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Leuchten

von

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Sommerleuchten

Von der Sonne wurde Einar am nächsten Morgen schon früh geweckt. Er sah den schlafenden Tarek neben sich und lächelte sanft. Tarek hatte sich tief ins Kissen gekuschelt und zeigte keinerlei Anzeichen, dass er bald aufwachen würde. Ja, sie hatten sich wieder geküsst, und ja, es war fantastisch gewesen, doch im entscheidenden Moment hatte Tarek so unsicher gewirkt, dass Einar ihn und auch sich etwas gestoppt hatte. Sie hatten also nicht miteinander geschlafen, und Einar bereute es nicht. Er wollte mit Tarek schlafen, klar, aber der andere sollte sich dabei auch vollkommen sicher sein. Tarek hatte schon mit Frauen geschlafen, soviel wusste Einar, aber ein Mann war dann doch etwas anderes. Vorsichtig verließ Einar das Bett und ging ins Bad. Er blieb sehr viel länger unter der Dusche stehen als nötig, einfach nur weil er sich seinen nächsten Schritt überlegte.

Sobald Tarek hörte, wie das Wasser im Nebenraum lief, öffnete er die Augen. Er hatte schon eine ganze Weile wach gelegen, sich nur schlafend gestellt als Einar aufwachte. In der Nacht war er einen Moment unsicher gewesen, ob es das war, was er wollte, und diesen Moment hatte Einar bemerkt. Dieser eine Moment brachte ihn jetzt dazu, sich zu ärgern und sich selbst zu verfluchen. Er hatte es gewollt, davor und danach, aber Einar hatte gerade dieses Aufflackern von Unsicherheit sehen müssen. Er seufzte und starrte die Decke an. Für diese Unsicherheit hasste er sich, gleichzeitig war er froh, dass er Einar nach einem weiteren Kuss gefragt hatte. Vielleicht war diese Frage ja wirklich der Anfang von etwas Gutem.
 

„Morgen“, lächelte Einar ihn an, als er wieder ins Zimmer kam.

Tarek sah zu ihm und lächelte breit. „Guten Morgen.“

„Habe ich dich geweckt?“ Einar sah ihn entschuldigend an.

„Nein, hast du nicht.“

Einars Blick wurde etwas unsicher. „Wie geht es dir?“

„Gut“, meinte Tarek und setzte sich endlich im Bett auf. „Und dir?“

„Gut“, erwiderte Einar nur.

„Gut“, sagte Tarek.

„Gut.“

„Gut.“

„Wir sollten damit aufhören“, stellte Einar trocken fest.

„Gut.“ Das Grinsen, das Tarek sich verkniff, war dennoch deutlich zu erahnen. Keine Sekunde später lachten beide herzlich.

Einar kniete sich aufs Bett, er trug wieder nur den Hotelbademantel.

„Was wollen wir heute machen?“, fragte er.

„Was kann man hier machen?“, fragte Tarek zurück.

Einen Moment lang überlegte Einar, dann stand er wieder auf und holte ein Prospekt vom Schreibtisch. „Im ehemaligen Zeughaus gibt es einen großen Wellnessbereich, die Seen hier haben viele Badestellen, die verleihen hier Fahrräder und organisieren gern so Sachen wie Ausritte... Und wir haben das Auto, können also auch Ausflüge ohne Organisation machen.“

Tarek streckte sich, griff nach Einars Arm, zog ihn wieder aufs Bett und sah mit in das Prospekt.

„Ich hätte es dir auch gegeben“, murrte Einar, der etwas unbequem quer auf Tarek gelandet war.

„Aber dann ständest du immer noch da...“, meinte der andere kleinlaut.

„Und jetzt ist es besser?“, wollte Einar trocken wissen.

„Ja“, lächelte Tarek nur und nahm das Prospekt.

„Spinner.“ Einar drückte sich wieder hoch und ging zum offenen Fenster.

Wenige Minuten schwiegen sie, Tarek las und Einar beobachtete ein paar Eichhörnchen draußen im Garten. Dann schoben sich Tareks Arme um Einar und er lehnte sich an ihn.

„Ich habe eine Idee“, flüsterte Tarek.

„Und die wäre?“, flüsterte auch Einar.

