Zum Inhalt der Seite

It wasn't much!

von
Koautor: Calafinwe

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Tadokoro gähnte. Sie wartete seit etwa einer halben Stunde darauf, dass ihr Freund Sōma endlich mit seinem gepackten Rucksack zur Treppe runter kam, damit sie ihren kleinen Ausflug starten konnten. Es war Sommerzeit, die Tootsuki Culinary High School lag relativ verlassen da, viele der Schüler waren zu ihren Familien nach Hause gefahren. Die Schülerin hatte sich dagegen entschieden, zu ihrer Mutter zurückzukehren. Anstatt die sechs Wochen im Ryokan der Familie auszuhelfen, hatte ihr ihre Mutter erlaubt, im Polarstern Wohnheim zu bleiben und die Zeit mit ihren Mitschülern zu verbringen. Doch bis auf Yukihira, Isshiki-senpai und Ibusaki-san waren auch alle anderen nach Hause gefahren.

„Na, immer noch da?“, fragte jemand freundlich hinter ihr.

Megumi drehte sich um. Hinter ihr Stand Fumio-san, die Leiterin des Wohnhauses, bewaffnet mit Wischmopp und Eimer. Irgendwie hatte die quirlige alte Dame immer Putzutensilien in der Hand, wenn man ihr über den Weg lief.

„Ich weiß leider nicht, was mit Sōma-kun ist. Wir hatten uns für halb 10 Uhr verabredet, aber er taucht nicht auf. Ob er verschlafen hat?“, überlegte das blauhaarige Mädchen.

Fumio lachte herzhaft.

„Nun, als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er in der Küche und hat Pulpo mit Erdnussbutter gegrillt. Das war vor einer halben Stunde, wenn ich mich recht erinnere.“

„Äh...“

Allein die Vorstellung erzeugte Magenkrämpfe bei dem Mädchen. Sie hatte die fragwürdige Kombination einmal probieren müssen, damals, als sie Sōma kennen gelernt hatte. Seitdem hatte er sie zum Glück damit verschont. Also warum beschäftigte er sich wieder damit? Hatte er herausgefunden, wie die kleinen Tintenfische mit der Erdnussbutter zu einer Gaumenfreude wurden? Hoffentlich suchte er sich dieses Mal einen anderen Testesser. Da war es Megumi schon fast egal, sollte er ihre Verabredung vergessen haben.

„Keine Sorge, er wird sicher gleich kommen“, meinte Fumio augenzwinkernd und schulterte den Mopp.

Dass die alte Frau auch immer genau wissen musste, woran man gerade dachte! Und als ob sie der Hellseherei fähig wäre, kam Sōma just in diesem Augenblick in das Foyer des Polarstern Wohnheims spaziert, bepackt mit einem schweren Rucksack.

„Ah, du bist schon da“, begrüßte er seine Mitschülerin gut gelaunt und grinste sein Unvergleichliches ‚Ich habe etwas ausgeheckt‘-Grinsen. Megumi fragte lieber nicht danach, was sich in der verschlossenen Bento-Box befand, die er in den Händen hielt.

„Können wir los?“, wollte sie stattdessen wissen.

„Na klar! Auf zu den ewigen Jagdgrünen nach geheimen Zutaten!“

„Deswegen wollt ihr in den Wald?“, fragte die Heimleiterin. „Weil ihr noch nicht entdeckte Leckerbissen finden wollt?“

„Natürlich! Weiter als bis zum Garten haben wir es bisher ja nie geschafft“, antwortete der Kochschüler. „Wer weiß schon, was sich alles in dem Wald verbirgt.“

„Passt mir bloß auf, ihr beiden. Und dass ihr mir unbeschadet wieder nach Hause kommt!“, mahnte Fumio.

Tadokoro nickte eifrig. Die beiden Schüler wandten sich der Haustür zu, schoben sie auf und traten in den Sonnenschein hinaus. Schwüle Luft umfing sie, was für diese Jahreszeit normal war. Vögel zwitscherten in den Bäumen, die etwas entfernt den Beginn des Waldes markierten. Das Gelände der Tootsuki Culinary High School befand sich auf einem Privatgrundstück des Nakiri-Clans. Doch wo man eine dichtgepackte Infrastruktur erwartet hätte, versteckten sich die einzelnen Komponenten der Kochakademie bisweilen in dichtem Wald. Das Polarstern Wohnheim war da noch relativ leicht zu finden, doch Megumi erinnerte sich noch gut daran, als sie einen Kurs in amerikanischer Küche belegt und die erste Stunde zur Hälfte verpasst hatte, weil sie den Lehrraum nicht gefunden hatte. Chefkoch Ethan McGrath, der Leiter des Kurses, war außer sich gewesen und hatte sie hinaus gejagt.

