Zum Inhalt der Seite

Der Fall im Brighton Express

Adventskalendergeschichte
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Viel Spaß!
Das Spiel beginnt! Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Fall im Brighton Express

1.Dezember
 

Es war Winter im verschneiten London. Ein Jahr zuvor verbrachte ich diese schöne Jahreszeit in Afghanistan. Dort war kein Platz für einen Gedanken an Frieden und Besinnlichkeit, denn es tobte ein schrecklicher Krieg.

Umso schöner, dass ich mit meinem neuen Mitbewohner Sherlock Holmes in unseren Sesseln vor dem wohlig warmen Kamin in der Bakerstreet saß und über Gott und die Welt sprach. Wir kannten uns zu dem Zeitpunkt erst 12 Wochen, aber ich genoss dieses Gespräch. Bis unsere Vermieterin, die gute Seele des Hauses Mrs. Hudson, unsere rege Diskussion unterbrach.

„Mr. Holmes, ein Eilbrief aus Brighton!“

Das war der Anfang für unseren neuen Fall an der wunderschönen Küstenlandschaft.

Doch möchte ich jetzt nicht über diesen Fall berichten, sondern über einen kleinen erstaunlichen Fall, der sich während der Zugfahrt nach Brighton zugetragen hatte.
 

Schneller, als es mir damals lieb war, saßen wir in unserem Ersteklasse Abteil im Brighton-Express. Holmes Eifer, sich sofort auf einem Fall zu stürzen, das war eine der Eigenarten, an die ich mich im Verlauf unserer Freundschaft gewöhnen musste.

Ein Pfiff ertönte, ein starkes Ruckeln erschütterte die Bahn. Kraftvoll zog die schwarze Dampflok die vielen Waggons durch die eisige Winterlandschaft.
 

2. Dezember
 

Während der ersten Stunde der Zugfahrt war der junge Detektiv ein sehr stummer Beifahrer. Er starrte nur aus dem Fenster und paffte gelegentlich seine Pfeife. Ein Zeichen dafür, dass er sich innerlich mit dem Fall beschäftigte. Also sprach ich ihn erst gar nicht an. Ich hätte eh keine Antwort erhalten. Damals war ich schon etwas über dieses Verhalten entrüstet gewesen.

Nun, da uns schon einige Jahre der Freundschaft verbindet, weiß ich es natürlich besser. Holmes Verschwiegenheit, während seiner Überlegungen, war niemals als Beleidigung gedacht. Oft ließ er seine Mitmenschen mit offenen Fragen und Hypothesen im Dunkeln stehen. Es war nicht seine Art voreilige Schlüsse zu berichten.

Eigentlich konnte man bis zu dem Zeitpunkt sagen, dass er sehr mitteilungsfreudig gegenüber meiner Person war.
 

Plötzlich ertönte ein greller Schrei aus dem Nebenabteil.
 

3. Dezember
 

„Hilfe, Herr Schaffner!“

Schnelle Schritte waren zu hören. Die Tür, ein Abteil weiter, wurde aufgerissen.

„Madam, Sir? Ist Ihnen etwas zugestoßen?“, konnten wir klar und deutlich vernehmen.

„Meiner Gattin fehlt etwas.“

„Was ist Ihnen abhanden gekommen?“

„Meine Schatulle! Mein wertvolle Schatulle. Ich trug sie soeben noch bei mir!“, weinte die Dame bitterlich.

„Ich werde mich sofort darum kümmern. Waren Sie fort gewesen?“

„Wir sind durch einige Abteile in den Speisewagen gegangen“, teilte der Herr mit.

„Ich werde mich bemühen, ihre Schatulle wieder zu beschaffen.“

Der Schaffner eilte an unserem Fenster vorbei und verschwand in Richtung Speisewagen.

Obwohl das Geschehen Holmes aus seinen Gedanken riss, war er bei guter Laune.