„Wir leihen uns zwei Räder, fragen nach ein paar Sandwiches und fahren los. Wir nehmen die Badesachen mit und wenn wir an einer schönen Badestelle vorbeikommen, gehen wir schwimmen.“

„Klingt nach einem schönen Tag“, stimmte Einar zu und drehte seinen Kopf zu Tarek.

„Ich weiß.“ Tarek lächelte ihn an und küsste ihn kurz.

Einar drehte sich in Tareks Armen und umarmte ihn fest.

„Es ist alles gut, oder?“, fragte er leise.

„Natürlich ist alles gut, oder willst du nicht?“, antwortete Tarek ebenso leise.

„Doch. Aber... Ich weiß nicht...“

Tarek löste sich ein wenig von ihm und sah ihm in die Augen. „Ich will mit dir zusammen sein. Ja, ich habe keine Ahnung, ob wir funktionieren werden. Ja, ich verliebe mich gerade in dich. Ja, du bist der erste Mann, für den ich so fühle. Ja, es gibt Momente, in denen es mir lieber wäre, es wäre nicht so, Momente in denen ich an meinen Vater denke, an meine ganze Situation. Aber im selben Moment denke ich an dich und ich habe Hoffnung. Ich habe dich in meinen Armen und es geht mir gut.“

Einar hatte Tränen in den den Augen und es war ihm egal. Er hauchte Tarek einen Kuss auf die Lippen und kuschelte sich an ihn. In diesem Moment erst fiel Einar etwas auf. „Du hast dir nichts übergezogen, oder?“

„Nein. Ich stehe so hier, wie wir gestern eingeschlafen sind.“

„Also nackt“, schlussfolgerte Einar und grinste ihn an.

„Hast du was dagegen?“, fragte Tarek.

„Kommt darauf an, ob wir frühstücken wollen oder nicht.“

Ein nachdenkliches Gesicht sah ihn an. „Hm... Wäre vielleicht besser.“ Und wie aufs Kommando gab Tareks Bauch knurrende Geräusche von sich.

Einar sah ihn an und fing an zu lachen.

„Das ist nicht lustig...“, murrte Tarek.

„Geh duschen und dann gehen wir runter“, lachte Einar nur und holte sich Klamotten aus dem Schrank.
 

Noch vor dem Frühstück gingen sie zur Rezeption, um sich nach den Rädern und der Möglichkeit, Sandwiches für unterwegs zu bekommen, zu erkundigen. In einer Stunde könnten sie beides abholen, teilte ihnen die freundliche junge Frau mit.

Während des Essens redeten sie kaum, warfen sich aber immer wieder verschwörerische Blicke zu und schnitten Grimassen, so dass sie bald nur noch lachten. Von anderen Tischen wurden sie dafür skeptisch beäugt, vom sonst gelangweilten Personal freundlich angelächelt. Die Servicemitarbeiter hatten seit langem keine so gut gelaunten Gäste mehr gesehen, und das obwohl jeder, der hier Urlaub machte, doch eigentlich gut gelaunt und entspannt sein sollte.

Als sie die Räder holten, stellten sie fest, dass es statt einfacher Sandwiches einen ganzen Picknickkorb für sie gab, inklusive einer Flasche Wein, einer großen Decke und einer Radkarte der Gegend. Sie holten noch schnell eine Tasche mit ihren Badesachen und machten sich auf den Weg. Das Wetter war zwar wieder warm, aber hier auf dem Land bei weitem nicht so unerträglich. Die Wege waren von Bäumen gesäumt und sie trafen nur wenige Menschen für eine ganze Weile, bis sie an einen See kamen, an dessen Ufern sehr viele kleine Buchten zu finden waren, so sagte es jedenfalls die Karte. Sie fuhren über immer kleinere Wege, bis sie die Räder schließlich schieben mussten und über einen kleinen Trampelpfad zum See gelangten. In dieser kleinen Bucht konnte wirklich keiner sie sehen. Außer einer vielleicht vier Meter breiten Badestelle, war das gesamte Ufer mit Schilf bewachsen und die nächste Badestelle war außer Sichtweite. Die Höhe des Grases deutete auf sehr wenige Besucher an dieser Stelle hin.

„Lass uns hier bleiben“, schlug Einar vor.

„Sehr gern“, erwiderte Tarek und holte die Decke von seinem Gepäckträger.

