstarrt da. Er erkannte sie kaum. So hilflos und geschwächt, hatte er sie noch nie erlebt. Hatte er das etwa bewerkstelligt? Er wusste nicht, ob er glücklich oder verzweifelt sein sollte. Er wollte ihr doch nichts aufzwingen, sondern ihr lediglich die Augen öffnen.

 

„Sag schon, André! Sonst sterbe ich! Hier und jetzt!“, murmelte Oscar beinahe herausfordernd an seiner Brust.

 

Das brachte André aus seinen Gedanken zurück. Sachte legte er seine Arme um sie. „Das was du beschreibst, Oscar, nenne ich unerwiderte Liebe.“

 

Oscar hörte seinen aufgeregten Herzschlag unter dem dünnen Stoff seines Hemdes und spürte auch seine warme Haut darunter. Und als er sie umarmte und sie sachte an sich drückte, fühlte sie sich so geborgen wie noch nie zuvor. Wenn das die Liebe war, die er meinte, dann sollte er sie für immer so festhalten.

Die Liebe

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Aufwachen

Oscar erwachte bei Morgengrauen. Die ersten Sonnenstrahlen kündigten sich bereits an und breiteten sich in ihrem Zimmer aus. Für Oscar war das die gewohnte Zeit zum Aufstehen. Sie setzte sich auf und streckte sich ausgiebig. Dabei rutschte ihr die Decke vom Leib und sie stellte staunend fest, dass sie halbnackt war. Und nicht nur das! Sie trug auch noch ihre gestrige Tageshose und der Hosenbund war ganz offen! Bevor Oscar sich darüber wundern konnte, fiel ihr wieder alles ein. Wärme der Geborgenheit umhüllte sogleich ihr Herz und ihre Wangen überzogen sich mit einer zarten Röte. Vor sich hin schmunzelnd stieg sie aus dem Bett, ließ ihre Hose die langen Beine herabgleiten und ging splitternackt zu der Waschschüssel, die auf der Kommode in ihrem Bettzimmer immer mit einem vollen Krug Wasser und frischen Tüchern bereit stand.

 

Oscar goss sich das Wasser ein und tauchte ihren Kopf hinein, mitsamt ihre schulterlangen Haare. Das Wasser war kalt, aber gut genug, um ihre Sinne auf den richtigen Platz zu rücken. Oscar zählte bis zehn und schnellte mit ihrem Kopf aus dem Wasser. Sie warf ihn nach hinten und ihre tropfnasse Haare klatschten ihr gegen die Schulterblätter. Die Wassertropfen liefen in Strömen den Rücken hinab und bildeten große Pfützen auf dem Boden. Den Rest des Wassers benutzte Oscar für die Morgenwäsche.

 

Frischgewaschen und kräftig abgetrocknet, zog sie ein frisches Hemd an und knöpfte es vor dem Spiegel zu. Da entdeckte sie unerwartet eine Rötung an ihrer Halsbeuge. Oscar betrachtete sie erst erschrocken, aber dann entspannte sie sich und verdrehte die Augen. „Musste das sein, André? Zum Glück hat meine Uniform einen hohen Kragen und kann solche Stellen gut verdecken!“

Nach dem Hemd folgten die weiße Hose und die schwarzen Stiefel. Zuallerletzt auch die, mit Orden und Rangabzeichnung versehene, weiße Uniformjacke. Der Kragen stand ihr bis zum Kinn hoch und verdeckte noch weitere Kuss Spuren, die sie außerdem noch entdeckt hatte.

 

Oscar betrachtete sich erneut im Spiegel, kämmte ihr feuchtes Haar und nickte dann zufrieden. Jetzt sah sie wieder wie der Kapitän der königlichen Garde aus und es erinnerte nichts mehr an die leidenschaftliche Frau von heute Nacht.

 

Jemand klopfte an der Tür im Salon. Oscar setzte noch schnell ihren undurchschaubaren Gesichtsausdruck auf und rief kühl: „Herein!“

 

Im Salon entstanden raschelnde Schritte und im nächsten Augenblick betrat Sophie mit zwei weiteren Dienstmädchen den Bettraum. Sofort weiteten sich bei allen die Augen. „Wie sieht es denn hier aus?!“, entfuhr es Sophie laut und sie kam besorgt auf Oscar zu. „Ihr müsst sehr schlecht geschlafen haben!“

 

„Nein“, räumte diese schnell und ausdruckslos ein. Sie beschaute flüchtig die zerknüllte Bettwäsche und die zerstreuten Kleider auf dem Boden. Zum Glück hatte André seine Sachen mitgenommen. Von ihm entdeckte sie nichts auf ihrem Zimmer und atmete auf. „Ich habe heute Nacht bestens geschlafen, Sophie. Ich fühle mich sogar wie Neuerschaffen!“

 

Sophie beäugte sie skeptisch und zog eine Braue nach oben. „Mir braucht Ihr nichts vormachen, Lady Oscar!“

 

„Wieso?“ Oscars Stirn legte sich in Falten. Irgendwie fühlte sie sich ertappt.

 

Die alte Kinderfrau scheuchte die Dienstmädchen, das Zimmer aufzuräumen und widmete sich wieder ihrem Schützling zu. „Wenn Ihr Alpträume habt, Lady Oscar, dann könnt Ihr mit mir ruhig darüber reden.“

 

„Ich habe aber keine Alpträume!“, versicherte ihr Oscar leicht verdutzt, aber auch aufrichtig.

 

„Ich sehe, was ich sehe, Lady Oscar.“ Sophie seufzte schwer. Es war ein Fehler, dieses Kind wie einen Jungen zu erziehen. Mit den Jahren wurde Oscar so hartherzig, dass sie nicht einmal so eine Kleinigkeit wie schlechte Träume zugab. Sophie gab entrüstet auf, weiter nachzuhaken. „Ich habe das Frühstück für Euch mitgebracht. Es steht auf Eurem Tisch.“

 

„Danke, Sophie.“ Oscar schenkte ihr ein versöhnliches Lächeln und marschierte wie ein Soldat in den Salon. Auf dem Tisch standen zwei Tabletts: Eines mit dem Tee von gestern und das andere mit dem Frühstuck von heute. Oscar schmunzelte in sich hinein. Es würde für André besser sein, wenn er jetzt seine Großmutter mied.

 

Sophie kam ihr nach und räumte schimpfend das gestrige Tablett ab: „Dieser Nichtsnutz von Enkel! Wenn ich ihn erwische, dann kann er sich auf einiges gefasst machen! Was fällt ihm ein, hier alles stehen zu lassen und nicht abzuräumen!“

 

Oscar setzte sich gemütlich an den Tisch und begann mit dem Frühstuck. „Sei bitte nicht so streng mit ihm, Sophie. Ich hatte ihn gestern frühzeitig entlassen. Er sah mir zu müde aus.“

 

„Sage ich doch: Ein Faulpelz und Langschläfer! Und Ihr verteidigt ihn auch noch, Lady Oscar!“ Sophie verdrehte ihr buchstäblich die Worte im Mund und rückte ihre leicht verrutschte Brille zurecht, bevor sie weiter den Tisch abräumte.

 

Oscar biss sich auf der Lippe. Egal was sie sagte, wendete sich bei Sophie alles gegen André. „Ich werde darauf achtgeben, dass er in Versailles nicht dazu kommt“, versprach sie stattdessen, um die alte Haushälterin milde zustimmen.

 

Das schien zu wirken. Sophie nahm das Tablett von gestern und lächelte Oscar, bevor sie ging, gütig an. „Ihr solltet lieber gut essen, Lady Oscar. Ihr braucht Eure Kräfte.“

 

 

 

 

 

André seinerseits war schon längst auf den Beinen. Ja, er schlief meistens länger als die anderen, aber nicht heute. Heute zählte er sich zu einem der glücklichsten Menschen auf der ganzen Welt! Schon bei Sonnenaufgang hatte er einen Ausritt zum See unternommen, war dort etwas geschwommen und kehrte nun gutgelaunt zurück. Vor sich hin pfeifend, betrat er das Anwesen und ging leichtfüßig in die Küche. Er wollte schnell noch etwas essen, bevor er mit Oscar nach Versailles aufbrach. Mit seiner Oscar! Sie gehörte ihm! Zwar hatten sie sich nicht ganz vereint, aber trotzdem. Sie hatte endlich seine Liebe erwidert! Die fünf Jahre seiner Liebesqual gehörten nun der Vergangenheit an! Kurz vor der Küche hörte er mit Pfeifen auf und kaum dass er sie betrat, sah er auch schon seine Großmutter. Sie wusch gerade das Tablett und das Geschirr und war sehr verärgert. André überlegte weshalb, während er leise auf sie zuging. Bei Betrachtung des Geschirrs wurde ihm der Grund immer einleuchtender. Er hatte gestern vergessen abzuräumen, nach dem Oscar mit ihrem Tee fertig war! Wie konnte er nur daran denken, wenn er doch so sehr mit ihr beschäftigt war!

 

André erreichte die alte Dame und legte sanft seine Arme um sie. „Guten Morgen, liebste Großmutter...“

 

„Damit kommst du mir nicht durch!“, fauchte diese und wand sich heftig aus seiner Umarmung. André ließ von ihr ab, Sophie drehte sich ganz zu ihm und zog ihm am Ohr. „Deine Schmeicheleien kannst du dir sparen, mein werter Enkel! Für dein Versäumnis bekommst du kein Frühstuck!“ Sogleich ließ sie sein Ohr los und bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. Aber so richtig böse, wie sie es vorgab, war sie allerdings nicht. Im Grunde genommen, liebte sie ihren Enkel aus tiefsten Herzen wie ihr eigenes Kind. Sie wollte nur sein Bestes und deshalb behandelte sie ihn so.

 

Von der Türschwelle erscholl ein helles Lachen. „Lass ihm doch sein Frühstuck, Sophie! Sonst fällt er mir aus dem Sattel, noch bevor wir Versailles erreicht haben!“

 

Großmutter und Enkel fuhren überrascht herum. André rieb sich das Ohr und machte einen verlegenen Gesichtsausdruck. Aber seine grüne Augen leuchteten vor Freude. „Danke, Oscar.“

 

Oscar zog sofort eine ernste Miene, als ihre Blicke sich trafen. „Nichts zu danken, André. Iss etwas und dann brechen wir auf. Ich beauftrage einen der Knechte, unsere Pferde zu satteln.“ Sie sprach kühl und distanziert, aber ein gewisses Aufleuchten in ihren blauen Augen konnte sie dennoch nicht verbergen. Sie drehte sich abrupt um und ging mit langen Schritten davon.

 

„Du hast mehr Glück als Verstand, mein Junge.“ Sophie holte etwas von dem kalten Braten, Brot und Haferbrei. „Lady Oscar meint es immer gut mit dir und ich wünschte, du würdest das nicht ausnutzen.“

 

„Das tue ich doch gar nicht, Großmutter“, empörte sich André erbost. Wie kam sie denn überhaupt auf so etwas Absurdes?!

 

„Das will ich hoffen, mein Junge“, sagte Sophie und kehrte zu ihren Aufgaben zurück.

 

André verstand sie nicht. Was hielt sie denn von ihm? Er würde doch niemals im Leben Oscar ausnutzen! Denn sie war sein Leben! Seine Liebe! Er frühstückte schnell, bedankte sich bei seiner Großmutter und hastete in den Stall. Oscar wartete schon auf ihn und hielt zwei gesattelte Pferde bei den Zügeln. „Musstest du lange warten?“, fragte André außer puste und nahm die Zügel seines Braunen an sich.

 

„Nein.“ Oscar stieg geschickt auf ihren Schimmel und ritt langsam an, ohne auf ihn zu warten. Das war ein gewohntes Verhalten von ihr und André beeilte sich, ihr nachzukommen.

 

Gemeinsam passierten sie die Toren, ritten auf die Straße im gemächlichen Trab und nahmen den altbekannten Weg nach Versailles. Oscar saß wie immer stolz und gerade im Sattel. Sie ließ sich ihre Gefühle oder Empfindungen nicht anmerken. André war sich auf einmal nicht mehr so sicher, ob das ihre Tarnung war oder ob sie die Nacht mit ihm bereute. Letzteres schien ihm absurd zu sein, denn er hatte etwas anderes in ihren entflammten Blicken herausgelesen, trotz all ihrer kühlen Beherrschtheit. Und gesprächig war sie auch nicht. André seufzte. Wenn sich Oscar schon in ihr eisiges Schweigen einhüllte, dann rief er sich lieber die vergangene Nacht mit ihr ins Gedächtnis. Im geistigen Auge überflog er all ihre feurige Ausstrahlung und Leidenschaft, die ungekünstelt und ganz natürlich war. Unbewusst spielten seine Finger mit dem Sattelknauf und seine Mundwinkel verzogen sich dabei zu einem verträumten Lächeln.

 

Oscar entging sein Verhalten nicht. Sie konnte sich durchaus vorstellen, an was er dachte, denn sie war selbst schon kurz davor. Ein vergnügdes Schmunzeln umspielte ihre Lippen, aber sogleich rief sie sich zu Ordnung und ermahnte ihren Geliebten halbherzig: „Du siehst wie ein verliebter Narr aus, André. Reiße dich zusammen, sonst verlierst du deinen Kopf noch bevor wir in Versailles angekommen sind.“

 

„Von wem denn?“ Aus seinen Träumereien gerissen, schaute sich André in der Gegend um. „Ich sehe niemanden.“

 

„Jetzt ist ja außer uns auch keiner da. Aber wir könnten auf Passanten treffen. Oder schlimmstenfalls auf die königliche Abordnung.“

 

„Mach dir darüber keine Sorgen, Oscar“, beruhigte André sie leichthin und richtete sich im Sattel noch gerader auf. „Ich werde schon aufpassen, wenn es soweit ist. Aber bis dahin möchte ich noch etwas von uns träumen. Du bist ja wieder ein unnahbarer Kapitän der königlichen Garde und versteckst deine weibliche Gefühle unter der Uniform...“

 

„André!“, fuhr ihn Oscar barsch an: „Was denkst du, weshalb ich das tue?! Wenn jemand über uns etwas mitbekommt, dann landen wir schnell in Teufelsküche! Diese Intriganten am Hofe warten nur darauf, ihre Opfer in den Dreck zu ziehen! Du bist mein wunder Punkt und so lange es keiner weiß, sind wir sicher! Vor allem du!“

 

„Ist ja gut, Oscar...“, unterbrach André nachgiebig: „Du hast ja recht. Ich entschuldige mich und werde mich fortan wie früher benehmen...“

 

„Ach, André...“ Oscar tat es schon leid, ihn so angefahren zu haben. Er kam ihr wieder verloren vor und um ihn aufzuheitern, zügelte sie unvermittelt ihr Pferd.

 

André hielt direkt neben ihr und sah sie verwundert von der Seite an. „Was ist los?“

 

„Nichts“, sagte Oscar und sah ihn auf einmal schelmisch an. Bevor André ihren Blick deuten konnte, packte sie ihn am Kragen und zog ihn zu sich. Und bevor er sich versah, presste sie ihm ihre Lippen auf den Mund. Aber nur für kurz. Bis André ihre Tat realisieren konnte, ließ Oscar schon von ihm ab und trieb ihren Schimmel wieder an.

 

Baff wie er war, holte André sie unverzüglich ein. „Was war das gerade gewesen, Oscar?“

 

„Nichts besonderes, André.“ Oscar zuckte beiläufig mit den Schultern und lächelte geheimnisvoll. „Ich wollte mich nur bei dir bedanken. Für Gestern. Und für deine Liebe.“ Sie schnalzte mit der Zunge, gab ihrem Pferd die Sporen und galoppierte davon.

 

André sah nur ihre wehende Haarmähne und den Schweif ihres Schimmels. Er befühlte seine Lippen mit den Fingern und vom neuen Glücksgefühl beseelt, ritt er seiner Geliebten geschwind nach.

Vorfall

Mit der Zeit gewöhnte sich André damit zu leben, Oscar nur aus der Ferne zu betrachten und mit ihr auf kameradschaftliche Basis umzugehen - wie es in alten guten Zeiten war. Nur in den nächtlichen Stunden gestattete er sich das schöne Beisamen mit ihr in seinem Geist aufzurufen und darüber zu träumen. Tagsüber ging er seinen Aufgaben nach und Oscar den ihren.

 

 

 

Über Frankreich zogen dunkle Wolken auf. Der König stürzte bei einer Jagd vom Pferd und plagte später über heftige Kopfschmerzen. Viele Ärzte und Spezialisten taten ihr Bestes, aber er litt weiter. Am Hofe fragte man bereits, ob der König diese Krankheit überleben würde oder nicht. Diejenige, die mit Schlimmsten rechneten, behielten recht: Der König bekam anschließend die Pocken und zehn Tage nach der langen Qual, im April 1774, starb er. Ihm wurde noch nicht einmal die letzte Ehre erwiesen, da feierten die machthungrige Intriganten bei Hofe schon den nächsten König.

 

Oscar raste vor Wut: Was für ein selbstsüchtiges Pack! Ab jetzt oblag es Ludwig dem XVI und seiner Frau, Marie Antoinette, über Frankreich zu regieren. Im Sommer desselben Jahres wurden sie schließlich gekrönt.

 

Nach der berauschenden und langen Krönungsfeier konnte sich Oscar endlich freie Tage zuhause gönnen. Zusammen mit André ritt sie zum Anwesen und versank in Grübeleien. Die ganze Zeremonie und der Pomp waren einfach nicht ihre Welt, aber dabei zu sein gehörte zu ihren Pflichten. Allerdings an Freude war dabei nicht zu denken. Der Grund war Marie Antoinette. Die neue Königin verfiel in Schwermut, weil ein gewisser Graf von Fersen sie nicht mehr in Versailles besuchte.

 

Oscar ahnte warum, konnte aber nichts dagegen tun. Die Liebe ging eben ihren eigenen Wegen und das gab ihr einiges zu Bedenken. Unwillkürlich dachte sie auch an das Verhältnis und die Beziehung zwischen ihr und André. Sie liebte ihn auf ihre eigene Art und Weise, konnte sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen und ihr Körper spielte verrückt, als sie heimlich Zärtlichkeiten austauschten. Aber konnte sie ihm eine richtige Frau sein? Sich mit ihm vereinen, ihn heiraten und womöglich Kinder mit ihm bekommen?

 

Nein! Für so etwas war es noch viel zu früh! Und sie standen erst am Anfang ihrer Liebe! Das alles würde die Zeit zeigen, aber nicht jetzt, nicht gleich und nicht sofort!

 

Oscar verdrängte augenblicklich diesen Gedanken und überlegte stattdessen, wie sie Ihrer Majestät helfen sollte. Sie kam damit nicht weit. „Ich weiß mir keinen Rat mehr, André“, teilte sie ihm seufzend mit. Vielleicht wüsste er einen Ausweg? Er sparte doch sonst nicht mit seinen Ratschlägen. „Ich mache mir Sorgen um Marie Antoinette. Sie scheint Graf von Fersen wirklich zu lieben. Das ist alles so vertrackt. Warum dürfen sich die Menschen nicht lieben, wenn sie füreinander bestimmt sind?“ Sie schloss die Augen, streckte ihren Gesicht gen Himmel und ließ ihren Schimmel von alleine gemütlich weiter traben.

 

André schaute erstaunt zu ihr. Das war selten, dass Oscar sich offen zeigte und ihre Gedanken preisgab. Aber es erfreute ihn gleichzeitig, dass sie das doch noch gelegentlich von sich selbst aus tat und er nicht oft nachfragen musste. Die Sonne stand hoch über ihnen am wolkenlosen Himmel und schien wärmend auf sie hinab. André betrachtete den Profil seiner Geliebten von der Seite und versuchte eine passende Antwort zu finden. „Und ich frage mich dagegen, ob der Graf die Königin wirklich liebt?“

 

„Ich glaube schon. Aber ich frage ihn bei passender Gelegenheit trotzdem.“ Oscar machte ihre Augen auf und senkte ihren Kopf. Ihr Gesicht wirkte kurz bekümmert, aber im nächsten Moment kehrte die Entschlossenheit zurück. „Was hältst du davon, wenn wir heute Abend durch Paris mit der Kutsche fahren? Wir waren schon lange nicht mehr in dieser Stadt.“

 

„Das stimmt“, gestand André und fügte noch aufheiternd hinzu: „Und ich habe nichts dagegen, mit dir auszufahren.“

 

„Dann lass uns schneller nachhause reiten und die Kutsche bespannen.“ Oscar stieß ihrem Pferd in die Seiten und galoppierte auf das Anwesen de Jarjayes.

 

 

 

 

 

Die Sonne verschwand schon hinter dem Horizont, als Oscar und André in der Kutsche durch Paris fuhren. Die Straßen wurden Menschenleer und die Laternen beleuchteten große Orte und Plätze der Stadt. In manchen Wirtshäusern wurden unselige Trinkgelage veranstaltet und kräftige Männerstimmen hörte man sogar bis nach draußen. Abgemagerte und streunende Hunde wühlten in den Abfällen der engen Gassen nach Essbarem und auch eins, zwei Ratten wippten über die Pflastersteine – gejagt von hungrigen Katzen. Betrunkene Gestalten schleppten sich an den Hauswänden vorbei und setzten zwischendurch eine Flasche an die Lippen. Das Nachtleben in der großen Stadt war erwacht und machte Platz für die Unannehmlichkeiten.

 

Oscar und André eröffnete sich heute noch zusätzlich eine Kehrseite der Münze, von der sie nicht einmal geahnt hatten: Die Menschen wurden ärmer und viele Bürger verloren ihre Arbeit, weil sie nicht mehr bezahlt werden konnten. Ein junges Mädchen in einem zerschlissenen Kleid und nicht älter als fünfzehn oder sechzehn Jahren, hatte die Kutsche mitten auf der Straße angehalten und wollte sich aus Verzweiflung an Oscar verkaufen. Ihr Name war Rosalie und sie hatte Oscar mit einem Mann verwechselt. Rosalie wusste nicht, wie sie sonst überleben sollte und hatte es deshalb getan. Oscar empfand ein tiefes Mitleid zu ihr und schenkte ihr einen Goldstück. Auf dem Heimweg dachte sie an diesen Vorfall und fragte sich, welches Elend in dieser Stadt noch herrschte?! „Das arme Mädchen muss sich verkaufen, weil sie kein Geld hat und keine Arbeit findet...“, murmelte sie zutiefst betroffen.

 

Auch André erging es nicht anders. Die Sache mit Rosalie hatte ihn auch getroffen und beschäftigt. Er wuchs zwar in einem Adelshaus auf, aber adelig war er deshalb noch lange nicht. Er gehörte selbst dem dritten Stand an und hatte nicht einmal einen blassen Schimmer, wie es seinesgleichen in anderen Orten erging. Der heutige Abend und die Begegnung mit Rosalie hatte es ihm deutlich vor den Augen geführt, wie elend es seinesgleichen erging. Verstohlen beobachtete er Oscar und fragte sich, wie sie den Vorfall eigentlich aufgenommen hatte?! Trotz den spärlichen Lichtes in der Kutsche glaubte er Mitleid und Erschütterung in ihren Augen erkannt zu haben. Sie tat zwar von außen hartherzig, aber herzlos war sie deshalb noch lange nicht. Er kannte sie schon in und auswendig.

 

Im trauten Heim verschloss sich Oscar nach dem Abendmahl auf ihrem Zimmer und spielte Klavier. Die Bediensteten gingen noch ihren Tätigkeiten nach und brachten diese zu Ende. Anschließend gingen sie erschöpft zu ihren Schlafstätten. André gehörte auch dazu. Nach der Versorgung der Pferde und der zu verrichteten Arbeit im Stall, ging er gleich auf sein bescheidenes Zimmer. Im Haus herrschte bereits eine gespenstische Stille. Nicht einmal von Oscars Klavierspiel hörte man noch etwas. Das bedeutete, dass sie womöglich auch schon zu Bett gegangen war. André fand es schade, denn er hatte schon mit der Gedanke gespielt, bei ihr vorbeizuschauen. Er hätte gerne mehr Zeit bei ihr verbracht. Nur mit ihr, ganz alleine. Und vielleicht auch noch die ganze Nacht. Aber sie wollte offensichtlich ihre Ruhe haben, sonst hätte sie ihm längst Bescheid gegeben, ihr eine Tasse Tee oder eine heiße Schokolade vorbeizubringen, wenn er mit seiner Arbeit fertig sein würde. Natürlich als Vorwand, versteht sich. Das hatte sie aber nicht. Der Vorfall mit dem armen Mädchen, hatte sie anscheinend sehr ergriffen. André seufzte und goss sich das Wasser in die Schüssel. Er wusch schnell seinen Körper vom Staub des tatkräftigen Tages ab, zog seine Schlafsachen an, blies die Kerze aus und schlüpfte ins Bett.

 

 

 

 

 

Oscar ihrerseits wartete in ihrem Sessel vor dem Kamin vergeblich auf sein Besuch. Vielleicht hätte sie ihm als Vorwand doch noch sagen sollen, dass er ihr eine Tasse Tee bringen sollte?

Stattdessen hoffte sie, er würde sie auch ohne aufsuchen. Anscheinend war das aber nicht der Fall. André ließ sich gar nicht mehr blicken.

 

Oscar brauchte ihn jedoch gerade jetzt am meisten. Das arme Mädchen und das Elend in der Stadt gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Nicht einmal das Klavierspiel hatte ihr geholfen und ihr Herz beruhigt. Und wie vermochte sich André dabei gefühlt haben?

Er war doch selbst von einfacher Herkunft. Obwohl er im Adelshaus aufgewachsen war und mit ihr eine Beziehung führte, gehörte er trotzdem nicht dazu. Er hatte ganz bestimmt wie sie nichts von der Not seinesgleichen gewusst!

 

Oscar stellte den kaum angerührten Wein auf das Tischlein neben dem Sessel ab und erhob sich. Sie wollte einfach wissen, wie es André ging, wie er sich fühlte und ihn notfalls trösten! Bis morgen würde es nicht warten können, dafür war ihr Gemüt zu ruhelos! Dass sie selbst einen Trost brauchte, ignorierte Oscar vollkommen.

 

Oscar schlich in der Dunkelheit der Nacht und als Wegweiser mit dem schwachen Mondlicht von draußen zu seiner Kammer. Den Weg zu finden war nicht allzu schwer. Sie stieg die große Treppe herunter. Mit der Hand an der Wand lehnend, überquerte sie den Vorsaal, bis sie den Gang erreichte, der in die Zimmern der Bediensteten führte. Andrés Schlafzimmer befand sich gleich am Anfang, von allen anderen abgetrennt und Oscar atmete erleichtert auf, als sie ihren Zielort erreichte. Beinahe blindlings erfasste sie den Türknauf, drehte ihn gegen den Uhrzeigersinn und mit leisen Knarren öffnete sie die Tür.

 

„Wer ist da?“, hörte sie sogleich André flüsternd ausrufen.

 

Oscar trat schnell über die Türschwelle. „Ich bin es nur.“

 

André war überrascht, sodass es ihm für kurze Weile die Sprache verschlug. Oscar schloss die Tür hinter sich und wartete, bis sie die Umrisse im Raum deutlicher erkennen konnte. Das Mondlicht fiel brüchig durch das Fenster, als wollte es ihr noch zusätzlich behilflich sein. Schemenhaft erkannte Oscar die Kommode an der Wand, den kleinen Tisch mit zwei Stühlen und das Bett. Die weißen Laken fielen ihr geradewegs ins Auge. „André, sag doch etwas, sonst gehe ich wieder.“

 

„Was möchtest du wissen, Oscar?“, ertönte es halblaut von dem Bett. André schien noch nicht richtig zu glauben, dass sie hier, bei ihm und mitten in der Nacht aufgetaucht war. „Wie kann ich dir helfen? Ist etwas passiert?“

 

Eigentlich wollte Oscar sich nach seinem Befinden erkundigen und nicht andersherum. Wieder holte er sie unbewusst aus ihrer harten Schale heraus und brachte sie dazu, zu ihren Gefühlen offen zu sein. „Ich wollte bei dir sein“, gab sie anschließend zu.

 

Solange André sich selbst kannte, konnte er ihr niemals eine Bitte abschlagen. Besonders nicht so eine wie diese. Oscar bewegte schon ihre Füße – vorsichtig und leise, so als wäre sie auf der Hut. Sie sah seine Umrisse noch deutlicher. André stützte sich Seitlich auf ein Ellbogen, machte für sie Platz und hob die Decke. „Komm zu mir, Oscar und teile mir deine Sorgen mit“, lockte er sie mit sanften Flüstern zu sich.

 

„Wie kommst du darauf, dass ich Sorgen habe?“ Oscar blieb direkt an seinem Bett stehen und während sie aus ihren Hausschuhen stieg, erkundete sie sein Gesicht.

 

„Du kannst mir nichts vormachen, Oscar.“ André wartete geduldig, bis sie sich ihrer Schuhen entledigt hatte und zu ihm unter die Decke geschlüpft war. Trotz dass sie beide Hosen und Hemden trugen, spürte er dennoch ihre kühle Haut und ihr leichtes Zittern. „Ist dir kalt?“

 

„Nein“, beharrte sie nicht gerade aufrichtig.

 

„Dann erzähle, was dich bekümmert“, seufzte André. Er wollte sie am liebsten gleich in Arme schließen, sie küssen und lieben, aber er ahnte, dass sie vorerst Zeit brauchte, um ihre widerspenstige Gefühle selbst zu überwinden. Und sie wirkte auch nicht danach, dass sie mit ihm sofort in Leidenschaft versinken wollte.

 

Oscar stützte sich genauso wie er auf ihrem Ellbogen ab, um mit ihm auf gleichen Augenhöhe zu sein. „Du bist heute nach dem Ausflug nicht mehr zu mir gekommen“, begann sie zu sprechen. Sie klang ein wenig vorwurfsvoll: „Ich habe die ganze Zeit auf dich gewartet.“

 

„Das tut mir leid“, rechtfertigte sich André schuldbewusst: „Ich dachte, du bist nach deinem Klavierspiel gleich ins Bett gegangen und würdest schlafen.“

 

„Das konnte ich nicht.“ Ihre Stimme nahm einen weichen Ton an: „Ich musste mit dir sprechen. Wegen dem Mädchen, Rosalie und ich wollte wissen, wie du das Aufgenommen hast.“

 

„Ich gebe es zu, Rosalie hat mir Leid getan. Und dieses Elend in der Stadt ebenso. Aber was kann ich schon bewirken, um das zu mindern und den Menschen zu helfen?“

 

„Du hast recht, André. Es steht nicht in deiner Macht.“ Oscar warf sich rücklings nach hinten und verschränkte ihre Arme hinter dem Kopf. „Ich werde mit Marie Antoinette darüber sprechen. Vielleicht kann sie mehr bewirken und mehr für das Volk tun als wir. Immerhin ist sie jetzt die Königin von Frankreich.“

 

„Das stimmt. Und mit Graf von Fersen wolltest du auch sprechen.“

 

„Ja, das auch noch. Ich fahre morgen gleich nach der Audienz bei der Königin zu ihm.“

 

„Und was hast du jetzt vor, nachdem nun deine Sorge geklärt ist?“, fragte André vorsichtig nach. Ein gewisses Hoffnungsschimmer war dabei nicht zu überhören. „Möchtest du noch etwas bei mir bleiben oder willst du unbedingt auf dein Zimmer?“

 

Oscar drehte ihren Kopf zu ihm. Ihr Blick erforschte sein Gesicht. Nein, sie wollte nicht gehen. Es war hier gerade so gemütlich. „Ich möchte diese Nacht bei dir bleiben, André.“ Hatte sie das gerade gesagt? Wollte sie die Nacht wirklich bei ihm verbringen?

 

André, überwältigt von ihren Worten, beugte sich über sie und verschloss zart ihren Mund mit seinen Lippen. Oscar war für einen Wimpernschlag überrascht. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sogleich aber breitete sich eine Hitze und Wollust durch ihren Körper aus. Wie konnte André nur so etwas in ihr auslösen?

 

Oscar öffnete ihre Lippen und ließ es willens zu, dass seine Zunge sich vorschob und die ihre umspielte. Dieser eine Kuss hatte genügt, um zu vergessen, wer sie eigentlich war und sich ihren wahren, tief verborgenen Gefühlen hinzugeben. Seine langen, dunkelbraunen und ungebundenen Haare fielen nach vorn und verhüllten ihre Gesichter. Aus freiem Impuls schob Oscar seine Haarpracht hinter die Schultern und vergrub ihre Finger in ihr.

 

André gab ihre Lippen frei und küsste ihren schlanken Hals. Seine Hand strich ihr die blonde Locken von der Schläfe, bis zum Nacken und arbeitete sich dann nach unten herab. Seine Finger machten keinen Halt an ihrem Kragen und machten sich gleich mit Aufknöpfen ihres Halsausschnittes zu schaffen. Er wollte ihre zarte Haut berühren, sie spüren und ohne Ende liebkosen.

 

Oscar dämpfte ein lautes Stöhnen. Ihr Atem entwich ihr stoßweise und ihr Körper verlangte nach noch mehr. Sie zog ein Knie an sich und bäumte sich auf, als seine warme Hand ihre Oberweite unter dem Hemd erfasste.

 

Diese Nacht verlebten sie mit gleichen Leidenschaft, wie die Erste. Auch da blieben sie dabei angekleidet. Diesmal zogen sie gar ihre Hemden nicht aus. Und kaum dass das Morgenlicht des nächsten Tages sich ankündigte, befanden sie sich nicht mehr im Haus. Nach der Morgenwäsche und dem Umkleiden, unternahmen sie ihre Fechtübungen im Hinterhof des Anwesens.

Kommandant

Man hatte sie befördert? Ihr Vater hatte das mitgeteilt, während sie sich mit André im Fechten geübt hatte. Das war das erste Anliegen der Königin, über ihre Beförderung mit seiner Majestät zu sprechen, hatte der General noch hinzugefügt und strahlte dabei übers ganze Gesicht.

 

Oscar konnte das auch später, als man die neue Uniform am Abend für sie geschickt hatte und sie diese nun anprobierte, nicht so richtig glauben: Sie war jetzt ein Kommandant! Die rote Uniform saß ihr wie angegossen und zusammen mit der weißen Hose und schwarzen Stiefeln, sah sie eigentlich gar nicht so schlecht aus. Und das alles hatte sie also der Königin zu verdanken.

 

Oscar war schon heute bei ihr gewesen, um sich für Beförderung zu bedanken, erinnerte sie sich beim Umziehen an das kurze Gespräch vor wenigen Stunden mit Ihrer Majestät: Marie Antoinette war sehr großzügig zu ihr und wollte sogar ihren Sold verdoppeln, aber Oscar hatte abgelehnt und die Möglichkeit ergriffen, der Königin die Augen zu öffnen. Sie dachte dabei an das, was sie gestern in Paris erlebt hatte. „Majestät...“, versuchte Oscar ihr vornehm zu erklären: „...Frankreich ist derzeit nicht sehr wohlhabend. Viele Menschen hungern. Deshalb bitte ich Euch, mein Sold so zu belassen wie er ist, sonst sehe ich mich außerstande den Posten anzunehmen.“

 

Das hatte die Königin vorerst verwundert, aber sie hatte dann doch ein Einsehen und Oscar freundlich zugestimmt. „Aber wenn Ihr einen Wunsch habt, sagt mir sofort Bescheid. Ich bin jetzt Königin von Frankreich! Ich kann alles für Euch tun!“

 

Ja, das konnte sie... Nur wollte Oscar das gar nicht haben. Das hatte sie Ihrer Majestät deutlich zu Verstehen gegeben, als sie ihr die Geschenke zurück schickte, die Marie Antoinette zu Beförderung zustellen ließ. Dann aber kamen ihr die Zweifel. Hatte die Königin sie überhaupt richtig verstanden?

Anscheinend nicht, entschied sie und Oscar hatte nun eine Sorge, was das einfache Volk nun über Ihre Majestät dachte.

 

Im Gegensatz zu ihr verlor Marie Antoinette keinen Gedanken an ihr Volk. Der einzige Mensch, der ihr nicht aus dem Kopf und Herzen ging, war Graf Hans Axel von Fersen. Sie begann daher die Audienzen abzusagen und als von Fersen nach einer längerer Zeit doch noch nach Versailles zu Besuch kam, empfing ihn die Königin immer als ersten und schenkte ihm mehr Aufmerksamkeit als ihren eigenen Untertanen.

 

Oscar suchte den Grafen deshalb eines Tages auf. Sie beabsichtigte doch sowieso mit ihm zu reden. Seine noble Unterkunft, die er während seiner Studienzeit bewohnte, befand sich am Rande von Paris. Von Versailles bis zu ihn musste Oscar fast die ganze Großstadt durchqueren.

 

Der Graf war von ihrem Besuch äußerst überrascht, aber ließ sie dennoch herzlich hereintreten. „Ich kann mir schon denken, weshalb Ihr hier seid“, sagte er nach der formellen Begrüßung und lud sie ein, am Tisch Platz zu nehmen: „Bitte setzt Euch. Es geht bestimmt um Marie Antoinette, nicht wahr?“

 

„Ja, das stimmt.“ Oscar nahm die Einladung an und nahm Platz auf einem der Stühle. Ihre Hände legte sie aufeinander auf der Tischkante ab. „Und da Ihr wisst, weshalb ich hier bin, macht es die Sache einfacher. Aber zuvor möchte ich wissen, wie Ihr zu Marie Antoinette steht.“

 

Der Graf stand am Fenster, seine Hände verschränkte er hinter dem Rücken und schaute dabei Oscar pikiert an. Wieso fragte sie ihn nach den Gefühlen zu der Königin? „Ich gebe es zu, ich fühle mich zu Marie Antoinette hingezogen. Ich kann nichts dafür. Und sie scheint auch an mir interessiert zu sein.“

 

„Dann kann ich Euch zwei Ratschläge geben: Entweder verlasst Ihr Frankreich oder sorgt dafür, dass Marie Antoinette ihren Pflichten als Königin wieder nachgeht.“ Das war eine zu direkte Äußerung ihrerseits, aber sie war eben ein Mensch, der nicht gerne um den heißen Brei herum redete.

 

„Was auf das Gleiche hinausführt.“ Von Fersen fühlte sich innerlich wie vor den Kopf gestoßen. Diese kühle Gelassenheit von Oscar verursachte ihm Unbehagen. „Ist etwa schon so viel Gerede über sie im Gange, dass auch Ihr darauf herein fallt?“

 

Oscar bewahrte weiterhin einen kühlen Kopf, wobei ihr irgendwie mulmig wurde. Einerseits wollte sie Marie Antoinette vor falschem Gerede und bösen Zungen schützen, aber andererseits die Sympathie nicht zerstören, die den Grafen und die Königin miteinander verband. „Versteht mich bitte nicht falsch, Graf von Fersen, aber ich will nur das Beste für das Wohl Ihrer Majestät und für das Wohl Frankreichs.“ Oscar war sich nicht sicher, ob sie die richtige Worte wählte, aber sie waren nun gesagt und konnten nicht mehr rückgängig gemacht werden.

 

Von Fersen setzte sich auf den Stuhl ihr gegenüber und wirkte auf einmal bedrückt. „Nun gut“, entschied er sich schweren Herzens: „Ich werde noch heute Nacht Frankreich verlassen und in meine Heimatland Schweden zurückkehren, bis man mich hier am Hofe vergessen hat.“

 

„Ich wünsche Euch eine gute Reise.“ Oscar stand auf. Sie wollte nur fort von hier. Ein schlechtes Gewissen breitete sich in ihr aus. Sie hatte gerade den Beginn einer Liebe zerstört. Einer verbotenen Liebe, wie jene zwischen ihr und André. Jedoch hatte sie keine andere Wahl. Das war zum Wohle Frankreichs und Ihrer Majestät, wie sie schon bereits gesagt hatte. „Bitte vergebt mir, Graf...“, dachte sie verbittert, während sie in Richtung Tür ging.

 

„Wartet noch einen Augenblick, Oscar“, hörte sie die Stimme des Grafen nicht weit hinter sich. Sie hielt an, aber drehte sich nicht um. Was wollte er noch von ihr? Er sollte sie gehen lassen! Sie hatte es schon schwer genug mit sich selbst!

 

„Fühlt Ihr Euch nicht manchmal einsam?“, sprach der Graf zum Glück weiter: „Obwohl Ihr Männerkleider tragt, seid Ihr doch eine Frau.“

 

„Ich habe mich nie unwohl oder einsam gefühlt. Solange ich denken kann, wurde ich wie ein Mann erzogen, um die Nachfolge meines Vaters anzutreten“, erwiderte Oscar aufrecht, wobei ihr Herz sich zusammenzog. „Lebt wohl, Graf von Fersen.“

 

„Lebt wohl, Oscar. Ich komme aber irgendwann wieder“, versprach ihr von Fersen mit glasigen Augen, die sie nicht mehr sah.