„Megumi!“

„Häh?“

„Träumst du?“

Die Schülerin ließ den Kopf hängen. Das Abenteuer hatte noch gar nicht richtig angefangen und schon wollte sie in die Behaglichkeit ihres Zimmers zurück.

„Geht es dir gut?“, fragte Yukihira besorgt.

„Ja. Ich, die letzte Nacht war etwas anstrengend.“

Wie, um die Aussage zu untermalen, gähnte sie einmal herzhaft. Sōma starrte sie an. Doch anstatt etwas zu sagen, drehte er sich um und ging Richtung Garten. Tadokoro beeilte sich, um nicht von ihm abgehängt zu werden.

„Also wonach wollen wir als Erstes suchen?“, fragte sie.

Ihr Mitschüler zuckte mit den Schultern.

„Ist mir eigentlich egal, ich nehm alles mit, was in irgendeiner Weise essbar aussieht.“

Daran zweifelte das Mädchen nicht und dachte mit Schaudern an die Erdnuss-Tintenfische, die sich höchstwahrscheinlich in der Bento-Box befanden. Ob er noch was anderes zu Essen und Trinken dabei hatte? Sie selbst hatte sich in verschlafenem Zustand ein bisschen was eingepackt, eine kleine Flasche Wasser sowie einige Onigiri, die sie gerade noch so zusammen bekommen hatte. Doch für einen Ausflug waren die Reisecken perfekt. Einfach zu transportieren und haltbar über einen längeren Zeitraum. Und kulinarisch nicht zu schlagen im Vergleich zu Tintenfischen mit...

„... bloß nicht dran denken“, murmelte sie.

„Hm? Hast du was gesagt?“

„Wer ich? Nein... Ich weiß gar nicht, wie du darauf kommst.“

Sōma sah sie schief an.

„Also lass uns am besten hinter dem Garten starten. Laut Isshiki-senpai verläuft unweit davon ein Fluss, ich würde gerne wissen, ob es darin essbare Fische gibt.“

„Aber fangen willst du keine?“

„Nein, erst einmal nicht. Dafür bräuchte ich ja eine Angel.“

Yukihira grinste seine Mitschülerin an. Sie hatten das Anwesen umrundet und durchquerten den Garten. Jetzt um diese Jahreszeit stand er voll mit Bohnen, Tomaten und Speisemais. Dazu gesellten sich verschiedene Arten von Kohlen und Salaten sowie eine Reihe hübscher Blumen, die Fumio-san der Deko halber angepflanzt hatte und deren Blüten irgendwann einmal den Weg auf Tadokoros Teller gefunden hatten. Ob die Heimleiterin jemals davon erfahren hatte?

Auf der anderen Seite des Gartens gab es einen Zaun mit einem Gatter, doch Sōma sprang einfach über die Holzbalken hinweg. Typisch für ihn, warum den einfachen Weg gehen, wenn es komplizierter so viel interessanter war? Entschlossen schritten die beiden auf die erste Baumreihe zu und tauchten dann in den dankbaren Schatten ein. Unter den Wipfeln war es bei weitem angenehmer als draußen in der Hitze und Megumis Augen brauchten ein bisschen, bis sie sich an das Zwielicht gewöhnt hatten.

„Wenn du leise bist, kannst du es schon plätschern hören“, sagte ihr Mitschüler einige Momente später.

Tatsächlich, zwischen dem Vogelgezwitscher und dem sanften Rauschen der Blätter konnte man hier und da die Geräusche von Wasser hören, das über Steine hinweg sprang.

„Also immer dem Geräusch nach?“, fragte das Mädchen.

Sōma nickte. Sie liefen weiter in den Wald hinein und bald schon war der Bach gut zu hören. Als sie das Gewässer erreicht hatten, stellte der Koch seinen Rucksack ins Gras, zog die Turnschuhe aus und krempelte die Hosenbeine nach oben. Tadokoro sah ihm zu, bis ihr bewusst wurde, dass er in den Bach steigen wollte.