„Watson, was halten Sie von Abwechslung?“, funkelten seine stahlgrauen Augen, denn ein kleiner Fall für Zwischendurch, brachte sein Hirn auf Hochtouren.

„Eine hervorragende Idee,“ gab ich freudig zur Antwort, denn mir wurde langsam langweilig.

So folgte ich Holmes zum Nebenabteil und klopfte an. Ein leises Schluchzen war hören.
 

4. Dezember
 

Ein älterer Herr mit grau meliertem Haar, wohl um die sechzig Jahre, öffnete einen Spalt weit die Tür.

„Ja bitte? Sind Sie etwa von Scotland Yard?“

„Nein, aber ich bin Detektiv. Sherlock Holmes und das ist mein Freund und Kollege Dr. Watson,“ antwortete Holmes sachlich.

„Es tut mir leid, Sie erwähnen ihren Namen, als müsste ich ihn kennen. Ich habe noch nie von Ihnen gehört.“ gestand der Herr ein.

„Das ist ja sehr erfreulich. Dann hält Scotland Yard sein Wort und erwähnt mich weniger in der Boulevard.

Dessen ungeachtet, haben wir unser Abteil neben dem Ihren und haben unmissverständlich erfahren müssen, dass Ihrer Gemahlin etwas Wertvolles entwendet wurde. Ist das korrekt?“

„Wir wissen nicht, ob es vielleicht wegen seinem wertvollen Aussehen gestohlen wurde. Wollen Sie uns helfen?“ erkundigte er sich vorsichtig.

Holmes nickte entschlossen und ich tat es ihm gleich.

„Harriet, die Gentlemen Mr. Holmes und Dr. Watson sind Detektive und wollen uns helfen, deine Schatulle wieder zu beschaffen.“

„Oh, Detektive? Bitte treten Sie beide doch ein und nehmen Platz.“

„Wir haben uns noch gar nicht vorgestellt. Das ist meine Gemahlin Harriet Southern und ich bin Jonathan Graham Southern.“

Wir wurden eingelassen und nahmen Platz.
 

5. Dezember
 

Die ältere Dame zitterte vor Aufregung. In ihrer grauen Hand hielt sie ein besticktes Seidentaschentuch. Ihre verweinten Augen schauten besorgt zwischen Holmes` und meinem Gesicht hin und her. Durch ihre schlechte Verfassung konnte ich erahnen, dass das verschwundene Stück eine emotionale Bedeutung für sie haben musste. Mein Freund empfand es wohl genauso und tätschelte die Hand der Dame.

„Was war der Inhalt der Schatulle? Schmuck kann es nicht sein. Ich schätze Sie nicht ein, als würde Sie der Verlust eines solchen Gegenstandes derart erschüttern.“

Sie tupfte sich mit dem Taschentuch die Tränen ab.

Mr. Southern legte bekümmert einen Arm um sie und antwortete auf Holmes` Frage: „Sie müssen entschuldigen. Es stimmt, der Inhalt ist nicht vom materiellen Wert. Aber wir vermuten, dass sie wegen ihres Äußeren für Langfinger attraktiv aussah. Die vergoldete Schatulle ist mit Glassteinchen verziert, das vom Weiten sehr kostbar aussehen muss. In ihm befinden sich aber nur Bilder.“
 

6. Dezember
 

Der Herr stockte kurz und schaute zu seiner Gemahlin.

Die nickte ihm traurig zu. Dann fuhr er fort.

„Ich muss in meiner Erzählung etwas weiter ausholen. Es ist schon gut 22 Jahre her, als wir unseren Willi das letzte mal lebend sahen. Er war ein sehr aufgeweckter und begabter junger Knabe. Wissen Sie, er hatte aus Holz die unglaublichsten Erfindungen entwickelt. Einmal schenkte er mir zum Geburtstag eine Figur, die mit vielen kleinen Holzzahnräder zusammen gesetzt war. Irgendwie hatte der Bengel es geschafft, dass man sie aufziehen konnte und die Figur anfing sich zu bewegen. Nach ein paar Schritten fiel sie zwar um, aber das war nicht so wichtig. Sein Geschick hatte mich sehr fasziniert.“

Holmes hörte etwas desinteressiert zu.
 