Sie breiteten sie aus und packten das Picknick aus. Es bestand aus Sandwiches, Obst, einem undefinierbaren Dessert in kleinen Schraubgläsern, Wein, Salat und zwei Flaschen Wasser.

„Die haben sich Mühe gegeben“, meinte Tarek.

Einar nickte nur und beobachtete, wie Tarek den Wein öffnete.

Sie stießen auf die Zukunft an, auf ihre Zukunft. Dann genossen sie das Essen, den Wein und die Ruhe, störten letzteres allerdings oft mit ihrem Lachen.

Nach dem Essen lagen sie einfach im Halbschatten der Bäume und dösten. Sie hatten ihre T-Shirts ausgezogen und sich gegenseitig dick mit Sonnencreme eingecremt, auch wenn Tarek beteuerte, keinen Sonnenbrand zu bekommen. Einar hatte sich nicht abbringen lassen und das Gefühl unter seinen Fingern hatte ihm mehr als nur ein bisschen gefallen.

"Trainierst du eigentlich?", fragte er jetzt leise.

"Einmal pro Woche schleppt mich ein Kumpel ins Fitnessstudio. Er wollte mehr trainieren und ich habe ihm versprochen, ihn zu unterstützen. Ab und zu gehe ich joggen. Und du?"

"Ich geh gerne schwimmen, aber nicht regelmäßig. Dafür esse ich wenig, vor allem, wenn ich frei habe."

Tarek setzte sich auf und sah auf Einars Rücken. "Dafür, dass du kaum was machst, sieht dein Körper aber gut aus", murmelte er.

"Glück, würde ich sagen." Einar döste schon wieder weg.

"Großes Glück", stimmte Tarek zu und fuhr sanft die Narbe mit den Fingern nach.

Einar seufzte leise und drehte sich auf die Seite. "Machst du das nur bei Narben?"

Kopfschüttelnd ließ Tarek seine Hand über Einars Oberkörper wandern.

„Hast du was bestimmtes vor?“, fragte Einar weiter.

„Schwimmen“, murmelte Tarek.

„Jetzt? Echt?“ Einar sah ihn mit großen Augen an.

„Ja, echt“, lächelte Tarek zu ihm runter, dann stand er auf, um sich die Jeans aus- und die Badehose anzuziehen.

Einar erhob sich ebenfalls und trat direkt vor ihn. „Lass die Badehose weg“, hauchte er, küsste ihn kurz und zog seine Jeans aus.

„Weglassen?“

„Ja, weglassen.“ Grinsend drehte Einar sich um und ging vollkommen nackt ins Wasser.

Etwas irritiert sah Tarek ihm nach, ließ dann aber seine Badehose fallen und folgte ihm.

„Siehst du, gar nicht schlimm“, sagte Einar als sie beide nebeneinander im hüfthohen Wasser standen.

Tarek schüttelte nur lächelnd den Kopf und ließ sich ganz ins Wasser gleiten. Er schwamm ziemlich weit raus und kam wieder zurück zu Einar, der einfach nur ein bisschen im Wasser trieb.

„Willst du nicht schwimmen?“, wunderte Tarek sich.

„Nein, ich bin zu müde und will nichts riskieren“, gab Einar zu, umarmte den anderen dann.

„In Ordnung.“ Tareks Hände legten sich auf Einars Rücken, blieben aber nicht dort. Sie wanderten über die Hüfte zu seinem Hintern und seinen Oberschenkeln und wieder zurück und weiter zu den Schultern und in den Nacken. Die einzige Reaktion, die Einar zustande brachte, waren leise Seufzer, gefolgt von einem leidenschaftlichen Kuss. Noch während des Kusses hob Tarek ihn hoch und bewegte sich in Richtung Ufer.

Ein tiefer Blick in Tareks Augen als sie wieder auf der Decke waren, verriet Einar, dass er dieses Mal keinen Zweifel mehr spürte. Er zog ihn zu einem Kuss zu sich und seine Hände gingen auf Wanderschaft.
 