„Willst du die Fische mit der Hand fangen?“, erkundigte sie sich zweifelnd.

„Ja, ich hab auf die Schnelle kein Fischernetz aufgetrieben. Irgendwer muss die aus dem Schrank genommen haben.“

Im Polarstern Wohnheim gab es diverse Ausrüstungsgegenstände, mit deren Hilfe sich Lebensmittel kultivieren oder eben fangen ließen. Doch während die Leiter der Schule Jagdgewehre für zu gefährlich hielten, als dass man Schüler damit in den Wäldern hätte herumlaufen lassen können, waren Angelruten und Fischernetze kein Problem gewesen. Mit den Netzen hatten die jungen Bewohner des Polarsterns schon so einigen Schabernack getrieben, nicht nur in der Gegenwart, wie Fumio-san einmal erzählt hatte.

Der junge Mann stieg gebückt im Bachbett herum. Megumi sah ihm eine Weile zu, zuckte dann mit den Schultern und setzte sich neben seinen Rucksack ins Gras. Misstrauisch blickte sie auf die Bento-Box, die ebenfalls auf dem Boden stand.

„Wieso bist du eigentlich nicht nach Hause gefahren?“, fragte sie, während ihr Schulkamerad mit seinen Händen im kalten Wasser herumwühlte.

„Mein Dad ist eh nicht daheim und das Restaurant alleine führen würde er mir nie erlauben“, erzählte Sōma.

„Ah.“

Das blauhaarige Mädchen ließ sich auf den Rücken fallen und starrte in die Baumwipfel empor. Zwar war es hier im Schatten am Bach nicht so schlimm, trotzdem drückte die Schwüle auf ihr Gemüt. Ausgeschlafen war tatsächlich was anderes. Vielleicht hätten sie ihr Abenteuer auf Nachmittag verschieben sollen? Andererseits wäre es dann schon viel zu spät gewesen und die meisten Tiere waren Frühaufsteher. Eigentlich war halb zehn Uhr morgens schon viel zu spät, um die Umgebung zu erkunden und dabei womöglich neue Lebensmittel zu entdecken.

Tadokoro seufzte. Warum nur hatte sie am Abend zuvor noch so lange ihren Manga gelesen? Die Neugier über die Liebesgeschichte hatte sie bis nach Mitternacht wachgehalten und jetzt war sie hundemüde. Ihr fielen schon fast die Augen zu, als Yukihira sich über sie beugte und sie fragend ansah. Doch anstatt hochzuschrecken, sah ihn das Mädchen nur müde an.

‚Ist das ein Traum?‘, wunderte sie sich. ‚War Sōma-kun nicht gerade eben noch im Wasser gestanden?‘

„Wie viel Zeit ist vergangen?“, fragte Megumi.

„20 Minuten etwa. Hast du geschlafen?“

„Nein... glaube ich.“

Sōma grinste und richtete den Oberkörper wieder auf.

„Schlafmütze!“, feixte er.

Die Schülerin kam ebenfalls wieder in die Höhe. Sie fühlte sich immer noch seltsam benommen, aber nicht mehr so müde wie zu Beginn ihres Ausflugs. Scheinbar hatte sie tatsächlich ein bisschen geschlafen.

„Und nun?“, fragte sie.

Ihr Mitschüler war gerade dabei, seine Schuhe wieder anzuziehen.

„Hast du was gefangen?“

„Ja, aber nichts, was wir nicht schon kennen würden. Falls du mal Regenbogenforellen verarbeiten willst, ist das die Gelegenheit. Frischer als direkt aus dem Bach wirst du sie nicht kriegen.“

„Oh, okay. Auf was hattest du gehofft?“, fragte Tadokoro.

„Auf Yamame, aber vielleicht sind wir hier einfach auch nur viel zu nah an der Großstadt dran.“

„Die sind ziemlich selten“, entgegnete das Mädchen. „Wichtig ist, dass in dem Fluss ein gutes Klima herrscht, sonst kannst du Jahre nach ihnen angeln und hast trotzdem kein Glück.“

„Mein Glück ist, dass ich so eine schlaue Mitschülerin wie dich habe“, erwiderte Sōma und schulterte seinen Rucksack. „Komm, lass uns weiter gehen.“

Noch ehe Tadokoro auf das Kompliment reagieren konnte, hob er die Bento-Box vom Boden auf und wandte sich flussabwärts.

