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Tears and Laughter

von

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Plan B


 

Sky
 

Es vergingen ein paar Tage seit meinem Besuch bei Undertaker.

Sie waren normal gewesen: Unterricht, Fag-Zeit, Swan Gazebo, ein bisschen Freizeit, die seit unserer Ernennung aber relativ knapp geworden war. Des Weiteren schrieben wir Ende dieses Jahres unsere Abschlussprüfungen. Ich starb an den Gedanken daran.

Nach der Fag-Zeit sagte Amy zu mir, dass sie rausgehen wollte. Frank war wohl nur noch heute in der Stadt und wollte mit ihr und Fred noch etwas unternehmen, bevor er zurück nach Deutschland fuhr. Sie bot mir an mitzukommen, doch ich winkte ab. Frank war für Amy wie ein Onkel, nicht für mich. Ich kannte ihn und Fred nicht gut und das fünfte Rad am Wagen wollte ich nicht sein.

So verließ die Phantomhive nachdem sie sich umgezogen hatte unsere 2-Frau-WG und ich steckte meine Nase in ein Buch über 'Rokoko'.

Ich hatte mich gerade an meinen kleinen Schreibstich gesetzt und mein Buch aufgeschlagen, da klopfte es an meine Zimmertür.

„Hm?“, machte ich und Amy steckte ihren schwarzen Schopf durch den Rahmen: „Sky?“

„Du bist noch da?“

„Ich war noch kurz beim Postkörbchen. Du hast einen Brief“, sie streckte mir einen Umschlag hin. Sie sah irgendwie leidend drein: „Vom Jugendamt.“

Ich blinzelte, als ich skeptisch den Kuvert entgegennahm: „Aha?“

„Soll ich hier bleiben?“, fragte Amy mitfühlend.

Ich schüttelte dünn lächelnd den Kopf: „Nein, geh du. Fred und Frank warten sicher schon.“

„Also, wenn du mich brauchst...“

„Amy, jetzt geh“, ich wedelte mit dem Umschlag: „Da wird schon nichts dramatisches drin sein. Ich werde bald 18. Wahrscheinlich nur so ein Formbrief der mich darüber belehrt, dass ich bald für mich selbst verantwortlich bin.“

„Okay“, machte Amy gedehnt: „Dann bis heute Abend.“

„Bye, bye.“

Amy schloss die Tür und ich starrte auf den weißen Brief. »Youth Office, London« prangte es unheilvoll in einer Ecke des Umschlages. Einige Minuten starrte ich den weißen Brief nur an. Post vom Jugendamt war eigentlich immer ein Bote drohenden Unheils. Seufzend riss ich schließlich mit einer gewissen Frustration den Brief auf und meine Augen flitzten über die getippten Zeilen. Ich überflog sie immer und immer wieder vollkommen fassungslos. Ich glaubte meinen Augen nicht, als ich die Nachricht zum 6 x las:
 

»In Angelegenheit von Skyler Rosewell, Aktennummer 52499116:
 

Anfrage auf Kontakt von der leiblichen Mutter Tonia Rosewell und dem leiblichen Vater Graham Rosewell zu der in Obhut genommenen Tochter, Skyler Rosewell.
 

Sehr geehrte Miss Rosewell,
 

wir möchten Sie hiermit informieren, dass ihre leiblichen Eltern eine Anfrage auf Kontaktaufnahme zu Ihnen gestellt haben.

Daraufhin prüften wir die derzeitigen Verhältnisse Ihres Elternhauses.

Wir stellten zu unserer großen Freude fest, dass ihre Eltern alle ihnen auferlegten Vorgaben zur unserer vollsten Zufriedenheit abgeschlossen haben und nun geregelte Verhältnisse in dem Umgang zwischen ihrer Mutter, ihrem Vater und deren Umfeld besteht.

Daraufhin steht einer Wiederaufnahme des elterlichen Umgangs von unserer Seite nichts entgegen.
 

Bitte finden Sie sich am 08.10.2015 um 14:30 Uhr in meinem Büro ein, um weitere Details mit mir persönlich zu besprechen.
 

Mit freundlich Grüßen
 

Ilona Hemsworth, Sozialarbeiterin«
 

Mir fiel alles aus dem Gesicht, als mir klar wurde, was diese Zeilen bedeuten konnten. Schwerer Schock lähmte meinen Körper förmlich und ich starrte weiter auf das Papier, ohne es weitere Male durchzulesen. Ich starrte einfach nur, während ich versuchte meine rasenden Gedanken zu sortieren und mein wild hämmerndes Herz zu beruhigen. Doch es gelang mir nicht richtig. Der Brief rutschte aus meinen Fingern und segelte zu Boden, als ich mein Gesicht in meinen Händen vergrub und meine Füße auf den Rand meines Stuhls stellte. Ich wusste nicht wie lange ich so zusammengekauert auf meinem Schreibtischstuhl gesessen hatte, doch es war sicherlich länger, als eine ganze Stunde gewesen. Ich entfaltete mich irgendwann und griff mein Handy:

- Sky [30.09.15, 14:12] Hey. -

- Amy [30.09.15, 14:16] Hey! -

- Sky [30.09.15, 14:16] Na? Wie ist es bei euch? -

- Amy [30.09.15, 14:16] Gut :) Wir haben viel Spaß! Es tut gut mal wieder mit Fred und Frank unterwegs zu sein. Essen gerade einen Burger und quatschen über alte Zeiten. Danach wollen wir spontan ins Kino! Clockwork Orange läuft mal wieder in Rahmen von nem Retroprogramm. Frank lädt uns ein! Schade, dass er morgen schon wieder fährt. Könnten wir öfter machen! -

- Amy [30.09.15, 14:16] Was stand eigentlich in dem Wisch vom Jugendamt? -

Ich las ihre Antwort mit schwerem Herzen. Amy hatte gerade einfach keine Zeit zum Reden. Sie hatte Spaß mit ihrer Familie und das sollte so bleiben und nicht von meinem melodramatischen Geplärre unterbrochen werden.

- Sky [30.09.15, 14:23] Cool! Ich wünsch euch viel Spaß ;) Ach nichts Wichtiges. Die übliche Leier -

- Amy [30.09.15, 14:24] Dann ist ja gut :D Danke, werden wir haben! ;)-

Ich schaute mein Handy an. Ich hatte furchtbare Angst. Natürlich werde ich die Kontaktaufnahme ablehnen, doch ich hatte Angst, dass es das Jugendamt einfach nicht interessierte. Meine Eltern wollte ich nie, NIE wieder sehen. Ich legte meine Hand auf meine Augen, als ich zu Schluchzen anfing und zog meine Beine an mich heran, um sie mit dem anderen Arm zu umklammern.

Mein Vater würde sich nie ändern. Von mir aus konnte er so trocken sein wie er wollte, aber was er mir und meiner Mutter angetan hat, konnte er nicht komplett auf den Alkohol abwälzen.

'Er ist krank', sagten die Sozialarbeiter: 'Eigentlich liebt er dich.'

Doch wenn man Menschen liebt, dann verletzt man sie nicht. Wenn man Menschen liebt, dann bringt man sie nicht zum Schreien und zum Weinen. Lügt nicht, schlägt sie nicht. Dann bricht man ihnen nicht die Knochen und schickt sie immer wieder ins Krankenhaus.

Meine Mutter würde sich auch nicht ändern. Sie hatte meinen Vater immer mehr geliebt als mich. Hat ihn in Schutz genommen, während ich mit geschientem Arm und gebrochenen Knochen im Krankenhaus lag. Nicht selten lag sie neben mir.

Sie hatte mich nie beschützt. Immer nur ihn.

Die Beiden haben mich nie geliebt. Nur zu oft hatte mein Vater mir eindrucksvoll und wunderbar ausgeschmückt beschrieben, dass ich der Grund für all sein Leiden war. Warum sie kein Geld hatten und in einem Drecksloch hausen mussten.

Nein, solche Menschen änderten sich nie. Ich war alleine. Ich hatte niemanden mit dem ich reden konnte. Niemanden, dem ich erzählen konnte wie viel Angst ich hatte. Niemanden, der mich versteht. Amy war beschäftigt und außer ihr hatte ich doch niemanden.

„Dann gibt es jetzt zwei“, surrte eine tiefe Männerstimme durch meinem Kopf. Ich erinnerte mich, dass diese Stimme eigentlich immer irgendwie quietschte und viel zu hoch sprach, doch dieser Satz war natürlich über seine Lippen gekommen. Ein scharf geschnittenes, doch irgendwie elegantes Gesicht umrahmt von silbernen Haaren erschien vor meinem inneren Auge. Vielleicht... Quatsch! Das war sicherlich... nur so... gesagt gewesen. Ich renne doch jetzt nicht zu ihm und heule einen Wildfremden mit meinen Problemen zu!

Allerdings... fiel mir ein, dass es draußen langsam ziemlich kalt wurde und ich hatte noch den Mantel des Bestatters. Nicht, dass er frieren musste, weil ich ihm seine Jacke noch nicht zurück gebracht hatte. Schließlich machte er ja Grabpflege und war viel draußen...

Lernen konnte ich dank dieser Hiobsbotschaft eh nicht mehr.

Ich wickelte mich in meinen Poncho und griff mir die Jacke des Totengräbers, bevor ich das Wohnheim verließ und mir meine Kopfhörer in die Ohren steckte. Laut dröhnte meine Musik durch meine Ohren und versuchte verzweifelt meine unschönen Gedanken wegzugröllen. Mit mäßigem Erfolg. Der Schock saß noch immer tief in meinem Inneren, als ich durch die frischen Straßen Londons ging. Die Wolken hingen tief, grau und schwer am Himmel. Sie warteten nur darauf sich zu erbrechen und das regnerische London ein weiteres Mal zu versenken. Scharfe Winde zogen durch die Straßen der großen Stadt und ließen mich frösteln. Sie zogen durch meinen Körper direkt in mein Herz, welches sich genau so schwer, nass und grau anfühlte wie die spätseptemberlichen Regenwolken. Plötzlich realisierte ich, dass ich immer noch meine Schuluniform trug. Ich hatte vergessen mich umzuziehen. Gott sei dank trug ich eine dicke Strumpfhose unter den langen Strümpfen, so dass ich nicht wirklich furchtbar frieren musste, während ich darauf wartete, dass die Wolken zu regnen anfingen. Ich hatte keinen Regenschirm dabei: 'Ach sei's drum... Ich bleib eh nicht lange...'

Vom Friedhof aus lotste mich mein Handy wieder durch die schmalen Gassen, in deren Inneren sich irgendwo der kleine, verschrobene Laden befand, der mein Ziel war.

Obwohl es noch mitten am Tag war standen einige zwielichtige Gestalten in kleinen Gruppen in den schmalen Straßen herum. Ich schaltete meine Musik aus, als ich die kleinen Wege betreten hatte. Mir war es lieber mich auf alle fünf Sinne berufen zu können. Irgendwie hatte die Atmosphäre dieser Gassen etwas Bedrohliches.

Ich war ein Heimkind. Bis ich mit 13 auf das Weston Ladys College gekommen war, habe ich im East End gelebt. Einer wahrlich schlechten Gegend. Wie jedes Heimkind hatte ich den größten Teil meiner Zeit auf der Straße verbracht. Ich kannte also die dubiosen Gestalten, die in Grüppchen in dunkle Ecken herumlungerten, auf der Lauer nach etwas was sich lohnte. Die Gassen durch die ich streifte lagen zwar mitten in der 'City of London', doch auch dieser eigentlich sehr gute Teil Londons war nicht gänzlich befreit von Bandenkriminalität, oder Kriminalität an sich.

Ich war ein junges Ding und trug die Schuluniform einer renommierten Schule, die dafür bekannt war fast ausschließlich sehr gut situierte Schüler zu beherbergen. Ich war dankbar, dass mein Poncho den größten Teil meiner Uniform verdeckte. Trotzdem spürte ich gierige Blicke in meinem Rücken und meine Schritte wurden schneller, als ich den Mantel des Bestatters fester an mich drückte. Ich musste mich nur beeilen und schnell zu dem kleinen Laden kommen. Das letzte Mal war mir schließlich auch nichts passiert.

Während ich durch die verschlungenen Straßen wanderte, hörte ich irgendwann Schritte hinter mir. Ein kalter Schauer rieselte durch meine Wirbelsäule hinunter und war um Längen schlimmer als die kühle Herbstluft. Wenn dieser Tag noch schlimmer werden konnte, fing er wohl jetzt damit an.

Ein weiteres Mal wurden meine Schritte schneller und hallten mit den Schritten hinter mir um die Wette. Ich bog um eine Ecke, joggte fast, dann um eine weitere und die Schritte hinter mir verstummten.

'Komisch...', stoppte ich und schaffte es mich umzudrehen. Dort war niemand. Die Schritte verblassten wieder in der Ferne. Das war mir ziemlich rätselhaft und so richtig erklären konnte ich es mir auch nicht. Doch ich drehte mich wieder nach vorne und erkannte, dass ich schon die Gasse erreichte hatte in deren Mitte das kleine Bestattungsunternehmen lag.

Zögerlich ging ich weiter. Ich war mir meiner Sache nicht ganz sicher. Vielleicht sollte ich doch wieder gehen. Dann fiel mein Blick auf den Mantel des Totengräbers. Es war kalt. Am Ende wird er noch krank, wegen mir...

Ich blieb vor der Türe unter dem großen Ladenschild stehen und streckte die Hand aus. Als meine Fingerkuppen die kalte Metallklinke berührten zuckten sie zurück. Was, wenn er zu tun hatte? Aber ich wollte ja nicht viel von ihm.

Wieder streckte ich die Finger aus und zog sie doch wieder zurück. Er sagte doch, ich sollte die Tage wieder bei ihm vorbei schauen, also wird es wohl ok sein, oder?

Also streckte ich wieder die Hand nach der Klinke aus und stoppte ein drittes Mal. Was, wenn das nur so gesagt war und er eigentlich wollte, dass ich Amy den Mantel bei Gelegenheit mitgebe? Ich wollte ihn wirklich nicht nerven...

„Du musst sie runter drücken, hehe“, hauchte es auf einmal von hinten direkt in mein Ohr.

„AAAAAAAAAAHHHHHHHHH!!!!“, kreischte ich und fuhr herum. Der Mantel flog aus meinem Griff. Ich sah das breit grinsende Gesicht des Totengräbers, der sich sehr über mich zu amüsieren schien. Dabei stolperte ich zurück und merkte die harte Eingangstür in meinem Rücken. Unglücklicherweise... drückte ich just in diesem Moment die Klinke mit meinem Ellbogen herunter... Die Tür schwang auf und da mir nun der Gegendruck im Rücken fehlte, rasselte ich polternd hinten über in den Laden. Der Boden fing mich auf. Nett von ihm...

Mein Hinterteil, mit dem ich voran in den Laden geplumpst war, schmerzte und ich saß reichlich desillusioniert auf dem Fußboden.

Der Bestatter zog lachend den Mantel von seinem Kopf. Ich muss ihn damit beworfen haben, als ich meinen reichlich unfreiwilligen Abgang hingelegt hatte.

Er zeigte mit dem Finger auf mich, als er mich ungeniert auslachte: „Pahahahahahahahahahahahahaha! Dein Gesicht! Herrlich! Köstlich! Possierlich!“

Ich blinzelte ihn von unten an, mein Mund ein Stück offen stehend.

„Ahahahaha! Puhuhuhuhu! Wie amüsant! Wirklich, wirklich amüsant!“

Dann grinste er mich an und beugte sich nach unten, als er mir seine lange Hand hinstreckte. Sie war wirklich ungewöhnlich und das nicht auf eine negative Art und Weise.

Er lächelte mich an: „Du machst die besten Gesichter. Ich liebe dein Gesicht, wenn du dich so herrlich erschreckst, meine Liebe.“

Mein Mund klappte weiter auf und ich merkte wie mir die Hitze ins Gesicht schoss: „Wa wa was?!“

Undertaker kicherte: „Ich sagte ich liebe dein Gesicht.“

Fassungslos starrte ich Undertaker an. Er liebte mein Gesicht? Was? Wie? Hä?!: 'Warte, warte, warte Skyler', sagte ich stumm zu mir: 'Damit meint er sicher nur meinen blöden Gesichtsausdruck. Natürlich. Das muss es sein. Was denn auch sonst...?'

„Das ist übrigens nicht gut für dich“, sagte eine Stimme hinter mir und riss mich aus meinen verwirrten Gedanken. Sie klang jung und ich hatte sie schon einmal gehört.

Als ich über meine Schulter lugte sah ich einen jungen Mann mit blonden Haaren, die im Nacken braun gefärbt waren. Unter einer schwarzen Brille schauten mich zwei grell grüne Augen freundlich an und er lächelte jugendlich. Er hatte schwarze Streifen im Gesicht und in den Haaren.

Er trug einen Anzug mit Ärmelhaltern und Lackschuhe, allerdings ohne Jackett, Weste und Krawatte. Die drei oberen Knöpfe seines weißen Hemdes standen offen, er hatte die Ärmel hochgekrempelt und schwarze Flecken zogen sich über den ganzen Stoff. Seine Hände wischte er an einem schmierigen, weißen Tuch ab.

„Ronald?“, fragte ich ein bisschen irritiert und nicht ganz sicher, ob ich den Namen von Amys Ball richtig zugeordnet hatte. Ich erinnerte mich aber genau, dass er bei dem rothaarigen Mann mit den seltsamen Zähnen und dem strengen Schwarzhaarigen gestanden hatte. Ich mein die beiden hießen Grell und William.

Der Junge lachte: „Genau.“

„Was... ähm tust du hier?“, ich bereute meine Frage sofort. Es stand mir nicht zu zu hinterfragen von wem der Totengräber Besuch bekam: „Ähm... ich meine... ich.. du... du musst es mir natürlich nicht erzählen.“

Ronald lachte und schaute Undertaker an: „Du hast es geschafft. Sie ist total durch den Wind“, dann wandte sich Ronald wieder zu mir: „Ich hörte ein Schreien, ich hörte ein Poltern und wollte mal schauen, ob Undertaker Besuch oder neue Arbeit hat.“

Ich drehte meinen Kopf wieder, als der Bestatter sprach. Er beugte sich immer noch zu mir herunter und hielt mir immer noch die Hand hin: „Ahihihihi! Ich glaube, das ist sie öfter. Kann das sein, Skyler?“

Ich nahm seine Hand und sah, dass er einen Stapel Stoffe auf dem Arm hatte: „Ähm... Vielleicht...“

Er zog mich auf die Füße. Undertaker legte seinen Kopf schief, ohne meine Hand los zu lassen: „Ronald ist hier um mein Kühlregal zu reparieren. Es ist kaputt gegangen.“

„Was schlecht ist“, führte Ronald weiter aus: „Die fangen nach ein paar Tagen furchtbar an zu stinken. Ich lüfte schon seit Stunden.“

Mir ging auf, dass die schwarze Schmiere in Ronalds Gesicht und Klamotten wahrscheinlich die Kühlflüssigkeit aus den Kühlzellen war.

Undertaker lachte: „So dramatisch ist es auch nicht. Dieses Bouquet ist wunderbar!“

Ich erinnerte mich, dass Amy mir erzählt hatte, dass der Bestatter immer Ronald fragte, wenn etwas bei ihm kaputt ginge. Laut ihr war der Totengräber nicht sonderlich geschickt im Umgang mit Technik.

Doch auf seine Aussage klappte mir der Mund wieder auf. Ronald bezog sich sicher darauf, dass Undertakers... Gäste... (wie ich mittlerweile herausgefunden hatte er die Leute nannte, die er unter die Erde bringen sollte) einen unangenehmen Geruch entwickeln, sobald sie nicht mehr gekühlt werden konnten. Den Totengräber schien das nicht zu stören... im Gegenteil...

„Doch“, begann Undertaker wieder und lenkte mich so ab: „Was tust du hier?“

„Öööööhm“, kam es wieder unheimlich intelligent aus meinem Munde: „Ich... ich... ich wollte dir nur deinen Mantel zurückbringen...“

„Ahehehehehe und deswegen nimmst du den ganzen weiten Weg auf dich? Du hättest ihn mir geben können, wenn wir uns das nächste Mal gesehen hätten.“

Erst jetzt ließ er meine Hand los, doch nur um sie vor seinen kichernden Mund zu halten.

Ich faltete die Hände vor meinem Bauch und schaute nach unten: „Es wird kalt draußen und... und... und... Ich wollte nicht, dass du dich erkältest, weil ich deinen Mantel noch hab. Du... Du bist ja viel draußen...denke ich.“

Ronald fing hinter mir an zu lachen. Ich schaute ihn kurz an, konnte mir aber nicht erklären was an meiner Aussage so lustig war. Hatte ich was Falsches gesagt?

Auch Undertaker giggelte weiter in seinen Ärmel hinein. Die Beiden schienen zu wissen weshalb sie lachten. Nur ich leider nicht. Ich fühlte mich ein weiteres Mal wie ein Stück trocken Brot.

„Was ist so lustig? Ich hab mir Sorgen gemacht!“, fragte ich ansatzweise empört.

Ronald lachte nur noch mehr. Auch Undertakers Kichern ebbte nicht ab, doch er wuschelte mir durch die Haare. Die Geste hatte nicht abwertendes... sie war... das Wort blieb mir in den Gedanken stecken.

Der Leichenbestatter schien mich durch seinen Pony zu mustern: „Es ehrt mich, dass du dir Sorgen um mich machst, liebe Skyler. Doch sei dir sicher, dass dies nicht nötig ist.“

„Aber... es ist so kalt draußen!“

Ein helles Zucken gefolgt von einem Krachen unterstrich meine Aussage. Dann sah ich durch die geöffnete Türe wie ein Wolkenbruch geräuschvoll auf die kleine Gasse niederprasselte. Undertaker, der noch halb in der Tür stand, blinzelte in den Himmel, als er am Rücken nass zu werden schien.

Er kicherte wieder: „Ja, vielleicht hast du Recht.“

'Vielleicht? Wir haben 8°C!'

Dann trat er in den Laden und schloss die Tür. Ich ging einen Schritt nach hinten, damit ich nicht fast in dem Bestatter stand. Ein Klacken von hinten. Ich sah, dass Ronald dabei war die Fenster zu schließen, damit es nicht rein regnete.

Jetzt fiel mir auf, dass es tatsächlich in dem Laden müffelte. Nur unterschwellig, doch ich verstand nun was Ronald meinte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen wie es vorher gerochen haben musste.

Undertaker ging zu dem großen Eichentresen und legte den großen Stoffstapel und seinen Mantel ab. Sie sahen teuer aus. Alle waren aus Seide, hell, einige hatten dezente Muster, andere nicht. Dann streckte er seine Hand aus: „Lass mich dir deine Jacke abnehmen.“

„Ähm...“, machte ich: „Ich wollte nicht lange bleiben, eigentlich wollte ich dir nur kurz den Mantel wiedergeben und dann wieder verschwinden...“

Undertakers Grinsen drehte sich wieder um. Er wirkte nicht ganz ernst, aber auch nicht mehr amüsiert: „Das klingt so, als wärst du nicht gerne bei mir zu Gast. Sag, hat dir meine Gastfreundschaft in irgendeiner Form nicht zugesagt?“

„Nein!“, machte ich hastig und wedelte unbeholfen mit den Händen: „Nein, nein, nein das ist es nicht. Ich... Will dich nur nicht von wichtigen Dingen abhalten.“

Der Bestatter kicherte wieder: „Ich habe nichts zu tun was wichtiger wäre als du, liebe Skyler.“

Ich klimperte mit den Augen. So etwas hatte noch nie jemand zu mir gesagt und ich wusste nicht so richtig wie ich damit umgehen, oder darauf reagieren sollte. Nicht mal meine eigenen Eltern sagten so etwas zu mir. Sie... hatten immer irgendwas was wichtiger gewesen war als ich. Auch wenn es nichts tun war.

Mein Blick wechselte von verdutzt zu traurig, als ich mich an meine Familie und den Brief vom Jugendamt erinnerte. Ich schaute zu Boden um ihn zu verstecken.

Dann schaute ich auf und versuchte dem Bestatter anzulächeln: „Aber du... hast Besuch. Ich möchte euch beide wirklich nicht stören.“

Ronald lachte: „Wie könnte so ein schönes Mädchen wie du stören.“

Ich schaute den Blonden an und er zwinkerte mir zu.

Ein wenig beschämt schaute ich schräg nach unten.

Ich hörte Undertaker kichern: „Ich bin nur allzu geneigt Ronald zu zustimmen.“

Dann merkte ich zwei Finger unter meinem Kinn. Sie drückten sanft mein Gesicht wieder nach oben und ich schaute dem Bestatter in sein, von Haaren verhangenes, Gesicht. Obwohl er eben noch gekichert hatte, sah er irgendwie verstimmt aus: „Außerdem geht draußen gerade die Welt unter, hehehe. Und ich sehe bei dir nirgendwo einen Regenschirm. Du denkst nicht wirklich, ich lasse dich in diesem Wetter nach Hause laufen, nass und wieder krank werden?“

„Genau“, pflichtete Ronald bei: „Draußen regnet es junge Hunde. Es ist schön dich gesund und munter wiederzusehen, Sky. Geht es dir wieder gut?“

Ich drehte meinen Kopf ein Stück zu Ronald und lächelte ihn dünn an. Eigentlich war mir nicht nach lächeln zumute. So gar nicht: „Ja, danke. Es geht mir wieder gut.“

Ronald legte den Kopf schief: „Sicher? Das muss ein ziemlicher Schreck gewesen sein.“

„Ja schon...“, ich schaute wieder schief zur Seite: „Aber ich bin wieder in Ordnung.“

Kurz herrschte Stille. Nur der Regen prasselte schnell und schwer gegen die Fenster, begleitet von einem hellen Zucken dann und wann, gefolgt von einem dumpfen Grollen.

Dann drehten mich die Finger des Bestatters wieder zu ihm. Er hatte seinen Kopf schief gelegt und schien mich immer noch durch seinen silbernen Vorhang aus Haaren zu mustern: „Nun? Was ist nun? Wie wäre es mit einem warmen Tee. Es ist ja kalt draußen“, sein Kopf neigte sich kurz nach unten. Ich tippte der Totengräber musterte mich bis zu den Füßen. Dann schaute er wieder hoch: „Vielleicht hättest du dir etwas anderes anziehen sollen.“

„Och“, machte Ronald neben uns: „Find' ich jetzt nicht.“

Undertakers und mein Kopf wanderten synchron zu dem Jüngling, als die Hand des Bestatters mein Kinn verließ und ich eine Augenbraue hoch zog.

Er hatte sich lässig mit gekreuzten Beinen auf den Tisch gelehnt und musterte uns irgendwie mit einem komischen, aber schelmischen Gesichtsausdruck. In seinen hellen, grünen Augen stand eine Bedeutung, die ich nicht verstand, aber ihm sichtlich Pläsier bereitete.

Ronald hob die Hände aufgrund unserer Blicke: „Ist gut, ist gut. Ich habe nichts gesagt.“

Dann zog sich sein Mund in ein unterdrücktes Lächeln, als er die Hände wieder lässig auf die Tischplatte legte. Zumindest versuchte er es zu unterdrücken, doch es gelang ihm nicht sonderlich gut: „Ihr beide habt 1:1 den selben Gesichtsausdruck drauf.“

Der Totengräber und ich sahen uns wieder an. Undertaker giggelte. Ich fragte mich eher woher Ronald wissen wollte wie der Bestatter schaute. Schließlich reichte sein beachtlich dichter Pony fast bis zu seiner Nasenspitze.

„Nun“, grinste der Bestatter: „Was ist nun?“

Er streckte mir wieder seine Hand entgegen.

Ich seufzte: „Wenn es euch wirklich nicht stört...“, sagte ich leise und wickelte mich aus meinem Poncho. Der Totengräber nahm ihn mir ab, griff dann seinen Mantel vom Tisch und hing die Jacken an den kleinen Garderobenständer neben der Tür. Ich sah, dass schon ein Jackett und eine Anzugweste an dem kleinen Ständer hingen. Ich tippte sie gehörten Ronald.

Ronald grinste zweideutig: „Diese Uniformen sind wirklich nicht schlecht.“

Ich war ein wenig irritiert: „Äh... Ja...“

„Also ich meine...“, doch der Jüngling kam nicht weiter. Undertaker ging gerade an ihm vorbei und haute ihn leicht auf den Hinterkopf: „Benimm dich, du Schandmaul.“

„Aua“, machte Ronald leise und rieb sich die Stelle am Hinterkopf: „Ich hab doch gar nichts gemacht...“

Der Totengräber kicherte, als er zu der versteckten kleinen Türe ging. Ich tippte, dass hinter ihr die Privaträume des Bestatters lagen: „Noch nicht, hehe.“

Dann entschwand der Leichengräber in der Tür.

Ich stand ein wenig verloren in dem kleinen Laden und wippte unruhig auf meinen Füßen von vorne nach hinten.

„Warum bist du so nervös?“, lächelte der blonde Junge.

„Ähm... Ich weiß nicht. Ich hatte einfach keinen guten Tag...“

„Es liegt nicht an unserem allseits geliebten Sonderling?“

Ich schaute zur Seite und verschränkte die Hände hinter meinem Rücken: „Nein. Das glaube ich nicht.“

„Du glaubst?“

„Ja...“

Ronald lachte einmal kurz und versuchte dann sich mit der einen die Fingernägel der anderen Hand sauber zu schaben.

Eine komische Stille legte sich wieder über den Laden und wurde mir schnell unangenehm: „Ähm“, brach ich sie unelegant: „Du... kennst Amy gut?“

Ronald schaute von seinen Fingernägeln auf und blinzelte kurz: „Joa schon.“

„Woher?“

„Och“, sagte er nonchalant: „Der Arbeit wegen.“

„Okay...“, ich legte den Kopf schief: „Als was arbeitest du? Mechaniker? Amy sagte, du bist öfter hier um etwas zu reparieren.“

Ronald lachte: „Ja, ich habe eine Zeit lang als etwas gearbeitet, was man als Mechaniker bezeichnen könnte.“

„Und was machst du jetzt?“

Der Junge schwieg kurz. Er schien sich seine Antwort gründlich zu überlegen: „Äh... Außendienstmitarbeiter.“

„Aha. Welche Firma?“

Ronald schaute zur Seite. Er wirkte irgendwie, als wüsste er nicht so recht was er antworten solle. Irgendwie kam mir das komisch vor. Was war daran so lange zu überlegen? Ich wollte doch nur wissen für welche Firma er arbeitete. Arbeitete er vielleicht für eine Firma, die irgendwie krumme Dinger drehte? Mir wurde mulmig.

Das Aufgehen der Türe rettete Ronald vor der Antwort. Der Bestatter war zurückgekehrt und hatte wieder das Tablett in der Hand, nur diesmal mit drei Bechern und Löffeln. Er blieb hinter dem Tresen stehen, stellte es ab und reichte einen Becher an Ronald. Dieser nahm den Becher entgegen und musterte ihn annähernd sorgenvoll: „Da war aber nichts Unappetitliches drin, oder?“

Undertaker kicherte: „Ahihihi. Ich glaube nicht.“

„Ich hoffe“, sagte Ronald, warf sich zwei Zuckerstückchen in den Becher und rührte ihn mit einem der Löffelchen um: „Formaldehyd hat einen komischen Nachgeschmack.“

'Formaldehyd?', dachte ich irritiert und merkte wie eine meiner Augenbrauen nach oben wanderte: 'Warum sollte der Tee nach Formaldehyd schmecken?'

Der Kopf des Leichengräbers hatte sich mittlerweile zu mir gedreht und hielt mir ebenfalls einen Becher hin.

Ich nahm ihn zögerlich und philosophierte noch über Ronalds Aussage.

„Schau nicht so skeptisch, ahehehe. Es ist nichts drin was irgendwie schädlich wäre“, lachte er und schaufelte sich seinen Becher wieder mit Zucker voll.

Ich lächelte gezwungen und nahm dann einen Schluck Tee.

„Nein“, machte Ronald sarkastisch und gedehnt: „Vielleicht nur ein Rest Leber oder Niere oder Herz, oder was du sonst noch so aus deinen 'Gästen' rausschnibbelst und in deinen Messbechern zwischen lagerst.“

Ich prustete. Der Tee stieg mir in die Nase, als ich geschockt realisierte was Ronalds Worte zu bedeuten hatten. Angestrengt hustete ich um den Tee loszuwerden, den ich wortwörtlich in den falschen Hals bekommen hatte.

Undertaker lachte. Ich hörte, dass er mit der Hand dabei auf den Tisch schlug. Sein Teebecher hüpfte über den Tisch: „Herrlich! Ahahahahahahahahahaha!“

Auch Ronald musste kichern.

Ich schaute die Beiden an. Es dauerte wie immer eine Weile bis Undertaker sich gefangen hatte: „Wuwuwuwuwuwu! Nein, keine Sorge. Das ist nicht der Fall.“

„Was?“, fragte ich misstrauisch: „Dass du deine Gäste zerfledderst oder dass du Teile von ihnen in die Messbecher wirfst, aus denen du auch deinen Tee trinkst?“

„Äh... ehehe! Ich 'zerfleddere' sie nicht, ich seziere sie. Aber das mit den Organen stimmt schon. Irgendwo müssen sie ja bleiben, bis ich mich weiter mit ihnen beschäftigen kann. Aber die Becher sind unbedenklich. Wirklich. Oder schmeckt der Tee komisch?“

„Nun“, ich schaute auf meinen Becher. Der Tee schmeckte gut. Es war derselbe wie beim letzten Mal. Fruchtig mit einem Hauch Minze. Ich mochte den Geschmack. Des Weiteren konnte ich mir nicht wirklich vorstellen, dass der Totengräber Tee aus Bechern trank in denen tatsächlich mal Organe gelagert wurden: „Nein. Er schmeckt gut, danke.“

Wahrscheinlich wollte Ronald mich nur ärgern.

Auch Ronald trank nun seinen Tee und schaute Undertaker an. Sein Blick wanderte ab von mir und musterte den Jungen, als dieser ihn ansprach: „Deine Kühlzellen funktionieren jedenfalls wieder.“

„Ich danke dir zutiefst, lieber Ronald. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“

„Oh, ich hätte was“, grinste Ronald: „Trainiere mit mir!“

'Trainieren?'

Undertaker legte lachend den Kopf schief: „Willst du das wirklich?“

„Ja!“, bestätigte Ronald fast aufgeregt: „Wenn ich von dem Besten lerne, komme ich vielleicht endlich an Grell und William heran! Es nervt ewig das Küken zu sein.“

'Von dem Besten? Küken? Huh?', ich verstand kein Wort.

„Nun“, Undertaker stützte seinen Kopf auf eine Hand, während er halb auf dem Tresen lehnte: „Wenn du dir wirklich sicher bist. Ein Spaziergang wird es aber nicht werden, ahehehe.“

Ronald lächelte selbstbewusst: „Ich vertrag das schon.“

Dann wanderte sein blonder Schopf herum und er sah mir ins Gesicht.

“Oh“, machte er als habe er vergessen, dass ich da war. Er lächelte entschuldigend und erkannte wohl meinen verwirrten Gesichtsausdruck: „Äh. Vergiss es einfach.“

„Ooookay“, machte ich gedehnt. Doch die Fragen blieben in meinem Kopf hängen. Irgendwie schien Ronald Geheimnisse zu haben und ich war mir sicher Undertaker kannte sie genau. Erst die Ausflüchte, als ich ihn gefragt habe wo er arbeitete und nun diese seltsame Konversation über irgendein Training, die er mir nicht auflösen zu wollen schien. Doch wenn die Beiden mich nicht einweihen wollten, musste ich das wohl oder übel akzeptieren. Sie kannten mich ja genauso wenig wie ich sie. Das man da nicht alle seine Geheimnisse ausposaunt war verständlich. Doch was für ein Geheimnis könnte der Junge haben, das mit seinem Arbeitsplatz zu tun hatte? Und sagte er nicht er kenne Amy durch seine Arbeit? Außendienstmitarbeiter... Das war so ein richtig schwammiger Begriff, der alles und nichts bedeuten konnte. Nicht, dass er Drogen verkaufte oder so! Doch wie ein Drogendealer sah der Junge in seinem Anzug nun wirklich nicht aus und Amy nahm auch keine Drogen, das hätte ich wahrlich mitbekommen.