Einars Locken trockneten langsam auf Tareks Brust, auf der sein Kopf lag, und langsam realisierte Einar, was gerade geschehen war. Das erste Mal seit seiner Katastrophenbeziehung hatte er mit einem anderen Menschen geschlafen, und nicht, weil sie beide betrunken waren oder high oder durch irgendwelche anderen Mittel beeinflusst. Sie hatten es getan, weil sie es wollten. Und er wusste, welchen Preis Tarek dafür bezahlte, die blauen Flecken auf dem anderen Körper waren der Beweis dafür. Er war dennoch geblieben. Er lag jetzt unter ihm und schlief friedlich. Er lächelte.

Im Schlaf legte Tarek seine Arme um Einar und drückte ihn an sich. Die Sonne schien jetzt durch die Blätter direkt in sein Gesicht und kitzelte seine Nase. Ein leises Murren war zu hören und schließlich schlug Tarek die Augen wieder auf.

"Hey", wurde er von Einar angelächelt.

"Hey", antwortete er leise.

„Gut geschlafen?“

„Hab nicht geschlafen“, behauptete Tarek.

„Nein, hast du nicht“, grinste Einar, der sich nebenbei aufsetzte und von einem nachdenklichen Tarek dabei beobachtet wurde.

Schweigend setzte Tarek sich ebenfalls auf und nahm die Hand des anderen.

„Was hast du?“, fragte Einar leise.

„Ich... ich weiß nicht.“

„Fühlst du dich nicht gut? Tut dir irgendwas weh oder ist dir schlecht?“

„In erster Linie bin ich verwirrt. Hier so mit dir zu liegen, macht mich glücklich. Im nächsten Augenblick erinnere ich mich an meinen Vater und ich könnte wieder heulen. Er sagt, was wir tun ist falsch, aber wenn es falsch ist, warum fühlt es sich so richtig an? Wenn es falsch ist, warum will ich mehr?“

„Weil es nicht falsch ist. Mit 13 habe ich sehr lange gebraucht, das zu verstehen. Die anderen Jungs haben sich über große Brüste gefreut, oder generell über Brüste, und ich stand da und habe sie nicht verstanden. Natürlich wurde mir klar warum, als ich mir einen runter geholt habe und dabei an den gut aussehenden Bademeister im Freibad gedacht habe. Jedes Mal, den ganzen Sommer über. Ein paar Monate später wurde mein Verdacht bestätigt, als ich ein Mädchen geküsst habe und dabei nichts empfand. Am Montag darauf kam ein neuer an unsere Schule, ein Jahrgang höher, und alles was ich wollte war, den Kuss vom Wochenende streichen, wenn ich nur ihn dafür küssen könnte. Ich habe mich ein halbes Jahr lang geweigert, diese Gedanken zuzugeben, mir selbst gegenüber zuzugeben. Weder das Bild vom Bademeister noch der Kusswunsch durften wahr sein. Natürlich wusste ich, dass sie wahr waren, aber ich habe das vor mir selbst bestritten. Meine Mum hat natürlich mitbekommen, das etwas nicht stimmte. Und sie hat mich zur Rede gestellt. Sie ist toll, hat mir Bücher besorgt und dafür gesorgt, dass ich mich selbst akzeptieren kann. Ich bin sicher, du wirst auch an den Punkt kommen, in dem du nicht mehr an der Richtigkeit deiner Gefühle zweifelst. Und bis dahin bin ich für dich da.“

„Und wenn ich nicht schwul bin? Ich habe noch nie auch nur den Wunsch gehabt, mit einem Mann zu schlafen, oder ihn nur zu küssen, geschweige denn habe ich je gedacht, dass ich mich in einen verlieben kann... Bis du da warst.“

„Solche Dinge gibt es. Du verliebst dich und plötzlich spielt das Geschlecht gar keine Rolle mehr. Das ist aber nicht das Ende der Welt. Vielleicht sogar der Anfang von etwas sehr, sehr schönem.“ Einar lächelte ihn an und beugte sich zu ihm.

„Also heute ist schon mal ein sehr schöner Anfang“, gab Tarek zu und näherte sich Einar. „Und er wird besser“, fügte er an und sie küssten sich.

Erst als die Mücken sich zu ihnen verirrten und den Abend unerträglich zu machen drohten, fuhren sie wieder in Richtung Hotel.