‚Er wird doch wohl nicht...‘

Tatsächlich öffnete Yukihira die japanische Pausenbox und darin kamen die in Erdnussbutter gegrillten Pulpo zum Vorschein. Wider Erwarten drängte er seine Freundin nicht dazu, eines der zweifelhaften Exemplare zu verkosten. Stattdessen nahm er eines heraus und ließ es auf den Boden fallen.

„Was machst du da?“, fragte Megumi irritiert. Es sah ihm so gar nicht ähnlich, dass er Essen verschwendete, selbst wenn die Kreation eine kulinarische Katastrophe war.

„Damit wir den Weg zurück zum Wohnheim finden. Der Wald ist ja nicht gerade klein und ich will mich nicht verlaufen.“

Das Mädchen kratzte sich am Kopf.

„Okay, aber gibt es dafür nicht Handys mit Navigationsfunktion?“

„Hm, sicher.“

Mehr sagte er dazu nicht. Und Tadokoro ihrerseits traute sich nicht, noch mehr dazu zu fragen. Sonst kam er nur auf die Idee, die Pulpo an sie zu verfüttern und dann hätte sie keine Ausrede, warum sie die kleinen Tintenfischchen nicht essen könne. Keinen Hunger zu haben ließ Sōma üblicherweise nicht gelten.

Sie gingen tiefer in den Wald hinein, wo nur noch die Geräusche der Natur zu hören waren und Zivilisation eine Errungenschaft fremder Welten zu sein schien. Jedenfalls erschien des dem blauhaarigen Mädchen so. Hier und da hielten die beiden an, um interessante Beeren einzusammeln oder die Blätter vermeintlicher Kräuter zu pflücken. Ihr Mitschüler hatte irgendwie den Drang, alles in seinen Rucksack packen zu wollen, selbst Blätter von Pflanzen, von denen jedes Kind wusste, dass sie giftig waren. Wilde Hortensien, die verlockenden Früchte der japanischen Eibe oder auch Eisenhut, wenn Megumi nicht aufpasste, packte er alles ein. Zwischendrin ließ er immer wieder die gegrillten Pulpo auf den Boden fallen.

‚Es ist zum Verrücktwerden!‘, dachte sie. ‚Er ist doch Koch, da sollte man doch wissen, was essbar ist und was nicht. Er würde ja auch keinen Fugu zubereiten, wenn er sich beim Ausnehmen verschnitten hätte...‘

Oder träumte sie alles nur? Scheinbar, denn die Blätter der Hortensie wanderten gerade in seinen Rucksack. Das Mädchen gab ihre Versuche auf, Yukihira davon abzuhalten, Ungenießbares mitzunehmen. Sie musste nur dran denken, ihm die Sachen nachher aus dem Rucksack zu klauen, wenn er gerade nicht aufpasste.

‚Diese Hitze bringt mich um‘, sinnierte sie. ‚Es muss an der Hitze liegen, sie setzt auch ihm zu!‘

„Schau mal da vorn!“

Tadokoro ließ die Schultern hängen. Ihr Blick folgte Sōmas ausgestrecktem Zeigefinger.

„Ist das ein Haus?“, fragte sie.

„Scheint so.“

„Hier draußen mitten im Wald? Glaubst du, es ist eine geheime Forschungseinrichtung der Akademie?“

„Glaubst du?“, konterte Sōma.

Sie blieben stehen und blickten zu dem merkwürdigen Gebäude hinüber. Irgendwie hatte er ja Recht, wie ein Labor sah es nicht gerade aus. Einerseits war es viel zu klein, als dass es zur Tootsuki Culinary High School gehören konnte. Andererseits passte die Farbgebung auch so gar nicht ins architektonische Konzept. Selbst das auf alt getrimmte Anwesen des Polarstern Wohnheims fügte sich noch besser ins Bild ein als das Häuschen, das etwa 50 Meter von ihnen entfernt hinter den Bäumen hervorlugte.

„Lass uns mal hinüber gehen“, schlug Sōma vor.