Während ich mich noch mit meinen Fragen beschäftigte, nahmen die Beiden ihre Konversation wieder auf.

„Wird es nicht bald Zeit für die Jahresendabrechnung? Soll ich dir William vorbei schicken?“, fragte Ronald und trank eine großen Schluck Tee hinterher.

Der Bestatter sah gelangweilt drein, auch ohne das ich seine Augen sehen konnte: „Naaaaaa. Erinnere mich nicht daran.“

„Wie kommst du eigentlich alleine zurecht? Ich meine du solltest nach den etlichen Jahren Bürokratie doch echt gewöhnt sein. Kannst du nicht oder willst du nicht?“, Ronald lachte: „Sag mir nicht du lässt William immer antanzen nur weil du keine Lust hast es selber zu machen?“

„Gut“, grinste der Bestatter nun: „Dann sage ich nichts.“

Ronald lachte: „Du bist furchtbar.“

Der Fortgang der Konversation war nicht gerade einleuchtender, als die Sätze zuvor. Ich verstand einfach nicht worüber die Beiden sprachen, aber irgendwas schien sie zu verbinden, abgesehen davon, dass sie befreundet zu sein schienen.

Irgendwie unerwartet drehte Undertaker seinen Kopf zu mir. Wahrscheinlich um mir zu signalisieren, dass er mich nicht vergessen hatte. Er griff in die kleine Urne mit den Keksen und hielt mir einen hin: „Keks?“

„Oh“, machte ich und nahm ihn zögerlich: „Danke.“

„Tu das nicht!“, rief Ronald aus, doch ich hatte schon abgebissen. Ein komischer Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Ich konnte nicht verhindern, dass ich mein Gesicht verzog. Der Geschmack in meinem Mund war herzhaft, nicht süß wie ich erwartet hatte. Er erinnerte mich irgendwie an Gemüse.

Ronald sah ziemlich leidend drein, fast entschuldigend, als er in mein Gesicht schaute.

Ich drehte mich zu Undertaker. Er lachte wieder.

„Was sind das für Kekse?“, fragte ich, nachdem ich es geschafft hatte herunter zu schlucken.

„Was denkst du?“, fragte der Bestatter amüsiert.

„Ich... weiß nicht“, sagte ich weiter und beschaute den angebissenen Keks in meiner Hand.

Ronald legte die Hand über die Augen: „Hundekekse...“

Ich schaute ihn an: „Bitte?“

Ron nahm die Hand wieder runter und lachte mitfühlend: „Das sind Hundekekse. Er isst sie ständig.“

Ich schaute Undertaker an: „Ehrlich?“

Dieser wackelte mit dem Kopf hin und her: „Schmecken sie dir nicht?“

Dann streckte er seine langen Finger aus, nahm mir den Keks aus der Hand und schob den Rest in seinen Mund. Er kaute genüsslich und mit einer gewissen Glückseligkeit im Grinsen darauf herum.

Ich musterte ihn perplex. Formaldehyd im Tee? Hundekekse? Was war bei dem Kerl nur los?

„Nein“, sagte ich schließlich bevor ich wieder in die Verlegenheit kam, den Bestatter einfach nicht zu antworten. Ich hatte mir seit dem letzten Mal ernsthaft vorgenommen das zu ändern: „Nicht mein Fall.“

„Schade“, grinste der Totengräber und schob sich noch einen Keks in den Mund. Meine Frage beantwortete er mir nicht.

Der Blondschopf trank seinen Becher aus und stellte ihn auf das Tablett zurück. Dann schaute er auf seine Armbanduhr: „Ich muss zurück. Ich hab noch Arbeit auf dem Tisch und habe keine Lust, dass mich William wieder zu Überstunden verdonnert.“

Wieder wanderte meine Augenbraue hoch. William konnte Ronald mit Überstunden strafen? Also war er sein Chef? Ich stellte die Theorie auf, dass dann wahrscheinlich auch Grell ein Arbeitskollege war und die Drei deswegen auf dem Ball die ganze Zeit zusammen gestanden hatten. Aber was hatte Undertaker damit zu tun? Als was er arbeitete war klar: Er war Bestatter.

Undertaker lachte: „Melde dich bei mir um dir deine Belohnung abzuholen.“

Ronald lachte mit: „Darauf kannst du Gift nehmen.“

Der Jüngling krempelte seine Ärmel herunter und zog das Jackett über. Krawatte und Weste hielt er in der Hand. Er lächelte mich an: „Sky? Wir sehen uns sicher wieder. Kommst du zu Halloween?“

„Öhm“, machte ich immer noch reichlich verwirrt: „Ja, komme ich.“

„Dann sehen wir uns da“, lächelte Ronald und winkte: „Bis dann. Bye Undertaker. Wir hören uns.“

Er ging an dem Tresen vorbei und nach hinten raus. Undertaker wedelte mit einer Hand zum Abschied.

„Du hast doch auch keinen Schirm dabei!“, stoppte ich den jungen Blonden.

Hatte er nicht eben noch zugestimmt, dass ich nicht in dem Regen nach Hause laufen sollte? Aber bei ihm war das ok?

Ron drehte sich um und zeigte mir ein 'Peace'- Zeichen mit der freien Hand: „Ich hab's nicht weit.“

Dann verschwand er und wenig später hörte ich die Hintertür auf und zu gehen.

Ich drehte mich zu Undertaker, der nicht schlecht amüsiert immer noch auf seinem Tresen lehnte.

„Weswegen bist du wirklich hier?“, fragte der Bestatter wissend und nahm einen weiteren Schluck seines Teesirups.

„Öhm... Sagte ich doch. Ich wollte dir deinen Mantel bringen.“

„Und?“

„Nichts...“, ich schaute zur Seite: „Und.“

Ein Seufzen. Dann merkte ich wieder zwei Finger unter meinem Kinn und der Bestatter drehte meinen Kopf wieder zu sich: „Was habe ich über Lügen gesagt, meine Liebe?“

Ich fühlte mich ertappt: 'Aber das musst du nicht! Du wolltest ihm nur seinen Mantel bringen! Punkt!'

„Ich lüge nicht...“

Das Grinsen des Bestatters verschwand: „Also, zu lügen in dem man sagt man lüge nicht ist ziemlich dreist, oder?“

Ich drehte meinen Kopf energisch weg. Fast wütend. Dabei merkte ich wie seine Fingernägel über die weiche Haut unter meinem Kinn schabten.

Ich war nicht hier um über den Brief zu reden! Ich brauchte auch niemanden zum Reden! Helfen konnte er mir eh nicht. Niemand konnte das.

Ich starrte auf den Boden, während ich diese Gedanken immer wieder wiederholte. Doch diese furchtbare Traurigkeit, diese lähmende Angst war immer noch nur allzu gegenwärtig.

Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter. Mein Kopf zuckte herum und ich sah, dass Undertaker um seinen Tresen herum gegangen sein musste und nun hinter mir stand. Sein Kopf lag ein Stück schief und ein Auge lugte halb hervor: „Was hast du, Sky? Sag nicht nichts, oder schauspielere besser.“

„Ich schauspielere nicht...“, schaute ich wieder weg.

Mit einem Ruck drehte die Hand mich herum. Der Becher fiel mir aus der Hand, weil ich nicht damit gerechnet hatte und ging mit einem dumpfen Laut zu Boden. Der Tee bildete eine kleine Lache neben meinen Füßen. Eine Hand umschlang meine Taille, eine andere griff mein Kinn und fixierte es so, dass ich Undertaker ins Gesicht schauen musste. Ich drückte meine Hände gegen seine Brust um aus dem Arm des Totengräbers zu entkommen, aber der Mann kam mir extrem kräftig vor und schien mit Leichtigkeit gegen meine Rebellion zu halten.

„Warum lügst du mich an? Vertraust du mir nicht?“

Irgendwie traf mich dieser Satz und ich hörte auf mich zu wehren. Ich schlug die Augen nieder. Der Blick des Bestatters wirkte immer so, als ob er direkt in meine Seele schaute und das sah, was darin wirklich vor sich ging. Auch, wenn ich vielleicht selbst nicht wusste was es war: „Nein... das ist es nicht.“

„Was ist es dann?“, die Stimme des Totengräbers quietschte nicht mehr. Sie klang ernst. Sehr ernst.

„Ich... kenne dich doch gar nicht richtig...“

„Warum bist du dann hergekommen? Du sagtest zu Ronald du hättest einen schlechten Tag.“

'Woher weiß er das?', meine Frage stand mir wohl deutlich im Gesicht.

„Ich habe sehr gute Ohren“, antwortete Undertaker auf meine stumme Frage: „Doch nun erzähl.“

„Ich...“, ich merkte wie meine innere Mauer zu bröckeln begann: „Ich habe heute einen Brief bekommen...“

„Und darüber möchtest du sprechen?“

„Nein... eigentlich nicht.“

„Sky?“

„Ja?“

„Belüge mich nicht. Du bist wirklich nicht gut darin.“

In meinem Kopf waren 2 Stimmen: Die Eine sagte mir ganz deutlich, dass ich nicht log. Die andere sagt mir ganz deutlich, dass doch. Wo mein Kopf stand wusste ich nicht mehr. Folglich wusste ich auch nicht mehr ob ich wirklich gelogen hatte oder nicht. Diese Verwirrung verursachte mir Schwindel.

„Ich... weiß nicht ob ich lüge“, antwortet ich schließlich zögerlich.

„Das glaube ich dir“, antwortete der Bestatter: „Aber ich bin mir sicher du tust es. Vertraue mir. Schau mich an.“

Die Stimme des Leichenbestatters war eindringlich und ruhig. Es lag kein Ärger darin, obwohl ich ihn belogen hatte. Vielleicht. Unter Umständen. Keine Ahnung.

Ich hätte damit gerechnet, dass er dachte ich würde ihn auf den Arm nehmen wollen, aber das schien nicht der Fall zu sein.

Langsam hob ich meine Augen wieder und schaute in sein scharf geschnittenes Gesicht, mit dem einen schmalen, halb verdeckten Auge.

Als ich ihn anschaute, sprach er wieder: „Und jetzt sage mir ein weiteres Mal, dass du nicht sprechen möchtest.“

Ich... konnte nicht. Ich konnte dem Totengräber nicht ins Gesicht schauen und sagen ich wolle nicht reden. Also blieb ich stumm und ein schweres Gefühl lag mir in Brust und Bauch.

Ein mitfühlendes Lächeln erschien auf seinen Lippen: „Nun?“

Ich seufzte, was ein leichtes Zittern durch meinen Körper jagte. Daraufhin spürte ich den Griff des Bestatters fester werden. Ich stockte in meinen Gedanken und schaute ihn irritiert an.

„Ich hab ein offenes Ohr für dich“, lächelte er weiter: „Wirklich. Vergiss nicht: Ich lüge nie.“

„Der Brief war vom Jugendamt...“

Undertaker wirkte leicht irritiert: „Jugendamt?“

„Ja...“, sprach ich weiter: „Seit ich sieben bin lebe ich im Heim.“

In dem Auge des Totengräbers sah ich so was wie eine Erkenntnis, als ob sich ein paar Puzzelteile zumindest ansatzweise zusammengefügt hätten. Hatte er über mich nachgedacht? Na, warum denn? Es war sicher irgendetwas anderes.

„Warum?“, fragte er.

„Weil“, ich stockte. Eine Weile wusste ich nicht zu antworten.

„Hm?“

Ich atmete tief durch: „Weil meine Eltern nicht so dolle sind.“

Warum erzählte ich ihm das alles? Außer Amy hatte ich es noch niemandem freiwillig verraten und sie hatte fast 2 Jahre gebraucht um es aus mir herauszubekommen. Doch irgendetwas in dem Blick des Bestatters sorgte dafür, dass ich meine Geheimnisse ausplauderte wie meine Wunschliste an den Weihnachtmann.

„Und was stand in dem Brief?“

„Das sie... Kontakt zu mir aufnehmen wollen...“

„Und das möchtest du nicht?“

Ich schaute ihn an während ich merkte, dass das Leid in meinen Blick stieg. Die Angst. Doch meinen Blick abwenden konnte ich irgendwie nicht. Etwas in dem Auge sagte mir, dass er mich verstand. Dass er meine Angst verstand.

„Glaub mir, Sky“, begann er wieder: „Ich habe viel, viel gesehen in meiner beruflichen Laufbahn. Die menschlichen Abgründe sind tief. Ich kenne sie. Ich halte sicherlich nichts was du mir erzählen würdest für zu weit hergeholt, um es dir zu glauben. So viele Kinder sind mir begegnet die gestorben sind, weil ihre Eltern sie nicht beschützt haben, wie sie sollten. In einigen Fällen waren die Eltern sogar schuld gewesen. Das ist schrecklich und ich habe diese Menschen, die sich Eltern nennen wollten, zutiefst verurteilt.“

Meine Unterlippe zitterte. Warum? Ich wollte das nicht, doch ich merkte wie meine Augen feucht wurden. Ich war eigentlich wirklich kein weinerlicher Typ. Ich war des Weinens vor langem einfach müde geworden. Doch der Totengräber hatte irgendwas an sich um meine Gefühlswelt auf links zu drehen. Seine Worte waren weich und warm. In ihnen lag ein ehrliches Verständnis und der Wille mir wirklich zuzuhören. Ich erlebte es so selten, dass ich fast vergessen hatte, dass Menschen so klingen können.

„Ich verurteile auch deine Eltern zutiefst“, setzte er irgendwann nach, als ich stumm blieb, ohne den Blick aus meinen Augen zu nehmen. Diese grüne Iris zog mich an und seine Worte hallten durch meinen Kopf: „Niemand sollte so traurig schauen wie du gerade.“

Ein Schluchzen entfloh meiner Kehle. Ich verfluchte es, kniff die Augen zusammen und bereute es im selben Moment, weil ich merkte, dass zwei große Tränen dadurch meine Wangen hinunter kullerten.

„Oh weh“, hörte ich Undertakers einfühlsame Stimme. Die Hand löste sich von meinem Kinn und strich mir sanft die Tränen von den Wangen. Dann landete sie auf meinem Hinterkopf und drückte mich an die Brust des Bestatters. Ich konnte sein Herz schlagen hören und merkte wie seine langen Fingernägel durch meine Haare streiften: „Weine, wenn du weinen musst. Du musst dich hier nicht zurückhalten und für nichts schämen.“

Meine Augen weiteten sich und ich hatte das Gefühl mein Herz blieb stehen, als mir der Geruch des Bestatters in die Nase stieg und er eine kleine Sprechpause einlegte. Nach einem kurzen Schweigen sprach er weiter: „Wenn ich etwas tun kann damit es dir besser geht, sag einfach Bescheid.“

Mein Herz sackte ein Stück ab. Ich wollte nicht weinen und dann wieder doch. Es war mir peinlich, doch in mir war eine Spannung von der ich sicher war sie zerriss mich, wenn ich sie nicht irgendwie kompensierte. Als sich mein Hände hilflos in den dünnen Mantel des Bestatters krallten, brachen sich meine Tränen auch schon unkontrolliert ihre Bahnen. Ich presste eine meiner Hände vor den Mund um mein Schluchzen zu unterdrücken. Ich merkte wie der Totengräber die drei Spangen aus meinem Dutt zog und meine Haare hinunter fielen. Dann streiften seine Finger weiter durch meine Haare. Er sagte nichts. Undertaker stand einfach nur da, hielt mich fest und fuhr mir immer und immer wieder durch meine Haare. Ich kannte so etwas nicht. Ich kannte es nicht, dass jemand die Emotionen in meinen Augen las, dass man mich festhielt wenn ich traurig war und mir beruhigend durch die Haare strich. Ich mochte es. Irgendwie...

Geduldig wartete er, bis ich mich beruhigt hatte.

Irgendwann hob ich meinen Kopf und wischte mir durch das feuchte Gesicht: „Es tut mir leid...“

„Hehehe“, lachte der Bestatter leise, aber nicht albern: „Warum entschuldigst du dich immer?“

„Weil... Mir das peinlich ist...“

Das Lachen des Bestatters wurde lauter: „Hahahahahaha! Warum denn?“

Ich schaute hoch in sein lächelndes Gesicht. Es wirkte wieder amüsierter. Ich rieb mir noch einmal durch die Augen und schlug sie dann nieder: „Weil... ich dich kaum kenne und hier stehe und dir die Ohren voll heule wie ein kleines Kind. Das war sicher... nicht so toll für dich...“

Er lachte durch die geschlossenen Lippen. So war sein Lachen sehr leise und ziemlich dunkel, doch es klang irgendwie schön: „Ich hab doch gefragt. Wer fragt muss auch den Schaden tragen. Vergessen?“

„Ja, aber...“, begann ich, doch wurde unterbrochen. Eine Hand wuschelte durch meine Haare. Da sie jetzt oben nicht mehr von meinem Dutt gehalten wurden, flogen sie wirr durch die Gegend und auch in mein Gesicht. Ich schaute hoch und versuchte mir die Haare aus dem Gesicht zu pusten. Es funktionierte nicht, aber wenigstens hörte ich, dass der Bestatter anfing zu giggeln. Irgendwie wurde das Gefühl in meinem Bauch ganz warm, als ich Undertaker giggeln hörte.

Ich kicherte mit. Ich mochte das Lachen des Leichengräbers. Beide Versionen davon.

Auf einmal hatte ich etwas Weißes vor der Nase. Ich blinzelte verwirrt und schielte, als ich auf das Etwas vor meinen Augen schaute. Es war ein Taschentuch. Ich nahm eine Hand und wischte mir die Haare aus dem Gesicht. Zögerlich nahm ich das Taschentuch und murmelte leise: „Danke.“

Als ich mir meine roten Augen und feuchten Wangen trocken wischte merkte ich, dass der Bestatter mich immer noch im Arm hatte. Mein Gesicht wurde warm und ich schaute wieder schräg zu Boden. Ich hörte Undertaker lachen. Als ich zu Boden schaute sah ich die Teelache neben meinen Füßen: „Oh!“

Ich tat einen Schritt zur Seite und schaute immer noch auf den zu Boden gegangenen Becher. Undertaker ließ seinen Arm von meiner Taille rutschen, als ich mich bewegte.

„Es tut mir leid!“, quiekte ich und schlug die Hände vors Gesicht: „Ich...“, hastig schaute ich mich um. Hier muss doch irgendwo ein Tuch sein: „Mach das sofort weg!“

Mein Blick fiel auf den schmuddeligen Lappen mit dem Ronald sich die Hände abgewischt hatte. Ich wollte zum Tresen gehen, doch eine Hand an meinem Handgelenk hielt mich auf. Ich drehte mich halb herum und schaute reichlich verwirrt in Undertakers Gesicht.

Dieser lachte: „Hehe. Lass nur. Ich mach das gleich.“

„Aber... ich hab ihn fallen lassen.“

„Wirklich?“, er legte den grinsenden Kopf schief.

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Äh... Ja?“

Der Totengräber hob die andere Hand vor den Mund, als er kicherte: „War das eine Frage oder eine Aussage?“

„Äh... Aussage?“

„Und das?“

„Öhm... Aussage?“

„Und das?“

„Ähm... Aussage?“

„Und das?“

Ich ließ die Schultern hängen und schaute ihn irgendwo zwischen genervt und dem Gefühl veräppelt zu werden an.

Darauf hin lachte der Bestatter los: „Ahehehehehehehehehehehe! Dieses Gesicht! Tihihihihihihi! Bezaubernd! Entzückend! Ahahahahaha!“

„Was hast du eigentlich mit meinem Gesicht?!“

Er zog an meinem Arm. Ich stolperte nach vorne. Meiner Meinung nach waren seine Arme für seine Kraft viel zu dünn. Oder zumindest wirkten sie zu dünn. Als ich wieder vor dem Leichengräber stand, streckte er mir seine Nase ins Gesicht: „Ich mag es, hehe. Deine Ausdrücke sind herrlich! So vielseitig! Und wie rot du immer wirst. Possierlich, wirklich. Hihi.“

Meine groß gewordenen Augen blinzelten irritiert und ich merkte mein Gesicht noch wärmer werden, woraufhin der Bestatter nur noch mehr kicherte. Es war mir unverständlich warum mich dieser schräge Typ immer wieder aus der Fassung brachte. In so vielen Hinsichten. Eigentlich in allen. Das war mir ziemlich unangenehm... und es verwirrte mich zutiefst.

„Außerdem“, weckte mich Undertaker aus meinen Gedanken: „Wenn meine Gäste anfangen bei mir zu putzen, leg ich mich selbst auf eine Bahre, ahehehehe.“

„Oooookay“, machte ich gedehnt. Der Gedanke schien ihm nicht sonderlich zu widerstreben, was ich ein weiteres Mal bedenklich fand: „Ist alles ok bei dir?“

Wieder brach ein kleiner Lachanfall des Leichenbestatters durch den kleinen Laden: „Fuhehehehehehe! Das fragt die Richtige!“

Ich zog eine Augenbraue hoch. Undertaker lachte noch mehr. Dann hob er einen Finger und wackelte an meiner hochgezogenen Augenbraue herum: „Und diese Augenbraue! Ahahahahahaha! Ich hab die wahre Freude meines Herzen gefunden!“

Jetzt klappte mir der Mund auf: 'Was?! Die wahre Freude seines Herzens?! Was soll das denn jetzt wieder heißen?!'

Undertaker lachte noch lauter und wackelte weiter an meiner Augenbraue, als hätte er selten so viel Spaß gehabt. Er nahm besagten Finger und klappte mir den Mund zu: „Hör auf so zu schauen! Puhuhuhuhuhu! Oder ich sterbe!“, er wischte sich durch die Augen: „Das wäre Mord, hehe!“

„Klar“, nickte ich langsam: „Klingt logisch... Oder so.“

„Andererseits“, er nahm wieder seinen Finger und bewegte ihn in Richtung meiner Augenbraue: „Das sieht zu gut aus! Fu fu fu fu! Mach's doch noch mal! Tehe!“

Ich nahm die freie Hand und paschte damit auf die Hand des Bestatters: „Hey!“

Er ließ nicht locker und wackelte mit dem Finger vor meinem Gesicht herum: „Ach komm schon! Hihi!“

Ich befreite meine andere Hand und nahm beide Hände um seine Hand weg zu wedeln: „Nein! Lass das! Hast du mal was von 'Persönlicher Komfortzone' gehört?!“

„Pahahahaha! Komfortzone! Hab dich nicht so!“, griff er wieder eine von meinen Händen. Mit der anderen haute ich immer wieder auf seine, aber er zeigte eine ungeahnte Ausdauer darin mich ärgern zu wollen. Ich fühlte mich wie ein Kätzchen, das sich einer äußerst aufdringlichen Fliege erwehren musste.

Doch ich musste anfangen zu lachen. Irgendwann schaffte ich es meine andere Hand wieder aus seiner zu ziehen und drückte sie gegen seine Wange: „Haha! Jetzt hör auf damit!“

Doch das tat er nicht. Er mogelte seine Hand an meiner vorbei. Allerdings traf er meine Nasenspitze.

Wahrscheinlich, weil ich sein Gesicht mit meiner Hand ein Stück zu Seite drückte und er einfach blind war wie ein Maulwurf. War er zu stolz um seine Brille zu tragen? Er drehte seinen Finger auf meiner Nasenspitze, was meine Gedanken unterbrach: „Tihihi! Bitte! Ich will es noch einmal sehen!“

Ich tat zwei Schritte nach hinten: „Nein!“, lachte ich noch immer.

Da ich zurück gegangen war, konnte sich der Bestatter wieder gerade hinstellen: „Bitte!“

„Haha, nein!“

Der Totengräber ging wieder auf mich zu, Finger voran: „Tu mir doch den Gefallen. Hehe!“

„Hey!“, ich duckte mich unter seinem Finger hinweg, lief an ihm vorbei und stellte mich so, dass ein Sarg zwischen uns stand: „Nicht ins Gesicht!“

„Oh, eine kleine Verfolgungsjagd“, der Bestatter grinste und legte kurz die Fingerkuppen aneinander: „Ist eine Weile her, dass ich so etwas mit Lebenden gemacht habe.“

Ich machte große Augen: „Was?!“

Aber ich hatte keine Zeit weiter darüber nachzudenken, denn der Bestatter stützte eine Hand auf den Sarg und schwang sich mit Leichtigkeit darüber.

Ich blinzelte verwirrt und rannte weg, als sein Finger mir wieder näher kam.

„Haha! Hör auf!“, ich flitzte durch den kleinen Laden. Undertaker folgte mir auf den Fuß. Er war schnell! Eher unbeholfen wich ich immer wieder dem Finger aus. Er lachte dabei wie ein Kind im Freizeitpark und hatte hörbar Spaß. Irgendwie freute mich dieser Umstand so ungemein, dass er auch bei mir für ungeahnt viel Pläsier sorgte.

Ich konzentrierte mich viel zu sehr auf seinen Finger und viel zu wenig auf meine Füße. Deshalb stolperte ich irgendwann über mein eigenes Bein. Ich wusste warum ich nicht im grünen Haus war. Ich strauchelte.

Dann gaben sich die Umstände und mein Karma wieder die Hand: Durch das Straucheln stoppte ich, als ich versuchte mein Gleichgewicht zu halten. Zu plötzlich für einen gewissen Bestatter. Ich spürte wie er gegen mich prallte und mich von den Füßen riss.

„WAAAAAAA!“, fielen wir mit einem kleinen, doppelten Schrei nach hinten in einen offenen Sarg. Der Zylinder des Totengräbers segelte zu Boden.

Einen kleinen Moment drehte sich alles. Ich hörte und spürte den Bestatter lachen, während er auf mir lag. Er drückte mit seinem ganzen Gewicht gegen mich. Viele silberner Haare lagen auf meinem Gesicht. Sie fühlten sich ganz weich an. Wieder stieg mir der süße, natürliche Geruch in die Nase, den ich so gern mochte. Ich war immer noch furchtbar perplex, als er das Gesicht auf meine Schulter legte und ich nicht wusste, ob er einem Lach- oder Herzanfall unterlag. Ich hoffte einfach mal auf Ersteres.

Undertaker hob den Kopf und grinste mir immer noch lachend ins Gesicht. Mein Herz wummerte ganz furchtbar gegen den Körper des Totengräbers, doch der Bestatter schien sich an der extremen körperlichen Nähe nicht annähernd zu stören. Die Zeit zog sich wie Teer. Das Blut brannte durch meine Wangen und pulsierte merklich in meinen Venen: 'Zu... nah...', ächzte ich in meinen Gedanken: '...Oder...?'

Als ich den Mund öffnen wollte um etwas zu sagen, hatte ich plötzlich wieder einen Finger an meiner Augenbraue, der sie hoch und runter schob: „Hehehehehe! Gewonnen!“

Ich seufzte erst. Dann legte ich den Kopf in den Nacken und musste wieder anfangen zu lachen. Spontan empfand ich die Situation gar nicht mehr so unangenehm. Ein paar Minuten hallte unser Lachen im Chor durch den dunklen Laden.

Dann stützte Undertaker sich auf: „Hahahaha! Hach! Herrlich!“

Ich öffnete die Augen. Dann wurden sie gleich noch größer, als ich den Sargdeckel unheilvoll wackeln sah: „Vorsicht!“

KLONG! Das war so ungefähr das Geräusch was ertönte, als der Sargdeckel zuklappen wollte. Doch der Kopf des Bestatters war im Weg. Das war auch so ungefähr das Geräusch was durch meinen Kopf surrte, denn überrascht wie er war reichte Undertaker die saftige Kopfnuss, die ihm der Sargdeckel verpasst hatte, an mich weiter.

„Ohhhhhh“, machte ich reichlich desillusioniert und hob eine Hand an meine pochende Stirn, als der dumpfe Schmerz durch meinen Kopf surrte: „Aua... Ich hasse mein Karma...“

„Ich finde dein Karma gar nicht so schlecht. Hehehehehehe!“, lachte der Bestatter und hielt sich ebenfalls die Stirn.

Ich öffnete empört die Augen und wollte den Kopf heben, aber meine Nasenspitze stupste gegen etwas Kühles. Es war dunkel in dem Sarg. Nur weil unsere Beine aus der Kiste hingen sickerte etwas Licht von außen durch einen kleinen Spalt hinein. Ich schaute in zwei Augen. Grüne Augen. Doch keine normalen grünen Augen. Sie leuchteten im Dunkeln! Ich dachte erst ich habe eine mittelschwere Gehirnerschütterung davon getragen und blinzelte, doch es war wahr: Die Augen des Bestatters schimmerten sachte in einem satten limonengrün durch das Düster des Sarges und erhellten ein bisschen sein stattliches Gesicht. Dann realisierte ich wie nah diese Augen waren und dass ich mir die Nase an dem Gesicht des Bestatters platt drückte. Doch ich konnte mich nicht bewegen. Diese Augen bannten meinen Blick. Warum war die Haut des Totengräbers so kalt? Gleichzeitig mit diesem Gedanken schoss mir auch schon wieder Hitze ins Gesicht und ich blieb stumm. Undertaker war ausnahmsweise dieses mal vollkommen unschuldig. In dem Sarg war einfach kein Platz. Ich hatte das Gefühl die Zeit blieb stehen, als ich in diese schillernden Pupillen schaute. Ich konnte nicht einmal mehr blinzeln oder meinen Kopf wegnehmen. Ich hatte wirklich noch nie solche Augen gesehen!

Er kicherte. Sein Atem streifte sanft über meine Lippen, schickte ein Kribbeln hindurch und mir eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper.

„Das war so nicht geplant“, fing er wieder an zu lachen. Er lehnte seine Stirn ungefragt gegen meine und das leuchtende Grün verschwand, als er amüsiert die Augen schloss und weiter lachte: „Könnte aber schlimmer sein. Ahehehehehehe!“

Alles was ich sagen könnte und wollte blieb in meiner Kehle stecken. Selbst das Atmen gelang mir nur schwer bis gar nicht. Ich hatte das Gefühl mein Gesicht verbrannte und ich könnte gleich einfach in dem Sarg liegen bleiben, weil mein Herz aus meiner Brust sprang und schreiend davon lief.

Es knarzte und Licht erreichte wieder meine Augen, als Undertaker mit einem Arm den Sargdeckel wieder öffnete und sich mit der anderen am Rand des Sarges hoch stützte. Er nahm zwar sein Gewicht von meinem Körper, stand aber nicht ganz auf. Sein langes Haar hing wie ein Vorhang aus vielen Silberfäden zwischen mir, der Welt und all meinen Problemen.

„Besser?“, fragte er dann vollkommen aus dem Kontext gerissen. Ich blinzelte und tatsächlich: In den letzten Minuten hatte ich gar nicht mehr über meine Probleme nachgedacht. Nicht einen Gedanken hatte ich daran verschwendet: „Öhm... ja.“

Ich musste sogar zugeben, dass es eine Menge Spaß gemacht hatte.

„Gut“, lächelte der Bestatter zufrieden: „Dann hat ja alles so funktioniert wie ich wollte.“

Dann machte er eine kleine Sprechpause und musterte mein Gesicht: „Was willst du jetzt tun?“

Ich wog den Kopf hin und her: „Ich werde die Kontaktanfrage ablehnen. Viele reden schlecht von Kinderheimen, aber meine Familie war sehr viel schlechter.“

„Willst du es erzählen?“

„Willst du es wirklich hören?“

„Warum nicht?“

„Naja... Es ist keine amüsante Geschichte.“

Undertaker lachte: „Hehehe. Die wenigsten Geschichten, die das Leben schreibt, sind wirklich lustig. Man muss für sein Pläsier meistens schon selber sorgen.“

Mein Blick wurde skeptisch. Irgendwie hatte ich nicht gedacht, dass der ewig lachende Leichengräber eine so ernste Auffassung von der Welt um sich herum hatte. Andererseits war er ziemlich gut darin selbst für Situationen zu sorgen, die ihn belustigen. Das habe ich mittlerweile herausgefunden. Ich war ja nicht selten Gegenstand seinem Amüsement, wenn ich ihn traf.

Ich seufzte: „Mein Vater ist ein Trinker“, fing ich an: „Ex-Soldat. Für ihn hat der Krieg nie aufgehört. Auch zu Hause nicht.“

„Ich habe ein ungutes Gefühl in welche Richtung diese Geschichte geht“, verschwand sein Grinsen urplötzlich.

„Wirklich?“, fragte ich zögerlich und ein wenig irritiert von dem ernsten Ausdruck auf den schmalen, aber geschwungenen Lippen.

Er nickte: „Du musst dem Kind keinen Namen geben. Ich habe verstanden. Deine Mutter hat nichts dagegen unternommen, schätze ich.“

Ich schüttelte den Kopf und schlug die Augen zur Seite: „Nein, hat sie nicht...“

„Wirklich keine amüsante Geschichte. Daran finde selbst ich nichts zu lachen.“

Ich zog annähernd überrascht beide Augenbrauen hoch. Irgendwie hatte ich das Gefühl es war schlecht, wenn Undertaker einem Umstand nichts zum Lachen abgewinnen konnte.

Doch dann zuckte ich mit den Schultern: „Es war auch nicht sonderlich amüsant.“

„Naja. Die Vergangenheit kann niemand ändern. Nicht einmal Gott wäre dazu in der Lage. Wenigstens bist du sie jetzt los und musst sie nie wieder sehen.“

„Ich hoffe...“

„Du willst nicht, also: Warum solltest du?“

Ich schaute ihm wieder ins Gesicht. Da er vornüberbeugt stand konnte ich seine Augen deutlich sehen. Die Augen, die im Dunkeln leuchten. Die Augen, die einem in die Seele schauten: „Naja... Wenn das Jugendamt entscheidet ich soll... dann muss ich...“

„Dann hör nicht auf sie“, sagte er mit einer gewissen Verständnislosigkeit: „Das Einzige was du MUSST, liebe Skyler, ist sterben.“

Ich war ein bisschen irritiert. Dieser Satz kam so dermaßen selbstverständlich, dass es sich wirklich so anhörte, als könnte es so einfach sein: „Naja... Das Jugendamt kann mir mit Sanktionen drohen...“

„Bringt dich irgendeine davon um?“

„Nein, aber...“

„Dann nichts aber.“

„So einfach ist das nicht!“

„Aha? Warum nicht?“

„Naja weil...“, mein Kopf ratterte: „Weil...“

„Weil?“, der Kopf des Bestatters kippte ein Stück zur Seite. Er sah so aus, als ob er mein Problem wirklich nicht verstand und gerade selbst nach einer Erklärung suchte, doch keine fand.

„Ich auf das Jugendamt angewiesen bin...“

„Und inwiefern?“

„Ich bin minderjährig. Sie sind für mich verantwortlich.“

„Das impliziert nicht im Mindesten, dass du auf sie hören musst.“

Ein bockiger Teenager hätte wahrscheinlich ähnliche Dinge gesagt, nur wirkte der Bestatter weder bockig, noch wie ein Teenager. Ich war eher geneigt zu glauben, dass er wirklich dachte was er sagte. Schon allein, weil er immer behauptete er lüge nie.

Ich wusste allerdings auch nicht so recht, was ich antworten sollte. War es nicht klar, dass man staatlichen Institutionen Folge leisten musste? Sonst kam man halt in Probleme.