Es wurde einer dieser Abende, die einen Sommer unvergesslich machen, obwohl nichts passiert. Sie saßen einfach nur auf der Terrasse des Hotels und redeten über alles und nichts. Da war die Rede von ersten Küssen, ersten Skiurlauben, ersten Flügen, oder auch besten Lehrern, besten Kuchen, besten Freunden. Das Thema Familie versuchten beide so gut es eben ging zu vermeiden. Tarek wusste, dass er sich dem stellen musste, aber er wollte ein paar Tage nicht ständig daran denken. Das hier war nicht nur eine Flucht aus der Stadt sondern eine Flucht vor dem Leben, jedenfalls auf Zeit.
 

Am nächsten Tag fuhren sie mit dem gemieteten Oldtimer durch die Gegend, einfach ohne Ziel drauf los. Während er fuhr und sich an den Kreuzungen spontan für eine Richtung entschied, wurde Einar von Tarek beobachtet.

„Wenn du mich weiter so anschaust, drehe ich noch durch“, murrte der Beobachtete schließlich.

„Wieso?“, fragte Tarek unschuldig.

„Bei der nächsten Gelegenheit starre ich dich mal ununterbrochen an, dann stellst du nicht mehr so dumme Fragen.“

„Aber du bist schön.“

Einar stockte und sah kurz zu Tarek. „Schön?“

„Wenn dir das lieber ist, könnte ich auch heiß sagen oder sexy oder süß oder hübsch oder unvergleichlich.“

Der jetzt knallrote Einar fuhr an einem Waldweg kurz an den Straßenrand und stellte den Motor ab. „Sag das nochmal“, forderte er.

„Du bist sexy“, erwiderte Tarek.

„Und du bist so ein Schleimer“, flüsterte Einar und küsste Tarek.

„Du scheinst Schleimer zu mögen“, grinste Tarek danach.

„Nur bestimmte.“ Einar grinste ihn noch kurz an, dann fuhr er weiter.

Sie hielten schließlich an einem einfachen Dorfgasthof und aßen unter der großen Eiche im Hof. Am Nachmittag stoppten sie öfter, um sich Dinge anzuschauen: kleine Kunsthandwerksläden, kleine Kirchen, kleine Dörfer. Da alles klein war, sahen sie an einem Nachmittag ziemlich viel, und beide waren an diesem Tag entspannter als sonst, entspannter noch als am Tag zuvor. Kein einziges Mal dachte Tarek an seinen Vater und Einar fühlte sich das erste Mal wirklich frei, was er nicht geschafft hatte, seit sein Ex sein wahres Gesicht gezeigt hatte.

Diesen Abend verbrachten sie im Pool des Hotels und spielten im Wasser wie Kinder. Ein älterer Herr betrat den Raum, sah die beiden und entschied spontan, dass er eher Lust auf einen Saunabesuch hatte. Irgendwann hatten sie sich allerdings ausgetobt und hingen am Rand des Pools.

„Was machen wir morgen?“, fragte Tarek.

„Wir verbarrikadieren uns im Zimmer, schalten die Telefone aus und ignorieren den Rest der Welt?“, schlug Einar vor.

„Warum sollten wir? Oder ist für morgen irgendwas angekündigt? Der Beginn des dritten Weltkrieges oder so?“

„Nicht ganz.“

Tarek sah ihn verwirrt an. „Was ist es?“

„Mein Geburtstag“, gab Einar leise zu.

„Cool!“, strahlte Tarek.

„Ich hasse Geburtstage“, murrte Einar.

„Warum?“

„Als ich klein war, machte meine Mum immer ein Riesending daraus. Und weil ich im Sommer Geburtstag habe, konnte und musste die Party natürlich genau an dem Tag veranstaltet werden. Die meisten meiner Freunde waren im Urlaub. Es war jedes Jahr wieder mehr als deprimierend, wenn nur drei statt neun Leute zu deiner Party auftauchen. Erst als ich dreizehn wurde, hatte ich meine Mutter so weit, dass ich gar keine Party wollte und auch nicht bekam. Ich wollte einfach nicht schon wieder enttäuscht werden. Seit ich genug Geld habe, haue ich deswegen in der Woche meines Geburtstages ab. Ein Jahr mit Freunden, dann mit meinem Ex, letztes Jahr allein. Und dieses Jahr bist du hier und ich bin glücklich.“

„Okay, das kann ich verstehen, vor allem das mit dem Glück.“

Einar lachte leise. „Können wir den Teil mit den Telefonen aber bitte trotzdem durchziehen?“

„Zu gerne. Sie werden nur für Fotos und Musik angemacht.“

„Der Flugmodus wurde für Geburtstage erfunden“, grinste Einar.