„Bist du sicher?“

Megumi klang unsicher. Andererseits konnte es nicht schaden, nachzusehen. Nach dem Fiasko mit dem Kochkurs in amerikanischer Küche hatte sie den Lageplan der verschiedenen Tootsuki-Einrichtungen auswendig gelernt. Das Gebäude da vorne war definitiv nicht darauf verzeichnet. War es still gelegt worden oder wurden hier die neuesten kulinarischen Errungenschaften kreiert? Nach anfänglichem Zögern war Tadokoro jetzt genauso neugierig.

Die beiden schlenderten hinüber, als ob es das Normalste der Welt wäre. Doch als sie sich bis auf 20 Meter genähert hatten, wurden sie langsamer.

„Das riecht wie...“, fing Megumi an.

„Mhm.“

„Das sieht auch aus wie...“

„Mhmmhm!“

„Findest du auch, dass...?“

„Definitiv!“

Sie blieben stehen und starrten auf das Häuschen, das sich vor ihnen befand.

‚Das muss definitiv ein Traum sein...!‘, befand Megumi innerlich.

Das Häuschen war so klein, dass es darin nicht mehr als einen Raum geben konnte, noch dazu war es ziemlich flach. Wenn dort jemand lebte, handelte es sich offenbar um einen Asketen. Jedoch erweckte etwas anderes viel mehr Aufmerksamkeit. Die Außenwand des Gebäudes schillerte in den verschiedensten Farben und seltsamerweise ging ein verführerischer Duft davon aus, einer, den Tadokoro ziemlich gut kannte.

Sie beobachtete, wie Sōma zur Wand ging und die Finger ausstreckte. Er zog kurz, dann hatte er es auch schon in der Hand und hielt es ihr triumphierend vor die Nase. Ein kleines schmales Gebäckstäbchen mit rosafarbener Glasur. Das blauhaarige Mädchen verwettete ihre Lieblingshaarspange darauf, dass es sich dabei um einen Erdbeer-Pocky handelte. Wie um ihre Verwunderung zu unterstreichen, wanderte Yukihiras Beute seinem Mund entgegen.

„Willst du wirklich...?“, fragte seine Mitschülerin schnell.

Theatralisch biss er ab, die Augen fest geschlossen. Nichts regte sich, weder im Gesicht des Jungkochs noch in den Baumwipfeln über ihnen. Es wirkte, als stünde die Zeit still. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit begann er vorsichtig zu kauen.

„Und?“, fragte Megumi gespannt.

„Wie ein richtiger Pocky...“, befand Sōma.

Überfordert sahen sie wieder auf die Hauswand. Dort mussten sich hunderte Pockys befinden, tausende, allein für diese eine Seite des Gebäudes. Der junge Mann griff noch mal zur Hauswand und nahm sich einen weiteren Pocky.

„Wenn du so weitermachst, stürzt es ein, weißt du...?“

„Ach was.“

Trotzdem warfen die beiden einen genaueren Blick auf das Loch, das sich an der Stelle gebildet hatte, wo jetzt zwei Pockys fehlten. Tadokoro griff nun selbst nach einem Pocky. Er war ziemlich leicht von der Wand zu lösen und nach kurzem Zögern biss sie ab.

„Schmeckt auch wie Pocky“, befand sie.

„Na sag ich doch.“

Sōma hatte mittlerweile mehrere Stangen mit Überzug aus der Hauswand gepickt.

„Voll der Selbstbedienungsladen“, meinte er mit einem Kichern, das sonst nur kleine Kinder beim Aushecken von Streichen hinbekamen. „Das müssen wir unbedingt den anderen sagen.“

„Lieber nicht“, konterte seine Begleiterin. „Wenn zu viele Leute hierher kommen und die Pockys wegnehmen, fällt das Haus erst recht zusammen.“

„Aber du darfst schon so viele nehmen, wie du willst?“, feixte Yukihira und stupste sie in die Seite.

Sie lachten und bemerkten gar nicht, dass eine dritte Gestalt hinzugetreten war. Megumi biss von ihrem vierten oder fünften Pocky ab, als sich plötzlich ein Schatten hinter ihr erhob.

„Knusper knusper knäuschen!!“, mahnte eine finstere Stimme.