Der Bestatter lachte, als er mein verwirrtes Gesicht musterte: „Ich halte nicht viel von der Queen und ihren Institutionen.“

Ich klimperte mit den Augen: „Wirklich?“

„Jup“, machte er leger: „Ich finde diesen ganzen bürokratischen Kram furchtbar unwichtig. Ich meine: Das ist doch der reine Wahnsinn! Und ich bin wahnsinnig. Ich weiß also wovon ich spreche. Hehehehe!“

Ja, diese Einstellung hat man bei dem kurzen Gespräch mit Ronald schon deutlich heraus gehört: „Aber... du hältst dich dran, oder? Ich meine, du zahlst doch Steuern und so weiter.“

Er lachte: „Hehehe! Gezwungenermaßen, ja.“

Ok gut. Ich kannte jetzt nicht viele, die am Ende des Monats auf die Lohnabrechnung schauten und meinten: 'Yey! Steuern!' Doch irgendwie schwang in diesem Satz noch etwas anderes mit. Ich konnte nur nicht mit dem Finger drauf zeigen.

Undertaker lachte: „Doch was genau du jetzt tun willst weiß ich immer noch nicht. Du willst ablehnen, klar, doch wie?“

„Wozu musst du das wissen?“

„Na, damit ich dir helfen kann.“

Ich konnte förmlich spüren wie ich meine Zunge verschluckte.

Undertaker giggelte: „Kam das jetzt wieder unerwartet?“

Ich nickte langsam. Dann seufzte ich: „Naja... Du kannst mir nicht wirklich helfen...“

„Man kann immer helfen. Es verlangt manchmal nur nach ein wenig gesteigerter Kreativität.“

Ohne Vorwarnung griff er eine dicke Strähne meiner Haare, die mir über die rechte Schulter gefallen war und begann sie zu flechten.

Ich schaute relativ irritiert auf seine Hände. Routiniert und geschickt hantierten die langen Finger mit den drei Haarsträhnen.

„Was machst du da?“, fragte ich irritiert.

Er lachte: „Das wird ein Zeichen.“

Meine Irritation wurde eher schlimmer anstatt besser: „Zeichen für was?“

„Für unsere Verbundenheit.“

Ich stockte: 'Verbundenheit?'

Erst konnte ich mir das nicht erklären. Dann sah ich die dünne, geflochtene Strähne in der rechten Seite von Undertakers dichter, langer Mähne. Sie war mir vorher nie aufgefallen. Ich schaute von der Strähne zurück in sein Gesicht. Er flechtete meine Haare an derselben Stelle. War das das Zeichen? Ein geflochtener Zopf an derselben Stelle? Es standen immer noch einige Fragen auf meinen Zügen, doch ich konnte sie weder erfassen, noch aussprechen. Ein weiteres Mal war ich total sprachlos.

Er lächelte mich an, als ihm ein leises Lachen entfloh und er mit einem Auge zwinkerte: „Damit du nicht vergisst, dass es jemanden gibt der dir helfen möchte, wenn du Hilfe brauchen würdest.“

Ich schaute ihn immer noch reichlich perplex an. Irgendwie war diese kleine Geste unglaublich überwältigend. Wahrscheinlich, weil sie so durch und durch ehrlich wirkte.

„Also“, begann er wieder: „Wenn ich dir helfen kann zögere nicht mir Bescheid zu geben.“

„Ähm“, machte ich stümperhaft: „Danke, aber... ich werde zu dem Termin gehen, sagen dass ich den Kontakt nicht wünsche und dann... werde ich beten. Was anderes kann ich nicht tun.“

„Beten? Aha?“, er lachte. Dieses Lachen wirkte so, als wüsste er ganz genau, dass ich nicht weiß worüber er sich amüsierte: „Wenn du denkst es hilft. Hihi.“

Ich seufzte. Dann musste ich auch lachen: „Wahrscheinlich nicht.“

„Wann hast du den Termin?“

„Am 08.10. um 14:30 Uhr...“

„Nun“, er lachte: „Viel Glück.“

Dann griff er kurz in seine Manteltasche und band mir ein Haargummi in den Zopf. Er ließ ihn durch seine langen Finger gleiten, bevor er mir auf die Schulter fiel: „Und wenn deine Eltern dein Nein nicht akzeptieren, dann bekommen sie halt ein Problem mit mir.“

„Inwiefern?“, fragte ich verwirrt.

„Mir fällt schon etwas ein. Hehehehe! Ich bin da kreativ.“

Das glaubte ich und der Gedanke, wie meine Eltern vor dem morbide lustigen Bestatter schreiend wegrannten, war wunderbar: „Klingt gut!“

„Wie alt bist du, Skyler?“, fragte er nach einem gefälligen Lachen.

Ich klimperte mit den Augen: „Öhm... 17, fast 18.“

Er lachte wieder kurz auf: „Mein Gott, so jung.“

„Wie alt bist denn du?“

„Äh“, kam es kurz aus seinem Mund. Dann kicherte er: „Hehehehe. Zu alt.“

„Wie alt?“

Ein breites Grinsen erschien endgültig auf seinem Gesicht: „Rate, hehe.“

„Öhm“, machte ich. Ich war nicht gut im Schätzen: „So... 32?“

Als ich es aussprach, fühlte es sich irgendwie komisch an. So im Vergleich war er sicherlich viel älter als ich. Irgendwie bedauerte ich es und wusste nicht warum.

„Pahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahaha!“, brüllte Undertaker auf einmal los. Er nahm eine Hand, um sich den Bauch zu halten. Von allen Lachanfällen, die ich von ihm schon erlebt hatte, war dies der heftigste. Hatte ich so weit daneben gelegen? Nicht, dass ich ihn viel zu alt geschätzt hatte!

„32!“, japste er: „Ich werd nicht mehr! Wahahahahahahahaha!“

Eins meiner Augen zuckte vor Unbehagen: „Bin ich... so weit daneben?“, fragte ich unsicher.

Sein Lachen erstarb. Eine Weile antwortete er nicht und musterte mich abwägend. Es wirkte, als müsste er sich die Antwort gut überlegen. Dann grinste er: „Das ist ein Geheimnis.“

'Geheimnis', wiederholte ich verwirrt in meinem Kopf: 'Warum sollte das ein Geheimnis sein?'

„Wann hast du Geburtstag?“

Ich blinzelte: „Warum?“

„Interesse.“

Ich zog provokant die Augen zu Schlitzen. Wenn er mir nicht alles erzählte, warum sollte ich?

„Das ist ein Geheimnis“, zahlte ich es ihm mit gleicher Münze heim.

Er giggelte: „Dann frag ich Amy.“

Mist! Wie unfair!: „Das ist nicht fair!“

Er lachte: „Ich sagte ich sei ehrlich, nicht ich sei fair. Hehehehehe! Also?“

Ich seufzte. Es nützte ja doch nichts. Er hatte mich ausgespielt: „31. Oktober...“

„Oh!“, machte er begeistert: „An Halloween! Wie entzückend! Dann wird es ja dieses Jahr auch noch eine Geburtstagsfeier!“

„Oh nein, nein, nein“, machte ich vehement: „Ich hab meinen Geburtstag noch nie gefeiert und ich fange sicherlich jetzt nicht damit an!“

Sein Grinsen drehte sich um: „Warum nicht?“

„Naja, weil...“, ich stockte. 'Weil er nie wichtig war', antwortete ich stumm in meinem Kopf.

„Was wünscht du dir?“, streckte er mir ein weiteres Mal seine Nase ins Gesicht. Die grünen Augen wirkten wieder so, als hätten sie meine stumme Antwort sehr wohl verstanden.

„Komfortzone!“, rief ich aus.

„Abgelehnt“, lachte der Bestatter einfach.

'Wie abgelehnt?!', mein Mund klappte wieder auf

Der Bestatter kicherte wieder amüsiert: „Also?“

„Also ich... weiß nicht, was ich darauf antworten soll...“

Ihm entfloh eine Mischung aus Seufzen und Lachen. Dieser Laut klang irgendwie immer komisch: „Ich habe hin und wieder das Gefühl wir würden nicht dieselbe Sprache sprechen.“

„Üff...“, machte ich beschämt. 'Ich bin ein Stück Toast...' : „Ähm doch schon...“

„Was war dann so unverständlich?“

„Ich... dachte einfach ich habe deutlich gemacht, dass mir mein Geburtstag nichts bedeutet. Folglich wünsche ich mir auch nichts.“

„Hehehe. Dann muss ich mir selber etwas einfallen lassen.“

Ich merkte wie mein Gesicht dunkel wurde: „Mach dir keine Umstände wegen mir...“

„Umstände? Ich finde Geburtstage herrlich! Mein zweitliebster Anlass zum Feiern!“

„Und was ist dein liebster Anlass?“

Er antwortete mir mit einem vielsagenden Grinsen. In meinem Kopf machte es Klick: „Oh nein, sag jetzt bitte nicht...“

„Doch“, antwortete der Bestatter auf meinen halben Satz: „Genau was du denkst.“

„Woher willst du wissen was ich denke?!“

„Skyler bitte. Ich bin sehschwach, nicht blind. Hehehehehe!“

„Geh aus meinem Kopf und mach die Hintertüre zu“, sagte ich beleidigt.

Lachanfall die Dritte: „Pahahahahahaha! Nö.“

„Wie nö?!“

„Ich finde es gemütlich da drin. Hehe.“

Mit einem Schmunzeln ging er von dem Sarg weg und leichten Fußes zu dem Tresen. Auch ich setzte mich auf und sah wie er sich Ronalds Lappen schnappte und ihn dann ziemlich achtlos auf die kleine Pfütze warf. Mit der Spitze seiner schnallenbesetzten Lackstiefel tippte er von unten gegen den, auf dem Boden liegenden, Plastikbecher und dieser hüpfte hoch. Nonchalant fing er ihn aus der Luft und trat auf den Lappen, um dann mit seinem Fuß die kleine Lache aufzuwischen. Die Einlage war nicht schlecht. Ungeschickt wirkte der Bestatter nun wirklich nicht. Ich tippte bei ihm wohnte 'Ich kann nicht' zu 99% auf der 'Ich will nicht'-Straße, oder auf dem 'Ich habe kein Lust'-Weg. Auch den nassen Lappen warf er mit seinem Fuß hoch, um ihn zu fangen.

Mein Kopf kippte zur Seite, als ich ihn beschaute.

Sein Kopf zuckte zu mir: „Ist irgendetwas?“

„Nein“, machte ich fast ertappt: „Ich... schau nur.“

„Interessant?“, grinste er, als er zu der versteckten Türe ging.

Mein Kopf folgte ihm, während ich aus dem Sarg kletterte.

Er öffnete die Tür, beugte sich hinein und ich hörte ein leises Scheppern. Wahrscheinlich hat er den Becher und den Lappen einfach ins Waschbecken geworfen.

Dann schloss er sie wieder und setzte sich mit verschränkten Armen auf seinen großen Tresen.

Ich schaute aus dem Fenster. Das Zucken der Blitze hatte aufgehört, aber es goss immer noch wie aus Kübeln. Ein nahes Ende war nicht in Sicht. Kleine Tropfen leisteten sich an der Fensterscheibe ein Wettrennen und ich folgte ihnen einige Momente mit meinen Augen. Irgendwie drehten sich meine Gedanken furchtbar schnell in meinem Kopf, um alles was gerade gesagt und getan worden war.

Ich drehte mich wieder um, als ich die Blicke des Bestatters in meinem Rücken spürte. Dann vibrierte etwas in meiner Brusttasche.

Mit einem entschuldigenden Lächeln zog ich mein Handy heraus und schaute was es von mir wollte:

- Amy [30.09.15 18:30] Hey! Wo bist du? -

Öhm: 'Mist! Was sag ich ihr denn jetzt?' Irgendwie konnte ich ihr nicht erzählen, dass es mich wieder zu dem Bestatter verschlagen hatte.

Ich hörte ein Lachen: „Gefällt dir nicht, was deine kleine Wunderkiste dir da zeigt?“

Ich schaute in an und zog wieder eine Augenbraue hoch: „Wunderkiste?“

Er kicherte wieder und hielt sich die Hand vor den Mund: „Ja. Ich kann den Dingern nichts abgewinnen.“

Das hört man selten: „Ok. Gut, ist ja nicht schlimm. Aber... mir wurde eine Telefonnummer angezeigt.“

Er wirkte verdutzt: „Hö?“

„Na“, machte ich zögerlich: „Im Internet...“

„Aha?“, er wirkte etwas verwundert. Dann schaute er nach links auf seinen Tresen: „Naja... ein Telefon hab ich...“

Ich folgte seinem Blick. Das Telefon war ein großer, weißer Kasten. Es war ein altes Model mit Schnur und großen, grauen Tasten.

„Das ist ja antik“, sagte ich ohne zu überlegen.

Er lachte: „Hahahaha! Man merkt du bist mit Amy befreundet.“

„Warum?“

„Sie sagt das auch immer“, dann grinste er mich wieder an: „Das erklärt aber alles nicht, warum du so komisch auf dein“, er kreiste mit dem Zeigefinger in der Luft: „Dingsda schaust.“

„Handy.“

„Was auch immer.“

Ich musste schmunzeln: „Amy hat mir geschrieben.“

„Aha?“

Ich wedelte mit einer Hand und lachte: „Vergiss es.“

„Lachst du mich aus?“, kicherte er.

„Öhm...“, ich kicherte mit: „Ich glaub ein bisschen schon...“

Daraufhin lachte er: „Hahahahaha! Dann ist gut!“

„Stört dich das denn gar nicht?“, fragte ich verwundert.

„Nicht im Geringsten“, er breitete die Arme aus: „Ich liebe es, wenn Leute lachen! Vor allem du.“

Ich hob meine Hand an den Mund, als ich merkte wie ich wieder rot wurde: „Wie... Wie meinst du das?“

„Du hast ein schönes Lachen“, er grinste: „Vorausgesetzt es ist ehrlich.“

„Wie...?“

„Ich hasse künstliches Lächeln und gespieltes Lachen. Du musst nicht so tun als wärst du glücklich, wenn du es einfach nicht bist.“

„Ich...“

„Mache es ständig“, grätschte er mir ins Wort, bevor ich aussprechen konnte und beendete meinen Satz für mich.

Mit einem Seufzen schaute ich noch mal auf mein Handy: 'Was antworte ich denn jetzt?'

- Sky [30.09.15 18:34] Hey! Ich bin spazieren... -

- Amy [30.09.15 18:34] Bei dem Wetter?! -

- Sky [30.09.15 18:34] Ja... -

- Amy [30.09.15 18:35] Du bist doch bescheuert. Sag mal? Wo ist eigentlich Undertakers Mantel hin? -

Ich schloss die Augen und legte die Hand darüber: 'Shit...'

Ein Surren in meiner anderen Hand. Ich schaute durch die Finger auf meinen Display:

- Amy [30.09.15 18:36] Ah! Verstehe! Viel Spaß euch beiden! Grüß schön von mir! -

'Shit...'

Ich hörte Undertaker wieder lachen.

Ich schaute ihn gespielt böse an.

Er legte die Finger an die Brust und breitete dann die Hände aus: „Hey! Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.“

„Das ist dein Spruch, oder?“

Er zeigte mit einem Zeigefinger auf mich: „Oh ja. Hehehe!“

Ich lachte und verstaute mein Handy wieder: „Schöne Grüße von Amy.“

„Oh wie reizend!“, grinste er: „Zurück, zurück.“

„Apropos zurück...“, ich schaute leidend aus dem Fenster und ließ die Schultern hängen: „Ich muss so langsam. Wenn ich wieder um Punkt 22 Uhr im Wohnheim bin, dreht Ms. Lowell mich durch den Reißwolf.“

Undertaker lachte: „Ich...“

Ich hob die Hand und unterbrach ihn: „Du fährst mich nicht schon wieder!“

„Gut“, schmunzelte er: „Dann laufen wir. Gegen einen Spaziergang im Regen mit einer schönen Frau hab ich nichts einzuwenden.“

Mein Kopf war LEER! Ich muss ihn angeschaut haben wie eine Kuh wenn es donnert und brachte kein anständiges Wort heraus. Minuten lang. Er fing an heiter zu giggeln.

„Wa Wi Wo Wa...“, überschlug sich meine Stimme wie meine gerade zurückgekehrten Gedanken.

Der Bestatter fing wieder an mich ungeniert auszulachen: „Puhuhuhuhuhuhu! Hat dir noch niemand gesagt wie schön du bist?“

Ich glaubte in dem Moment mein Gesicht explodierte, so heiß war es geworden. Ich brachte wieder nicht mehr als ein unbeholfenen Gestammel zustande und hatte spontan einen staubtrockenen Mund. Ich schaffte es mich zu räuspern: „Nein“, piepste ich.

Der Bestatter stand auf und legte den Kopf schief, als er heftig zu kichern anfing. Wieder rutschte sein Pony von einem seiner Augen: „Eine Schande. Naja, jetzt weißt du's.“

Er ging an mir vorbei und hob seinen Zylinder auf, der bei unserem Sargunfall herunter gefallen war. Dann setzte er ihn auf und ging zu dem Garderobenständer. Ohne große Eile zog er seinen wiedergewonnenen Mantel und sein Tuch über. Er hielt mir meinen Poncho hin.

„Du... musst nicht mitkommen! Wir müssen nicht Beide nass werden!“

Ein weiteres Schmunzeln, als er noch einmal nach dem Ständer griff. Von der zur Wand gewandten Seite zog er einen großen, schwarzen Regenschirm heraus. Er wackelte damit bedeutungsschwer und grinste, als er seinen Arm noch ein Stück weiter zu mir streckte.

Ich schaute ein Stück leidender: „Du musst wirklich ni... Au! Spinnst du?!“

Der Bestatter hatte mir leicht mit dem Regenschirm auf den Kopf gehauen, als ich ihm Widerworte geben wollte.

Ich nahm den Poncho mit einem missbilligend Blick: „Das war nicht nötig“, wickelte ich mich darin ein.

Er lachte: „Wenn ich jedes mal 1 £ bekommen würde, wenn du mir widersprichst, wäre ich Millionär.“

Ich zog meine Augen ein Stück enger: „So schlimm ist es auch nicht...“

Ich streckte ihm meine Hand hin und winkte mit den Fingern. Nach einem kurzen Moment verstand er und legte mir meine drei Spangen in die Hand, die er mir aus den Haaren gezogen hatte. Routiniert drehte ich meine obersten Haare in einen Dutt und steckte ihn fest. Prompt fiel mir mein langer Pony wieder heraus und ich seufzte.

Mit einem weiteren Lachen stieß Undertaker die Türe auf und hielt mir seinen Ellbogen hin, nachdem er mit einem Knopfdruck den Schirm aufsprangen ließ. Ich schaute reichlich unintelligent auf die Geste, als ich zu ihm zur Türe ging.

Er schüttelte lachend mit dem Kopf, schnappte sich einen meiner Arme und klemmte ihn unter seinen. Dann ließ er meine Hand wieder los. Mit einem Gesichtsausdruck, der immer noch weit entfernt von geistreich lag, ließ ich es geschehen und schaute zur Seite, um die erneut emporgestiegene Röte zu verstecken. Wir verließen den Laden, hielten noch einmal kurz inne und ich hörte das Klimpern eines Schlüsselbundes. Der Totengräber schloss seine Türe ab ohne mich loszulassen. Dann bahnte er sich routiniert seinen Weg durch die kleinen Gassen und zog mich mit. Der Regen prasselte schwer gegen den Stoff des Regenschirms und meine Gesichtsfarbe beruhigte sich irgendwann wieder ein Stück.

Unwillkürlich fiel mir etwas Merkwürdiges auf: Als wir durch die schmalen Straßen schlenderten, standen immer noch die dubiosen Grüppchen in den dunklen Ecke der Gassen herum. Allerdings duckten sie sich in den Schatten sobald der Bestatter und ich sie passierten. Sie wirkten dabei irgendwo zwischen ehrfürchtig und verängstigt. Mir fiel wieder die Situation ein, in der ich vor dem Laden angekommen war: Die Schritte hinter mir, die sich prompt umgedreht hatten, als ich in die Gasse des Totengräbers eingeschlagen war. Hatten meine Verfolger vielleicht doch wegen dem bizarren Leichenbestatter von mir abgelassen? Mieden sie die Gasse in der sich sein Laden befand aus irgendwelchen Gründen? Wegen ihm? Hier in dem kleinen Komplex aus Nischen und Sackgassen war er sicher bekannt wie ein bunter Hund.

Ich hörte neben mir ein Lachen: „Sie sollten dich ab jetzt in Ruhe lassen.“

Ich drehte irritiert den Kopf zu ihm. Sein Grinsen stand wie gewohnt in seinem Gesicht, doch er schaute auf die Straße vor uns und nicht zu mir: „Okay... Warum?“

Er lachte: „Ich hab meinen Ruf.“

„Kein guter wie es scheint.“

Undertaker lachte lauter: „Das kommt drauf an wen man fragt“, er schaute mir belustigt ins Gesicht: „Das sind hier ja alles 'ganz harte Kerle'. Es gibt Dinge, die würden die nie zugeben. Ahehehehehe! Trottel!“

Ich musste in sein Lachen einsteigen. Dann verlief sich die Konversation zu Gott und die Welt. Es war lustig! Wir plauderten und lachten, hatten Spaß und eine gute Zeit. Ich fand Gefallen an dieser ungezwungenen Art von Konversation.

Er brachte mich durch das Tor des Campus. Wir wurden nicht aufgehalten. Dann hielten wir vor der Tür meines Wohnheimes. Dort entließ er meinen Arm. Ich lächelte schüchtern zur Seite: „Ähm... Danke. Für... alles.“

Er nahm meine Wange in die Hand und drehte meinen Kopf zu seinem lächelnden Gesicht: „Nicht dafür.“

Sein Daumen strich mir über die Wange und ein Hauch rosa flog mir wieder auf meine Züge: „Doch... Das ist nicht selbstverständlich...“

Er lachte: „Mach es gut. Halt die Öhrchen steif und fühle dich frei zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir vorbei zu schauen.“

Ich schloss die Augen, als sich meine Mundwinkel hochzogen: „Mach ich!“

Dann verschwand die Hand von meinem Gesicht: „Bis dann“, wandte er sich ab.

„Tschau“, warf ich zurück. Dann ging ich ins Wohnheim.

Ich verbrachte meinen Abend wie gewohnt mit Amy. Sie berichtete von ihrem Tag und schien eine Menge Spaß gehabt zu haben. Dann wollte sie wissen wie meiner war. Ich erzählte ihr, dass ich bei Undertaker Ronald getroffen hatte, wir nur geredet und eine Menge gelacht hätten. Sie schien keinen Verdacht zu schöpfen, dass ich ihr mehr als die Hälfte verschwieg.

Nach dem Duschen ging ich zu Bett. Ich lag lange wach und meine Gedanken klebten unnachgiebig an dem seltsamen Mann. Das Kribbeln in meinem Bauch machte mich fast verrückt. Mir war dieses Gefühl einfach unerklärlich. Ich kannte es nicht. Irgendwann schlief ich ein und träumte von einem großen Mann mit silbernen Haaren.
 

Ich quälte mich so durch meinen Schulalltag. Es funktionierte, aber nicht gut. Ich war unkonzentriert. Schweifte immer wieder mit den Gedanken ab. Zu dem Termin am 08.10… Zu dem großen Mann mit den silbernen Haaren und der langen Narbe im Gesicht. Irgendetwas an ihm fesselte mich. Ich wusste nicht was und ich wusste nicht wie. Ich erkannte es auch nicht. Eine morbide Mischung aus Angst und Verwirrung krempelte mir den Magen um. Essen funktionierte nicht.

Irgendwann musste ich Amy beichten was in dem Brief gestanden hatte. Sie war außer sich gewesen. Hatte geschimpft und gewütet. Doch auch der Ärger der jüngsten Phantomhive konnte an der Tatsache nichts ändern.
 

Um pünktlich in dem Büro meiner Sozialarbeiterin zu sein musste ich den Unterricht früher verlassen. Das regnerische London hatte mir heute noch keine sintflutartigen Regenfälle entgegen geschickt, doch hingen die Wolken immer noch unheimlich dunkel und tief am Himmel, während der scharfe Herbstwind um alle Häuserecken der belebten Großstadt pfiff. Mit dem Bus begab ich mich in Richtung des Jugendamtsgebäudes. Während der Fahrt spielte ich die ganze Zeit nervös mit der geflochtenen Haarsträhne. Seit ich den Bestatter das letzte Mal besucht hatte, hatte ich sie immer wider an derselben Stelle zusammen gelegt. Das Jugendamt lag mitten in der 'City of Westminster', wie alle großen staatlichen Institutionen.

Ich war um 14:20 Uhr an Hemsworths Büro angekommen und trotzdem ließ sie mich eine halbe Stunde warten. Die wahrscheinlich schlimmste halbe Stunde meines jungen Lebens. Was sie machte interessierte mich nicht. Ich rieb meine schwitzigen Hände an meinem Rock trocken, als ich das Gefühl hatte mein leerer Magen koche gleich über. Ich war in meinem Leben selten so unruhig gewesen. Eine derartige Angst vor dem Ausgang dieses Gespräches surrte in mir auf und nieder, dass ich mir sicher war ich würde in Ohnmacht fallen, wenn die gute Ms. Hemsworth nicht bald die Forte zu ihrem Büro öffnen würde.

Am Rande der Verzweiflung und die Handflächen schon wund vom vielen Reiben gegen den Stoff meiner Uniform, tat sich schließlich etwas.

Als sich die Türe öffnete wusste ich nicht, ob mich das Geräusch erleichterte oder noch um Welten mehr ängstigte.

Ms. Hemsworth lächelte mich schmal an: „Skyler. Komm doch rein.“

Ich stand mit zittrigen Knien auf: „Hallo Ms. Hemsworth...“

Ich folgte der drahtigen Frau Mitte 50, mit dem strengen, dunkelbraunen Dutt und der furchtbar schmalen Brille. In ihrem dunkelblauen Kostüm wirkte sie wie aus einem schlechten Film der 90er. Sie setzte sich an ihren penibel aufgeräumten Schreibtisch und ich mich auf den Stuhl gegenüber. Ich hasste diese Frau. Eine Theoretikerin gefangen im Evangelium der Vorschriften, flexibel wie eine Baseballschläger und ungefähr genauso sympathisch.

„Nun Skyler? Wie ist deine Schule?“, fragte sie und schlug meine Akte auf. Ihr Unterton war missbilligend und nicht ansatzweise interessiert. Es war übrigens das erste Mal in den 4 Jahren, dass sie danach fragte: „Eine sehr teure Einrichtung. Sicher stellen sie hohe Ansprüche an dich.“

Ich lächelte dünn: „...Sie ist wunderbar Ms. Hemsworth“, begann ich unsicher und versuchte meine Schultern zu straffen: „Ich bin der Fag des Purple Prefect und somit die 2 höchste Schülerin meines Hauses. Die Ansprüche sind hoch, ja, aber mein Zeugnis spricht für sich.“

Sie musterte mich streng und schob seufzend ihre Brille hoch: „Ja, es ist ganz passabel. Ich kann mir trotzdem vorstellen, dass ein Mädchen wie du untergehst.“

Mich traf der Schlag. Hörte sie mir überhaupt zu? Glaubte sie mir nicht, was ich sagte? Ich hatte das ungute Gefühl, dass für sie schon feststand wie es mit mir weiter ging und dass mir das nicht gefallen würde. Nervös spielte ich wieder an dem Zopf herum.

„Das ist einfach nicht deine Welt, Skyler.“

„Untergehen? Passabel? Ms. Hemsworth... ich... ich bin eine 1er Schülerin! Die Fünftbeste des ganzen Jahrgangs! Ich... ich gehe nicht unter. Ich habe Freunde und bin eine Respektsperson.“

„Du musst es nicht ausschmücken, Skyler.“

„Ich schmücke nichts aus!“, rief ich verzweifelt, als das Brennen in meinem Magen stärker wurde und er sich schmerzhaft um sich selbst krampfte. Das kann doch nicht wahr sein! Immer rastloser drehte meine Hand den kleinen Zopf: „Und darum geht es heute auch gar nicht... oder?“

„Es ist mir noch schleierhafter wie ein Kind wie du sich in dem Sozialgefüge so einer Schule behaupten will. Noten sind nicht alles. Doch nun, es stimmt. Es ist heute nicht Thema. Deine Eltern, Sky...“

Wenn die Olle keine Lust mehr auf ihren Job hat, warum kündigt sie nicht einfach?

„Ich... lehne ab!“, unterbrach ich sie und versuchte bestimmt zu klingen. Das gefiel mir hier alles ganz und gar nicht. Mein Magen stimmte mir schmerzhaft zu und ich rieb mir den Bauch.

Missbilligung stand in Hemsworths Gesicht: „Bitte? Dein Vater ist trocken. Resozialisiert. Sie wollen dich wiedersehen. Ich hab schon mit ihnen gesprochen. Es ist alles vorbereitet.“

Von mir aus können meine Eltern wollen was sie möchten und mein Vater könnte so trocken sein wie eine Pfütze in der Wüste!

„Ich wünsche keinen Umgang, Ms. Hemsworth. Bitte versuchen sie doch zu verstehen, ich...“

„Das halte ich nicht für vernünftig“, unterbrach sie mich.

„Ms. Hemsworth. Ich werde in 23 Tagen 18. Ich kann das für mich selbst entscheiden.“

„Ich bezweifele, dass du weit genug bist um selbständig zu sein.“

„Bitte?“, meine Hände fingen an zu zittern und ich ballte sie nervös zu Fäusten um es zu unterdrücken, während ich sie gegen meine Oberschenkel presste: „Wie... Wieso?“

„Die Rückführung in die Familie ist das höchste Ziel des Jugendamtes, Sky. Nur, weil du bald 18 bist, heißt das nicht, dass du auf eigenen Beinen stehen kannst.“

Ich zog die Augen ein Stück zusammen. Da lang läuft der Hase. Ich dürfte in der Wohngruppe bleiben, bis ich eine Ausbildung oder einen Studienplatz hatte. Sie wollte nicht, dass ich noch ein Jahr untergebracht werde und weitere Steuergelder in Anspruch nehme. Also wollte sie mich in mein Höllenloch von Familie stecken um Kosten zu sparen. Nervös fingen meine Beine an zu wippen: „Ms. Hemsworth, ich...“

„Vielleicht solltest du noch eine Nacht darüber schlafen. Es hat sich wirklich viel getan.“

Ich schaute ihr in ihre strengen, braunen Augen: „Ich wünsche keinen Kontakt zu meinen Erzeugern.“

„Triff dich wenigstens mit ihnen. Komm. Wir machen einen Termin für den begleiteten Erstkontakt.“

„Nein!“, wehrte ich mich vehement: „Machen sie den Termin von mir aus mit sich selbst. Ich werde nicht da sein!“, Panik mischte sich mit Wut und mir stieg die Magensäure in die Kehle.

„Skyler, benimm dich!“

„Ich benehme mich, aber sie hören mir nicht zu!“

„Du bist bei dem Treffen nicht alleine. Ich werde dich begleiten.“

„Ui“, entfloh es mir sarkastischer als ich wollte: „Toll. Und beim zweiten? Und dritten? Sind sie da auch dabei?“

Hemsworth seufzte: „Ich gebe mir hier viel Mühe mit dir, Skyler. Lerne das zu schätzen. Wenn der Erstkontakt gut verläuft, ist eine weitere Begleitung nicht nötig. Wenn wir früh genug anfangen, kannst du nach dem College gleich wieder nach Hause ziehen. Viele Kinder würden sich so etwas wünschen.“

'Viele Kinder hatten auch keinen prügelnden Vater.'

„Wenn es also daran liegt, dass du zu nervös bist, können wir das ignorieren. Es wird sich erübrigen.“

Ich beugte mich vor: „Ich bin nervös, ja. Weil ich den Mann wiedertreffen soll, der mich zig Male ins Krankenhaus gebracht hat. Ich war ein kleines Kind damals.“

„Doch nun bist du eine junge Erwachsene.“

„Auf einmal?“

„Skyler, bitte. Lass uns jetzt endlich diesen Termin ausmachen.“

Ich schlang die Arme um meinen harten Bauch: „Nein... Keine Termine... Bitte... Ich will sie nicht treffen und nichts mehr von ihnen hören.“

„Skyler, jetzt stell dich nicht so an. Sie haben sich toll gemacht, du wirst begeistert sein.“

„Nein...“

„Skyler, jeder verdient eine zweite Chance.“

„Nein...“

„Jetzt hör mir zu. Ich habe dir eine Menge über deine Eltern zu erzählen. Sie sind wirklich zwei nette Menschen.“

Mein Zittern wurde stärker als die Erkenntnis wuchs, dass ich keine Chance hatte: „Sie waren nie nett zu mir...“

Warum hatte ich die Sozialarbeiterin, die keine Lust mehr auf ihren Job hatte und versuchte ihre Klienten auf biegen und brechen vom Tisch zu bekommen? Gott, warum ich?! Ich hatte doch wirklich nichts und niemandem etwas getan!

Mit bleichem Gesicht lauschte ich dem Loblied, das die frustrierte Sozialarbeiterin von meinen Eltern sang. Es sei ja alles jetzt ganz toll, meine Eltern lebten in vollkommener Harmonie und mein Vater sei wie ausgewechselt. Entzug, Therapie, bla, bla, bla. Ich glaubte ihr kein Wort. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich war mir noch nicht einmal klar, ob wir von denselben Menschen sprachen. Hemsworth wollte mich los werden und sah nun ihre Gelegenheit. Fast eine Stunde redete sie unaufhörlich auf mich ein und brachte mich meiner innerlichen Zerreißgrenze gefährlich nah. Ich wurde auf meinem Stuhl immer kleiner. Eine Hand wanderte nach oben und spielte wieder nervös an dem Zopf herum.

„Ich würde den 24.10. für den Erstkontakt vorschlagen. Ist das in Ordnung, Skyler? Dann hast du einen ganzen Tag Zeit sie neu kennen zu lernen. Umentscheiden kannst du dich dann immer noch.“

„Ich möchte nicht, Ms. Hemsworth...“, sagte ich kleinlaut und zog meine Arme enger um mich.

„Ich finde das ist ein guter Kompromiss.“

„Aber...“

„Wie wäre es mit 11 Uhr hier?“

„Ms. Hemsworth, ich...“

„Wo es uns dann hin verschlägt sehen wir dann.“

„Aber...“

„Sei ein gutes Kind Skyler und sag endlich ja.“

Ich schaute sie flehend an. Sie hob nur fragend und angehend genervt eine Hand. Ich hielt das nicht mehr aus! Ich wollte hier raus! Also nickte ich. Ich kam nicht drum herum. Sie würde solange auf mich einreden bis ich ja sagte. Ihr Job war der Frau nicht wichtig. Ich war der Frau nicht wichtig. Ihre positiven Bilanzen, die waren ihr wichtig und ich sollte sie nun noch besser machen. Außerdem war jedes Kind, was die Maßnahmen verließ, offiziell nicht mehr ihr Problem.

Sie drückte mir einen Zettel mit dem Termin in die Hand: „Ich freue mich über deine Vernunft. Vielleicht tut dir die Schule doch gut.“

'Ich hoffe, du brennst in der Hölle! Langsam! Über kleiner Flamme!' surrte es durch meinen Kopf.

Nach einer gemurmelten Verabschiedung verließ ich das Gebäude zügigen Schrittes. Dumme Schnalle! Auch das Nein eines Heimkindes ist ein Nein! Von mir aus könnte die 'Rückführung in die Familie' das hochgesteckteste Ziel des Jugendamtes sein, persönlich an sie weitergegeben vom fliegenden Spagettiemonster! Doch nun war alles zu spät. Ich wickelte mich in meinen Poncho während ich zwei Stufen gleichzeitig nahm und die Treppen hinunter rauschte. Tränen standen mir in den Augen. Es war alles schief gelaufen! Ich hatte mich weich kochen lassen. Nicht einmal für mich selbst sprechen konnte ich überzeugend! Ich seufzte und wollte meine Tränen, entsprungen endloser Wut, Ärger und Verzweiflung aus den Augen wischen, als ich viel zu hastig die großen Steintreppen vor dem Gebäude des Jugendamtes hinunter ging. Doofe Idee. Ich rutschte ab und fiel nach vorne. Der Zettel flog aus meiner Hand.

