Epilog
„Tie my heartstrings,
I tie my heartstrings off…“
Es war noch mitten in der Nacht, als sie aufwachte und sah, dass er neben ihr lag, den Arm um sie gelegt. Sie waren auf dem Dach eingeschlafen und er hielt sie so fest, als würde er sie nie wieder loslassen wollen. Sie richtete den Blick zu den Sternen und dachte immer wieder an seine Worte.
„Ich liebe dich, Mimi Tachikawa.“
Warum musste er es ihr so schwermachen? Hatten sie nicht schon genug gelitten?
Vorsichtig schob sie seinen Arm von sich und richtete sich auf. Sie sah ihn an, wie er da lag… schlafend, mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Nichtsahnend…
Dies war ihr letzter gemeinsamer Abend gewesen und Mimi wusste das.
Sie hatte es gewusst, von Anfang an. Sie wusste, dass es für sie kein Zurück gab, keinen Neubeginn. Auch, wenn sie sich das so sehr gewünscht hätte. Auch, wenn sie ihn über alles liebte.
Es war wie ein Spiel – Liebe gegen Vertrauen und die Würfel waren gefallen. Die Liebe hatte zwar gewonnen, doch das Vertrauen war verloren. Und was war Liebe ohne Vertrauen?
Sie hatten alles… und doch hatten sie nichts.
Deshalb hatte sie sich auch schon lange vorher dazu entschlossen nach New York zurück zu gehen. In eine Zukunft ohne ihn.
Vielleicht würden dann auch die Wunden in ihrem Herzen irgendwann heilen. Vielleicht konnte sie ihn so irgendwann vergessen und alles, was passiert war. Vielleicht konnte sie irgendwann wieder vertrauen.
So gerne hätte sie ihm verziehen… doch sie konnte es einfach nicht. Tief im Inneren wusste sie, dass es einfach nie mehr so werden würde wie früher. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie jemanden ihr Herz geschenkt. Das erste Mal in ihrem Leben war ihr Herz gebrochen wurden. Und das konnte keine Dachterrasse der Welt reparieren.
Zaghaft strich sie mit den Fingern über seine Wange und hauchte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen. Ein Abschiedskuss – der für immer sein sollte…
Ihn verlassen zu müssen brach ihr das Herz erneut! Doch manchmal war Liebe einfach nicht genug…
Sie stand auf, ging zu der Tür, die ins Treppenhaus führte und schloss diese leise hinter sich, ehe sie ihr Handy rausholte und seine Nummer wählte. Es dauerte nicht lang, bis er abhob.
„Ja?“
„Hey, kannst du mich abholen?“
Was war hier los? Es fühlte sich plötzlich an, als wäre er aus einem Traum erwacht. Ein Traum, der mit ihr begann und ohne sie endete.
Denn als er aufwachte, war sie weg. Spurlos verschwunden. Mehrmals hatte er auf den Weg nach unten ihre Nummer gewählt, doch sie hob nicht ab. Ein ungutes Gefühl machte sich in seiner Magengegend breit, als er ins Auto stieg und losfuhr. Irgendetwas stimmte hier nicht. Er dachte, er hätte sie zurückgewonnen. Dass sie endlich erkannt hätte, was sie für ihn empfand und dass sie zusammengehörten. Doch dieser ganze gemeinsame Tag, den sie zusammen verbracht hatten… wie sie oben auf dem Dach Arm in Arm eingeschlafen waren… all das schien plötzlich wie ausradiert. Angst machte sich in ihm breit und er beschleunigte die Geschwindigkeit. Er musste zu ihr… Jetzt!
Es war inzwischen Morgen, als er an ihrer Wohnung ankam und hektisch gegen ihre Tür klopfte. „Mimi? Mimi, mach auf!“, schrie er und hoffte inständig, dass sein Gefühl ihn täuschen würde.
Zu seiner Verwunderung öffnete tatsächlich jemand die Tür, doch es war nicht die Person, die er erwartet hatte…
„Kari?“
Völlig überrascht sah er sie an, ehe er erkannte, dass seine Schwester Tränen in den Augen hatte.