Die beiden Kochschüler fuhren herum und sahen sich einer finsteren Gestalt gegenüber, langer schwarzer Mantel, darunter schwarzer Anzug, auf Hochglanz polierte Halbschuhe, nur eine dicke weiße Strähne, die sich von den schwarzen Haaren abhob und Augen, so dunkel, dass man sich darin vergessen konnte. Unbewusst wichen sie zurück, Sōma einen Pocky noch im Mund, Tadokoros segelten zu Boden. Missbilligend blickte ihr Gegenüber auf sie hinab, packte sie an den Oberarmen und schleifte sie um die Ecke.

„Aua!“, jammerte Megumi weinerlich.

Der Fremde schubste sie voran und sie prallten gegen die Hauswand, die seltsamerweise nach innen nachgab. Unsanft landeten sie auf dem Boden und die Haustür flog zu. Im Inneren des Pocky-Häuschens war es ziemlich dunkel. Lediglich ein Kaminfeuer spendete Licht. Megumi rollte von Yukihira herunter und blieb auf ihrem Rücken liegen. Ihr Gastgeber ging um sie herum, setzte sich an einen Stuhl am Kamin und schlug die Beine übereinander.

„Autsch“, meinte der Kochschüler und rappelte sich in die Höhe. „Wer zur Hölle sind Sie?“

„Nakiri Azami! Für euch Gründschnäbel jedoch ‚Nakiri-sama‘!“

„Und weiter?“, fragte Sōma frech.

Seine Mitschülerin hatte sich inzwischen ebenfalls auf die Beine gekämpft. Doch anstatt in die Unterhaltung einzusteigen, wandte sie sich um und versuchte, die Tür zu öffnen.

„Mist, verschlossen...“, murmelte sie und drehte sich wieder um.

„Wie ‚und weiter‘?“, fragte Azami irritiert. Er blickte die beiden Eindringlinge finster an. „Euch haben sie in Tootsuki wohl keine Manieren beigebracht.“

„Ist es manierlich, uns derart ungehobelt in diese Kaschemme rein zu schubsen?“, konterte Sōma.

„Wenn ihr meine ‚Kaschemme‘, um bei dem Ausdruck zu bleiben, anfresst, dann ja!“

„‘Tschuldigung“, brachte Megumi hervor. Zu mehr reichte ihr Mut nicht mehr aus.

Ihr Gastgeber war eine Gestalt zum Fürchten, das offene Feuer als einzige Lichtquelle steigerte seine finstere Erscheinung zusätzlich. Schnell wandte das Mädchen den Blick wieder ab und ließ ihn wie zufällig durch den Raum schweifen. Sie hatte Recht gehabt, das Häuschen schien nur aus einem einzigen Raum zu bestehen, denn hinter Azami-sama sah sie so etwas wie eine Kochzeile. Küche verdiente es nicht als Beschreibung. Auf einem großen Tisch stapelten sich allerlei Kochutensilien und Lebensmittel, gerade so, als ob dort vor nicht allzu langer Zeit gekocht worden wäre.

‚Und vor nicht allzu langer Zeit sind hier wohl auch Knochen ausgelöst worden...‘, dachte sie.

„Ihr seid wohl die Neuen“, mutmaßte ihr Gastgeber.

„Welche Neuen?“

„Kochschüler, die mir ein Mahl für Götter bereiten sollen.“

Azami legte den Kopf schief und lächelte. Tadokoro wurde es noch unheimlicher. Irgendetwas sagte ihr, dass sie gar nicht hier sein sollten.

„Also wie sieht es aus? Was habt ihr geplant?“

„Geplant?“, fragte Yukihira. „Bisher nichts.“

Der Gastgeber legte seinen Kopf auf die andere Seite. Das Lächeln verschwand wieder, während Megumi sich hinter ihrem Mitschüler versteckte.

„Das ist aber nicht gut“, meinte Azami-sama nachsichtig. „Ich hab mich schon so auf ein innovatives Gericht gefreut.“

„Können wir nicht lieber gehen?“, fragte Tadokoro leise.

„Nein, meine Liebe, ‚gehen‘ steht heute nicht auf der Speisekarte.

„Was steht denn dann auf Ihrer Speisekarte?“, fragte Sōma rundheraus.

„Schön, dass du fragst!“

Nakiri stand auf und ging zu dem Tisch hinüber.

„Hab ich heute selbst ausgelöst!“, meinte er und hielt ihnen siegessicher ein Stück Fleisch entgegen.