 

Draußen im Gang und den Weg bis zu Kutsche rannte Oscar beinahe überstürzt. André hielt ihr die Tür auf, was sie kaum wahrnahm und sie stieg genauso eilig in die Kutsche, wie sie zuvor gerannt war. „Ist alles in Ordnung?“, fragte ihr Freund und Geliebter, als auch er einstieg und sich die Kutsche in Bewegung setzte.

 

Oscar schüttelte verneinend den Kopf. „Ich habe von Fersen dazu bewogen, Frankreich zu verlassen.“

 

„So wird es für Marie Antoinette und ihren Ruf besser sein.“ André sprach nur aus einer einfachen Logik heraus. Er konnte sich schon denken, weshalb seine Oscar aufgebracht wirkte und wollte sie daher nur milde zustimmen. „Mach dir keine Gedanken mehr darüber, Oscar. Es wird alles gut.“

 

„Ach, André.“ Oscar seufzte tief. Sie hätte sich gerne an ihn gelehnt und in seiner Umarmung nach Trost gesucht, aber am hellen Tag und wo sie noch dazu mitten durch Paris fuhren, war das vollkommen unmöglich. Wenn sie erst zuhause und ganz unter sich sein würden, würde sie es gerne nachholen.

 

Die Kutsche erreichte einen großen Marktplatz. Viele Menschen standen dort in einem Kreis versammelt und hinderten sie somit an der Weiterfahrt. Die Kutsche musste anhalten. „Was ist hier los?“, fragte André den nächst stehenden Bürger aus dem Fenster.

 

„Ein kleiner Junge hat Herzog de Germain Geld gestohlen“, erklärte dieser und zeigte auf die freie Mitte des Platzes, um die sich viele Bürger von Paris versammelt hatten. In der Tat stand da ein kleiner Junge vor dem besagten Herzog und rieb sich weinend die Augen mit seinen mageren Fäusten. Ein junges Mädchen lief herbei und flehte den Herzog an, Gnade walten zu lassen und es stellte sich heraus, dass der Junge gestohlen hatte, weil er seit zwei Tage kaum etwas zu Essen bekommen hatte.

 

Oscar und André erkannten in dem Mädchen Rosalie, die sich vor kurzem an Oscar verkaufen wollte. Zuerst zeigte der Herzog Milde: „Ich will mal nicht so sein“, sagte er mit verschlagenen Blick: „Ihr könnt von mir aus verschwinden!“

 

Der Junge rannte überglücklich zu seiner Mutter und da zog der Herzog seine Pistole. Ohne zu zögern drückte er ab und traf den Jungen mitten in den Rücken. Mit schadenfrohen Gelächter stieg er anschließend in seine Kutsche und fuhr weg. Der Junge war sofort tot. Seine Mutter hielt ihn in ihren Armen, rief nach seinem Namen, drückte seinen leblosen Körper an sich und weinte bitter. Das Entsetzen stand in allen Gesichtern der Herumstehenden geschrieben.

 

„Dieses Untier!“ Oscar raste vor Wut. „Das kann doch nicht wahr sein!“ Sie wollte den Herzog sofort zu Rechenschaft ziehen, aber André hielt sie gerade noch rechtzeitig davon ab. „Niemand kann ihn zu Rechenschaft ziehen! Nicht einmal der König!“ Er musste seine ganze Kraft aufbringen, um die herum wütende Oscar fest zu halten. Nicht gerade sanft schob er sie in die Kutsche zurück. „Fahre los!“, rief er dem Kutscher zu, als er das geschafft hatte.

 

 

 

Zuhause wütete Oscar dennoch weiter, kaum dass sie ihre Gemächer betreten hatte. „Warum ist diesem feigen Aristokraten alles erlaubt?!“ Tränen standen in ihren Augen, die sie kaum merkte. Heftig schlug sie mit ihrer Faust gegen die Wand. Auch den körperlichen Schmerz ignorierte sie.

 

André wusste nicht, was er tun sollte. So wütend und verbittert, hatte er seine Oscar bisher noch nicht erlebt. Und dass sie ihre Gefühle offen zeigte, kannte er von ihr auch nicht – bis auf die wenige Momente, wenn sie unter sich waren. Er hielt es in seiner Ecke nicht mehr aus, wo er bisher stillschweigend ausgeharrt hatte. Die Türen zu ihrem Zimmer waren ohnehin geschlossen. „Oscar, bitte...“ Mit zwei großen Schritten war er schon bei ihr und so sanft wie möglich, drehte er sie zu sich um.

 

„Warum?“ Oscar sah ihn mit tränennassen Augen geradewegs ins Gesicht.

 

„Ich weiß es nicht“, murmelte André und zog seine Geliebte an sich.

 

Oscar sträubte sich nicht. Sie wollte doch sowieso in seinen Armen getröstet werden. Nach und nach beruhigte sie sich, die Tränen versiegten und ihr hitziges Gemüt kühlte sich ab. Aber der unermesslicher Zorn auf diesen hinterhältigen Herzog blieb dennoch weiter, tief in ihr verborgen, bestehen.

 

 

 

Endlose Tage schritten voran, bis Oscar den Herzog wieder begegnete. Und nicht nur das. Sie brachte ihn dazu, sie herauszufordern. Es war ihr sehr ernst damit. Das Duell fand am nächsten Morgen statt. Der Herzog schoss daneben. Oscar dagegen traf ihn absichtlich in die Hand, mit der er den Jungen erschossen hatte. „Das war Betrug! Das war eindeutig Betrug!“, brüllte er wie am Spieß, um Oscar unter falschen Verdacht zu stellen.

 

Da rollte unverhofft eine königliche Kutsche herbei und daraus stieg Marie Antoinette höchstpersönlich. Sie hatte nichts von dem Duell gewusst und erst vor wenigen Stunden davon erfahren. Das gefiel ihr ganz und gar nicht. Um Oscar von den intriganten Höflingen zu schützen, verhängte sie ihr einen dreimonatigen Hausarrest. Herzog de Germain kam nur glimpflich davon. Er zählte doch zu einem der mächtigsten Adelshäuser und nicht einmal die königliche Familie konnte ihm etwas anhaben.

 

Oscar beließ es aber nicht beim Hausarrest. Tagein, tagaus untätig zuhause die Zeit zu verbringen und das auch noch drei Monate, war ihr unerträglich. Sie beschloss nach Arras, einer ihrer Familiensitze, zu reisen. Ihre alte Kinderfrau war darüber empört. Sie war gerade dabei, ihren Enkel mit einem Schöpflöffel zu vermöbeln, weil dieser zuließ, dass Oscar sich mit dem Herzog duelliert hatte. „...Euer Vater ist in militärischen Sachen unterwegs! Was ist, wenn jemand von Eurer Abreise erfährt?!“

 

„Dann sag, dass ich vor lauter Traurigkeit krank geworden bin!“, meinte Oscar schnippisch.

 

„Das kann ich nicht!“, protestierte Sophie ungläubig.

 

„Doch, das kannst du. Pack bitte noch heute meine Sachen.“ Oscar lächelte vor sich hin. Sie wandte sich sogleich zum gehen, als ihr noch etwas einfiel. Sie blickte kurz über die Schulter. „André. Wir werden sehr früh aufstehen. Unser Ziel liegt sehr weit weg und ich möchte es noch morgen Abend erreichen.“

 

André sah ihr erstaunt nach, bis er ein entrüstetes Aufstöhnen hörte. Seine Großmutter fasste sich ans Herz, ihre alte Beine gaben nach und ihr kleines Figürchen kippte zur Seite. André fing sie besorgt auf und geleitete sie auf einen der Stühle, damit sie sich etwas erholen konnte. „Geht es wieder, Großmutter?“

 

„Ach, diese Kinder...“, murmelte sie vor sich hin: „Du wirst mir auf sie achtgeben, André! Hörst du? Sonst bekommst du es mit mir zu tun!“

 

„Aber natürlich gebe ich auf sie acht, Großmutter!“, versicherte André ihr wahrheitsgemäß. Insgeheim überlegte er, was Oscar mit dieser Ausreise bezweckte. In letzter Zeit machte sie sich häufig Sorgen, wie das einfacher Volk über die Königin dachte. Vielleicht wollte sie deshalb den alten Familiensitz in Arras besuchen? Oder wollte sie mehr Zeit mit ihm verbringen? Nur sie beide, ganz alleine? Das wäre doch sehr zu schön! Später, beim Packen seiner Sachen, konnte er den morgigen Tag kaum abwarten.

 

Bei Morgengrauen hatte André die Pferde schon gesattelt, die Satteltaschen mit Proviant gefüllt und alles mögliche herbeigeschafft, was sie beide auf der Reise brauchen würden können: Wolldecken, Wechselkleider und länger haltende Essbarkeiten.

 

„Du hast aber an alles gedacht!“, meinte Oscar mit gewisser Anerkennung, als sie nach dem kurzen Frühstück mit ihm die gesattelte und bepackte Pferde aus dem Stall führte.

 

„Du sagtest doch selbst, dass unser Ziel weit weg liegt! Also müssen wir auf alles vorbereitet sein! Oder etwa nicht?“, André grinste breit.

 

„Du bist unmöglich!“ Oscar schüttelte den Kopf und stieg galant auf ihren Schimmel.

 

André gluckste vor sich hin, schob seinen Fuß in den Steigbügel und stieg auf seinen Braunen. Gemeinsam ritten sie in leichtem Galopp, um ihre Pferde nicht gleich zu Beginn ihrer Reise zu überanstrengen. Oscar sah in ihren Zivilkleider genauso gut aus, wie in ihrer Uniform. André trug seine schlichte Kleidung, wie es seinem Stand angemessen war, aber schlecht sah er darin auch nicht aus. Bei dem guten Wetter und fröhlicher Unterhaltung erreichten sie am Abend ihr Ziel.

Erschüttert

Oscar trieb ihr Pferd, als wäre sie auf der Flucht. Womöglich stimmte das auch. Auf der Flucht davon, was sie gestern miterleben musste: Die Bauern lebten in bitterer Armut und Elend. Alles was sie verdienten ging als Steuer an den Königshof und ihnen blieb nur das trockene Brot, wenn überhaupt. Die Begegnung mit Robespierre, der bei der Krönung von Ludwig XVI und Marie Antoinette die Gratulationsrede gehalten hatte, hatte auch sein Übriges dazu beigetragen. „...die Königin soll über ihre Verhältnisse leben und es heißt, dass der König sie gewähren lässt“, hatte er unfreundlich geäußert: „Ich weiß nicht, ob es Euch überhaupt interessiert, aber Frankreich stirbt und ich werde alles dafür tun, um dieses Land zu retten!“

 

Als wäre diese Erkenntnis nicht schon entsetzlich genug, erkrankte ein kleiner Bauernjunge am großen Fieber und dessen Vater war gezwungen, ihn aufzugeben, weil er sich keinen Arzt mehr leisten konnte. Oscar konnte nicht mitansehen, dass der Junge sterben würde und brachte ihn eigenhändig zum nächstbesten Arzt, den sie auch bezahlt hatte. Damit hatte sie das Leben des Jungen gerettet, aber es änderte nichts an der Tatsache, warum sie heute so aufgewühlt war: Die Ereignisse brannten sich in ihr unauslöschlich ein und Tränen der Wut rannen ihr nur so über die Wangen.

 

Die aufgehende Sonne hüllte die Landschaften in ihr Morgenlicht ein und vertrieb die Dunkelheit der Nacht. Oscar beachtete das alles in ihrer zerstreuten Gemütsverfassung aber nicht. Wie besessen trieb sie ihr Pferd immer schneller an, gab ihm die Sporen und blendete alles um sich herum aus.

 

„Oscar! Was ist los mit dir? Halte an! Du treibst noch das Pferd zu Schanden!“, hörte sie André nicht weit hinter sich besorgt ausrufen, aber das brachte sie nicht zum Anhalten. „Die Menschen beginnen sich von dem König und der Königin abzuwenden! Das ist das, was mir klar geworden ist!“, rief sie ihm verbittert zurück und ihr Schimmel bekam noch mehr von ihren Stiefelabsätzen zu spüren.

 

André setzte ihr nach, versuchte sie weiterhin zum Anhalten zu bewegen, aber zwecklos. Er befürchtete das Schlimmste, ihm wurde immer mulmiger zumute und eine schlechte Vorahnung breitete sich in ihm aus. Und dann passierte es: Der weiße Schimmel vor ihm rutschte im vollen Galopp aus und warf seine Reiterin aus dem Sattel. In einem hohen Bogen flog Oscar durch die Luft und prallte hart gegen den grasbewachsenen Erdboden.

„Oscar!“ André erbleichte vor Schreck. Er holte sie ein und kaum dass er seinen Braunen zügelte, sprang er schon aus dem Sattel und eilte besorgt zu ihr. Oscar bewegte sich, ließ halblautes Stöhnen von sich und ihr Gesicht verzog sich schmerzlich, aber sie lebte. André kniete neben ihr und nahm sie fürsorglich in seine Arme. Warum wollte sie nicht auf ihn hören? Das hatte sie jetzt davon... „Ach, Oscar...“, murmelte er tonlos vor sich: „An der Oberfläche bist du so eiskalt wie die Eisblume im Winter. Aber in deinem Herzen brennt das Feuer der Leidenschaft. Und genau das liebe ich an dir so sehr...“

 

Oscar schmiegte sich in ihrer Ohnmacht an ihm und erlebte das Geschehene in ihrem Unterbewusstsein noch einmal: Die Aussage von Robespierre, die Erkrankung des kleinen Bauernjungen und die bittere Tatsache, dass es dem einfachen Volk immer schlechter ging. Noch bitterer und erschütternder war die Erkenntnis, dass die Armut und das Leid der Menschen dem neuen Königspaar, vor allem der Königin, zugeschoben wurde.

 

 

 

Oscar kam langsam zu sich, aber ihrer plagenden Gemütsverfassung und den schmerzenden Knochen, ging es dabei nicht besser. Etwas mühsam schlug sie ihre Augen auf und stellte fest, dass sie in Andrés Armen lag. Seine grüne Augen sahen sie sanft und liebevoll an. „Geht es dir besser?“, formten seine Lippen und sie hörte deutlich die Besorgnis aus seiner Stimme.

 

„Ich glaube schon...“ Oscar legte ihre Hand sich auf die Stirn, als hätte sie Kopfschmerzen. In der Tat dröhnte ihr der Kopf von dem Aufprall, aber das war halb so schlimm. Der restliche Körper und ihre Gliedmaßen waren hauptsächlich unversehrt. Sie zog ein Bein zu sich, setzte sich auf und stützte ihren Ellbogen auf die Knie. „André?“

 

„Ja, Oscar?“ Neue Besorgnis wuchs in ihm. Ging es seiner Geliebten vielleicht doch noch nicht so gut, wie sie vorgab?

 

Oscar brachte sich innerlich zur Vernunft, versuchte ihr Gemüt zu beruhigen und schaute dann zu ihrem Geliebten. „Lass uns nach Hause gehen.“

 

Dagegen hatte André nichts einzuwenden. „In Ordnung.“ Er half ihr beim Aufstehen und brachte dann die Pferde, die die ganze Zeit in der Nähe gemütlich gegrast hatten. Vorsichtshalber überprüfte er den Schimmel, schaute, ob das Tier lahmte und als er keine Verletzung feststellte, atmete er auf.

 

Oscar merkte schon beim Aufsteigen auf ihr Pferd, dass der Sturz nicht ohne Folgen geblieben war: Ihre Knochen knackten und die Gelenke schmerzten, aber sie biss die Zähne zusammen. Es würde gleich vergehen. André beobachtete jede ihre Bewegung sorgsam. Sie saß aufrecht im Sattel, aber er spürte dabei ganz deutlich, dass sie Schmerzen haben musste. Vielleicht war das von Vorteil, wie ein Mann erzogen zu sein und nicht aufzugeben, egal wie schlimm es war. Fast gleichzeitig setzten sie ihre Pferde in Bewegung und ohne Hast begaben sie sich auf den Heimweg.

 

 

 

Unbesiedelte Landschaften, Weiden und Felder, Hügel und Wälder erstreckten sich, soweit das Auge reichte, vor ihnen aus. Oscar trug eine ausdruckslose Miene zur Schau, aber André gefiel darin trotzdem etwas nicht. „Wenn du eine Rast anlegen möchtest, dann können wir das gerne tun, Oscar.“

 

Oscar ließ sich von nichts abbringen. „Es geht schon, André.“

 

„Es wird bestimmt spät nachts sein, wenn wir heimkommen“, rechnete André seufzend aus. Im Gegensatz zu ihr, wollte er eine Rast anlegen – schon alleine ihretwegen und um sich davon deutlicher zu überzeugen, dass es ihr wirklich gut ging.

 

„Das macht mir nichts aus.“ Oscar verfiel plötzlich in Grübeleien. Der Tag neigte sich dem früheren Nachmittag zu, aber von ihr kam kein weiteres Wort mehr. André beschaute bei dem gemütlichen Ritt die Umgebung und fragte sich, warum Oscar keine Rast einlegen wollte. Es war doch gerade so ein schönes Wetter und sie befanden sich mitten in Nirgendwo. Nichts außer Hügel, Täler und Wälder, kreuzten ihren Weg. Auf einem der Hügeln zügelte Oscar unvermittelt ihr Pferd. „Da, André, schau! Ist das nicht ein schöner Anblick?!“

 

André musste ihr schmunzelnd recht geben. In weiter Ferne, abseits von allen Pfaden und Wegen, erstreckten sich grüne Weiden und jede Menge dicht wachsenden Bäumen. Ein Bach glitzerte an einer der Lichtungen und ein Wäldchen umgab diesen. Oscar zeigte in diese Richtung. „Komm, André, wir machen dort eine Rast!“ Sie hatte das kaum ausgesprochen, da schnalzte sie bereits mit der Zunge und trieb ihr Pferd im gestreckten Galopp an.

 

André blieb nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Sie gab ihm ja nicht einmal die Gelegenheit auf eine Antwort! Und nebenbei freute er sich, dass sie doch noch auf ihn gehört hatte.

Unter freiem Himmel

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Daheim

Auf dem Anwesen der de Jarjayes wartete schon ihr Vater auf Oscar. Der General bestellte seine Tochter sofort auf sein Arbeitszimmer, kaum dass er von der Rückkehr unterrichtet wurde. Oscar war auf alles gefasst, als sie über die Türschwelle trat. „Ich bin zurück, Vater.“

 

Reynier steuerte verärgert auf sie zu und verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. „Wie konntest du das Haus verlassen?! Der Mann, mit dem du duelliert hast, ist ein Herzog! Anstelle so einer milden Strafe hättest du für immer verbannt werden können! Ich begreife nicht, wie man die Gutherzigkeit der Königin so schamlos ausnutzen kann!“

 

„Ich war auf dem Land, um zu sehen, wie unsere Bauern leben, Vater!“ Oscar unterdrückte krampfhaft den Impuls, an der brennenden Wange zu reiben. Stattdessen ballte sie ihre Hände zu Fäusten. „Stellt Euch vor, die Bauern leben von Kartoffelschalen, obwohl sie die Kartoffeln ernten! Während wir Adligen nicht wissen, wohin mit dem Geld, bekommen sie ihre Kinder nicht mehr satt! Warum muss es so sein? Haben die Adligen etwa kein Herz?“

 

„Das hat dich nicht zu interessieren!“ Der General ließ sie nicht zu Ende sprechen. Wie immer streng und hochmütig, zeigte er auf sie mit seinem Finger. „Du bist eine Adlige, merk dir das! Solche Leute passen nicht zu dir! Und wenn du nicht ausgelastet bist, dann verbessere lieber deine Fechtkunst!“ Es klang beinahe wie eine Mahnung. Reynier senkte seinen Arm und marschierte mit festen Schritten aus seinem Arbeitszimmer.

 

„Eine Adlige...“, knurrte Oscar abfällig. Zorn brodelte in ihr, den sie kaum zügeln konnte.

 

André lief in dem Moment zufälligerweise an dem Arbeitszimmer vorbei. Er hatte die Pferde versorgt und war nun auf der Suche nach seiner Oscar. Er fand sie und was er sah, gefiel ihm nicht. André fühlte mit ihr. Er konnte sie verstehen, ihre Gefühle nachempfinden und hätte sie am liebsten in seinen Armen getröstet. Jedoch nicht an diesem Ort, wo jeder vorbeilaufender Mensch sie sehen könnte. „Ist ja gut, Oscar“, sagte er deshalb zu ihr von der Türschwelle.

 

Oscar hörte seine Stimme, verstand dass jegliche Ausbrüche nichts nützen würden und schluckte ihren Zorn wie eine bittere Medizin herunter. Sie warf dabei ihrem André einen Blick zu. Wenn ihr Vater nur wüsste, was sie noch auf ihrem Heimweg von Arras erlebt hatte! Dann wäre die Verbannung ein mildes Wort im Gegensatz zu dem, was ihr wirklich blühen würde! Und André würde bestimmt sein Kopf verlieren! Er war aber ihr Leben und es würde besser sein, wenn sie zusammen mit ihm sterben würde! Sie hatte doch die Schande über die Familie gebracht und ihre Ehre verloren! Aber solange es noch keiner wusste, war alles in Ordnung. André und sie wiegten sich in Sicherheit, solange sie ihre Liebe niemandem anmerken ließen und eine geordnete Distanz zueinander wahrten.

 

Im Nachhinein beruhigte sich Oscar auf ihrem Zimmer und spielte auf ihrem Klavier. André half derzeit seiner Großmutter im Haushalt, nachdem er vorerst eine ordentliche Standpauke von ihr bekommen hatte. Das war für ihn aber halb so schlimm. Mit den Gedanken an Oscar verbrachte er den ganzen Tag bei seiner Großmutter und griff ihr hilfsbereit unter die Armen.

 

Spät am Abend kam unerwartet ein Bote aus Versailles auf das Anwesen angeritten. Er überbrachte eine Botschaft, dass Madame de Jarjayes im Palast zusammengebrochen war. André eilte unverzüglich in Oscars Salon, berichtete ihr atemlos über das Geschehene und sie brach kurz darauf unverzüglich in der Kutsche nach Versailles auf.

 

Während André am königlichen Hofe Oscars Mutter aus dem Schlossgewölbe holte, begegnete Oscar Ihrer Majestät, die gerade auf dem Weg zu einem Ball war. Oscar machte eine knappe Verbeugung vor ihr. „Verzeiht mir, Euer Majestät, dass ich hier bin. Ich weiß, dass ich noch Hausarrest habe, aber...“

 

„Gut, dass Ihr da seid, Lady Oscar!“, unterbrach die Königin sie sorgenvoll: „Euer Mutter ist zusammengebrochen. Ihr müsst Euch um sie kümmern. Sie soll sich eine Weile zuhause ausruhen und wir sehen uns dann morgen.“

 

„Ich verstehe nicht...“ Oscar sah verdattert zu Marie Antoinette hinauf. Sie hatte doch drei Monate Hausarrest bekommen und es war nicht einmal vier Wochen vergangen!

 

Die Königin zwinkerte ihr daraufhin lächelnd zu. „Ich hatte Euch vor einem Monat einen Hausarrest auferlegt, Lady Oscar. Und nach meinem königlichen Kalender ist diese Frist abgelaufen.“

 

„Ich danke Euch, Eure Majestät.“ Mehr konnte Oscar nichts dazu sagen. Sie war gerührt und erstaunt. Die Königin wollte sie anscheinend wieder bei Hofe haben und deshalb hatte sie ihr die Strafe gekürzt.

 

 

 

 

 

- - -

 

 

 

 

 

„...zuhause ist es immer am Besten, nicht wahr mein Liebling?“, sprach Emilie de Jarjayes zu Ende aus. Mutter und Tochter fuhren bereits eine Weile in Richtung Heim mit der Kutsche.

 

„Ja, Mutter“, bestätigte ihr Oscar mit einem erwidertem Lächeln.

 

Auf dem Hof des Anwesens half Oscar ihrer Mutter beim Aussteigen. „Vorsichtig, Mutter.“

 

„Danke, mein Kind.“ Emilie stützte sich auf ihre Tochter und kaum sie in das Haus reingehen beabsichtigte, erscholl hinter ihr ein wildes Geschrei: „Ihr habt meine Mutter auf dem Gewissen! Dafür werdet Ihr sterben!“

 

Oscar und Emilie de Jarjayes wirbelten entsetzt herum. Ein junges, ärmlich gekleidetes Mädchen stürmte mit gezückten Messer auf Oscars Mutter zu. Oscar reagierte sofort. Gerade rechtzeitig verdeckte sie ihre Mutter und schlug dem Mädchen das Messer aus der Hand. Ungläubig stellte sie fest, dass es Rosalie war. „Aber warum? Aus welchem Grund?!“

 

Madame de Jarjayes stellte sich neben ihrer Tochter und bei dem genauen Anblick auf sie, warf sich Rosalie verzweifelt auf Knie. Es stellte sich heraus, dass sie Madame de Jarjayes mit der Mörderin ihrer Mutter verwechselt hatte. „...und das Schlimmste ist, ich konnte nichts tun!“, beichtete Rosalie unter den Tränen erstickend: „Meine Mutter wurde auf der Straße einfach so von einer Kutsche überfahren!“

 

Oscar hatte großes Mitleid mit Rosalie. Zusätzlich erfuhr sie, dass die besagte Mörderin eine Adlige war und in Versailles lebte. Oscar versprach Rosalie entschlossen, bei der Suche nach der Mörderin behilflich zu sein. Deswegen nahm sie sich auch vor, Rosalie höchstpersönlich im Fechten, Reiten und der Hofetikette zu unterrichten. Es sollte doch niemanden am Hofe auffallen, dass Rosalie aus einfachen Verhältnissen stamme und unter den adligen Damen auf der Suche nach der Mörderin ihrer Mutter war. Rosalie selbst war von Oscars Güte und Herzlichkeit noch mehr überwältigt, als bei der ersten Begegnung in Paris vor etlicher Zeit.

 

Irgendwann vertraute Rosalie Oscar an, dass ihre verstorbene Mutter nicht ihre Liebliche Mutter war. Die Frau, die sie auf die Welt gebracht hatte, stammte vom Adel und hieß Martine Gabrielle.

 

„Dann können wir ganz anders vorgehen, da wir jetzt wissen, dass du adliger Herkunft bist!“, freute sich Oscar, nachdem sie ihre Fassung zurückgefunden hatte. Das war eine überraschende und gleichzeitig eine gute Erkenntnis.

 

Noch am gleichen Abend beschaffte André ein großen Stapel von Büchern, wo allerlei Namen der Adligen standen und brachte sie in Rosalies Zimmer. Zu dritt saßen sie kurz darauf an einem Tisch und durchforsteten die Bücher, auf der Suche nach dem Namen Martin Gabrielle. André war der erster, bei dem schon bald die Augenlider schwerer wurden. Er versuchte weiterzulesen, aber die Müdigkeit gewann mehr und mehr die Oberhand. Die brennende Kerzen in einem fünffachen Kerzenleuchter auf dem Tisch trugen ihr übriges noch dazu bei. Das schwache Licht lockte geradezu ins Land der Träume einzutreten - was André auch tat. Kaum dass er sich versah, legte er schon seine Arme auf das offene Buch, bettete darauf seinen Kopf und schlief ein. Rosalie machte es ihm eine halbe Stunde später nach.

 

Oscar dagegen verspürte keine Müdigkeit und las gemütlich die Bücher die ganze Nacht durch. Sie wollte weder Rosalie noch André wecken. Die zwei sollten ruhig schlafen. Sie würde das schon alleine schaffen.

 

„Ach, Oscar...“ Leises Gemurmel von Gegenüber drang in Oscars Gehör. Sie hob stutzig ihren Blick und richtete ihn auf ihren Geliebten. Hatte sie ihn etwa geweckt? Nein, danach sah es nicht aus. André schlief selig auf seinen angewinkelten Armen. Vielleicht hatte sie sich verhört? Andres Mundwinkel zogen sich leicht nach oben und seine Lippen bewegten sich kaum merklich: „...du siehst in dem Kleid wunderschön aus, meine Liebste...“

 

„Was?“ Bei Oscar weiteten sich die Augen und ihr Kiefer schlug auf. Er träumte doch nicht etwa von ihr in einem Kleid?! „Das kannst du vergessen, mein Lieber!“, dachte Oscar bei sich spöttisch: „Ich werde mich niemals in ein Kleid zwängen!“

 

Als hätte André ihre Gedanken gehört, wirkte sein verwegenes Lächeln noch breiter. „...und dass wir beide heiraten, hätte ich auch nie gedacht...“

 

„André!“, hauchte Oscar tonlos. Ihr dämmerte es sogleich, worüber ihr Geliebter gerade träumte: Von ihrer Hochzeit, die vielleicht nie stattfinden würde! Und von ihrem Hochzeitskleid, das sie erst recht nie anziehen würde! Oscar betrachtete noch eine Weile Andrés entspannte Gesichtszüge, seine geschlossenen Augen und sein verträumtes Lächeln. Sie wagte sich nicht zu rühren, horchte auf ihr schlagendes Herz und wartete auf seine nächsten Worte. Aber es kam kein weiteres Gemurmel von ihm, als hätte er schon längst gesagt, was ihm am Wichtigsten war. „Ach, Andre...“ Oscar atmete tief ein und aus. Obwohl seine Worte nicht gerade passend waren, hatten sie sie dennoch zutiefst gerührt. Sie schmunzelte und entriss sich seinem Anblick. André sollte seine Träume ruhig für sich behalten.

 

 

 

Als der Morgen graute, las Oscar in einem der letzten Büchern mit den unzähligen Namen der Adligen. Das Licht des neuen Tages breitete sich im Zimmer aus und da erwachte André aus seinem Schlaf. Er richtete sich auf, gähnte herzhaft und streckte ausgiebig seine Glieder. „Ich bin wohl eingeschlafen“, sagte er mit dem Blick aufs Fenster, wo sich schon die ersten Sonnenstrahlen zeigten.

 

„Ja, du warst eingeschlafen.“ Oscar sah ihn kühl an, wobei ihr Herz dahin schmolz. Sie würde nicht verraten, was sie gehört hatte. Jeder besaß seine kleine Geheimnisse und diese wollte Oscar ihrem André gönnen.

 

André bemerkte derweilen die schlafende Rosalie. „Sie scheint auch eingeschlafen zu sein.“ Er wollte sie wecken, aber Oscar hielt ihn leise davon ab. „Lass sie noch schlafen.“

 

„In Ordnung.“ André ließ von seinem Vorhaben ab und schaute wieder Oscar an. Wenn nur Träume wahr werden könnten, dann wäre er noch glücklicher als bei seiner ersten Nacht mit Oscar! Von seinem Traum sollte sie lieber nichts erfahren. Sie würde nie ein Kleid tragen, sei es auch nur bei der Hochzeit. Und sie würde ihn bei dieser Vorstellung höchstwahrscheinlich auslachen! So bedauerlich es auch war, schob André diesen Gedanke beiseite.

Die liebe Rosalie

Rosalie wäre nie im Leben darauf gekommen, in eine Lage zu geraten, die all ihre Vorstellungen von Lady Oscar überschlug. Es passierte noch am gleichen Abend, als Lady Oscar sie in der französischen Geschichte unterrichtete. Da kam unverhofft ein Bote der Königin und teilte Oscar mit, sie möge sofort zu Ihrer Majestät kommen.

 

„Zu dieser späten Stunde?“, wunderte sich Oscar, aber sogleich traf sie ihre Entscheidung: „Nun gut. Ich gehe mich nur umziehen.“

 

„Ich warte auf Euch bei der Kutsche.“ Der Bote vollführte eine knappe Verbeugung und verließ Rosalies Zimmer.

 

Rosalie gefiel das ganz und gar nicht. Kaum dass Oscar einen Schritt aus ihrem Zimmer machte, versperrte sie ihr den Weg und begann heftig dagegen zu protestieren: „Bitte geht nicht, Lady Oscar! Wir wollten doch noch Grammatik üben!“

 

„Rosalie!“ Oscar erhöhte ungewollt ihren Ton: „Immerhin kommt der Befehl von meiner Königin!“

 

„Ich verstehe Euch nicht!“, konterte Rosalie verzweifelt und beinahe hysterisch: „Immer sprecht Ihr von Euren Königin!“

 

Oscar betrachtete das Mädchen vor ihr mit gerunzelter Stirn. Dann packte sie sie bei den Armen und rüttelte sie einmal kurz. „Rosalie, was soll das!“

 

Das schien Rosalie zu Besinnung gebracht zu haben. Sie erstarrte augenblicklich. „Vergibt mir, Lady Oscar...“, wisperte sie kleinlaut und senkte beschämt ihre feuchten Wimpern. „Gestattet mir aber bitte Euch zu begleiten, nur dieses eine Mal...“

 

„Nun gut, aber beeile dich.“ Oscar ließ sie abrupt los und lief mit langen Schritten aus dem Zimmer.

 

Rosalie war am verzweifeln. Die Königin hatte alles was ihr Herz begehrte und sie nur die Zuneigung zu Lady Oscar! Sie sollte sich beeilen, hatte sie zu ihr gesagt. Also gut, dann würde sie Lady Oscar nachrennen. Rosalie glättete ihr schlichtes und rosafarbenes, aber hübsches Kleid. Oscar hatte es ihr geschenkt und nun trug sie es für gewöhnlich. Gleich darauf verließ sie ihr Zimmer und eilte zu Oscars Gemächern. Sie erreichte die große Treppe, lief hinauf und in dem langen, kaum beleuchteten Gang, entdeckte sie André. Dieser trat gerade in Oscars Salon ohne anzuklopfen ein. „Dann muss Lady Oscar mit dem Umkleiden fertig sein...“, war Rosalies Gedanke. Also konnte sie genauso wie er ohne anzuklopfen in Oscars Zimmer reingehen. Lady Oscar und André warteten bestimmt nur noch auf sie. Rosalie wurde eines besseres belehrt, als sie den Türknauf lautlos drehte und die Tür Spaltbreit aufstieß. Weiter kam sie nicht. Mit vor Schreck geweiteten Augen, eiskaltem Schauer über den Rücken und erstarrten Gliedern, rührte sie sich nicht von der Stelle.

 

André umfasste Oscar gerade um die Hüfte, zog sie schwungvoll an sich und verschloss ihren Mund mit seinen Lippen. Oscar schien für kurz überrascht zu sein, aber dann legte sie ihm eine Hand um den Nacken und erwiderte seinen Kuss hingebungsvoll. Aber nur für einen Wimpernschlag. Dann trennten sich die beiden von einander, als wäre nichts geschehen. „Es ist genug“, flüsterte Oscar trocken und zog ihre rote Uniformjacke an, die sie die ganze Zeit mit anderen Hand gehalten hatte. Der Blick, den sie dabei André zuwarf, sprach allerdings eine andere Sprache: Das Feuer der Leidenschaft loderte darin, wie es Rosalie noch nicht in ihr gesehen hatte! Wenn überhaupt je ein Mensch solches bei Lady Oscar gesehen hatte! André sah sie noch liebevoll an und dann verlöschte sich der Glanz der Liebe bei allen beiden. „Wir treffen uns an der Kutsche“, sagte André in einem neutralen Ton und machte sich auf den Weg.

 

Rosalie erwachte aus ihrer Starre und flüchtete in die Dunkelheit des langen Ganges. Gerade rechtzeitig. André stürmte aus dem Zimmer, ohne sie zu entdecken. Wie denn auch?! Er war in Gedanken bestimmt noch bei Oscar! Mit anlaufenden Tränen in den Augen, presste sich Rosalie gegen die Wand. Das Bild, das sie eben gesehen hatte, brach ihr das Herz. Sie hatte nichts gegen André. Sie hatte sich gar mit ihm angefreundet. Er war ja ihresgleichen. Lady Oscar war da eine Ausnahme. Sie gehörte zwar dem Adel an, aber sie war nicht so verkommen, besaß ein gutes Herz und kämpfte für die Gerechtigkeit. Oscar und André! Wie lange lief das schon zwischen ihnen? Und warum fühlte sie, Rosalie, sich so, als würde ein Messer in ihrem Brustkorb stecken?

 

Nein! Das durfte nicht wahr sein! Sie durfte diese Gefühle nicht haben! Im Gegenteil! Sie sollte sich für Lady Oscar und André freuen! Sie gaben doch so ein schönes Paar ab!

 

Rosalie trocknete ihre Tränen mit dem Ärmel, entriss sich von der Wand und schleppte sich zur Tür zurück. Sie sammelte ihren Mut zusammen und klopfte zaghaft an. Nach einem festen „Herein“ von Lady Oscar, öffnete sie die Tür und trat über die Schwelle.

 

„Ah, Rosalie! Du bist also schon fertig!“ Oscar gurtete gerade ihren Degen um die Hüfte. Dann ordnete sie den hochstehenden Kragen an ihrer roten Uniform und kam auf Rosalie zu. „Jetzt bin ich auch soweit.“

 

Rosalie wagte nicht ihren Blick zu heben und Lady Oscar ins Gesicht zu sehen, als hätte sie etwas verbrochen. Sie nickte nur stumm mit ihrem Kopf. Plötzlich spürte sie eine sanfte Hand auf ihrem Schulter und zwei Finger unter ihrem Kinn. Die Finger zwangen ihr Gesicht sachte nach oben. Ob sie wollte oder nicht, musste sie nun Lady Oscar ansehen. Himmelblaue Augen, voller Mitgefühl und Beherrschtheit, drangen bis in die Tiefe ihres Inneres. „Was ist passiert, Rosalie?! Du zitterst ja!“

 

„Ich...“ Rosalie stockte. Nicht nur sie, sondern auch ihre Stimme zitterte. „Vergibt mir, Lady Oscar... ich... ich werde es nie wieder tun...“

 

„Was wirst du nie wieder tun?“, hackte Oscar milde nach, obwohl ihre Gesichtszüge sich verhärteten.

 

„Ich habe Euch mit André gesehen, Lady Oscar... das war aber nicht mit Absicht... ich... ich schwöre es! Und ich werde es für mich behalten!“, platzte es Rosalie in einem verzweifelten Wortschwall heraus. Sie rechnete fest mit ihrem Zorn oder damit sofort vor der Tür gesetzt zu werden, aber es geschah nichts.

 

Oscar wirkte selbst wie versteinert. Ihr Geist arbeitete schnell, ihr Blick verriet die Fassungslosigkeit in ihr und ihr Puls beschleunigte sich. Aber dies war nicht von langer Dauer. Sie fand schnell ihre Fassung zurück, legte die zweite Hand auf Rosalies andere Schulter und brachte gar ein mattes Lächeln zustande. „Ach, meine arme Rosalie... Ich bin dir nicht böse. Du kannst nichts dafür. André und ich werden beim nächsten Mal besser aufpassen. Also komm, der Kutscher wartet.“

 

Wie edel Lady Oscar doch ist!“, dachte Rosalie bei sich, während sie mit Oscar nach draußen ging. Sie schwor sich insgeheim, Lady Oscar und André den Liebesglück zu gönnen und sie niemals zu verraten!

Hinterhalt

Auf dem Weg nach Versailles herrschte in der Kutsche eine gespenstische Stille. Nur von draußen hörte man das Hufklappern der Spannpferde und das Rattern der Räder des Gefährt in der abendlichen Dunkelheit. Man konnte draußen kaum etwas erkennen. Dennoch gewöhnten sich die Augen an diese Düsternis und man erkannte unzählige Umrisse der Bäume. Oscar entriss ihren Blick von dem Fenster und richtete ihn stutzig auf André. „Ich glaube nicht, dass das der Weg nach Versailles ist.“

 

„Vielleicht hat der Kutscher eine Abkürzung genommen...“, vermutete der junge Mann, obwohl ihm diese Waldgegend auch nicht geheuer war.

 

Die Kutsche verlangsamte sich und blieb plötzlich stehen. Oscar, André und Rosalie kamen nicht einmal dazu, sich darüber zu wundern. Der Kutscher sprang schon bereits vom Kutschbock und rannte Hals über Kopf davon. Finstere Gestalten umkreisten das Gefährt. „Ich glaube, die führen nichts gutes im Schilde“, äußerte André seinen Bedenken knurrend aus und hielte schon seinen Degen bereit.