7. Dezember
 

„Nun Sie erzählten, dass Sie ihn vor 22 Jahre das letzte mal lebend sahen. Was ist mit Ihrem Jungen geschehen?“ fragte ich betrübt. Zudem wollte ich bezwecken, dass Holmes wieder den Faden aufnahm. Mrs. Southern brach wieder in Tränen aus und schnäuzte ins Taschentuch.

„Mein kleiner William, er starb im Krankenbett. Unser Arzt konnte nichts mehr für ihn tun. Die Krankheit war zu fortgeschritten. Er starb an Scharlach. Das hohe Fieber und die grässlichen Halsschmerzen setzten ihn sehr zu. Er konnte nichts mehr essen. Sein Herz wurde immer schwächer bis es schließlich aufhörte zu schlagen.“

Die Frau ließ sich kaum beruhigen. Mr. Southern redete sanft auf seine Frau ein.

Ich öffnete derweil ein Stück weit das Fenster, denn frische Luft tat ihr in diesem Augenblick sehr gut.

Ich empfand plötzlich eine tiefe Leere in mir, als ich mir vorstellte, wenn mein Sohn so früh verstorben wäre. Der Verlust eines geliebten Kindes ist gar nicht vorzustellen.
 

8. Dezember
 

„Ich spreche Ihnen mein tiefstes Beileid aus, Mrs. und Mr. Southern. Dann sind diese Bilder wohl Erinnerungen an ihren Sohn!“ unterbrach Holmes meine trüben Gedanken und das Schluchzen von Mrs. Southern.

„Ja, Sie haben Recht. Sie besitzt für uns einen sehr hohen Wert. Hoffentlich kann sie wiederbeschafft werden.

Schauen Sie, Gentlemen, hier ist ein Bild von unserem Sohn auf seinem Pony. Er liebte Pferde und Ponys, daher sind wir einmal im Jahr nach Brighton gefahren um am Strand auszureiten. Unsere Verwandtschaft lebt dort und besitzt einige Tiere. Dieser Schimmel hier war sein Liebling. Er hieß Blizzard. So weiß wie der Schnee und so temperamentvoll wie ein Sturm. Er ließ nur William auf sich reiten. Die anderen Reiter warf er bockig ab.“
 

9. Dezember
 

Auf dem Bild war ein etwa neun jähriger Junge mit einem frechen Grinsen zu sehen. Er hatte zahlreiche Sommersprossen auf Gesicht und Arme. William saß fest im Sattel und Blizzard sah seitlich weg. Im Hintergrund war das Meer zu sehen. Auch Holmes beobachtete das gezeichnete, etwas verblasste Aquarell peinlichst genau.

„Damit ich Ihnen helfen kann, würde ich die Orte untersuchen wollen, wo Sie beiden sich aufgehalten hatten, bevor Sie bemerkten, dass die Schatulle nicht mehr da war. Dann würde ich noch die Leute befragen, die sich in Ihrer Nähe aufhielten. Jedes Detail könnte helfen, den Fall schnell zu einer Lösung zu bringen.“

„Wir waren nur im Speisewagen. Doch muss man einige andere Abteile durchqueren, bis man ihn erreicht. Ich konnte mir nicht alle Gesichter der Passanten merken um einzelne beschreiben zu können. Tut mir leid,“ entschuldigte sich der ältere Herr.

Holmes atmete tief durch und wir verabschiedeten uns.
 

„Watson, was halten Sie von der Geschichte?“

„Das arme Ehepaar. Ich finde es als Arzt immer sehr bedauerlich, wenn ich gegen eine Krankheit verliere. Bei erkrankten Kindern ist es noch schlimmer. Wir müssen Ihnen helfen und wenigstens diese Schatulle wieder beschaffen.“

„Ihre soziale Ader in Ehren, Freund. Schreiten wir zur Tat .“

Wir befragten auf dem Weg zum Speisewagen, einige Passanten der ersten und zweiten Klasse. Von denen hatte aber keiner die Schatulle gesehen.
 