„Ganz genau“, stimmte Tarek zu. „Wollen wir dann raus hier?“

Einar nickte, sie verließen den Pool und gingen wieder auf ihr Zimmer. Das Angebot, gemeinsam zu duschen, lehnte Tarek ab und schlich stattdessen aus dem Zimmer und runter zur Rezeption. Als Einar fertig war, saß er längst wieder auf dem Bett und schaute fern.

„Wie wäre es, wenn wir noch einen Film sehen?“, schlug er vor.

„Okay“, meinte Einar nur.

Sie machten es sich auf dem Boden bequem und suchten sich einen Film in der Hoteldatenbank.
 

Pünktlich eine Minute vor Mitternacht klopfte es.

„Ich geh schon“, meinte Tarek schnell und sprang auf.

„Wer klopft denn bitte um diese Uhrzeit? Und da ich keinen Feueralarm höre, sind wir auch nicht in Gefahr. Oder ist der Fernseher zu laut?“ Einar sah weiter auf den Film.

„Wer weiß“, antwortete Tarek nur und öffnete der schweigenden Dame vom Service die Tür. Er hatte darum gebeten, dass nichts gesagt wurde, weil er die Überraschung nicht verderben wollte. Nachdem er das Bestellte entgegen genommen hatte und mit den Lippen ein Danke geformt hatte, schloss er die Tür wieder.

„Und?“, wollte Einar nur wissen, als er die Tür ins Schloss fallen ließ.

Tarek schaute nur auf seine Uhr und wartete die letzten Sekunden ab.

„Nun sag schon“, drängelte Einar und sah genau im richtigen Moment zu Tarek.

Der hielt eine Flasche Champagner in einer Hand, zwei Gläser in der anderen. „Happy Birthday!“, grinste er ihn an.

Einar sah ihn kurz fassungslos an, dann lächelte er. Natürlich hätte er darauf kommen müssen, dass niemand einen Geburtstag einfach so verstreichen lässt, wenn er ihn nicht selbst so hasst wie Einar seinen, aber diese kleine Last-Minute-Geste war dermaßen süß, dass er Tarek glatt verzieh.

„Schleimer“, grinste er und winkte ihn zu sich runter.

Das ließ Tarek sich nicht zweimal sagen und küsste das Geburtstagskind.

Später stand die leere Flasche auf dem Boden und die beiden Betrunkenen lagen eng aneinander gekuschelt im Bett.

„Morgen besorge ich dir eine Torte“, murmelte Tarek schon im Halbschlaf.

„Wag' es dir ja nicht“, antwortete Einar nicht lauter. Sein Gehirn schickte ihn mit einem sonderbaren Gedanken in den Schlaf: Vielleicht hasse ich meinen Geburtstag doch nicht.
 

Einar erwachte in einem leeren Bett in einem leeren Hotelzimmer. Erst dachte er, Tarek sei im Bad, doch das war ebenso leer. Kein Hinweis, wo Tarek war, weder Notiz noch Nachricht auf dem Handy. Da die Sachen des anderen noch da waren, konnte er wenigstens davon ausgehen, dass er wiederkommen würde. Nachdem er Tarek eine Nachricht geschickt hatte („Wenn du vor mir geflüchtet bist, hättest du mich wenigstens warnen können, dass ich das Gepäck allein zurück schleppen muss.“ Gefolgt von einem Herzemoji, wofür Einar sich hasste, sobald er auf Senden gedrückt hatte.), ging er erstmal duschen.

Als er wieder aus dem Bad kam, waren Tarek und eine Mitarbeiterin des Hotels gerade dabei, ein Frühstückspicknick auf dem Boden vorzubereiten, immer darauf bedacht, keinen Ton von sich zu geben. Einar lehnte sich an den Türrahmen und beobachtete die beiden lächelnd.

„Sieht gut aus“, flüsterte Tarek als sie fertig waren. Die junge Frau nickte lächelnd.

„Irgendwie fehlt mir da der Champagner“, meinte Einar nur und die beiden erschraken.