Täuschte sie sich oder war an dem Fleisch noch die Haut dran? Megumi war sich ziemlich sicher, doch nicht das hatte ihre Aufmerksamkeit erlangt. Sōma hingegen trat interessiert an den Tisch heran und besah sich das Fleisch.

„Ziemlich sehnig“, kommentierte er.

„Oh ja! Hat immer hart gearbeitet.“

Yukihira griff sich an sein linkes Handgelenk.

„Oh nein“, jammerte seine Mitschülerin.

„Megumi, ich brauch dich als Sous-Chef!“ Dann, an Nakiri-sama gewandt: „Setzen Sie sich schon mal hin, Meister, es dauert nicht lange.“

Ihr Gastgeber tat, wie ihm geheisen, nahm seinen Platz am Kamin wieder ein und beobachtete, was die zwei Schüler ihm zubereiteten.

„Yukihira, bist du wahnsinnig?“, flüsterte Megumi ihm ins Ohr. „Weißt du denn nicht, von wem das Stück Fleisch ist?“

Der Kochschüler hatte es zur Seite gelegt, folgte jetzt aber Tadokoros Blick.

„Doch natürlich, ich kenn nur einen mit Tätowierung an der Tootsuki Culinary High School. ... Das muss Kurokiba sein...“

„Kuro... Sag mal, merkst du denn nichts?“, hakte sie verzweifelt nach.

„Was merken? Klar, ich muss die Haut noch abziehen, damit die Tätowierung nicht den Geschmack verdirbt.“

Megumi ließ die Schultern hängen.

„Das ist einer unserer Mitschüler“, flüsterte sie frustriert.

Sōma zuckte die Schultern.

„Ich weiß. Aber wenn der einzige Weg, hier raus zu kommen, darin besteht, dass wir diesem Herrn was Feines kochen, dann werde ich nicht zögern.“

„... Muss es denn ausgerechnet Kurokiba sein?“

Yukihira steckte ihr seinen Kopf zu.

„Soll ich fragen, ob er was von Hayama hat?“

„...“

Er begann die restliche Haut von dem Stück Fleisch abzuziehen. Danach schnitt er einige Schlitze in die Oberfläche und schob Wacholderbeeren und kleine Zweige Estragon in die Schlitze. Danach würzte er es mit Salz und Pfeffer von allen Seiten und briet es scharf von allen Seiten an. Währenddessen führte Megumi seine Anweisungen aus, schälte Zwiebeln und hackte sie klein, verfuhr genauso mit Sellerie, einer Lotuswurzel und einer lilafarbenen Karotte und dünstete das Gemüse auf kleiner Flamme. Nach etwa einer Stunde gemeinsamen Schaffens holte Sōma den Braten aus dem Ofen und fing an, das Meisterwerk anzurichten.

Nakiri-sama saß die ganze Zeit andächtig in seinem Stuhl am Kaminfeuer und beobachtete sie. Als der Chefkoch fertig war mit seinem Werk, nahm er den Teller in die rechte Hand und trat siegessicher zu ihrem Gastgeber hin.

„Ich darf präsentieren, ‚Skandinavischer Sauerbraten Yukihira-Style‘!“

Tadokoro verkroch sich lieber in einer Ecke des Häuschens und kam nie wieder daraus hervor. Anstatt etwas zu sagen, nahm ihr Gastgeber das Besteck entgegen, das Sōma ihm hinhielt und schnitt ein Stückchen von dem Braten ab. Fleischsaft troff daraus hervor und vermengte sich mit der Soße, deren Basis eine halbe Flasche Rotwein war, die Yukihira noch in der Hütte gefunden hatte. Azami dippte nur leicht in die Soße hinein, das Mädchen sah das Stücken Fleisch in Zeitlupe seinem Mund entgegenfliegen. Doch statt der erwarteten Explosion ob des neuen Gaumengenusses folgte ein kritischer Blick auf den Teller, ein nächster Bissen mit Gemüsepüree aus verschiedenen Knollen verschwand, doch auch hier blieb die erhoffte Reaktion aus.

Was war passiert? Sōma hatte Megumi mehrmals genötigt, etwas von dem Kurokiba-Sauerbraten zu probieren und sie war jedes mal trotz der Vorstellung hin und weg.

„Versalzen...“, murmelte ihr Gastgeber, als hätte er ihre Gedanken gelesen.