Als ich mich schon darauf gefasst machte mir an der nächsten Stufe ein paar Zähne auszuschlagen und so meinen Tag endgültig abzurunden, stoppte mich etwas Weiches. Zwei Arme hielten mich fest.

„Du bist teilweise wirklich selbst dein größter Feind, kann das sein? Hehe.“

Ich kannte die Stimme! Hastig buddelte ich mein Gesicht aus dem Stoff, in dem es gelandet war: „Undertaker?!“

Mir schien ein wohl bekanntes breites Grinsen entgegen: „Live und in Farbe, hehe.“

Dann wandte er den verhangenen Blick nach oben und streckte die Hand nach dem Zettel aus, der gemütlich zu Boden schweben wollte. Er hielt ihn nah an sein Gesicht. Ich konnte mir vorstellen, dass er gerade die Augen zusammenkniff um ihn entziffern zu können. Danach schaute er mich an: „'Termin für begleiteten Erstkontakt'?“, sein Grinsen verschwand: „Sag mir nicht du hast dich...“

Ich unterbrach den Bestatter. indem ich mich reichlich forsch aus seinem Arm befreite und ihm den Zettel aus der Hand riss. Ich schlang meine Arme um mich selbst und drehte mich halb weg.

„Das geht dich nichts an!“, rief ich wütend und starrte auf den Boden.

„Das stimmt“, hörte ich ihn neben mir sagen: „Aber ich habe dir etwas versprochen.“

Mein Kopf flog herum. Ich starrte ihm ungläubig ins Gesicht. Er sagte so etwas, obwohl ich ihn vollkommen ungerechtfertigt angekeift hatte? Warum? Ich hatte damit gerechnet, dass er sich einfach umdrehte und ging.

„Was...“, begann ich überfordert: „Tust du hier überhaupt?“

„Ist das nicht offensichtlich?“, fragte er. Er lachte nicht. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte: „Ich habe mit so einem Ausgang leider gerechnet.“

„... Und?“, fragte ich zögerlich, als ich die Intension in diesen Worten nicht glauben konnte.

Er seufzte: „Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du ganz alleine durch die große Stadt tigerst. In diesem Zustand.“

Mein Arme fielen schlaff zur Seite und ich ließ den Kopf hängen: „Ich bin ein totaler Versager, Undertaker... Ich... Sie hat die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ich wollte... nur noch da raus. Ich war vollkommen unfähig... irgendwas dagegen zu tun...“

Eine kühle Hand hob meinen Kopf am Kinn an. Ein scharfer Wind fegte über den kleinen Platz hinweg und wehte den Pony des Totengräbers zur Seite. In den kristallklaren Augen stand eine tiefe Sorge: „Lass uns ein Stück gehen. Du stehst ja vollends neben dir.“

Ich nickte müde und schlug die Augen nieder.

„Hey“, machte seine dunkle Stimme mitfühlend: „Schau mich an.“

Langsam wanderte mein Blick wider in sein Gesicht. Der Wind hatte aufgehört, aber sein Pony war nicht ganz zurück gefallen. Sanft lächelte mir der schmale Mund und ein Auge entgegen: „Wir finden einen Weg, ok?“

Ich nickte ein weiteres Mal. Dann harkte der Bestatter meinen Arm unter seinen, so wie er es beim letzten Mal auch getan hatte. Nur ließ er diesmal meine Hand nicht wieder los. Seine langen Finger waren fest mit meinen verschränkt und gaben mir ungeahnt das plötzliche Gefühl einer gewissen Sicherheit, als er langsam los ging. Seine Hände waren kräftig wie der ganze Mann, obwohl man es ihm wirklich nicht ansah.

Wir gingen einige Zeit schweigend durch die Straßen der Stadt. Es war geschäftig, auch wenn der Himmel mit Regen drohte. Der kühle Wind beruhigte meine flattrigen Nerven ein wenig, doch die furchtbare Unruhe in mir wurde nicht wirklich besser. Es dauerte nicht lange und wir schlugen den Weg in einen großen Park ein. Ich kannte ihn. Es war der 'St. James Park'. Ein großer Park, in dessen Mitte der 'St. James Park Lake' lag. Hier war es weit weniger trubelig, wahrscheinlich wegen dem schlechten Wetter und den kühlen Temperaturen. Der Lärm der Straße wehte aus der Ferne zu uns herüber, als der Bestatter mich gemütlich über die laubbedeckten Wege führte.

Irgendwann schaute er mich an: „Du siehst immer noch nicht besser aus.“

Ich schaute ihn kurz an und dann wieder auf meine Füße: „Es geht schon...“

Ich hörte ein bedeutungsschweres Räuspern.

„Ok...“, gab ich mich geschlagen: „Es geht nicht...“

Ich hörte ein Lachen und schaute ihn böse an: „Worüber lachst du?“

Er drehte den Kopf zu mir: „Du lässt dich ziemlich schnell hängen, hm? Plan A ist zwar fehlgeschlagen, aber es gibt noch 25 weitere Buchstaben im Alphabet.“

Ich seufzte: „Ich habe so das Gefühl ich brächte mehr als 25...“

Er kicherte wieder: „Naja, es gibt ja noch 3 Umlaute, das Eszett, sowie ein paar Di-, Tri- und Tetragraphen.“

Dieser Satz klang halb wie ein Scherz und auf der anderen Hälfte sehr, sehr ernst.

Irgendwie entlockte es mir ein halbes Kichern: „Das Eszett gibt es nur im Deutschen!“

„Hihihi, wer sagt, dass wir uns auf das englische Alphabet beschränken müssen?“, er streckte einen Finger in die Luft: „Es gibt noch 23 weitere, die mir gerade einfallen + Hieroglyphen! Die Auswahl ist endlos!“, er tippte mir mit dem Finger auf die Nasenspitze: „Genau wie deine Möglichkeiten.“

Ich schaute ihn an und hatte definitiv nicht das Gefühl endlos viele Optionen zu haben: „Welche hab ich denn? Wenn ich den Termin nicht wahrnehme, komm ich in Teufelsküche.“

Undertaker kicherte etwas lauter: „Hehe! Da war ich schon öfter. Ist gar nicht so übel.“

Ich zog eine Augenbraue hoch: „Was bringt dich denn in Teufelsküche?“

Der Bestatter hatte eine derart sorgenfreie Art an sich, dass ich mir nicht sicher war ob er es mitbekam wenn er sich Sorgen machen sollte.

„Naja“, grinste er: „Das.“

Dann nahm er seinen Finger und wackelte wieder giggelnd an meiner Augenbraue.

Ich patschte wieder gegen seine Hand: „Hey! Hör auf mich zu veräppeln!“

Ich knuffte ihn in die Seite. Zu meiner Verwunderung zuckte Undertaker komisch zusammen und hüpfte quiekend einen Schritt zur Seite. Da ich immer noch bei ihm eingeharkt war, stolperte ich hinterher. Dann schaute ich ihn mit schief gelegtem Kopf an: „Warum...“, dann fiel der Groschen: „Du bist kitzelig!“

Der Totengräber wirkte irgendwie ertappt. Dann nickte er grinsend: „Ähm, ja.“

Ich zog die Augen unheilverkündend zu Schlitzen: „Seeeehr kitzelig?“

Er wirkte so, als ob er gerade gerne lügen würde: „Äh... ja“, antwortete er dann aber doch ehrlich.

Ein breites, fieses Grinsen erschien in meinem Gesicht, als ich einen Weg mich zu rächen gefunden hatte: „Gut zu wissen.“

„Hmhm“, machte er zustimmend durch die geschlossenen Lippen und wandte das Gesicht wieder nach vorne, wohl erkennend was diese Worte für ihn zu bedeuten hatten: „Das glaube ich dir.“

„Aber“, ich grinste weiter: „Das ist doch toll! Du lachst doch so gerne!“

Nur seine Augen wanderten wieder zu mir: „So kann man es auch sehen. Hehe.“

„Weißt du“, ich hob einen Finger: „Ich sehe das positiv!“

Ich sah durch die kleine Lücke in seinem Pony, dass seine Augenbraue nach oben wanderte: „Inwiefern?“

„Immer wenn du mich ärgerst mach ich einfach das!“, nahm ich meinen Finger und piekste ihn in seine Seite.

Er hüpfte und quiekte schon wieder.

„Das funktioniert ja wirklich!“, hüpfte ich wieder meinem Arm, der an dem Bestatter hing, hinterher.

Er kicherte: „Hehe! Lass das!“

„Abgelehnt!“, ich piekste noch einmal zu.

Dieses Quieken klingt so was von schräg: „Nicht!“

Ich konnte nicht aufhören. Es war so unheimlich lustig wie hoch der Totengräber quietschen konnte! Mickey Maus wäre blass vor Neid!

Ich zog meinen Arm unter seinem weg, um ihn beidhändig besser foltern zu können.

Zum ersten Mal klang Undertakers Lachen ansatzweise gequält. Ich allerdings hatte eine gewisse Freude daran, wie der Bestatter versuchte sich weg zu drehen und meinen Händen zu entkommen. Ich drehte mich immer mit und kitzelte ihn weiter. Rache ist süß!

„Nein, pahahahahaha! Bitte, hahahahahaha! Lass das, wahahahahaha!“

„Oh nein, nein, nein, nein! Ich darf mich noch rächen für die Aktion im Sarg, dem Erschrecken an der Tür, die Sache mit der Augenbraue und die Kopfnuss!“

„Die Kopfnuss war ein Unfall! Hahahahahaha!“

„Und der Rest?“

„Der nicht! Ich bin geständig! Fuhuhuhuhuhu! Aufhören! Bitte!“, rief der Totengräber atemlos.

„Leide!“

„Icks!“

Ich schlang mir die Arme um den Bauch, als ich mich nach vorne krümmte und laut zu lachen anfing.

Undertaker hing auf einem kleinen Zaun und atmete schwer.

Diesmal war ich es, auf die man warten musste bis der Lachanfall abgeebbt war. Doch immer, wenn ich auf den keuchenden Bestatter schaute, musste ich wieder anfangen los zu lachen.

Irgendwann hörte ich auch Undertaker wieder lachen.

Er kam die drei Schritte auf mich zu und schaute mich grinsend an: „Du bist wie ein fieser, kleiner Kobold. Ahehehehehe!“

Ich zeigte mit dem Finger auf ihn: „Du hahahahahaha! Dieses Quieken! Hahahaha!“

Ich rieb mir die Tränen aus den Augen: „Wie kann man nur solche Laute machen?“

Er lachte: „Ahehehehehe! Indem man zu Tode gequält wird! Sind wir quitt?“

Ich legte die Hand an mein Kinn und schaute gespielt überlegend nach oben: „Ich weiß noch nicht.“

Das Grinsen des Bestatters kippte ein Stück zur Seite.

Ich musste wieder lachen: „Haha! Ok, ok. Sind wir.“

„Puh“, machte er.

„Aber!“, ich zeigte mit dem Finger auf ihn: „Wenn du mich das nächste Mal erschreckst, gibst du mir damit die offizielle Berechtigung dich auszukitzeln!“

Er seufzte gespielt und verschränkte die Arme: „Du stürzt mich damit in eine Seienskrise, das weißt du oder? Hehe!“

Ich breitete ein Stück die Hände aus: „Nicht mein Problem.“

Er legte amüsiert den Kopf schief: „Ein kleiner, fieser, sadistischer Kobold.“

„Ich bin kein Kobold!“

„Du erinnerst mich aber an einen.“

„Bitte?!“, machte ich empört: „Ich bin doch kein kleines, grünes, haariges Männchen mit riesigen Ohren und Lendenschurz!“

„Hehehehe, nein bist du nicht“, kicherte der Bestatter und nahm dabei eine Hand vor den Mund: „Aber ein schadenfrohes, sadistisches, hübsches, junges Ding.“

Ich blinzelte irritiert, als der Totengräber mich gleichzeitig beleidigte und mir ein Kompliment machte.

Er lachte lauter: „Aber wenn es dir jetzt besser geht hat sich mein Leiden ja gelohnt.“

Ich lächelte leicht beschämt als ich mir bewusst wurde, dass der Bestatter mich wieder erfolgreich von meinen schlechten Gedanken abgelenkt hatte und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

Der Leichengräber ging gewohnt leichtfüßig weiter. Ich machte mich eilig daran zu ihm aufzuschließen.

„Eine Frage habe ich“, sagte Undertaker nach einer Weile.

Ich schaute ihm verwirrt an: „Welche?“

„Was nun?“, sein Kopf drehte sich zu mir: „Was ist dein Plan B?“

„Ich...“, ein Seufzen, als ich meine Arme um mich selbst schlang: „Ich hab keinen...“

„Nun ja. 16 Tage hast du noch um dir etwas zu überlegen.“

Ein unwillkürliches Zittern fuhr bei dem Gedanken durch meine Glieder: „Ich... Ich weiß einfach nicht...“

Eine Hand legte sich um meine Schultern. Dann zog Undertaker mich zu sich: „Du musst jetzt deinen klaren Kopf behalten und nachdenken.“

Leichter gesagt als getan. Diese Geste verursachte in meinem Kopf Purzelbäume. Der Geruch von Zucker, Gras und Zedernholz machte es nur noch schlimmer.

„Was würde dich davor bewahren?“, fragte er ruhig.

Ich seufzte, wehrte mich aber ein weiteres Mal nicht gegen die gesteigerte körperliche Nähe. Warum? Keine Ahnung.

„Naja... Am Einfachsten wäre es, wenn meine Eltern einfach nicht auftauchen würden. Das würde sie unglaubwürdig machen und sie würden dem Amt gegenüber in Ungnade fallen.“

Der Bestatter blieb eine zeitlang stumm und schlenderte mit mir einige Runden durch den Park.

„Woran denkst du?“, fragte ich irgendwann.

Der Totengräber giggelte: „Ob mir eine Lösung einfällt, jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist. Hehe.“

„Zerbreche dir nicht den Kopf darüber“, seufzte ich: „Es ist nicht dein Problem.“

Er lachte: „Zerbreche du dir nicht den Kopf darüber, worüber ich mir den Kopf zerbreche, hehehe.“

Ich musste den Satz in meinem Kopf kurz sortieren: „Wenn du meinst... Naja, ich muss mir jetzt was Fixes einfallen lassen.“

„Hehe. Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.“

„Das ist leichter gesagt, als getan...“

„Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky.“

Ich seufzte. Jetzt, wo wir so ruhig durch den Park wanderten, ergriff mich eine fürchterliche Müdigkeit. Sie zog schwer in meine Glieder und in meinen Kopf: „Ich glaube heute kriege ich keinen anständigen Gedanken mehr zustande... Ich bin müde...“

„Das glaube ich dir sofort.“

Ich schaute dem Bestatter ins Gesicht. Er grinste zurück: „Ich glaube, ich habe eine Idee.“

Ich machte große Augen: „Welche?“

Er lachte laut auf: „Das ist eine Überraschung!“

„Aha?“, machte ich: „Ich hab irgendwie die Schnauze voll von Überraschungen...“

„Wie tragisch“, machte Undertaker.

Ein paar Meter vor uns sah ich den Ausgang des Parks.

„Überraschungen sind etwas Tolles!“, verließ der Bestatter mit mir den Park, wieder zurück auf die belebten Straßen.

„Naja“, machte ich: „Der Brief war auch überraschend. Toll fand ich das aber nicht.“

„Vertraust du mir denn gar nicht?“, lachte der Totengräber.

„Doch... schon...“, ich wusste nicht warum, aber es lag nicht nur an Amys Versicherungen Undertaker sei ein zuverlässiger Charakter. Ich war schon lange niemand mehr, der blind vertrauen konnte, doch irgendwie hatte ich das Gefühl, dass man sich auf den sonderbaren Totengräber verlassen konnte.

Wir gingen durch die Straßen und der Bestatter machte keine Anstalten meine Schulter los zu lassen. Er drückte mich fest an seine Seite. Ich war verwirrt, dass es mich wirklich nicht störte so nah an dem Körper des Leichengräbers zu sein. Es beruhigte mich sogar ein Stück weit, obwohl die Hand des Bestatters so furchtbar kalt war. Das war komisch.

Stille fiel zwischen uns, doch sie war alles andere als unangenehm. Ich fing an das Gefühl von Sicherheit zu genießen, das der feste Griff des silberhaarigen Mannes in mir auslöste und mir gefiel es, dass keine Worte nötig zu sein schienen um sich beim anderen wohl zu fühlen. Richtig in Worte fassen konnte ich das Gefühl nicht.

An einer Bushaltestelle blieb der Bestatter schließlich stehen. Ich schaute ihn fragend an.

„Du solltest nach Hause“, antwortete er auf meinen fragenden Blick ohne ihn anzuschauen: „Du hattest einen harten Tag.“

Ich nickte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, ich könnte gerade im Stehen einschlafen. Selbst sprechen wäre gerade einfach viel zu anstrengend.

Ein mitfühlendes Lachen erreichte meine Ohren. Es war wieder gemischt mit einem leichten Seufzen: „Hehe, du kleiner Unglücksrabe. Wie viel Pech man haben kann ist wirklich erstaunlich.“

Ich blinzelte ihn an. Ein leises: „Aha?“, war das Einzige, was ich hervorbringen konnte.

„Nun ja, wenigstens kann es jetzt nur noch besser werden, oder?“

Ich zog eine Augenbraue hoch und schlug dann die Augen nieder. Die Aussicht meine Eltern wiederzusehen zeigt mir eher, dass alles noch viel schlimmer werden könnte.

Die Hand drückte mich ein Stückchen fester: „Es wird besser, glaub mir.“

Ein müdes Nicken. Dann setzten sich die Menschen an der Haltestelle in Bewegung. Ich schaute die Straße hinunter und sah den großen, roten Doppeldeckerbus langsam auf uns zu rollen. Die Hand verschwand von meiner Schulter. Ich lächelte den Bestatter kurz an und machte mich dann auf den Weg zu der kleinen Menschentraube, die sich da aufgestellt hatte wo sie die Eingangstüre des Busses erwarteten. Doch etwas fehlte. Ich drehte mich um. Undertaker hatte sich nicht einen Schritt von der Stelle bewegt.

„Fährst du nicht mit?“, fragte ich verwundert.

Der Bestatter schüttelte lächelnd den Kopf: „Nein. Hehe.“

„Warum nicht?“

„Zu wenig Platz, zu viele Menschen und zu viel Muff auf einmal. Busse sind nicht meine Welt. Hehehehehe!“

Ich wusste, dass der Bestatter sehr wohl in seiner ganz eigenen Welt lebte, doch irgendwie beschlich mich das Gefühl sie passte nicht in allen Punkten mit der Richtigen überein.

„Sicher?“, fragte ich noch einmal und ein kleiner Luftstoß warf meine Haare nach vorne. Der Bus hatte hinter mir gehalten und die Menschen stiegen ein: „Wie kommst du denn dann nach Hause?“

„Schusters Rappen“, lachte er.

„Aber... Es ist so weit... Ich... kann mit dir gehen!“

Er schüttelte den grinsenden Kopf, griff in die Innentasche seines Mantels und schob sich einen knochenförmigen Keks in den Mund. Ich legte den Kopf schief. Hat er immer welche von den Dingern dabei? Was Ronald das letzte Mal verlauten ließ klang fast so, als hätte der Totengräber ein ungesundes Suchtverhältnis zu den Dingern.

„Nein“, kaute er grinsend: „Du siehst müde aus und solltest schnell heim. Schnappe dir Amy und trinkt einen warmen Kakao. Das wird die Welt ein bisschen besser machen.“

„Ok...“, machte ich. Irgendwie flackerte eine leichte Traurigkeit in meiner Magengrube auf: „Wenn du meinst...“

Undertaker wedelte mit einer Hand: „Du solltest dich beeilen. Ansonsten fährt der Bus ohne dich.“

Ich lächelte. Es war dünn und wahrscheinlich nicht das, was Undertaker sehen wollte, aber ich konnte die Angewohnheit noch nicht so ganz ablegen.

„Ok“, ich wandte mich ab und winkte ihm ein letztes Mal, als ich zu der Eingangtüre des Busses lief: „Bye!“

„Mach es gut, mach es gut“, grinste er und schob sich einen zweiten Keks in den Mund.

Als ich eingestiegen war, setzte ich mich an einen Fensterplatz von dem aus ich auf den Bürgersteig schauen konnte. Undertaker stand immer noch an Ort und Stelle und mampfte grinsend die knochenförmigen Plätzchen.

Mit einem kleinen Ruck setzte sich der Bus in Bewegung und ließ den Park, das Jugendamtsgebäude und den unikalen Leichenbestatter hinter mir.
 

Amy hatte mich mit einer kräftigen Umarmung begrüßt. Ich hatte fast keine Luft mehr bekommen. Ich erklärte ihr kurz was passiert war. Auch Amy war ziemlich sprachlos und hatte so schnell keine gute Idee. Die nächsten Tage waren wir mehr mit Pläne schmieden als mit dem Unterricht, oder sonstigem anderen beschäftigt. Obwohl sich Amy als sehr kreativ bewies verwarfen wir eigentlich jede Idee. Die Tage flogen vorbei und der Herbst wurde zunehmend kühler. Die Temperaturen krochen nur noch selten über 0°C. Wenigstens verzogen sich die grauen Wolken und der goldene Oktober winkte uns zu.

Eines Tages stand ich wie immer treu neben Amy im 'Swan Gazebo'. Die Prefects diskutierten über das diesjährige Sportereignis.

„Auch die P4 des Jungscolleges haben sich gegen ein Kricketturnier ausgesprochen“, seufzte Annmarie.

Mandy ließ ihr Buch sinken: „Ich brauche diesen ganz Kram ja gar nicht und mein Haus schließt sich mir uneingeschränkt an. Wie wäre es zur Abwechslung mal mit einem Buchstabierwettbewerb oder so? Da hätten wir auch mal eine Chance.“

Lila lachte: „Stellt euch nicht so an. Das blaue Haus der Jungs gewinnt auch immer mal wieder.“

„Aber nur wenn ein Phantomhive dabei ist“, Mandy schaute Amy an. Diese winkte lächelnd. Mandy schüttelte wieder den Kopf: „Wie haben aber keine.“

Amy hob die Hände:“ Tut mir ja leid. Aber wenn es kein Kricketturnier wird. Was dann?“

„Es soll Mannschaftssport bleiben“, Annmarie nahm eine Tasse Tee von ihrem Fag entgegen: „Das ist dem Headmaster sehr wichtig. Es soll auch ein Sport sein, in dem Jungs nicht zwingend besser sind.“

„Jungs sind nie zwingend besser im Sport“, machte Mandy: „Das ist nur ein hartnäckiges Gerücht. Es gibt genug Statistiken die es entkräften.“

„Wie wäre es mit Volleyball?“, fragte Lila: „Mein Haus spielt es in letzter Zeit oft in Sport.“

„Wir auch“, pflichtete Amy bei. Ich nickte. Das stimmte. Volleyball war gerade die Sportart überhaupt.

Annmarie hob lächelnd die Hand: „Mir ist das egal. Die Green Lions sind auf alles bestens vorbereitet.“

Lila lachte: „Also wenn wir Volleyball spielen, werden wir euch vernichten! Haha!“

Amy grinste: „Wir haben auch genug Mädels die gut sind. Seit euch mal nicht so sicher, dass es nur ein Wettkampf zwischen euch beiden wird.“

Mandy hob ihr Buch wieder vor die Nase: „Ich bin raus. Wir hatten nur eine Menge aufgeschlagene Knie und geschwollene Handgelenke.“

„Typisch“, lachte Annmarie.

„Danke!“, antwortete die Blue Prefect bissig.

Das Sportturnier war das Thema der nächsten Wochen. Es war die einzige Aktivität, die das Mädchen- und das Jungscollege gemeinsam bestritten. Jeder gegen Jeden. 8 Teams und nur einen ersten Platz. Neben einem Sportereignis fühlte ich mich jedes Jahr wie auf einem Singlebasar. Fürchterlich. Irgendwann einigten sich die P4 der Mädchen und die P4 der Jungen auf Volleyball. Da man Volleyball wunderbar in einer Halle spielen kann, wurde es auf Ende November gelegt. Die Begeisterung des violetten und blauen Hauses beider Colleges hielt sich wie üblich in Grenzen. Doch ich persönlich hatte immer noch ein viel größeres Problem als Jungs oder Volleyball. Leider kam dieses Problem auch viel zu schnell auf mich zu.

Am Morgen des 24.10., einem sonnigen Samstag, weckten mich auch schon ein paar nackige Sonnenstrahlen, gefolgt von dem Alarm meines Handys. Ich hatte furchtbar schlecht geschlafen und war immer noch mehr als nur plan- und ratlos. Die letzten 4 Tage war ich nicht im Unterricht gewesen. Rasende Kopfschmerzen, ein imposanter Schlafmangel und mein auf links gedrehter, vollkommen überstrapazierter Magen machten mir zusätzlich das Leben zur Hölle. Immer wenn ich versucht hatte etwas zu essen endete ich kopfüber an der Toilette.

Nachdem ich nach meinem Handy geangelt und es ausgeschaltet hatte, schlang ich meine Arme um meinen Bauch und rollte mich unter meiner Bettdecke zusammen. Da hörte ich meine Türe aufgehen: „Sky?“

„Hm?“, ich blinzelte über den Rand meiner Bettdecke. Amy kam in einer Jogginghose und einem schwarzen Top zu mir ins Zimmer und setzte sich auf die Kante meines Bettes: „Du siehst nicht gut aus.“

„Mir geht es auch nicht gut...“

„Sollen wir was frühstücken gehen?“

Ich schüttelte nur den Kopf und zog meine Beine näher zu mir.

„Kaffee?“

Ich schüttelte wieder den Kopf und legte mein Kinn an meine Brust.

„Ach Sky... kann ich irgendwas für dich tun?“

Wieder antwortete ich nur mit einem geschwächten Kopfschütteln.

„Melde dich doch krank. Ms. Lowell bürgt sicher für dich.“

„Und was bringt mir das? Der Termin wird dann nur verschoben...“

„Aber vielleicht fällt uns dann was ein...“

„Ach Amy...“, ich schaffte es mich aufzusetzen: „Uns ist die letzten 16 Tage nichts eingefallen.“

„Ich bin immer noch der Meinung du hättest bei Undertaker vorbeischauen sollen. Vielleicht war seine Idee nicht schlecht.“

Ein komisches Gefühl surrte durch meinen eh schon aufgewühlten Bauch, als Amy den Totengräber erwähnte: „Er meinte nur es sei eine 'Überraschung'...“

„Naja. Er ist halt ein bisschen kryptisch.“

„Ein bisschen? Von dem Wort 'Klartext' hat er noch nichts gehört.“

Die Phantomhive lachte auf: „Du hast ja keine Ahnung! Wenn Undertaker anfängt Klartext zu reden, hat irgendjemand meist ein furchtbares Problem.“

„Sag mal“, entschloss ich mich schließlich eine Frage zu stellen, die mich schon seit dem Tag beschäftigte an dem der Bestatter mit mir durch die Gassen spaziert war: „Warum meidet das ganze Gesocks in den Gassen seinen Laden?“

Amy lachte wieder: „Er hat das Gesocks halt ziemlich gut im Griff.“

„Aber“, ich schaute verwirrt: „Wie? Ich meine, er ist nur ein der Welt ziemlich entrückter Bestatter. Ich kann dir Brief und Siegel darauf geben, dass jeder dieser Typen 3 Messer und 2 Knarren im Hosenbund stecken hatte. Warum ziehen sie ihm gegenüber den Kopf ein?“

Amy druckste und wackelte mit dem Kopf: „Das ist eine ziemlich komische Geschichte. Niemand hat mir das wirklich mal erklärt. Eigentlich weiß ich es selber nicht wirklich. Aber Sky: Ist das gerade wirklich dein größtes Problem?“

Ich seufzte: „Nein... Aber ich dachte ein bisschen Ablenkung wäre nicht schlecht...“

Mit einer gehörigen Portion Kopf- und Magenschmerzen streckte ich die Beine aus dem Bett.

Amy legte mir die Arme um den Hals und drückte ihr Ohr an meines: „Das wird schon irgendwie. Soll ich mitkommen?“

Ich schaute sie an: „Würdest du das tun?“

„Ich habe es dir schon mindestens 5x angeboten.“

„Ja... Aber viele Leute bieten etwas an und wollen eigentlich, dass es abgelehnt wird.“

„Ich bin aber nicht wie viele“, sie drückte mich fester und wackelte mit mir von links nach rechts: „Ich komm mit dir und dann schlagen wir deine Eltern in die Flucht!“

Ich drehte meinen Kopf wieder zu ihr: „Wie?“

„Naja“, lachte Amy: „Ich erinnere mich aus einer deiner Hassreden, dass dein Vater Menschen, die mehr als 2100 £ Netto im Monat verdienen, nicht sonderlich schätzt. Mein Vater verdient viel mehr als 2100 £ Netto. Wir beide schmeißen uns in richtig schicke Sachen, halten die Nase ein Stück höher als üblich und deine Eltern werden nicht mehr im Mindesten das Bedürfnis haben dich noch einmal wieder zu sehen. Sie haben dich wie Scheiße behandelt, dann darfst du das jetzt auch.“

„Ist das wieder eine deiner spontanen Eingebungen?“

„Joa“, lachte Amy fies: „Ich finde sie gar nicht so schlecht. Ein Versuch ist es wert. Außerdem wäre das Gesicht deiner netten Sozialarbeiterin auch einen Blick wert.“

Ich musste halb schmunzeln: „Stimmt schon...“

Amber nahm mich an den Schultern und strahlte mich an: „Du gehst duschen und ich beschwöre meinen Kleiderschrank. Ich finde schon irgendetwas was dir passt.“

Ich nickte langsam: „Wenn du denkst das bringt etwas...“

„Ein Versuch ist es wert!“

Da hatte Amy wohl recht. Mehr als nichts bringen konnte es nicht.

Als wir mein Zimmer verließen, trennten sich unsere Wege. Ich duschte viel zu heiß. Meine Haut brannte wie mein Kopf und mein Magen, als ich aus der Dusche stieg. Ein scharfer Schwindel zog durch meinen Kopf. Nachdem ich mir ein Handtuch um den Körper gewickelt hatte, setzte ich mich auf den geschlossenen Toilettendeckel. Der Wasserdunst zog mir in die Lungen und ich hatte das Gefühl nicht mehr richtig durchatmen zu können. Schlafmangel, viel zu wenig Essen und die viel zu hohen Temperaturen gaben sich die Hand. Mein Kreislauf verschwand irgendwo im Nichts. Irgendwann klopfte es an der Türe: „Skyler? Alles ok?“

„Ja“, antwortete ich gepresst: „Mir ist nur irgendwie schwindelig...“

„Fall mir jetzt nicht aus den Socken!“

„Ich trage noch gar keine Socken...“

„Sky!“

„Es geht scho...“, ein saures Brennen in meinem Hals unterbrach mich. Ich drückte die Hand auf dem Mund und versuchte das Unvermeidbare abzuwenden. Vergebens. Schnell sprang ich von der Toilette, klappte den Deckel auf und spuckte den nicht vorhandenen Inhalt meines Magens in die Keramikschüssel. Ein ekliger Geschmack blieb in meinem Mund zurück. Mein Magen verkrampfte sich erneut und mir entfloh ein gequältes Würgen.

„Sky?!“

„Alles gut“, röchelte ich und hustete: „Passt schon.“

„Sicher?“, Amy wackelte an der abgeschlossenen Türe.

'Schöne Scheiße', fuhr es durch meinen Kopf. Ich zog ab und schloss die Türe auf. Amy sah sorgenvoll drein: „Du bist ganz blass.“

Ich schüttelte den Kopf: „Kann sein. Ich glaube ich verliere den letzten Nerv.“

Amy streckte mir ein paar Klamotten hin und grinste mir aufbauend entgegen: „Hier!“

Die Phantomhive selber trug einen modischen schwarzen Rock und eine schwarze Strumpfhose, sowie eine elegante, schwarze Bluse. Ihre dichte Mähne fiel ihr in einem dicken, geflochtenen Zopf über die Schulter und sie war behangen mit Silberschmuck.

Seufzend nahm ich die Kleider entgegen: „Danke.“

Dann tauschte ich die Plätze mit meiner besten Freundin, die sich noch schminken wollte. In meinem Zimmer legte ich die Kleider auf mein Bett. Eine enge, helle Jeans mit großem Schlag und einer schwarzen Schnürung an den Seiten, sowie ein langes, enges Oberteil mit vielen Schnürungen in großen Ösen und riesiger Kapuze. Die Qualität der Kleider verrieten ihren Preis. Auf dem Oberteil lag ein Häufchen Silberschmuck. Ich kombinierte die zwei Ketten und die zwei Kreolen von Amy mit meinem Medaillon. Ich hatte es vor Jahren von meiner Großmutter bekommen. Sie war der einzige Mensch, der in meiner Kindheit für mich da gewesen war. Ein Foto von ihr und mir war darin versteckt. Ich vermisste sie furchtbar, doch sie war vor 14 Jahren gestorben. Danach war die Familienhölle erst richtig losgegangen.

Seufzend zog ich sie an und nahm einen Föhn, um mir die Haare trocken zu blasen. Dann machte ich mir meine übliche Frisur. Während ich die kleine Strähne flechtete, schweiften meine Gedanken ab:

'Du musst jetzt deinen kühlen Kopf behalten und nachdenken...Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.'

Ja, an diesen Worten war definitiv etwas dran. Hätte ich es die letzten Tage geschafft ruhig zu bleiben, wäre mir vielleicht etwas eingefallen. Irgendein Weg, eine Option, eine Lösung! Doch ich war weder ruhig geblieben, noch hatte ich einen Ausweg gefunden: 'Du bist ein sehr dummes Stück Toast...'

Frustriert malte ich mir meinen Lidstrich auf die Lieder und tuschte meine Wimpern. Meine Hände zitterten ganz fürchterlich, weswegen ich mehr als 3 Anläufe brauchte um nicht auszusehen wie ein Panda auf Crack.

Amy saß im Wohnzimmer und wartete auf mich.

„Nett“, lächelte sie mich an.

Ich lächelte künstlich: „Ich hab das Gefühl die beiden Teile kosten so viel wie mein ganzer Kleiderschrank.“

„So schlimm wird’s nicht sein. Du kannst sie behalten.“

„Sicher?“

„Ja, sie sind mir eh zu eng. Ich hatte sie ewig nicht mehr an.“

„Dasselbe hast du zu dem Kleid gesagt...“

„Weil es so ist, Sky. Warum soll ich die Sachen wegwerfen, wenn sie dir passen“, Amy stand auf und zog sich ein paar hochhackige Stiefel an.

Ich stand ein wenig ratlos vor meinen 5 Paar Schuhen. Amy griff ein paar schwarze Stiefeletten mit Schnallen und Absatz.

„Sicher...?“, murmelte ich.

„Jup“, grinste sie.

Die Phantomhive zog ihre Lederjacke an und ich meinen Poncho. Amy hatte ihn mir letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt. Sie meinte, sie könne mir nicht mehr weiter beim Frieren zu sehen.

Gemeinsam verließen wir das Wohnheim und machten uns auf dem Weg in die Hölle.

Umso weiter der Bus über die Straße rollte, umso nervöser wurde ich. Amy redete auf mich ein, mit Nonsens. Sie versuchte mich abzulenken. Nicht mit viel Erfolg, aber ich rechnete ihr ihren Versuch hoch an. Obwohl ich dünn lächelte und nickte hörte ich von Amys Worten kaum mehr als ein surrendes, weißes Rauschen.