Sobald er sich etwas gefangen hatte, strahlte Tarek ihn an. „Tut mir ja leid, aber den sollten wir erstmal nicht trinken. Heute Abend wieder.“

„Hast du was vor?“, hakte Einar nach.

„Ja, nicht gleich wieder dicht sein“, antwortete Tarek nur und bedankte sich bei der Dame vom Hotel, die sich verabschiedete.

„Okay, was soll das hier?“, wollte Einar wissen als sie weg war.

„Eine einzige romantische Geste. Der Rest des Tages wird so, wie du ihn haben willst. Und wenn du darauf bestehst, auch ohne Kuchen.“ Tarek ging zu ihm und küsste ihn kurz.

„Ich sollte dich dafür schlagen“, meinte Einar nur.

„Mach doch.“

„Stehst du drauf?“

„Find es raus.“

„Jetzt nicht. Ich hab Hunger.“ Einar setzte sich auf die Decke mitten im Raum.

Etwas später, der Kaffee ging gerade zur Neige, zog sich der Himmel zu und es fing an zu regnen, dann folgte Hagel. Obwohl sie schnell die Fenster schlossen, war genug Kälte in den Raum gekrochen, um Einar, der nur Shorts trug, frieren zu lassen. Er kuschelte sich Wärme suchend an Tarek und beugte sich zu dessen Ohr.

„Danke“, flüsterte er nur.

„Dann war es doch nicht zu kitschig?“

„Doch, aber ich mag es trotzdem. Manchmal ist ein bisschen Kitsch und Romantik in Ordnung.“

„Und was ist mit dem Kuchen?“

Einar lachte. „Wir können später gern Kuchen essen, wenn du magst, aber bitte lass es kein Geburtstagskuchen sein, sondern einfach nur Kuchen.“

„Weißt du, was an diesem Wetter gut ist?“, fragte Tarek.

„Was?“

„Wir können deinen Plan umsetzten und uns hier verbarrikadieren. Bei dem Wetter jagt man keinen Hund vor die Tür.“

„Perfekt“, lächelte Einar und beobachtete die Blitze, die über den Himmel zuckten.

Sie blieben eine ganze Weile auf dem Boden sitzen, bis er ihnen dann doch zu hart wurde. Das Housekeeping meldete sich irgendwann und brachte das Geschirr weg, während draußen die Nacht wieder Einzug zu halten schien.

„Ich beobachte gern Gewitter...“, gab Tarek zu.

„Echt? Ich habe es mir als Kind angewöhnt, dann besonders viele Lichter im Raum anzumachen, damit ich die Blitze nicht direkt mitbekomme.“

„Was ich sagen wollte, bevor du mich unterbrochen hast, war, dass ich gern Gewitter beobachte und man das hier sogar direkt aus der Badewanne tun kann,“ vollendete Tarek seinen Satz.

Einar sah ihn ernst an. „Das klingt, ehrlich gesagt, nach einem verdammt guten Plan.“

„Ich lass das Wasser ein“, verkündete Tarek und ging schon ins Bad.

„Vielleicht sollte ich meine Meinung zu Geburtstagen nochmal überdenken“, flüsterte Einar als er im warmen Wasser in Tareks Armen lag.

„Ach ja?“, hauchte Tarek nur und kraulte Einars Kopf weiter.

Genießend schloss Einar dir Augen und seufzte leise, als plötzlich das Licht ausging. Sie hatten nur ein kleines Licht am Spiegel an, aber man merkte die stärkere Dunkelheit sofort, sodass auch Einar die Augen wieder öffnete.

„Stromausfall?“, wunderte er sich.

„Wahrscheinlich das Gewitter, es ist direkt über uns.“

„Perfekt. Keine Telefone, keine Außenwelt“, meinte Einar und kuschelte sich noch mehr an Tarek.

„Nicht einschlafen, ja?“

„Doch.“

„Aber nicht hier, das wird nur irgendwann kalt“, gab Tarek zu bedenken, was Einar murren lies, aber sein Verstand stimmte Tarek zu.

Das Wasser wurde schließlich kalt und sie legten sich, in die Bademäntel gekleidet, ins Bett, wo sie den Rest des Tages mal mehr, mal weniger unschuldig verbrachten.



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