 

„Das glaube ich auch!“ Oscar tat es ihm gleich, stieß wütend die Kutschtür auf und musste schon den ersten Mann abwehren. Sie kämpfte mit Zweien. André mit drei. Rosalie hatte leider keine Waffe dabei, um mitkämpfen oder sich verteidigen zu können. Einer der Schurken stieg zu ihr in die Kutsche und sie schrie um Hilfe. Oscar hörte sie, erledigte einen der Angreifern und warf ihren Degen auf den Schurken an der Kutsche. Wie ein Pfeil sauste die Klinge durch die Luft und durchbohrte ihr Ziel mit einem tödlichen Ende. Oscar atmete erleichtert auf und dachte dabei kurzzeitig nicht an ihre eigene Sicherheit. Einer der Banditen stach hinterhältig in ihren Rücken. Oscar spürte einen stechenden Schmerz zwischen ihren Schulterblättern, hörte den entsetzten Schreckenslaut von Rosalie und André, und kippte nach vorn.

 

Bäuchlings lag sie im Gras, kämpfte krampfhaft mit dem heftigen Schmerz in ihrem Rücken und versuchte sich hochzurappeln. Zwecklos. Ihre Glieder gehorchten ihr nicht, alle ihre Kraft war wie fortgespült und schwarzrote Pünktchen tanzten vor ihren Augen. Nur schwach vernahm sie eine rollende Kutsche und eine tiefe Stimme wahr, die ihren Namen lauthals rief.

 

Die nahende Kutsche schlug die restlichen Banditen in die Flucht und Oscar spürte Hände, die sie hoben und umdrehten. Oscar bildete sich dabei ein, den Grafen von Fersen gehört zu haben und fiel in tiefe Ohnmacht.

 

 

 

 

 

Als Oscar nach einigen Stunden ihr Bewusstsein wieder erlangte, bestätigte sich ihre Einbildung: Graf von Fersen stand höchstpersönlich vor ihrem Bett und wirkte überaus erfreut. „Ihr seid erwacht, Lady Oscar!“

 

„Dann war das keine Einbildung...“, murmelte sie schwach und versuchte sich hochzuziehen. Sofort meldete sich der brennender Schmerz zwischen ihren Schulterblättern und ihr Gesicht verzog sich. Zusätzlich befand sich ihr rechter Arm in der Schlinge. Trotzdem gab sie nicht nach, stützte sich auf ihren linken Ellbogen und rappelte sich hoch.

 

„Bleibt noch liegen, Oscar...“, hörte sie den Grafen umsorgt sagen, aber machte weiter, bis sie richtig aufsaß. Von Fersen kam mit ihrer roten Uniformjacke an das Bett und legte sie ihr um die Schultern. „Danke Graf.“ Oscar sah ihm ins Gesicht, als wollte sie noch nicht richtig glauben, dass er zurück war. „Ihr seid also wirklich zurückgekommen...“

 

„Ja, Lady Oscar. Es sind schon vier Jahre her, als wir uns zuletzt gesehen haben.“

 

Vier Jahre! Wie schnell die Zeit doch verging! Von Fersen, Marie Antoinette und sie, Oscar, würden dieses Jahr dreiundzwanzig Jahre zählen! André war ein Jahr älter als sie. Oscar fühlte sich merkwürdigerweise schon zu alt. Vielleicht lag es an ihrer Verletzung. Sie krächzte und ächzte schon jetzt wie eine alte Frau. „Danke, Graf, Ihr habt mir das Leben gerettet.“

 

„Keine Ursache, Lady Oscar. Ich war ohnehin auf dem Weg zu Euch, um meine Aufwartung zu machen.“

 

„Habt Ihr eigentlich nicht vor, auch Marie Antoinette einen Besuch abzustatten? Sie wird sich sehr freuen.“

 

„Ich muss vorerst für fünf oder sechs Tagen wegfahren. Danach komme ich sie besuchen.“

 

„Verstehe...“ Oscar fragte nicht nach dem Grund seiner Abreise. Das ging sie nichts an. Hauptsache war er wieder in Frankreich. So konnte sie wenigstens ihr Gewissen bereinigen, dass sie ihn damals dazu bewogen hatte, das Land zu verlassen und in seine Heimatland Schweden zurückzukehren.

 

Rosalie kam lautlos in das Zimmer herein, grüßte sie mit einem Knicks und stellte die mitgebrachte Vase mit weißen Rosen auf dem Kaminsims ab.

 

„Ich kenne Euch doch...“, murmelte von Fersen, bei genaueren Betrachtung der jungen Frau.

 

Rosalie drehte sich um und blieb von der anderen Seite des Bettes stehen. „Wir sind uns schon einmal begegnet. Das war vor vielen Jahren in Paris.“

 

Graf von Fersen leuchtete sogleich alles ein: Es war ein Nachmittag, er war mit einer Kutsche unterwegs und hatte beinahe ein junges Mädchen überfahren. Er hatte ihr gleich geholfen, nach ihrem Befinden gefragt und als sie sagte, dass es alles in Ordnung sei, war er weitergefahren. Oscar sah von Rosalie auf den Grafen und zurück. „Wie interessant. Ihr seid euch also schon einmal begegnet...“ Sie stellte Rosalie sogleich dem Grafen vor und dieser fragte nach, ob sie vielleicht wüsste, wer sie überfallen haben könnte.

 

„Es kommt nur eine Person in Frage, die zu so etwas fähig ist!“, platzte es unverfroren aus der jungen Frau heraus.

 

„Rosalie!“, ermahnte Oscar sie streng und sah entschuldigend von Fersen an. „Wir können uns natürlich zusammenreimen, wer das gewesen sein könnte, aber wir haben leider keinerlei Beweise.“

 

„Ich verstehe was Ihr meint, Oscar.“ Graf von Fersen wollte diesbezüglich nicht mehr weiter nachhaken. „Ich werde mich dann verabschieden. Ruht Euch aus. Ich werde Euch in ein paar Tage erneut besuchen.“

 

„Lebt wohl, Graf“, verabschiedete ihn Oscar und geleitete ihn mit ihrem Blick bis er fort war. Dann richtete sie ihren Augenmerk auf Rosalie, die weiterhin vor dem Bett ungerührt stand. Oscar war innerlich erfreut festzustellen, dass Rosalie keine Verletzung aus dem Überfall davon getragen hatte und dabei fiel ihr ihr Geliebter ein. „Wo ist eigentlich André? Geht es ihm gut?“

 

„Er ist unversehrt, Lady Oscar. Er geleitet nur Doktor Lasonne hinaus“, berichtete Rosalie mit einem Leuchten in ihren Augen und faltete gerührt ihre Hände vor der Brust. „Soll ich ihn zu Euch rufen?“

 

„Das ist nicht nötig, Rosalie.“ Oscar sah sie kühl an, aber eine gewisse Sanftheit in der Stimme konnte sie dabei nicht unterdrücken. „Ich bitte dich, opfere dich nicht für uns und spiele nicht unsere Vermittlerin. Wenn die Sache ans Licht kommen würde, möchte ich nicht, dass du mit hineingezogen wirst.“

 

„Aber ich möchte Euch so sehr helfen, Lady Oscar!“ Rosalie´s Stimme nahm einen flehenden Klang an: „Ihr macht doch schon so viel für mich! Lasst mich bitte auch etwas für Euch tun!“

 

„Rosalie...“

 

„Bitte, Lady Oscar! Weist mich nicht ab!“

 

„Also gut...“ Schweren Herzens gab Oscar nach. Es widerstrebte ihr, Rosalie mit hineinzuziehen. Aber vielleicht war es besser so, wenn sie und André jemanden hatten, der auf ihre Seite stand und ihnen in manchen Sachen beistand.

 

Im Salon ging die Tür auf und raschelnde Schritte setzten dem vertraulichen Gespräch ein Ende. Madame de Jarjayes und Sophie betraten Oscars Bettzimmer. „Graf von Fersen sagte uns, du seist erwacht, mein Kind.“ Emilie de Jarjayes befühlte Oscars Stirn und setzte sich neben ihr auf der Bettkante. „Wie fühlst du dich?“

 

„Ganz gut, Mutter.“ Oscar brachte ein schwaches Lächeln zu Stande. Sie würde ihr nie zugeben, dass sie eigentlich noch Schmerzen hatte.

 

„Oh, ich bin so froh...“, schluchzte Sophie nicht weit weg von Madame de Jarjayes und Tupfte ihre Augen unter der Brille mit einem Taschentuch.

 

„Ich bin eigentlich noch so schrecklich müde...“ Oscar täuschte ein Gähnen vor. So viel Besucher auf einmal verursachten ihr Unbehagen.

 

„Dann ruhe dich aus, mein Liebling.“ Emilie erhob sich, beugte sich vor und hauchte ihr ein Kuss auf die Stirn, obwohl sie wusste, dass Oscar das nicht sonderlich mochte und nur aus reiner Höflichkeit dies über sich ergehen ließ.

 

„Gute Nacht, Mutter.“ Oscar lächelte matt und in ihren sonst so kühlen Blicken flammte eine Wärme auf, die Emilie bei ihr noch nie gesehen hatte. Ihr mütterliches Herz zog sich wehmütig zusammen. Es sah danach aus, als sehne sich ihre Tochter nach Geborgenheit, was sie sich jedoch niemals eingestehen würde. Das war bestimmt nur ein kleiner Moment der Schwäche durch ihre Verletzung. Morgen würde sie wieder hartherzig zu sich selbst sein und ihre Mitmenschen mit distanzierten Höflichkeit behandeln. Das arme Kind! Der General hatte mit seiner Erziehung, Disziplin und Härte, alles in ihr zerstört, was eine weiche, zarte und liebevolle Frau ausmachte. Nur das Äußerliche sagte, sie sei eine Frau, aber innerlich war sie zu einem Soldaten abgerichtet worden.

 

Emilie seufzte tief. „Schlaf schön, mein Kind. Wir werden dich heute nicht mehr stören.“ Zeitgleich deutete sie Rosalie und Sophie mit einem Wink an, ihr zu folgen. „Wir schauen morgen nach ihr.“ In der letzten Zeit war Madame de Jarjayes öfters zuhause und kümmerte sich um den Haushalt. Ihr ging es ohnehin nicht wohl. In dieser Hinsicht war die Königin zuversichtlich und empfahl ihr häufig, sich im trauten Heim zu erholen. Nun befand sich auch ihre Tochter daheim und sie würde sich um sie kümmern, ob diese wollte oder nicht! Schließlich war sie ihr Kind! Ihr eigen Fleisch und Blut!

 

 

 

Ab nächsten Tag durchzog Emilie ihr Vorhaben mit einer gewissen Strenge und Unnachgiebigkeit durch: „Oscar, du bekommst ab nun eine Hühnersuppe zu Mittag!“

 

„In Ordnung, Mutter...“

 

„Oscar, du kannst doch nicht schon am zweiten Tag dein Zimmer verlassen! Der Doktor sage, du sollst mindestens vier Tage im Bett bleiben! Sonnst kannst du nie mehr dein Arm bewegen!“

 

„Wenn es so ist, Mutter...“

 

„Oscar, du kannst doch nicht schon am vierten Tag nach deiner Bettruhe ausreiten! Du trägst dein Arm immer noch in der Schlinge! Und das gilt auch für das Fechten!“

 

„Wie Ihr es wünscht, Mutter...“

 

Nun gut, die mütterliche Fürsorge war ein wenig übertrieben, aber Oscar nahm alles gelassen hin. Sehr eigenartig für ihr hitziges Temperament und ihre kämpferische Natur. Sie spielte meistens Klavier, las Bücher oder ging mit Rosalie und André im Garten spazieren. Wenn nur Madame de Jarjayes wüsste, dass Oscar alles deswegen ertrug, weil ausgerechnet diese zwei Menschen schon mit ihrer bloßen Anwesenheit ihr das Leben tagtäglich versüßten.

 

 

 

Nach einer knappen Woche suchte Graf von Fersen sie wieder auf. Er war auf dem Weg nach Versailles und schaute bei Oscar vorbei. Und da war es mit all der Gelassenheit aus und vorbei. Als hätte man Oscar das Feuer unter den Hintern angezündet, verlangte sie sofort nach ihrer Uniform und brach mit dem Grafen nach Versailles auf. Da aber ihr Arm in der Schlinge das Reiten noch unmöglich machte, nahm sie ausnahmsweise eine Kutsche, was Emilie etwas das Herz am Ende doch noch erleichterte. Oscar hatte doch schon genug hinnehmen müssen und sie war heilfroh, dass es ihr schon wesentlich besser ging. Das war die Hauptsache und damit konnte Emilie leben.

Verbotene Liebe

Marie Antoinette war überaus erfreut, Oscar soweit genesen zu sehen. Die größte Freude war ihr jedoch, als sie Graf von Fersen an ihrer Seite gesehen hatte. „Das ist schön, dass Ihr mich besucht.“ Marie Antoinette tat zwar beherrscht, aber ihre glänzende Augen verrieten wie überglücklich sie darüber war. Ihr Herz flatterte ihr buchstäblich aus der Brust und erfüllte sie mit einem neuen Glanz des Lebens. Sie lud ihn selbstverständlich ein, beim heutigen Hofballabend zu bleiben und von Fersen nahm die Einladung dankend an.

 

Allerdings war ihm nicht nach tanzen zumute. Er stand abseits der tanzenden Paare an einem großen Fenster und hörte der Musik lustlos zu. Sein Herz schmerzte, der Königin so nahe zu sein und doch sie nicht haben zu dürfen. Oscar leistete ihm die Gesellschaft und an ihr war nichts anzusehen, was in ihr so vorging. Von Fersen schüttete ihr sein Herz aus, was Oscar mit Entsetzen bekundete: „Hochzeit?“, fragte sie empört: „Deswegen wart Ihr für sechs Tage fort?“

 

„Das war der Wunsch meines Vaters, dass ich heirate und mich in Schweden niederlasse“, bestätigte ihr von Fersen mit traurigem Blick.

 

„Wie Ihr meint.“ Oscar hätte gerne etwas anderes gesagt, aber das wäre aussichtslos. So oder so besaß Graf von Fersen kaum eine Chance mit Marie Antoinette zusammen zu sein. Die Folgen einer Liebe zwischen den beiden wären sehr schwerwiegend. Das schmerzte und Oscar konnte von Fersens Entscheidung im Grunde genommen nachvollziehen. Allerdings war sie wieder empört, als er mitteilte, dass er seine zukünftige Braut noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Das war für sie eine unfassbare Vorstellung. „Wie bitte? Ihr wollt eine Frau heiraten, die Ihr nicht kennt, geschweige denn liebt?!“

 

„Was wollt Ihr, Oscar?!“, konterte der Graf verbittert und packte Oscar ungewollt fest bei den Schultern: „Denkt Ihr, man kann heutzutage aus Liebe heiraten?“ Er merkte, wie Oscar schmerzlich das Gesicht verzog und ließ sie gleich besonnen los. „Vergebt mir. Ich habe die Beherrschung verloren, bitte verzeiht.“ Er senkte reuevoll den Blick und drehte sich zu dem großen Saalfenster um.

 

Oscar hatte sich auch schon gefangen, trotz dem das ihre Schulter noch schmerzlich brannte. Jedoch dachte sie nicht an ihre Wunde. Der Graf tat ihr leid. Sie fühlte mit ihm und fragte sich insgeheim, welche Liebe war wohl qualvoller?! Die Liebe mit jemanden auszukosten, aber dafür sie vor allen Augen der Welt verbergen zu müssen, weil sie verboten war? Oder jemanden stillschweigend zu lieben, weil sie unerreichbar war? Oscar wusste es nicht zu sagen. „Ich verstehe Euch, Graf“, sagte sie stattdessen halblaut: „Wir sind gleich.“

 

Von Fersen drehte sich hellhörig zu ihr um. „Wie meint Ihr das?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass der kühle und distanzierte Kommandant Oscar seine Gefühle verstand und dazu auch noch sich mit ihm gleich fühlte. Mit dem Rang und Adelstitel ja, aber in Herzensangelegenheit? Und das ausgerechnet von Oscar?

 

„Ich sage es mal so, Graf...“, erklärte sie ihm ohne ihren Blick von dem seinen abzuwenden und dabei glaubte von Fersen etwas geheimnisvolles darin entdeckt zu haben, was zu ihrer Natur gar nicht passte. Das überraschte ihn und er hörte sie aufmerksam zu: „...Ich wurde zwar wie ein Mann erzogen, aber bleibe für immer eine Frau. Das gleiche gilt für meine Gefühle. Ich kann sie verbergen oder unterdrücken, aber auslöschen kann ich sie nicht. Und ich will das auch nicht, weil ich dann einen mir sehr teuren und geliebten Menschen verletzen werde.“

 

„Ihr meint, Ihr liebt einen Mann?“ Von Fersen dachte, er habe sich verhört.

 

Oscars Mundwinkel zogen sich leicht nach oben, obwohl ihr Blick streng auf ihn gerichtet bestehen blieb. „Glaubt mir, es wird gesünder für alle Mitbeteiligten sein, wenn ich Euch jetzt keine Antwort darauf gebe. Hier am Hofe haben die Wände Ohren.“

 

„Ich verstehe, was Ihr meint, Oscar.“ Das war keine Drohung ihrerseits, wurde dem Grafen sogleich bewusst, eher eine undurchschaubare Bestätigung auf seine Vermutung. Also liebte Oscar in der Tat einen Mann! Aber wer war der Mann ihres Herzens? Oscar gab sich doch mit keinen Männern vom Hofe ab! Zu allen, ob Mann oder Frau, war sie distanziert und ging mit ihnen nur höflich um, weil es die Etikette so verlangte und bis auf ein paar Sätze, war sie nicht sonderlich gesprächig. Und fast überall, wo sie hinging, begleitete sie ihr treuer Freund André. Vielleicht war er der Mann ihres uneinnehmbaren Herzens? Aber sie behandelte ihn doch genauso wie die anderen! Diese Frau in Uniform gab dem Grafen noch mehr Rätseln auf.

 

 

 

Beim nächsten Besuch am Hofe erschien Graf von Fersen in der Uniform eines schwedischen Dragoners und teilte der Königin, mit gebeugten Knie und gesenkten Blick, seine Heiratspläne mit.

 

„Graf von Fersen!“, zischte Oscar halblaut im Hintergrund. Es erschreckte sie, dass von Fersen der Königin so etwas sagte.

 

Marie Antoinette zeigte sich zwar würdevoll und anmutig, aber ihre glasigen Augen verrieten, dass ihr Herz gebrochen sein müsste. Nach den geheuchelten Glückwünschen hielt sie es nicht mehr aus und rannte davon.

 

Später, in dem großen Garten von Versailles stellte Oscar den Grafen zu Rede: „Warum habt Ihr Marie Antoinette von Euren Heiratspläne erzählt?!“

 

„Sollte ich ihr etwa sagen, dass ich sie liebe?“, konterte von Fersen aus Verzweiflung und Schmerz: „Offenbar vergesst Ihr, dass sie die Frau des Königs von Frankreich ist!“

 

„Das ist mir vollkommen bewusst, Graf.“ Oscar stand an einem der Bäume ihm gegenüber und betrachtete ihn mit vermischten Gefühlen aus Mitleid und Vorwürfen. Im Gegensatz zu ihr, war der Graf mit seiner Liebe ärmer dran. Denn weder sie noch André waren mit jemanden verheiratet. Naja, in einer anderen Hinsicht schon. Und zwar miteinander, mit ihren Körpern und Herzen. Es fehlte nur noch der offizieller Ehebund, aber dafür musste entweder sie von ihrem Adelsrang enthoben, oder André in den Adelsrang erhoben werden. Alles beides erschien zur Zeit für sie unerfüllbar. Die Hofgesellschaft würde keine der beiden Variationen anerkennen, besonders die Liebe zwischen ihnen würde als Skandal gelten und mit allen Mitteln vernichtet. Wie ungerecht war diese Welt doch geschaffen!

 

„Oscar?“ Graf von Fersen entriss sie aus ihren Grübeleien: „Fehlt Euch etwas?“

 

„Es ist alles in Ordnung.“ Oscar strafte ihre Haltung noch gerader und wandte sich zum Gehen ab: „Es wird vielleicht besser sein, wenn Ihr morgen nicht mit zu Oper kommt.“

 

„Ja, vielleicht“, murmelte von Fersen niedergeschlagen.

 

„Lebt wohl, Graf.“

 

„Wartet, Oscar! Geht noch nicht, bitte!“, hielt er sie auf, kaum sie los ging.

 

Oscar blieb stehen und drehte sich zu ihm um. Es behagte ihr nicht, noch länger hier zu verweilen. Der Mitleid mit diesen Mann umfasste ihr ganzes Inneres. „Was möchtet Ihr, Graf?“

 

Von Fersen wusste erst einmal nicht, wo er beginnen sollte. Es war gut möglich, dass Oscar ihm darauf keine oder eine ihrer rätselhaften Antworten geben würde. Aber andererseits wollte er es doch so gerne erfahren. „Gestern sagtet Ihr mir, wir sind mit unseren Gefühlen gleich. Ich will Euch keineswegs zu nahe treten, Oscar, aber verratet mir bitte, ob Ihr mit dem Mann Eures Herzens glücklich seid? Und wie stellt Ihr es nur an, dass kein Mensch von Euren Liaison mitbekommt?“

 

„Das verdanke ich meiner Erziehung. Ich kann meine Gefühle verbergen und darüber bin ich froh. Sonst stünde ich jetzt nicht mehr vor Euch.“ Oscar sprach aufgeschlossen, aber verriet dennoch nicht alles: „Und ja, ich bin auf eine Art mit dem Mann glücklich. Ich bin schon seit klein auf mit ihm zusammen und uns kann nichts trennen. Jetzt entschuldigt mich bitte. Ich muss los.“ Oscar zeigte flüchtig ein mattes Lächeln, dann war sie schon fort und ließ den Grafen im Garten von Versailles völlig alleine.

 

Von Fersen musste ihre Worte verarbeiten. Oscar hatte zwar keinen Namen genannt, aber ihre Aussage, dass sie mit dem Mann ihres Herzens seit klein auf zusammen war, erklärte ihm so einiges. Dass es ihr dabei um ihren treuen Freund André ging, hatte von Fersen eigentlich schon vermutet, dennoch traf es ihn trotzdem überraschend. Nun gut, sollten Oscar und André dann ihren Liebesglück genießen solange sie es noch konnten. Das war fast die gleiche verbotene Liebe, wie zwischen ihm und der Königin. In dieser Beziehung waren er und Oscar wahrhaft mit ihren Gefühlen gleich.

 

Trotz der Empfehlung, am morgigen Abend nicht in die Oper mitzukommen, erschien er trotzdem, weil ihn die Königin ohnehin eingeladen hatte. „...aber Ihr hattet recht...“, gestand er Oscar gleich nachdem er mit ihr aus der Kutsche gestiegen war. „...es ist besser, wenn ich heute hier bleibe und ihr heute nicht begegne...“

 

„Wie Ihr wünscht.“ In dem Unterton von Oscar schwankte auch etwas vom Bedauern mit.

 

Als von Fersen aufsah, kehrte sie ihm schon den Rücken und marschierte in die Oper. Von Fersen unternahm noch einen kurzen Spaziergang durch den nahegelegenen Park und ob es der Zufall so wollte oder nicht, traf er unverhofft auf Marie Antoinette. Angeblich plagten sie die Kopfschmerzen und deshalb war sie an die frische Luft gegangen. Von Fersen beugte vor ihr das Knie und entschuldigte sich für die gestrigen Worte. Marie Antoinette beglückwünschte ihn noch einmal zu der Heirat und ihre Stimme stockte. Tränen sammelten sich in ihren Augen, ihr Herz zerbrach in Scherben und sie lief wieder weg. Sie kam nicht weit. Sie stolperte über eine heraustretende Wurzel eines Baumes und fiel. Graf von Fersen kam aus Sorgen zu ihr angelaufen und da warf sie sich in seine Arme. Sie liebte ihn und bat, er solle für einen Moment vergessen, dass sie die Königin von Frankreich war. Von Fersen tat ihr den Gefallen, denn er liebte sie auch von ganzem Herzen. Zeitgleich fielen ihm Oscar und André ein. Wenn diese beiden ihre Liebe zueinander vor der ganzen Welt und der Hofgesellschaft verstecken konnten, würde er das auch schaffen.

Die Affäre

Wochen vergingen und Oscar hatte sich von ihrer Verletzung endgültig erholt. Sie trug ihren Arm nicht mehr in der Schlinge, konnte wieder wie früher ausreiten und ihren Degen führen.

 

Etwa um die Zeit brodelte langsam die Gerüchteküche über die Affäre zwischen der Königin und dem Grafen von Fersen. Sie waren bemüht, in der Öffentlichkeit eine geordnete Distanz zueinander hervorzubringen, als würden sie sich kaum kennen und dennoch half das nicht im Geringsten. Man munkelte trotzdem hinter ihrem Rücken und von Fersen fragte sich, wo das alles hinführen sollte. Er musste unbedingt eine Lösung finden, um Marie Antoinette von bösen Zungen zu schützen!

 

Nach einem nächtlichen Treffen mit ihr, beim nebligen Morgengrauen, suchte er Oscar auf - den einzigen Menschen, dem er noch vertrauen konnte und mit dem er sich in Herzensangelegenheiten verbunden fühlte. Dieser Mensch absolvierte gerade ihr Fechttraining mit André im Hinterhof des Anwesens. Rosalie kam vorbei und meldete ihnen sein Besuch.

 

„Graf von Fersen, seid uns willkommen“, grüßte ihn Oscar erfreut und bat sogleich Rosalie: „Sei so nett und bereite für uns bitte ein Tee in meinem Salon.“

 

„Wird gemacht, Lady Oscar.“ Rosalie vollführte einen Knicks und eilte mit einem kleinen Lächeln davon.

 

André blieb dagegen bei Oscar. Er wollte unbedingt auch wissen, was den Grafen zu dieser früheren Stunde hierher führte. Es stellte sich schnell heraus, dass er eine kleine Ablenkung suchte. „Habt Ihr etwas dagegen, wenn ich mit Euch auch etwas im Fechten übe?“, bat er Oscar höflich.

 

„Warum auch nicht“, erwiderte diese schmunzelnd: „André, würdest du ihm bitte deinen Degen leihen?“

 

„Aber natürlich, Oscar.“ André tat ihr den Gefallen und beobachtete vom nahestehenden Brunnen, wie die zwei miteinander kämpften. Besonders seine Oscar ließ er nicht aus den Augen. Wie fließend und flink waren doch ihre Bewegungen! Von der Seite des Betrachters kam sie ihm viel geschmeidiger und wendiger vor, als wenn sie mit ihm übte. „Das machst du gut, meine Liebe! Zeig ihm was du kannst!“, lobte er sie in Gedanken und sein Herz erfüllte sich aufs Neue mit Zuneigung und Stolz. Im Hintergrund jedoch schlich sich auch der Wehmut dazu. Mit Oscar zusammen zu sein und die wundervolle Momente der Liebe mit ihr auszukosten, war eine Sache. Dies aber von allen Augen der Welt zu verbergen und das auch noch über vier Jahre, war eine ganz andere Angelegenheit. Oscar schien damit glücklich und zufrieden zu sein, aber er machte sich in der letzten Zeit Gedanken, wie es nun mit ihnen weiter gehen sollte...

 

Die Liebe auf immer und ewig geheim zu halten und so zu tun, als wären sie nur gute Freunde seit Kindertagen, konnte André sich schwerlich vorstellen. Das erschreckte ihn sogar. Mittlerweile zählte er schon fünfundzwanzig Jahre und seine Geliebte ein Jahr jünger. Ein gutes Alter für ihn, um sesshaft zu werden und eine Familie zu gründen, aber mit Oscar würde das anscheinend unerfüllt bleiben...

 

Rosalie kam wieder zu ihnen gelaufen und meldete, dass der Tee angerichtet sei. Oscar und von Fersen brachen ihre Fechtübung ab und gingen ins Haus. André folgte ihnen, weiterhin in Gedanken über sich, seiner Geliebten und ihre heimlichen Liebe versunken. Trotzdem entging ihm nichts aus der Unterhaltung.

 

Nach dem Teegeplänkel verabschiedete sich von Fersen und André ergriff das Wort: „Ganz Frankreich spricht schon von der Affäre zwischen dem Grafen und Marie Antoinette. Hast du gesehen, wie er gelitten hat?“

 

„Ja, das habe ich.“ Oscar stand am Fenster und sah bedrückt in den Hof hinaus.

 

„Wenn ihm die Liebe so schmerzt, warum lässt er sich dann auf sie ein?“, fügte André hinter ihr am Tisch hinzu.

 

„Du sprichst so, als würdest du selbst unter Liebeskummer leiden“, merkte Oscar an und drehte sich zu ihm um.

 

André erhob sich und ging langsam auf sie zu. „Das weniger, meine liebste Oscar.“ Er blieb auf eine Handbreite Distanz zwischen ihnen stehen. Entgegen seiner sanften Stimme, wagte er sie nicht anzurühren. Es herrschte noch heller Tag und es könnte jedermann ihren Salon betreten. „Dennoch schmerzt es mich, dir nur im Verborgenen nahe zu sein. Ich wünschte, wir könnten ein normales Ehepaar sein und bräuchten uns nicht verstellen. Ich weiß nicht, wie es bei dir ist, aber das ist das einzige, was zumindest mich quält.“

 

„Ich verstehe...“ Oscar erging es nicht anders wie ihm. Nur konnte sie besser ihre Gefühle niederringen als er. Sie hob ihre Hand und berührte mit ihren Fingerspitzen sachte seine Wange. Dabei sah sie ihm tief in die Augen und etwas leidenschaftliches flammte in ihr auf.

 

André hätte ihr diese Leidenschaft gerne erwidert, aber es war gerade zu gefährlich. „Oscar, bitte... Du machst die Sache nur noch schwerer...“

 

„So ist es also...“ Ruckartig zog Oscar ihre Hand von seiner Wange, als hätte sie sich verbrannt. Nur in ihrem Blick blieb noch der Glanz der Liebe bestehen. „Dir genügt wohl nicht unser heimlicher Liebesglück...“

 

„So habe ich das nicht gemeint, Oscar...“ André bereute schon, was er ihr zuvor gesagt hatte.

 

„Wie dann?“ In Oscars Blick erlosch der Rest des liebevollen Glanzes und ihre Stimme nahm einen schroffen Tonfall an: „Zuerst vergleichst du unsere Liebe mit der des Grafen und der Königin! Dann offenbarst du mir, was dich quält und wenn ich dir entgegenkomme, willst du das nicht mehr haben! Denkst du ich nehme deine Gefühle nicht ernst und spiele mit ihnen?!“

 

„Nein, Oscar! Ich weiß, dass du so etwas nie machen würdest!“, versicherte André ihr aufrichtig, obwohl ihm unwohl zu Herzen wurde. Er wollte sie nicht verstimmen und versuchte sein unbeabsichtigten Fehler gerade zu biegen: „Ich wollte dir nur damit sagen, dass es uns genauso passieren könnte wie dem Grafen, wenn wir genauso unvorsichtig sind wie er! Das sind wir aber nicht! Deswegen sagte ich, warum er sich auf die Liebe einlässt, wenn sie ihn schmerzt?! Er hätte auch so tun können wie wir, aber das hat er nicht! Jetzt geraten er und die Königin in Verruf!“

 

„Und daher dein Wunsch, ein normales Ehepaar zu sein...“, schloss Oscar für ihn ab.

 

„Ja, so ist es.“

 

„Ach, André...“, entrann Oscar ein Seufzer. In ihrer Stimme schwang ein Hauch von Mitgefühl und Verständnis mit: „Und ich wünschte, wir können auch so glücklich sein...“

 

„Das sind wir, Oscar...“ André gab ihr zu Liebe nach. Er wollte nicht mit ihr streiten. Manche Dinge würden sich eben doch nie ändern. Wie bedauerlich es auch war, aber es war das Beste für sie beide, wenn es so weiter zwischen ihnen bleiben würde wie bisher. Sie würden das schon irgendwie überleben. Die Liebe überstand doch alles!

 

Oscar überwand die unsichtbare Barriere zwischen ihnen, als wollte sie damit bestätigen, dass die Liebe keine Grenzen und Gefahren kannte. Sie drückte sich unvermittelt an ihren Geliebten. André überraschte ihr Verhalten für kurz, aber er legte schon seine Arme um sie. Sie sahen sich stumm an. Ihre Herzen und der Atem beschleunigten sich und erzeugten eine wohlwollende Wärme durch das ganze Körper. Ihre Gesichter bewegten sich zueinander – langsam und den Moment in die Länge ziehend. Ihre Lippen berührten sich sachte, zärtlich und da klopfte jemand an die Tür.

 

Zutiefst erschrocken fuhren sie auseinander, brachten noch gerade rechtzeitig eine geordnete Distanz zwischen sich und das Zimmer betrat eine junge Frau in einem hübschen, rosafarbenen Kleid. „Ah, du bist es, Rosalie...“ Oscar atmete erleichtert auf und ging auf sie zu. „Ist etwas passiert?“

 

Rosalie warf einen flüchtigen Blick auf André. Seine Anspannung war ihm deutlich im Gesicht geschrieben. Also hatte sie die zwei wieder beinahe ertappt. Sie richtete ihren nichtssagenden Blick wieder auf Oscar, die gerade vor ihr stehenblieb. „Lady Oscar. Ein Bote der Königin war gerade hier und ließ ausrichten, dass Ihre Majestät Euch dringend zu sich wünscht.“

 

„In Ordnung. Ich ziehe nur meine Uniform an“, beschied Oscar kurz angebunden. Innerlich wunderte sie sich jedoch. Marie Antoinette hatte sie schon seit langem nicht mehr zu sich bestellt. Also musste es wirklich etwas Wichtiges sein. Oscar schaute hastig über die Schulter. „André, sattle bitte sofort die Pferde!“

 

Das brachte ihren Geliebten sofort in die Wirklichkeit zurück. „Ich gehe schon, Oscar“, stammelte er noch ein wenig zerstreut und eilte aus dem Zimmer.

 

„Armer André.“ Rosalie sah ihm mitfühlend nach.

 

„Wie kommst du darauf?“, hörte sie Oscars Stimme aus dem Bettraum, wo sie sich umzog.

 

Rosalie ging ans Tisch und räumte das Geschirr ab. Sie stellte die Tassen, Unterteller und die Teekanne auf das Tablett und gab Oscar dabei die Antwort: „Ich habe André bestimmt erschreckt. Als ich hereinkam, sah er kreidebleich aus. Euch sah man dagegen nichts an, Lady Oscar.“

 

„Solange es nur du gesehen hast.“ Oscar zeigte sich aus ihrem Schlafgemach und richtete im Gehen die Ärmel an ihrer roten Uniform.

 

Rosalie ließ ihre Arbeit stehen und betrachtete sie entzückt. „Ich kann André verstehen, Lady Oscar. Ihr seht immer so gut aus.“

 

„Danke, Rosalie.“ Oscar blieb direkt vor der jungen Frau stehen und schmunzelte sie an. Dabei legte sie ihr freundlich die Hand auf die Schulter. „Und ich meine nicht nur für das Kompliment. Du bist ein herzensgutes Mädchen und ich möchte, dass du bei uns glücklich bist.“

 

„Das bin ich doch, Lady Oscar“, murmelte gerührt Rosalie und ihre Wimpern glitzerten etwas feucht. „...und ich habe zu danken, dass Ihr mich bei Euch aufgenommen habt.“

 

„Das habe ich gerne für dich getan“, meinte Oscar mild und verließ ihren Salon.

 

 

 

- - -

 

 

 

In Versailles empfing die Königin den Kommandanten des königlichen Garderegiments mit ausdrucksloser Miene und würdevollen Haltung. Erst als sie alle ihre Damen aus dem Salon geschickt hatte, sank ihre Haltung mutlos in sich zusammen. Verzweiflung und Kummer zeichnete sich auf ihrem fein gepuderten Antlitz. „...Ihr seid noch der einzige Mensch, dem ich vertraue...“, begann sie schluchzend und tränenerstickt in ihre Handflächen zu wispern. Oscar schmerzte das Herz, sie in so einem aufgelösten Zustand zu sehen. Es ging um Graf von Fersen. Die Königin hatte sich heute Abend mit ihm im Park verabredet und dabei vergessen, dass ihr Gemahl einen hohen Gast erwartete und sie deshalb die ganze Zeit an der Seite seiner Majestät anwesend sein musste. Sie bat Oscar dem Grafen genau das auszurichten. „...bitte sagt nicht nein. Sonst kann ich Euch nicht mehr in die Augen schauen...“ Provisorisch vergrub Marie Antoinette ihr Gesicht noch mehr in den Händen und schluchzte heftig.

 

„Euer Majestät...“ Oscar entstand ein Kloß im Hals. Wie ähnlich sie sich doch in ihrem Liebesleiden waren! Beide in ihrer Position hochangesehen und jede von ihnen liebte einen Mann aus niederem Stand. Die Königin den Grafen und Oscar den Sohn eines Bediensteten. Aber was bedeutete schon der Stand für die Liebe? Nichts! Die Liebe folgte ihrem eigenen Willen! Und Oscar auch. Sie strafte ihre Schultern, ging näher zu der Königin, die mit vorgebeugten Haltung auf ihrem Stuhl saß, und entfernte ihr vorsichtig die Hände vom Gesicht. „...seht mich bitte an, Majestät.“ Fürsorglich hielt sie die Hände der Königin in ihren und wartete, bis Marie Antoinette ihren Blick hob. „Glaubt Ihr im ernst, ich könnte jemals Euch eine Bitte abschlagen?“

 

„Ich danke Euch, Oscar.“ Marie Antoinette schaute sie mit tränennassen Augen an und bei der weichen Stimme von Oscar fühlte sie sich etwas getröstet. „...und sagt ihm zusätzlich, er ist aber trotzdem zum heutigen Ballabend eingeladen.“

 

„Das werde ich, Majestät“, versprach ihr Oscar offenherzig. Noch lange ging ihr dieses Gespräch mit der Königin nicht aus dem Kopf. Es war ihre Pflicht, Marie Antoinette beizustehen. Aber auch so hätte sie das getan. Zusammen mit André ritt sie direkt zu dem kleinen Anwesen des Grafen von Fersen nach Paris.

 

„Was hat die Königin von dir gewollt, Oscar?“, befragte ihr Geliebter sie unterwegs: „Und wieso reiten wir zu Grafen?“

 

„Frage lieber nicht nach, André.“ Oscar versank für kurz in Gedanken. Dann erzählte sie ihm doch noch bedrückt von dem Gespräch.

 

André hörte ihr mit flauen Gefühl im Magen zu. Vier Menschen, die unterschiedlicher nicht sein konnten, erlebten die gleichen Schmerzen der Liebe, die auch noch verboten war. Was für eine Ungerechtigkeit! André schaute zu Oscar hinüber und betrachtete ihr Profil von der Seite. Sie saß wie immer aufrecht und stolz im Sattel, aber er merkte, dass sie sich verstellte. Und das nicht nur jetzt. Seit klein auf trug sie diese Haltung und gab niemals klein bei. Mutig, gerecht und kämpferisch war sie schon immer. Das sahen und schätzten viele Menschen an ihr, besonders ihr Vater. Aber keiner von ihnen hatte jemals gemerkt, dass die auferlegte Bürde für sie mit den Jahren schwerer wurde. Nicht einmal sie selbst gab es zu, aber er wusste es besser. Sie tat ihm leid. Ihre verborgene Kummer und Sorgen lasteten auch auf ihm schwer. André wandte den Blick von ihr ab und sah wieder gerade aus.

 

Oscar beendete ihre Erzählung und André fragte nach, was sie zu tun gedachte, nach dem sie die Botschaft der Königin dem Grafen überbracht hatte. „Das weiß ich noch nicht, aber irgendetwas muss ich unternehmen“, meinte Oscar mit fester Stimme und fügte gleich leise hinzu: „Ich kann doch Marie Antoinette nicht im Stich lassen. Sie braucht mich und ich werde sie schon zu schützen wissen.“

 

Oscar fiel in der Tat etwas ein: Spätabends erschien sie auf dem königlichen Ball in einer neuen Garderobe und tanzte die ganze Nacht nur mit der Königin. In einer gewissen Weise schützte sie sie damit vor falschen Gerede über sie und dem Grafen von Fersen, der ebenfalls auf dem Ball anwesend war.

 

Um seine Geliebte zu schützen, fiel auch von Fersen etwas ein: Er beschloss, Frankreich erneut zu verlassen. Diesmal beabsichtigte er nicht nach Schweden zurückzukehren, sondern noch weiter weg. Beinahe an das andere Ende der Welt. Er hatte seine Dienste im Krieg in Amerika angeboten, zur Unterstützung Frankreichs und Österreichs im Kampf gegen England. „Passt auf Ihre Majestät auf“, hatte er Oscar zum Abschied gesagt und war mit einem traurigem Lächeln davon geritten. Oscar konnte ihn noch einmal beobachten, als er hoch zu Pferde und mit einen ganzen Armee von Soldaten zum Hafen aufbrach, wo schon die Schiffe nach Amerika bereitstanden.