„Häh?“ Yukihiras Siegesgewissheit war mit einem Mal verflogen. Hatte er sich etwa geirrt in der Art und Weise, wie er das Fleisch hatte zubereiten müssen? Oder stimmte etwas mit der Soße nicht? Auch Tadokoros Gemüsekreation war einwandfrei, er hatte es mehrmals probiert, aber keinen Fehler feststellen können.

„Von Grund auf versalzen!“, kam die Anklage erneut.

Azami-sama hatte sich langsam erhoben. Er sah wieder so finster aus wie am Anfang, als sie ihn kennen gelernt haben.

„Dass ihr Schüler auch immer alles versalzen müsst!“, schimpfte er.

Sōma wich zurück und seine Mitschülerin griff nach seiner Hand.

„Ich werd‘ euch alle durch den Fleischwolf drehen!“, zeterte ihr Gastgeber.

Unsicher wankte er auf die zwei Kochschüler zu, schien über eine unebene Diele im Boden zu stolpern. Megumi schob ihren Mitschüler schnell zur Seite, um von dem Wahnsinn nicht vereinnahmt zu werden.

„Komm, lass uns schleunigst verschwinden!“, flehte sie.

Yukihira nickte nur, packte sie am Unterarm und zog sie mit sich zur Tür hinüber. Wie durch Zauberhand gelang es ihnen jetzt, die Pockytür zu öffnen, warum sie davor schon nicht aufgegangen war, war dem Mädchen ein Rätsel. Gerade, als sie hindurch stolpern wollten, packte etwas sie am anderen Handgelenk. Ihr Gastgeber, der ein Fleischerbeil hoch erhoben hatte. Tadokoro begann zu schreien...

..............

...und schrie immer noch, als jemand sie rüttelte.

„Megumi, wach auf!“

Verschlafen öffnete sie ihre Augen und blickte nach oben. Sōmas Gesicht war sorgenvoll über sie gebeugt.

„Was ist bloß mit dir los?“, fragte er.

Ihr Oberkörper schnellte nach oben. Hatte sie sich gerade eben noch aus einer zwielichtigen Hütte aus Pockys befunden, saß sie jetzt auf saftigem Gras an einem kleinen Fluss. Und wenn sie sich nicht irrte, war es genau jener Fluss, in dem Yukihira die Regenbogenforelle gefangen hatte.

„Bin ich weggetreten?“

Unsicher sah sie sich um.

„Wohl eher eingeschlafen... Du hast dich aufgerecht hin und her geworfen, aber du warst nicht wach zu kriegen.“

Megumi sah sich weiterhin verwirrt um.

„Was ist mit dem Pocky-Haus?“

„Pocky-Haus?“

„Ja, weißt du nicht mehr... Du hast einen Braten gemacht aus...“

Sollte sie wirklich weiter sprechen? Ihm erzählen, dass er aus einem ihrer Mitschüler ein Essen zubereitet und jemand das auch noch verspeist hatte. Obwohl es versalzen war? Oder gerade dass es versalzen war? Und dass sie selbst ebenfalls was von Kurokiba gegessen hatten, was auf jeden Fall kein Teil seiner Arme gewesen war?

‚Lieber nicht‘, dachte sie.
 

~ FIN ~



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  KiraNear
2016-11-02T22:58:26+00:00 02.11.2016 23:58
Das ist ja mal ne coole Geschichte - klar gefällt sie mir *o*
Unheimlich kreativ und auch irgendwie unheimlich. Für einen Moment war ich mir echt unsicher, ob das nun echtes Menschenfleisch ist oder ob es am Ende nur ein Streich war ... wie gut, dass es nur ein Albtraum war !
Und ja, keine Angst, ich weiß, wie du es gemeint hast :-)
 
Antwort von: Calafinwe
05.11.2016 21:17
Hallo KiraNear,

vielen Dank für deinen Kommentar, der hat mich schon sehr beruhigt, vor allem weil ich noch am Tag vor Halloween an der Geschichte gewerkelt hab und mir immer wieder unsicher war. Das Essen-Thema und Gerichte-Kochen ist halt doch etwas, mit dem ich mich dann etwas schwer getan hab. Im Manga wird das ja doch bei weitem mehr zelebriert^^"

Vielleicht kommen wir zwei ja mal wieder zusammen ^^

Cala~ von der Writing_League


Zurück