Der Bus hielt und wir stiegen aus.

Ich blieb an der Haltestelle stehen. Das Dach des Gebäudes, in dem das Büro meiner Sozialarbeiterin lag, konnte man von hier aus schon sehen und ich hatte das Gefühl ich muss mich ein weiteres Mal übergeben.

Amy nahm meine Hand: „Komm.“

Ich lächelte dünn und versuchte durchzuatmen. Es schlug fehl.

Kurze Zeit später war es 10:55 Uhr und wir standen vor Hemsworths Büro.

Amy lächelte mich an: „Cool bleiben.“

Ich seufzte: „Leichter gesagt als getan...“

'Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky', surrte es durch meinen Kopf. Ich ließ die Schultern hängen: 'Undertaker nicht jetzt... verschwinde aus meinem Kopf...'

'Ich finde es gemütlich da drin. Hehe', antwortete seine Stimme in meinem Kopf wie damals in seinem Laden. Ich ließ den Kopf hängen: 'Du bist doof...'

„Geht's?“, fragte Amy.

Ich hob wieder den Kopf: „Joa... schon“, ich atmete schwer: „Ich komm eh um nichts mehr herum...“

Amy schaute auf ihr Handy: „Punkt Elf.“

Ich klopfte: „Ms. Hemsworth?“

„Gleich!“, rief es von innen.

Ich schaute Amy an. Sie schüttelte angenervt mit dem Kopf: „Wie gleich?! Wir haben Elf Uhr! Machen sie auf!“

„Amy“, flüsterte ich: „Was machst du? Lass das!“

„Die kann mich mal!“, wisperte Amy zurück.

„Du bringst mich in Teufelsküche!“

„Was ist jetzt?!“, rief die Phantomhive wieder.

Die Türe ging auf: „Skyler! Also, was...“, die Sozialarbeiterin stockte irritiert, als sie Amy sah: „Wer bist du denn?“

Amy stemmte die Hände in die Hüften: „Ich bin Amber Heather Phantomhive. Skylers beste Freundin und Prefect der Violett Wolfs.“

Hemsworth schaute sie an: „Phantomhive? Die alte Adelsfamilie?“

Sie nickte: „In der Tat.“

„Und du bist Skylers Freundin?“

„Beste Freundin“, Amy schaute mich an und lachte: „Sie ist mein Fag.“

Der Blick der Sozialarbeiterin wechselte von Amy zu mir und wieder zurück: „Ihr habt euch ja mächtig raus geputzt. Aber was möchtest du hier, Amber?“

„Naja“, lachte sie: „Sky ist wie eine Schwester für mich. Meine Familie liebt sie! Jetzt wollte ich ihre kennen lernen. Schlimm?“

„Naja. Ich habe mit so etwas nicht gerechnet.“

„Mit was? Dass Sky solche Freunde hat oder dass sie mitkommen?“

„Nun. Egal. Du bist hier, dann ist das so. Kommt rein.“

Wir gingen rein und setzten uns. Stille füllte den Raum. Ich versuchte meinen Atem zu kontrollieren, damit mein Magen nicht ein weiteres Mal überlief. Die Zeit verging. 11:15 Uhr. 11:30 Uhr. 11:45 Uhr. 12:00 Uhr. Immer wieder schaute Hemsworth auf ihr Telefon und auf ihren Computer. Ich wurde immer nervöser. Flecken bildeten sich in meinem Sichtfeld und ich merkte wie mein Kreislauf ein weiteres Mal in den Keller ging. Es würde mich nicht wundern, wenn ich gleich einfach vom Stuhl in Ohnmacht fiel. Nervös spielte ich mit dem geflochtenen Zopf. 12:15 Uhr. 12.30 Uhr.

Amy hatte Arme und Beine überschlagen und wackelte gelangweilt mit dem Fuß.

Hemsworth wirkte nervös.

„Ich glaube sie kommen nicht mehr“, sagte Amy.

„Lasst uns noch etwas warten. Vielleicht stehen sie im Stau.“

„Warum rufen sie dann nicht an?“

Ein komisches Gefühl wallte in mir auf. Ich kannte es ziemlich gut. Meine ganze Kindheit war davon geprägt gewesen: Enttäuschung.

Ich war erleichtert meine Eltern wahrscheinlich nicht sehen zu müssen, denn sie hatten augenscheinlich doch wieder etwas gefunden was ihnen um Längen wichtiger war. Doch irgendwie enttäuschte es mich auch. Irgendwie enttäuschten sie mich. Zum abertausendsten Male. Doch der Anflug von Erleichterung war um einiges stärker, als das kleine Ziehen in meinem Herzen. 12:45 Uhr. Amy hatte angefangen mit ihren Fingernägeln auf der Tischplatte der Sozialarbeiterin herum zu klacken. Ich verschränkte meine Beine und schlang meine Arme um meinen instabilen Magen. 13:00 Uhr.

„Das bringt nichts“, Amy stand auf: „Wir gehen.“

Hemsworth schüttelte den Kopf: „Wir machen einen neuen Termin, Skyler.“

„Nein“, ich stand auf. Amy lächelte mir zu. Mit ihr an meiner Seite kam es mir viel einfacher vor zu rebellieren: „Ich habe es ihnen prophezeit. Ihnen liegt nichts an mir. Beim nächsten Termin sitzen sie hier alleine. Komm Amy.“

Wir gingen geschlossen zur Tür.

„Skyler, so einfach ist das nicht!“

Ich schaute über meine Schulter: „Warum nicht?“

„Weil...“

„Weil Baum“, unterbrach ich sie: „Einen schönen Tag, Ms. Hemsworth.“

Der Sozialarbeiterin entgleisten die Gesichtszüge: „Bitte?!“

Amy winkte noch provokant und dann ließen wir eine reichlich irritierte Sozialarbeiterin hinter uns zurück. Wir verließen das Gebäude.

Amy fing an zu lachen, als wir die Steinstufen vor dem Gebäude hinunter gingen: „Das Gesicht! Die Alte ist ja voll furchtbar.“

„Hab ich doch gesagt“, antwortete ich leise.

„Aber du hast es geschafft!“, strahlte Amy: „Ich glaube nicht, dass du noch etwas von deinen Eltern hörst. Das die einfach nicht auftauchen. Hart! Erst so eine Welle machen und dann nichts.“

„Das ist typisch...“, gab ich wieder leise zurück.

Amy schaute mich an: „Du siehst nicht besser aus...“

Ich zuckte mit den Schultern und steckte meine Hände in die Hosentaschen: „Irgendwie... bin ich enttäuscht... Das ist total schwachsinnig, aber... naja. Keine Ahnung.“

Amy harkte sich ungefragt in meinen Arm: „Ich versteh schon. Du hast deine Eltern ja mal lieb gehabt.“

Ich nickte leicht: „Ja schon... aber das ist lange her... und es ist total dämlich solche Menschen lieb zu haben.“

Amy legte den Kopf schief: „Das ich nicht dämlich. Es sind deine Eltern und sie haben dich ein weiteres Mal hängen lassen. Die sollten einfach ihr Leben lang weg von dir bleiben. Echt!“

Als ich den Mund öffnete um etwas zu sagen, spürte ich plötzlich Blicke in meinem Rücken. Ein kleiner Schauer fuhr meine Wirbelsäule herunter und ich schaute mich um. Mein Blick schweifte über die vielen Menschen, die in dicken Strömen über die Straße rauschten wie ein eiliger Bach. Ich sah eine kleine Gruppe asiatischer Touristen, die am historischen Gebäude standen und eifrig Fotos schossen. Dann machte ich große Augen, als ich eine Gestalt sah, die weit über die Köpfe der Touristen ragte. Die silbernen Haare schimmerten in der Mittagssonne und ein Grinsen lag auf dem verhangenen Gesicht unter dem großen, alten Zylinder.

„Under...“, begann ich verwirrt, doch Amy unterbrach mich: „Sky?“

Mein Kopf flog zu ihr.

„Was hast du?“, fragte sie sorgenvoll.

„Na da!“, ich drehte meinen Kopf und zeigte mit meiner freien Hand in die Richtung der Touristengruppe. Dann stockte ich.

„Das sind ein Haufen Touristen. Was soll mit ihnen sein?“

Er war weg. Als wäre er nie dagewesen. Ich blinzelte vollends perplex: „Aber...“, ich brach ab. Bin ich jetzt verrückt geworden? Vollends und endgültig wahnsinnig? Litt ich jetzt zu allem Überfluss auch noch an Halluzinationen?

„Was hast du, Sky?“

Ich schaute Amber wieder ins sorgenverhangene Gesicht. Dann lachte ich süßlich: „Ach nichts. Ich hab mich nur verguckt.“

„Wie wäre es mit etwas zu essen?“, fragte Amy und lächelte mich wieder an: „Ich hätte ja mal wieder furchtbar Lust auf Italienisch! Wie wär's mit 'Giuseppes Pizza'?“

„Ich weiß ja nicht...“, murmelte ich und schaute noch einmal auf die kleine Touristengruppe. Sie waren weiter gezogen und der Platz, wo sie gestanden hatten, war nun vollkommen leer. Keine Menschenseele. Auch kein grinsender Bestatter.

Amy legte mir den Kopf auf die Schulter und zog mich an dem eingeharkten Arm weiter: „Danach gibt es auch ein Softeis mit Topping! Die haben immer noch Erdbeeren im Sortiment.“

Ich schaute sie an und die Phantomhive grinste mir zurück ins Gesicht. Amy kannte meine Schwachstelle: Süßkram mit Erdbeeren.

„Ok ok“, lachte ich: „Ich bin dabei.“

„Na dann! Auf geht’s!“, schlenderten meine beste Freundin und ich den Samstag Mittag, der hundertmal entspannter werden sollte als die Drei davor.
 

Undertaker
 

Normale Tage folgten.

Das einzig nicht Normale waren die Drogentests der drei Jungen. Meine Teströhrchen schillerten in allen Farben, was mir verriet, dass die Jungen alles zwischen Speed und MDMA intus gehabt haben mussten. Dass ihr Blut immer noch rot war und nicht im Dunkeln leuchtete, wunderte mich.

Alexander kam mit Sebastian vorbei. Die flachen Witze des Earls entlockten mir nicht genug, um mit den Befunden herauszurücken. Doch Sebastian regelte es wie gewohnt für ihn. Die neuen Erkenntnisse der Drogentests waren zwar nicht 100% aussagekräftig, aber er konnte damit zu Lee gehen. Der Chinese hatte vielleicht eine Ahnung in welchen Teilen der Stadt diese Kombination gängig war. Die Kugeln gaben heutzutage auch nicht mehr so viel Aufschluss wie man sich wünschte, doch ihr Kaliber war relativ ungewöhnlich.

Alexander verließ meinen Laden gefolgt von seinem Butler und der Alltag hatte mich wieder.

Als ich einen Kunden für seine große Gala vorbereiten wollte, fiel mir etwas auf: Meine Kühlzellen waren nicht mehr kühl und ratterten ganz komisch. Ich verdrehte die Augen: 'Och nein...'

Ich schaute nach unten und stand in einer kleinen Pfütze. So praktisch diese modernen Dinger doch waren, so sehr nervte es mich wenn sie ihren Dienst quittierten.

Aber die Kühlzellen halten meine Gäste so herrlich frisch! Erhalten die morbide, faszinierende Schönheit des Todes so viel länger! Vom Einbalsamieren möchte ich gar nicht erst anfangen! Selbst, wenn sie schon Monate lang in der Erde lagen, buddelte man sie wieder aus sahen sie aus wie erst von ein paar Wochen verstorben. Es war faszinierend, wie sehr sich die Menschen gegen den Verfall wehrten. Auch nach dem Tod. Als ich dachte mit der Aurora Society hätte ich das größte Aufbäumen der Menschheit gegen das Sterben schon mitbekommen, war ich ja noch vollkommen ungewahr dessen gewesen was noch kommen würde.

Ich schob meinen Gast wieder zurück in die Zelle und ging zu meinem Telefon. Nach einigen Freizeichen surrte eine junge Stimme in mein Ohr: „Grim Reaper Dispatch, British Branch. Ronald Knox hier.“

„Hallo liebster Ronald!“, begrüßte ich den blonden Shinigami am anderen Ende der Leitung: „Wie geht es dir?“

„Ich habe irgendwie nicht das Gefühl, dass du mich anrufst um eine Runde locker zu quatschen. Was ist kaputt?“, antwortete die Stimme blechernd aus meinem Hörer.

„Oh hehehehehe! Wie gut du mich kennst. Meine Kühlzellen haben mir den Dienst verweigert. Könntest du mir deine geschickten Hände ausborgen?“

Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung: „Wenn ich sie an meinen Armen behalten darf...“

„Hahahaha! Von mir aus kannst du auch deine Arme mitbringen und den ganzen Rest, wenn du das für notwendig erachtest.“

„Du Scherzkeks“, machte der junge Shinigami: „Ich hab viel zu tun, aber in 2 Tagen hätte ich Zeit. Reicht dir das? Oder erstickst du vorher an deinen 'Gästen'.“

Ich lachte in den Hörer: „Natürlich reicht mir das. Ich habe kein Problem mit dem Bouquet des Todes, lieber Ronald. Sorge dich nicht um mich, hehehe!“

Stille. Es dauerte einige Sekunden bis der Jüngling wieder sprach: „Äh ja... Du hast mächtig einen an der Murmel, hat dir das schon mal jemand gesagt?“

Ich lachte noch lauter: „Oh ja, oh ja. Du zum Beispiel. Mehrfach. Und Alex und Grell und Sebastian, Will, Amy, Fred, Lee, Frank, Charlie...“

„Ist gut!“, rief der Junge: „Ich hab verstanden! In zwei Tagen um 10 bin ich da.“

„Hehehehehe, wunderbar.“

Wieder ein Seufzen: „Okay, bis dann.“

„Ich freue mich“, trällerte ich. Dann hatte Ronald aufgelegt. Ich hing den Hörer auf, schob mir einen Keks in den Mund und lehnte mich zufrieden zurück. Der feine Geruch des Vergehens erreicht meine Nase doch nur noch sehr, sehr selten. Schade eigentlich. Doch in zwei Tagen sollte sich das fürs erste ansatzweise ändern.

Und das tat es. Als Ronald nach zwei Tagen mit einem großen Werkzeugkoffer in meinen Laden kam, fiel er fast rückwärts wieder hinaus und das obwohl ich meine Gäste schon alle einbalsamiert hatte.

„Ach du Scheiße!“, rief er und riss ohne zu fragen die zwei Fenster auf: „Das du das aushältst!“

Ich schaute von meinem Skizzenblock auf, auf dem ich wieder die Skizzen für ein paar Särge am aufzeichnen war: „Was hast du denn Ronald? Hehehehehe!“

„Es stinkt nach Tod! Und zwar ganz übel! Riechst du das nicht?!“

Ich lachte und lehnte mich zurück: „Herrlich nicht? Dieser faulige Geruch ewiger Vergänglichkeit.“

Ronald schaut mich an als wäre ich ein Psychopath. Wahrscheinlich nicht ganz zu unrecht: „Das ist nicht dein Ernst?“

Ich lachte, sagte aber nichts. Es war Ron wohl Antwort genug.

Er schüttelte den Kopf, zog Jackett, Weste und Krawatte aus und hing sie an meinen Garderobenständer: „Lass mich raten: Da wo ich hin muss riecht es noch viel, viel schlimmer.“

„Naja. So wie du es bezeichnest musst du zur Quelle des Übels. Was übrigens eine furchtbare respektlose Ansicht ist. Hahaha!“

Ronald seufzte erneut, als er die Ärmel hochkrempelte: „Na ganz toll. Du hättest wenigstens so nett sein können und schon mal lüften können.“

Ich breitete meine Hände aus: „Wie konnte ich denn ahnen, dass es dich so dermaßen stört?“

„Es stört jeden normalen Menschen! Wesen! Ach egal!“, Ronald machte sich auf den Weg in den hinteren Teil des Ladens: „Ach du meine Güte! Mein armer Magen!“

Ich musste ganz furchtbar lachen, während der Shinigami im Torbogen verschwand. Ich checkte kurz meinen Terminkalender. Ich hatte vollends vergessen, dass ich noch nach Stoffen schauen wollte. Meine kleine Polenreise war mir dazwischen gekommen. Über die Steine war ich immer noch nicht schlauer. Auch die Methoden der Grim Reaper halfen mir nicht weiter. Wahrscheinlich war ihnen einfach nichts entgegen zu stellen, außer sich auf die irdischen 5 Sinne zu verlassen. Das machte die kleinen Dinger nur noch wesentlich interessanter! Nur für heute ließ ich sie ruhen.

„Ronald?“, rief ich, als ich mich von meinem Stuhl erhob: „Ich bin kurz unterwegs. Fühl dich wie zuhause. Du weißt ja wo alles ist.“

„Warte!“, der Jüngling streckte seinen Kopf durch den Torbogen, bevor ich den Laden verlassen konnte: „Ich brauch deine Hilfe!“

Ich schaute ihn ein wenig verwirrt an: „Hm?“

„Ich muss...“, er wirkte unbegeistert: „Deine Gäste aus ihren Fächern holen.“

Ich lachte: „Ahehehehehehe! Nun denn.“

Gemeinsam stapelten wir meine 8 Gäste auf die Seziertische. Dann entschwand ich und schlenderte gelassen durch die schmalen Gassen zu dem kleinen Stoffhändler meines Vertrauens. Ich war pingelig wenn es um meine Gäste ging. Also kostete der Aufenthalt mich fast 3 Stunden meiner Zeit und der herzerquickend verstörten Verkäuferin offenbar eine Menge Nerven. Beladen mit einem Stapel Stoffe entließ ich die überanstrengte Verkäuferin aus ihren Diensten. Ich hörte wie sie hinter mir die Türe abschloss und musste lachen. Ich war ein wenig überrascht als ich Schritte in meiner Gasse hörte. Offenbar von 4 Personen. Die zwielichtigen Gestalten hier mieden sie eigentlich. Aus gutem Grund. Doch drei der paar Füße verschwanden wieder in der Ferne. Nur ein Paar ging weiter.

Als ich in meine Gasse einbog legte ich den Kopf schief. Eine zierliche, brünette Gestalt stand vor meiner Türe, legte immer wieder die Hand an die Türklinke und zog sie wieder zurück. Wenn das nicht die junge Skyler ist. Sie schien sich nicht so ganz sicher zu sein, ob sie die Türe öffnen sollte.

Auf lautlosen Sohlen schlich ich durch die schmale Gasse und stand hinter ihr, als sie sich immer noch nicht entschieden hat ob, oder ob nicht.

„Du musst sie runter drücken, hehe“, beugte ich mich ein Stück nach vorne und flüsterte in ihr Ohr.

„AAAAAAAAAAHHHHHHHHH!!!!“, kreischte sie schrill und fuhr herum. Ihre herrlichen blauen Augen waren weit aufgerissen und schauten mich an als wäre ich ein gefräßiges Raubtier. Ich konnte den Herzkasper förmlich hören! Dann flog mir etwas Schwarzes auf den Kopf. Ich hörte ein Knarzen, eine weiteren spitzen Schrei, gefolgt von einem unheimlich lauten Poltern.

Als ich mir das Stück Stoff vom Kopf zog merkte ich, dass es mein Mantel war. Des Weiteren sah ich eine ziemlich perplex wirkende Skyler auf dem Boden hinter der offenen Ladentür sitzen. Mir wurde klar, was passiert sein musste: Sie hatte wohl versehentlich bei dem Versuch weg zu kommen die Ladentüre geöffnet und war hinein geplumpst. Herrlich! Wie schusselig kann man sein?!

„Pahahahahahahahahahahahahaha! Dein Gesicht! Herrlich! Köstlich! Possierlich!“, lachte ich und zeigte mit meinem Finger auf sie. Ihr geschwungener Mund klappte auf. Das machte den Gesichtsausdruck noch um Welten besser!: „Ahahahaha! Puhuhuhuhu! Wie amüsant! Wirklich, wirklich amüsant!“

Irgendwie tat es mir ja schon leid, dass sich das junge Ding auf die Nase gelegt hat, doch ihr geschockter Ausdruck sah mal wieder zu köstlich aus!

Als Zeichen des guten Willens streckte ich ihr die Hand hin, konnte mein Pläsier aber nicht verstecken: „Du machst die besten Gesichter. Ich liebe dein Gesicht, wenn du dich so herrlich erschreckst, meine Liebe.“

Ihr Unterkiefer sackte weiter nach unten und ein sattes Rot unterstrich ihre verwirrten Augen: „Wa wa was?!“

Ich musste wieder kichern: „Ich sagte ich liebe dein Gesicht.“

Sie antwortete darauf nicht. Ihre blinzelnden Augen verrieten mir, dass sie noch versuchte mit meiner Aussage zurecht zu kommen. Wieso? Sie hatte ein schönes Gesicht und musste doch an Komplimente gewöhnt sein.

„Das ist übrigens nicht gut für dich“, sah ich wie Ronald aus dem hinteren Teil des Ladens nach vorne kam. Er wischte sich seine Hände an einem Lappen ab und war ganz verschmiert.

Skyler wirkte noch etwas irritierter, als sie über ihre Schulter zu dem blonden Sensenmann schaute: „Ronald?“

Er lachte: „Genau.“

„Was... ähm tust du hier?“, nach dieser Frage wirkte sie auf eine sonderbare Art aufgeregt: „Ähm... ich meine... ich.. du... du musst es mir natürlich nicht erzählen.“

Ronald lachte allerdings nur und schaute mich an. Augenscheinlich war ich nicht der Einzige, der sich an der verwirrten Tapsigkeit der jungen Dame erfreuen konnte: „Du hast es geschafft. Sie ist total durch den Wind“, Ron schaute das Mädchen wieder an: „Ich hörte ein Schreien, ich hörte ein Poltern und wollte mal schauen, ob Undertaker Besuch oder neue Arbeit hat.“

„Ahihihihi!“, entfuhr es mir auf diese Aussage. Ich hatte es zwar schon oft versucht, aber zu Tode erschreckt hatte ich noch keinen. Ich arbeitete noch dran: „Ich glaube, das ist sie öfter. Kann das sein, Skyler?“

Endlich nahm das Mädchen zögerlich meine Hand: „Ähm... Vielleicht...“

Ich zog sie hoch: „Ronald ist hier um mein Kühlregal zu reparieren. Es ist kaputt gegangen.“

„Was schlecht ist“, führte Ronald weiter aus: „Die fangen nach ein paar Tagen furchtbar an zu stinken. Ich lüfte schon seit Stunden.“

'Man kann sich auch anstellen', dachte ich mir mit einem Augenrollen, welches außer mir keiner mitbekam: „So dramatisch ist es auch nicht. Dieses Bouquet ist wunderbar!“

Skyler verlor ein weiteres Mal die Kontrolle über ihre Kinnlade. Ich wusste wieder wofür ich lebte. Genau für solche Gesichtsausdrücke! Allerdings bezweifelte ich, dass das Mädchen in meinen Laden gekommen war um mich zu bespaßen: „Doch was tust du hier?“

„Öööööhm“, sie wirkte aus irgendwelchen Gründen ein bisschen überrumpelt: „Ich... ich... ich wollte dir nur deinen Mantel zurückbringen...“

„Ahehehehehe und deswegen nimmst du den ganzen weiten Weg auf dich? Du hättest ihn mir geben können, wenn wir uns das nächste Mal gesehen hätten.“

Ich ließ ihre Hand los und hielt sie vor meinen kichernden Mund.

Verlegend faltete sie ihre Hände und schaute auf meinen staubigen Dielenboden: „Es wird kalt draußen und... und... und... Ich wollte nicht, dass du dich erkältest, weil ich deinen Mantel noch hab. Du... Du bist ja viel draußen… denke ich.“

Ronald fing zu lachen an. Ich musste mit machen. Für uns beide war es vollkommen klar, dass es ausgeschlossen ist, dass ich irgendeinem menschlichen Wehwehchen wie einer Erkältung oder Grippe unterliegen könnte. Für Skyler war es das natürlich nicht. Sie dachte schließlich sie sprach hier mit zwei Menschen. Ronald, Grell, William und ich hatten mit den Earls der Familie Phantomhive schon vor Jahrzehnten abgesprochen, dass es so für Außenstehende auch sein sollte. So süß die junge Lady auch war: Sie war eine Außenstehende.

„Was ist so lustig? Ich hab mir Sorgen gemacht!“, fragte sie irgendwo zwischen verwirrt und verständnislos.

Ronald lachte nur noch mehr. Ich musste ihr durch die Haare wedeln. Sie erinnerte mich irgendwie an ein beleidigtes Kätzchen: „Es ehrt mich, dass du dir Sorgen um mich machst, liebe Skyler. Doch sei dir sicher, dass dies nicht nötig ist.“

Mehr konnte ich dem jungen Ding leider nicht verraten.

„Aber... es ist so kalt draußen!“, rief sie vehement. Ein warmer Funken zündete sich in meinem Bauch an. Sie machte sich tatsächlich ehrliche Sorgen um meine Gesundheit. Doch in ihren Augen stand etwas, was mir verriet, dass diese Sorgen bei weitem nicht der einzige Anlass war. Das Trüb war aufgewühlt. Ich meinte Angst und viele präsente Sorgen, einige aufgewühlte Erinnerungen darin zu sehen.

Es krachte einmal hinter mir und ein zuckendes Leuchten erhellte kurz von hinter mir den Innenraum meines Shops. Dann hörte ich das Prasseln heftiger Regentropfen und sie schlugen schwer und nass gegen meinen Rücken.

Kichernd blinzelte ich in die schweren, regnenden Wolken: „Ja, vielleicht hast du Recht.“

Ich trat in den Laden. Skyler ging einen Schritt nach hinten und ich konnte die Türe schließen. Dass es zweimal klickte verriet mir, dass Ronald die Fenster wieder geschlossen hatte, die er vor ein paar Stunden so empört aufgerissen hatte.

Ich legte die Errungenschaften meiner kleinen Shoppingtour wie meinen Mantel auf den großen Tresen und streckte der jungen Sky meine Hand entgegen: „Lass mich dir deine Jacke abnehmen.“

„Ähm... Ich wollte nicht lange belieben, eigentlich wollte ich dir nur kurz den Mantel wiedergeben und dann wieder verschwinden...“

Ich verzog eine Schnute. Das war doch mal wieder gelogen. Sie wollte irgendetwas von mir, doch wieder schien sie sich selbst im Wege zu stehen. Was ein verwirrtes, junges Ding: „Das klingt so, als wärst du nicht gerne bei mir zu Gast. Sag, hat dir meine Gastfreundschaft in irgendeiner Form nicht zugesagt?“

„Nein, nein, nein das ist es nicht. Ich... Will dich nur nicht von wichtigen Dingen abhalten“, wedelte sie mit ihren Händen. Das Rot wurde dunkler.

'Knuffig!', kicherte ich stumm in mich hinein. Hatte ich ihr nicht zu verstehen gegeben, dass sie immer zu mir kommen konnte? Warum verstand sie es einfach nicht?: „Ich habe nichts zu tun was wichtiger wäre als du, liebe Skyler.“

Sie wirkte wieder so wunderbar überfordert. Dann wurde ihr Blick auf einmal furchtbar traurig. Mein Herz übersprang einen Schlag, als mir dieser Ausdruck gewahr wurde. Irgendetwas musste passiert sein und alles an dem Mädchen schrie, dass sie darüber sprechen wollte. Doch aus irgendeinem Grund wirkte sie, als wüsste sie nicht wie.

'Luft holen, Mund aufmachen, Sprechen“, murmelte ich in meinen Gedanken. Es war doch so einfach. Doch gerade glaubte ich meine Gedanken zu äußern würde sie nur noch mehr erschüttern und vertreiben. Sie so gehen zu lassen, unausgesprochen, widerstrebte mir in jeder Faser meines Körpers.

„Aber du... hast Besuch. Ich möchte euch beide wirklich nicht stören.“

Ronald lachte: „Wie könnte so ein schönes Mädchen wie du stören.“

Ron zwinkerte Skyler zu, woraufhin sie ihr Gesicht nach unten drehte. So schüchtern und beschämt: Das Mädchen war eine Augenweide.

„Ich bin nur allzu geneigt Ronald zu zustimmen“, kicherte ich und legte zwei Finger unter ihr Kinn um sie zu mir zu drehen. Sky musste den Druck in ihr drin los werden, das war so offensichtlich. Doch von alleine würde sie nicht sprechen. Warum hatte sie nur so Probleme sich mitzuteilen? Lag es an mir?

Ich kicherte: „Außerdem geht draußen gerade die Welt unter, hehehe. Und ich sehe bei dir nirgendwo einen Regenschirm. Du denkst nicht wirklich, ich lasse dich in diesem Wetter nach Hause laufen, nass und wieder krank werden?“

„Genau“, unterstützte mich der junge Sensenmann: „Draußen regnet es junge Hunde. Es ist schön dich gesund und munter wiederzusehen, Sky. Geht es dir wieder gut?“

Skyler drehte ihren Kopf auf meinen Fingerspitzen ein Stück zu Ronald und sie schenkte ihm ein fruchtbar falsches Lächeln: „Ja, danke. Es geht mir wieder gut.“

Es war so fruchtbar. Es war ja noch schlimmer und schärfer als beim letzten Mal!

Ronald legte den Kopf schief und schien meine Gedanken zu teilen, nur bezog er seine Auffassungen auf eine andere Situation: „Sicher? Das muss ein ziemlicher Schreck gewesen sein.“

„Ja schon... Aber ich bin wieder in Ordnung.“

Nur der Regen und der Donner unterbrachen die Stille kontinuierlich, die sich in meinem Laden ausgebreitet hatte. Körperlich schien das Mädchen wirklich wieder gesund, doch wie sah es innen aus?

Es nützte niemanden etwas, wenn sie innerlich einginge und irgendwie hatte ich das unbestimmte Gefühl sie war gerade dabei: „Nun? Was ist nun? Wie wäre es mit einem warmen Tee. Es ist ja kalt draußen“, für Menschen. Shinigamis hatten damit nun wirklich kein gesteigertes Problem. Ich musterte das Mädchen: Ihr Poncho war dick und sie trug eine Strumpfhose, doch die Schuluniform war nun wirklich nicht der geeignete Aufzug für kalten Herbstregen: „Vielleicht hättest du dir etwas anderes anziehen sollen.“

„Och“, machte Ronald und grinste dreckig: „Find' ich jetzt nicht.“

Bei diesem unverblümten Ausruf ließ ich meine Hand hinunter fallen und schaute den Grim Reaper mit einer versteckten hochgezogenen Braue an: 'Deine Manieren sind erstaunlich. Wirklich.'

Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Skyler ihren Kopf reichlich desillusioniert zu dem Jungen drehte. Ich konnte mir wirklich nicht erklären, warum sie so komisch auf Komplimente reagierte. Dies bedarf weiterer Untersuchungen. Ich musste stumm kichern, in einer gewissen Vorfreude auf eine Menge herrlich Gesichtsausdrücke die dieses Unterfangen mit sich bringen wird.

Ronald lehnte nonchalant auf meinem Tresen und musterte uns mit einem komischen Ausdruck. Was er mir damit sagen wollte begriff ich nicht ganz, doch er schien sich zu amüsieren. Das freute mich wirklich. Amüsierte und fröhliche Wesen freuten mich.

Ronald hob die Hände aufgrund unserer Blicke: „Ist gut, ist gut. Ich habe nichts gesagt.“

Doch der Jüngling hatte seine Züge einfach nicht gut unter Kontrolle und sein unterdrücktes Lächeln sah aus, als litte er unter Verstopfung: „Ihr beide habt 1:1 denselben Gesichtsausdruck drauf.“

Ich schaute wieder zu der kleinen Skyler. Diese musterte mich reichlich irritiert. Ich konnte ihr ja nicht sagen, dass Ronald mich schon seit ein bisschen mehr als 100 Jahren kennt und sich somit meinen Gesichtsausdruck vorstellen kann. Generell bringt das teilweise nicht gut überlegte Geplapper mich ein bisschen in Teufelsküche. Wir müssen schließlich Stillschwiegen bewahren. Doch ich war guter Dinge Ronalds Aussprüche so drehen zu können, dass das Mädchen zwar verwirrt sein wird, aber nicht ahnte was wirklich los war.

„Nun? Was ist nun?“, streckte ich ihr wieder meine Hand in der Erwartung ihres Ponchos entgegen.

Sie seufzte sanft, doch unglaublich sorgenschwer: „Wenn es euch wirklich nicht stört...“

Schließlich gab sie mir endlich ihren Poncho und ich konnte ihn mit meinem wiedergewonnenen Mantel an die Garderobe zu Ronalds halbem Anzug hängen.

Dieser grinste zweideutig, als er das Mädchen mit eindeutigem Interesse musterte. Dieser Ausdruck gefiel mir nicht: „Diese Uniformen sind wirklich nicht schlecht.“

Diese Aussage gefiel mir aus mir undefinierten Gründen noch viel weniger.

Skyler wusste auch nicht so ganz, was sie antworten sollte: „Äh... Ja...“

„Also ich meine...“, begann Ronald wieder, doch ich konnte mir seine furchtbaren Manieren nun wirklich nicht mehr antun. Also gab ich ihm mit meinen langen Finger einen Klaps vor den Hinterkopf, als ich zur Küche wollte um Tee für uns zu kochen: „Benimm dich, du Schandmaul.“

„Aua“, machte Ronald leise und rieb sich die Stelle am Hinterkopf: „Ich hab doch gar nichts gemacht...“

Die Beleidigung in seiner Stimme gefiel mir dann doch wieder ziemlich gut: „Noch nicht, hehe.“

Als ich meinen prähistorischen Wasserkocher mit Wasser fühlte und die Teebecher vorbereitete, hörte ich Skylers und Ronalds Stimmen vor der Türe. Ich konnte nicht anders als mit großen Ohren zu lauschen. Vielleicht ließ sie ja Ron gegenüber etwas fallen. Sie müsste ihn in einem ähnlichen Alter wie sich selbst vermuten.

„Warum bist du so nervös?“, sprach Ronald. Seine Stimme war gedämpft von der Türe, aber deutlich.

„Ähm... Ich weiß nicht. Ich hatte einfach keinen guten Tag...“, sprach Skyler. Ihre Stimme war viel leiser und das beginnende Blubbern des Wasserkochers machte es nicht einfacher, doch ich verstand sie.

„Es liegt nicht an unserem allseits geliebten Sonderling?“

Ich musste kichern.

„Nein. Das glaube ich nicht.“

„Du glaubst?“

Ich zog die Augenbraue hoch, als ich Ronalds Frage beipflichtete und eine Urne mit Keksen auf das Tablett stellte.

„Ja...“

Ich hörte Ronald lachen. Dann war es für eine Weile ruhig vor der Tür.

„Du... kennst Amy gut?“, hörte ich Skylers Stimme nun etwas lauter als zuvor. Mein Wasserkocher klickte und ich goss das dampfende Wasser in die drei Messbecher.

„Joa schon.“

„Woher?“

Ich stockte: „Sag jetzt bitte nichts Falsches“, flüsterte ich.

„Och, der Arbeit wegen.“

„Okay... Als was arbeitest du? Mechaniker? Amy sagte, du bist öfter hier um etwas zu reparieren.“

Hätte ich meine Hand nicht vor meinen Mund gepresst, hätte man mein Kichern sicherlich im Verkaufsraum gehört. Sie war so herrlich unschuldig und unbedarft, was den ganzen übernatürlichen Hokuspokus anging. Es war erfrischend.

Ronald lachte: „Ja, ich habe eine Zeit als etwas gearbeitet, was man als Mechaniker bezeichnen könnte.“

„Hmhm“, machte ich zu mir selbst: „Du hast an Death Scythes herumgeschraubt. Ich weiß ja nicht, ob sie so etwas meint, hehehehehe.“

Es war wirklich schwer meine Belustigung im Zaum zu halten.