 

Wie mag es wohl in Marie Antoinette aussehen?“, dachte Oscar bei sich wehmütig: „...kommt gesund zurück, Graf... die Königin braucht Euch...“

 

Marie Antoinette hatte es auch schwer getroffen. Aber sie verstand, dass diese Trennung für alle beide besser war. Sie wünschte ihm in Gedanken eine gute Reise, möge er im Namen Frankreichs tapfer kämpfen und am Leben bleiben.

Versöhnt

Im trautem Heim und in gewohnter Umgebung, spielte Oscar auf ihrem Klavier den ganzen Abend. André und Rosalie saßen nicht weit entfernt am Tisch und hörten ihrer lieblichen Musik nachempfindend zu. Keiner der beiden verlor dabei ein Wort. Sie wollten Oscar nicht stören oder unterbrechen. Auf dem Tisch standen drei Tassen ausgetrunkener Schokolade und müssten eigentlich weggeräumt werden, aber weder Rosalie noch André dachten daran. Das konnte einer von ihnen auch später, nach dem Klavierspiel, tun. Oscar würde deswegen nicht böse sein. Im Gegenteil. Sie war erfreut, wenn die zwei ihr Gesellschaft leisteten. Sie spielte zu Ende und Rosalie faltete gerührt ihre Hände vor der Brust. „Das war wunderbar, Lady Oscar!“

 

„Danke für das Lob.“ Oscar drehte sich auf dem lehnenlosen Hocker um, so dass sie alle beide in ihrem Blickfeld hatte. „Wenn du willst, kann ich es dir beibringen.“

 

„Das wäre sehr schön!“ Rosalie erstrahlte verzückt, wie ein kleines Mädchen, dem man gerade ein schönes Geschenk überreicht hatte.

 

Oscar erhob sich. „Wir können ab morgen mit dem Klavierunterricht beginnen.“

 

„Ich danke Euch, Lady Oscar!“ Rosalie tat es ihr gleich und kaum dass Oscar an den Tisch ankam, drückte sie sich herzzerreißend an sie. Oscar gewährte ihr diese Umarmung.

 

„Wir müssen noch abräumen, Rosalie.“ André schien dies dagegen nicht zu passen. Oscar warf einen mahnenden Blick zu ihm. Daraufhin sprang André wie gestochen von seinem Platz und begann hastig die Tassen auf das Tablett zu stellen.

 

„Lass das sein, André, ich mach das schon.“ Rosalie tauchte neben ihm auf, räumte die letzte Tasse hinauf und ergriff das beladene Tablett. „Ich bin heute ohnehin mit dem Abräumen dran.“ Sie lächelte freundlich und das stimmte ihn etwas milder zu.

 

„Ich wollte dir dabei nur behilflich sein“, redete sich André schnell heraus.

 

„Nicht nötig, ich schaffe das schon alleine.“ Rosalie machte sich sogleich mit beladenem Tablett auf den Weg in die Küche. „Ich gehe dann mal.“ Bei Oscar blieb sie noch kurz stehen. „Ich wünsche Euch eine gute Nacht, Lady Oscar.“

 

„Schlaf du auch schön, Rosalie.“ Oscar schmunzelte fast verschwörerisch.

 

André sah das alles nicht. Er war schon bei der Tür und machte sie für Rosalie auf. Dann schloss er sie nach ihr wieder zu und kehrte zurück zu Oscar. „Ich sollte lieber auch gehen.“

 

„Wie du willst.“ Oscar betrachtete ihn aus ihren dichten Wimpern hervor, ohne die geringste Regung. In ihren blauen Augen lag eine Sehnsucht nach etwas, was sie nie laut äußern würde. Sie wartete stets, dass André den ersten Schritt tat. Diesmal stand er aber auch reglos vor ihr. Sein Kopf arbeitete. Er durfte jetzt nicht nachgeben, auch wenn sein Herz und sein Körper das Gegenteil von ihm verlangte!

 

Das letzte Mal mit ihr lag schon eine Ewigkeit zurück... Aber gerade eben war nicht der richtige Zeitpunkt dafür! Zwar schliefen bereits alle in diesem Haus ganz bestimmt, aber trotzdem. Rosalie war noch wach und die Gewissheit, dass sie womöglich nach dem Abwasch noch einmal hier vorbeikommen könnte, hielt ihn im Zaum. Aber je mehr er selbst hier blieb und Oscar tief in die Augen schaute, desto mehr entflammte das Feuer der Leidenschaft in ihm. Wenn er weiter so machte, würde er sein Verlangen nicht mehr zügeln können! Er musste sofort verschwinden, bevor es zu spät war! „Gute Nacht, Oscar“, sagte er verstockt und dennoch rührte er sich nicht von der Stelle, als hätte er urplötzlich Wurzeln geschlagen.

 

„Gute Nacht, André“, formten ihre Lippen. Oscar senkte ihre Wimpern und wandte sich enttäuscht von ihm ab. „Lösche bitte noch die Kerzen, bevor du gehst“, bat sie ihn kaum hörbar auf dem Weg in ihr Bettzimmer.

 

André schluckte bitter. Das wollte er nicht. Er wollte sie keineswegs verstimmen. Oscar erreichte ihren Schlafraum und ihre schlanke Statur verschwand in der dortigen Dunkelheit. Drüben brannte keine einzige Kerze. André hörte das leise Rascheln der Stoffe. Oscar richtete also ihre Bettdecke und zog sich selbst danach um.

 

André wartete, bis das ganze Rascheln aufhörte und begann dann die Kerzen zu löschen. Zuerst die zwei auf der großen Kommode, dann eine auf dem Klavier und die auf dem Tisch wollte er mitnehmen, um sich selbst den Weg auf sein bescheidenes Zimmer zu beleuchten. Es dauerte ein Weilchen, bis er alle Kerzen ausblies, denn in jedem Kerzenständer steckten bis zu fünf Kerzen. Jede einzelne von ihnen erzeugte Rauchfahnen und Geruch nach verbranntem Wachs, als sie gelöscht wurden. Im Salon verbreitete sich mit jeden verlöschten Kerze die Dunkelheit. Nur noch der fünffacher Kerzenständer auf dem Tisch schenkte seiner nahen Umgebung das dämmerliche Licht.

 

Oscar lag im Bett und beobachtete an dem Stück der sichtbaren Wand im Vorraum, wie das spendende Kerzenlicht immer weniger wurde. Von ihrem Bett aus sah sie auch ein kleines Stück von ihrem großen Fenster im Salon und die tanzende Flamen in der Glasscheiben. Dann flatterten sie stürmisch und entfernten sich. Der Lichtschatten an der Wand verdunkelte sich und wurde immer spärlicher. Das bedeutete, dass der Kerzenständer vom Tisch weggetragen wurde. André ging also aus ihren Gemächer und sie würde sich gleich in der finsteren Dunkelheit der Nacht finden. Nicht, dass sie davor Angst hatte, nein - das nicht. Sie wollte nur, dass André heute bei ihr blieb, sie in seinen Armen hielt und ihr darin den Trost schenkte. Schlagartig saß sie auf und rief halblaut nach ihm: „André, warte! Geh noch nicht!“

 

Das schwindende Licht flackerte und der Schatten an der Wand blieb stehen. André hatte ihren Ruf also gehört. Er war schon fast an der Tür gewesen. Nur noch ein Meter blieb bis zu ihr, dann konnte er sie öffnen, den Salon verlassen und so tun, als hätte er Oscar nicht gehört. „Bitte André! Ich möchte dich nur etwas fragen!“, erreichten sein Gehör ihre nächsten Worte aus dem Bettraum, als hätte sie sein Vorhaben durchschaut.

 

André biss sich auf der Lippe und haderte mit sich selbst. Seine Armmuskeln spannten sich an. Ihn würde sein schlechtes Gewissen plagen, wenn er sie verließe. Er konnte ihr doch nie eine Bitte abschlagen! Und warum zierte er sich dann jetzt? Vielleicht wollte sie in der Tat etwas von ihm wissen und ihn dann gehen lassen?!

 

Oscar zeigte ein kleines Lächeln, als er mitsamt der brennenden Kerze ihr Schlafgemach betrat. Warmes, schwaches und gelbes Lichtschein verbreitete sich an den dunklen Wänden des Raumes. Nur zwei Kerzen brannten noch in dem fünffachen Kerzenständer und umhüllten André ganz besonders in ihren Licht ein. „Was möchtest du wissen, Oscar?“, flüsterte er und blieb kurz vor ihrem Bett stehen.

 

Oscar saß mit angezogenen Knie unter ihrer Bettdecke und zeigte auf ihren Spiegeltisch mit ihrem Blick. „Stelle bitte die Kerzen dort ab und setze dich zu mir.“

 

André seufzte. Das würde bestimmt ein langes Gespräch werden. Offensichtlich hatte sie nicht nur eine, sondern mehrere Fragen. Während er die Kerzen abstellte, rückte sie ein Stück zur Seite und machte ihm neben sich Platz. Er setzte sich zu ihr auf die Bettkante, nicht allzu nahe und auch nicht allzu weit weg. Ein kleiner Abstand zwischen ihnen musste immer bewahrt sein, egal ob da zum gewissen etwas kommen würde oder nicht. „Sprich dich aus, Oscar. Was bedrückt dich?“, fragte er im beherrschten Ton und wagte nirgendwo anders hinzusehen, außer in ihr Gesicht.

 

„Ich habe mich gefragt, ob du genauso gehandelt hättest, wie Graf von Fersen. Er hat Marie Antoinette schon zum zweiten Mal verlassen, um sie und ihren Ruf vor den bösen Zungen zu schützen. Würdest du das auch tun können, trotz all der Liebe zwischen uns?“ Oscar war zu allen ihren Mitmenschen immer direkt. Das war noch einer ihrer Eigenschaften, die André an ihr sehr schätzte. Er überlegte nicht. Die Antwort kam ihm gleich entschlossen von den Lippen: „Wenn ich jemals gehen sollte, dann nur mit dir, Oscar. Ich werde dich nie in meinem Leben verlassen. Ohne dich und ohne deiner Nähe ist mein Leben sinnlos. Und tief in mir weiß ich, dass es dir genauso geht wie mir. Wir sind für einander bestimmt.“

 

„Ja...“, hauchte Oscar sprachlos. Seine Worte rührten sie zu Tränen. Ihre Augen wurden ungewollt glasiger. Sie liebte ihn aus tiefsten Herzen und konnte sich ihr Leben nicht ohne ihn vorstellen. Wärme der Geborgenheit durchströmte ihre Adern und ihr Puls beschleunigte sich. Sanftheit und Zärtlichkeit lagen in seinen grünen Augen. Im spärlichen Kerzenschein, erschienen sie ihr noch dunkler als bei Tageslicht. Oscar sehnte sich nach seinen Berührungen, nach seiner Liebe und verstand sein Zögern nicht. Sie sah doch ihm an, dass er genau das Gleiche wollte! Sie änderte ihre Sitzlage, rückte an ihn näher heran und zog sich mit ihrem ganzem Oberkörper zu ihm. Dabei rutschte ihr die Decke herab. Das Hemd folgte auch nicht weit und entblößte ihr die Schulter. Nur die Haarspitzen ihrer dunkelblonden Locken verdeckten noch ihre zarte, helle Haut.

 

„Oscar...“, wollte André sie ermahnen, aber da drückte sie ihm schon ihre weichen Lippen auf den Mund. Seine Worte verloren sich in ihrer Mundhöhle, seine Zunge erwiderte ihr mechanisch den innigen Kuss und seine Beherrschung brach zusammen. Eine Hand strich ihr das Haar von der Schläfe hinters Ohr und vergrub sich in ihrem Nacken. Die Finger seiner anderen Hand beschäftigten sich zeitgleich mit dem Aufknöpfen ihres Hemdes und befreite sie schlussendlich aus dem einzigen Kleidungsstück, das sie noch an hatte. Dann war er dran. Ohne den Kuss und Liebkosungen zu unterbrechen, half ihm Oscar aus den Kleidern und verglühte mit ihm gleich darauf in Lust und Leidenschaft.

Missverständnis

Etwa um die Zeit, als Oscar und André in ihrer Liebe verglühten, war Rosalie mit dem Aufwasch in der Küche fertig. Sie trocknete das Geschirr ab und stellte es in die Regale. Das alles tat sie so leise wie möglich, um niemanden von Bewohnern des Hauses zu wecken. André kam nicht wie gewöhnlich zu ihr in die Küche und sie ahnte, dass er noch eine ganze Weile bei Lady Oscar bleiben würde. Wenn nicht gar die ganze Nacht. Wie eigenartig! In ganz Frankreich kursierten Gerüchte über die Affäre zwischen der Königin und dem Grafen von Fersen, ohne geringsten Ahnung, dass es parallel zu ihnen noch eine ähnliche Affäre im Gange war. Direkt hier, vor der Nase der Familie de Jarjayes. Vielleicht hatte es deshalb noch keiner gemerkt, weil an aller ersten Stelle die Augen auf die Königin gerichtet waren. Sie war eben die hohe Persönlichkeit und hatte mehrere Prioritäten. Nun, nachdem Graf von Fersen fort war, würde die Gerüchteküche nachlassen und sich ein neues Opfer suchen. Oscar und André sollten daher besser, noch mehr auf der Hut sein.

 

Rosalie trocknete ihre Hände an der Schürze und schaute sich in der Küche, ob alles in Ordnung war. Ihr Herz zerbarst schon lange nicht mehr wegen der unerwiderten Zuneigung zu Lady Oscar. Sie bewunderte sie und wünschte ihr insgeheim alles Glück der Erde mit ihrem André. Rosalie nahm die einzige Kerze vom Tisch und verließ die Küche. Unterwegs zu ihrem Zimmer warf sie noch einen flüchtigen Blick auf die Treppe. Hoffentlich würde die zwei niemand erwischen. Es wäre schade um sie beide. Sie gaben doch so ein schönes Paar ab und passten so gut zusammen, wie kein anderer. Rosalie atmete tief durch und ging auf ihr Zimmer. Sie würde darauf achten, dass wenigstens in diesem Haus die Liebe zwischen Lady Oscar und André unentdeckt bleiben würde.

 

 

 

 

 

Kaum dass der Morgen graute, war Rosalie schon auf den Beinen. Nach der Morgenwäsche und dem Ankleiden, eilte sie in die Küche und bereitete für Oscar das Frühstück zu, bevor das ein anderes Dienstmädchen oder gar Sophie tat.

 

Die alte Haushälterin erschien schon kurz darauf, als sie den frischzubereiteten Tee in einer Kanne auf das Silbertablett stellte. „Oh, du bist ja schon wach, Rosalie“, grüßte Sophie die junge Frau überrascht.

 

„Guten Morgen.“ Rosalie lächelte freundlich und machte mit ihrer Arbeit weiter. „Ich dachte mir, lieber bereite ich schon mal das Frühstück für Lady Oscar, anstatt bis Sonnenaufgang untätig da zu sitzen.“ Sie holte eine Tasse aus einem Regal, einen Unterteller, sowie einen Teelöffel und stellte das alles neben der Teekanne auf dem Tablett ab.

 

Sophie beobachtete sie wohlwollend bei ihrer Geschäftigkeit und griff ihr gern unter die Arme. Sie holte die fertigen Croissants aus dem Offen und lobte die junge Frau dabei: „Du bist ein herzensgutes Mädchen. So hilfsbereit und tüchtig. Aus dir wird irgendwann eine gute Ehefrau.“

 

„Eine Ehefrau?“ Rosalie schüttelte unglaublich den Kopf. Sie nahm die fertig gebackene Croissants der alten Dame ab, stellte die Platte auf dem Tisch und legte zwei von ihnen auf einen Teller, für Lady Oscar. Die Restlichen legte sie in eine separate Schale.

 

„Ja, eine Ehefrau“, hörte sie Sophie ruhig weiter reden. Sie beschäftigte sich mit anderen Croissants und legte sie nebeneinander auf die Platte. „Hast du schon mal überlegt zu heiraten, Rosalie?“

 

„Nein, das habe ich nicht.“ Rosalie beschaffte ein Glas Konfitüre und löffelte sie in ein kleines Schälchen.

 

„Du bist aber schon zwanzig!“, merkte Sophie milde an. Sie schob die Platte mit den letzten Croissants in den Offen. „Ich will dich zu nichts drängen, aber überlege es dir gut.“

 

„Das werde ich.“ Rosalie räumte das Glas mit der Konfitüre weg.

 

„Was soll denn unsere Rosalie sich überlegen, Großmutter?“, ertönte es neugierig von der Türschwelle.

 

„Guten Morgen, André.“ Rosalie grüßte ihn, ohne ihn wirklich anzusehen. „Ich soll mir überlegen, ob ich mich nicht schon langsam nach einem Ehegatten umschaue.“ Sie erreichte den Tisch und nahm das Tablett in Augenschein, ob da nicht noch etwas fehlte, was Lady Oscar zum frühstücken zu essen beliebte.

 

„Lass dir Zeit. Oder gefällt es dir bei Oscar etwa nicht mehr?“, neckte André sie von der Türschwelle. Er schien förmlich gutgelaunt zu sein.

 

Rosalie warf ihm doch einen Blick zu. Er strahlte sichtlich mit dem Glanz neues Lebens. So sah man also aus, wenn man eine Liebesnacht verbracht hatte. Die Kleider an ihm waren frisch und ordentlich angezogen. Er musste also noch tief in der Nacht Oscars Gemächer verlassen haben und auf sein eigenes Zimmer geschlichen sein. Feines Rot überzog Rosalies Wangen, als sie sich das alles vorstellte. „Es gefällt mir sehr bei Lady Oscar“, sagte sie wahrheitsgemäß und um den anstößigen Gedanken auszuweichen.

 

„Was stehst du da noch an der Tür, du einfältiger Nichtsnutz!“, mischte sich Sophie verärgert ein. Sie stand bei dem Ofen, jetzt drehte sie sich um und fixierte ihren Enkel streng. „Du solltest dir lieber ein Beispiel an Rosalie nehmen!“

 

„Verzeiht, Großmutter.“ André grinste breit, ging auf den Tisch zu und betrachtete darauf stehende Silbertablett mit Tee, Croissants, Konfitüre und Geschirr. „Ah, Oscars Frühstück ist also fertig! Ich bringe es ihr sofort hoch.“ Er fasste das Tablett von beiden Seiten, aber da tauchte urplötzlich seine Großmutter auf und schlug ihm auf die Finger. „Lass das sofort stehen!“

 

„Aua!“ André entzog überrascht seine Hände und rieb sich die Fingerknöchel. Gut, dass er das Tablett noch nicht hochgehoben hatte, sonst müsste Oscar noch eine Weile auf ihr Frühstück warten und er die Scherben aufkehren. „Für was war denn das, Großmutter?!“

 

„Das weißt du nicht?“ Sophie kam bedrohlich auf ihn zu und fuchtelte mit ihrem Zeigefinger ihm vor seinem Gesicht herum. „Wo bleibt dein Anstand?! In dieser frühen Stunde darfst du ihr Zimmer noch nicht betreten! Das ist unverschämt! Sie könnte noch im Bett liegen oder sich umziehen oder...“

 

„Ist ja gut, Großmutter. Ich habe es verstanden...“, beschwichtigte André sie und wich ihr mit einem Schritt zurückgehend aus. Sie behandelte ihn noch immer wie einen kleinen Jungen. Wenn sie nur wüsste, was er in manchen Nächten mit Oscar anstellte und wie oft er seine Geliebte schon ohne Kleider gesehen hatte, dann wäre ihm die Hölle auf Erden sicher.

 

Sophie schien mit seiner Aussage zufrieden zu sein und entspannte sich etwas. „Ich will dich nur daran erinnern, dass ihr keine kleine Kinder mehr seid. Und in deinem Alter solltest du schon eigentlich nach einer passenden Braut Ausschau halten.“

 

„Ich will aber noch nicht heiraten!“, protestierte André kategorisch.

 

„Das musst du selber entscheiden. Aber lass es nicht in die Länge ziehen, mein Junge.“ Sophie wandte sich von ihm ab und schaute zu Rosalie. Zu ihr wählte sie einen sanften, beinahe mütterlichen Ton: „Sei so lieb und bringe du Lady Oscar ihr Frühstück.“

 

„Ich bin schon unterwegs.“ Rosalie griff nach dem Tablett, warf André einen mitfühlenden Blick zu und ging los. Sie merkte nicht, dass ihre Wangen sich noch röter verfärbten.

 

„Rosalie!“, rief ihr Sophie verzückt nach.

 

Die junge Frau drehte sich verwundert um. „Habe ich etwas vergessen?“

 

Sophie kam auf sie zu und ihr Gesicht erhellte sich mit jedem Schritt. Sie hob ihre faltige Hand und tätschelte ihr sanft die Wange. „Jetzt wird mir klar, warum du nicht heiraten willst! Mein lieber Enkel scheint dir zu gefallen!“

 

„Was?!“, empörten sich Rosalie, so auch André, in einem Ton und kreidebleich: „Nein... aber... Ihr irrt Euch!“, stotterten sie beide gleichzeitig.

 

„Ich bin zwar alt, aber nicht blind!“ Sophie überhörte alle beide gewisslich. „Deine roten Wangen verraten mir mehr als Worte, liebe Rosalie!“, gluckste sie vor sich hin. Sie ließ von Rosalie ab und zwinkerte ihr zu. „Geh schon zu Lady Oscar. Lass sie mit dem Frühstück nicht noch länger warten und ich rede derweilen mit meinem Enkel!“

 

„Aber...“, setzte Rosalie verstockt an, aber wurde schon von Sophie aus der Küche geschoben: „Keine Sorge, Kindchen! Ich regle das schon, es wird alles gut!“

 

Rosalie schluckte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehen. Ein wunder, dass sie noch das Tablett in ihren Händen hielt. Sie zitterte nicht einmal. Dafür war sie vielleicht zu überrascht. Sie musste vorerst das Gehörte verdauen. Sophie glaubte doch nicht wohl allen ernstes, dass sie für ihren Enkel heimlich schwärmte, oder? André gehörte doch zu Oscar! Rosalie wusste weder ein noch aus. Armer André! Seine Großmutter würde ihm bestimmt sehr zusetzen! Aber würde er ihr eigentlich glauben? Das konnte Rosalie auch nicht sagen. Sie musste das unbedingt Lady Oscar mitteilen! Vielleicht würde ihrer Schutzpatronin eine Lösung dafür einfallen?!

Verkupplung

„Was sagst du da?!“ Oscar glaubte, sie hörte nicht richtig. Sophie beabsichtigte Rosalie mit André zu verkuppeln? Sie wollte gerade mit dem Frühstuck beginnen, aber die Neuigkeit von Rosalie vertrieb ihr den Appetit. „Ich werde mich nachher mit Sophie unterhalten müssen...“

 

„Ihr wollt doch nicht etwa bekanntgeben, dass Ihr und André...“ Rosalie befürchtete schon das Schlimmste für das Paar.

 

„Nein, natürlich nicht“, beruhigte Oscar sie schmunzelnd. „Mir wird schon eine plausible Ausrede einfallen. Geh nach unten und sag André, er soll für uns drei Pferde satteln, wenn du und er mit dem Frühstück fertig seid.“

 

„In Ordnung, Lady Oscar.“ Rosalie atmete erleichtert auf und ging. Nach der kurzen Unterhaltung mit Lady Oscar fühlte sie sich wesentlich besser. Es fiel ihr ein Stein vom Herzen. Leichtfüßig lief sie die große Treppe herunter, erreichte die Küche und hörte schon heftige Protestlaute von André: „...nein, Großmutter! Ich werde Rosalie niemals heiraten! Sie ist wie eine Freundin für mich, mehr nicht!“

 

„Aber das Mädchen liebt dich!“, konterte Sophie beharrlich und leicht aufgebracht: „Sie hat dich mit roten Wangen angesehen!“

 

„Die hat sie bestimmt wegen was anderem!“, empörte sich André unnachgiebig: „Ich zweifle daran, dass sie mich liebt!“

 

„Ich sehe, was ich sehe!“, beharrte Sophie stur und in dem Moment betrat Rosalie die Küche.

 

Sophie und ihr Enkel verstummten sofort. Alle beide sahen von dem kleinen Streit erhitzt aus und alle beide taten Rosalie leid. „André, Lady Oscar wünscht nach dem Frühstück mit uns beiden auszureiten“, teilte sie ihm so ruhig wie möglich mit.

 

„Dann gehe ich schon mal die Pferde satteln!“ André stibitzte ein Croissant aus dem Korb und steuerte aufgewühlt hinaus.

 

„Er wird sich schon fangen“, sagte Sophie mit aufgesetztem Lächeln zu Rosalie: „Im Grunde genommen ist er ein lieber Junge.“

 

„Ja, das ist er“, musste Rosalie ihr zustimmen und fügte vorsichtig hinzu: „Er ist ein sehr guter Freund für mich.“

 

„Ach, Kindchen. Mir brauchst du nichts vormachen.“ Sophie lächelte sie gütig an und beschäftigte sich mit dem Brotteig, der für Mittag zu einer Lauchsuppe gedacht war. „Ich werde meinem Enkel deine Gefühle schon ins Gewissen reden.“

 

Rosalie seufzte schwer. Es war aussichtslos die alte Dame vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hoffte inständig, dass Lady Oscar mehr Erfolg haben würde. „Ich gehe mich in meine Reitsachen umziehen“, erwiderte sie mit leisen Bedauern.

 

„Ja, mache das“, verabschiedete Sophie sie mit dem gleichen, gütigen Lächeln wie vorhin.

 

Rosalie eilte auf ihr Zimmer und bemerkte nicht, dass sich mitten auf der großen Treppe Oscar aufhielt. Sie hatte schon zuvor aus ihrem Fenster André rennend gesehen und nun lief auch Rosalie in der gleichen zerstreuten Verfassung davon. Sie musste sofort etwas unternehmen! So konnte es nicht weiter gehen! Oscar strafte ihre Haltung kerzengerade, unterdrückte alle ihre Empfindungen und betrat ganz normal die Küche. „Guten Morgen, Sophie.“

 

„Guten Morgen, Lady Oscar“, grüßte Sophie sie erfreut. „Habt Ihr gut geschlafen?“

 

„Ja, danke.“ Oscar verbot sich ein Grinsen. Mit André war immer gut zu schlafen, aber das gehörte nicht hierher. Und sie hatte ohnehin ein Wörtchen mit Sophie zu wechseln, was ihn und Rosalie betraf. Oscar ging langsam durch die Küche, legte sich die richtige Wortwahl zurecht und blieb beim Tisch stehen. „Sophie, wenn du hier fertig bist, würdest du dann bitte ein Ballkleid für Rosalie bereitlegen? Ich habe vor, sie heute Abend mitzunehmen.“

 

„Aber natürlich, Lady Oscar.“ Sophie wusch sich das Mehl von den Händen in einer vorbereiteten Schüssel und trocknete sie dann an ihrer Schürze ab. „Wird André wieder ihr Tanzpartner sein? Sonst lege ich auch für ihn etwas Ordentliches bereit.“

 

„Das ist nicht nötig, Sophie.“ In Bruchteilen einer Sekunde, fiel Oscar eine gewaltige Ausrede ein: „Rosalie wird heute Abend mit anderen Männern tanzen. Ich möchte ihr eine Freude machen. Vielleicht wird sie da einen jungen Mann treffen, der ihr gefällt. Da sie die Tochter adliger Eltern ist, wird es angebrachter sein, sie den Herren aus dem höheren Kreis vorzustellen...“

 

Je weiter Oscar sprach, desto mehr sank das sonnige Gemüt bei Sophie. All ihr Vorhaben ging zunichte. Ihr Herz schmerzte. „Daran habe ich nicht gedacht...“, schluchzte sie und griff nach ihrem Taschentuch.

 

„Woran?“ Oscar verstand nichts. Gewissensbisse breiteten sich in ihr aus. Vielleicht hatte sie unbeabsichtigt etwas Falsches gesagt? Sie wollte doch nur André und Rosalie helfen und nicht ihr einstiges Kindermädchen traurig machen...

 

„...bitte verzeiht mir, Lady Oscar...“, schniefte Sophie in ihr Taschentuch und hielt sich zittrig an der Tischkante.

 

„Was ist mit dir?“ Oscar war sofort bei ihr und stützte sie umsorgt. „Komm, wir setzen uns lieber hin und du erzählst mir deine Sorgen.“

 

Sophie ließ sich von den stärkeren Armen ihres Schützlings bis zur Bank am Fenster führen und ließ sich dort mit ihr nieder. Oscar hielt weiterhin ein Arm um sie, um sie zu stützen und gleichzeitig zu trösten. Sophie tupfte unter der Brille ihre Augen mit dem Taschentuch trocken und begann mit ihrer Erzählung – leicht weinerlich und stotternd: „...arme Rosalie... sie hat sich in meinen Enkel verguckt... aber da sie adlige Eltern hat, darf sie ihn nicht heiraten... das habe ich nicht bedacht... und ich wollte schon André mit ihr zusammenbringen...“

 

„Schscht...“ Oscar drückte ihre alte Kinderfrau sachte an sich. Sie tat ihr von ganzen Herzen leid. „Alles wird gut, Sophie. Ich werde Rosalie nicht in eine Ehe zwingen, die sie nicht will. Ich möchte nur, dass sie sich umschaut und auf andere Gedanken kommt.“

 

„Das ist sehr gütig von Euch.“ Sophie entfernte sich von Oscar, richtete ihre Brille auf ihren Nasenrücken zurecht. Sie sah ihren Schützling mit von Tränen rötlichen Augen an. „Aber was mache ich mit meinem Enkel?! Rosalie mag ihn doch so sehr! Sie hat das zwar abgestritten, aber ihre Wangen werden immer so rot, wenn sie ihn ansieht!“

 

„Wenn Rosalie das abgestritten hat, dann stimmt es auch.“ Oscar setzte ein hübsches Lächeln auf, um die alte Frau ganz zu beruhigen. „Sie ist doch so ein ehrliches Mädchen. Und was ihren Wangen angeht... nun...“ Oscar zuckte beiläufig mit ihren Schultern. „Das macht sie bei jedem. Ich vermute, dass es ihre Art ist, Freundlichkeit auszudrücken.“

 

„Meint Ihr?“ Sophie zog ihre Augenbrauen unschlüssig zusammen. „Mir ist es eigentlich nie aufgefallen...“

 

„Mir schon“, versicherte Oscar ihr glaubwürdig. „Wenn Rosalie beispielsweise mich ansieht, dann werden ihre Wangen auch rot...“

 

„Da gebe ich Euch recht...“ Sophie fiel es wieder ein. Sie fühlte sich jetzt nicht mehr so bedrückt.

 

„Mache dir um Rosalie keine Sorgen. Ich kümmere mich schon um sie.“ Oscar drückte sanft Sophies schrumplige, vom Alter gekennzeichnete Hände und erhob sich.

 

Sophie begleitete sie mit ihren Blicken aus der Küche. Was für ein goldiges Herz doch ihr Schützling besaß! Warum musste sie nur wie ein Mann erzogen werden! Aus ihr wäre so eine wundervolle Ehefrau geworden - Edel, anmutig, gutherzig und liebenswert! Leider waren all diese Eigenschaften ihrem Schützling nicht vergönnt. Für Sophie war Lady Oscar wahrhaft zum bedauern.

 

 

 

 

 

Oscar konnte sich nach dem Gespräch selbst kaum ertragen. Sie hatte der alten Kinderfrau etwas vormachen müssen, um eine heikle Sache gerade zu biegen. Zu Gunsten von André und Rosalie. Und auch für sich selbst. Aber was war das wert? Sophie war nicht mehr die Jüngste und ihre Altersschwäche zeigte sich mit jedem Jahr deutlicher.

 

Oscar hatte die Folgen ihrer Wortwahl nicht bedacht und musste mitansehen, wie sie Sophie zusetzten. Das lastete ihr sehr schwer auf dem Herzen. Zum Glück konnte sie die alte Frau am Ende milde stimmen, aber beim nächsten Mal würde sie bestimmt scheitern. Oder es durfte kein nächstes Mal geben! Sonst würde Sophie noch irgendwann einen Herzstich bekommen und nicht mehr aufstehen!

 

Das würde Oscar sich selbst niemals verzeihen! Sie musste fortan vorsichtiger im Umgang mit ihrer alten Kinderfrau sein! Und auch André sollte mehr Rücksicht auf ihr Alter nehmen. Er liebte im Grunde seine Großmutter, trotz dass sie ihm manchmal die Löffeln langzog und lange Predigten hielt. Oder andersherum, liebte auch Sophie ihren Enkel. Mit ihrer Strenge wollte sie ihn bestimmt nur auf den richtigen Weg lenken.

 

Vertieft in ihren Grübeleien, bemerkte Oscar nicht, dass sie schon am Stall angekommen war. André kam gerade auf sie zu und führte drei gesattelten Pferde an den Zügeln. Er bemühte sich, eine gefasste Miene zur Schau zu tragen und Oscar überlegte, ob es vielleicht besser wäre, nicht gleich bei der Begrüßung von seiner Großmutter zu sprechen. Ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. „Guten Morgen, André.“

 

André erwiderte ihr das Lächeln. „Guten Morgen, Oscar.“

 

Oscar nahm ihren weißen Schimmel bei den Zügeln und führte ihn im langsamen Schritt hinter sich. André lief gewohnheitsgemäß neben ihr her, mitsamt den zwei anderen. Hoffentlich bekam Oscar nicht mit, wie es in ihm gerade aussah! Und hoffentlich hatte Rosalie ihr nichts von dem Zwischenfall in der Küche erzählt! Er wusste nicht, ob eine gewisse Eifersucht Oscar deswegen plagen würde, wenn sie erführe, dass Rosalie angeblich in ihm verliebt war. Ob das überhaupt stimmte, war eine andere Sache.

 

Der kleiner Streit zwischen ihm und seiner Großmutter hatte ihm bereits leidgetan. Er konnte aber nichts dafür. Er hatte nur versucht, sie zu überzeugen, dass er sich für Rosalie nicht interessierte und natürlich dabei nichts davon zu verraten, dass er schon längst mit Oscar liiert war.

 

„André?“, riss Oscar ihn aus seinen trüben Gedanken und André reagierte gleich mit einem: „Hmmm?!“ Laut, ohne seine Lippen überhaupt zu bewegen.

 

„Rosalie hat mir erzählt, was in der Küche vorgefallen ist.“

 

André war wie vor den Kopf gestoßen. „Was hat sie?“

Das hatte ihm gerade noch gefehlt! Aber warum blieb Oscar dabei so ruhig? Oder hatte sie schon ihrem Ärger woanders Luft gemacht? Das wäre nicht ausgeschlossen!

 

„Du brauchst nicht so erschrocken schauen, André“, beschwichtigte Oscar ihn im kühlen Ton und aufgesetztem Lächeln - das ergab eine eigenartige Mischung aus Belustigung und Ernst. Sie blieb abrupt stehen und André tat es ihr gleich. Oscar schaute zu ihm hinüber und sprach weiter – leise und bedächtig: „Rosalie ist ein ehrliches Mädchen. Du bist für sie ein guter Freund und das glaube ich ihr...“

 

„Puh...“ André atmete tief ein und aus. „Da bin ich beruhigt...“

 

„Und ich habe mit deiner Großmutter gesprochen...“, setzte Oscar wieder an.

 

André erfasste wieder die Schreckensstarre. „Und was hast du ihr gesagt?“

 

„Ich habe sie davon überzeugt, von ihrem Vorhaben abzulassen. Das ist mir aber schwer gefallen...“ Oscar schilderte ihm mit knappen Sätzen die Unterhaltung mit Sophie und sah André an, dass der altersbedingter Zustand seiner Großmutter ihn auch traf.

 

„Ich danke dir für deine Hilfe, Oscar. Ich verspreche dir, ich werde mehr auf meine Großmutter achtgeben.“

 

„Schon gut, André.“ Oscar hätte ihm gerne an der Wange oder durch das Haar gestrichen, aber es war kein richtiger Ort und Zeitpunkt dafür.

 

„Lady Oscar! André!“ Rosalie kam zu ihnen gerannt. „Bitte entschuldigt für die Verspätung.“

 

„Es ist noch nicht zu spät, Rosalie“, sagte Oscar im milden Tonfall und stieg auf ihr Pferd. Im leichten Galopp trieb sie es vom Hof des Anwesens und verlangsamte es dann. André und Rosalie holten sie schon bald ein und Oscar erzählte ihnen, dass sie heute Abend vorhatte, zu einem Ball zu gehen. „...natürlich nur zum Schein...“, fügte sie mit der List hinzu, bevor Rosalie gegen den Ball protestierte: „Sophie weiß schon Bescheid und wird für dich ein Ballkleid bereitlegen.“

 

Rosalie verstand. Lady Oscar hatte also schon mit Sophie gesprochen und dieser Ball sollte eine Art Tarnung sein, um die alte Haushälterin zu überzeugen und von ihrem Vorhaben endgültig abzubringen. „Dann ist es alles geklärt?“, fragte sie zweideutig.

 

Oscar wusste, was sie genau damit meinte und bestätigte ihr mit einem kleinen Satz: „Ja, jetzt ist wieder alles in Ordnung.“

Ereignisse

Sophie hatte in der Tat von ihrem Vorhaben abgelassen. Zwar mit Bedauern, aber besser als gar nicht. Rosalie besuchte mit Oscar und André noch ein paar weitere Bälle, um auf Nummer sicher zu gehen - bis die Sache ganz aus der Wellt geschafft war.

 

Kaum das eine sich legte, passierten schon die nächsten Ereignisse - allerdings am Hofe, die aber in gewissen Weise auch mit Rosalie zu tun hatten: Ihre Schwester, Jeanne de Valois wurde verhaftet und verurteilt. Sie war in einer Halskettenaffäre verstrickt und hatte im Untergrund ein Komplott gegen die Königin gesponnen. Dafür bekam sie einen V – Förmiges Eisen auf die Schulter gebrannt und wurde zu einer lebenslangen Zwangsarbeit verurteilt. Jedoch brach sie schon nach einiger Zeit aus dem Gefängnis aus und begann in ihrem Unterschlupf Memoiren über die angeblichen Affären der Königin zu verfassen.

 

Rosalie war dadurch bestürzter denn je. Und als wäre das nicht schon schwer genug, verließ sie aus heiterem Himmel Oscar. Angeblich musste sie zu ihrer leiblichen Mutter. In Wirklichkeit wollte sie aber nur ihre Schutzpatronin vor Intrigen schützen. Oscar hatte das verstanden, als sie den hinterlassenen Brief von Rosalie gelesen hatte - dort stand der wirkliche Versteck von Jeanne niedergeschrieben. Das traf Oscar sehr hart, aber böse auf Rosalie war sie deswegen nicht. Sie verzieh ihr alles und befasste sich mit ihrer Schwester.

 

Zu der Verhaftung von Jeanne de Valois und ihren Mann kam es aber nicht. Jeanne und ihr Gemahl sprengten sich in ihrem Versteck in die Luft. Somit war dieses Kapitel abgeschlossen. Aber nicht für das Volk. Vereinzelte Übergriffe auf Adelshäuser begannen stattzufinden und in diesem ganzen Trubel kehrte Hans Axel von Fersen aus Amerika zurück - nach sieben Jahren. Er fand sich bei Oscar ein. Diese hieß ihn herzlich willkommen und lud ihn ein, bis zum Morgen ihr Gast zu sein. Es gab ja so vieles zu erzählen! Auch André bekräftigte ihre Bitte und der Graf blieb. Von Fersen war von so viel Herzlichkeit zu tiefst gerührt.

 

Sophie und ihr Enkel deckten den Tisch in dem Großen Speisesaal, wo meistens die Familie de Jarjayes ihre Mahlzeiten einnahmen, wenn ganze Familie zusammen war oder wenn große Feste gefeiert wurden. Heute war ausnahmsweise nur Oscar zuhause.

 

In einer anderen Hinsicht, war das für Oscar selbst sogar auch von Vorteil. So konnte sie etwas mehr Zeit als sonst mit André verbringen und sich seiner Liebe hingeben. Aber nicht mehr heute. Der unverhoffte Besuch des Grafen hatte ihr Vorhaben vereitelt.

 

Bei einem gemütlichen Abendessen erzählte von Fersen über seine Erlebnisse in Amerika. Oscar, André und Sophie hörten ihm mit Interesse zu. Die beiden Letzteren beteiligten sich zwar nicht beim Abendessen, wie das ihrem Rang zustand, aber sie waren auch gute Zuhörer.