„Kari, was machst du hier?“, fragte er sie, war sich jedoch nicht sicher, ob er die Antwort wirklich wissen wollte. Das ungute Gefühl in seiner Magengegend verschlechterte sich, als Kari begann los zu schluchzen.
„Sie ist weg.“
„Meinst du, sie wird kommen?“, fragte er sie, als sie ihre Wohnung betraten.
„Ich weiß es nicht“, gestand Mimi und schaute auf ihr Handy. 05.32 Uhr. Sie wusste nicht, ob Kari die Nachricht erhalten und sich so früh auf den Weg zu ihr machen würde, doch es war wichtig, dass sie sie noch ein letztes Mal sah, bevor sie ging.
Sie ging in ihr Schlafzimmer und ließ Izzy im Wohnzimmer stehen. Als sie wieder rauskam, zog sie einen großen Koffer hinter sich her. In der anderen Hand hatte sie einen Brief, den sie auf den Tisch legte.
„Für wen ist der?“, fragte Izzy verwundert.
„Für Sora“, antwortete Mimi leise. „Damit sie es versteht.“
„Willst du dich nicht persönlich von ihr verabschieden?“
„Sie würde nur versuchen, mich aufzuhalten“, erwiderte Mimi traurig, löste den Verschluss ihrer Kette, die sie um den Hals trug und legte sie zu dem Brief. Die Kette, die sie von Tai bekommen hatte.
„Was macht dich so sicher, dass ich nicht versuchen werde dich aufzuhalten?“, fragte Izzy und sah sie eindringlich an. Mimi lächelte müde. „Du schuldest mir noch was.“
Ihr Handy klingelte, eine SMS von Kari, dass sie auf dem Weg war.
Die Brünette seufzte schwermütig und kramte ihren Schlüsselbund aus der Tasche hervor. Sie fummelte daran rum, bis sie den Wohnungsschlüssel abbekommen hatte und ihn mit zu den Sachen auf den Tisch legte. Nachdenklich betrachtete sie sie.
Dies waren nicht irgendwelche Dinge. Dies waren Abschiedsgeschenke.
Eins für Sora, eins für Tai und eins für Kari.
„Was meinst du damit, sie ist weg?“
Tai trat an seiner Schwester vorbei in die Wohnung. Alles sah aus wie immer. Nichts deutete darauf hin, dass sie gegangen war.
„Sie ist heute Morgen abgereist“, erklärte ihm Kari traurig und folgte ihm.
„Abgereist? Wohin?“, stutzte Tai und sah sich weiter in der Wohnung um, suchte nach irgendeinem Anzeichen dafür, dass das alles nur ein schlechter Scherz war.
Sein Blick fiel auf die Sachen, die auf dem Tisch lagen. Sofort erkannte er die Kette, die er ihr geschenkt hatte. Es war also wahr… sie war fort.
„Nach New York. Sie hat das Stipendium angenommen“, erzählte Kari weiter, während Tai die Kette in die Hand nahm. Er betrachtete den Brief und den Schlüssel, die danebenlagen.
„Kari, was ist das hier?“, fragte er geistesabwesend, als ihm klar wurde, dass das hier ganz und gar kein Scherz war. Sein Herz klopfte wie wild gegen seine Brust und er hatte Mühe seine Emotionen unter Kontrolle zu halten. Am liebsten hätte er geschrien! Wieso tat sie das? Wieso tat sie ihm das an? Wieso verschwand sie einfach ohne ein einziges Wort?
„Der Brief ist für Sora. Ich soll ihn ihr geben“, erklärte Kari und nahm den Schlüssel in die Hand. „Und der ist für mich.“
Tai sah sie irritiert an. Das konnte einfach nicht ihr Ernst sein!
„Sie hat gesagt, die Wohnung gehört ihren Eltern und ich kann sie haben, wenn ich möchte.“ Kari sah traurig zu Boden und eine leise Träne bahnte sich den Weg über ihre Wange.
Tai fühlte sich plötzlich wie erschlagen! Wie vom Donner gerührt stand er da und drückte die Kette in seiner Hand. Mimi… was tat sie da nur?