10. Dezember
 

Im Speisewagen war die Bedienung unsere erste Anlaufstelle.

„Können Sie uns sagen, an welchem Platz ein älteres Pärchen, um die sechzig Jahre, vor gut einer Stunde gespeist hat?“ fragte Holmes.

„Aber natürlich. Das war dieser Tisch dort am Fenster.“

Der Mann zeigte in die besagte Richtung.

„Waren noch andere Gäste vor Ort?“

„Lassen Sie mich kurz nachdenken. Es waren noch ein Gentleman, der zwei Tische hinter dem älteren Paar saß und ein junges Paar, das genau links neben der Bar Platz nahm.“

„Es wäre vom Vorteil, wenn ich mit dem jungen Paar und mit dem Gentleman sprechen könnte.“

„Sind Sie etwa ein Constable? Ist etwas vorgefallen? Mir kam der Herr ja schon von Anfang an merkwürdig vor.“

„Ich bin Detektiv, Sherlock Holmes und das ist mein Kollege Dr. Watson. Sie haben ja eine äußert interessante Bemerkung gemacht. Was ist Ihnen an dem Gentleman aufgefallen? Können Sie ihn mir genau beschreiben?“
 

11. Dezember
 

Damit ich mir angewöhnte wichtige Eckdaten zu notieren, hatte ich mir ein Notizheft eingesteckt. Zum Glück muss ich sagen. So konnte ich das Abenteuer sogar nach Zehn Jahren rekonstruieren.

„Der Gentleman trug einen dunklen Tweedanzug. Darunter ein weißes Hemd mit Weste. Sein braunes Haar war etwas wirr auf dem Kopf, das er wohl mit seiner Melone zu verdecken versuchte. Er war sehr bleich und nervös; blickte sich in allen Himmelsrichtungen um. Dann bestellte er einen schwarzen Tee mit Milch, den er schnell austrank und bezahlte. Das ganze Spektakel hatte nur Fünfzehn Minuten gedauert. Wenn Sie mich fragen, dann war der Kerl auf der Flucht.“
 

12. Dezember
 

Holmes eilte zu den beiden Plätzen, wo vor kurzem Mr. und Mrs. Southern saßen. Danach nahm er den Platz des Gentlemans unter die Lupe. Er verschwand unter dem Tisch. Dort fand er ein Stück Papier und verstaute es eilig in seiner Tasche.

Ich schaute mich derweil ebenso um, fand jedoch nichts von großer Bedeutung. Daher kam ich wieder ins Gespräch mit der Bedienung.

„Können Sie uns sagen, wie der Gentleman hieß, oder welches Abteil er gemietet hat?“

„Warten Sie kurz, Billy müsste es wissen. Das ist der Gepäckjunge. Er befindet sich im Personalabteil.“

„Danke, Sie haben uns sehr geholfen“

„Kein Problem, wenn ich einen Beitrag zur Auflösung eines Verbrechens leisten kann.“

Der Mann machte sich wieder an seine Arbeit und bewirtete neue Gäste.

Ich ging zu Holmes, der sich gerade wieder aufgerichtet hatte.
 

13. Dezember
 

„Das haben Sie vortrefflich gemacht, Watson. Sie ersparen mir lästige Fragereien. Wir werden jetzt diesen Billy aufsuchen.“

Ich hatte diese Worte als Lob angenommen und begleitete ihn stolz bis zum Personalabteil. Der Detektiv klopfte an die Tür und ein junger Bursche öffnete.

„Wie kann ich Ihnen behilflich sein?“

„Wir suchen nach einem Gentleman mit dunklen Tweedanzug und braunem, wirren Haar. Er trägt eine Melone. Im Speisesaal sagte man uns, dass Sie uns helfen könnten.“ ergiff ich das Wort.