„Und was machst du jetzt?“

Ein kurzes Schweigen. Meine Ohren wurde größer in Erwartung nahenden Unheils: „Äh... Außendienstmitarbeiter.“

'Gut gerettet', musste ich ihm zugestehen.

„Aha. Welche Firma?“

Ich konnte mir Ronalds Verzweiflung bildlich vorstellen und fing an zu giggeln, als ich ein weiteres Mal meine Hand vor den Mund drückte.

Es war ja wirklich amüsant, aber ich konnte nicht riskieren, dass Ronald am Ende doch noch etwas ausplauderte ohne es zu wollen. Also stellte ich noch schnell die Zuckerschale auf das Tablett und ging wieder zu meinen beiden atmenden Gästen. Ohne Eile stellte ich das Tablett auf den Tresen. Das Gespräch der Beiden schien dadurch unterbrochen zu sein. Als ich Ronald einen Becher gab beschaute er ihn komisch: „Da war aber nichts Unappetitliches drin, oder?“

Ich kicherte: „Ahihihi. Ich glaube nicht.“

„Ich hoffe“, sagte Ronald und süßte seinen Tee: „Formaldehyd hat einen komischen Nachgeschmack.“

Ich hielt auch Sky einen Becher hin, doch sie sah es erst nicht. Sie schaute Ronald an und versuchte augenscheinlich gerade seine Aussage zu ergründen.

„Schau nicht so skeptisch, ahehehe“, unterbrach ich ihre Gedanken, die ich förmlich rattern hörte: „Es ist nichts drin, was irgendwie schädlich wäre.“

Dann machte ich meinen Tee trinkfertig. Ein Stückchen. Zwei. Drei. Vier. Fünft. Sechs. Sieben. Acht. Neun. Zehn. Elf. Zwölf. Dreizehn. Dann rührte ich um.

Skyler nahm einen Schluck von ihrem mit einem nicht allzu glücklichen Lächeln. Irgendwann stecke ich sie, wenn sie dieses Gesicht machte, in einen Leichensack. Als therapeutische Maßnahme.

„Nein“, machte Ronald sarkastisch und gedehnt: „Vielleicht nur ein Rest Leber oder Niere oder Herz, oder was du sonst noch so aus deinen 'Gästen' rausschnibbelst und in deinen Messbechern zwischen lagerst.“

Mein Kopf flog von Ronald weg, als Skyler in just diesem Moment einem kleinen Anfall unterlag. Ich musste lachen. Der Klassiker. Ihr Gesicht war fast so gut wie das von Lao beim ersten Mal gewesen war. Auch er hatte den Tee in die Nase gekriegt!

Ich konnte mich nicht mehr halten. Old but gold! Ich haute mit meiner Hand auf den Tresen: „Herrlich! Ahahahahahahahahahaha!“

Ronald hörte ich ebenfalls kichern.

Wie immer lachte ich ein wenig länger als angebracht: „Wuwuwuwuwuwu! Nein, keine Sorge. Das ist nicht der Fall.“

„Was?“, hörte ich eine junge, weibliche Stimme mit einem Hauch Sarkasmus: „Dass du deine Gäste zerfledderst oder dass du Teile von ihnen in die Messbecher wirfst, aus denen du auch deinen Tee trinkst?“

„Äh... Ehehe! Ich 'zerfleddere' sie nicht, ich seziere sie. Aber das mit den Organen stimmt schon. Irgendwo müssen sie ja bleiben, bis ich mich weiter mit ihnen beschäftigen kann. Aber die Becher sind unbedenklich. Wirklich. Oder schmeckt der Tee komisch?“

„Nun... Nein. Er schmeckt gut, danke.“

Nachdem Ronald anfing selbst seinen Tee zu trinken, wanderte mein Kopf zu ihm als er mit mir sprach: „Deine Kühlzellen funktionieren jedenfalls wieder.“

„Ich danke dir zutiefst, lieber Ronald. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“

„Oh, ich hätte was! Trainiere mit mir!“

'Natürlich. Schreib dir doch noch Sensenmann auf die Stirn. Denk doch einmal nach, Junge...'

Trotz allem legte ich lachend meinen Kopf schief. Er hat ja keine Ahnung. Man sollte immer vorsichtig mit dem sein was man sich wünscht, es könnte wahr werden: „Willst du das wirklich?“

„Ja!“, sein erfrischender jugendlicher Übermut beschwichtigte mich ein Stück. Ich konnte jetzt eh nur noch die Kohlen aus dem Feuer fischen, die Ronald mit beiden Händen hinein geworfen hatte: „Wenn ich von dem Besten lerne, komme ich vielleicht endlich an Grell und William heran! Es nervt ewig das Küken zu sein.“

„Nun, wenn du dir wirklich sicher bist. Ein Spaziergang wird es aber nicht werden, ahehehe.“

Ronald lächelte selbstbewusst: „Ich vertrag das schon.“

'Überschätze dich nicht. Hehe. Doch egal: Ich werde meine Freude daran haben. Dafür werde ich sorgen.'

„Oh“, schaute Ronald Skyler an und schien jetzt erst ans denken zu kommen: „Äh. Vergiss es einfach.“

„Ooookay“, viele Fragen huschten durch die Augen des Mädchens. Sie konnte sich augenscheinlich auf nichts einen Reim machen. Diese Jungspunde, die nun durchs Dispatch hüpfen, müssen definitiv mehr und öfter nachdenken.

„Wird es nicht bald Zeit für die Jahresendabrechnung? Soll ich dir William vorbei schicken?“, fragte Ronald irgendwann als er feststellte, dass von Skyler nichts mehr kam und trank eine großen Schluck Tee hinterher.

Hätte er das Thema nicht mit etwas Lustigem wechseln können? Jahresendabrechnung. So typisch Shinigami: „Naaaaaa. Erinnere mich nicht daran.“

„Wie kommst du eigentlich alleine zurecht? Ich meine du solltest nach den etlichen Jahren Bürokratie doch echt gewöhnt sein. Kannst du nicht oder willst du nicht? Sag mir nicht du lässt William immer antanzen nur weil du keine Lust hast es selber zu machen?“

„Gut“, grinste ich: „Dann sage ich nichts.“ War das nicht offensichtlich? Ich war Jahrhunderte ein Sensenmann gewesen. Wenn ich in Etwas ungeahnt viel Routine hatte die ich tragischerweise nie wieder loswerden würde, war es Papierkram. Das machte ihn nur leider nicht spannender und ich hatte ja William.

Ronald lachte: „Du bist furchtbar.“

'Du auch. Du und dein unüberlegtes, schnelles Mundwerk', bei Zeiten werde ich ihn mal drauf ansprechen ob er meinte er benutze seine grauen Zellen oft genug.

Skyler wirkte so endlos fehl am Platz, dass ich mich ihrer erbarmen wollte: „Keks?“, hielt ich ihr einen meiner Lieblingsplätzchen hin. Sie waren aus Dinkelmehl mit mehren Gemüsesorten.

„Oh danke“, nahm sie zögerlich den Keks.

„Tu das nicht!“, rief Ronald aus als Skyler abbiss. Mir ging auf, dass ich sie nicht vorgewarnt hatte, was es für Kekse waren. Ich vergaß es tatsächlich meistens, weil es für mich so selbstverständlich war. Natürlich konnte ich mich trotzdem an ihrem angeekelten Gesichtsausdruck so gut erfreuen wie bei allen anderen auch.

„Was sind das für Kekse?“, fragte sie mich, nachdem sie mehrere Minuten mit sich selbst diskutiert zu haben schien, ob sie wirklich hinunterschlucken wollte.

„Was denkst du?“, fragte ich amüsiert.

„Ich... weiß nicht“, musterte sie den Keks nur allzu skeptisch.

Ronald legte die Hand über die Augen: „Hundekekse...“

„Bitte?“, piepste Sky.

'Hehehehehe!'

Ronald schien irgendwo zwischen Mitgefühl und Amüsement zu hängen: „Das sind Hundekekse. Er isst sie ständig.“

Sky drehte irritiert den Kopf zu mir: „Ehrlich?“

Ich wackelte mit meinem. Dieser Ausdruck befriedigte meine Vergnügungssucht zutiefst: „Schmecken sie dir nicht?“

Dann nahm ich ihr das angebissene Stück aus der Hand und schob es in meinen Mund. Man soll ja nichts verkommen lassen.

„Nein... Nicht mein Fall.“

„Schade.“

Ronald kippte den Rest seines Tees hinunter und schaute auf seine Armbanduhr: „Ich muss zurück. Ich hab noch Arbeit auf dem Tisch und habe keine Lust, dass mich William wieder zu Überstunden verdonnert.“

Aus dem Augenwinkel sah ich Skylers Augenbraue in die Höhe wandern. Irgendwie tat sie mir ja schon leid.

Doch ich lachte: „Melde dich bei mir um dir deine Belohnung abzuholen.“

Ronald stieg ein: „Darauf kannst du Gift nehmen.“

Dann krempelte er seine Ärmel herunter und zog das Jackett über. Krawatte und Weste hielt er in der Hand. Kurz lächelte er zu Skyler: „Sky? Wir sehen uns sicher wieder. Kommst du zu Halloween?“

„Öhm“, nickte sie ein wenig aus der Reserve gelockt: „Ja, komme ich.“

„Dann sehen wir uns da“, lächelte Ronald und winkte: „Bis dann. Bye Undertaker. Wir hören uns.“

Ich winkte mit einer Hand, als er meinen Tresen passierte.

„Du hast doch auch keinen Schirm dabei!“, rief Sky auf einmal.

Es war teilweise wirklich schlecht, dass wir über Dinge nicht nachdachten, weil sie für uns einfach unerheblich waren. Für Menschen jedoch nicht.

Ron drehte sich um und steckte seinen Zeige- und Ringfinger in die Luft: „Ich hab's nicht weit.“

Dann verschwand er aus der Hintertür. Ich wusste, dass er im Hinterhof das Tor in die Shinigamiwelt öffnen wird und trocken im Büro ankommen würde. Skyler war dies natürlich nicht klar.

Sie drehte sich zu mir, wahrscheinlich in der Hoffnung auf Antworten. Ich werde sie in dem Punkt solange enttäuschen müssen, bis Alexander mir grünes Licht gab. Schließlich hatte ich mich den Phantomhives zum Gehorsam verschrieben. Nicht so bedingungslos wie Sebastian, aber ich hielt mich meistens daran. Die Earls der Phantomhives griffen die Dinge ja auch nicht aus der Luft. Mit: 'Hallo, ich bin der Tod und mehrere hunderttausend Jahre alt', stellte man sich wirklich nicht gut vor.

„Weswegen bist du wirklich hier?“, fragte ich schließlich und nahm einen weiteren Schluck meines Tees.

Das fand ich doch gerade wesentlich interessanter als eine Jahresendabrechnung.

„Öhm... Sagte ich doch. Ich wollte dir deinen Mantel bringen.“

„Und?“

„Nichts...“, sie schaute zur Seite: „Und.“

Ich seufzte. Womit hatte ich es verdient, dass sie mich so offensichtlich mit Lügen strafte? Warum machte sie nicht einfach ihren hübschen Mund auf und sprach was sie auf der Seele hatte? Ich legte ihr wieder zwei Finger ans Kinn und drehte ihr hübsche Gesicht zu mir: „Was habe ich über Lügen gesagt, mein Liebe?“

„Ich lüge nicht...“, log sie unverfroren.

Das hielt mein Grinsen nicht aus: „Also, zu lügen in dem man sagt man lüge nicht ist ziemlich dreist, oder?“

Sie drehte ihren Kopf von mir weg. Eine heftige Reaktion. Das Mädchen wirkte auf einmal vollkommen verzweifelt und endlos wütend. Sie starrte zu Boden und ich sah, dass ihre angespannten Hände und Arme zu zittern begannen. Was war bloß passiert?

Ich ging um meinen Tresen herum und legte ihr die Hand auf die Schulter. Meinen Kopf neigte ich zur Seite, damit mein Pony von einem Auge rutschte und ich sie besser sehen konnte: „Was hast du, Sky? Sag nicht nichts, oder schauspielere besser.“

Sie sah mich kurz an: „Ich...“, dann schaute sie wieder auf den Boden: „Schauspielere nicht...“

Ich schüttelte kurz mit dem Kopf und drehte sie dann herum. Ihr Becher ging dabei zu Boden. Sei es drum! Das junge Ding litt aus irgendwelchen Gründen wie ein Hund und ich hatte das unmissverständliche Gefühl sie müsse endlich sprechen, ansonsten wurde sie verrückt. Mit einem Arm an ihrer Taille zog ich sie zu mir. Vielleicht merkte sie dann endlich, dass sie mir alles erzählen konnte. Ich hielt ihr Gesicht mit der anderen Hand. Sie versuchte meinen Blick auszuweichen, aber ich hielt ihr Kinn so, dass es nicht funktionierte: „Warum lügst du mich an? Vertraust du mir nicht?“

„Nein... das ist es nicht...“, sprach sie nach ein paar rasenden Gedankengängen. Ich sah sie ganz deutlich in den himmelblauen Augen. Genau wie ihr Leid und ihre Angst.

„Was ist es dann?“

„Ich... kenne dich doch gar nicht richtig...“

„Warum bist du dann hergekommen? Du sagtest zu Ronald du hättest einen schlechten Tag.“

Wieder sah ich in ihren Augen, dass sie sich fragte woher ich Bescheid wusste: „Ich habe sehr gute Ohren. Doch nun erzähle.“

„Ich... Ich habe heute einen Brief bekommen...“

„Und darüber möchtest du sprechen?“

„Nein... eigentlich nicht.“

Eine Lüge! Schon wieder! Doch anstatt sauer machte mich der Ausdruck in ihren Augen eher traurig: „Sky?“

„Ja?“

„Belüge mich nicht. Du bist wirklich nicht gut darin.“

„Ich... weiß nicht ob ich lüge“, antwortete sie schließlich zögerlich und schaute dann doch weg.

Dieses mal wirkte das Mädchen ehrlich und ehrlich verwirrt: „Das glaube ich dir. Aber ich bin mir sicher du tust es. Vertraue mir. Schau mich an.“

Ihre Augen wanderten langsam wieder zu mir. Ich musterte sie kurz: „Und jetzt sage mir ein weiteres Mal, dass du nicht sprechen möchtest.“

Sie blieb stumm. Ich hatte die Erfahrung gemacht, dass die Leute nicht mehr logen, sobald sie in meine Augen schauten. Ich wusste um ihre Wirkung, deshalb versteckte ich sie und weil natürlich jeder, der die Sensenmänner kannte, mich sofort als einen identifizieren würde. Meine Augen hatten mir schon oft gute Dienste geleistet. Sowohl damals im Dispatch, als auch bei den Menschen: „Nun?“

Ich merkte wie sie in meinem Griff zu zittern anfing. Eine furchtbare Spannung lag in ihren Augen. Ich konnte sie fast körperlich spüren. Wenn sie schon so an mir riss, wie riss sie dann an ihr? Sie wirkte in ihrem Selbst soviel unsicherer als ich in meinem: „Ich hab ein offenes Ohr für dich“, Ich lächelte wieder. Unter keinen Umständen sollte sie jetzt denken ich sei verstimmt oder sauer: „Wirklich. Vergiss nicht: Ich lüge nie.“

„Der Brief war vom Jugendamt...“

„Jugendamt?“

„Ja... Seit ich sieben bin lebe ich im Heim.“

Mit diesem Satz machte auf einmal vieles mehr Sinn. Er implizierte eine schmerzvolle Vergangenheit. Im Heim landete man nicht wegen ungefähr. Vielleicht war das Mädchen Komplimente wirklich nicht gewohnt und war oft hin und her gereicht worden. Das würde erklären, warum sie es verlernt hatte ihre Probleme anzusprechen. Vielleicht hatte sie nie jemanden zum Reden gehabt. Ich wollte das ändern! Unbedingt! Und genauso unbedingt wollte ich ihre Geschichte hören und sie endlich gänzlich zu verstehen. Dieses schöne, gebrochene junge Ding: „Warum?“

„Weil“, sie schien wieder mit ihrer Antwort zu hadern.

„Hm?“, machte ich, um sie zum Sprechen zu ermutigen.

Ein gequältes Durchatmen erklang: „Weil meine Eltern nicht so dolle sind.“

Ich wollte wissen inwiefern, doch ich durfte sie jetzt auf keine Fall drängen. Sollte ich heute nur an der Oberfläche ihrer Geschichte kratzen, sei es so. Ich hatte eine Menge Geduld: „Und was stand in dem Brief?“

„Das sie... Kontakt zu mir aufnehmen wollen...“

„Und das möchtest du nicht?“

Natürlich erübrigte sich die Frage eigentlich. Es war nur allzu offensichtlich, dass der pure Gedanke sie um den Verstand brachte: „Glaub mir, Sky. Ich habe viel, viel gesehen in meiner beruflichen Laufbahn. Die menschlichen Abgründe sind tief. Ich kenne sie. Ich halte sicherlich nichts was du mir erzählen würdest für zu weit hergeholt, um es dir zu glauben. So viele Kinder sind mir begegnet die gestorben sind, weil ihre Eltern sie nicht beschützt haben, wie sie sollten. In einigen Fällen waren die Eltern sogar schuld gewesen. Das ist schrecklich und ich habe diese Menschen, die sich Eltern nennen wollten, zutiefst verurteilt.“

Dass ich damit nicht meine Laufbahn als Bestatter meinte, blieb hinter geschlossenen Lippen. Doch als Sensenmann hatte ich unfassbar viel gesehen. Kinder zu holen hatte ich immer gehasst. Kinder sollten leben und viele sind wirklich sehr erbärmlich vor die Hunde gegangen. Wenn für ein Kind der Tod eine Erlösung ist, dann läuft die Welt definitiv nicht richtig. Dieser Umstand hatte sich heutzutage Gott sei Dank ein wenig geändert. Ich beglückwünschte die Menschen und auch die heutigen Reaper zu dieser Tatsache.

Doch gerade schaute mich ein hübsches junges Ding so unsagbar zerstört an. Ihre Augen waren nicht nur trüb, sie lagen in Scherben. Tränen glitzerten darin wie kleine Splitter:„Ich verurteile auch deine Eltern zutiefst. Niemand sollte so traurig schauen wie du gerade.“

Urplötzlich schlug sie die Lieder zusammen und entließ so zwei große Tränen in die Freiheit, als sie gequält schluchzte. So mochte ich ihr Gesicht nicht.

„Oh weh“, strich ich ihr behutsam die Tränen aus dem Gesicht. Wie viel Leid muss dieses kleine Ding ertragen haben? Warum taten sich Menschen gegenseitig so etwas an? Eltern ihren Kinder? Sie sollten sich doch gegenseitig bedingungslos lieben und vertrauen können. Es war nicht selbstverständlich Familie zu haben. Dämonen haben keine, Engel haben keine, Sensenmänner haben keine. Diesen Luxus hatten nur die Menschen. Warum traten manche ihn so mit Füßen, dass eine junge Frau vor Angst und Trauer in Tränen ausbrach wenn sie an ihre Eltern dachte? Ich legte ihr die Hand auf den Hinterkopf und zog sie in eine feste Umarmung. Sie brauchte es, ich fühlte es als ich durch ihre weichen Haare strich: „Weine, wenn du weinen musst. Du musst dich hier nicht zurückhalten und für nichts schämen.“

Sie zitterte in meinem Arm wie Espenlaub. Mein Herz wurde schwer davon: „Wenn ich etwas tun kann damit es dir besser geht, sag einfach Bescheid.“

Dann krallte sie sich in mein Oberteil. Es überraschte mich ein Stück weit, doch ich ließ meine Hand weiter durch ihre Haare geleiten. Allerdings war mir ihr Dutt dabei im Weg, also zog ich die paar Spangen heraus um freie Bahn zu haben. Eine ganze Zeit lang krallte sie eine Hand in meinen Mantel und weinte. Bitterlich. Es klang so, als ob sie noch versuchte es immer wieder zu ersticken, doch es nicht schaffte. Was gut war. Es musste raus. Diese ganze negative Spannung, sie musste raus.

Irgendwann wischte sie sich durchs Gesicht: „Es tut mir leid...“

„Hehehe“, kicherte ich meinem Naturell entsprechend. Jetzt zu sehr von mir abzuweichen wäre eine neue Quelle von Verwirrung. Ich zweifelte gerade daran, dass es gut wäre: „Warum entschuldigst du dich immer?“

„Weil... Mir das peinlich ist...“

„Hahahahahaha! Warum denn?“, amüsierte es mich dann wieder ehrlicher.

Sie schaute mich kurz an, schlug dann die Augen nieder: „Weil... ich dich kaum kenne und hier stehe und dir die Ohren voll heule wie ein kleines Kind. Das war sicher... nicht so toll für dich...“

Ich lachte durch die geschlossenen Lippen: „Ich hab doch gefragt. Wer fragt, muss auch den Schaden tragen. Vergessen?“

„Ja, aber...“

Ich wuschelte ihr wieder durch die Haare. Nun flogen sie ungehemmt durch die Luft und landeten auch in ihrem schönen, schmalen Gesicht. Als sie mich anschaute, versuchte sie vergebens ihre Haare aus dem Gesicht zu pusten. Es sah lustig aus und brachte mich zum Kichern. Zu meiner Erleichterung kicherte Skyler mit.

Ihr Gesicht war immer noch ganz nass. Hier und da klebten ihre Haare an der feuchten Spur, die ihre Tränen hinterlassen hatten. Also zog ich ein Taschentuch aus der Tasche und hielt es ihr mit zwei Fingern vor das Gesicht.

„Danke“, schob sie mit einer Hand ihre Haare aus dem Gesicht und trocknete sich dann die Augen und die Wangen.

Es war mir unbegreiflich warum, aber ihr Gesicht nahm wieder einen roten Ton an und sie schaute zu Boden.

„Oh!“, tat sie einen Schritt zur Seite und ich entließ sie aus meinem Griff.

„Es tut mir leid!“, quiekte sie auf einmal und hob ihre Hände vors Gesicht: „Ich...“, ihre Augen flogen viel zu schnell durch meinen Laden: „Mach das sofort weg!“

Dann sah ich die Teepfütze auf den Boden und die kleine Glühbirne erhellte ein weiteres Mal meine Gedanken. Ich hielt das Mädchen am Arm, als sie Ronalds schmuddeligen Lappen greifen wollte: „Hehe. Lass nur. Ich mach das gleich.“

„Aber... ich hab ihn fallen lassen.“

„Wirklich?“

Sie zog eine Augenbraue hoch: „Äh... Ja?“

Diese Mimik war so drollig! Wie weit sie ihre Augenbraue nach oben bekam! Definitiv lag in diesem Ausdruck sehr viel Übung!

„War das eine Frage oder eine Aussage?“, konfrontierte ich sie damit, dass ich das große, rote Fragezeichen sehr wohl herausgehört hatte. Es blinkte immer noch über ihrem Kopf.

„Äh... Aussage?“

„Und das?“

„Öhm... Aussage?“

„Und das?“

„Ähm... Aussage?“

„Und das?“

Sie zog eine Schnute.

„Ahehehehehehehehehehehe! Dieses Gesicht! Tihihihihihihi! Bezaubernd! Entzückend! Ahahahahaha!“

„Was hast du eigentlich mit meinem Gesicht?!“

Ich zog sie zu mir. Hatte ich es ihr heute nicht schon mal gesagt? Wahrscheinlich muss ich es einmal unmissverständlich machen: „Ich mag es, hehe. Deine Ausdrücke sind herrlich! So vielseitig! Und wie rot du immer wirst. Possierlich, wirklich. Hihi.“

Ein weiteres Mal musste ich aufgrund ihres Blinzelns und rotem Gesichtes kichern: „Außerdem, wenn meine Gäste anfangen bei mir zu putzen, leg ich mich selbst auf eine Bahre, ahehehehe.“

„Oooookay. Ist alles ok bei dir?“

„Fuhehehehehehe! Das fragt die Richtige!“

Sie zog wieder die Augenbraue nach oben. Mir fiel auf, dass sie es öfter tat. Der irritierte Ausdruck allerdings gefiel mir und ich lachte noch mehr. Dann hob ich einen Finger und wackelte damit an ihrer hochgezogenen Augenbraue herum: „Und diese Augenbraue! Ahahahahahaha! Ich hab die wahre Freude meines Herzen gefunden!“

Ihr Mund klappte auf. Der Gesichtsausdruck wurde immer besser, als ich an ihrer Braue herum wackelte. Herrlich! Dann klappte ich ihr den Mund zu: „Hör auf so zu schauen! Puhuhuhuhuhu! Oder ich sterbe! Das wäre Mord, hehe!“

„Klar“, nickte sie langsam: „Klingt logisch... Oder so.“

„Andererseits“, ich nahm wieder meinen Finger und bewegte ihn zu ihrer Braue: „Das sieht zu gut aus! Fu fu fu fu! Mach's doch noch mal! Tehe!“

Skyler paschte mir auf die Hand: „Hey!“

Doch so schnell ließ ich mich nicht abbringen: „Ach komm schon! Hihi!“

Sky befreite ihre andere Hand und erwehrte sich nun mit beiden: „Nein! Lass das! Hast du mal was von 'Persönlicher Komfortzone' gehört?!“

„Pahahahaha! Komfortzone! Hab dich nicht so!“, schnappte ich mir wieder ihre zweite Hand. Mit der anderen haute sie immer wieder meine, doch ich versuchte es immer weiter: 'Tehehehehehe! Herrlich!'

Außerdem brauchte das junge Ding ganz dringend etwas Ablenkung.

Dann lachte Sky ihr helles, leises Lachen. Sie wirkte beim Lachen immer irgendwie verhalten. Irgendwann schaffte sie es ihre Hand wieder aus meiner zu ziehen und sie drückte sie gegen meine Wange: „Haha! Jetzt hör auf damit!“

Mein Kopf wurde nach hinten gedrückt und ich musste ganz komisch schielen um Skyler noch sehen zu können. Was man so alles sehen nennen wollte: Schlechter Winkel, Haare überall und ohne Brille: Ich sah nichts.

Doch ich schlängelte instinktgesteuert meine Hand an ihrer vorbei, traf aber nur ihre Nasenspitze. Das war eigentlich nicht schlecht. Dann drehte ich belustigt ihre Nasenspitze: „Tihihi! Bitte! Ich will es noch einmal sehen!“

Sie ging ein paar Schritte nach hinten: „Nein!“, lachte sie.

Jetzt wo ihre Hand fehlte streckte ich meine Wirbelsäule wieder: „Bitte!“

„Haha, Nein!“

Wieder streckte ich den Zeigefinger aus und ging mit selbigem kreisend auf sie zu: „Tu mir doch den Gefallen. Hehe!“

„Hey!“, sie huschte an mir vorbei und brachte einen Sarg zwischen uns: „Nicht ins Gesicht!“

'Flinkes Ding', mein Grinsen wuchs: „Oh, eine kleine Verfolgungsjagd. Ist eine Weile her, dass ich so etwas mit Lebenden gemacht habe.“

„Was?!“

Ihre geweiteten Augen hingen an mir, als ich mich nonchalant über den Sarg schwang. Ich muss auf Fremde wohl um einiges ungelenker wirken, als ich war.

Sky blinzelte verwirrt und rannte weg, als mein Finger wieder die Jagd nach ihrer Augenbraue aufnahm.

Sie zu necken war herrlich!

„Haha! Hör auf!“, huschte das zierliche Ding durch den Verkaufsraum. Ohne größere Probleme folgte ich ihr und amüsierte mich köstlich über die angestrengten Ausweichmanöver.

Sie schien von meinem Finger allerdings so abgelenkt, dass sie ihre Beine zu sortieren vergaß: Nach einem kurzen Straucheln stoppte sie schwankend. Sehr plötzlich. Ich stoppte nicht.

„WAAAAAAA!“, schepperte es ziemlich laut. Danach brauchte meine Welt ein paar Sekunden, um sich wieder in den richtigen Winkel zu drehen. Ich realisierte den Sarg, in dem ich gelandet war. Nur nicht alleine. Ich spürte den zierlichen, warmen Körper unter mir deutlich. Dann musste ich zu lachen anfangen, als mir klar wurde was gerade passiert war und versteckte mein lachendes Gesicht in Skys Schulter. Der spontane Impuls verwirrte mich, aber ich schaffte es auch nicht dagegen zu halten. Impulskontrolle war nicht zwingend meine Stärke. Das war eine ungeahnte Wendung der kleinen Verfolgungsjagd. Auch in meinem Etablissement endet sie nicht zwangsläufig in einem Sarg.

Ich hob den Kopf und musste weiter lachen, während ich Skyler in die perplexen Augen schaute. Dann holte ich mir meine rechtmäßige Belohnung und wackelte triumphierend an ihrer Augenbraue: „Hehehehehe! Gewonnen!“

Skyler wollte zwar erst seufzen, warf dann aber doch den Kopf zu ihrem wunderbaren hellen Lachen in den Nacken. Einige Zeit war Lachen das Einzige, was ich hörte. Ein äußerst erquicklicher Zustand!

Ich wollte mich aufstützen und mein Gewicht von Sky nehmen, die immer noch so zerbrechlich wirkt wie eine teure Porzellanpuppe: „Hahahaha! Hach! Herrlich!“

Sie schlug ihre blauen Augen auf, doch der sofort geschockte Ausdruck ließ mich innehalten.

„Vorsicht!“, rief sie plötzlich.

Dann verschwand mein Sichtfeld in einem Meer bunter Sternchen. Ein harter Aufprall auf meinen Hinterkopf ließ meinen Kopf nach vorne fliegen. Darauf folgte eine Kollision meiner Stirn.

„Ohhhhhh“, hörte ich Skyler machen, als ich mir die Stelle an meiner Stirn rieb, die eine Beule werden wird. Von meinem Hinterkopf möchte ich gar nicht erst reden. Als die Flecken verschwunden waren schaute ich wieder zu Skyler. Auch sie rieb sich die Stirn: 'Ups.'

„Aua... Ich hasse mein Karma...“, stöhnte sie schmerzerfüllt.

„Ich finde dein Karma gar nicht so schlecht. Hehehehehehe!“, lachte ich. Es war doch lustig gewesen. Schmerzhaft, aber lustig.

Plötzlich merkte ich einen Druck auf meiner Nasenspitze. Etwas drückte sie ein. Als ich hinschaute sah ich die großen blauen Augen direkt vor meinen, trotz der Düsternis im Sarg. Ich merkte wie ihre Nase an meiner wärmer wurde. Das Mädchen roch gut. Nach Seife und Lavendel. Ich kicherte bei dieser Erkenntnis. Die Situation ist des Weiteren irgendwie komisch. Auf eine amüsante... und noch eine unerklärlich andere Art. Ich legte mit einem fast wohligen Gefühl meinen Kopf an ihre warme Stirn. Die Hitze ihres Gesichtes kribbelte an meiner Haut: „Das war so nicht geplant. Könnte aber schlimmer sein. Ahehehehehehe!“

Ich spürte wie die Wärme ihres roten Gesichts auf meine Wangen abstrahlte. Mit einem Schmunzeln streckte ich meinen Arm aus und hob den Sargdeckel wieder an, der mich assassinieren wollte und stützte mich endgültig auf: „Besser?“

„Öhm... ja“, machte sie verwirrt und zögerlich.

„Gut. Dann hat ja alles so funktioniert wie ich wollte“, ich machte eine kleine Pause und studierte Skys Gesicht. Sie sah wieder etwas besser aus, aber der trübe Wirbel in ihren Augen hatte sich noch nicht gelegt. Wird er je? Vielleicht wird er ja wenigstens irgendwann schwächer: „Was willst du jetzt tun?“

Skyler wog den Kopf hin und her: „Ich werde die Kontaktanfrage ablehnen. Viele reden schlecht von Kinderheimen, aber meine Familie war sehr viel schlechter.“

„Willst du es erzählen?“

„Willst du es wirklich hören?“

„Warum nicht?“

„Naja... Es ist keine amüsante Geschichte.“

Ich musste lachen: „Hehehe. Die wenigsten Geschichten, die das Leben schreibt, sind wirklich lustig. Man muss für sein Pläsier meistens schon selber sorgen.“

Sie musterte mich mit skeptischen, leicht zusammengekniffenen Augen. Ein paar Gedanken huschten darin hin und her. Auf sie folgte ein hörbares Seufzen: „Mein Vater ist ein Trinker. Ex-Soldat. Für ihn hat der Krieg nie aufgehört. Auch zu Hause nicht.“

„Ich habe ein ungutes Gefühl in welche Richtung diese Geschichte geht“, brach mein Grinsen ab. Alkoholiker Vater mit Militärausbildung. Das ist nicht der Stoff, aus dem Wunschträume waren.

„Wirklich?“

Ich nickte: „Du musst dem Kind keinen Namen geben. Ich habe verstanden. Deine Mutter hat nichts dagegen unternommen, schätze ich.“

Ich wollte auch nicht, dass sie die Details in Worte fasste. Ich konnte sie mir denken. Unterdrückte Wut drehte mir den Magen um. Menschen sind doch so oft so dumm und so nutzlos aggressiv. Leiden müssen aber meistens immer die Falschen. Die Anderen. Die, die nichts dafür konnten.

Sky schaute unter mir zur Seite: „Nein, hat sie nicht...“

„Wirklich keine amüsante Geschichte. Daran finde selbst ich nichts zu lachen.“

An so einem Familiendrama ist auch wirklich nichts ansatzweise lustig. Darüber machte man auch einfach keine Scherze. Es war zum Kotzen, dass es so etwas überhaupt gab.

Sie zuckte irgendwie schwach mit den Schultern. Es wirkte wie eine gefühlte Schwäche, eine zehrende emotionale Müdigkeit: „Es war auch nicht sonderlich amüsant.“

„Naja. Die Vergangenheit kann niemand ändern. Nicht einmal Gott wäre dazu in der Lage. Wenigstens bist du sie jetzt los und musst sie nie wieder sehen.“

„Ich hoffe...“

„Du willst nicht, also: Warum solltest du?“

„Naja... Wenn das Jugendamt entscheidet ich soll... dann muss ich...“

„Dann hör nicht auf sie“, was wollte dieser komische Komödiantenstadl denn bitte machen? Sie vierteilen? Ich verstand diese unreflektierte Autoritätshörigkeit einfach nicht: „Das Einzige was du MUSST, liebe Skyler, ist sterben.“

Skyler wirkte von mir genauso verwirrt, wie ich von ihr: „Naja... Das Jugendamt kann mir mit Sanktionen drohen...“

„Bringt dich irgendeine davon um?“

„Nein, aber...“

„Dann nichts aber.“

„So einfach ist das nicht!“

„Aha? Warum nicht?“, ich wollte das Problem wirklich verstehen. Nicht, dass ich mir vollkommen darüber bewusst wäre, dass ich unglaubliche Probleme damit hatte Autoritäten anzuerkennen. Warum sollte jemand über mein Leben entscheiden dürfen? Was gibt irgendwelchen Sensenmännern oder dahergelaufenen Menschen das Recht über andere und mich zu entscheiden? Ich tolerierte es weitestgehend. Obwohl ich schon lange hier lebte, war es nicht mehr meine Welt. Verlassen hatte ich sie vor mehr als einer Ewigkeit. Deshalb war ich hier immer noch zu Gast und die Regeln, die die Menschen für sich festlegten, galten auch für mich. Auch wenn ich sie nicht nachvollziehen konnte.

„Naja weil... Weil...“

„Weil?“, mein Kopf kippte immer noch angestrengt denkend zur Seite.

„Ich auf das Jugendamt angewiesen bin...“

„Und inwiefern?“

„Ich bin minderjährig. Sie sind für mich verantwortlich.“

„Das impliziert nicht im Mindesten, dass du auf sie hören musst.“

Skyler schwieg wortlos. Sie schien irgendwie mit der Wahrheit in meinen Worte und ihren gelernten Ansichten zu hadern, da sie nicht übereinstimmten.