„Wieso hast du sie nicht aufgehalten?“, fragte er seine Schwester schließlich und wurde plötzlich von Wut ergriffen.
„Was?“, meinte Kari verdutzt, doch Tai griff nach ihren Schultern und packte sie fest.
„Warum hast du sie nicht aufgehalten?“
„Tai…“, sagte Kari leise und sah ihn erschrocken an.
Der Student ließ schnell von ihr ab und wandte sich hektisch um. „Komm, wir müssen zum Flughafen!“
„Tai…“, doch er hörte nicht auf sie. Er musste zu ihr! Sie aufhalten! Sie irgendwie davon überzeugen, dass es falsch war zu gehen! „Vielleicht erwischen wir sie noch!“
„Taichi, sie ist weg!“, schrie Kari ihn nun an, was den Braunhaarigen in seiner Bewegung erstarren ließ. „Sie ist weg, verstehst du das nicht?“
Doch ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, machte Tai auf dem Absatz kehrt und verließ die Wohnung.
„Letzter Aufruf für alle Passagiere des Fluges 108 von Tokyo nach New York, letzter Aufruf!“
Die blecherne Stimme, die durch den Flughafenhallen tönte versetzte ihm einen Stich ins Herz. Nun war es also soweit.
„Ich muss gehen“, sagte sie tonlos und stand auf. Izzy, der neben ihr gesessen und mit ihr gewartete hatte, erhob sich ebenfalls und sah sie noch ein Mal eindringlich an.
„Du musst nicht gehen, Mimi“, sagte er mitfühlend und hoffte, sie damit zum Bleiben bewegen zu können. Auch, wenn er bereits ahnte, dass es sinnlos war, es zu versuchen. Sie hatte diese Entscheidung für sich allein getroffen.
Ein trauriges Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Doch, das muss ich.“
„Wirst du sie denn nicht vermissen?“, fragte er und wollte sich immer noch nicht eingestehen, dass es zwecklos war. „Ich meine, Sora, Kari, Matt, Tai…?“
„Doch, natürlich werde ich das“, erwiderte Mimi geknickt und sah zu Boden. „Die Vorstellung sie zu verlassen macht mir Angst. Aber nicht so sehr Angst, wie die Vorstellung bleiben zu müssen.“
Izzy nickte. Er wusste, dass es für Mimi in diesem Moment kein Zurück gab.
Ein letztes Mal nahm er sie in den Arm und drückte sie fest an sich. Er fühlte sich schuldig daran, dass sie ging. Dass es für ihre Freundschaft keine Zukunft gab. Alles, was er jetzt noch für sie tun konnte war, sie ziehen zu lassen…
Mimi erwiderte seine Umarmung, löste sich schließlich von ihm und nahm ihre Tasche. Ein letztes Mal wandte sie sich um und grinste den Rothaarigen an.
„Wie heißt sie eigentlich?“
„Wer?“, fragte Izzy und zog eine Augenbraue nach oben.
„Na das Kätzchen.“
„Achso“, sagte er und lächelte schief. „Ich denke, ich werde sie Mimi nennen.“
Die Brünette schenkte ihm ein vielsagendes Grinsen und zwinkerte ihm zu. „Das ist ein schöner Name.“
Dann wandte sie sich um und ging…
Tai war völlig außer Atem, als er am Flughafen ankam und sich durch die vielen Menschenmassen bis hin zum Gate gekämpft hatte.
„Letzter Aufruf für alle Passagiere des Fluges 108 von Tokyo nach New York, letzter Aufruf!“
Es war noch nicht zu spät! Das Flugzeug war noch nicht gestartet.
Hektisch ließ er den Blick über die Menge schweifen und versuchte sie ausfindig zu machen. Hoffentlich saß sie noch nicht im Flieger. Er wurde immer unruhiger und seine Hände begannen zu schwitzen. Was, wenn er sie nicht mehr rechtzeitig finden würde? Sie durfte nicht einfach aus seinem Leben verschwinden! Nicht so!
Er stutzte kurz, als er an einigen Reisenden vorbeisah und rote Haare erkannte. Erst konnte er sich keinen Reim darauf machen, doch plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen!