 

Später saßen Oscar und von Fersen in gepolsterten Sesseln am Kamin, streckten entspannt ihre Glieder aus und ließen die Wärme des prasselnden Feuers auf sich wirken. Sie waren alleine unter sich. Sophie hatte sich zu dieser späten Stunde verabschiedet und André wurde gebeten, noch etwas Wein zu der guten Unterhaltung zu bringen.

 

„Und dann verabschiedest du dich auch“, empfahl Sophie ihrem Enkel auf dem Weg in die Küche.

 

„Wieso?“, wunderte sich ein ahnungsloser André. Er hatte nicht die Absicht, seine Oscar mit von Fersen alleine zu lassen. Zumal er heute nach Mitternacht mit ihr verabredet war.

 

„Es wird Zeit, dass Lady Oscar sich auch wie eine Frau benimmt“, erklärte ihm seine Großmutter betonend: „Der Graf ist ein edler Mann und versteht sich mit ihr sehr gut. Zusätzlich ist er ihres Alters, ihres Ranges und ist genauso ledig wie sie.“

 

„Aber Großmutter!“ André schluckte seine widersprüchliche Bemerkung noch rechtzeitig herunter. Er konnte ihr doch nicht verraten, dass der einzige Mann in Oscars Leben er war! Dennoch fraß sich in ihm eine Tatsache fest, die ihm eigentlich seit klein auf bewusst war, aber die ihn nicht sonderlich rührte, solange er sich Oscars Liebe sicher war: Der großer Standesunterschied zwischen ihm und ihr! Unbedacht hatte ihm seine Großmutter genau das vor den Augen geführt und dass sie beabsichtigte, von Fersen mit Oscar zu verkuppeln! André wurde es flau im Magen. Das würde niemals gut gehen! „Großmutter...“, brachte er von sich, bemüht spöttisch zu wirken: „Ihr denkt doch nicht im ernst, dass Oscar sich mit einem Mann abgeben wird?! Ihr müsst sie doch kennen! Sie würde sich niemals wie eine Frau benehmen wollen!“

 

„Das bedeutet aber nicht, dass sie keine weibliche Gefühle in sich trägt!“, widersprach ihm Sophie kategorisch. Sie erreichten die Treppe und liefen bis zu der Küche nach unten, wo Sophie ihm noch naseweis hinzufügte: „Ich habe genau gesehen, wie gut Lady Oscar sich mit Graf von Fersen versteht!“

 

„Oscar versteht sich mit vielen Menschen gut“, wand André mit versuchter Gelassenheit ein.

 

„Was verstehst du schon von Frauen!“, ließ ihn Sophie nicht ausreden. Sie blieben bei der Küche stehen. Die alte Dame drehte sich behände um und musterte ihren Enkel durch ihre runde Brille, als wäre er noch ein ungehobelter Flegel. „Du bist und bleibst ein einfältiger Nichtsnutz. Geh und bringe lieber Lady Oscar und Graf von Fersen den gewünschten Wein! Ich habe nicht die Lust, mit dir zu diskutieren! Also gute Nacht!“

 

„Gute Nacht, Großmutter“, sagte nur darauf André und ging in die Küche, um eine Flasche Wein und drei Gläser zu holen.

 

 

 

- - -

 

 

 

„...jetzt aber genug von mir, Oscar. Erzählt lieber, wie es Euch in den sieben Jahren ergangen ist?“

 

„Wie soll es mir schon ergangen sein? Bei mir ist alles in Ordnung geblieben.“

 

„Und Euer Freund?“

 

„Wie Ihr es gesehen habt, geht es ihm auch gut.“

 

„Ich meinte eigentlich Eure Beziehung zu ihm und umgekehrt, Oscar.“

 

„Genauso wie früher“, sagte Oscar knapp.

 

Von Fersen wunderte das nicht. Oscar war schon immer knapp beim Wort. Aber er verstand daraus, dass die heimliche Liebe zwischen ihr und ihrem treuen Freund weiterhin unverändert bestand. Das gab ihm einen Anstoß, hinzuzufügen: „Ich freue mich für euch beide. Ihr passt sehr gut zueinander und ergänzt euch wie ein Ganzes.“

 

„Danke, Graf. Wir geben uns Mühe, nicht aufzufallen.“

 

„Das scheint Euch gut zu gelingen.“

 

„Allerdings“, gab Oscar schmunzelnd zu und in dem Moment betrat André den Kaminraum. Er stellte das Tablett auf dem Tischlein ab, das zwischen den beiden Sesseln stand und goss den Wein in drei Gläser ein. Das alles tat er wortlos. Etwas beschäftigte ihn, das merkte Oscar sofort und wechselte prompt das Thema: „Sagt, Graf, wollt Ihr der Königin demnächst nicht einen Besuch abstatten? Das habt Ihr nämlich noch nicht gesagt. Sie wird sich sehr freuen.“

 

„Und ich weiß nicht, ob ich ihr in die Augen sehen kann. Ich habe lange gebraucht, um zu verstehen, wie gefährlich die Liebe zwischen uns ist“, meinte der Graf bedrückt und nahm einen der gefüllten Gläser an sich. „Danke, André.“

 

André nickte ihm zu, nahm nach Oscar sein Glas und stellte sich an den Kamin. „Nicht gefährlicher als bei uns“, dachte er bei sich und schielte flüchtig zu Oscar. Diese sah schon den Grafen an und das schmerzte ihm irgendwie. Seine Großmutter wollte die zwei verkuppeln. Das würde ihr nicht gelingen, das wusste er, aber sich darüber zu freuen konnte er nicht. Warum nur musste er und Oscar unterschiedlichen Standes sein?! Dann würde seine Großmutter ihn mit ihr verkuppeln wollen! Nach der Sache mit Rosalie hatte sie ihn bisher in Ruhe gelassen. Aber wie lange würde es dauern, bis sie ihm ein anderes Mädchen seines Standes an die Nase band? Würden er und Oscar sie auch da umstimmen können, ohne dabei ihre Liebe auffliegen zu lassen und ohne das großmütterliches Herz zu verletzen? Darauf fand André keine Antwort und es beschäftigte ihn noch mehr.

 

Und er beschäftigte insgeheim Oscar. Sie fand keine plausible Erklärung dafür, was ihn bedrücken könnte. Sie unterhielte sich mit von Fersen und dachte dabei an ihren Geliebten.

 

Auch den nächsten Morgen kreisten Gedanken nur um ihn, während er mit dem Grafen um die Wette ausritt und sich mit ihm im Fechten übte. Bei dem gemütlichen Teegeplänkel danach, kam sie auch keinen Schritt weiter. André stand am Fenster und schielte zwischendurch zu ihr. Plötzlich donnerten zwei Schüsse von draußen und die Fensterscheiben hinter ihm zersprangen. Glassplitter flogen umher und auch André kippte vor Schreck nach vorn. Oscar eilte kreidebleich zu ihm. „André! Ist dir etwas passiert?“ Sie half ihm beim Aufsitzen.

 

Ihr Geliebter schien unverletzt zu sein. „Nein, es ist alles in Ordnung“, bestätigte er ihr mit klarer Stimme und schüttelte vereinzelte Glassplitter von seinem Hemd ab.

 

Graf von Fersen sprang ans Fenster und beäugte die Umgebung von draußen. „Wer war das?! Wer könnte es gewesen sein?!“

 

„Bestimmt irgendwelche Bürger aus Paris“, vermutete André trocken.

 

Von Fersen sah ihn fragend an. „Bürger aus Paris? Aber wieso?“

 

„Es hat sich in den sieben Jahren vieles verändert“, meinte darauf André.

 

„Was genau hat sich verändert?“ verlangte von Fersen zu wissen und bekam eine erschreckende Antwort: Seit der Halskettenaffäre, nahm die Anzahl der Aufständischen gegen den Adel und das Königshaus zu. Es gab neue Bewegungen unter dem Volk, wo die Bürger in kleinen Grüppchen darüber diskutierten. Von Fersen hatte unerkannt mit André und Oscar eine von ihnen am gleichen Abend beobachten können und das erfüllte ihn mit Entsetzen. Nie hätte er gedacht, dass es zu so etwas kommen könnte!

 

Am nächsten Tag suchte er die Königin auf und bat sie, nach Versailles zurückzukehren, um wenigstens den Adel auf ihre Seite zu gewinnen. Zusätzlich stellte er sich in ihre Dienste ein und schwor dafür seinem Vaterland Schweden ab. Marie Antoinette hörte auf ihn und kehrte mitsamt ihren Kindern an den Hof von Versailles zurück.

Ein Kleid

Ihren verpflichteten Dienst erfüllt, kehrte Oscar zu den abendlichen Stunden nach Hause zurück. Sie war erschöpft. Sie wollte nur noch auf ihr Zimmer, ihre Uniform ablegen und in ihrem Sessel vor Kamin ihre Glieder entspannen. Das Feuer war entfacht - erhellte und wärmte die nahe Umgebung. Oscar lehnte sich tiefer in die weichen Polster zurück, streckte ihre Beine in die Länge und nippte zwischendurch an ihrem Wein. Sie hatte mit André noch nicht sprechen können. Seine Großmutter hatte ihn mit Aufgaben belegt, die es nicht zuließen, dass er Zeit für sie hatte. Sie hätte ihn lieber nicht schon frühzeitig nachhause schicken sollen. Ob Sophie etwas von seiner Liebe zu ihr ahnte? Nein, bestimmt nicht, sonst hätte sie ihn schon längst verdroschen. Der Ärmste! Was er schon alles in diesem Haus ertragen musste! Und das Meiste war wohl ihretwegen!

 

Das Feuer im Kamin knisterte, warf tänzelnde Schatten auf Oscar und spiegelte sich in ihren Augen wider. Die rötlichen Flammen erzeugten eine magische Wirkung auf sie, so als würde sie träumen. Oscar nippte wieder an ihrem Wein. Das war ihr erstes Glas, sie spürte nicht einmal einen Hauch von Trunkenheit. Vielleicht sollte sie lieber nach André schauen? Er blieb heute ziemlich lange weg.

 

Oscar stellte ihr Glas auf dem kleinen Tisch ab und erhob sich träge aus ihrem Sessel. In ihrem Salon blieb sie jedoch am Klavier stehen und kurz darauf spielte sie eines ihrer besten Stücke. Vielleicht würde die Musik André hierher locken. Anstelle von André, kam jedoch seine Großmutter während des Spielens herein. Oscar beendete das Stück. „Was führt dich zu mir, Sophie?“

 

„Ich wollte nur nachsehen, ob Ihr etwas benötigt, Lady Oscar?“

 

„Mir fehlt nichts. Kannst du mir sagen, wo André steckt?“

 

„Er muss noch Euer Pferd striegeln. Ihr seid doch erst angekommen.“

 

„Ach, so...“ Oscar zeigte nicht, ob ihr das passte oder nicht. Sie machte eine wegfegende Bewegung. „Dann richte ihm aus, ich stehe morgen noch zeitiger auf als gewohnt. Ich möchte noch beim Sonnenaufgang nach Versailles aufbrechen.“

 

„Ich werde es ihm ausrichten, Lady Oscar.“ Sophie wandte sich schon zum Gehen, als ihr noch etwas einfiel. Vorsichtig fragte sie bei Oscar nach: „Ich hörte, Graf Hans Axel von Fersen steht jetzt in den Diensten Ihrer Majestät?“

 

„Das stimmt.“ Oscar machte sich aus der Frage nichts.

 

„Dann wird ihm kaum Zeit bleiben, Euch zu besuchen?“

 

„Kann schon sein.“ Auch da schöpfte Oscar keinen Verdacht.

 

„Werdet Ihr ihn aber in Versailles dafür öfters begegnen?“

 

„Das könnte durchaus passieren.“ Jetzt wurde Oscar aber stutzig: „Wieso willst du das eigentlich wissen, Sophie?“

 

Die alte Kinderfrau nutzte sogleich die Gelegenheit aus. Jetzt oder nie! Ihr Schützling war doch kein böser Mensch und würde ihr schon nichts tun! „Ihr habt Euch in den letzten Tagen so gut mit ihm unterhalten und es wäre schade, wenn Ihr euch wegen den Pflichten nicht mehr oft sehen würdet.“

 

Oscar erkannte den wahren Kern der Sache nicht, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass Sophie damit etwas bezwecken wollte. Es kribbelte ihr unangenehm im Bauch. „Mache dir darüber keine Gedanken, Sophie. Graf von Fersen und ich begleiten zwar unterschiedliche Dienste am Hofe und sehen uns daher selten, aber unseren Freundschaft und Kameradschaft tut dies keinen Abbruch.“ Unbeabsichtigt und ohne dass sie es ahnte, setzte Oscar ihrer einstigen Kinderfrau härter als gewollt zu.

 

Bedauerlich musste Sophie einsehen, dass wieder einmal nichts aus ihrem Vorhaben werden würde. Ihr Schützling war anscheinend dazu verdammt, für immer die weiblichen Gefühle aus ihrem Leben zu streichen. Sie zählte schon dreißig Jahre und es hatte sich immer noch nichts geändert.

 

Sophie seufzte innerlich aus Wehmut und Sorge. Wenn es so weiter gehen würde, dann würde Lady Oscar nie ihr Glück finden. Sie würde weiterhin so verhärmt, hartherzig und hager bleiben, bis sie eines Tages starb und von ihr nichts übrig blieb außer den bloßen Namen. Da konnte André ihr nachrennen wie er wollte, aber es würde sich nichts ändern. Oscar würde ihn abweisen, ihn nicht mehr als Freund an ihrer Seite dulden! Und was würde dann aus ihm? Das wollte Sophie sich lieber nicht vorstellen. Sie hatte schon vor Jahren eine gewisse Zuneigung, die nichts mit Freundschaft zu tun hatte, in ihrem Enkel zu Lady Oscar gemerkt. Sie hatte ihn gewarnt, aber er wollte nichts davon wissen und bestritt alles. Deswegen versuchte sie ihn mit Rosalie zu verkuppeln, aber erfolglos. Nun scheiterte sie erneut, als sie nicht ihren Enkel, sondern Lady Oscar selbst zu verkuppeln versuchte. Diese Kinder! Sie bereiten ihr Sorgen und richten sich selbst noch zu Grunde!

 

 

 

 

 

Oscar vergaß diesen kurzen Wortwechsel mit Sophie schon in wenigen Stunden. Und am nächsten Morgen, kaum dass die Sonne aufgegangen war, machte sie sich mit André nach Versailles auf. Es versprach ein angenehmer Tag zu werden. Milchiger Dunst bedeckte die Umgebung und wurde von den ersten Sonnenstrahlen langsam aufgelöst. Es herrschte noch die Frische der Nacht, aber das störte den beiden Reiter nicht.

 

„Du bist so schweigsam?“, unterbrach Oscar als erste die Stille. „Und ich meine nicht jetzt. Eigentlich seit Graf von Fersen aus Amerika zurückgekehrt ist.“

 

„Das bildest du dir ein“, wehrte André schulterzuckend ab. Er würde ihr nie die Andeutung seiner Großmutter erwähnen. „Es gehört sich nicht, wenn sich ein Bediensteter in die Gespräche der hohen Herren sich einmischt, falls du es vergessen hast.“

 

„Für mich bist du aber kein Bediensteter, André, das weißt du doch! Und für von Fersen auch nicht.“

 

„Ja, das weiß ich.“ André wollte nicht weiter darauf eingehen.

 

Oscar jedoch hatte schon an seiner Wortwahl verstanden, was ihn beschäftigte. Der Standesunterschied stand nach wie vor wie ein unauslöschlicher Makel zwischen ihnen. Das hatte ihn schon früher gewurmt, aber sie dachte, er hatte sich mit den Jahren damit abgefunden. Nun wurde sie eines bessern belehrt. Es wurmte ihn noch immer und saß tief wie ein Dorn im Fleisch. Er konnte es nur gut vor ihr verbergen.

 

Was konnte sie denn tun, um ihn aufzuheitern? Vielleicht ein leidenschaftlicher Kuss? Oder gar eine Liebesnacht? Nein, das würde nichts nützen. Oscar schüttelte kaum merklich den Kopf. Solche schöne Momente sollten nicht auf Zwangslage basieren. Dazu gehörten immer zwei. Aber was könnte man dennoch trotzdem dagegen machen?

 

Oscar umfasste ihr Kinn. Sie überlegte angestrengt und dabei legte sich ihre Stirn in Falten. Ein Gespräch, oder besser gesagt ein Ereignis, fiel ihr urplötzlich ein. Da hatte sie mit André und Rosalie in einer Nacht Bücher gelesen. André und Rosalie waren dann eingeschlafen, außer ihr. So hatte sie rein zufällig André im Schlaf murmeln hören können. Damals hatte sie sich insgeheim darüber lustig gemacht, aber jetzt ließ sie sich das genauer durch den Kopf gehen. Wenn das Andrés innigster Wunsch war, sie in einem Kleid zu sehen, dann würde sie sich ein einziges Mal dazu überwinden können! Das würde sie tun, um ihren Geliebten die gute Laune zurückzubringen! Sie selbst stellte sich in einem Kleid hässlich und ungewöhnlich vor, aber das war ihr in dem Moment egal. Es galt nur noch, das grässliche Ding zu beschaffen! Sogleich fiel ihr Sophie ein. Ihre einstige Kinderfrau hatte doch einmal so etwas für sie genäht! Sie würde sie noch heute danach fragen! Vielleicht hatte sie es noch?

 

In Versailles, während André die Pferde absattelte und versorgte, suchte Oscar die Königin auf. „Majestät.“ Sie beugte vor ihr das Knie.

 

Mit einer Handbewegung deutete Marie Antoinette ihr, sich zu erheben. Sie befanden sich auf ihrem Salon und außer ein paar Bediensteten und dem Grafen von Fersen, gab es in diesem Raum niemand mehr zu sehen. „Was führt Euch zu mir?“, fragte Marie Antoinette Oscar mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen.

 

„Ich wollte mich nur erkundigen, ob heute irgendwo in der Stadt ein Ball stattfinden, Majestät.“

 

„Ein Ball?“ Die Königin war sichtlich überrascht. Soweit sie wusste, verabscheute Oscar die Bälle. „Ihr wollt auf einen Ball gehen?“

 

„Ja, Majestät“, erwiderte Oscar ungerührt: „Und ich habe schon ein passendes Kleid dazu.“

 

„Ein Kleid?“ Das verblüffte die Königin noch mehr. Auch von Fersen starrte überrascht drein. Das passte ganz und gar nicht zu Oscar! Was war auf einmal mit ihr los?! Weshalb der plötzlicher Sinneswandel?! Da musste ganz bestimmt ein Mann dahinter stecken! Von Fersen ahnte langsam, um wem es ging, aber behielt das für sich. Er würde Oscar heute Abend unbedingt auf ihrem Anwesen aufsuchen, um alles mit eigenen Augen zu sehen! Die Königin belächelte derweilen Oscar noch breiter. „Mit wem wollt Ihr denn tanzen gehen?“

 

„Das überlasst bitte mir, Majestät“, meinte Oscar kühl und bestätigte somit dem Graf seine Vermutung.

 

„Nun gut, Oscar, ich werde nicht weiter nachfragen“, gab Marie Antoinette nach und nannte ein paar angesehene Häuser, wo heute Abend ein Ball stattfinden sollte.

Der Tanz

André glaubte, er höre nicht richtig, als seine Großmutter ihm mitteilte, Oscar habe sie darum gebeten, ein Kleid für sie zu bringen. „Lady Oscar möchte heute Abend mit Männern tanzen!“ Sophie war völlig aus dem Häuschen und rauschte auch schon los, um ihrem Schützling das Gewünschte zu bringen.

 

André blieb im großen Empfangssaal des Anwesens perplex alleine stehen. Oscar wollte ein Ballkleid tragen? Aber für wen? Und mit Männern tanzen? Aber mit wem genau?

 

Das stach André schmerzlich in der Brust. Er begann auf einem Platz hin und her zu laufen. Das passte ihm nicht, das gefiel ihm nicht! Oscar musste verrückt geworden zu sein! Was tat sie ihm nur dabei an?!

 

André hatte zwar schon oft von Oscar in dem einem oder anderem Kleid geträumt, aber nie gedacht, dass sie das jemals machen würde! Und sie würde definitiv nicht mit ihm tanzen! Denn ein Bürgerlicher wie er, hatte keine Befugnis oder Erlaubnis auf solche Bälle in Adelshäusern herumzutanzen! Das mit Rosalie war eine Ausnahme, die von Oscar gewährt worden war.

 

Von draußen her drang plötzlich das Hufklappen eines Pferdes in sein Gehör. Da ritt jemand auf den Hof. André horchte auf. Wer konnte es sein? Ein mulmiges Gefühl stieg in ihm hoch, aber er ging trotzdem und öffnete die Tür.

 

Graf von Fersen stand direkt vor ihm und das mulmige Gefühl verwandelte sich in hilflose Wut. Seine Großmutter hatte es anscheinend geschafft und Oscar überredet, mit von Fersen auf einen Ball zu gehen, um die zwei auf diese Art zu verkuppeln! Aber wie war ihr das nur gelungen? Und wieso interessierte ihn das?! Seine Oscar ging heute mit von Fersen auf einen Ball und er konnte nichts dagegen unternehmen!

 

André hoffte inständig, Oscar möge sich nicht in diesen Grafen verlieben! Sie gehörte doch ihm! Sie hatte ihm ihre Liebe geschworen! Und eine Oscar Francois de Jarjayes brach niemals ihren Schwur! Das versuchte sich André einzureden. Mühsam würgte er seine Wut herunter und zog eine Freundliche Maske zur Schau. Etwas verspätet grüßte er den Grafen und ließ ihn in das Haus herein.

 

„Ist Lady Oscar schon fertig?“, fragte von Fersen mit einem gewissen Aufleuchten in seinen Augen.

 

„Nein, noch nicht.“ André war beinahe am Ersticken. Sein Blut brodelte wie in einem Kessel. Das konnte doch nicht wahr sein!

 

Von Fersen schaute auf die große Treppe, als würde Oscar schon dort stehen. „Weißt du, André, ich kann es mir einfach nicht entgehen lassen, Oscar in einem Kleid zu sehen!“ Der Graf schien nichts von Andrés aufgewühlten Gefühlen zu bemerken. „Was für eine Sensation! So etwas sieht man bestimmt nur einmal im Leben!“

 

„Ganz bestimmt“, brummte André verstimmt. Er konnte es kaum noch hier aushalten! Er musste hier weg, sonst würde er sich auf den Grafen stürzen! „Verzeiht, Graf, aber ich muss noch die Kutsche für Oscar bespannen“, schloss er knapp und eilte durch die Hintertür hinaus.

 

Von Fersen sah ihm etwas verwundert nach. André wirkte auf ihn etwas zerstreut. War er wohl auch aufgeregt, Oscar in einem Ballkleid zu sehen? Oder störte ihn eher seine Anwesenheit? Vielleicht etwas von beiden. An seiner stelle hätte er sich bestimmt genauso gefühlt. Seine Geliebte mit einem anderen Mann zu sehen, war keine schöne Sache. Das wusste von Fersen aus eigener Erfahrung. Aber im Gegensatz zu ihm, konnte André von Glück reden, dass Oscar ihm niemals weggenommen würde. Es sei denn, sie verliebte sich in einen anderen Mann oder ihr Vater beschloss, sie doch noch zu verheiraten. Das würde allerdings das Ende für ihrer beiden großen Liebe sein.

 

 

 

 

 

Oscar hätte nie gedacht, dass ein Kleid zu tragen mit Qualen verbunden sein könnte. Schon alleine die Korsage schnürte ihr die Luft zum Atmen weg. Die seidene Strümpfe zwickten ihr an manchen Stellen und die Schuhe waren völlig unbequem. Sie beschwerte sich ununterbrochen, aber Sophie machte unbeeindruckt weiter. Sie strahlte dabei über das ganze Gesicht. Und als wäre das Kleid nicht schon Quälerei genug, machte sie sich auch noch an ihre Haare dran. Oscar kam es so vor, als würden sie ihr vom Kopf gerissen. Sophie kämmte und zerrte erbarmungslos an ihnen herum, bis sie mit der Frisur fertig und zufrieden war. Oscar konnte kaum gehen, kaum atmen und musste noch das brennende Ziehen an ihrer Kopfhaut ertragen. Es würde aber schon irgendwie gehen. Ein Mal ist kein Mal. Sie atmete tief durch, gewöhnte sich rasch an die Schritte in ihren Schuhen, ignorierte das Ziehen ihrer hochgesteckten Haare und ging hinaus.

 

Nicht André wartete auf sie am Fuße der Treppe, sondern Graf von Fersen! Das war ihr höchst unangenehm, aber zurücklaufen und sich verstecken wäre feige! Also nahm Oscar eine anmutige Haltung an und schritt langsam zu ihm nach unten. „Was für eine Überraschung, Graf“, grüßte sie ihn höflich. Hinter ihr her lief Sophie und ihr Gesicht erstrahlte noch mehr. Vielleicht würde es doch noch wahr! Oscar ging mit Graf von Fersen auf einen Ball!

 

„Ich wollte Euch unbedingt in einem Kleid sehen“, sagte dieser entzückt, als Oscar vor ihm anhielt. „Und ich muss zugeben, ein Kleid passt Euch genauso hervorragend wie eine Uniform.“

 

In dem Moment ging die Haustür auf und ein junger, frustrierender Mann trat über die Schwelle. Seine Gemütsverfassung verwandelte sich in Unglaube, als er Oscar am Fuße der Treppe entdeckte. Seine grüne Augen weiteten sich und seine Gefühle überschlugen sich. Hitze breitete sich in ihm aus. Wie angewurzelt stand er da und konnte sich von ihrem Anblick nicht mehr sattsehen.

 

„Wo warst du so lange?“ fragte dieses verzauberte Geschöpft an der Treppe ihn lächelnd und das brachte ihn in die Wirklichkeit zurück.

 

André schnitt das noch tiefer ins Herz als bisher. Er rief sich zur Ordnung, bemüht gewöhnlich zu wirken und senkte seinen Blick. „Ich habe für die Kutsche die Pferde bespannt, Oscar. Sie steht bereit im Hof.“

 

„Dann will ich Euch nicht länger aufhalten, Oscar“, verabschiedete sich von Fersen und vollführte eine knappe Verbeugung. „Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.“

 

„Danke, Graf“, verabschiedete ihn Oscar.

 

Alle beide übersahen dabei die verwirrte Gesichtsausdrücke von Sophie und André. Bei Sophie mischte sich noch zusätzlich auch eine Enttäuschung mit ein. Es sah nicht danach aus, als würde der Graf ihren Schützling zum Ball geleiten und mit ihr tanzen. „Aber wo wollt Ihr zu dieser späten Stunde noch hin?“, rutschte es ihr unbedacht heraus.

 

Graf von Fersen drehte sich noch einmal an der Türschwelle um. „Ich muss nach Versailles zurück. Ich wollte nur schauen, wie Oscar in einem Kleid aussieht.“ und dann war er fort.

 

Sophie grämte es innerlich, weil ihre Hoffnung erneut zerplatzte. Von Fersen schien an Oscar kein Interesse zu haben, trotz dass sie etwas anderes gesehen zu haben geglaubt hatte. Aber vielleicht würde sich auf dem Ball doch noch jemand finden, der ein Interesse in ihr erwecken würde? Sie hatte sich doch nicht umsonst in ein Kleid gezwängt und wollte tanzen gehen! „André!“, forschte Sophie ihren Enkel an, der Oscar immer noch verdattert betrachtete: „Fahre Lady Oscar sofort zu einem Ballhaus hin! Oder willst du hier die ganze Nacht Wurzeln schlagen?!“

 

Ihre Stimme hallte wie ein niedersausende Peitschenhieb und brachte André wie auf Befehl in die Wirklichkeit zurück. „Ich bin schon unterwegs“, sagte er beim Hinausgehen und die Dunkelheit des späten Abends verschlang seine Silhouette.

 

Oscar lief ihm mit angehobenen Rocksaum nach. „André, warte doch! Ich kann in dem Ding nicht so schnell laufen!“

 

André hörte ihr kurzen Schritte, ihren stockenden Atem hinter sich und blieb abrupt stehen. „Warum hast du es dann angezogen?“, lag ihm auf der Zunge, aber stattdessen reichte er ihr wortlos seinen Ellbogen und ließ es zu, dass sie sich bei ihm einhackte. Und genauso stumm half er ihr in die Kutsche und fuhr sie in Richtung Paris.

 

Oscar hatte ihm eine Adresse genannt und auch da sagte er kein Wort. André konfrontierte sie mit einem stummen Nicken, ungeachtet ob sie es überhaupt in der Dunkelheit gesehen hatte oder nicht.

 

Grelles Mondlicht fiel auf die Erde und hüllte alles in einen silbrigen Hauch ein. Auch die Sterne trugen ihren Anteil dazu bei, so dass sich die Augen an das silbrige Zwielicht schnell gewöhnten und man wenigstens die spärliche Umrisse der Naturumgebung erkennen konnte.

 

Oscar hatte André gebeten, nicht so schnell zu fahren und das tat er auch. Er trieb die Pferde nicht allzu sehr an. Das war ihm sogar ganz recht. So konnte er wenigstens seine Gedanken in Ruhe zuordnen. Oscar sah im Kleid noch hinreißender aus, als in all seinen Träumen und Vorstellungen zusammen! Aber sie hatte sich nicht für ihn so rausgeputzt! Für wen dann? Einfach so aus Spaß? Um ihre Mitmenschen vor den Kopf zu stoßen? Das wäre doch nicht ihre Art! Oder hatte sie heute Langweile bekommen und ihr fiel nichts besseres ein?

 

„André?!“, vernahm er ihren gedämpften Ausruf und antwortete mit einem: „Ja?“ obwohl ihm nicht danach war, mit ihr zu sprechen.

 

„Kennst du noch die Abkürzung durch den Wald, die an einer Lichtung vorbeiführt?“

 

„Ja, wieso?“ Das verwunderte André. Warum wollte sie plötzlich eine Abkürzung nehmen? Sie wollte doch keine eile haben! Das widersprach sich.

 

„Sind wir schon an diesem Pfad vorbeigefahren?“, erklang wieder ihre Stimme aus der Kutsche.

 

„Nein, noch nicht“, rief sich André über die Schulter.

 

„Dann fahre bitte dort lang und halte an der Lichtung an!“, bat sie ihm wieder laut und André kam es so vor, als würde sie ihren Kopf aus dem Kutschfenster herausstecken.

 

„Wieso willst du dort anhalten?“, fragte er noch verwunderter, aber spähte schon auf die Seite der Straße, um den Pfad nicht zu verpassen.

 

„Ich muss mal in die Büsche!“, rief sie ihm knapp und verstummte.

 

André hätte ihr sagen können, sie könnte das auch hier, hinter einem nächst stehenden Baum machen. Denn es sah ohnehin keiner in der Dunkelheit. Aber er ließ das lieber auf sich beruhen. Wenn sich Oscar unbedingt dort erleichtern wollte, dann sollte sie es auch so haben. Vielleicht lag das an ihrem Kleid. Es war ihr bestimmt unangenehm und unbequem als in der Uniform.

 

Nach wenigen Metern der Fahrt entdeckte André die gesuchte Abzweigung in den Wald und bog dort ab. Die Lichtung war auch nicht weit. Genau auf ihr, bewog er die Pferde zum Stehen. Behände sprang er vom Kutschbock und hielt Oscar die Tür auf. „Wir sind da.“

 

„Begleitest du mich zur Lichtung?“, bat ihn Oscar beim Aussteigen.

 

„Ich dachte, du musst in die Büsche?“ André verstand nicht so recht, was sie wollte. Er reichte ihr nur die Hand.

 

Oscar ergriff sie sofort. „Ich wollte gar nicht in die Büsche. Ich will mit dir auf der Lichtung tanzen.“

 

„Tanzen?“ Jetzt verstand André gar nichts mehr. „Aber du musst doch zum Ball! Du hast dich dafür so schön gemacht!“

 

Oscar lachte auf und stupste leicht mit einem Ellbogen ihm in die Rippen. „Bist du überrascht? Ich hatte nie die Absicht auf den Ball zu gehen. Das habe ich ganz alleine und nur für dich getan.“

 

„Für mich?“ André fühlte sich überrumpelt und gleichzeitig angetan.

 

„Ja, für dich!“ Oscar zerrte ihn schon mit sich, ungeachtet auf seine Reaktion. „Du weißt gar nicht, wie unbehaglich ich mich in diesem Ding fühle! Das ist die reinster Folter!“

 

„Du siehst bezaubernd darin aus“, entfuhr es André. Er ließ sich von ihr durch die letzten Bäume und Sträucher auf die Lichtung hinausführen.

 

Oscar blieb am Rande stehen und wirbelte zu ihm herum. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell, so als wäre sie mit ihm um die Wette gerannt. Ihren Atem ließ sie lautlos und stoßweise entweichen. Die Korsage machte ihr nach wie vor zu schaffen. „Du findest mich in dem Kleid bezaubernd?“

 

„Ja, Oscar, das finde ich. Es tut mir leid, das du dich in ihm quälst, aber...“

 

„Schon gut“, unterbrach ihn Oscar sanft: „Ich werde das schon aushalten. Hauptsache es gefällt dir.“

 

„Ich möchte aber nicht, dass du wegen mir leidest“, widersprach André beinahe kleinlaut. „Wir können nachhause zurück fahren, wenn das Kleid dir zu schaffen macht.“

 

„Jetzt sind wir aber hier, André. Und ich möchte mit dir tanzen“, sagte Oscar in bestimmenden Tonfall, der keinen Widerspruch duldete und reichte ihm auffordernd die Hand. „Willst du mich nicht zu einem Tanz einladen, André, mein Geliebter?“

 

Dass sie ihn Geliebter nannte, schmeichelte ihn. Das tat sie eigentlich selten, nur im Verborgenen. André fühlte sich schon etwas besser und gab ihrem Wunsch nach. „Was soll`s“, dachte er bei sich hin und her gerissen: „Oscar hat das nur für mich getan!“ Sachte ergriff er ihre Hand, zog sie zu sich und legte ihr den anderen Arm um die Mitte. „Gestattest du mir, dich im Tanz zu führen, Liebste?“

 

„Ich gestatte es dir, Geliebter. Aber nur, weil ich ein Kleid trage“, neckte ihn Oscar und André bewegte sich sogleich mit ihr auf die Lichtung zu.

 

Unter dem Lichtschein des Mondes und der Sterne schwebte das Paar im Kreis, wie die fallende Herbstblätter. Oscar vertraute sich Andrés Führung vollkommen an. Er hielt sie zärtlich an sich und sah ihr liebevoll in die Augen. Im Kleid fühlte sie sich noch schmaler an, als sie es eigentlich war. Seine Großmutter hatte bestimmt ganze Arbeit geleistet und sie zu fest zugeschnürt. Arme Oscar! Sie hatte sich für ihn in dieses Kleid hineingezwängt! Was für ein Opfer! Er würde sich noch revanchieren. Irgendwann, aber noch nicht jetzt. Jetzt genoss er lieber den einmaligen Tanz mit ihr. In seinen Fingern kribbelte es. Er hätte sie gerne geküsst. Sein Blick wanderte von ihren Augen auf ihre Lippen. Sie waren leicht geöffnet und er vernahm, wie ihr Atem daraus stückweise entwich. Das Tanzen nahm ihr noch zusätzlich die Luft zum Atmen. Seine Schritte wurden langsamer, bis er ganz stehen blieb.

 

„Was ist?“, wollte Oscar außer Atem wissen, aber als Antwort neigte André sein Kopf und küsste ihre weichen Lippen. Einfühlsam und dann immer leidenschaftlicher. Oscar gewährte es ihm, selbst davon berauscht und ihre Hände glitten ihm um den Nacken.

 

Wenn es nach den beiden ginge, hätten sie aus dem Kuss mehr gemacht. Sie wären in ihrer Leidenschaft verglüht und hätten sich ihrer Liebe hingegeben, aber das wagten sie nicht. Der Ort, der weiße Mond und die Sterne über ihnen betörten und lockten sie regelrecht dazu, aber sie hielten dem stand. Auf dem Anwesen wartete Andrés Großmutter auf Oscar, um ihrem Schützling aus dem Kleid zu helfen. Alleine würde sie das nicht schaffen. Schon alleine sich aus der Korsage zu befreien, würde bestimmt nicht leicht sein.

 

Unweit von ihnen hielt ein Reiter bei der Kutsche an und beobachtete das Paar im Mondlicht tief ergriffen. Von Fersen war unbemerkt ihnen nachgeritten, um zu sehen, ob Oscar wirklich vorhatte, auf den Ball zu gehen und sich in dieser Verkleidung der Öffentlichkeit zu zeigen. Und das auch noch mit André? Er hätte ihr insgeheim nicht geglaubt und sah nun seine Vermutung bestätigt. Oscar würde niemals riskieren, dass die hohe Gesellschaft sie erkannte und ihren geliebten Freund brüskierte. Sie würde weiterhin alles daran setzen, dass ihre Liebe unerkannt bleiben würde. „Werdet mit ihm glücklich!“, hauchte von Fersen in die mondhelle Finsternis der Nacht und ritt zurück nach Versailles.

Ein außergewöhnlicher Dieb

Seit dem Tanzabend unter Mondschein auf der Lichtung vergingen Wochen. Oscars und von Fersens Wege kreuzten sich kaum noch, was ihr nicht sonderlich von Belang war. Oscar hatte ohnehin andere Sorgen: In der letzten Zeit tauchte ein gewisser schwarzer Ritter auf und bestahl die Adelshäuser. Seine Beute verteilte er unter den Ärmsten der Armen.

 

Zu ihrer aller Sicherheit begann auch noch Sophie das Anwesen wie eine Festung zu vermauern. Sie schloss alle Fenster und Türen doppelt ab. Oscar schüttelte darüber nur den Kopf, aber zum Lachen war ihr dabei nicht. Ihr treuer und geliebter André beliebte oft abends auszureiten und kehrte erst spät Nachts nach Hause zurück. Oscar machte sich Sorgen um ihn. Sie wollte ihn keineswegs in Verbindung mit dem schwarzen Ritter bringen, aber die Sache ließ sie einfach nicht zur Ruhe kommen.

 

Bei der nächstbesten Gelegenheit stellte sie André zur Rede, aber dieser stritt nur alles ab und versprach ihr, bei der Fahndung nach dem Dieb behilflich zu sein. Oscar war einverstanden und André begleitete sie auf die Bälle, aber der schwarzer Ritter tauchte kein einziges Mal auf – so als hätte er geahnt, dass der Kommandant der königlichen Garde auf ihn lauerte.

 

Eines Abends jedoch war André wieder fort und ihr blieb nichts anderes übrig, als alleine auf den Ball zu gehen. Und ausgerechnet an diesem Abend begegnete sie dem schwarzen Ritter. Sie verfolgte ihn, aber verlor ihn zwischen den engen Gassen von Paris. Sie suchte weiter und fand sich schon bald vor dem Palais des Herzogs von Orleans wieder.

 

Während Oscar Zusammenhänge zwischen dem Palais und dem schwarzen Ritter zog, schlug ihr jemand aus dem Hinterhalt heraus, mit einem harten Gegenstand auf den Kopf. Eine Gruppe Männer, darunter auch der Dieb, kreisten sie ein. Mit letzten Kraft und heftigen Kopfschmerzen gelang es Oscar jedoch zu entkommen. Sie suchte Zuflucht in einem Haus und brach dort zusammen.

 

Am nächsten Morgen erwachte Oscar in einem ärmlichen Zimmer, lag in einem fremden Bett und befühlte einen großen Verband um den Kopf. Unerwartet tauchte Rosalie auf und erzählte ihr, dass sie hier bei einer früheren Nachbarin wohnte und in dem Stand, auf dem Markt, eine Arbeit hatte.

 

Obwohl Oscar sich über Rosalie freute, war ihr dennoch mulmig zu Mute. Als sie auf dem Anwesen zurück war, machte ihr André heftige Vorwürfe, weil sie ohne ihn gegangen war. Oscar wiederum stellte ihn zu Rede, wo er all die Abende war, wenn er solange ausritt. Diesmal gab André nach und führte sie zu einer kleinen Dorfkirche. Allerdings gab es dort keinen Abendandacht. Stattdessen wurden dort neue Ideen entwickelt und über die Verhältnisse des Landes diskutiert.

 

Auf dem Heimweg erklärte André seiner Oscar, er sei zwar in einem Adelshaus aufgewachsen, aber er gehörte trotzdem nicht zu ihnen und es sei seine Schuldigkeit, sich mit den neuen Bewegungen auseinander zu setzen. Zusätzlich versicherte er Oscar weiterhin seine Liebe.