„Sicher, da gibt es Einige, die in Frage kommen könnten, Sir.“

„Er ist sehr nervös und ängstlich“, fügte ich hinzu.

„Sein Name ist Mr. Debenham“, ergänzte Holmes und ich wunderte mich, woher er ihn kannte.

„Sicher, hatte ihn gefragt, ob er vielleicht eine Reisekrankheit hätte. Er war sehr verschwitzt und wie sie sagten, nervös. Er hatte mich nur barsch angeguckt und gemeint, es sollte mich nicht weiter kümmern, was er hätte.“

„In welchem Abteil ist er zu finden?“

„Waggon 2, Abteil 4. Ist das letzte Abteil auf der rechten Seite.“

„Dankeschön, hier bitte, für deine Bemühungen.“

Holmes gab ihm ein paar Groschen. Der junge Bursche schien sich sichtlich zu freuen.

„Sehr großzügig die Herren, Auf bald.“
 

14. Dezember
 

Mr. Debenham bezog den selben Waggon, wie Holmes und ich. Wir waren im zweiten Abteil. Mr. und Mrs. Southern befanden sich im ersten Abteil.

Also begaben wir uns auf den schnellsten Weg dorthin.

Vom Weiten konnten wir den Schaffner entdecken, der schon verzweifelt auf dem Boden kroch und vermutlich noch die Schatulle suchte. Wir schlenderten an ihm vorbei und ein leises Fluchen konnten wir nicht überhören.

Holmes zog mich in unseren Waggon, lugte durch das kleine Fenster des ersten Abteils und lächelte verschmitzt.

„Watson, Sie sollten sich nochmal mit den Southerns unterhalten und sie ein wenig beruhigen.“

„Wenn Sie es wünschen, Holmes.“

Mir passte es zwar nicht, weil mich dieser Sir Debenham neugierig gemacht hatte. Was war wohl der Grund seiner Nervosität. Doch ich sollte dies schon recht bald erfahren.
 

15. Dezember
 

Sherlock Holmes klopfte an das vierte Abteil.

„Einen Augenblick bitte.“

Nach geschlagenen fünf Minuten wurde er eingelassen.

„Was wollen Sie?“, fragte ein vermummter Herr mit heiserer Stimme.

„Wie ich feststellen muss, sind Sie nicht Sir Debenham. Ist er es dort unter der Decke?“

„Seien Sie bitte etwas leiser. Sir Debenham schläft, er ist sehr erschöpft von der Reise.“

„Das ist sehr schade, ich wollte mich gerne mit ihm Unterhalten. Sind Sie sein Sekretär?“

„So ist es, Sir. Ich kann ihm mitteilen das Mr. ..?“

„Sherlock Holmes“

„...Mr. Sherlock Holmes hier gewesen war. Worüber wollten Sie mit ihm sprechen?“

„Ich wollte mich gerne informieren, welche Vorteile es hätte, ein Bankkonto bei seiner Bank zu eröffnen. Hier ist meine Karte. Ich hätte da aber noch eine Frage.

Leider habe ich meinen Fahrplan verlegt, könnte ich mir Ihren kurz ausborgen? Ich bringe ihn gleich wieder.“

Hüstelnd kramte der vermummte Mann in einer schwarzen Tasche herum, brummte gelegentlich unmissverständliche Worte und schaute Holmes schulterzuckend an.
 

16. Dezember
 

„Irgendwie finde ich ihn gerade nicht.“

Holmes deutete auf das Jackett des vermummten Mannes. Dieser schaute hinab und erschrak.

„Oh, wie dumm von mir, da ist der Plan in meiner Tasche. Sie brauchen ihn mir nicht wieder zurückzugeben,“ sagte er kurz und gab Holmes den Plan.

„Danke sehr.“

Holmes ging hinaus und die Tür fiel prompt hinter ihm zu. Er wagte noch einen kurzen Blick durch das Fenster ins Innere und bemerkte, wie der Sekretär sich den Schweiß vom Gesicht wusch. Zufrieden grinste Holmes. Er ging zurück zu dem Abteil der Southerns.
 