Izzy!
Schnell lief er zu ihm rüber und packte ihn an den Schultern. Der Rothaarige erschrak und wirbelte herum. Überrascht sah er ihn an. „Tai, was machst du hier?“
„Wo ist sie?“, schrie Tai ihn an.
„Was?“
„Wo ist sie? Wo ist Mimi?“
Er konnte nicht fassen, dass Izzy sie einfach hatte gehen lassen!
„Sie ist weg, Tai“, sagte Izzy betrübt und sah zu Boden. Diesen Satz hörte er nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag und zum zweiten Mal riss es ihm den Boden unter den Füßen weg. „Nein!“, schrie er und drängte sich an Izzy vorbei. Das durfte einfach alles nicht wahr sein!
Er suchte weiter nach ihr. Sie durfte einfach noch nicht weg sein!
Da war sie! Sie hatte gerade ihr Ticket eingelöst und war dabei aus seinem Leben zu verschwinden… einfach so!
„Mimi!“, rief Tai und wollte ihr hinterher, wurde jedoch vom Sicherheitsdienst aufgehalten. „Moment mal, junger Mann, haben sie überhaupt ein Ticket?“
Tai jedoch ignorierte die Bemerkung und befreite sich aus dem Griff des Mannes. Er ging weiter zu der Glasscheibe, die ihn von ihr trennte. „Mimi!“, rief er noch ein Mal und hämmerte mit der Faust dagegen.
Die Brünette zuckte zusammen und drehte sich um. Erschrocken sah sie in sein aufgebrachtes Gesicht, ehe ihr Blick traurig wurde und eine Träne ihre Wange entlanglief.
„Mimi, geh nicht!“, rief er ihr entgegen, doch sie konnte ihn durch das dicke Glas nicht hören.
Mimi ging einen Schritt zur Seite, da sich hinter ihr schon die Passagiere stauten. Mit flehendem Blick sah er sie an, betete dafür, dass sie sich um entscheiden und zu ihm zurückkommen würde. Doch ihre Augen verrieten ihm, dass das nicht passieren würde…
„Es tut mir leid“, formte sie mit ihren Lippen, was Tai das Herz brach. Nie hätte er gedacht, dass sie das wirklich tun würde… Dass sie ihn wirklich verlassen würde. Doch sie tat es und er konnte nichts dagegen tun. Er stand einfach nur da – völlig erstarrt.
Sie holte ihr Handy aus der Hosentasche und tippte etwas ein.
Kurze Zeit später klingelte es bei ihm und erst realisierte er gar nicht, dass es sein Handy war. Wie in Trance holte er es raus und öffnete die SMS.
„Ich liebe dich.“
Während ihm leise eine Träne über die Wange rann, las er den Satz immer und immer wieder durch. Je öfter er ihn las, desto mehr zog sich sein Herz zu einem schmerzvollen Knoten zusammen.
Und als er den Kopf hob und den Blick wieder auf sie richten wollte, um sie ein letztes Mal zu sehen…
War sie weg.
„Es gibt Momente im Leben, da stehen wir an einer Kreuzung.
Verängstigt, verwirrt, völlig planlos.
Der Weg, für den wir uns in solchen Momenten entscheiden kann unser restliches Leben bestimmen. Wenn wir mit etwas konfrontiert werden, was wir bisher nicht kannten, ziehen die meisten es von uns vor sich umzudrehen und einfach wegzulaufen.“
One Tree Hill
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Wow, das war er... der Epilog...
Das Album der zauberhaften Leighton Meester hat mich wirklich sehr beim Schreiben dieses Epilogs inspiriert, aber ganz besonders "Heartstrings" (https://www.youtube.com/watch?v=i4qG2k4R3cA) und "Dreaming" (https://www.youtube.com/watch?v=v0cRKzff8i4). Ich liebe sie <3
Ich hoffe, ich hab euch nicht zu sehr geschockt! Das Ende stand schon lange fest und ich muss gestehen: auch mir hat es ein wenig das Herz gebrochen </3
Aber: "Everything will be okay in the end. If it's not okay, then it's not the end." ;)
Eure Khaleesi26