 

Oscar dennoch fühlte sich ihm gegenüber miserabel. Der Standesunterschied zwischen ihnen hing größer denn je. Sie wusste nicht weiter und da war noch dieser Dieb.

 

André stand Oscar weiterhin zur Seite und schlug vor, den Lockvogel zu spielen. Er schnitt sein Haar ab, zog das schwarze Kostüm an und streifte mit Oscar jede Nacht durch die Adelshäuser, bis er dem echten schwarzen Ritter begegnete. Dieser stellte sich ihm zum Kampf und Oscar konnte nicht schießen. Die zwei Männer sahen sich zum verwechseln ähnlich und sie wollte nicht versehentlich André treffen.

 

Ihr Geliebter kämpfte verbissen, bis sein Gegner ihm das Schwert aus der Hand schlug und ihn mit seiner Klinge am Auge verletzte. André fiel zu Boden, verdeckte sein Auge und schrie vor Schmerz. Zwischen seinen Fingern sicherte das dunkelrote Blut. Der schwarze Ritter nutzte seine Chance und flüchtete. Oscar achtete nicht auf ihn. Schreckensbleich eilte sie zu André und versuchte ihm beizustehen. Die Angst um ihn stand ihr im Gesicht geschrieben.

 

Zum Glück war die Verletzung für André nicht lebensbedrohlich. Der Familienarzt versorge sein Auge als sie zurück waren und legte ihm einen Verband an. Er ermahnte ihn, den Verband solange nicht abzunehmen, bis er das erlaubte, sonst würde das Auge nicht mehr zu retten sein.

 

Sophie begleitete danach den Arzt schniefend zum Ausgang. Oscar blieb dagegen bei André. Auf keinen Fall wollte sie ihn alleine lassen! André lag in seinem Bett, mit einem großen Verband um sein linkes Auge und öffnete gerade sein Rechtes. „Oscar...“, formten lautlos seine Lippen.

 

„Ja, ich bin hier.“ Oscar beugte sich etwas zu ihm vor, damit er sie besser sehen konnte und griff nach seiner Hand.

 

André umschloss sie sofort fest, aber nicht schmerzhaft und erforschte mit verbliebenem Auge ihre Gesichtszüge. Wie zart und schön sie immer noch aussah! Im Gegensatz zu ihm! Er war jetzt entstellt! „Oscar...“, wiederholte er ihren Namen und hörte selbst, wie brüchig seine stimme klang. „Hast du den schwarzen Ritter geschnappt?“

 

Als würde das jetzt wichtig sein! „Ich musste ihn entwischen lassen“, rechtfertigte sich Oscar mit gepressten Stimme: „Ich konnte dich doch nicht verletzt zurücklassen. Du bist mir viel wichtiger, André!“

 

Sie liebte ihn unverändert! Das hatte sie ihm hintergründig zum Verstehen gegeben. Es begann zu dämmern. Die ersten Lichtschatten breiteten sich an den Wänden seines Zimmers aus und verjagten langsam die restliche Dunkelheit der Nacht. Mehr und mehr erkannte André das Profil von Oscar. Sein verletztes Auge unter dem Verband schmerzte, aber er ignorierte das. Er wollte nur Oscar in dem ersten Sonnenlicht des neuen Tages betrachten. Solange es ihm noch vergönnt war. Denn insgeheim trennte er sich schon von ihr, obwohl er sie weiterhin liebte. „Ich bin froh, dass mein Auge verletzt wurde und nicht deines, Oscar“, hauchte er kaum hörbar.

 

„Sag doch so etwas nicht!“ Ihre zweite Hand folgte der ersten und umschloss auch seine Hand. „Du wirst gesund werden, André! Der Doktor sagte, du sollst nur den Verband nicht abnehmen, bis er das erlaubt hatte.“

 

„Oscar, du verstehst nicht...“, unterbrach er sie etwas lauter: „...es wird nicht mehr so sein wie früher. Ich bin entstellt! Ich möchte nicht, dass du dich mit so etwas abgibst!“

 

„Aber, André!“ Oscar war schockiert. „Warum sagst du das?! Ist die Liebe etwa so verwerflich?!“

 

„Nein, ist sie nicht“, gestand André und fühlte sich wie ein Verräter. Das schnitt ihm selbst ins Herz, aber er führte seine Aussage trotzdem zu ende: „Ich will nicht, dass man mich bemitleidet und ich möchte nicht, dass du wegen mir an Ansehen verlierst. Man würde auf dich mit Finger zeigen und sagen, du sollst dir lieber einen anderen Stallburschen und Gardist suchen! Verstehst du, was ich meine? Ich bin zu Nichts mehr zu gebrauchen und ich werde dir nur eine unnötige Last sein!“

 

„André...“ Oscar erbleichte, ihre Finger umfassten krampfhafter seine Hand. Mit seinen Worten zerstückelte er ihr Herz und ließ es qualvoll verbluten! Das konnte doch niemals ihr André sein! Oder hatte ihm sein verletztes Auge den Verstand geraubt? Sie hatte mal gehört, dass wenn ein Mensch einer seiner Gliedmaßen oder Sinnesorgan seines Körpers verlor, dann wurde er in den Wahn getrieben. Bei manchen legte es sich mit der Zeit und sie lebten mit ihrer Entstellung weiter. Aber manche blieben wirr, bis an ihr Lebensende...

 

Nein, sie würde nicht zulassen, dass André diesem Wahn verfiel! Sie würde bei ihm bleiben, ihm beistehen und ihm beweisen, dass er nicht entstellt war, dass nach der Genesung alles wieder so sein würde wie früher! Da konnte er sie fortjagen wie er wollte, aber sie würde nicht von seiner Seite weichen! Um den schwarzen Ritter konnte sich auch jemand anders kümmern! Der Zustand ihres Geliebten hatte bei ihr höhere Priorität!

 

Nicht einmal da unternahm Oscar Maßnahmen, als der schwarze Ritter erneut zuschlug. Er hatte 200 Gewehre erbeutet, als die Besatzung ihres Vaters mit dem Transport unterwegs war. Oscar blieb hartnäckig zuhause, was den Angehörigen nicht sonderlich verwunderte. André war ihr treuer Begleiter, ihr Diener und Freund seit Kindertagen. Da konnte man schon ein Auge zudrücken und darüber hinwegsehen. Sie waren wie Geschwister, die man schwerlich von einander trennen konnte und das war für viele nachvollziehbar.

 

André durfte schon bald wieder aufstehen und Spaziergänge durchs das Haus oder den Garten unternehmen. Ihm wurden meistens kleine Aufgaben im Haushalt zugeteilt, die seine Sehkraft nicht beeinträchtigen sollte. Oscar war sorgsam darauf bedacht, dass er keineswegs sein Verband abnahm. Sogar nachts schlich sie zu ihm und wachte über sein Schlaf. So sehr liebte sie ihn schon. Und während endlose Tage verstrichen, verheilte sein Auge zusehends.

 

Der Familienarzt war fast jeden Tag zu Besuch, führte seine Untersuchungen durch, gab ihm Medizin und wechselte ihm den Verband. „Und könnt Ihr jetzt besser sehen?“, fragte ihn Doktor eines Abends.

 

„Ja, Doktor, viel besser und klarer“, antwortete André wahrheitsgemäß.

 

„Das ist sehr gut.“ Der Doktor blies die Kerze diesmal nicht aus und reichte sie der alten Haushälterin. „Wir können nun den nächsten Schritt wagen. Ich lege heute keinen Verband an, aber bei Tageseinbruch empfehle ich, ihn anzulegen. Wir wollen doch nichts überstürzen.“

 

„Ja, Doktor.“ Sophie war noch etwas besorgt. Seit der Verletzung überhäufte sie ihren Enkel mit mütterlichen Fürsorge, dass es beinahe übertrieben wirkte. Sie stellte die Kerze auf einer Kommode ab und geleitete den Arzt aus dem Zimmer.

 

Oscar setzte sich gleich zu André auf die Bettkante und betrachtete sein Gesicht. Dann hob sie ihre Hand und schob ihm vorsichtig das Haar von der linken Gesichtshälfte, um seine Verletzung intensiver zu begutachten. Sein Blick ruhte auf ihr, sein linkes Auge unterschied sich kaum von dem Rechten. Nur eine schmale Narbe verzierte ihm die Augenbraue. Von dort verlief sie den Augenlid herab und endete fast an den dichten Wimpern. Der Augapfel selbst trug keine Verletzung. Das Schwert des schwarzen Ritters hatte es aber knapp verfehlt.

 

André genoss Oscars Anblick so nahe vor ihm, wie schon seit langem nicht mehr. Bis es ihm doch unbehaglich wurde, als sie mit ihren Fingerspitzen an der Narbe fuhr. „Oscar, der Doktor hat mich doch schon untersucht...“

 

„Es wird nicht schaden, wenn ich das auch tue.“

 

„Es ist mir aber peinlich...“, gestand André verlegen. Es war ihm in jeder Hinsicht peinlich. Er schämte sich für sein Benehmen am ersten Tag seiner Verletzung. Oscar hatte wieder einmal bewiesen, dass ihre Liebe das stärkste war, was es je gab. Seine Entstellung, sein verletzten Stolz und seine Abfuhr, hatte sie tapfer hingenommen und war geduldig mit ihm umgegangen. Zwar selbst nicht direkt mitbeteiligt, aber sie hatte ihn geheilt. Mit ihrer Umsicht und Gegenwart, gab sie ihm die nötige Stütze und Kraft, das alles durchzustehen. Dafür war er ihr überaus dankbar und glaubte sie noch mehr zu lieben als bisher.

 

Oscar entfernte ihre Hand und erhob sich von der Bettkante. Sie ahnte, weshalb er verlegen war und wollte mit ihrer Nähe es nicht noch schlimmer machen. Sie würde ihm die Zeit lassen, bis er selbst seine Scham überwand und von alleine zu ihr kam. Wenigstens war seine Wunde so gut wie verheilt. Alles anderes würde sich schon fügen.

Die Falle

Knapp zwei Wochen musste André seinen Verband am Tag noch tragen, aber von Abends bis zu dem Morgengrauen, durfte er ihn jedoch ablegen.

„Euer Auge ist gerettet, André!“, teilte der Doktor irgendwann erfreulich mit. „Ihr könnt jetzt tun und lassen was Ihr wollt! Ich bin mir nun ganz sicher, dass alle Gefahren überstanden sind!“

 

Was für eine schöne Nachricht! Einen Monat Pflege, Behandlung und häusliche Umgebung, hatten sich gelohnt! Jetzt konnte man sich wieder dem schwarzen Ritter widmen! Dieser hatte schon alle Adelshäuser unsicher gemacht - bis auf das von der Familie de Jarjayes. Dafür aber überfiel er die Transportzüge des Generals de Jarjayes und auch ein paar anderen Generäle. Aus 200 gestohlenen Gewehren wurde in einem Monat 600.

 

Seit Andrés Auge mit vollsten Sicherheit gerettet war und er selbst sich wie früher benahm, wollte Oscar dem schwarzen Ritter eine Falle stellen. Hier, in ihrem trauten Heim. Sie ließ die Nachricht verbreiten, dass der König eine ansehnliche Summe von Gold und eine größere Anzahl von Gewehren dem Hause de Jarjayes anvertraut hatte und auf ihr Anwesen gut geschützt unterbringen ließ.

 

„Meinst du, dass der schwarzer Ritter darauf hereinfällt?“, fragte André eines späten Abends seine Oscar. Sie saßen zu zweit im Kaminzimmer von Oscar und gönnten sich ein Gläschen Wein.

 

Oscar hatte diesbezüglich noch angeordnet, dass alle Bedienstete nach dem Abendmahl zu Bett gingen und alle Lichter im Haus löschten. Daher gab es auch bei ihr im Zimmer kein Licht. Außer dem schwach glühenden Feuerschein im Kamin. „Das werden wir sehen“, beantwortete sie ihm seine Frage flüsternd.

 

„Heute ist schon der sechste Abend, das wir auf ihn bis Spät in die Nacht warten und nichts tun“, erinnerte André sie zweideutig. Die erste Abende waren noch ertragbar. Aber je länger sie auf den schwarzen Ritter warteten, desto nervenzehrender wurde es. Das war jeden Abend das Gleiche: Sie saßen am Kamin, bis das Feuer irgendwann spät in der Nacht verglühte und André auf sein Zimmer gehen musste, ohne mit Oscar Zärtlichkeiten ausgetauscht zu haben. Einerseits aus Vorsicht und andererseits aus Müdigkeit.

 

Oscar erhob sich. Auch sie war es langsam leid zu warten. Ob auf schwarzen Ritter oder etwas anderes, konnte man bei ihr nicht erahnen. Die Uhr hatte gerade eine Stunde nach Mitternacht geschlagen. Oscar stellte ihr halbvolles Glas auf den kleinen Tisch ab und vertrat am Kamin ihre Füße. „Noch zwei Stunden hier ausharren, dann können wir ins Bett gehen. Ich glaube nicht, dass der schwarze Ritter danach noch auftauchen würde.“

 

„Wenn er überhaupt dieses Wagnis eingehen wird.“ André stellte sein Glas auch ab, überkreuzte seine Beine und ließ Oscar nicht aus den Augen. „Ich meine, wir haben ihn verfolgt und gestellt. Denkst du, er wird ausgerechnet auf deine Nachricht hereinfallen und in dein Zuhause einbrechen? Er ist bestimmt kein Dummkopf, Oscar. Du siehst doch selbst, wie lange wir schon auf ihn warten.“

 

„Vielleicht hat sich meine Nachricht noch nicht ausgebreitet“, vermutete Oscar, ohne am Kamin stehen zu bleiben: „Das heißt, sie hat sein Gehör noch gar nicht erreicht. Paris ist kein Hof, André. Da dauert es mit den Gerüchten etwas länger.“

 

„In dieser Hinsicht stimme ich dir zu, Oscar. Aber ich mag nicht tatenlos herumzusitzen und zu warten.“

 

„Was schlägst du dann vor?“ Oscar blieb direkt vor ihm stehen und sah eindringlich auf ihn herab.

 

André stand auf, um mit ihr auf gleichen Augenhöhe zu sein, obwohl er knapp einen Kopf größer war als sie. „Ich schlage vor, wir können die Zeit sinnvoller ausnutzen.“

 

„Wie denn?“, hackte Oscar verspielt nach.

 

André wickelte eine ihrer Haarsträhnen um sein Finger und sein Blick glitt von ihren Augen auf ihren sinnlichen Mund. „Nun... ich habe da etwas unanständiges im Sinn...“

 

„Aha.“ Oscar verstand was er wollte und angenehmes Kribbeln überlief ihren Körper. Jedoch täuschte sie ihm trotzdem eine kühle Miene vor und verschränkte ihre Hände hinter sich. „Du willst mich also wieder haben, nachdem du mich abermals von deinem Krankenbett fortgejagt hattest?“

 

„Ich habe mich doch schon entschuldigt...“ André ließ eingeknickt ihre Haarsträhne los und sah ihr beinahe gequält in die Augen. „Du nimmst mir das also noch übel... Es tut mir aufrichtig leid, Oscar. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Ich werde es nie wieder tun, ich schwöre es! Ich liebe dich einfach zu sehr!“

 

Der letzte Satz brachte Oscars Herz zum schmelzen. Sie milderte ihren Gesichtsausdruck. Im Grunde genommen nahm sie ihm seine Abfuhr schon lange nicht mehr übel. Sie wollte ihn damit nur ein wenig necken. „Nun gut, mein Geliebter, ich verzeihe dir.“

 

„Danke, meine Liebste! Du machst mich wieder glücklich!“ André erstrahlte und zog Oscar schwungvoll an sich.

 

„Du mich auch“, hauchte Oscar verschmitzt und reckte ihren Hals zu ihm empor.

 

André schenkte ihr sogleich einen innigen Kuss und seine Hände wanderten schon an ihrem Körper. Wie lange hatte er das vermisst! Sie berühren, sie spüren und in sie eintauchen! Bedauerlicherweise störten aber noch ihr Hemd und ihre Hose dazwischen. Bei ihm ging es dagegen viel effektiver. Er brauchte nur sein Hosenbund aufzumachen. Oscar umklammerte derweile seinen Nacken und ihr Körper presste sich an ihn. Sie gab ihm keine Möglichkeit, sie auszuziehen. Also bewegte André seine Füße, schob Oscar nach hinten und ohne den Kuss zu unterbrechen, führte er sie am Kamin vorbei, bis zu Wand.

 

Oscar lehnte sich mit Rücken gegen die blumigen Tapete, ihre Hüfte drängte sich zu ihm vor und rieb sich an seinem Schritt. Ihre Finger kramten sich in sein kurzes Haar. Wie anders sie sich doch anfühlten! Aber dennoch angenehm und weich. Noch mehr Hitze der Leidenschaft stieg in ihr empor, als seine Finger sich an ihrem Hosengurt zu schaffen machten. „André...“ Oscar brachte den Kuss ab, ihr Atem entwich ihr stoßweise: „...lass uns ins Bett gehen...“

 

„Mit dir immer gern“, schmunzelte André und dann hörten sie urplötzlich einen gedämpften Krach. Das klang vom untersten Stockwerk.

 

„Jemand ist im Haus!“, murmelte Oscar in Alarmbereitschaft und schob André von sich. Weg war die Hitze der Leidenschaft!

 

André verdrehte die Augen. „Lass uns nachsehen.“ Was hätte er sonst sagen sollen?! Oscar würde das keineswegs ignorieren, egal ob er ihr weismachen würde, dass es vielleicht eine der Bediensteten sei.

 

Oscar schlüpfte schon unter seinen Armen hindurch und verschwand im dunklen Salon. Unterwegs ordnete sie beiläufig ihre Hose und ihr Hemd. André folgte ihr auf dem Fuß. Zu zweit erreichten sie die Kommode, wo ihre Schusswaffe lag. „Ich nehme die Pistole und du nimmst meinen Degen!“, beschied Oscar kaum hörbar, aber deutlich.

 

 

 

 

 

Im Haus herrschte eine blanke Finsternis. Aber Oscar und André kannten sich hier schon gut genug aus. Und zu dem waren ihre Augen auch schon an die Dunkelheit gewöhnt. Bei der großen Treppe und durch die Fenster, sickerte auch noch etwas von Mondlicht hindurch. Schwach, aber dennoch erkennbar.

 

Im unteren Stockwerk war alles ruhig. Das Paar überquerte es stets auf der Hut und ihre Waffen griffbereit. „Wir schauen bei der Hintertür nach“, flüsterte Oscar kurz angebunden und schlich mit André weiter.

 

Die Hintertür war aufgebrochen und knarrte leise bei dem ziehenden Luftzug. Es klang unheimlich und gespenstig, aber Oscar kannte keine Furcht.

 

„Und nun?“, fragte André halblaut. Er hielt sich dicht hinter seiner Geliebten auf. Insgeheim verfluchte er diese Störung. Er war immer noch erregt und wünschte sich nichts sehnlicher, als mit Oscar im Bett zu sein und mit ihr in Leidenschaft zu verglühen.

 

Oscar schloss die Hintertür. „Entweder ist es ein gewöhnlicher Einbrecher oder der schwarzer Ritter hat endlich angebissen.“ Etwas hämisches lag dabei in ihrer Stimme: „Auf jeden Fall ist jemand im Haus, der nicht hierher gehört und den schnappen wir uns! Wir gehen in den Keller!“

 

„Woher weißt du, dass wir unbedingt dort suchen müssen?“

 

„Das sagt mir mein Instinkt.“

 

„Du bist unmöglich.“

 

„Ich weiß.“

 

„Und trotzdem liebe ich dich...“

 

„Ich dich auch. Jetzt sei aber still und folge mir leise.“

 

„Wie du willst. Ich werde dir bis ans Ende der Welt folgen...“

 

„André, bitte!“ Oscar wirbelte herum und André prallte ungewollt gegen sie. Systematisch schloss sich sein Arm um ihre Mitte, damit sie nicht hinfiel. Oscar spürte die Kraft seinen festen Muskel um ihren Körper und etwas Hartes mit ihrer Hüfte in seinem Schritt. Der Verlangen war noch nicht gestillt. Auch in ihr nicht. Hitze stieg in ihr hoch und ihr Herz beschleunigte sich. Sie wollte ihn auf der Stelle, aber nicht hier und jetzt. „Lass mich bitte los. Du machst es nur noch schlimmer.“

 

„Du hast recht, entschuldige.“ André ließ sie bedauernd los und sie machte ein Schritt von ihm weg.

 

Irgendwo in ihrer Nähe entstanden seltsame Geräusche, als würde jemand herumgeistern und nach irgendetwas suchen. Oscar und André horchten auf. Sie wagten kaum zu atmen und versuchten herauszufinden, woher das kam. Etwas kam auf sie zu und sie glaubten Bewegungen wahrgenommen zu haben. Oscar zog schussbereit ihre Pistole und André richtete angriffsbereit den Degen. Die Bewegungen wurden deutlicher und im nächsten Moment zeichnete sich eine menschliche Silhouette vor ihnen. „Halt!“, rief Oscar der Gestalt entgegen: „Sonst werde ich schießen!“

 

„In Eurem eigenen Haus?“, ertönte von sich unbeeindruckt die Person und blieb stehen. „Das werdet Ihr nicht tun, Kommandant Oscar Francois de Jarjayes.“

 

Oscar erstarrte, aber ihr Geist arbeitete wachsam. Sie erkannte die tiefe Stimme. Der schwarzer Ritter war tatsächlich in ihre Falle getappt! „Was macht Euch denn so sicher?“

 

Anstelle einer Antwort blitzte etwas in seiner Hand auf und Oscar druckte nur instinktiv ihre Pistole ab. Der Schuss donnerte durch das ganze Haus ohrenbetäubend. Auch André sah das Aufblitzen und gleich nach dem Schuss, stürzte er mit dem Degen auf den Mann zu. Dieser war anscheinend getroffen und krümmte sich mit einem zischenden Laut. André nutzte das aus und schlug ihm die aufblitzende Klinge leichthin aus der Hand. Der Mann stöhnte schmerzverzerrt und ging zu Boden.

 

Im Haus erwachte das Leben. Aus dem Schlaf gerissen, vom Schreck kreidebleich und brennende Kerze in den Händen haltend, krochen die Bediensteten langsam und einer nach dem anderen aus ihren Schlafkammern. Die ersten Kerzenlichter erfassten den breiten Gang, zwischen der Hintertür und dem Vorraum. Der Mann am Boden wimmerte und hielt sich die Schulter. Er war maskiert und in Schwarz gekleidet. „So wie ich es mir gedacht habe!“ Oscar steckte triumphierend ihre Pistole ein und deutete André, die Maske abzunehmen. „Ich will endlich wissen wer er ist!“

 

Die ersten Bediensteten versammelten sich schon im halben Kreis um sie und starrten perplex auf das, was sich vor ihren Augen abspielte. Vorneweg erschien Sophie. „Lady Oscar...“, murmelte sie mit zittriger Stimme: „...habt Ihr etwa geschossen? ...und …und wer ist dieser Mann?“

 

„Das werden wir gleich sehen.“ Oscar näherte sich dem schwarzen Ritter. „Er ist bei uns eingebrochen und wollte sich nicht ergeben. Deswegen habe ich geschossen“, erklärte sie den Bediensteten knapp und hockte vor dem Kopf des Mannes, um sein Gesicht zu sehen. André nahm ihm die Maske ab und Oscar war verblüfft. „Das ist doch Bernard Chatelet! Er wurde oft mit Robespierre zusammen gesehen!“

 

„Ist er tot?“, wisperte ein Dienstmädchen kleinlaut.

 

André befüllte ihm den Schlagader. „Nein. Er ist nur bewusstlos.

 

„Hol schnell den Arzt, André!!“ beschied ihm Oscar sofort: „Wir brauchen den Mann lebend!“

 

„Ist gut.“ André flitzte ohne Wiederworte davon. Die Nacht mit Oscar hätte er sich lieber von Anfang an abschminken können! Aber wer wusste schon, dass der schwarzer Ritter unbedingt heute hereinplatzen würde?! Was für ein Einfaltspinsel! Er hatte ihm alles vermasselt und das schöne Beisamensein mit Oscar vergrault! Es würde eine Weile dauern, bis sich wieder so eine günstige Gelegenheit finden würde!

 

André konnte sich ohrfeigen! Er hatte fünf Nächte Zeit gehabt, um Oscar zu verführen, aber hatte sich stattdessen nicht getraut! Das war jetzt die Strafe dafür!

 

Der Ausritt bis zum Arzt und die frische Nachtluft, würde schon seine frustrierende Gemütsverfassung abkühlen und in ihm wieder Ordnung bringen. Immerhin hatte Oscar und er den schwarzen Ritter geschnappt! Oscar hatte ihn als Bernard Chatelett identifiziert. Von ihm hatte er genauso viel gehört wie sie. Ein Journalist und ein Gerichtsschreiber, der oft an der Seite von Robespierre gesehen wurde. Und Robespierre hatte sich, vor nicht allzu langer Zeit, als Anwalt für das Volk vorgestellt. Für das Volk! Das hieß, dass Bernard Chatelett, so wie auch Robespierre, generell gegen den Adel waren und den einfachen Bürgerlichen aus dem dritten Stand helfen wollten. Das wäre nicht schlecht, wenn alle Menschen gleichgestellt sein würden! Dann konnte er, ein einfacher Mann wie André, ohne irgendwelchen Schwierigkeiten seine adlige Oscar heiraten und mit ihr glücklich werden! André grübelte auf dem Weg zu dem Arzt noch ein wenig mehr über Bernard Chatelet und dessen Bestrebungen zu dem einfachen Volk.

Schwarzer Ritter

Der schwarze Ritter hätte bestimmt nie gedacht, je vom weiblichen Kommandanten der königlichen Garde geschnappt zu werden. Er hatte geahnt, dass mit dem Gerücht über eine ansehnliche Summe von Gold und große Anzahl von Gewehren im Hause de Jarjayes, etwas faul sein musste! Er wollte sich nur umsehen.

 

Jeden späten Abend schlich er um das Anwesen, erkundete jeden Winkel außerhalb und suchte die Schwachstellen, um unbemerkt eindringen zu können. Und mit jedem Abend stellte er fest, dass eine alte, kleine, rundliche Bedienstete den letzten Rundgang im Hause machte und alles sorgfältig abschloss. Außer der Hintertür. Alte Menschen waren eben vergesslich. Wenn die Herren des Hauses es herausfinden würden, dann blühte der alten Dame höchstwahrscheinlich der Rausschmiss! Oder war das keine altersbedingte Vergesslichkeit, sondern eine List? Das musste er sich unbedingt näher anschauen!

 

Er hatte fünf Tage gebraucht, um das Anwesen gründlich auszukundschaften. Mittlerweile kannte er schon jede Ecke, jedes Schlupfloch. Um hinein zu kommen, blieb jedoch immer wieder nur die Hintertür. Das war sehr verdächtig, aber es reizte ihn einfach zu sehr, was sich im Inneren des Hauses befand und ob das Gerücht der Wahrheit entsprach.

 

In der sechsten Nacht ging er das Wagnis ein, stets darauf bedacht, lautlos und unerkannt zu bleiben. Am Anfang lief alles gut. Er schlüpfte durch die Hintertür ins Haus - stets auf der Hut und sein Schwert immer griffbereit. Er durchquerte einen großen Raum, er erkannte im Mondlicht eine Treppe und einen weiteren Raum, wohin es ihn als nächstes zog. Dort herrschte blanke Finsternis. Die Fensterläden waren dicht verschlossen. Der schwarze Ritter tastete sich dennoch weiter und dann krachte es! Er spürte irgendeinen Gegenstand mit seinen Beinen, flog darüber hinweg, stieß gegen eine Holzplatte und fand sich im nächsten Augenblick am Boden wieder. Etwas benommen ertastete er den verhängnisvollen Gegenstand zu seinen Füßen und schob ihn ruckartig beiseite. Es fühlte sich nach einem Hocker an. Verdammt, wer hatte den denn hier hingestellt!

 

Mit Hilfe der massiven Holzplatte rappelte er sich auf und stellte fest, dass es ein Tisch war. Also war er entweder in die Küche oder in den Speisesaal gelangt. Er musste sofort von hier verschwinden! Der Krach war bestimmt nicht ungehört geblieben! Wenigstens waren seine Gliedmaßen heil geblieben, sodass er ohne ernsthaften Verletzungen zurück schleichen konnte.

 

Der schwarze Ritter orientierte sich an dem, vom Mond beleuchteten Vorraum, schaffte aus der Küche und atmete tief durch. Wo war noch mal die Hintertür? Er überlegte kurz und nahm ganz beiläufig die Bewegungen zweier Gestalten auf der Treppe wahr. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Schutz in der Dunkelheit in der Küche zu suchen. Er schaffte gerade noch rechtzeitig den Rückzug. Die zwei Gestalten erreichten schon den Fuß der Treppe. Ihre weißen Hemden und die blonde Haarmähne von einen der beiden zeichnete das Mondlicht besonders gut ab. Von der Statur her waren sie Schlank und hochgewachsen. Sie tauschten undefinierbare Floskel miteinander und passierten die Küche.

 

„Wir schauen bei der Hintertür nach“, flüsterte die blonde Mähne und das traf den schwarzen Ritter wie ein Blitzschlag! Es war doch eine Falle! Er hatte es ja geahnt! Der Blonde war kein geringer als das bekannte Weibsbild in Männerkleidern! Und der andere? Könnte das der Lockvogel sein, den er verletzt hatte? Von dem Haarschnitt und die Bewegungen, konnte es hinhauen! Und warum mussten sie unbedingt zur Hintertür?!

 

Mit großem Abstand schlich der schwarze Ritter ihnen nach. Heute war anscheinend nicht sein Tag. Das Mannsweib schloss die Hintertür zu und tauschte dabei mit dem Lockvogel weitere Floskeln aus. Der schwarze Ritter wurde ungeduldig. Typisch Weiber! Mussten immer Unsinn reden! Sie sollten alle beide in den Keller gehen, damit er endlich durch die Hintertür verschwinden konnte! Aber was war das?

 

„...und trotzdem liebe ich dich“, sagte der Lockvogel und das Mannsweib antwortete gleich: „...ich dich auch, aber sei jetzt bitte still!“

 

Das hatte den schwarzen Ritter aus dem Konzept gebracht. Der selbstgerechte, kaltblütige und eiskalt berechnende Kommandant hatte einen Geliebten? Der Kerl schien nicht nur ihr Lockvogel zu sein, sondern auch noch ihr Lustknabe! Aber natürlich! Irgendwo musste sie doch ihren Trieben nachgeben! Was für eine Erkenntnis! Damit konnte er dieses Mansweib erpressen, aber nur wenn er aus diesem verdammten Haus herauskommen würde!

 

Aber was geschah denn jetzt schon wieder zwischen den beiden?! Es sah so aus, als würden sie sich in den Armen liegen! Konnten sie das nicht woanders machen? Aber vielleicht war das die günstigste Gelegenheit für ihn, den schwarzen Ritter! Solange sie ihre Liebeleien miteinander austauschten, konnte er gefahrlos an ihnen vorbei schlüpfen und nichts wie weg, ab in die Freiheit!

 

Beseelt von den Gedanken, setzte der schwarze Ritter seine Füße in Bewegung und dann lief es noch schiefer als bisher. Dieser Frau in Männerkleidern entging nichts. Zu spät merkte er, wie sie etwas, was nach einer Pistole aussah, gegen ihn richtete und grollendes „Halt!“ ausrief.

 

Weitere Ereignisse geschahen ziemlich schnell. Der schwarze Ritter wollte sie angreifen, sich damit den Weg in die Freiheit bahnen, aber sie drückte ab und ihre Kugel bohrte sich treffsicher in seine Schulter. Ihr Kumpane schlug ihm noch dazu das Schwert aus der Hand und er sackte vor Schmerzen zusammen. Er bekam um sich herum nichts mehr mit. Die gnädige Ohnmacht umfing ihn wie ein Schutzwall. Aber früher oder später würde sie ihn loslassen und er würde sich als Gefangener dieses Mannsweibes oder gar im Gefängnis selbst vorfinden.

 

Der schwarze Ritter war erstaunt, als er in einem hellen, sonnendurchfluteten und frisch gelüfteten Zimmer erwachte.

 

 

 

- - -

 

 

 

Oscar und André beobachteten sein Erwachen mit ausdruckslosen Gesichtern. Sie stand an einem großen Türfenster, das auf einen Balkon hinausführte und er am Ende des Bettes. Bernard versuchte sich hochzuziehen. Krampfhaft unterdrückte er den Schmerz und fiel wieder in die Kissen zurück.

 

„Spart Euch die Mühe“, sprach Oscar kühl: „Ihr braucht mindestens zwei Wochen Bettruhe, hat der Arzt gesagt. Er hat Euch die Kugel entfernt, die Wunde versorgt und einen Verband angelegt. Ich habe Euch in die Schulter getroffen, aber es hätte auch ins Auge gehen können. Verdient hättet Ihr das! Schließlich habt Ihr André verletzt, aber ich bin kein Unmensch und fühle mich schuldig. Deswegen seid Ihr bei mir zuhause als Gast. Dennoch, sobald Eure Wunde verheilt ist, werde ich Euch dem Richter übergeben.“

 

„Und Ihr wollt mir weismachen, Ihr seid kein Unmensch?!“, spie Bernard verächtlich aus: „Ihr seid genauso skrupellos und gefühlskalt, wie alle anderen Lakaien der Königin!“

 

„Und wo ist Unterschied zwischen einem Lakai und einem Dieb?“ Oscar wandte sich von dem Fenster ab und gesellte sich zu André.

 

„Ein Dieb arbeitet nur für sich selbst!“, knurrte Bernard und musste daran denken, was er gestern zwischen den beiden beobachten konnte. Er schnitt eine hämische Grimasse. Im Gericht würde er damit gegen dieses Weibsbild aussagen und sie mit einem Mal vernichten.

 

„Wie Ihr meint“, hörte er sie sagen und vernahm ihre festen Schritte. „André, kommst du mit?“, fragte sie ihren Freund an der Tür.

 

„Ich bleibe noch etwas hier“, sagte André gelassen und Oscar verließ das Zimmer.

 

Bernard überraschte der vertrauliche Umgang zwischen den beiden. Eigentlich musste dieser André unterwürfig klingen, wie es von einem Bediensteten erforderlich war! André nahm sich einen Stuhl, stellte ihn an das Bett und setzte sich so hin, dass Bernard ihn auch sehen konnte. „Wie fühlst du dich?“, fragte er ihn ganz nett. Keine Verachtung, kein Groll in der Stimme, als Bernard es eigentlich erwartet hatte. Sehr eigenartig, wo er ihm doch fast das Auge ausgestochen hatte!

 

Bernard drehte seinen Kopf zu ihm und entdeckte sofort die schmale, weiße Narbe auf der linken Augenbraue. „Willst du mir nicht lieber Vorhaltungen machen oder nach Rache sinnen?“, konterte er brüsk mit einer Gegenfrage.

 

André zuckte beiläufig mit seinen Schultern. „Wieso sollte ich? Du hast mich doch nicht lebensbedrohlich verletzt. Und zweitens, ich bin kein rachsüchtiger Mordskerl.“

 

„Dafür aber der Kommandant Oscar!“, zischte Bernard abfällig.

 

„Nein, sie auch nicht“, widersprach ihm André Ruhe selbst: „Sie ist ein herzensguter Mensch.“

 

„Sie hat skrupellos auf mich geschossen!“

 

„Du hast sie aber angegriffen und sie hat sich nur verteidigt.“

 

„Die Liebe macht dich blind“, plauderte Bernard unbeabsichtigt aus: „Ich habe gestern alles mitangehört.“

 

André war für einen Wimpernschlag verdutzt, aber er fing sich sogleich und lächelte gar. „Da täuschst du dich Bernard. Sie macht mich nicht blind, sie ist... sie ist mein Leben.“

 

„Sie ist eine Adlige! Sie nutzt dich nur für ihre Zwecke aus!“, empörte sich Bernard noch mehr: „Begreifst du das denn nicht, André? Sie benutzte dich als Lockvogel, um ihre feine Hände nicht schmutzig zu machen!“

 

„Du täuschst dich wieder, Bernard.“ André brachte nichts aus der Ruhe. „Das mit dem Lockvogel, war meine Idee. Oscar wollte eigentlich selbst als schwarzer Ritter vortreten, aber ich habe es ihr ausgeredet.“

 

„Dann hat sie zugestimmt, um ihre eigene Haut nicht zu gefährden! Oder wie erklärst du dir das?“

 

„Das erklärt gar nichts, Bernard. Ich kann deine Abneigung gegen den Adel verstehen, aber Oscar ist anders. Ich kenne sie in und auswendig. Wir sind zusammen aufgewachsen und ich würde für sie meine Hand ins Feuer legen.“ André sprach mit innerlicher Inbrunst, dass bei Bernard sich die Augen weiteten. Er konnte es einfach nicht glauben, oder besser gesagt, wollte es nicht wahrhaben, was er da hörte! Entweder war André dieser Frau in Männerkleidern so verfallen, dass er die Wahrheit aussperrte oder hatte er womöglich doch noch Recht, mit dem was er sagte?

 

Bernard wollte es unbedingt herausfinden und stellte ihn auf Probe. „Ich werde es dir erst dann glauben können, wenn ich ihre Gutherzigkeit mit eigenen Augen sehe! Das was du mir über sie vorschwärmst, passt ganz und gar nicht zu einer Aristokratin!“

 

„Ich kann dir von mir aus das Gegenteil beweisen...“

 

„Das wäre ein guter Vorschlag...“ Bernard hatte nur darauf gewartet. „Wie wäre es, wenn du sie überreden würdest, mich gehen zu lassen?“

 

„Nichts leichter als das“, sagte André ohne mit Wimper zu zucken. „Wie ich sie kenne, spielt sie bestimmt schon selbst mit diesem Gedanke.“

 

Bernard hatte ihm fassungslos zugehört. Nein, das würde André niemals gelingen! Diese stolze Lady Oscar würde ihn höchstens auslachen und verhöhnen! Dann würden hoffentlich André die Augen geöffnet! Unter den Adligen gab es keine Ausnahmen! Sie waren alle gleich, machthungrig und habgierig!

 

André verließ ihn unverzüglich und kehrte kurz darauf mit Oscar zurück. Bernard war zu dieser Zeit schon etwas eingenickt, aber er bekam trotzdem alles mit. „Schade, er ist eingeschlafen...“, hörte er André halblaut sagen: „Unsere kleine Unterhaltung hat ihn anscheinend müde gemacht.“

 

„Oder du hast ihn langweilt“, erwiderte Oscar leise: „Er soll meinetwegen ausschlafen, solange er mein Gast ist. Beim Richter würde er dazu keine Gelegenheit bekommen.“

 

„Ich finde, du sollst ihn nicht dem Richter übergeben lassen...“ André klang beinahe kleinlaut.

 

„Wie bitte?“, empörte sich Oscar: „Du hast seinetwegen fast ein Auge verloren!“

 

„Es ist aber verheilt, Oscar“, protestierte er beschwichtigend: „Ich kann doch wieder alles sehen. Und er setzt sich für das einfache Volk ein. Ich meine, wir können nichts tun, aber er vielleicht schon.“

 

„Ach, André...“ Oscar seufzte entrüstet: „Du bist einfach unverbesserlich. Sag mir Bescheid, wenn er wieder wach ist.“ und dann war sie wieder weg.

 

Bernard machte seine Augen auf und merkte nur, wie André der zugehenden Tür sehnsuchtsvoll nachstarrte. Wenn er das ein paar Sekunden eher gemacht hätte, dann hätte er auch Oscars liebevollen Blick zu André bemerkt. Aber so glaubte er ihr kein Deut. Er hatte Empörung aus ihrer Stimme herausgehört und das bewies ihm, sie war genauso verschlagen wie alle anderen ihresgleichen! Er setzte sich mühevoll auf und dabei entrann ihm ein gedämpfter Schmerzenslaut. Das lenkte Andrés Aufmerksamkeit auf ihn. „Ah, du bist wieder erwacht! Ich hole gleich Oscar zurück!“

 

„Nein, warte!“, hielt ihn Bernard auf, kaum dieser sein Vorhaben in die Tat umsetzen konnte. „Es bringt nichts. Sie wird niemals zustimmen!“

 

„Wieso glaubst du das?“ André kam näher an sein Bett heran.

 

„Ich habe euch gerade miteinander reden gehört.“

 

„Mache dir keine Gedanken und vertraue ihr. So wie ich es tue.“

 

„Ich traue und vertraue keinen Adligen!“ Bernard schüttelte kaum merklich mit Kopf. „Da kannst du von der einer ihrer Sorten schwärmen wie du willst, André, aber mich überzeugt das nicht!“

 

„Warte noch ab“, bat ihn André: „Es ist noch nicht alles verloren.“

 

„Wie du meinst“, sagte Bernard skeptisch und in dem Moment ging wieder die Tür auf.