„Ich halte nicht viel von der Queen und ihren Institutionen“, erklärte ich mich ihr schließlich ein Stück weit.

„Wirklich?“

„Jup. Ich finde diesen ganzen bürokratischen Kram furchtbar unwichtig. Ich meine: Das ist doch der reine Wahnsinn! Und ich bin wahnsinnig. Ich weiß also wovon ich spreche. Hehehehe!“

Jeder der den Dispatch kennt versteht mein Bürokratietrauma.

Doch Skyler wirkte immer noch mit der Welt im Ungleichgewicht: „Aber... du hältst dich dran, oder? Ich meine du zahlst doch Steuern und so weiter.“

„Hehehe! Gezwungenermaßen, ja“, lachte ich darauf. Das Geld der Queen war mir immer noch ungefähr genauso wichtig wie Dreck an meinem Schuh. Es war mir reichlich Schnuppe, wo die Menschen es hingeschoben haben wollten. Ich verstand den praktischen Nutzen. Es war eine pfiffige Idee, um um das umständliche Tauschhandeln herum zu kommen, aber um ehrlich zu sein war es mir tatsächlich unbegreiflich wie man seine Welt von grün bedrucktem Papier abhängig machen konnte. Vielleicht war ich einfach zu alt für sowas.

Ich lachte mehr über diesen Gedanken als über alles andere: „Doch was genau du jetzt tun willst, weiß ich immer noch nicht. Du willst ablehnen, klar, doch wie?“

„Wozu musst du das wissen?“

„Na, damit ich dir helfen kann“, versuchte ich mein Kichern zurückzuhalten. Mit mäßigem Erfolg: „Kam das jetzt wieder unerwartet?“

Sie nickte langsam. Darauf folgte ein erneutes Seufzen: „Naja... Du kannst mir nicht wirklich helfen...“

„Man kann immer helfen. Es verlangt manchmal nur nach ein wenig gesteigerter Kreativität.“

Und ich war kreativ.

Mein Blick fiel ohne große Absicht auf eine Strähne ihres langen Haares, die ihr über die Schulter gefallen war. Aus einer spontanen Impression heraus griff ich sie und begann sie zu flechten.

„Was machst du da?“, fragte Sky und ihr Blick huschte zwischen mir und meinen Fingern hin und her.

Ich lachte: „Das wird ein Zeichen.“

„Zeichen für was?“

„Für unsere Verbundenheit.“

Sie machte wieder stumme, große Augen. Dieser Ausdruck!

„Damit du nicht vergisst, dass es jemanden gibt der dir helfen möchte, wenn du Hilfe brauchen würdest“, setzte ich hinterher, als Skyler mir nun verwirrt auf meinen eigenen kleinen Zopf schaute. Die Haare des Mädchens waren so glatt und weich, dass sie mir fast aus dem Griff rutschten. Sie hinterließen ein angenehmes Gefühl zwischen meinen Fingern: „Also, wenn ich dir helfen kann zögere nicht mir Bescheid zu geben.“

„Ähm“, stotterte das junge Ding: „Danke, aber... ich werde zu dem Termin gehen, sagen dass ich den Kontakt nicht wünsche und dann... werde ich beten. Was anderes kann ich nicht tun.“

„Beten? Aha? Wenn du denkst es hilft. Hihi.“

Ich konnte ihr leider nicht von meiner eigenen Erfahrung berichten und ihr versichern, dass sie sich einen richtigen Erfolg beim Beten nicht wünschte. Engel waren nicht besser als Dämonen. Sie waren nur auf eine viel scheinheiligere Art und Weise bescheuert.

Sky lachte kurz auf: „Wahrscheinlich nicht.“

„Wann hast du den Termin?“, wechselte ich das Thema um meinen Vortrag über Engel und himmlische Heerscharen für mich behalten zu können.

„Am 08.10. um 14:30 Uhr...“

„Nun. Viel Glück“, griff ich in meine Tasche und band ihr eins meiner schwarzen Haargummis in die Haare. Dann ließ ich den Zopf über meine Hand streichen, wo er wieder dieses entzückende Kribbeln zurückließ und ihn danach auf ihre Schulter fallen: „Und wenn deine Eltern dein Nein nicht akzeptieren, dann bekommen sie halt ein Problem mit mir.“

„Inwiefern?“

„Mir fällt schon etwas ein. Hehehehe! Ich bin da kreativ.“

Definitiv hatte ich schon eine Vorstellung. Sie begann mit ihren Köpfen und endete mit dem Fußboden und meinem Absatz.

„Klingt gut!“, wirkte Skyler irgendwie angetan. Ich bezweifele, daas sie meinen Gedankengang als so brutal erahnte. Zimperlich war ich nun wirklich nicht. Schon gar nicht wenn ich wütend war. Und auf Skys Eltern war ich wütend. Wütender als ich sein sollte. Solche Menschen machen mich rasend und legitimierten mein Vorgehen, wie damals auf der Campania, ein weiteres Mal.

„Wie alt bist du, Skyler?“, wechselte ich das Thema erneut und meiner Selbstbeherrschung zu liebe.

„Öhm... 17, fast 18.“

„Mein Gott, so jung“, lachte ich.

„Wie alt bist denn du?“

„Äh“, gut, der Themenwechsel war vielleicht nicht ganz so elegant wie gewollt: „Hehehehe. Zu alt.“

„Wie alt?“

Ich grinste breit: „Rate, hehe.“

Für wie alt sie mich wohl als Menschen hält, ohne eine Ahnung was mein wahres Naturell versteckte? Es wissen zu wollen brannte aus irgendwelchen Gründen unter meinen Fingernägeln.

„Öhm“, druckste sie komisch: „So... 32?“

„Pahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahahaha!“, ich befürchtete einfach an meinem Lachanfall zu sterben und aus dem Sarg zu kippen: '32! Nur um knapp 199.968 Jahre daneben!'

„32!“, ich bekam zwischen den Lachern kaum noch Luft: „Ich werd nicht mehr! Wahahahahahahahaha!“

Eines der blauen Augen zuckte komisch: „Bin ich... soweit daneben?“

Ich hörte sofort auf zu lachen als mir klar wurde, dass ich eigentlich antworten müsste. Ich log nicht, auch nicht in solchen Situationen. Doch etwas für sich zu behalten war halt keine Lüge: „Das ist ein Geheimnis. Wann hast du Geburtstag?“

„Warum?“

„Interesse.“

Sie schaute mich wieder mit diesem verspielten, provokanten Blick an den sie auch schon einmal im Auto aufgesetzt hatte. Er hatte seinen ganz eigenen Charme.

„Das ist ein Geheimnis“, sagte sie schließlich süßlich.

„Dann frag ich Amy.“

Als ob ich es ihr so einfach mache: 'Du solltest es jetzt schon besser wissen, kleine Sky. Hehe.'

„Das ist nicht fair!“

„Ich sagte ich sei ehrlich, nicht ich sei fair. Hehehehehe! Also?“

„31. Oktober...“, seufzte sie widerwillig.

„Oh! An Halloween! Wie entzückend! Dann wird es ja dieses Jahr auch noch eine Geburtstagsfeier!“

„Oh nein, nein, nein“, antwortete sie: „Ich hab meinen Geburtstag noch nie gefeiert und ich fange sicherlich jetzt nicht damit an!“

Mein Grinsen drehte sich um: „Warum nicht?“

„Naja, weil...“, sie brachte den Satz nicht zu Ende.

Als der Sturm in ihren Augen wieder ein Stück stärker wurde, erschloss sich mir, dass ihrer Familie wohl an ihrem Geburtstag nie viel gelegen hatte.

„Was wünscht du dir?“, beugte ich den Kopf zu ihr hinunter um die Wellen in ihren Augen besser erkennen zu können.

„Komfortzone!“

„Abgelehnt“, lachte ich: „Also?“

„Also ich... weiß nicht, was ich darauf antworten soll...“

Ich konnte mich zwischen Lachen und Seufzen nicht entscheiden. Also tat ich einfach beides gleichzeitig. Skylers Verwirrtheit belustigte mich weit mehr als die der meisten Anderen, doch sie machte es mir auch nicht einfacher Antworten zu finden: „Ich habe hin und wieder das Gefühl wir würden nicht die selbe Sprache sprechen.“

„Üff...“, kam es aus ihrem peinlich berührten Gesicht: „Doch... schon...“

„Was war dann so unverständlich?“, ich wollte doch nur wissen ob sie sich etwas zum Geburtstag wünschte und sie machte aus dieser simplen Frage etwas furchtbar Kompliziertes.

„Ich... dachte einfach ich habe deutlich gemacht, dass mir mein Geburtstag nichts bedeutet. Folglich wünsche ich mir auch nichts.“

„Hehehe. Dann muss ich mir selber etwas einfallen lassen.“

Sie wurde wieder rot im Gesicht: „Mach dir keine Umstände wegen mir...“

„Umstände? Ich finde Geburtstage herrlich! Mein zweitliebster Anlass zum Feiern!“

„Und was ist dein liebster Anlass?“

Ich lächelte nur weit und sah in Skys Augen, dass sie verstand: „Oh nein, sag jetzt bitte nicht...“

„Doch. Genau was du denkst.“

„Woher willst du wissen was ich denke?!“

„Skyler bitte. Ich bin sehschwach, nicht blind. Hehehehehe!“, wirklich schwer zu lesen war ihr Gesicht nun wirklich nicht.

„Geh aus meinem Kopf und mach die Hintertüre zu...“, klang sie irgendwie beleidigt.

„Pahahahahahaha! Nö.“

„Wie nö?!“

„Ich finde es gemütlich da drin. Hehe“, verließ ich den Sarg, ging zu meinem Tresen und schnappte mir den Lappen, den Ronald zurückgelassen hatte. Fahrig warf ich ihn auf die Pfütze, schob meine Schuhspitze unter den daneben liegenden Plastikbecher und warf in so in die Luft, dass ich ihn fing. Dann wischte ich die Pfütze unter zu Hilfenahme meines Fußes weg. Grell hätte jetzt wahrscheinlich behauptet ich wolle angeben. In Wahrheit war ich nur zu faul mich zu bücken. Deswegen warf ich auch den Lappen mit dem Fuß hoch.

Ich spürte Skylers Blick in meinem Nacken und drehte mich zu ihr: „Ist irgendetwas?“

„Nein... Ich... schau nur.“

„Interessant?“, ich lachte stumm in meinem Kopf, als ich mich durch die Türe zu meiner 'Küche', einer Arbeitszeile mit Herd, Spüle, kleinem Kühlschrank und ein paar Schränken, beugte und Becher, sowie Lappen mit einem leichten Scheppern in das metallische Becken warf. Dann zog ich den Kopf wieder heraus und schloss die Türe.

Ich setzte mich halb auf meinen Eichentresen und musterte Sky, die sich auch aus dem Sarg erhoben hatte und nun aus dem Fenster starrte. Nach einem kurzen Augenblick drehte sie sich wieder um und lächelte wieder so dünn. Ein kleines Surren flog durch den Raum und Sky zog mit einem entschuldigen Lächeln ein kleines Gerät aus der Brusttasche ihres Jacketts.

Es war ein dieser komischen Handys. Skyler wirkte beschämt und auch ein bisschen verzweifelt, als sie auf das kleine Ding schaute. Wozu man diese 'Handys' brauchte wusste ich ja immer noch nicht. Ich hatte schon mal so ein Ding in der Hand gehabt. Sie waren auch in der Tat kurios. Vor ein paar Jahren wollte Fred mich dazu überreden mir auch eins anzuschaffen. Wie bei allen Neuheiten sagte ich nicht Nein es mir mal anzuschauen. Doch nachdem Fred 3 Stunden versucht hatte mich in die Feinheiten des digitalen Zeitalters einzuführen, haben wir gemeinschaftlich entschieden, dass mein altes Telefon reichen sollte: „Gefällt dir nicht, was deine kleine Wunderkiste dir da zeigt?“

Sky zog wieder ihre Augenbraue hoch als sie zu mir schaute. Ich hatte so drauf gehofft!

„Wunderkiste?“, fragte sie unsicher.

„Ja. Ich kann den Dingern nichts abgewinnen“, kicherte ich.

„Ok. Gut, ist ja nicht schlimm. Aber... mir wurde eine Telefonnummer angezeigt.“

„Hö?“, machte ich reichlich dämlich: 'Wie? Was? Woooooo?'

„Na.. Im Internet...“

„Aha?“, von diesem Internet war mir etwas zu Ohren gekommen und ich verstand ungefähr was es war, doch beliefen sich diese Kenntnisse auf sehr gefährliches Halbwissen.

„Naja... ein Telefon hab ich...“, schaute ich auf selbiges.

Sky folgte meinen Blick: „Das ist ja antik.“

„Hahahaha! Man merkt du bist mit Amy befreundet.“

„Warum?“

„Sie sagt das auch immer. Das erklärt aber alles nicht, warum du so komisch auf dein“, ich deutete mit kreisendem Zeigefinger auf den schwarzen, flachen Kasten in Skys Hand: „Dingsda schaust.“

„Handy.“

„Was auch immer.“

Skyler verzog fast amüsiert ihren geschwungenen Mund: „Amy hat mir geschrieben.“

„Aha?“, ich tippte es handelte sich um eine dieser SMS oder wie die hießen.

Sky wedelte mit ihrer Hand und lachte: „Vergiss es.“

„Lachst du mich aus?“, kicherte ich.

„Öhm...“, kicherte sie ein wenig verhaltener: „Ich glaub ein bisschen schon...“

Ich lachte lauter: „Hahahahaha! Dann ist gut!“

„Stört dich das denn gar nicht?“

„Nicht im Geringsten“, ich breitete die Arme aus: „Ich liebe es, wenn Leute lachen! Vor allem du.“

Beschämt hob sie eine Hand an ihr Gesicht und drehte es leicht weg, als es ein weiteres Mal zu leuchten anfing: „Wie... Wie meinst du das?“

„Du hast ein schönes Lachen“, blieb ein breites Lächeln auf meinem Mund zurück: „Vorausgesetzt es ist ehrlich.“

„Wie...?“

„Ich hasse künstliches Lächeln und gespieltes Lachen. Du musst nicht so tun als wärst du glücklich, wenn du es einfach nicht bist“, sie wusste ja nicht wie sehr ich falsches Lachen verabscheute. Das Mädchen wurde nur deswegen von mir in diesem Punkte begnadigt, da sie so wirkte als könnte sie es teilweise einfach nicht besser. Hatte es nicht gelernt oder verlernt. Daraus kann man niemanden eine Schlinge knüpfen.

„Ich...“

„Mache es ständig“, beendete ich ihren Satz für sie, bevor sie sich wieder in den Versuch sich rauszureden verhedderte.

Mit einem kurzen Seufzen tippte sie ihre Antwort auf das kleine Gerät. Nach einem kurzen Moment wirkte ihr Gesicht ertappt und ihre Daumen, die eben noch so routiniert getippt hatten, zeichneten ein wenig ideenlos kleine Kreise in die Luft.

Das Bild brachte mich abermals zum Lachen.

So schaute mich mit einem spielerisch bösen Gesichtsausdruck an.

Ich legte die Finger an die Brust und breitete dann die Hände aus: „Hey! Wer den Schaden hat, brauch für den Spott nicht zu sorgen.“

„Das ist dein Spruch, oder?“

Ich streckte ihr den Finger entgegen: „Oh ja. Hehehe!“

Es entlockte ihr ein Lachen und ihr komisches Handy-Ding glitt zurück in ihre Brusttasche: „Schöne Grüße von Amy.“

„Oh wie reizend!“, winkte ich mit einer Hand: „Zurück, zurück.“

„Apropos zurück...“, mit runter hängenden Schultern sah das junge Ding noch einmal aus dem Fenster: „Ich muss so langsam. Wenn ich wieder um Punkt 22 Uhr im Wohnheim bin, dreht Ms. Lowell mich durch den Reißwolf.“

„Ich...“, begann ich lachend, doch eine hochgehaltene Hand Skys hielt mich auf: „Du fährst mich nicht schon wieder!“

„Gut, dann laufen wir. Gegen einen Spaziergang im Regen mit einer schönen Frau hab ich nichts einzuwenden“, konterte ich mit einem breiten Grinsen, das schnell in ein Giggeln überging.

So große Augen hatte ich in dem Gesicht des Mädchens vorher noch nie gesehen: 'Bahahahahaha! Ne wie süß.' Sie hatte etwas von einem Teddy, den man mit der Schere drohte oder einem Hasen, der den Fuchs zu spät gesehen hatte. Warum schaute sie als ob ich sie gleich töten wolle, wenn ich ihr ein Kompliment machte?

„Wa Wi Wo Wa...“, stammelte sie irgendwann überfordert.

Ich freute mich diebisch. Es wurde immer besser: „Puhuhuhuhuhuhu! Hat dir noch niemand gesagt wie schön du bist?“, fragte ich insgeheim verwundert.

Die Farbe in ihrem Gesicht wurde immer dunkler, während sie mich perplex anstarrte und sie piepste ein leises: „Nein!“

Ich legte lachend den Kopf schief, sodass mein Pony mir wieder etwas mehr Sicht freigab: „Eine Schande. Naja, jetzt weißt du's.“

Gelassen schlenderte ich an dem beschämten Ding vorbei und setzte mir meinen Zylinder wieder auf den Kopf. Dann begab ich mich in einer vollkommenen Ruhe zu meinem Garderobenständer und zog mir das erste Mal seit ein paar Tagen meinen Mantel und mein Tuch wieder über. Ich verschwieg immer noch, dass ich ihn eigentlich nicht zwingend brauchte. Den Menschen, die öfter mit mir zu tun hatten, fiel lediglich irgendwann auf, dass ich sowohl im Sommer und im Winter dasselbe trug.

„Du... musst nicht mitkommen! Wir müssen nicht Beide nass werden!“, entgegnete mir das junge Ding ein wenig verstört, als ich ihr ihren Poncho hinhielt.

Ich unterdrückte mein Kichern zu einem schmalen Schmunzeln, als ich ein weiteres Mal zu der Garderobe langte und einen großen Regenschirm hervor zog. Mit einem großen Grinsen wackelte ich einmal mit ihm und streckte Sky ihren Poncho näher vor die Nase.

„Du musst wirklich ni... Au! Spinnst du?!“

Ermüdet von ihren ständigen Versuchen mir zu widersprechen, haute ich ihr ohne Vorwarnung den Regenschirm sachte auf den Kopf.

Sie zog eine beleidigte Schnute, nahm ihren Poncho und zog ihn über: „Das war nicht nötig.“

'Deine Widerworte auch nicht', ich lachte: „Wenn ich jedes mal 1 £ bekommen würde, wenn du mir widersprichst, wäre ich Millionär.“

Sie zog ihre Augen ein Stück enger: „So schlimm ist es auch nicht...“, dann winkte sie mit einer Hand. Ich brauchte einen kurzen Moment um zu verstehen was sie wollte. Doch dann legte ich ihr ihre drei Spangen in die Hand, welche ich in meinem Mantel zwischengelagert hatte. Sie war also zu eitel um mit unfrisierten Haaren vor die Türe zu treten: 'So, so. Hehehe!'

Umso mehr ich über sie wusste, umso besser.

Sie drehte ihre oberen Haare wieder zusammen, machte aber keine Anstalten den kleinen Zopf zu lösen. Meine Mundwinkel zuckten noch ein Stück höher. Dann seufzte Skyler, als einige Strähnen ihres Ponys wieder nach vorne fielen. Sie schien von ihrer brünetten Mähne genervt. Warum? Sie waren gut gepflegt, weich und glänzend. Was gefiel ihr daran nicht? Mich beschlich das Gefühl, ich werde einige ihrer Probleme nie verstehen.

Irgendwie entlockte mir diese Erkenntnis nur ein Lachen, da mir klar war ich würde es solange versuchen bis ich es tat. Ich stieß die Türe auf, streckte den Schirm hinaus, ließ ihn aufspringen und deutete dann Sky sich bei mir einzuharken. Sie kam zwar auf mich zu, schien aber mit meiner Geste nicht anfangen zu können. Ein weiteres Mal belustigt von ihrer Verpeiltheit schüttelte ich lachend den Kopf, griff ihre Hand und zog ihren Arm unter meinen. Sie wehrte sich nicht, drehte aber den Kopf von mir weg. Sicherlich war sie wieder rot im Gesicht. Nachdem ich ihre Hand wieder entlassen hatte, schloss ich meine Ladentüre ab und ging dann die Gasse hinunter. Nur der Regen und unsere Schritte auf dem nassen Boden unterbrachen die Stille in unregelmäßigen Abständen. Sky schien verwirrt die Gestalten in den Nischen zu mustern, die ihre Köpfe einzogen sobald wir an ihnen vorbei gingen. Der Anblick ihrer eiligen Symbiose mit der schmuddeligen Umgebung ließ mich breit grinsen. Sie wussten warum: Natürlich dachte sich jeder Möchtegernmafiosi, der neu in diese Gegend kam, dass ich doch ein geschenkt leichtes Ziel wäre. Bereut hatte es bis jetzt noch jeder von ihnen und sie mieden meinen Laden tunlichst, nachdem ich die bockigen Halbwüchsigen mit ein wenig mehr Nachdruck schon etliche Male aus meiner Gasse geworfen hatte. Ich ließ doch nicht zu, dass sie die Straße vor meinem schönen Laden zu müllten! Und mich des Weiteren mit ihrem unmöglichen Benehmen belästigten.

Nachdem Sky die vierte Gruppe tiefer in den Schatten verschwinden sah, musste ich lachen: „Sie sollten dich ab jetzt in Ruhe lassen.“

Ihr Kopf drehte sich mit einem großen Fragezeichen darüber zu mir: „Okay... Warum?“

„Ahihihihihi! Ich hab meinen Ruf.“

„Kein guter wie es scheint.“

Mein Lachen wurde intensiver: „Das kommt drauf an wen man fragt. Das sind hier ja alles 'ganz harte Kerle'. Es gibt Dinge, die würden die nie zugeben. Ahehehehehe! Trottel!“

Sie lachte mit mir und dann begannen wir von Hölzken auf Stöcksken zu kommen. Ich genoss mein und ihr ehrliches Amüsement.

Nachdem die werten Wachtmeister mich das Campustor unbehelligt passieren ließen, brachte ich Skyler bis zu ihrem Wohnheim. Der Campus weckte immer wieder Erinnerungen in mir. Zu der Zeit in der ich mich als Headmaster versucht hatte, gab es die Mädchenschule noch nicht, aber da sie genau so gestaltet war wie das ursprüngliche Weston College verlor ich mich kurz in sehr amüsanten Erinnerungen.

An der Türe zu dem Haupthaus der Wölfe drehte sich das junge Ding noch einmal zu mir: „Ähm... Danke. Für... alles.“

Ohne wirklich darüber nachzudenken nahm ich ihr Gesicht mit diesen dunklen, traurigen Schatten darauf in die Hand. Alles Lachen hatten sie doch nicht ganz vertreiben können. Sie müssen sehr tief sitzen.

„Nicht dafür“, strich ich mit meinem Daumen über ihre weiche Haut.

Sie wurde unter meiner Hand noch wärmer, als wieder ein rosa Schimmer in ihrem Gesicht erschien: „Doch... Das ist nicht selbstverständlich...“

Ich lachte: „Mach es gut. Halt die Öhrchen steif und fühle dich frei zu jeder Tages- und Nachtzeit bei mir vorbei zu schauen.“

Mir schien ein Lächeln entgegen welches nicht künstlich, aber deutlich von Sorgen geprägt war: „Mach ich!“

Ich nahm meine Hand wieder zu mir und drehte mich um: „Bis dann.“

„Tschau“, hörte ich hinter mir. Dann fiel die Tür ins Schloss. Ich wandte mich noch einmal um und schaute auf das Gebäude der violetten Wölfe mit seinen schiefen Zinnen und den vielen kleinen Grabsteinen im Vorgarten. In welchem Haus ich gelandet wäre, hätte ich diese Schule mal als Schüler erleben dürfen, konnte ich mir fast denken.

Als ich so auf das morbide Bauwerk schaute, erinnerte ich mich unwillkürlich an Gregory, Lawrence, Edgar und Hermann. Selbst nach all den Jahren war ich mir sicher die Jungs hatten damals nichts falsch gemacht. Dereck war eine furchtbare Person gewesen. Lediglich seine Abstammung hätte ihn schützen sollen. Es hatte mir ein Stück grausame Befriedung zuteil werden lassen, als ich ein weiteres Mal Zeuge werden durfte, dass im Auge der Schnitter und des Karmas alle gleich gewesen waren. Er hatte Schüler zu seinem Pläsier gequält. Wie lange hätte es noch gedauert bis er die Folterei nicht mehr rechtzeitig stoppen konnte? Wie lange bis zu den ersten Todesfällen? Wir werden es nie erfahren, denn die Vier waren ihm zuvor gekommen. Ihm, seinen Freunden und dem Vizeheadmaster, der alles gewusst und billigend hingenommen hatte. Ja, der Vizeheadmaster. Eine meiner besten Dolls. Doch war Mord selbst als Präventionsmaßnahme gegen noch viel mehr Leid tolerierbar und akzeptierbar? War Mord schlimmer als Folter? Die Endgültigkeit schlimmer als ein Leben in ständiger Angst vor dem nächsten Tag? Da schieden sich die Geister. Ich war damals davon überzeugt gewesen, dass die vier Jungs mit ihrem seltenen schlechten Gewissen, so vollkommen voller Reue, schützenswert gewesen waren. Und ich war es heute immer noch.

Doch auch die Vier waren nun an einem besseren Ort. Die Schulen gehörten jetzt neuen Schülern. Die Zukunft gehört den Toten nicht und die Uhr dreht sich weiter. Und weiter. Und weiter. Und weiter...
 

Ich hatte einige Zeit mit mir gehadert, doch dann landete der Termin der jungen Skyler doch in meinem Terminplaner. Ich war mir nicht sicher ob die junge Frau - so erschüttert in sich selbst - anständig für sich sprechen konnte. Insgeheim hoffte ich sie nahm sich Amy als Verstärkung mit. Der jüngsten Phantomhive nahm keiner so schnell die Butter vom Brot. Doch konnte ich mir gut vorstellen, dass Skyler sich vielleicht davor zierte in Begleitung zu gehen. Sie schien den ungesunden Hang zu haben, alles alleine schaffen zu wollen. Das war nicht nötig und darüber hinaus fast unmöglich.

Also lehnte ich an einem wolkenverhangenen Donnerstag um 14:10 Uhr an einer Wand des historischen Gebäudes, in dem die Mühlen der Bürokratie so emsig und unverständlich vor sich hin arbeiteten. Die Brille unter meinem Pony versteckt, hatte ich den Eingang fest im Blick und sah auch nach kurzer Zeit die junge Skyler die Steinstufen zu ihrem persönlichen Armageddon bestreiten. Sie war alleine. Ein Seufzen entfloh mir. Des Weiteren sah sie kränklich bleich aus. Zerbrechlicher als sonst. Die Art, wie sie die Arme um ihren Bauch geschlungen hatte, ließ auf körperliche Auswirkungen gesteigerter Nervosität schließen. Ihr Anblick gefiel mir nicht. So konnte sie auf keinen Fall ihre Frau stehen. Doch das zarte Ding verschwand in der großen Tür und ich warte geduldig an Ort und Stelle bis sie das Gebäude wieder verließ.

Als Skyler wieder aus dem Gebäude kam wischte sie sich ermattet durch die Augen, als sie hastig die großen Steintreppen hinunter ging. Mir schwante Übles. Als hätte ich es herbei geschrien, stolperte das Mädchen. Ein Blatt Papier flog aus ihrer Hand und ich realisierte, dass sie sich nicht fangen würde. Also bediente ich mich meiner übernatürlichen Wesenheit um im selben Augenblick vor dem Mädchen zu erscheinen und sie aufzufangen, bevor sie sich ernsthaft auf den harten Stufen verletzen konnte: „Du bist teilweise wirklich selbst dein größter Feind, kann das sein? Hehe.“

Ich zog die Brille von meiner Nase und verstaute das Gestell in meiner Innentasche.

Irritiert hob Skyler ihr Gesicht von meiner Brust: „Undertaker?!“

„Live und in Farbe, hehe.“

Dann segelte das Stück Papier an meinem Gesicht vorbei. Ich griff es mir und hielt es nah an mein Gesicht wo ich es mit zusammengekniffen Augen lesen konnte:

»Termin für Begleiteten Erstkontakt zwischen Skyler Rosewell und den leiblichen Eltern Tonia und Graham Rosewell. Samstag, den 24.10.2015, 11 Uhr.«

„'Termin für begleiteten Erstkontakt'?“, mein Grinsen verflog bei der Erkenntnis, dass meine Sorgen berechtigt gewesen waren: „Sag mir nicht du hast dich...“

Doch Skyler riss mir den Zettel aus der Hand und schlang die Arme um sich selbst, als sie sich unsanft aus meinen Armen befreite: „Das geht dich nichts an!“

„Das stimmt, aber ich habe dir etwas versprochen.“

Sky schaute mich einige Momente aus ihrem kränklichen Gesicht an. Sie schien ihren Kopf nicht auch nur ansatzweise sortieren zu können: „Was... Tust du hier überhaupt?“

„Ist das nicht offensichtlich?“, musterte ihr viel zu blasses Gesicht sorgenvoll: „Ich habe mit so einem Ausgang leider gerechnet.“

„... Und?“

Ich seufzte, als sie sich ein weiteres Mal innerlich der Bedeutung meiner Worte zu erwehren schien: „Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, dass du ganz alleine durch die große Stadt tigerst. In diesem Zustand.“

Sie ließ schlaff und entkräftet Arme und Kopf hängen: „Ich bin ein totaler Versager, Undertaker... Ich... Sie hat die ganze Zeit auf mich eingeredet. Ich wollte... nur noch da raus. Ich war vollkommen unfähig... irgendwas dagegen zu tun...“

Dieser Anblick zündete einen schmerzhaften Funken in meinem Herzen an. Behutsam legte ich ihr die Finger unters Kinn und hob ihren gedankenschweren Kopf an, als ein kalter Windstoß über uns hinweg zog und meinen Pony zur Seite drückte: „Lass uns ein Stück gehen. Du stehst ja vollends neben dir.“

Sie wich meinem Blick aus, als sie müde nickte.

„Hey. Schau mich an.“

Langsam wanderte ihr Blick wieder zu mir. Mit einem Auge lächelte ich sie an: „Wir finden einen Weg, ok?“

Nachdem sie ein weiteres Mal nur stumm genickt hatte, klemmte ich ihren Arm ein weiteres Mal unter meinen. Doch ich hielt ihre Hand, in der Hoffnung ihr ein bisschen Ruhe und Sicherheit vermitteln zu können.

Auf Londons Straßen war gewohnt viel los. Der Regen schreckte die Engländer zwar nicht mehr von ihrem Tagesgeschäft ab, doch waren die Parks bei diesem Wetter relativ leer. Also führte ich Sky auf ihren wackeligen Beinen in den 'St. James Park'. Die herbstlichen Bäume wirkten wunderbar und das nasse Laub machte schlammige Geräusche unter unseren Sohlen.

Irgendwann schaute ich in ihr schmales Gesicht. Ihre Augen wirkten, als seien ihre Gedanken in weite Ferne gerückt: „Du siehst immer noch nicht besser aus.“

Skyler musterte ihre Füße: „Es geht schon...“

Ich räusperte mich. Warum log sie schon wieder? Wie unempathisch musste ich eigentlich wirken, dass sie immer wieder versuchte mit schlechten Lügen um die Wahrheit herum zu kommen?

„Ok...“, machte sie müde: „Es geht nicht...“

Ich musste kurz auflachen, was mir einen giftigen Blick einbrachte: „Worüber lachst du?“

Ich schaute sie an: „Du lässt dich ziemlich schnell hängen, hm? Plan A ist zwar fehlgeschlagen, aber es gibt noch 25 weitere Buchstaben im Alphabet.“

Sie seufzte: „Ich habe so das Gefühl ich brächte mehr als 25...“

Ein Kichern: „Naja, es gibt ja noch 3 Umlaute, das Eszett, sowie ein paar Di-, Tri- und Tetragraphen.“

Mit meinem amüsierten Tonfall wollte ich die Atmosphäre etwas lockern, doch meinte ich das Gesagte durchaus ernst.

Es wirkte zum Teil. Skyler entfloh so etwas wie ein Kichern: „Das Eszett gibt es nur im Deutschen!“

„Hihihi, wer sagt, dass wir uns auf das englische Alphabet beschränken müssen?“, ich streckte annähernd albern einen Finger in die Luft: „Es gibt noch 23 weitere, die mir gerade einfallen + Hieroglyphen! Die Auswahl ist endlos!“, dann tippte ich ihr mit eben diesem Finger auf die Nasenspitze: „Genau wie deine Möglichkeiten.“

Ihr erschöpfter Blick lag auf mir: „Welche hab ich denn? Wenn ich den Termin nicht wahrnehme, komm ich in Teufelsküche.“

Mein Kichern schwoll an: „Hehe! Da war ich schon öfter. Ist gar nicht so übel.“

Eine Augenbraue wanderte wieder nach oben: „Was bringt dich denn in Teufelsküche?“

„Naja“, nahm ich die Gelegenheiten wie sie kamen und wackelte an besagter Augenbraue herum: „Das.“

Sie haute wieder seicht gegen meine Hand: „Hey! Hör auf mich zu veräppeln!“

Dann knuffte sie mir in die Seite. Damit hatte ich nicht gerechnet und ein Quietschen entfloh mir, als ich von einem plötzlichen Anfall unangenehmen Surrens in meiner Körperseite ergriffen wurde. Ich hüpfte ein Stück zur Seite ohne Skyler loszulassen, die ebenso überrascht ihrem Arm hinterher lief.

„Warum...“, zu meinem großen Bedauern sah ich die Erkenntnis in ihrem Gesicht: „Du bist kitzelig!“

'Oh nein...', doch ich nickte: „Ähm, ja.“

Sie zog ihre Augen zusammen. Etwas an diesem Blick gefiel mir ganz und gar nicht: „Seeeehr kitzelig?“

„Äh... ja“, antwortete ich. Mir fiel nichts ein wie ich noch um das herumkommen würde, was ich nahen sah.

Ein breites, fieses Grinsen erschien in ihrem Gesicht. Ich war verwundert und verzaubert, dass sie so einen Gesichtsausdruck besaß und ihn in ihrer derzeitigen Gefühlslage zeigen konnte. Er war lebendig und dynamisch! Er bedeutete allerdings nichts Gutes für mich.

„Gut zu wissen“, grinste sie weiter.

„Hmhm“, ich drehte meine Kopf wieder nach vorne und fing stumm zu beten an. Leider hatte ich in der himmlischen Chefetage nicht gerade einen Stein im Brett: „Das glaube ich dir.“

„Aber das ist doch toll! Du lachst doch so gerne!“

Meine Augen wanderten zu dem jungen Ding und ich versteckte meine Vorsehung hinter einem Kichern: „So kann man es auch sehen. Hehe.“

„Weißt du“, sie hob einen Finger: „Ich sehe das positiv!“

Nun wanderte meine Augenbraue nach oben, als ich auf ihren Finger schaute: „Inwiefern?“

„Immer wenn du mich ärgerst mach ich einfach das!“, steckte sie mir den Finger in die Seite.

Ich hatte das Gefühl eine Horde wild gewordener Ameisen krabbelten von ihrem Finger in alle Richtungen, nur um als wütender Mob meine Wirbelsäule hochzujagen. Ein weiteres Mal endete das Zucken in meinen Beinen und ich sprang mit einem hohen Laut zur Seite: 'Ich haaaaasse eeeeeees!'