17. Dezember
 

„Oh es klopft an der Tür,“ schreckte Mr. Southern auf, „Ja, bitte?“

„Hallo, haben Sie ihre Schatulle inzwischen wieder erlangt?“ erkundigte sich Sherlock Holmes. Er nickte mir scharf zu.

„Leider nein, der Schaffner, hat sie noch nicht wieder gefunden. Und Sie wahrscheinlich auch nicht?“ meinte Mrs. Southern.

Holmes schüttelte den Kopf. Er lehnte sich gegen die verschlossene Tür und schaute finster zu dem älteren Ehepaar.

„In welcher Beziehung stehen Sie zu Sir Debenham?“

„Sir, wer?“ stotterte die Dame.

„Sir Debenham im vierten Abteil, hier im selben Waggon! Ihr Sohn William hat sich doch zu ihm gesellt!“

Ihre Gesichter wurden von einer Sekunde auf der anderen kreidebleich.

„Wo..woher wissen Sie..das kann nicht sein!“, schrie die Dame.

Für einen kurzem Moment, war ich total perplex.

Der Sohn lebte noch?
 

18. Dezember
 

„Mr. und Mrs. Southern, wenn es überhaupt Ihre richtigen Namen sind. Ich habe Sie durchschaut! Und William ist schon in den Händen von Scottland Yard. Sie gesellen sich gleich zu Ihnen, dann ist die Familie wieder komplett.“

„Was erlauben Sie sich überhaupt! Unser Sohn ist tot! Frevelhaft!“

Holmes schüttelte lachend den Kopf.

„Ganz bestimmt nicht. Oder können Tote Verbrechen begehen? Sie müssen nicht darauf antworten. Ihr Sohn hat streng vertrauliche Dokumente von Mr. Debenham entwendet. Er hat sogar Sir Debenham mit Chloroform betäubt.

Sie stecken mit ihm unter einer Decke. Sie haben uns von Anfang an belogen.“

„Holmes, wie haben Sie das schon wieder alles herausgefunden?“ fragte ich aufgeregt.

„Ganz einfach. Als wir in den Speisewagen gingen, erzählte uns die Bedienung, dass Sir Debenham sehr nervös war. Er war nicht auf der Flucht, wie er glaubte, sondern hatte Angst, panische Angst. Unter dem Tisch hatte ich seine Visitenkarte gefunden, auf dem vermerkt war, dass er Bankier ist. Und wie wir wissen, haben Diebe es besonders auf diese abgesehen.

Ich vermutete zu diesem Zeitpunkt, dass er vielleicht etwas Wertvolles bei sich hatte. Dokumente oder Wertsachen, die er einem Kunden übergeben soll oder in Verwahrung nahm. Ist dem so?“
 

19. Dezember
 

Der gutmütige alte Herr wurde grimmig und ohne zögern zog er einen alten Revolver aus seiner Innentasche des Anzugs. Der Lauf wurde auf Holmes Brust gerichtet.

„Sie elender Schnüffler! Von wegen, ich habe noch nie etwas von Ihnen gehört! Sherlock Holmes, der achso große Detektiv, am Anfang seiner Karriere, hieß es in den Zeitungen. Jetzt ist es vorbei!“

Ich sah, wie Mr. Southerns Finger am Abzug heftig anfing zu zittern und ich befürchtete ein großes Unheil.

Dann ging alles ziemlich schnell.

Mein Freund drehte sich zur Seite und stieß mit dem Handrücken den Revolver aus seiner Hand.

Ein Schuss löste sich, als die Waffe zu Boden ging.
 

20. Dezember
 

Ein hastiger Blick zu allen Personen veriet mir, dass niemand verletzt wurde. Also widmete ich mich der alten Dame die gerade zu fliehen versuchte. Ich packte ihr an den Oberarm und prompt schlug sie mir ins Gesicht. Benebelt vom Schlag, ließ ich sie jedoch nicht los. Ich packte ihren zweiten Arm und presste sie in die Polster.