 

Oscar marschierte gefasst in das Zimmer und blieb direkt neben André stehen. Sie warf Bernard einen kurzen Blick zu. „Schön, dass Ihr wach seid. Ich habe Euch etwas mitzuteilen. Heute Abend werdet Ihr nicht mehr hier sein. Mein Haus ist für Euch zu gefährlich geworden.“

 

„Was ist vorgefallen, Oscar?“, unterbrach André sie stutzig.

 

Oscar richtete ihr Augenmerk auf ihn. „Mein Vater war gerade hier und wollte unbedingt den schwarzen Ritter sehen. Er sagte, mich würde man zweifelsohne zum Major befördern, weil ich ihn geschnappt habe. Aber ich kann das nicht mit meinem Gewissen vereinbaren und nicht vor dir, André.“ Ein mattes Lächeln huschte über ihre Mundwinkel. „Ich konnte ihn überzeugen, dass ich den falschen Mann geschnappt habe und dass es sich um einen Trickbetrüger handelt. Und weil wir keine Beweise haben, musste ich ihn gehen lassen. Deswegen bringen wir Bernard noch heute nach Paris.“

 

„Und wohin genau?“, ertönte von sich Bernard. Der Staunen und die Verblüffung standen ihm im Gesicht geschrieben. Hatte er sich etwa doch getäuscht? Oder war es womöglich eine List?

 

Oscar überlegte kurz und schaute zu ihm. „In Paris lebt ein junges Mädchen Namens Rosalie. Dort bringen wir Euch hin.“

 

 

 

 

 

Rosalie. Mit diesem Namen konnte Bernard nichts anfangen, bis er die Person gesehen hatte. Er wurde ganz baff. Das Mädchen, dessen Mutter vor Jahren von der Kutsche einer Adligen überfahren wurde, hatte ihn schon damals beschäftigt. Leider verschwand sie nach der Beerdigung spurlos. Aus dem verbitterten Mädchen war inzwischen eine junge, hübsche Frau geworden, zu der Oscar und André ihn gerade brachten. Auch sie erkannte ihn und nahm sich seiner wie selbstverständlich an.

 

Der lockerer, unbeschwerter Umgang zwischen Rosalie und Lady Oscar, war Bernard sehr aufgefallen, was ihn noch mehr erstaunte. Seine missfällige Meinung über diese eine Adlige in Männerkleidern begann zu schwanken. Besonders wenn Rosalie anfing über die Zeit auf dem Anwesen und wie Lady Oscar sich um sie kümmerte, zu erzählen. Sie schwärmte regelrecht von ihr, dass Bernard beinahe ein schlechtes Gewissen von seinen Vorurteilen bekam.

 

Rosalie sorgte um ihn mit Freude und seine Schusswunde verheilte einwandfrei. So kam es, dass er und sie nach wenigen Tagen zueinander ihre Liebe fanden und im nächsten Monat heirateten.

 

Für Oscar und André war die Sache mit dem schwarzen Ritter somit erledigt. Er tauchte nicht mehr auf.

Tiefsinnige Gedanken

Seit Oscar und André Bernard zu Rosalie gebracht hatten, verging etwa ein Jahr in Ruhe. Zumindest bei ihnen. In Versailles dagegen herrschte Aufruhr. Der Prinz und Thronfolger Louis Joseph erkrankte. Die Ärzte taten alles Mögliche und schafften es ihn am Leben zu halten.

 

„Zum Glück ist das Fieber zurückgegangen“, teilte Oscar wenige Tage später ihrem Geliebten mit. Sie saßen am früheren Abend auf ihren Salon und tranken Tee.

 

„Das stimmt“, meinte dazu André und sah sie lange an. Zwanzig Jahre war er schon mit ihr zusammen und sechzehn davon genoss er ihre Liebe. Aber miteinander verheiratet waren sie immer noch nicht. Diese bedrückende Tatsache versuchte er beiseite zu schieben. „Oscar, was hältst du davon, wenn wir eine Runde fechten gehen? Ich finde, wir sind schon ziemlich aus dem Ruder gekommen.“

 

„Warum auch nicht?!“ Oscar stellte ihre Tasse ab und erhob sich. In der letzten Zeit war sie mit fast allen seinen Wünschen einverstanden. Das amüsierte André umso mehr. Sie schien dem Leben als Kommandant der königlichen Garde langsam überdrüssig zu werden. Nur würde sie das niemals gestehen. Manchmal war ihm ihr Gedankengang immer noch ein Rätsel, aber er spürte es sofort, wenn etwas mit ihr nicht stimmte.

 

In Mitten ihrer Fechtübung bekamen sie Besuch. Graf von Fersen kam direkt aus Versailles, um mit Oscar gemütlich ein Gläschen Wein am Kamin zu trinken.

 

Sophie sorgte dafür, dass ihr Enkel sie dabei nicht störte. Sie gab im tiefsten Winkel ihres Herzens noch nicht auf, dass zwischen den beiden doch noch etwas werden würde und belegte André mit Aufgaben, die ihn fern von Oscars Salon hielten.

 

In der Nähe des prasselnden Feuers, mit dutzenden von Kerzen erleuchteten Zimmer und am kleinen Tisch mit gepolsterten Stühlen, führten die zwei eine angenehme Unterhaltung. „...ich diene der Armee und Ihr dem Garderegiment und trotzdem haben sich unsere Wege seit Jahren nicht gekreuzt“, stellte von Fersen ganz beiläufig fest.

 

„Das ist in der Tat sehr eigenartig“, stimmte Oscar ihm zu. „Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann wir uns das letzte Mal begegnet sind.“

 

„Ich schon“, erinnerte sich von Fersen schmunzelnd. „Das war, als Ihr ein Kleid für euren Freund angezogen und mit ihm im Wald getanzt habt.“

 

„Wie bitte?!“ Oscar zog ihre Stirn kraus. Die Erinnerung an das Kleid formte sich in ihren Gedanken, aber das andere nicht. „Wollt Ihr damit sagen, Ihr habt uns nachgestellt?!“

 

„Beruhigt Euch, Oscar. Ich habe nur gesehen, wie Ihr mit ihm unter dem Mondlicht getanzt habt und mehr nicht. Ich bin dann weiter geritten.“

 

„Und das soll ich Euch glauben?“

 

„Ich bitte Euch, Oscar! Sehe ich so aus, als würde ich Euch bespitzeln und an jemanden verraten?!“

 

Oscars Stirn glättete sich. Nein, von Fersen war zu so etwas nicht fähig. Sie kannte ihn eigentlich schon gut genug. Sie nippte an ihrem Wein und setzte ihn dann von ihren Lippen ab. „Verzeiht mir, Graf.“

 

„Schon gut Oscar. Ich verstehe, was Euch bewegt. An Euren Stelle würde ich bestimmt genauso reagieren.“ Von Fersen lehnte sich zurück und überkreuzte seine Beine. „Wisst Ihr, Oscar, habt Ihr schon daran gedacht, das Leben eines Mannes aufzugeben und das Leben einer Frau zu führen?“

 

„Nein, das habe ich nicht.“ Oscar schüttelte verneinend den Kopf. Sie und das Leben einer Frau? Nein, das konnte sie sich nicht vorstellen. Außer an der Seite von André, aber auch da würde sie Schwierigkeiten haben. Die Erziehung saß zu tief in ihr fest. So etwas konnte man nicht abschütteln und von heute auf morgen ein anderer Mensch werden. „So lange ich lebe, führe ich das Leben eines Mannes“, ergänzte sie dem Grafen genauer: „...und so würde es auch weiter bleiben, trotz das ich mich wie eine Frau fühle.“

 

„Ihr seid schon ein bemerkenswerter Mensch, Oscar. Seit ich Euch kenne, bewundere ich Euch.“

 

„Danke, Graf. Ich nehme das als Kompliment.“

 

„So war das auch gemeint.“

 

„Ich frage mich, wo André bleibt...“, wechselte Oscar abrupt das Thema. Sie war es nicht gewohnt, Komplimente von den anderen zu bekommen und das machte sie unbehaglich. Bei André war das eine ganz andere Sache. André! In der Tat! Wo blieb er nur?! Und Sophie ließ sich auch nicht blicken! Als hätte man sie mit von Fersen völlig vergessen! „Ich schaue nach ihm...“, entschied sie sich kurz angebunden und erhob sich. „Wollt Ihr uns zum Abendmahl Gesellschaft leisten, Graf?“

 

„Nein, danke, Oscar. Ich mache mich sogleich auf den Weg. Ich wollte nur ein wenig mit Euch plaudern.“ Von Fersen tat es ihr gleich und reichte ihr freundschaftlich die Hand. „Es war wieder einmal schön bei Euch.“

 

Oscar drückte ihm die Hand fachmännisch, wie Mann zu Mann. „Ihr könnt mich immer gerne besuchen, Graf.“

 

 

 

 

 

André hatte schon seit langem nicht mehr so viele Aufgaben von seiner Großmutter auf einem Haufen bekommen, wie heute. Er ahnte, weshalb sie das machte. Schon als Graf von Fersen ins Haus kam, hielt sie für ihn sofort eine Reihe von Aufgaben parat, von denen keine in Oscars Salon führte. Den Wein für die beiden hatte sie selbst gebracht. Als würde ihr damit diesmal einen Durchbruch gelingen! Bei Oscar und von Fersen würde sie damit erneut auf Granit beißen! Das wusste er ganz genau und dennoch grämte es ihm. Fast genauso wie damals an jenem Abend, als Oscar ein Kleid getragen hatte.

 

André hatte bereits jede aufgetragene Kleinigkeit erledigt: In der Küche, im Haus und damit seine Großmutter ihm nicht noch mehr auferlegte, flüchtete er in den Stall. Als Begründung erfand er, dass die Pferde versorgt werden müssten. Eigentlich waren sie schon versorgt, aber er wollte nur einfach seine Ruhe. Und zweitens, konnte er so abpassen, wenn der Graf weg sein würde, denn sein Pferd stand noch hier im Stall.

 

André ging zu Oscars Schimmel und gab ihm ein Apfel aus dem nahe stehenden Holzeimer. Das Tier schnappte mit seinen weichen Lippen gleich nach der Frucht und zerkaute sie mit seinen muskulösen Kiefer. „So ist es brav.“ André klopfte ihm beherzt am breiten Hals und fuhr durch die zottelige Mähne. „Du bist ein prachtvolles Tier und so schön wie deine Herrin.“

 

„Du vergleichst Oscar mit ihrem Pferd?“, erscholl eine heitere Stimme hinter ihm.

 

André wirbelte erschrocken herum und machte sogleich einen Diener. „Das war sinnbildlich gemeint, Graf.“

 

Von Fersen lachte und legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich weiß, wie du das meintest. Hast du Lust, ein Stück mit mir auszureiten?“

 

„Im Ernst?“ André schaute ungläubig drein. Wieso wollte er mit ihm auszureiten? Das schickte sich doch nicht!

 

„Ach, komm schon, André. Sattle dein Pferd.“ Von Fersen zwinkerte ihm zu und ging zu seinem Pferd.

 

 

 

 

 

Draußen wurde es bereits dunkel und unzählige Sterne zeichneten sich am Himmel wie weiße Punkte auf schwarzen Stoff. André ritt neben von Fersen einher und fühlte sich dabei äußerst unbehaglich. Sie passierten das große Tor des Anwesens und nahmen die Straße nach Paris. Das verwunderte André, denn Versailles lag in einer ganz anderen Richtung. Dennoch stellte er keine Fragen. Von Fersen würde schon sagen, was er von ihm wollte. Und es war ohnehin für seinen Stand nicht angemessen, den Grafen als erster anzusprechen.

 

„Oscar schätzt dich sehr“, begann dieser, nach dem sie das Anwesen ein gutes Stück hinter sich ließen. André sah nur stur geradeaus. Es behagte ihm nicht, mit diesem Mann über Oscar zu sprechen. Und besonders nicht auf diese Art. Von Fersen schien das nicht zu stören. Er redete ungerührt weiter: „Sie ist ein ausgezeichneter Kommandant und eine ganz besondere Frau. Ich will dir nicht zu nahe treten, André. Aber in dieser Hinsicht beneide ich dich.“

 

„Wie meint Ihr das?“ André horchte auf. Jetzt wurde ihm noch zusätzlich mulmig.

 

„Ich meine, dass du ein Glückspilz bist“, erklärte ihm von Fersen schmunzelnd: „Ich spreche von der Liebe. Ihr beide ergänzt euch einander, passt zusammen wie Pech und Schwefel und niemand weiß über euch Bescheid. Ihr seid ein perfektes Paar.“

 

André schluckte hart. Woher wusste der Graf das über sie beide? Hatte ihm Oscar etwas davon verraten? Aber das war doch nicht ihre Art! Er bemühte sich um einen neutralen Ton: „Ich weiß nicht wovon Ihr sprecht. Oscar und ich sind zusammen aufgewachsen und sind daher nur gute Freunde.“

 

„Du brauchst dich nicht verstellen, André. Ich habe euch beide letztes Mal im Wald tanzen gesehen. Aber keine Sorge, bei mir ist euer Geheimnis sicher. Ich will dir nur sagen: Halte deine Liebe fest, gib sie niemals auf und passe gut auf sie auf. Oscar ist zwar wie ein Mann erzogen worden, kann gut kämpfen und versteckt gekonnt ihre Gefühle, aber auch eine harte Schale hat einen weichen Kern.“

 

„Und wieso erzählt Ihr mir das alles?“ André zog seine Augenbrauen streng zusammen. Er glaubte an die Aufrichtigkeit des Grafen, aber er war trotzdem auf der Hut.

 

Von Fersen konnte sein Misstrauen nachvollziehen. An seiner Stelle wäre er vielleicht auch so gewesen. Er holte tief Luft, bevor er weiter sprach: „Ich wünschte mir nur, dass Oscar und du in euren Liebe mehr Glück findet als Marie Antoinette und ich in der unseren.“

 

André richtete betroffen sein Augenmerk auf ihn. So viel Offenheit hatte er ihm nicht zugetraut.

 

Von Fersen lachte bitter. „Schau mich nicht so an, André. Ich meine es ehrlich mit euch beiden.“ Er zügelte unvermittelt sein Pferd. „Ich muss jetzt nach Versailles zurück. Ich danke dir für den Ausritt. Vielleicht sehen wir uns irgendwann wieder.“ Von Fersen wendete sein Pferd, trat ihm in die Flanken und ließ einen verdutzten André zurück.

 

Dieser musste vorerst seine Gedanken ordnen. Was war mit dem Grafen los? Quälte ihn etwa noch die Liebe zu der Königin? Ganz bestimmt! Die Liebe konnte man doch nicht einfach so aus dem Herzen verbannen! Der Graf hatte ihm und Oscar in ihrer gemeinsamen Liebe Glück gewünscht und dabei an seiner eigene gedacht. Er meinte es ehrlich und André glaubte ihm, aber dennoch stimmte es ihn wehmütig. Um in der Liebe richtig glücklich zu werden, bedurfte man mehr als gegenseitige Zuneigung und Vertrauen. Da wäre zum Beispiel Gleichheit angebracht. Wenn er und Oscar in ihrem Stand gleich wären, dann bräuchten sie nicht ihre Liebe vor allen Augen der Welt geheim halten und wären schon längst miteinander verheiratet. André seufzte gequält. Er brauchte etwas zu trinken, um diese erdrückende Tatsache aus seinem Kopf verschwinden zu lassen. Also ritt er weiter nach Paris und suchte sich das nächstbeste Wirtshaus aus.

Kopfzerbrechen

Oscar saß nach dem Abendmahl in ihrem Sessel vor den Kamin, hüllte sich in einer Decke ein und starrte gedankenverloren in die Flammen. Man hatte ihr gesagt, André sei mit Graf von Fersen ausgeritten. Aber was wollte denn von Fersen von ihrem Geliebten? Von alleine wäre André mit ihm nicht mitgekommen. Und wie lange dauerte es, bis er zurückkommen würde?

Es waren schon Stunden vergangen, bald würde Mitternacht sein und er war immer noch nicht da! Ob sie in ein Wirtshaus gegangen waren? Das wäre nicht gerade klug! Wenn die Bürger den Grafen erkennen würden, würden sie sie alle beide zusammenschlagen und herausschmeißen! Oscar drückte sich der Brustkorb zusammen. Sie erinnerte sich noch genau an einen Abend vor einigen Jahren, als sie und André in einer Schlägerei verwickelt waren, weil Robespierre sie als Kommandant der königlichen Garde verraten hatte. Dies erzürnte die Gäste und so begann die Schlägerei.

 

Zum Glück hatte man sie nicht als Frau erkannt, hatte André dann später auf dem Heimweg gesagt. Was meinte er als Frau? Damals hatte Oscar darüber keinen Gedanken verloren. Aber jetzt umso mehr. Was hätte man mit ihr gemacht, wenn man sie als Frau erkannt hätte?

 

Die weiche Wolldecke rutschte Oscar von der Schulter ab und es fröstelte sie etwas. Oscar schob die Decke zurück, ohne sich darüber bewusst zu sein. Sie hatte schon von Schändungen gehört und war in dieser Hinsicht froh, wie ein Mann erzogen worden zu sein. Hätten es aber diese Männer auch gewagt so etwas mit ihr zu tun? War es das, was André damit gemeint hatte? Wo blieb er nur?!

 

Oscar verging fast vor Sorge um ihn. Und da war noch etwas! Dieser Robespierre, soweit sie sich an jenen Abend erinnerte, war in Begleitung von Bernard Chatelet. Das war alles noch vor dem schwarzen Ritter und Oscar hätte nie gedacht, diesen Journalisten noch einmal zu begegnen. Sie hatte ihn gehengelassen, weil André es so wollte und für ihn hatte sie sogar ihren Vater angelogen. Aber zu welchen Preis?

 

Rosalie hatte Bernard geheiratet und er hörte mit dem schwarzen Ritter auf. Und warum wollte André ihn nicht dem Richter übergeben? Etwa, weil er selbst dem dritten Stand angehörte und daher das einfache Volk besser verstand als sie, Oscar Francois de Jarjayes? Sie verstand es doch auch und dessen Leid ging an ihr auch nicht vorbei! Aber ihr kam so vor, als würde André sich besser damit auskennen als sie, die eigentlich selbst manche Adlige nicht ausstehen konnte und ihnen am liebsten den Hals umdrehen würde! Entgegen ihren Prinzipien, ein stolzer Kommandant der königlichen Garde zu sein, fühlte sie sich nicht mehr so wie früher. Ein Kommandant zu sein, war eher ein Privileg, eine Pflicht, die sie sich nicht ausgesucht hatte. Das wurde ihr auferlegt, ohne sie zu fragen. Wenn es nach ihr ginge, hätte sie alles anders gemacht!

 

Sie hätte sich lieber selbst von einem einfachen Soldaten in den höheren Rang hochgearbeitet, aber das war ihr nicht vergönnt. Man hatte sie gleich mit vierzehn Jahren in die Uniform eines Kapitäns gesteckt und nach binnen wenigen Jahren, beförderte sie man zum Kommandanten. Wie ungerecht gegenüber den anderen, die Jahrzehnte dafür brauchten und sich den höheren Posten mit viel Mühe erkämpften müssten!

 

Im Salon ging leise die Tür auf und wieder zu. Oscar schreckte aus ihren Gedanken hoch und sah sich im Sessel nach hinten um. Sie atmete erleichtert auf, als sie Andrés Statur erkannte. „Wo warst du so lange? Ich habe mir schon Sorgen gemacht.“

 

„Das tut mir leid.“ André ging zu ihr und nahm Platz im Sessel nebenan. „Ich war mit Graf von Fersen unterwegs. Er hat mich zu einem Ausritt eingeladen.“

 

„Das habe ich gehört. Sophie hat euch aus dem Tor reiten sehen.“ Oscar ließ ihn nicht aus den Augen und musterte sein seitliches Profil im gelben Feuerschein ausgiebig. Er trug äußerlich keine Verletzungen, was sie noch mehr beruhigte. „Aber was wollte denn von Fersen von dir? Das verstehe ich nicht.“

 

André lehnte sich zurück, schloss die Augen und erzählte die kurze Unterhaltung mit dem Grafen. Oscar sagte nichts, sie hörte ihm nur aufmerksam zu. „...dann war ich in einem Gasthof. Ich wollte mir nur ein Glas Bier gönnen und habe dabei einen Söldner Namens Alain kennengelernt. Ein lebenslustiger Kerl...“, beendete André seine Erzählung und öffnete die Augen.

 

„Ich habe es mir schon gedacht, dass du vielleicht in einen Gasthof einkehren würdest.“ Oscar lehnte sich in ihrem Sessel zurück und verstummte für eine kurze Weile. Stille legte sich zwischen sie und nur das prasselnde Feuer im Kamin hörte man leise knistern. Es war warm und angenehm. Jedem gingen eigene Gedanken durch den Kopf. „André?,“ unterbrach Oscar flüsternd die Stille.

 

„Hmmm?“, verlautete André ohne seine Lippen zu bewegen.

 

„Ich überlege das Garderegiment zu verlassen...“

 

„Aber wieso?“ überrascht fuhr André mit seinem Kopf auf und schaute verständnislos zu ihr.

 

„Ich will keine Zierpuppe mehr am Hofe sein“, erklärte ihm Oscar betont: „Ich will ein neues Leben beginnen. Zusammen mit dir. Aber ich werde weiter wie ein Mann auftreten. Für eine Frau wie mich ist es einfach sicherer.“

 

„Oscar...“ André glaubte sich verhört zu haben. Was hatte sie sich denn da schon wieder ausgedacht? Wozu war dieser Sinneswandel gut? Und wie stellte sie sich das überhaupt vor? Als wäre das alles ganz einfach! Die Königin würde sie doch niemals gehen lassen!

 

André war noch mehr überrascht, als Oscar ihm am nächsten Abend nach ihrem Dienst über ihre Entlassung mitteilte. „Aber wie hast du das geschafft?!“, fragte er sie baff, während sie sich im Zimmer nebenan umzog.

 

„Ihre Majestät wollte erstmals den Grund wissen, aber ich bat sie, meine Gründe mir selbst zu überlassen und versicherte ihr weiterhin meine Treue. Das hat sie anscheinend milde gestimmt und sie gab mir dann später ihre schriftliche Erlaubnis.“

 

„Und wie geht es mit dir nun weiter?“, hörte Oscar seine fragliche Stimme aus dem Salon. Sie richtete noch den Kragen ihres Hemdes und ging zu ihm hinaus. „Das weiß ich noch nicht. Ihre Majestät wird mir morgen Bescheid geben. Aber eins weiß ich genau: Ich werde mich niemals von dir trennen!“

 

„Und ich werde dir folgen, wo auch immer du hingehst.“ André rührte es immer wieder, wenn sie ihm so etwas offen sagte. Er kam nicht umhin, Oscar in seine Arme zu schließen und sie zu küssen.

 

Oscar gewährte es ihm für einen kurzen Wimpernschlag. Um diese Tageszeit war es noch zu früh und zu gefährlich, für solche Innigkeit. Das wussten sie alle beide und trennten sich schon nach wenigen Sekunden. In den Jahren ihrer heimlichen Liebe, wurde es schon beinahe zu einem Ritual zwischen ihnen.

Dienstquittierung

Am nächsten Morgen ließ man Oscar von der Königin ausrichten, dass nur ein Posten derzeit als Kommandant zur Verfügung stand: Bei einer Söldnertruppe in Paris. Bedauerlicherweise gab es aber für André dort keinen Platz. „Es tut mir leid“, entschuldigte sich Oscar, als sie wieder auf ihrem Zimmer war.

 

Nicht mehr an Oscars Seite zu sein war für André enttäuschend. Gleichzeitig jedoch traf ihn ein Geistesblitz. „Aber natürlich!“ Sein Gesicht hellte sich auf und er fasste Oscar bei den Armen. „Weißt du noch, als ich dir von dem Söldner Namens Alain erzählt habe?“

 

„Ich erinnere mich vage.“

 

„Er meinte, er gehört zu der Söldnertruppe bei Paris! Und du wurdest heute dorthin versetzt! Weißt du, was das bedeutet?“

 

„Nein, André. Wenn du um den heißen Brei redest, dann nicht.“

 

„Das bedeutet, dass ich Alain fragen kann, ob er mir hilft der Söldnertruppe beizutreten! Verstehst du jetzt, was ich meine? So kann ich in deiner Nähe sein!“

 

Oscar zog ihre Mundwinkel nach oben und ihre Augen glänzten freudig. „Das wird sehr schön sein, wenn es dir gelingt!“ Sie drückte sich unvermittelt an ihn. „Bis dahin ist aber eine Woche Zeit. Ich habe mir überlegt, sie auf meinem Gut in der Normandie zu verbringen. Was hältst du davon? Dort sind wir unter uns, ganz alleine.“

 

„Das klingt sehr verlockend.“ André schmunzelte vergnügt vor sich hin und zog sie fester in seine Arme.

 

„Und was hältst du davon, wenn wir uns dort verloben?“, hauchte Oscar an sein Hemd.

 

André schob sie ruckartig von sich. Unglaube zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. „Ist das dein ernst?“

 

„Wenn ich es dir so sage“, konterte sie aufrichtig. Ihre Hände ruhten auf seinem Brustkorb und ihr Blick bohrte sich tief in ihn hinein. „Hör zu, André: Wenn wir uns verloben, dann sind wir noch mehr aneinander gebunden. Und eine Verlobung braucht keine Zustimmung von dem König oder sonst noch jemanden. Das können wir unter uns auch so ohne Zeugen ausmachen. Ich weiß, eine Heirat wäre dir lieber und effektiver, aber...“

 

„Schscht...“ André legte ihr zart sein Zeigefinger auf die Lippen und ließ sie nicht weiter sprechen. „Schon gut, Oscar. Ich weiß wie du das meinst. Ich bin mit der Verlobung durchaus einverstanden.“

 

Oscar zeigte ihm ihr hinreißendes Lächeln und entfernte sein Finger von ihren Lippen. „Dann sind wir uns einig. Das wird bestimmt eine schöne Woche werden.“

 

„Mit dir ist für mich jeder Augenblick schön, Oscar“, gluckste André und senkte sein Mund über ihre weichen Lippen. Aber wieder einmal nur für kurz. Es war noch mitten am Tag und sie mussten noch Sachen packen. Für weitere Liebeleien würden sie auch in der Normandie genügend Zeit haben. Sie trennten sich. „Ich werde meine Großmutter holen, damit sie dir beim Sachen packen hilft“, sagte André mit einem geheimnisvollen Glanz in seinen grünen Augen: „Und derweilen werde ich auch packen gehen.“

 

„In Ordnung“, stimmte ihm Oscar zu. Nach dem er aus ihrem Zimmer war, entledigte sie sich ihrer roten Uniform. Sie hatte sie heute zum letzten Mal getragen und verspürte dabei kein Bedauern. Ihr kam es nur wie bei einem Baum vor, der im Herbst sein Blätterkleid ablegte und im Frühling ein Neues anlegte. Sie zog ihre gewöhnliche Sachen an und in dem Moment ging in ihrem Salon die Tür auf.

 

„Oscar! Bist du hier?“, hörte sie eine tiefe Stimme nach ihr rufen.

 

Oscar ordnete noch ihre Weste und ging gemütlich aus ihrem Schlafgemach. „Ich bin hier, Vater.“

 

Der General erreichte sie mit großen Schritten. „Warum hast du deinen Dienst in dem königlichen Garderegiment quittiert?!“ Er sah nicht gerade erfreut aus. Aber auch nicht erzürnt.

 

Wie immer aufrecht und mit gestrafften Schultern, gab ihm Oscar die Antwort: „Ich möchte damit nur mein Leben selbst gestalten, Vater.“

 

„Ich hoffe nur, du weiß, was du tust“, verabschiedete sich Reynier von seiner Tochter und ließ sie alleine.

 

Das war das ganze Gespräch. Nur ein kleiner Wortgefecht, mehr nicht. Wenn sie jünger wäre, hätte er ihr vielleicht noch mit der Faust oder Zeigefinger gedroht. Wie er das noch vor zehn Jahren getan hatte. Aber nicht mehr jetzt. In diesem Jahr würde sie dreiunddreißig Jahre zählen. Manch eine andere Frau wäre schon in diesem Alter eine Großmutter geworden.

 

Etwas wehmütig zog sich Oscar das Herz zusammen. Sie verstand selbst nicht warum, aber manchmal träumte sie von kleinen Kindern und stellte sich im geheimsten Winkel ihres Herzens vor, wie es wohl wäre eine Mutter zu sein. Was für eine absurde Vorstellung! Aus ihr würde niemals eine Mutter! Sie wurde dazu erzogen, ein Soldat zu sein und wie ein Mann aufzutreten!

 

Dennoch, ohne dass Oscar es wollte, spielten bei diesem Gedanke ihre Gefühle verrückt. Besonders wenn sie die Königin mit ihren Kindern sah, entflammte etwas Verborgenes in ihr, was einer Sehnsucht ähnelte und sich wie kleine Nadelstiche in ihr Inneres bohrten.

 

Oscar war nicht weltfremd aufgewachsen, um nicht zu wissen, wie die Kinder entstanden. Vielleicht sollte sie darüber mit ihrem André reden? Er war doch schließlich der Mann, dem sie ihr Herz und ihre Liebe geschenkt hatte! Aber halt! Wo dachte sie denn schon wieder hin?! Sie waren doch noch nicht miteinander verheiratet!

 

Oscar schüttelte den Kopf. Aber sogleich drängte sich ihr schon die nächste Gedanke: Sie werden sich in der Normandie verloben und das bedeutete, sie könnten sich schon mal überlegen, eine Familie zu gründen! Und wenn sie ein Bauch von André bekommen würde, dann würde man ihnen vielleicht erlauben zu heiraten...

 

Nein, man würde sie eher umbringen! Vorneweg André und dann sie, egal ob sie ein Bauch von ihm haben würde oder nicht!

 

Abermals schüttelte Oscar ihren Kopf. Was war nur los mit ihr?! Warum dachte sie so oft an ein Kind von ihrem André und stellte sich dabei vor, eine Mutter zu sein?! Das musste sie sich abgewöhnen!

 

Ihr einstiges Kindermädchen kam zu ihr ins Zimmer herein und entriss sie zum Glück aus den Gedanken. Sie würde versuchen in Zukunft nicht mehr daran zu denken!

 

Sophie half ihr beim Sachen packen und am nächsten Morgen brach Oscar mit André nach Normandie auf.

Nacht in Normandie

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Der neue Dienst

Ein Tag eher als erforderlich kam Oscar in die Kaserne, um zu sehen, ob ihr André es geschafft hatte, der Söldnertruppe beizutreten. Der zugeteilte Adjutant Dagous war überrascht über ihr vorzeitiges Erscheinen, aber begrüßte sie ordnungsgemäß, trotzdem höflich. Auf ihren Wunsch, sie möchte mit den Quartieren der Soldaten beginnen, reagierte er vorerst verwundert. Dann aber geleitete er sie dorthin. Die Söldner waren allesamt chaotische Burschen und schafften es nicht einmal ihre Uniformen ordentlich anzuziehen, als der neue Kommandant eintrat. Bei manchen waren die dunkelblaue Uniformjacken falsch angezogen oder nicht zugeknöpft. Wenigstens aber standen sie alle in Reihe und salutierten vor ihr.

 

Oscar stellte sich ihnen laut vor und schielte in alle Richtungen. Sie war gereizt und missgelaunt, trotz sie sich in Disziplin und Beherrschtheit übte. Wo war nun André?! Die Soldaten sahen in ihren Uniformen fast alle gleich aus! Ah, da war er! In der hintersten Reihe! Oscar fühlte sich sogleich besser.

 

André sah sie unverwandt an, als kenne er sie nicht. In seinen grünen Augen jedoch, entdeckte sie einen freudigen Glanz. In ihrem herrischen Tonfall wandte sie sich wieder an den Adjutanten Dagout: „Die Neulinge, die höchstens vor zwei Tagen hier beigetreten sind, sollen sich unverzüglich bei mir im Offizierszimmer melden! Ich muss sie auf ihre Fähigkeiten prüfen!“

 

„Jawohl!“ Leutnant Dagout salutierte und Oscar marschierte hinaus. „Derjenige, der seit vorgestern hier neu ist, sofort vortreten!“, befahl er in die Runde und aus der hintersten Reihe schob sich nur ein einziger Mann hervor. „Du hast den neuen Befehlshaber gehört!“, meinte er zum Anschluss und ging ihm voraus.

 

André ging ihm gefasst nach und dachte dabei an Oscar. Sie hatte aufgebracht gewirkt. Also hatte ihr etwas nicht gepasst. Aber was genau? Das würde er gleich erfahren. Abgesehen von ihrer miesen Laune, hatte sie in ihrer neuen Uniform gut ausgesehen. Ganz in blau. Das machte sie noch schlanker und anziehender.

 

André erreichte ihr Offizierszimmer und der Leutnant Dagout meldete ihn dem neuen Befehlshaber. Auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin, ließ er André mit ihr alleine. Oscar stand am Fenster, die Hände hinter sich gefaltet und starrte auf den Hof hinaus. Sie sah weiterhin verärgert aus. Bedächtig kam André auf sie zu. „Was ist passiert, Oscar?“

 

„Es hat nicht geklappt...“, murmelte sie in das Fenster.

 

„Was genau?“, hackte er geduldig nach und blieb direkt hinter ihr stehen, so das ihre Schulterblätter seinen Brustkorb berührten. Das erzeugte einen wohligen Schauer bei allen beiden. André fasste sie sachte bei den Armen. „Oscar, was hat denn nun nicht geklappt?“

 

„Ein Kind“, hauchte sie kaum hörbar: „Ich habe mein Monatsfluss bekommen...“

 

Das war das also, was sie beschäftigte! Die Sache mit dem Kind war ihr also wirklich ernst! „Es wird schon...“, meinte er, um sie zu beruhigen und drehte sie zu sich um. „Wir versuchen es beim nächsten Mal...“

 

Das schien Oscar zu überzeugen und ihre Mundwinkel zogen sich leicht nach oben. „Ja, André, das werden wir bei der nächsten Gelegenheit wieder versuchen. Aber jetzt solltest du besser zu deinen Kameraden zurückkehren. Und ich komme morgen wieder.“

 

 

 

 

 

Auf seinem Quartier wurde André Zeuge einer abfälligen Diskussion über den neuen Befehlshaber. Von irgendwoher fanden die Söldner heraus, dass es dabei um eine Frau handelte und dass sie dem königlichen Garderegiment angehört hatte. Sofort erklangen empörte Proteste und Abneigungen gegen sie. André hielt sich raus und überlegte, wie er Oscar am besten schützen könnte.

 

Mitten in der Nacht weckte ihn Alain zum Wachwechsel. Sie patrouillierten auf der hohen Mauerwehr der Kaserne und nach ein paar Runden erlaubten sie sich eine kurze Pause. „Oh, man! Heute ist wohl nicht dein Tag.“ Alain stellte sein Gewehr neben sich und setzte sich auf den Boden.

 

André blieb vor ihm im Stehen und täuschte eine fragliche Miene. „Wieso?“

 

„Ich meine damit, du kommst hier ganz neu an und wirst von dem neuen Befehlshaber angefahren. Die ist doch reinste Furie! Was wollte sie überhaupt von dir?“

 

„Nichts Besonderes...“ André hob und senkte beiläufig mit seinen Schultern. „Sie hat mich nur ausgefragt, wie gut ich kämpfen kann, ob ich im Umgang mit Schusswaffen geübt bin und ob ich das Fechten auch beherrschen kann.“

 

„Nun gut.“ Alain stand auf und griff nach seinem Gewehr. „Sie hätte lieber in ihrem königlichen Garderegiment bleiben sollen. Es gibt hier nämlich genug Männer, die aristokratischen Frauen mehr hassen als ich.“

 

André wurde in dem Moment noch klarer, dass Oscar sich auf ein gefährliches Terrain einließ. Er schwor sich insgeheim, noch mehr auf sie achtzugeben.

 

 

 

 

 

Oscar dagegen machte sich nichts daraus. Sie nahm das widerspenstige Verhalten der Söldner als Herausforderung an. Und sie mochte es, sich den Herausforderungen zu stellen. Noch am ersten Tag ihres neuen Dienstes zeigte sie der Söldnertruppe, dass sie aus einem härteren Holz geschnitzt war. Weil die Soldaten sich weigerten zum Appell anzutreten und ihr deutlich unter der Nase rieben, dass sie sich keineswegs von einer adligen Frau befehligen lassen würden, schlug Oscar ihnen einen Duell vor. Ob Degen oder Pistole, war ihr gleich. Ein breitschultriger Mann mit einer grässlichen Narbe im Gesicht meldete sich in Bereitschaft dazu und stellte sich ihr. Er hatte den Degen gewählt und das Duell begann unter einer Bedingung: Wenn Oscar gewinnen würde, dann würde die Inspizierung stattfinden und wenn er gewinnt, würde sie als Befehlshaber wegtreten. Dieses Angebot klang überaus vernünftig und spornte den Söldner noch mehr an. Aber er verlor trotzdem gegen sie. Sie war einfach zu flink und zu wendig für ihn.

 

Dass Oscar gewonnen hatte, milderte dennoch die Abneigung der Söldner gegen sie keineswegs. Das rührte Oscar selbst allerdings nicht im Mindesten. Sie brachte sogar Verständnis dafür auf. Die Soldaten traten zum Appell an, der erste Tag ging zuneige und Oscar kam einigermaßen zufrieden nachhause.

 

Es war eigenartig und ungewöhnlich, André nicht an ihrer Seite zu wissen, aber damit musste sie sich arrangieren. Sophie empfing sie und meldete ihr sogleich Besuch. Oscar ging in den Gemeinschaftssalon im unteren Stockwerk und war überrascht Graf de Girodel, der jetzt das Kommando in der königlichen Garde führte, zu sehen. „Was denn, Ihr seid der Besuch?“ Sie wollte nach Sophie rufen, damit sie Wein brachte, aber Victor lehnte nur freundlich ab: „Das ist nicht nötig, Lady Oscar. Ich war nur froh, Euch zu sehen.“ Er verneigte sich knapp und verabschiedete sich.

 

Oscar starrte ihm verdattert nach. „Was wollte er denn hier?“, fragte sie beiläufig die angelaufene Sophie.

 

Diese senkte ihr Haupt und faltete ihre schrumpligen Hände vor sich. „Graf de Girodel war heute bei Eurem Vater. Er hat um Eure Hand angehalten und Euer Vater hat dem Antrag zugestimmt.“ Sie schielte flüchtig zu Oscar, um ihre Reaktion zu sehen. Die alte Dame wusste, dass es ihren Schützling hart treffen würde, aber sie konnte ihr genau so wenig die Wahrheit vorenthalten.

 

Oscar fühlte sich, als hätte man sie von der Klippe gestoßen und sie in einer endlosen Tiefe fiel. Nein, Sophie musste sich verhört haben! Sie würde niemanden außer André heiraten! Sie hatte sich doch schon mit ihm verlobt!

 

Auf ihrem Zimmer dachte Oscar darüber nach. Es ging ihr nicht mehr aus dem Kopf und stach ihr wie ein kleiner Messerstich, der nicht tödlich aber schmerzlich war. Sie musste diese Sache unbedingt regeln und mit ihrem Vater sprechen! Leider war er schon außer Haus. Also würde sie ihn ein anderes Mal abpassen müssen! Und André sollte nichts davon erfahren! Es würde ihm das Herz brechen, trotz er sich ihrer Liebe sicher war. Diesbezüglich war er sehr empfindsam und daher war es besser, wenn sie das selbst regeln würde!

Glückgehabt

In der Kaserne herrschte weiterhin Missgunst und Abneigung gegenüber Oscar. Das hatten die Männer ihr deutlich zu Verstehen gegeben als sie ihnen eines Abends auf Patrouille befahl, etwas über eine feige Ermordung an einem Marquise herauszufinden. „Es ist die Aufgabe der Polizei“, sagte einer und die anderen stimmten ihm zu.

 

„Wenn Ihr wollt, könnt Ihr Euch selbst dorthin aufmachen, aber wir bleiben hier“, fügte der Bärenmann mit der grässlichen Narbe im Gesicht hinzu.