„Das funktioniert ja wirklich!“, klang das Mädchen belustigt, als wir zum Stehen kamen.

„Hehe! Lass das!“

„Abgelehnt!“

'Och nö... Hirks!', stöhnte ich in meinem Kopf, doch aus meinem Mund kam nur ein weiteres Mal der unkontrollierbare schiefe Laut, als sie mich wieder piekste: „Nicht!“

Sie stoppte nicht. Im Gegenteil: Skyler eroberte ihren Arm zurück und ihre geschickten Finger sendeten mir immer und immer wieder dieses ekelige elektrische Surren durch meine Körperseite. Durch Beide. Gleichzeitig. Ich fing unkontrolliert an zu lachen, aber nicht weil ich das so sonderlich erquicklich fand.

Sky allerdings wirkte sehr angetan von ihrer spontanen Idee und lachte herzlich. Ein warmes Gefühl mischte sich in die Ameisenschwärme: „Nein, pahahahahaha! Bitte, hahahahahaha! Lass das, Wahahahahaha!“

„Oh nein, nein, nein, nein! Ich darf mich noch rächen für die Aktion im Sarg, dem Erschrecken an der Tür, die Sache mit der Augenbraue und die Kopfnuss!“

„Die Kopfnuss war ein Unfall! Hahahahahaha!“

„Und der Rest?“

„Der nicht! Ich bin geständig! Fuhuhuhuhuhu! Aufhören! Bitte!“, ich bekam kaum noch Luft und ich hatte meine Stimme, sowie meinen hin und her zuckenden Körper nicht mehr richtig unter Kontrolle.

„Leide!“

„Icks!“

Ein Lachanfall von Sky unterbrach mein Leiden. Ich taumelte gegen einen kleinen Zaun und hielt mich mit rasselndem Atem daran fest. Meine Seiten taten weh. Einerseits wegen dem Mangel an Sauerstoff, andererseits weil sie immer noch von ihren Fingern sirrten und schwirrten. Ich merkte einen Schweißtropfen meine Schläfe hinunterflitzen und mein Körper fühlte sich furchtbar warm an.

Skyler musste immer wieder anfangen zu lachen, wenn sie mich anschaute und krümmte sich nach vorne.

Dieser Anblick machte mich irgendwie... Glücklich. Ihr Gesicht wirkte nicht mehr so sorgenschwer, das schöne Ding nicht mehr so endlos verletzt.

„Du bist wie ein fieser, kleiner Kobold. Ahehehehehe!“, ging ich auf sie zu, als ich wieder atmen konnte.

Sie zeigte mit dem Finger auf mich. Ihr Lachen war so heftig, dass es kaum noch zu hören war: „Du hahahahahaha! Dieses Quieken! Hahahaha!“, sie wischte sich die Lachtränen aus den Augen als sie sich gefangen hatte: „Wie kann man nur solche Laute machen?“

„Ahehehehehe! Indem man zu Tode gequält wird! Sind wir quitt?“

„Ich weiß noch nicht“, tat sie überlegend.

Mein Grinsen hing schief, als ich ehrlich hoffte nicht gleich die nächste Tortur durchmachen zu müssen. Wie konnte ich sie aufhalten, wenn sie sich so herrlich hell lachend an meinem Leiden labte?

„Haha! Ok, ok. Sind wir.“

„Puh...“

„Aber!“, ihr Finger zeigte drohend in meine Richtung: „Wenn du mich das nächste Mal erschreckst, gibst du mir damit die offizielle Berechtigung dich auszukitzeln!“

Mit einem absichtlich künstlichen Seufzen verschränkte ich grinsend die Arme: „Du stürzt mich damit in eine Seienskrise, das weißt du oder? Hehe!“

„Nicht mein Problem.“

Ich legte amüsiert den Kopf schief: „Ein kleiner, fieser, sadistischer Kobold.“

„Ich bin kein Kobold!“

„Du erinnerst mich aber an einen.“

„Bitte?!“, sie war empört.

'Auch für mich ist Rache süß, hehe!'

„Ich bin doch kein kleines, grünes, haariges Männchen mit riesigen Ohren und Lendenschurz!“

„Hehehehe, nein bist du nicht. Aber ein schadenfrohes, sadistisches, hübsches, junges Ding.“

Sie blinzelte mich an.

„Aber wenn es dir jetzt besser geht hat sich mein Leiden ja gelohnt.“

Ein peinlich berührtes Lächeln erschien in ihrem Gesicht und sie drehte es weg, um es zu verstecken. Ich ging wieder weiter. Sky erschien eilig an meiner Seite und eine Zeit lang liefen wir schweigend durch den großen Park.

„Eine Frage habe ich“, brach ich die Stille irgendwann. So lieb mir die etwas leichtere Atmosphäre auch war, ich wusste, dass Skylers Probleme in Angriff genommen werden mussten.

Sky schaute mich fragend an: „Welche?“

„Was nun?“, ich drehte mein Gesicht zu ihr: „Was ist dein Plan B?“

„Ich...“, sie schlang die Arme um sich selbst: „Ich hab keinen...“

„Nun ja. 16 Tage hast du noch um dir etwas zu überlegen.“

Skys Schritte wurden langsamer und sie fing sichtbar an zu zittern: „Ich... Ich weiß einfach nicht...“

Ich legte einen Arm um ihre schmalen Schultern und zog das dünne, zitternde Ding an mich ran. Ich wollte ihr so ein bisschen Trost und Schutz spenden: „Du musst jetzt deinen klaren Kopf behalten und nachdenken.“

Skyler blieb stumm. Sie war nicht beschämt, nicht irritiert. Sie war einfach nur am verzweifeln. Ein so junges Wesen sollte nicht so aussehen. Wut kroch mir in die Kehle, doch ich schluckte sie hinunter. Sie hinterließ ein heißes Brennen in meinem Magen.

„Was würde dich davor bewahren?“, fragte ich ruhiger, als ich mich fühlte. Die Spannung in dem jungen Ding tat fast körperlich weh. Sie hatte immer noch die Arme eng um ihren eigenen Körper gezogen, als ob sie verhindern wollte in tausend Teile zu zerspringen.

Sie seufzte seicht: „Naja... Am Einfachsten wäre es, wenn meine Eltern einfach nicht auftauchen würden. Das würde sie unglaubwürdig machen und sie würden dem Amt gegenüber in Ungnade fallen.“

Langsam führte ich Sky in Richtung Ausgang. Alles, was ich gehört hatte, hatte mir klar gemacht, dass mein erster Gedanke bezüglich eines Diskurses mit Skys Eltern wahrscheinlich der Beste gewesen war. Ich hatte sicherlich die ein oder andere Möglichkeit ihnen meinen Standpunkt deutlich zu machen. In meinem Kopf formte sich langsam ein Plan.

„Woran denkst du?“, fragte sie irgendwann.

Ich giggelte: „Ob mir eine Lösung einfällt, jetzt, wo das Kind in den Brunnen gefallen ist. Hehe.“

„Zerbreche dir nicht den Kopf darüber. Es ist nicht dein Problem.“

Ich lachte: „Zerbreche du dir nicht den Kopf darüber, worüber ich mir den Kopf zerbreche, hehehe.“

Sky schien ein bisschen zu brauchen um meinen Satz zu deuten: „Wenn du meinst... Naja, ich muss mir jetzt was Fixes einfallen lassen.“

„Hehe. Du solltest es dabei tunlichst vermeiden in Panik zu verfallen. Es geht dann nämlich meist prächtig daneben.“

„Das ist leichter gesagt, als getan...“

„Niemand hat mit einem Wort erwähnt es wäre einfach, liebe Sky.“

Das junge Ding wirkte auf einmal so furchtbar erschöpft und ermattet: „Ich glaube heute kriege ich keinen anständigen Gedanken mehr zustande... Ich bin müde...“

„Das glaube ich dir sofort.“

Ich grinste sie an, als sie mir ins Gesicht schaute: „Ich glaube, ich habe eine Idee.“

Ihre Augen wurden groß und ungläubig: „Welche?“

„Das ist eine Überraschung!“

„Aha?“, sie wirkte nicht begeistert: „Ich hab irgendwie die Schnauze voll von Überraschungen...“

Trotz dieser Aussage empfand ich es als weise, Skyler über meine Absichten im Unklaren zu lassen. Schon allein weil ich in Erklärungsnot kommen könnte. Aber einfach vom Rand zu sehen wie das junge Ding vor die Hunde ging würde ich sicherlich nicht.

„Wie tragisch“, sagte ich schließlich und verließ mit ihr den Park: „Überraschungen sind etwas Tolles!“

„Naja“, machte sie: „Der Brief war auch überraschend. Toll fand ich das aber nicht.“

„Vertraust du mir denn gar nicht?“, lachte ich gespielt beleidigt.

„Doch... schon...“, murmelte sie. Dann verfielen wir in ein angenehmes Schweigen. Es war nicht so, dass niemand von uns etwas zu sagen hätte. Es war eher so, als ob wir nichts zu sagen brauchten.

Ich merkte wie meine Mundwinkel sich noch ein Stück weiter nach oben kräuselten. Ein interessantes Gefühl. Doch war es mir auch relativ unergründlich.

Skyler sah mich mit einer großen Frage im Gesicht an, als ich an einer Haltestelle stehen blieb: „Du solltest nach Hause. Du hattest einen harten Tag.“

Das Nicken mit dem sie mir antwortete war kaum zu erkennen.

Wieder mischte sich ein Lachen mit einem Seufzen. Ich war mir selber nicht ganz sicher wie ich mich fühle, aufgrund der komischen Mischung aus Wut, Mitleid und Wohlgefühl: „Hehe, du kleiner Unglücksrabe. Wie viel Pech man haben kann ist wirklich erstaunlich.“

„Aha?“, machte sie nur leise und blinzelte mich von unten an. Sie war so klein und gerade wirkte sie noch viel kleiner. Wahrscheinlich, weil sie nicht ganz gerade stand.

„Nun ja, wenigstens kann es jetzt nur noch besser werden, oder?“

Nach einer hochgezogenen Augenbraue schlug sie ihre blauen Augen nieder. Mein Aufmunterungsversuch stieß wohl wieder auf innerliche Gegenwehr. Allerdings bezweifelte ich, dass es sich um eine aktive Absicht handelte. Ich kicherte fast unhörbar durch meine geschlossenen Lippen. Es wäre nicht die erste Wand, die es für mich einzurennen galt. Dann drückte ich sie ein bisschen fester an mich: „Es wird besser, glaub mir.“

Nach einem müden Nicken ihrerseits fuhr Bewegung in die kleine Menschenmenge an der Haltestelle. Ich hörte den Bus näher rollen. Skyler schaute kurz die Straße hinunter und ich nahm meine Hand von ihrer Schulter. Sie ging los und war fast in der kleinen Menschenmenge verschwunden, als sie sich noch einmal zu mir umdrehte: „Fährst du nicht mit?“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein. Hehe.“

„Warum nicht?“

„Zu wenig Platz, zu viele Menschen und zu viel Muff auf einmal. Busse sind nicht meine Welt. Hehehehehe!“

Sie musterte mich und ich sah ein paar Gedanken durch die blauen Augen huschen: „Sicher?“

Ein kleiner Luftstoß fegte über uns hinweg, als der Bus hinter der jungen Frau zum Stehen kam und seine Türen öffnete.

„Wie kommst du denn dann nach Hause?“, fragte sie weiter und würdigte das Gefährt keines Blickes.

„Schusters Rappen“, antwortete ich amüsiert.

„Aber... Es ist so weit... Ich... kann mit dir gehen!“

Ich schüttelte ein weiteres Mal den grinsenden Kopf, fischte dabei einen meiner Kekse aus meinem Mantel und schob ihn mir in den Mund. Vielleicht beruhigte das den komischen kleinen Sturm in meiner Magengegend.

„Nein“, kaute ich grinsend: „Du siehst müde aus und solltest schnell heim. Schnappe dir Amy und trinkt einen warmen Kakao. Das wird die Welt ein bisschen besser machen.“

„Ok...“, schaute sie mich komisch an: „Wenn du meinst...“

Immer noch wirkte sie sehr deprimiert und in sich erschüttert, aber irgendwas anderes lag in diesem Blick. Es ärgerte mich als ich mir eingestehen musste, dass ich nicht erkennen konnte was.

Ich wedelte mit einer Hand: „Du solltest dich beeilen. Ansonsten fährt der Bus ohne dich.“

„Ok“, wandte sie sich mit diesem grässlichen, dünnen Lächeln ab und winkte mir kurz zum Abschied: „Bye!“

„Mach es gut, mach es gut“, grinste ich und schob mir einen weiteren Keks in den Mund. Ich hatte das Gefühl die Wellen stiegen in meine Brust und wurden eine Ecke stärker mit jedem Schritt, den Sky sich von mir entfernte. Ich schluckte meine Verwirrung mit dem Keks herunter.

Die schöne Brünette setzte sich an ein Fenster und schaute mir aus dem Bus ins Gesicht. Nach ein paar stillen gegenseitigen Blicken nahm der Bus sie mit sich. Weg von hier.
 

Ein langer Spaziergang trennte mich von meinem bescheidenen Zuhause. Ich ließ meine Gedanken frei durch den frischen Herbstwind schweifen, als ich ohne große Eile durch die feuchten, vollen Straßen streifte. Mir war sehr wohl bewusst, dass ich die Blicke der Leute fing, die an mir vorbeigingen. Doch heute interessierten sie mich noch weniger als sonst. Ansonsten machte ich mir wenigstens noch einen Spaß daraus, aber das komische Gefühl in mir beschäftigte mich zu sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass es noch neue Gefühle für mich zu entdecken gab. Das war hochinteressant! Leider hatten neue Dinge immer die Angewohnheit, dass man sie nicht richtig benennen oder einordnen konnte. Das war wiederum höchst frustrierend.

Nach einiger Zeit saß ich immer noch grübelnd an meinem Tresen. Keks in der einen und einen der mysteriösen Steine in der anderen Hand, lutschte ich nachdenklich auf einem Teebeutel herum. Fast 2 Stunden unterzog ich den Stein einer weiteren intensiven Untersuchung. Zumindest war so mein Plan gewesen, doch so richtig darauf konzentrieren konnte ich mich nicht. Irgendwann warf ich resigniert den Stein in einem hohen Bogen wieder in seine Kiste im Regal. Das unstete Gefühl nervte mich. Es nervte mich furchtbar und lenkte mich zu sehr ab. Als ich weiter über dieses Gefühl philosophierte, griff ich den Hörer meines Telefons. Ich blätterte kurz durch ein kleines, dünnes Notizbuch neben ihm und wählte eine Nummer daraus. Ein schriller Laut piepste mir ins Ohr. Ich hielt den Hörer ein Stück weg. Dieses Piepen war so unsagbar unangenehm, warum haben sich die Erfinder nicht einen schöneren Ton ausgesucht?

„Nǐ hǎo?“, erklang es schließlich und ich hielt das Plastikding wieder an mein Ohr: „Ahihihihhi! Guten Abend Lee.“

„Undertaker?“

„Ahehehehehe, warum so verwundert?“, nuschelte ich an dem Teebeutel vorbei.

„Du hast mich noch nie angerufen. Was möchtest du?“

Ich wickelte meinen Zeigefinger geistesabwesend in das eingedrehte Telefonkabel: „Du hast mir also nicht zugetraut ein Telefon zu bedienen. Ahehehe!“

„Das hab ich nie gesagt“, lachte der junge Chinese: „Aber ich tippe du rufst nicht an, um mich zu fragen ob ich Hund oder Katze zum Abendessen hatte.“

Ich lachte: „Ahihihihi! Immer diese Kulturwitze!“

„Ich bin Chinese, ich darf das. Also?“

„Du hast Recht Lee, ich brauche etwas von dir“, ich stockte leicht als ich realisierte, dass mein Zeigefinger sich in dem Kabel verheddert hatte. Ich zerrte mit zusammengezogenen Augenbrauen an meinem Finger, doch das Kabel stellte sich als besitzergreifend heraus.

„Und was?“

„Informationen“, ich nahm meinen Daumennagel zur Hilfe. Es half nur nicht.

Jetzt lachte Lee: „Was für Informationen könnte der am besten vernetzte Mann in der Unterwelt von mir wollen?“

„Ahehehehehe. Welche über Lebende. Das ist nicht mein Spezialgebiet. Und schließlich bist du Teil meines Netzwerkes. Ich habe Namen und ich brauche den dazugehörigen Wohnort. Nun? Hilfst du mir?“, hielt mein Kampf mit dem Kabel an. Meine Fingerkuppe wurde langsam rot.

„Naja, nachdem du mir bei der Sache mit dem 'Crossbow Cannibal' meinen Arsch gerettet hast habe ich keine Wahl oder?“

Umständlich nahm ich ein Bein hoch und streckte das Telefonkabel mit meinem Fuß, als ich ein weiteres Mal lachte: „Wenn du es so sehen möchtest. Eine Hand wäscht die andere. Hehe.“

Ein amüsiertes Seufzen kroch aus meinem Hörer. Dann plapperte der junge Chinese eine Weile über ehrbares Verhalten, wenn man jemandem einen Gefallen schulden würde. Ich versuchte immer noch angestrengt, unter Zuhilfenahme meines Fußes, meinen Zeigefinger aus dem Kabel zu ziehen, während ich sein belangloses Geschnatter ignorierte. Es hatte sich so fest um ihn gelegt, dass ich das Kabel mit meinem Bein weiter streckte und die andere Hand mit dem Hörer und meinen gefangenen Zeigefinger so weit wie möglich auseinander zog.

„Lass los!“, fauchte ich das zickige Kabel an und rupfte schließlich kräftig.

„Was?“, fragte Lees Stimme irritiert und leise aus meinem vom Ohr entfernten Hörer.

Plöpp!

Ich wedelte mit den Armen, als der Rest Schwung mich nach hinten in den alten Stuhl warf und ihn auf die Hinterbeine stellte. Der Apparat rasselte von meinem Schreibtisch. Ich schaffte es den Stuhl wieder auf alle Viere zu stellen und das Telefon mit der nun freien Hand zu fangen, bevor es endgültig zu Boden ging.

„Was zur Hölle poltert da so bei dir? Sind deine Gäste wieder aufgestanden?“

Nachdem ich das Telefon wieder auf den Tresen gestellte hatte, nahm ich den Hörer wieder gegen mein Ohr: „Aheheheh nein. Nur die Tücken der Technik und ich“, ich wedelte mit meinem ramponierten Zeigefinger: „Von meinen Gästen ist schon länger niemand mehr aufgestanden. Ahehehehe!“

„Ah ja... Was?! Soll das heißen, sie SIND schon einmal wieder aufgestanden?!“

Lees geschockte Tonlage unterwarf mich einem kleinen Lachanfall: „Pahahahahahahaahaha! Willst du die Antwort, die du hören willst oder die Ehrliche?“

„... Gar keine...“

Mein Lachen verschwand fast, so schrill war es geworden: „Wuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhuhu!“

„Also... Lassen wir das Thema! Ich will es wirklich nicht wissen!“, der inoffizielle König des East Ends klang, als könne er es sich denken: „Du sagtest du hast Namen und brauchst Adressen. Dann gib sie mir und ich schau was ich tun kann.“ Ich hörte ein leises Kramen im Hintergrund. Wahrscheinlich suchte der junge Mann gerade etwas, um sich mein Anliegen zu notieren.

„Wunderbar! Es geht um Tonia und Graham Rosewell.“

„Aha, ok, ich...“, er stockte: „Warte! Rosewell? Heißt so nicht Amys Freundin?“

„Ahehehehe, wie aufmerksam du bist.“

„Wenn es um schöne Frauen geht.“

Ich konnte dem Drogenbaron nachfühlen: „Hihihi! Also! Hilfst du mir?“

„Wofür brauchst du die Adressen von mir?“, fragte Lee skeptisch.

„Lass das meine Sorgen sein. Hehe.“

Er schwieg eine Weile: „Das klingt nicht gut. Ich habe kein gutes Gefühl dabei dir die Adressen zu besorgen. Sind sie mit dem Mädchen verwandt? Sky, oder?“

Ich lachte schrill: „Ja Sky und ja, es sind ihre Eltern.“

„Warum willst du wissen wo Skys Eltern wohnen?“

„Ich hab ein kleines Hühnchen mit ihnen zu rupfen.“

„Aha? Das beruhigt mich nicht im Geringsten. Eher das genaue Gegenteil.“

„Ich hab der Kleinen ein Versprechen gegeben, aber dafür brauche ich die Adresse.“

„Der Tatsache, dass du mich fragst und nicht sie, entnehme ich sie hat keine Ahnung was du vorhast.“

Ein Kichern: „Gegen deinen Schneid ist kein Kraut gewachsen, Lee.“

„Was muss man tun, damit der Legendäre Death god ein Hühnchen mit einem rupfen will? Das klingt so, als besorgst du dir im selben Zug neue Kundschaft.“

„Ich bin doch kein Mörder!“, entfuhr es mir gespielt empört.

„Sprach der Sensenmann“, konterte Lee.

„Touché “, antwortete ich: „Ich tue nichts Schlimmes.“

„Sicher?“

„Habe ich dich je angelogen?“

Lee schien zu überlegen: „Nein... Ok, ich mach's. Ich vertraue dir. Bring mich nicht dazu es zu bereuen!“

„Im Leben nicht, liebster Lee! Ich bin dir zu tiefem Dank verpflichtet. Sage mir Bescheid, wenn ich etwas für dich tun kann.“

„Wie gesagt: Das hattest du noch gut bei mir. Wir sind quitt.“

„Ich stehe dir trotzdem mit Rat und Tat zur Seite. Gegen die übliche Gebühr. Hehe!“

„Ich hab schon ein Witzbuch über schwarzen Humor in meinem Schrank stehen. Ich ruf dich an, sobald ich etwas weiß.“

„Wenn du mir zutraust, dass ich den Hörer abnehmen kann. Ahehehehehe!“

Ein lachender Seufzer: „Dein Selbsthumor ist unschlagbar. Bis dann.“

„Bis dann“, hing ich den Hörer auf.

Nachdem ich aufgestanden war warf ich den Teebeutel in den Müll und begab mich zu meiner Lieblingsbeschäftigung. Meine wunderbaren Gäste schafften es immer wieder mich prächtig abzulenken.
 

Lee rief mich am Mittag des nächsten Tages wieder an. Skys Eltern lebten im East End, sogar im schlechtesten Winkel davon, weshalb Lee keine großen Schwierigkeiten gehabt hatte sie zu finden. Für ein Kind war es definitiv kein guter Ort.

Als die Herbstsonne untergegangen war verließ ich meinen Laden.

Im Schein des vollen Mondes schwirrte ich als schwarzer Schatten über die Dächer Londons. Sehen tat mich niemand. Für das menschliche Auge war ich zu schnell. So trennte mich nicht viel Zeit von meinem Ziel im East End und ich landete in der Hocke auf der Mauer eines kleinen Küchenbalkons im 4. Stock eines schmuddelig aussehenden Hauses. Es brannte Licht in dem Raum hinter der Balkontür. Die hellblauen Küchenmöbel waren leicht angegraut, aber alles in allem sauber. Die Küche war lediglich ein wenig kürmelig.

„Tonia!“, sickerte es durch die geschlossene Glastür zu mir: „Bring mir ein Bier mit!“

Meine Augenbraue wanderte unangetan nach oben.

Eine brünette, kleine Frau erschien in der Küche. Ihr Gesicht war eingefallen und die dünnen Haare zu einem Dutt zusammengebunden. Ihre Kleider waren nicht die Neusten, aber im Großen und Ganzen ordentlich: „Du sollst doch nichts mehr trinken! So bekommen wir Sky nie wieder!“

„Ach! Das Balg soll sich nicht so anstellen und die bescheuerte Sozitussi auch nicht.“

Die Frau schüttelte müde mit dem Kopf: „Ich finde das nicht gut!“

„Jetzt mach, Tonia!“

'Was ein Herzchen...', surrte es wütend durch meinen Kopf. Ich merkte die Wut wieder aufwallen, die sich in den letzten 24 Stunden wenigstens ein bisschen gesetzt hatte.

Die Frau, Tonia, griff in den Kühlschrank und holte einen kleinen Plastikbecher und eine braune Glasflasche heraus. Dann verschwand sie aus der Küche und löschte die Lampe.

Dünnes, buntes Licht flackerte in der Dunkelheit durch den Türrahmen der Küche und ich verließ meine Position auf der kleinen Mauer. Die Tür war natürlich abgesperrt, als ich das erste Mal dagegen drückte. Mit einem leisen Kichern legte ich meinen Zeigefinger an das Schloss und die Türe schwang mit einem leisen Klicken auf.

Auf lautlosen Sohlen schlich ich in die kleine Wohnung. Gedämpfte Stimmen halten durch die Wohnung. Immer noch ohne ein Geräusch erreichte ich das kleine Wohnzimmer. Auch hier hielt sich das Chaos in Grenzen. Nur der gläserne Couchtisch in der Mitte der kleinen Sitzgruppe aus altem, braunem Leder war übersät mit leeren Glasflaschen. Ich konnte den Geruch von schalem Bier bis zu meiner Position im Türrahmen riechen. Die dünne Frau saß auf der Couch und aß einen Jogurt. Neben ihr saß ein Kerl Mitte 40 in schmuddeliger Jeans und T-Shirt, unordentlichem blonden Haar und Dreitagebart. Doch man sah ihn an, dass er ein Soldat gewesen war. Er war muskulös und wirkte kräftig. Er hob eine weitere Glasflasche an den Mund und nahm einen tiefen Schluck.

Die Wut in meiner Magengegend wurde heißer und ich musste mich mühsam an das Versprechen erinnern, was ich Lee gegeben hatte.

Skys Eltern schauten einen Kriegsfilm im Fernsehen und hatten mich nicht ansatzweise bemerkt. Eine diebische Vorfreude mischte sich in die Wut und kräuselte meine Mundwinkel nach oben, als ich unentdeckt in das von künstlichem Licht und Lärm erfüllte Wohnzimmer schlenderte. Ich lehnte meine Ellenbogen neben Skys Vater auf die Couchlehne.

„Interessant“, sagte ich, als ich mein grinsendes Gesicht in die Hände stützte und den flimmernden Kasten beschaute.

Die Köpfe von Skys Eltern flogen herum.

Tonia krabbelte mit einen spitzen Schrei auf die Armlehne und Graham sprang auf: „Wer zur Hölle bist du?!“

Ein amüsiertes Lachen entfloh meinem zahnvollen Grinsen. Dann richtete ich mich wieder auf und verbeugte mich spöttisch korrekt: „Nur ein bescheidener Bestatter. Man nennt mich 'The Undertaker'.“

„ The... the Undertaker... aber... aber wie...?!“, stammelte Skys Mutter panisch.

„Wie man dich nennt geht mir am Arsch vorbei! Was willst du hier?!“, brüllte Skys Vater mit alkoholschwerer Stimme. Seine stinkende Fahne flog mir entgegen und ich wedelte sie mit einer Hand aus meinem Gesicht: „Hui! Ahehehehe! Das war aber nicht das erste Bier.“

Der Mann musterte mich so fassungslos, dass es den Ärger fast gänzlich aus seinem Gesicht vertrieben hatte: „Was zur... Was willst du von uns?! Wie kommst du in unsere Wohnung?!“

Ich hob immer noch lachend die Hände: „Ahahahahahahahahaahaha! Na wie wohl? Durch die Türe!“

„Verpiss dich!“

„Na“, machte ich grinsend und legte den Kopf schief: „Noch nicht.“

„Was... Was wollen sie denn?!“, die ausgemergelte Frau hatte vor Angst zu zittern begonnen.

'Hach herrlich', sättigte das schadenfrohe Pläsier über ihre Reaktionen wenigstens ein bisschen die hungrige Wut in meinem Bauch: „Ahehehehehehe! Ich bin wegen Skyler hier.“

Die Mutter der jungen Dame setzte sich ein Stück auf: „Wegen Skyler? Was ist mit ihr?“

„Oh, hehehe, es ging ihr gut. Dann kamt ihr.“

„Spuck's endlich aus! Was ist mit unserer Tochter?!“

Mein Grinsen drehte sich um und ich schaute den betrunken grölenden Mann missbilligend an: „Du hast keinerlei Recht dazu sie deine Tochter zu nennen.“

„Wie ich meine Tochter nenne geht dich einen Scheißdreck an!“

„Oh doch, oh doch. Ich bin ein Freund von ihr und was ich sah und hörte gefiel mir gar nicht.“

„Ein... ein Freund... von Sky?“, die Brünette legte ungläubig die Hand auf den Mund.

„Was dir gefällt schert mich auch nicht! Verschwinde aus meiner Wohnung!“

Es klirrte, als Skys Vater seine Bierflasche an einem alten Holzschrank zerschlug. Platschend ging der Rest ihres Inhaltes zu Boden. Meine Augen zuckten kurz, als das spitze Ende auf mich zu kam. Nonchalant drehte ich mich aus der Schlagrichtung und endete hinter dem Betrunkenen, der so tollkühn sein Heim verteidigen wollte.

'Trottel!', dachte ich abfällig, als ich ihn meinen Schuh in den Rücken rammte und ihn endgültig aus der wackeligen Balance brachte. Er ging zu Boden.

„Graham!“, rief es hinter mir. Dann hatte ich auf einmal die Frau am Arm: „Lassen sie meinen Mann in Ruhe!“

Mein Mund verzog sich zu einem bedrohlichen Lächeln, als ich das Gesicht zu ihr drehte: „Willst du das wirklich tun? Mich aufhalten?“

Sie ließ geschockt meinen Arm wieder los und stolperte nach hinten: „Nehmen Sie was sie wollen! Aber wir haben kein Geld!“

Ich lachte, nur war es alles andere als fröhlich: „Ahahahahahaha! Das Einzige was ich von euch haben wollen würde ist euer Leben. Aber keine Sorge: Ein paar Versprechen binden mir die Hände. Leider.“

Ihre braunen Augen schauten mich panisch an. Vor mir rappelte sich ihr Mann wieder auf: „Du kleiner, kranker Pisser!“

Er schlug nach mir. Ich fing seine Faust in der Luft: „Ah ah ah. Das ist nicht sehr nett. Hehe.“

Dann zog ich ihn zu mir und griff mir mit der anderen Hand den Kragen seines schmuddeligen T-Shirts: „Du solltest jetzt gut die Ohren spitzen, bevor ich dich zwinge es zu tun, klar?“

Der Mann griff meinen Arme und versuchte sich zu befreien: „Nimm deine dreckigen Pfoten von mir!“, grölte er mit einem leichten Lallen.

„Hehe! Sagt der Richtige“, dann landete mein Knie in seinem Magen. Er ging in die Knie, der Oberkörper nur gehalten von meiner Hand: „Habe ich jetzt deine Aufmerksamkeit?“

Skys Vater hustete.

„Gut“, sagte ich mit einem gefährlich dunklen Unterton, ohne dass er mir geantwortet hatte: „Ich sage das alles nur einmal, also hör mir sehr, sehr gut zu.“

„Was willst du?!“

„Ihr werdet jeden Brief vom Jugendamt ignorieren. Ihr werdet selbst keine mehr schreiben und Skyler in Ruhe lassen. Klar?“

„Und was willst du tun wenn nicht?! Das Balg ist MEINE Tochter! Ich bestimme, was mit ihr passiert!“

'Balg?!', dieser Ausdruck brachte mich an den Rand einer Explosion. Wie kann man so über das eigene Kind sprechen?!

Ich machte meinem Ärger Luft, in dem ich die Hand von seinem Kragen nahm und in derselben Bewegung meinen Handrücken hart durch sein Gesicht zog. Der Kerl kippte nach hinten.

Nur um ihm dieses Mal mit beiden Händen am Kragen zu packen, ging ich auf ein Knie. Ich zog seinen Oberkörper ein Stück hoch und beugte den Kopf zu seinem Gesicht hinunter.

„Solltet ihr mir zuwiderhandeln“, hauchte ich ihm leise entgegen. Sein Gesicht wurde bleich in der Anwesenheit meines unheilverkündenden Untertones: „Werdet ihr das bitterlich bereuen. Denn dann komme ich wieder. Erst werde ich ein paar Wochen euer schlimmster Albtraum sein. Dann werdet ihr spurlos verschwinden. Ich habe einige Mittel und Wege damit euch nie wieder irgendjemand findet. So oder so: Ihr werdet Skyler in Ruhe lassen. Ob ihr das tot oder lebendig tut überlasse ich euch.“ Ein dunkles Lachen unterstrich meine Aussage und ich ließ den Kragen des Typen wieder los, als ich mich aufrichtete und an seiner Frau vorbei wollte.

„Sky ist unsere Tochter“, hielt mich ihre Stimme auf: „Wir lieben sie!“

Ich schaute die Frau über meine Schulter an: „Aha? Zeigt man das heutzutage durch Krankenhausbesuche?“

Skys Mutter wirkte sprachlos: „... Aber.. das waren... Unfälle!“

Ich nickte sarkastisch: „Natürlich und ich bin der Papst.“

Ich sah, wie Skys Vater sich ein weiteres Mal aufrappelte: „Was für ein bekloppter Psycho bist du denn?! Brichst in unser Haus ein! Bedrohst uns!“

„Jeder bekommt was er verdient. Hehe. Ich habe alles gesagt. Ich gebe euch des Weiteren mein Versprechen mich daran zu halten. Wählt selbst. Wählt weise. Tahehehehe!“, verließ ich die kleine Wohnung wieder durch die Balkontür in die Nacht und war verschwunden.
 

Der Tag an dem Sky ihre Eltern treffen sollte war ein sonniger Samstag. 2 Stunden zu früh hatte ich wieder an der Wand des großen Gebäudes gelehnt und mit meiner Brille bewaffnet die Treppe im Auge behalten.

Die Straßen waren voll, doch auf den Steinstufen gab es fast gar keinen Personenverkehr. Deswegen fielen mir die beiden jungen Frauen bei ihrer Ankunft auch sofort ins Auge. Amy war für ihre Verhältnisse viel zu schick gekleidet und auch Sky trug ein sehr ansprechendes Assemble von Kleidung um den dünnen Körper, als sie gemeinsam die Steinstufen beschritten. Es erleichterte mich ungemein, dass Skyler sich dieses Mal Amy zur Unterstürzung mit gebracht hatte.

Nachdem die beiden jungen Damen in der Glastüre verschwunden waren, welche das historische Gebäude so furchtbar verunstaltete, musterte ich die Treppe weiter aufmerksam.

Sollten Skys Eltern meine Warnung ignorieren, würden sie ihr blaues Wunder erleben. Doch die Zeit verging. Stunde um Stunde. Ich sah die Rosewells nirgendwo.

Irgendwann erschienen auch Sky und Amy wieder vor dem Gebäude. Amy wirkte sauer, als sie sich in Skys Arm einharkte. Das brünette junge Ding hatte einen zerrissenen Gesichtsausdruck. Sie wirkte aus irgendwelchen Gründen nicht gänzlich erleichtert.

Ich stieß mich von der Wand ab, als eine kleine Touristengruppe anfing eifrig mit vielen blitzenden Apparaten und wildem Geschnatter Fotos von dem Gebäude zu schießen. Doch mein Blick verließ das zerbrechliche, junge Ding nicht eine Sekunde.

Nach kurzer Zeit drehte sich ihr Blick zu mir. Sky sah mich und wirkte mehr als irritiert. Dann sprach Amy die Schülerin an und sie wandte ihren Kopf wieder ab um ihrer Freundin zu antworten.

Ich entschied mich die beiden Mädchen heute nicht weiter zu behelligen. In echter Freundschaft kann die Welt genesen, dazu brauchten sie mich nicht.

Mein Teil war getan. Der Sturm in meinem Inneren flaute wieder auf ein unterschwelliges Maß ab, als ich mich auf den Weg gen Heimat machte.



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