Währenddessen rang Holmes mit dem Gatten. Gekonnt warf Holmes ihn über die Schulter. Der krachte jammernd zu Boden und verfluchte uns.
 

Es hatte nicht mehr lange gedauert, bis wir in Brighton ankamen und die Diebesfamilie dem Yard übergeben konnten. William wurde nicht auf der Fahrt festgenommen. Denn es war kein Constable auffindbar gewesen. Holmes hatte in dieser Hinsicht geflunkert. Er schlug William KO und sperrte ihn in einer Abstellkammer ein.
 

21. Dezember
 

„Das war eine Fahrt, Holmes! Und ich dachte, ich würde vor Langeweile umkommen!“

Der Detektiv lachte.

„Sie sind wohl ganz nach Abenteuern aus, Herr Doktor? Sie scheuen nicht die Gefahr und sind stets bereit mich zu begleiten, wie Sie es in unserem vorherigen Fall taten. Wunderbar, dann habe ich Sie richtig eingeschätzt, mein Freund und Kollege.“

Sprachlos stand ich vor ihm. In den ganzen zwölf Wochen, hatte er mich zwar Freund genannt, so dachte ich jedoch, dass er es aus Anstand tat. Seit diesem Augenblick hatte ich keine Zweifel mehr.

„Sehr verbindlich mein Freund. Aber dennoch brenne ich darauf, wie Sie das Schauspiel durchschaut haben.“

„Nun gut, ich werden Ihnen den kompletten Fall rekonstruieren. Aber erst wenn wir ungestört in der Droschke sind. Der Weg zu unsere Pension wird lang.“

Er schaute sich um und hob die Hand, um die Droschke zu rufen.

„Droschke, bitte!“
 

22. Dezember
 

Der Weg zu unserer Pension führte durch schöne verschneite Dörfer. Das Holpern ließ mich etwas schläfrig werden. Mit halbgeschlossenen Augen schaute ich über die Felder.

„Bevor Sie ihre Konzentration ganz verlieren, erzähle ich Ihnen was im Zug vor sich ging.“

„Ich bin ganz Ohr.“

„Alles begann mit dem Schrei der alten Dame. Das war das Startsignal zur Tat.

Zum Einen sollte der Schaffner herbeigeholt werden und zum Anderen war es ein Zeichen für William, der in der zweiten Klasse saß. Dieser machte sich auf den Weg und verschwand in der Toilette. Dort hatte er vermutlich zuvor eine Verkleidung versteckt.

Der Schaffner hatte die Aufgabe erhalten, die verschwundene Schatulle wiederzubeschaffen. Das Paar hatte geplant, dass er so lang wie möglich aus dem Verkehr gezogen wird, damit William freie Bahn hatte.“

„Genau, was ist mit der Schatulle geschehen? Wurde Sie gefunden?“
 

23. Dezember
 

„Nein, wurde sie nicht. Denn es gab keine Schatulle.“

„Das ist ja ein starkes Stück.“

„Nun kommen wir beide ins Spiel. Die Diebesfamilie hatte zwar alles geplant gehabt, aber mit einem konnten sie nicht rechnen; mit Sherlock Holmes und Dr. Watson.

Als wir unsere Hilfe anboten, mussten sie schnell improvisieren. Deshalb erzählten sie die Geschichte über ihren toten kleinen Jungen und das sehr ausführlich. Sie wollten uns vom Flur fernhalten. Wir sollten natürlich nicht merken, dass William zu Mr. Debenham ging. In dieser Zeit betrat William, verkleidet als Schaffner, das Abteil von Mr. Debenham. Er verlangte die Fahrkarte zu sehen und als Mr. Debenham nach der Karte griff, wurde er überwältigt.“