 

Oscar blieb nichts anderes übrig, als in die Kaserne zurückzukehren und dort lieber einige Dokumente zu überprüfen. Sie hatte wieder einmal die Nacht nicht geschlafen und da am nächsten Tag dienstfrei war, ritt sie beim Morgengrauen nachhause. Ohne ihren André. Sie wollte nicht, dass er ihretwegen unter seinen Kameraden in Verruf geriet. Wieder empfing sie Sophie mit einer Neuigkeit: Ihr Vater war da und wartete in seinem Arbeitszimmer auf sie. Für Oscar war das sogar sehr passend und die leichte Müdigkeit, die sie verspürte, war wie weggeblasen.

 

„Vater! Ich bitte Euch den Antrag abzulehnen!“, bat sie aufrecht, kaum dass sie den Raum betreten hatte.

 

Der General saß am Tisch und rauchte gemütlich eine Pfeife. Er lud sie mit einer Handgeste ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen. „Setze dich hin, meine Tochter. Wir können über alles normal reden.“

 

Oscar folgte wie ihr geheißen. Auf dem Tisch stand eine Vase mit weißen Rosen. Reynier fing mit den Problemen in der Kaserne an. Oscar winkte darauf nur ab. „Das ist normal, wenn man eine neue Truppe übernimmt und es dort deswegen zu Unstimmigkeiten kommt. Aber gerade der Widerstand übt auf mich einen gewissen Reiz.“

 

Der General legte auf einmal seine Pfeife beiseite und bedeckte seine Augen mit einer Hand. „Vergib deinem Vater, Oscar... Ich hätte dich nie wie einen Knaben erziehen dürfen...“ Er sprach weiter, dass er diese Erziehung bereute und wünschte mit dieser Heirat seine Tochter glücklich zu sehen.

 

Oscar nahm derweilen eine Rose aus der Vase und zupfte die Blütenblätter sich auf die Handfläche. „Ihr habt nichts Falsches getan, Vater“, offenbarte sie ihm gelassen: „Nicht einen Hauch des Vorwurfes trage ich Euch gegenüber in mir. Mit Eurer Erziehung habt Ihr mir das Beste gegeben. Aber trotzdem habe ich mich schon immer wie eine Frau gefühlt. Und sogar die leidenschaftliche Liebe zu einem Mann habe ich schon...“ An dieser Stelle zuckten ihre Mundwinkel und sie pustete die Blütenblätter von ihrer Handfläche.

 

Reynier schoss entsetzt in die Höhe. „Ich würde dazu sagen, es ist nicht wahr, du willst mich nur beruhigen. Wenn du Graf de Girodel nicht magst, werden wir dir einen anderen Gemahl aussuchen.“ Er glaubte ihr nicht!

 

Oscar behielt ihre kühle Beherrschtheit. Sie hatte ihrem Vater gerade die Wahrheit offenbart, aber dieser war anscheinend so darauf versessen, sie zu verheiraten, dass er ihr Geständnis für eine Ausrede hielt! Reynier wollte sie in einem Kleid bei einer Veranstaltung sehen, wo nur adlige Herren anwesend waren. Damit sie dort einen von ihnen als Bräutigam aussuchen konnte. Aber Oscar hatte doch schon längst die Wahl getroffen! Nur wie könnte man dies bloß ihrem Vater begreiflich machen?! Ihr würde schon etwas einfallen, ohne ihren André in Gefahr zu bringen!

 

 

 

- - -

 

 

 

Am Nachmittag bekam André eine Überraschung. Er putzte sein Gewehr, als einer seiner Kameraden zu ihm kam und einen Besuch für ihn meldete. André ging nach draußen auf den Hof und war sichtlich erstaunt, seine Großmutter zu sehen. „Wie geht es dir, mein Junge?“, sprach sie ihn beinahe mütterlich an und reichte ihm einen zugeschnürten Stoffbeutel. „Ich habe dir frische Wäsche mitgebracht. Wann hast du vor nach Hause zu kommen? Eigentlich muss ich dir böse sein, weil du der Kaserne beigetreten bist, aber Schwamm drüber.“

 

„Es geht mir gut, Großmutter.“ André nahm den Beutel an sich und lächelte freundlich. „Ich werde schon irgendwann nach Hause kommen. Ich vermisse Eure Kochkünste. Das Essen hier schmeckt abscheulich.“

 

„Das glaube ich dir gern, mein Junge.“ Sophie lachte kurz auf und wurde wieder ernst. Sie rückte ihre Brille auf dem Nasenrücken zurecht und inspizierte ihren Enkel flüchtig. Sollte sie es ihm sagen oder lieber nicht? Vielleicht würde er dabei endlich verstehen, wie aussichtslos seine heimliche Schwärmerei war?! Dann würde er davon ablassen und vernünftigerweise sich ein passendes Mädchen suchen! Sophie ahnte, dass sie ihn dadurch verletzen könnte, aber ihr Enkel musste es einfach begreifen und einsehen! Also sammelte sie ihren Mut zusammen und fasste sich ans Herz. „Ich weiß nicht, ob du davon schon gehört hast, aber es sieht danach aus, als würde unsere Lady Oscar bald heiraten.“

 

Das traf André wie ein Schlag in die Magengrube. Er bemühte sich krampfhaft unbeeindruckt zu wirken. „Was sagt Ihr da? Oscar und heiraten? Niemals!“

 

„Doch, doch, mein Junge. Ihr Vater hat auch schon zugestimmt.“, beharrte seine Großmutter aufrecht und krauste die Stirn, weil er ihr nicht glauben wollte.

 

André wollte wissen, mit wem würde Oscar denn vermählt, aber die Frage verwarf er gleich. Wenn der General dieser Heirat zugestimmt hatte, dann war der Bräutigam ihrem Stand und ihres Ranges angemessen. Ihm war so, als schwinde ihm der Boden unter seinen Füßen weg und er fiele in einen Abgrund.

 

Zu seinem Glück verabschiedete sich seine Großmutter schon kurz darauf und er konnte in seine verzweifelnden Grübeleien versinken. Er wollte es nicht glauben, aber seine Großmutter würde ihn doch nicht anlügen! Und weshalb der plötzliche Sinneswandel des Generals?! Das verstand er nicht, aber eines war ihm gewiss: Oscar würde sich ihrem Vater nicht widersetzen können und ob sie wollte oder nicht, sie würde sich fügen müssen! Und die inoffizielle Verlobung zwischen ihr und ihm, André, hatte dann auch nichts mehr zu bedeuten! Sie würde systematisch im Hintergrund aufgelöst, sobald das neue Verlöbnis stattfinden würde!

 

André schnürte sich die Kehle zu – er musste sofort mit Oscar sprechen! Überstürzt rannte er zu ihrem Offiziersbüro und stieß unterwegs mit seinen Kameraden zusammen. Vorneweg der Bärenmann mit der Narbe im Gesicht. Alle grinsten hämisch und böse. André begriff, dass sie nichts Gutes im Schilde führten, aber das war ihm egal. Er war verzweifelt und wütend.

 

„Du wirst uns ins Lagerhaus begleiten, Freundchen!“, sagte der Bärenmann grimmig und André wurde sogleich von allen Seiten grob angepackt. Im Lagerhaus hatte man ihn zusammengeschlagen und übel zugerichtet, weil die Söldner von irgendwoher herausfanden, dass er früher ihrem neuen Befehlshaber gedient hatte. Sie dachten, er sei ein Spion und das machte sie umso wütender.

 

André jedoch ließ sich das nicht gefallen und wehrte sich mit allen Kräften. Er verpasste einigen der Söldnern heftige Fausthiebe und stellte sich dabei vor, er schlüge auf den arrangierten Bräutigam von Oscar ein. Diese Vorstellung spornte ihn mehr an und mit Elan nahm er es mit allen seinen Angreifer auf. Nur aber waren sie zahlenmäßig überlegen und er alleine gegen sie. In dem Moment war es ihm aber egal. Nicht lange und sie schlugen ihn zu Boden. Triumphierend stolzierten sie allesamt hinaus und er hörte gedämpft Alains drohende Stimme. André verstand nicht alles, aber einiges erreichte schon sein Gehör. Alain war auf seiner Seite und ermahnte die Söldner, dass jeder Neuling unter seinem Schutz stand. Er ging danach in das Lagerhaus herein und hockte sich vor André. „Die haben dich ganz schön zugerichtet. Das wird schon wieder“, sagte Alain auf seine raue Art und legte ihm die Hand auf die Schulter.

 

André spürte es kaum. Alles an ihm schmerzte, aber der größte Schmerz fraß sich in sein Herz. „Oscar...“, murmelte er erstickt und in seiner Verzweiflung benommen: „...du darfst nicht heiraten ...bitte tue mir das nicht an... wir sind doch schon verlobt.“

 

„Hä?“ verblüfft starrte Alain auf ihn herab und nahm beiläufig eine Bewegung an der Türschwelle wahr. Der neue Befehlshaber stürmte herein und warf sich vor André auf die Knie. „André!“

 

Alain ging dabei ein Licht auf. „Jetzt wird mir einiges klar! Er scheint unsterblich in Euch verliebt zu sein!“

 

„Das geht Euch nichts an!“, knurrte Oscar und rüttelte André sanft an den Schultern. Dieser stöhnte und versuchte seine Gliedmaßen zu bewegen.

 

„Eine verrückte Welt, wo die Diener adlige Mannsweiber lieben...“, meinte Alain geringschätzig beim Aufstehen und ging zur Tür.

 

Oscar achtete nicht mehr auf ihn. Ihre Aufmerksamkeit galt nur ihrem Geliebten. Woher wusste er denn über die Heiratspläne ihres Vaters Bescheid?! Ach ja, seine Großmutter wollte ihn doch heute besuchen! Oscar verstand seine Verzweiflung und die hilflose Wut am besten. Sie hatte es vermasselt, ihn davor zu bewahren und Gewissensbisse plagten sie deswegen. „André, bitte, sage doch etwas!“, flehte sie ihn beinahe weinerlich. André bewegte sich. Quälend langsam stützte er auf seine Arme und versuchte sich hochzurappeln. Oscar half ihm dabei und als er aufsaß, beschaute sie besorgt sein Gesicht. An manchen Stellen waren schon rot angelaufene Anschwellungen zu sehen. „Du musst sofort zum Arzt!“

 

„Es geht schon...“, nuschelte André, ohne Oscar anzusehen: „Mach dir um mich keine Sorgen... Ich werde ohne dich schon irgendwie auskommen...“ Er log sie an! Er würde ohne sie keinen einzigen Tag überleben!

 

Oscar legte ihm ein Finger unter dem Kinn und bewegte sein Gesicht zu sich hoch. „Sieh mich an, André.“

 

Er tat es, weil ihm keine andere Wahl blieb und was er sah, zerriss ihm noch mehr das Herz. Der sanfte Blick ihren blauen Augen, die feinen Linien ihres Gesichtes und kaum merkliches Lächeln auf ihren blutroten Lippen. „Warum tust du das, Oscar?“ Ihm kamen beinahe die Tränen. „Wieso musst du heiraten?“

 

„Aber ich heirate doch gar nicht!“, beruhigte ihn Oscar zuversichtlich und sah ihm dabei direkt in die Augen. „Außer dir werde ich doch niemanden heiraten wollen! Du bist der einzige Mann in meinem Leben! Nur mit dir, für dich lebe ich doch...“

 

Wie schön und tröstend ihre Worte klangen! Wie ein wohltuender Balsam für seine Wunde oder wie eine liebliche Melodie ihres Klaviers für seine Ohren! Und dennoch heiterte das sein Gemüt nicht auf. „Aber das ist doch der Wunsch deines Vaters, Oscar. Du kannst dich ihm doch nicht widersetzen...“

 

„Mir wird schon etwas einfallen! Ich gebe mich doch nicht so leicht hin!“

 

„Du willst deinem Vater die Stirn bieten?“ André war überrascht und skeptisch.

 

Oscar entfernte ihre Finger von seinem Kinn, ihre feine Gesichtszüge verhärteten sich wieder, aber der warme Glanz in ihren Augen löste sich nicht auf. „Überlasse das bitte mir und reite lieber nach Hause. Ich stelle dich für ein paar Tage frei. Du sollst deine Wunden vom Arzt behandeln lassen und dich erholen. Um alles andere kümmere ich mich schon.“ Der bestimmender Ton in ihrer Stimme ermahnte ihn, ihr nicht zu widersprechen.

 

Ihr zu liebe und weil er ihr vertraute, gehorchte er. Nun gut, Widerwille war auch dabei, aber was soll´s. Oscar hatte ihm indirekt erneut ihre Liebe versichert und dass sie darum kämpfen würde. Aber gegen den Willen ihres eigenen Vaters? Wie wollte sie das denn anstellen? Die einzige Möglichkeit war, ihm die Wahrheit zu sagen, aber Oscar war noch nicht bereit dazu. Und dann wurde ihr Vater angeschossen! Der Täter hatte ihn mit einem anderen General verwechselt. Zum Glück verfehlte die Kugel sein Herz und die Wunde war für ihn nicht lebensbedrohlich.

 

General de Jarjayes wünschte aber seine Tochter in einem Brautkleid zu sehen, anstelle dass sie diesen Kerl nachjagte. Dem Wunsch eines Kranken konnte sich Oscar erst recht nicht entziehen.

 

André hatte sich derweilen schon erholt und stand ihr zur Seite. Auf die Anweisung ihres Vaters, sollte er sie auf diese Veranstaltung begleiten. Als der Zeitpunkt kam, entschied sich Oscar anders. Sie erschien nicht in einem Kleid, sondern in ihrer Uniform. Ihr Vater verstand somit, dass seine Tochter das Leben eines Mannes niemals aufgeben würde und akzeptierte daher ihre Entscheidung. Aus diesem Grund gab er ihrem Willen nach und ließ von den Heiratsplänen ab.

Aufstände

In den drei Monaten ihres Dienstes in der Kaserne legte sich die Missgunst der Söldner gegen sie. Unter dem Volk brodelte es dagegen mehr und mehr. Erste Aufstände flammten auf, die Menschen aus dem dritten Stand begannen sich zu wehren. Sie hielten die Unterdrückung nicht mehr aus und überfielen adlige Kutschen, die Paris passierten. Oscar und André gerieten zufällig in so einen Mob. Graf von Fersen kam mit hunderten von Soldaten und rettete sie. Es begannen schwere Zeiten für die Adligen, das Volk forderte deren Abschaffung.

 

Im Januar 1789 eröffneten die hohen Herrschaften einen Dreiständekammer Kongress. Im Mai denselben Jahres fand die erste Sitzung statt. Sie musste allerdings abgebrochen werden, denn der Zustand des Thronfolgers, Prinz Louis Joseph, verschlechterte sich zusehends. Im Juni starb er im Alter von nicht einmal acht Jahren.

 

Oscar ritt unverzüglich nach Versailles, um der Königsfamilie ihren Beileid auszusprechen. Das hatte sie sehr mitgenommen. Desöfteren suchte sie danach den Trost in Armen ihres Verlobten und gab sich seiner Liebe hin. André tröstete sie fast jede Nacht, trotz der Gefahr ertappt zu werden.

 

Der Trauer um den Prinzen hatte sich kaum gelegt, da wurde der Dreiständekammer Kongress weitergeführt. Oscar bewachte das Parlament mit ihrer Söldnertruppe und sorgte für Ordnung. Schon bald flammten neue Unstimmigkeiten zwischen Volksvertretern und dem Adel im Parlament auf. Die Volksvertreter wollten neue Reformen durchsetzen, die die Macht des Adels gewaltig einschränkte. Der Adel bestand dagegen auf die alte Gesetze und der König forderte auf deren Wunsch, die Auflösung der Dreiständekammer. Jeder sollte halt nach Ständen unterschiedlich diskutieren. Man hatte infolgedessen die Volksvertreter aus dem Parlament ausgeschlossen.

 

Oscar hatte dennoch ihren Soldaten befohlen, die Türen zu öffnen und die Vertreter des Volkes hereinzulassen. Sie wollte damit nur unnötige Auseinandersetzung vermeiden. Dafür wurde sie und zwölf weitere Soldaten wegen Befehlsverweigerung verhaftet. An ihrer statt wurde das königliche Garderegiment eingesetzt. Sie sollten die Volksvertreter mit Waffengewalt aus dem Parlament vertreiben. Mit Hilfe von André konnte Oscar entkommen und ritt unverzüglich mit ihm zum Parlament. Sie schaffte es, Girodel zu überreden, nicht auf die Parlamentarier zu schießen und dieser zog aus Liebe zu ihr mit dem ganzen Garderegiment ab.

 

Zuhause wurde Oscar bereits von ihrem Vater erwartet. Für ihren Verrat in Form einer Befehlsverweigerung, hatte man der Familie de Jarjayes den Adelstitel und alle Privilegien zur Strafe entzogen. Der General entschied sich, seine Tochter mit dem Tode zu bestrafen und beabsichtigte ihr selbst nach zu folgen. André schritt ein und ließ nicht zu, dass Reynier seine eigene Tochter umbrachte. In dem Gefecht, gestand er ihm, dass er Oscar von ganzem Herzen liebte.

 

Der General war empört, Oscar fassungslos und hinter der Tür heulte sich Sophie vor Kummer und Entsetzen aus. André war entschlossen, für seine Geliebte sogar zu sterben. „...wenn Ihr uns schon töten wollt, dann fangt mit mir an. Sonst muss ich mitansehen, wie Ihr den Menschen umbringt, den ich von ganzem Herzen liebe!“, offenbarte er dem General direkt ins Gesicht.

 

„Nein, tu das nicht...“, hauchte Oscar tonlos, aber konnte sich nicht von der Stelle rühren. Sie war wie versteinert. Sie wollte nicht, dass André sich für sie opferte. Zeitgleich war ihr aber bewusst, dass er ohne sie auch nicht länger überleben würde, wenn ihr Vater sie als erster umbringen würde. Zu stark war das Band der Liebe zwischen ihnen.

 

Der General hob sein Schwert und Oscar war kurz davor, den tödlichen Hieb für André abzufangen, als draußen das Hufklappern eines Pferdes ertönte. Es war ein königlicher Bote. Er überbrachte die Botschaft, dass weder gegen Oscar, noch gegen ihre Familie eine Klage erhoben werden würde. Man erwartete von ihnen in Zukunft mehr Loyalität und Königstreue.

 

Reynier war erleichtert, dass er niemanden umbringen musste. Er hatte nicht einmal gegen Andrés vorheriges Geständnis etwas gesagt. Vielleicht weil Oscar so unnahbar und mit eisiger Schweigsamkeit da stand. Das ließ ihn glauben, dass André daher ohnehin keinerlei Chancen bei ihr haben würde. Auch Sophie fand keinen richtigen Ausdruck zu ihrem Enkel. Die kühle Beherrschtheit ihres Schützlings, bestätigte ihr nur die Vorahnung: Oscar hatte Andrés Geständnis nicht zu Kenntnis genommen und verlor nicht einmal einen Wort darüber.

 

Oscar hatte sich später in Zivilkleider umgezogen und war weg geritten, ohne zu sagen wohin. André begleitete sie mit Abstand, um ihr die Sicherheit zu garantieren und weil er ohne sie auf dem Anwesen ohnehin nicht mehr bleiben wollte. Oscar suchte Bernard in dessen heimlichen Versteck auf, das André ihr offenbart hatte. Sie bat Bernard ihr zu helfen die zwölf ihrer Soldaten aus dem Gefängnis zu befreien. Das tat er mit Hilfe des Volkes.

 

Etwa 3000 Menschen versammelten sich vor dem Gefängnis und bewogen damit den König, die Männer freizulassen. Alain und seine elf Kameraden waren somit wieder auf freiem Fuß. Die Freude darüber währte nur über kurze Dauer. Hunderttausende Soldaten aus allen Ecken des Landes beförderte man nach Paris, um die königliche Familie zu schützen und weitere Aufstände niederzuschlagen.

 

Oscar und André fanden kaum noch Zeit, nach Hause zu kommen. Sie und die Söldnertruppe waren anderweitig auf Patrouillen durch die Straßen von Paris. Sie sorgten für Ordnung und die Sicherheit der Bürger.

 

Mit jedem Tag stieg der Hass und der Kampfgeist des Volkes an, bis es schon bald explodierte.

 

Oscar bat die Königin zum letzten Mal, die Truppen aus Paris abzuziehen. Aber Marie Antoinette lehnte das fest entschlossen ab. Oscar verstand mit großem Bedauern, dass die Königin sogar dafür bereit war, gegen ihr eigenes Volk zu kämpfen. Sie verabschiedete sich von ihr mit unterdrückten Tränen - für immer.

 

Die Lage im eigenen Land glich einem Chaos, das sich schon bald in ein Massaker verwandelte. Oscar ging es nicht wohl. Übelkeit plagte sie früh und abends. Sie versuchte es aber zu ignorieren. Sie durfte nicht ausgerechnet jetzt krank werden! Das ging nicht! Sie hatte wichtige Entscheidungen zu treffen!

 

André wich ihr nicht von der Seite. Er stand ihr überall bei und als sie vom Orden einen Befiehl erhielten, die Aufständischen niederzumetzeln, wechselte sie mit der ganzen Söldnertruppe die Seiten. Nicht lange und man hörte schon bald in jede Ecke von ihren Verrat. Und ein Verrat konnte man ihr nicht durchgehen lassen. Dafür gab es nur Eliminierung oder den Tod!

 

Oscars Kompanie wurde unter Beschuss genommen und durch die ganze Stadt gejagt. Sie verzeichneten große Verluste. Nicht einmal die Hälfte hatte es überlebt. Von früh bis Nachmittag lenkten sie die Aufmerksamkeit der königlichen Soldaten von den Bürgern in den Tuilerien auf sich ab. Sie waren buchstäblich umzingelt. Ihre letzte Chance war, die Tuilerien zu erreichen und sich den Aufständischen und Bernard anzuschließen. Das hatten sie gerade in ihrem verborgenen Zufluchtsort festgestellt. „...ich bin der Meinung, wir sollen den Ausfall wagen!“, beendete Alain kurzentschlossen und legte seinem Freund eine Hand auf die Schulter. „Oder was meinst du, André?“

 

„Ich finde, wir sollen es riskieren.“ Auch André war entschlossen.

 

Oscar sah ihn für einen Wimpernschlag an. Noch heute früh hatte sie allen Soldaten in der Kaserne offenbart, dass er ihr Mann war, dass sie ihm folgen würde und wenn er sich entschied, auf die Seite des Volkes zu kämpfen, würde sie das auch tun. Sie hatte - für ihn - danach ihren Rang und Titel abgelegt. Sie war jetzt eine gewöhnliche Frau. Seine Frau. Übelkeit stieg wieder in ihr hoch. Oscar konnte sie nicht mehr unterdrücken. „Entschuldigt mich“, krächzte sie und war schon am Kanal. Sie warf sich auf Knie und würgte verhallend ihr Frühstuck ins Wasser. Es kam nichts heraus, aber ihr Magen krampfte sich immer wieder zusammen.

 

„Oscar!“ André war sofort bei ihr und strich ihr besorgt durch den Rücken. „Was ist mit dir?!“

 

„Es ist nichts. Es ist gleich vorbei“, murmelte sie und fuhr sich mit dem Ärmel über ihren trockenen Mund. Der Würgereiz war vorbei, ihr Magen beruhigte sich etwas und sie richtete sich wieder gerade auf. „Wir werden den Ausfall wagen!“, beschied sie entschlossen und stand auf. Ihr Blick umfasste alle Soldaten und diese nickten ihr zu, wobei ihre Gesichtsausdrücke ein wenig verwundert wirkten.

 

Einer von ihnen flüsterte Alain etwas von der Seite zu und dieser betrachtete Oscar mit großen Augen. „Meinst du?“

 

„Wenn ich es dir sage!“, konterte sein Kamerad halblaut: „Meiner Frau erging es genauso!“

 

„Gibt es Probleme, Alain?!“ Oscar hatte deren Geflüster bemerkt und fixierte ihn mit ihrem kühlen Blick.

 

„Nicht das, was Ihr denkt, Oberst.“ Alain erhob sich, räusperte sich in die Faust und schob seine Hände in die Taschen. „Mein Kumpel hier vermutet nur, Ihr könntet schwanger sein, nach Eurem Verhalten zu urteilen.“

 

„Was?“ André schoss in die Höhe.

 

Oscar starrte baff drein und ihre Hand legte sich systematisch auf ihren Bauch. Sie hatte sich zwar schon mal gewünscht, eine Mutter zu werden, aber nicht doch ausgerechnet jetzt! Nein, Alain und sein Kamerad mussten sich irren! Was verstanden schon die Männer davon?! Und zweitens, die letzte Nacht mit André war schon einige Wochen her! „Ich gehe voraus!“, sagte sie und marschierte an den Männern hocherhobenen Hauptes vorbei.

 

Die Soldaten rappelten sich auf die Füße, um ihr in wenigen Schritten zu folgen. „Oscar...“ André wusste nichts zu sagen und spürte wieder die Hand seines Freundes auf der Schulter. „Mache dir nichts daraus. Vielleicht irren wir uns und ihr sind nur die Kämpfe auf den Magen geschlagen.“

 

Zwei Schüsse donnerten außerhalb der Unterführung und André sauste wie vom Blitz getroffen nach vorn. „Oscar!“

 

Seine Geliebte stand am Fuße der Treppe mit abgefeuerter Pistole in der Hand. Auf den obersten Stufen lag dafür ein getöteter Soldat aus den feindlichen Linien und neben ihm, sein abgefeuertes Gewehr. Oscar drehte sich um und schaute auf die herauskommenden Soldaten aus der Unterführung. „Ist jemand verletzt?“

 

„Nein, Oberst!“, meldete jemand aus der handvollen Truppe. „Alle sind unversehrt!“

 

André bahnte sich mit Alain den Weg zwischen ihnen durch und gesellte sich zu Oscar. „Du hast mir aber ein Schreck eingejagt!“, sagte er umsorgt und musterte sie flüchtig. „Alles in Ordnung?“

 

„Solange du bei mir bist, ja.“ Oscar schenkte ihm ein warmes Lächeln, bevor sich ihre Gesichtszüge wieder verhärmten. Ihr Augenmerk schweifte schon über alle Köpfe der Söldner. „Auf die Pferde, Männer! Wir wagen den Überraschungsangriff! Und nicht vergessen: Wir brechen in der Mitte durch! Also los!“

Wirrwarr

Der Abend brach an, die Kämpfe hatte man für heute eingestellt und in einer bescheidenen Kirche, wurden die gefallenen Bürger und Soldaten aus Oscars Truppe zu letzten Ruhe gebettet. Über die Stadt zogen sich die Rauchfahnen, in der Luft hing beißender Geruch nach Verbranntem, Schießpulver und es herrschte eine Totenstille. Die Sonne ging unter, eine Gruppe von Tauben flog hoch im Himmel in Richtung ihres Zuhauses. Die Menschen verteilten Schlafplätze und essbares unter sich. Man hatte Barrikaden errichtet und Wachen überall postiert.

 

Oscar vertrat auf einem der Posten ihre Füße. Sie hatte ihrem André frei gegeben, damit er sich etwas ausruhen konnte. Es herrschte unheimliche Stille. Nur vereinzelte, kaum hörbare Gespräche zwischen manchen Bürger und Soldaten unterbrachen sie. Oscar überlegte sich, ob sie in einem der Gespräche teilnehmen sollte, aber verwarf es sogleich. Sie war hier nicht um zu plauschen, sondern um für Ordnung und Sicherheit zu sorgen.

 

Rosalie kam unbemerkt an sie heran und Oscar blieb vor ihr stehen. „Ist etwas passiert?“

 

„Nein, Lady Oscar, nicht das ich wüsste.“ Rosalie schüttelte mit dem Kopf. Sie sah übermüdet aus, aber strahlte dennoch entschlossene Energie aus. So waren sie heute alle. „Ich wollte Euch nur sagen, dass wir für Euch eine freie Wohnung ausfindig machen konnten“, teilte Rosalie ihr mit.

 

„Dankeschön, Rosalie, aber ich bleibe bei meinen Soldaten“, lehnte Oscar kategorisch ab und Rosalie fügte hinzu, als wäre sie nicht unterbrochen worden: „...und Bernard hat einen Arzt gefunden. André meinte, dass Ihr Euch nicht wohl fühlt, Lady Oscar.“

 

„Ach, André...“ Oscar seufzte schwer. „Er macht sich wie immer unnötige Sorgen... aber gut, ich komme gleich mit.“ Sie suchte noch schnell Alain auf und übergab ihm die Befehlsgewalt.

 

Die kleine Wohnung, bestehend aus einem Zimmer und Kämmerchen, in die Rosalie Oscar hineinführte, befand sich nicht allzu weit von der Kirche entfernt. Ein Doktor bürgerlicher Herkunft, mit Brille und Vollbart, wartete schon zusammen mit André auf sie. Bernard war schon fort und Rosalie blieb bei Oscar.

 

Oscar ließ sich vom Doktor in dem Nebenkämmerchen untersuchen, weil sie selbst auch Gewissheit haben wollte. Die Vermutung von Alain und seinem Kameraden am heutigen Nachmittag, bestätigte sich. Sie war in der Tat schwanger und das auch noch seit mehreren Wochen! An Freude allerdings war dabei nicht viel zu denken. Eher an das, was nun weiter geschehen sollte.

 

Oscar und André nahmen die Glückwünsche des Doktors und Rosalie gerührt an, aber konnten sich nicht so recht mit der Tatsache abfinden, dass sie Eltern werden würden. Es stieß alle beide vor den Kopf und doch mischte sich ein angenehmes, warmes Gefühl darin mit ein.

 

„Oberst!“ Ein Söldner kam urplötzlich in die Wohnung angerannt. „Bernard hat gerade eine Versammlung einberufen und möchtet, dass Ihr auch teilnehmt! Alain ist schon als Eure Vertretung dort.“

 

„Ich komme sofort!“, entschied sich Oscar und folgte dem Söldner. Vergessen war die Neuigkeit. Vorübergehend.

 

André gesellte sich wie selbstverständlich an ihrer Seite. Draußen brach schon die Nacht herein, aber die Laternen in der nahen Umgebung und die aufgestellten Fackeln, spendeten genügend Licht. In einer Wirtsstube, nicht weit von den Barrikaden, versammelten sich viele Menschen um Bernard an einem Tisch.

 

„Wie bitte? Ihr wollt die Bastille stürmen?“, fragte Oscar mit geweiteten Augen, nachdem Bernard seine Absichten mitteilte.

 

Er sah sie überaus ernst an. „Jemand hat beobachtet, dass viel Schießpulver in die Festung transportiert wurde. Und man hat Kanonen auf die Stadt gerichtet.“

 

„Die wollen uns treffen!“, stellte ein Mann entsetzt fest.

 

„Dann töten sie unsere Frauen und Kinder!“, empörte sich grimmig ein anderer.

 

„So sieht es aus“, bestätigte Bernard mit erwartenden Blicken auf Oscar. „Deswegen brauchen wir Eure Hilfe.“

 

Oscar sah flüchtig zu André und Alain, bevor sie genauso zustimmend nickte. Sie ahnte, dass es unmöglich wäre, die Menschen von ihrem Vorhaben abzuhalten. Bernard stand von seinem Platz auf und besiegelte mit Handdruck die Zusammenarbeit und gegenseitiges Einverständnis.

 

Die Versammlung löste sich auf und am nächsten frühen Morgen wurde die Bastille gestürmt. In den vordersten Reihen Oscar mit ihren Soldaten. So kriegerisch und anmutig wie nie zuvor, stand sie selbstherrlich mit ihnen bei den erbeuteten Kanonen und brüllte lauthals die Befehle zum Feuer. Ohne Unterlass donnerten die Kanonenkugeln gegen die Steinmauer der Bastille. Die gegnerische Besatzung hatte kaum Möglichkeit, das Feuer zu erwidern.

 

In Oscar stieg wieder Übelkeit auf. Ihre heisere Stimme verlor an Kraft und sie musste immer wieder tief Luft holen. Sie gab jedoch nicht auf, bis ihr schwarz vor Augen wurde. Sie schwankte, gab nur japsend ihre Befehle.

 

„Oscar!“ André war sofort zur Stelle und stützte sie.

 

Der Kanonendonner hörte nacheinander auf. Die Soldaten starrten Oscar beinahe erschrocken an, als wüssten sie nicht mehr weiter, was sie tun sollten.

 

„Nicht aufgeben!“, befahl ihnen Oscar halblaut. „Feuert die Kanonen! Wir müssen die Bastille einnehmen!“

 

„Und Ihr müsst hier weg!“, mischte sich Alain von der anderen Seite ein: „André! Bring sie in Sicherheit! Sie ist kurz vor dem Umfallen!“

 

„Nein, es geht schon...“, protestierte Oscar aufrecht und da knickten ihre Beine ein. „Aber du hast recht... übernehme du die Befehlsgewalt für mich, Alain...“, hauchte sie mit letzten Kraft und fiel in Ohnmacht.

 

André fing sie auf und trug sie gegen die Strömung der Menschenmassen, die ausnahmsweise ihnen gar den Platz machten, von dem Geschehnissen fort.

 

Die Besatzung der Bastille nutzte die Unterbrechung und richtete alle ihre Gewehre auf den Kommandanten. Diese schwankte urplötzlich und wurde von zwei Söldnern verdeckt. Dann fiel sie um und einer von ihnen trug sie weg. Die Besatzung der Bastille feuerte daher auf diejenigen, die bei den Kanonen standen. Einige wurden getroffen, die anderen wichen aus. Ein Soldat mit dem roten Halstuch bezog die Stellung des Kommandanten und gab laute Befehle, die Kanonen weiter zu feuern. Schon bald war die Bastille verloren, die weiße Flagge gehievt und die gegnerische Besatzung von dem wütenden Volk niedergemetzelt. Und seit diesem Tag verlor sich die Spur von Oscar und André, so als wären sie wie vom Erdboden verschluckt.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Nun gut, ich gebe es zu, André wirkt etwas zu selbstsicher und Oscar zu nachgiebig und ich hoffe, ihr verzeiht mir dass es eine Spur zu schnell zwischen den beiden geht. ^^ ;-)

Liebe Grüße,
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Kommentare zu dieser Fanfic (77)
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Von:  dana140
2019-06-24T21:29:45+00:00 24.06.2019 23:29
hola
Dios que bello fic me encanta ... es muy hermoso gracias por compartir
Antwort von:  Saph_ira
11.07.2019 14:11
Hello dear dana and thank you very much for your kind compliment. :-*
Von:  FAIRY_TAIL1999
2018-09-22T21:29:04+00:00 22.09.2018 23:29
Wow!! O-O. Ich suche schon lange nach einer FanFiction über die zwei, und deine ist bisher die beste die ich je gelesen habe. Vorallem das Kapitel, das haut echt rein wenn man sich das Bildlich vorstellen kann. Freue mich schon auf die letzen Kapitel.
Liebe Grüße
Antwort von:  Saph_ira
24.09.2018 20:37
Wow, vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Ich freue mich sehr, dass meine FanFiction dir so sehr gefällt und dass du weitere Kapiteln liest. :-)
Danke dir noch einmal und liebe Grüße zurück.
Von: GLaDo
2018-06-30T20:26:09+00:00 30.06.2018 22:26
Oh man eine tolle Geschichte. Hab sie Innerhalb von zwei Stunden durchgelesen und ich finde es mega spannend, besonders, das beide am Ende überleben und Ihre Spuren verwischen. Aber ich frage mich auch wo sie hin gegangen sind. Italien? England, Amerika? Oder ganz wo anders? Vor allem will ich wissen, ob sie einen Sohn oder eine Tochter bekommen haben und wieviele Kinder wohl noch.
Antwort von:  Saph_ira
01.07.2018 16:02
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar. Das Ende habe ich mit Absicht offen gelassen und den Lesern freie Phantasie überlassen. :-)
Von:  HenryNishimu
2017-10-12T12:24:16+00:00 12.10.2017 14:24
Thank you very much. I am very happy with it. I am waiting for your FF.
Arigato!
Yours sincerely,
RN
Antwort von:  Saph_ira
17.10.2017 17:39
You are welcome. I have sent you an ENS message and there in the appendix is my entire FF. :-)
Best regards,
Saph_ira
Antwort von:  HenryNishimu
19.10.2017 16:42
I could get a message from you !
Thank you very much.
I am looking forward to seeing yiur new ff.
Take care !

Yours sincerely
Rieko N
Antwort von:  Saph_ira
25.10.2017 14:45
I am happy for you very. :-)
Thank you very much too!
Best regards,
Saph_ira
Von:  HenryNishimu
2017-10-04T15:48:50+00:00 04.10.2017 17:48
Thank you for you r reply! I'm happy to hear from you. How was your holiday? I hope it was very good. I
I tried to translate your German FF into Japanese, no translation engine was useful, did not work. So I had to read it in English. I wish I could read German. I would like to read your FF with key.How can I get them from you?

Yours sincerely
RN

Antwort von:  Saph_ira
07.10.2017 22:43
You are welcome! And thank you, the holiday was nice. :-)
I can try to send my fanfiction as a file in ENS or message. Is it okay for you?
Best regards,
Saph_ira
Von:  HenryNishimu
2017-09-09T13:28:51+00:00 09.09.2017 15:28
Hello! I an big fan of your fanfiction. I 'm very sorry for my poor English. I am Japanese and I'm not good at writting English nor German.
I'd like to read all chapters of your FF. So let me know how to do it, please.

Rieko N.
Antwort von:  Saph_ira
16.09.2017 13:25
Hello and thank you very much for your comment. I am very happy that you like my fanfiction so much and I apologize for the late reply. I was on holiday so I could not read your comment. But now I am back and I find your English quite okay. I can also not good English and write mostly with google translator. All chapters of my fanfiction I have saved on my PC as PDF and doc file. However, it is in German. If you want, I can send it to you to read. :-)

Best regards,
Saph_ira
Von:  YuuShindo22
2017-01-05T22:32:42+00:00 05.01.2017 23:32
wow o.o wieder ne klasse FF von dir :D
was wohl diesmal aus den beiden geworden ist o.o
schon mal dran gedacht ne FF von den beiden in der gegenwart zu schreiben =
LG
Antwort von:  Saph_ira
08.01.2017 13:31
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar, freut mich sehr dass dir die FF von mir gefällt. ;D Etwa im März beabsichtige ich die nächste FF zu veröffentlichen und du bist auch herzlich eingeladen, sie zu lesen. :-)
Was aus den beiden diesmal geworden ist, überlasse ich der Fantasie der Leser. ;-)
Oh ja, ich habe schon daran gedacht, eine FF über die beide in Gegenwart zu schreiben, allerdings gab es da einige Dinge, die nicht ganz zusammen passten oder passen wollten und deshalb habe ich es nicht verwirklicht. :-)
Liebe Grüße und danke noch eimal. :-)
Von:  MilchMaedchen
2016-12-27T19:18:28+00:00 27.12.2016 20:18
Bumm ... was für ein Ende. Ich finde es gut, wie du die Situation beschrieben und Oscar aus der Schussbahn gebracht hast. Die FanArt zum Kapitel ist auch gut gelungen.

Aber mit dem letzten Satz hast du verdeutlicht, dass es keine Fortsetzung geben wird. Schade eigentlich, aber dafür freue ich mich auf deine nächste Story.
Antwort von:  Saph_ira
28.12.2016 20:16
Ein herzliches Dankeschön für deinen Kommentar, auch dass du die FF gelesen hast und ich freue mich, dich bei der nächsten FF genauso dabei zu haben. :-* <3

Liebe Grüße,
Ira
Von:  MilchMaedchen
2016-12-26T12:36:39+00:00 26.12.2016 13:36
Nein nicht jetzt. Bitte bitte lass Oscar jetzt auch nicht noch die Bastielle mit erstürmen. Bitte lass sie vorher fliehen und einen neues Leben anfangen. Noch mehr Anspanung, ob alles gute geht, halte ich nicht aus.
Antwort von:  Saph_ira
27.12.2016 17:29
Das ist leichter gesagt, als getan und Oscar wäre nicht Oscar, wenn sie fliehen würde, tut mir leid. ^^ Aber dankeschön für deinen Kommentar und ich hoffe, dass das Ende dir trotzdem gefallen wird. :-)
Von:  MilchMaedchen
2016-12-22T21:47:23+00:00 22.12.2016 22:47
Oh man, jetzt kann ich Oscars miese Laune bei der Szene auch endlich nachvollziehen. Wenn sie so drauf ist wie ich in dieser gewissen Zeit, dann sind die Söldner echt noch gut weg gekommen.

Aber schade, dass es nicht geklappt hat mit dem Baby, dann wäre Girodels Antrag schneller kein Thema mehr, als im Anime. Mal schauen, wie es weiter geht.
Antwort von:  Saph_ira
23.12.2016 16:37
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar. :-)
Mal schauen, was sich mit dem Kind und dem Antrag von Girodel machen lässt, aber da es kein Drama ist, wird schon irgendwie und irgendwann gut gehen. :-)


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