„Sie sagten, er wurde mit Chloroform betäubt.“

„Exakt. Als ich das Abteil von Mr. Debenham nach fünf Minuten Wartezeit betreten konnte, kam mir ein süßlicher Geruch entgegen. Der Geruch von Chlorophorm. Mr. Debenham war bis unter beide Ohren in einer Decke verhüllt gewesen, was mir die schnelle Annahme verlieh, dass er damit betäubt wurde. William hatte in der fünfminütigen Wartezeit, seiner Schaffneruniform entledigt, wahrscheinlich aus dem Fenster geworfen und einen Mantel von Sir Debenham übergeworfen. Mit einem Schal hatte er sein Gesicht verhüllt und mit einer krächzenden Stimme gesprochen. Nur seine Augen waren zu erkennen. Zu diesem Augenblick wusste ich noch nicht, dass es William war. Doch zwei Aspekte ließen ihn verraten.“

„Und die wären?“
 

24. Dezember
 

„Seine Sommersprossen und ein Seidentaschentuch. Nach einem kleinen Gespräch, fragte ich nach den Fahrplan. William, der sich sich als Sekretär ausgab, wusste aber nicht, wo er sich befand. Dabei steckte er in seiner linken Manteltasche. Da wusste ich, dass es nicht sein Mantel gewesen war, den er trug, sondern der Mantel von Mr. Debenham.

Watson, wissen Sie, Hände veraten sehr viel über eine Person. Als er mir den verknickten Plan gab, konnte ich einen Blick auf seine Hand und sein Gelenk erhaschen. Die waren über und über mit den Pigmentflecken übersäht. Auf dem Aquarell konnten wir sehen, dass er als Junge schon sehr viele Sommersprossen besaß.

Nachdem ich das Abteil verließ, schaute ich nochmal durch das Fenster. In diesem Augenblick, hatte er mit einem bestickten Seidentaschentuch, seine verschwitzte Stirn abgewischt. Es war das selbe Taschentuch, dass auch die alte Dame besaß.“

„Vortrefflich, Holmes!“

Nach seinen aufklärenden Worten, schwieg er den Rest der Fahrt und döste vor sich hin. Ich bewunderte ihn, wie er nach so einem Zwischenfall so abschalten konnte. Meine Gedanken beschäftigten sich noch mit dem Fall. Wie weit steht es mit meiner Menschenkenntnis, wenn mir ein altes Paar so ohne weiteres diesen Bären aufbinden konnte. Melancholisch versank ich in den Polstern, bis wir die Pension erreicht hatten.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (4)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Grayson
2016-12-13T11:27:15+00:00 13.12.2016 12:27
So, nun hab ich geillert, dabei ist noch gar nicht der 24te... Sehr schön... Das Dir da tatsächlich was eingefallen ist, Hut ab, ich stell mich beim Krimi schreiben immer total dämlich an...
Antwort von:  Ryukin
13.12.2016 19:21
Vielen Dank! Hast jetzt schon alles durchgelesen? xD
Antwort von:  Grayson
14.12.2016 08:28
Japp, hab ich, bin durch... wenn Du alles on stellst, musst Du damit rechnen, dass man weiterliest *g*
Antwort von:  Ryukin
14.12.2016 08:36
ist ja in Ordnung ^^ Hoffe es gab eine unerwartende Wendung ^^
Antwort von:  Grayson
15.12.2016 10:50
Japp, gab es, war dann doch überrascht, dass der Bengel lebt...
Von:  Grayson
2016-12-01T07:30:19+00:00 01.12.2016 08:30
Danke für den Adventskalender... Ich hab dieses Jahr zum ersten mal keinen *schnief* Als ich ausm Urlaub wiederkam, gabs keine schönen Kalender, wie ich sie mag, mehr...
Oh, sehr schön, ich kann die alte Dampflok mit ihren Anhängern richtig durch die typisch britische Landschaft zuckeln sehen... und ich riech das sogar... Als Kind bin ich doch noch öfter mal mit ner Dampflock gefahren...


Zurück