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Leuchten

von

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Glücksleuchten

Der Sonnenuntergang tauchte die ganze Stadt in warmes, oranges Licht. Die Luft flirrte nicht mehr über den Straßen und sie wurde für Mensch und Tier langsam wieder erträglich. Zwei Menschen war die Hitze aber schon seit einigen Stunden egal. Sie lagen auf einer Decke auf dem heißen Dach und taten sonst nicht viel. Tarek hatte hier hoch kommen wollen, nachdem seine Tränen getrocknet waren.

Einar drehte den Kopf zur Seite und sah direkt nach Westen. „Letztendlich sind wir dem Universum egal“, flüsterte er als die Sonne langsam hinter den Horizont schlich.

„Was?“, wunderte Tarek sich.

„Ein Buchtitel, der mir gerade in den Sinn kam“, erklärte Einar. „Und irgendwie stimmt es ja auch. Guck dir den Himmel an. Das da oben ist unendlich...“

„Bitte“, seufzte Tarek. „Werde nicht auch noch philosophisch. Heute vertrage ich so was leider nicht.“

„Aber sonst?“

„Vielleicht“, flüsterte Tarek und griff nach Einars Hand. „Lass mich heute einfach trauern, ja?“

„Natürlich“, erwiderte Einar leise. Seine Finger verschränkten sich automatisch mit Tareks.

Sie blieben so liegen, die Hände in einander verschlungen, die Blicke gen Himmel gerichtet, bis es fast dunkel war und Einars Magen anfing zu grummeln. Einar selbst ignorierte es, er wollte sich den Abend nicht von so banalen Dingen wie Essen kaputt machen lassen. Allerdings hatte Tarek den Magen des anderen genau verstanden und ein wenig stimmte sein Magen auch zu, so dass er Einar wortlos hochzog, die Decke nahm und sie wieder runter in die Wohnung gingen.

„Sandwiches?“, fragte Einar.

Tarek nickte nur, trat dann näher an seinen Freund und küsste ihn kurz.

„Ich mach uns welche.“ Mit einem Lächeln verschwand Einar in der Küche.

Tareks Gepäck, das noch in der Diele stand, zog den Blick seines Besitzers auf sich. Kurz bevor seine Hand die Tasche mit den Fotoalben erreichte, entschied er sich anders und griff nach einem Koffer, öffnete ihn und fing an, seine Schuhe im Flur an den Wänden aufzureihen. Es waren nicht viele Schuhe, aber da er auch Einars Schuhe aus ihrer Ecke holte und ordentlich aufreihte, waren bald überall Schuhe wo keine Türen waren.

„Vielleicht sollten wir über einen Schuhschrank nachdenken“, bemerkte Tarek trocken als Einar aus der Küche kam.

„Vielleicht sollten wir erstmal essen“, lächelte Einar.

„Vielleicht.“ Tarek trat an Einar heran, doch anstatt ihn zu küssen, womit Einar rechnete, griff Tarek nach seiner Hand und zog ihn in die Küche, wo die Sandwichs auf dem Tisch auf sie warteten.
 

„Sinnlose YouTube-Videos?“, fragte Einar, als sie etwas später den Abwasch machten.

„Sinnlose YouTube-Videos“, bestätigte Tarek und sah nicht von dem Teller hoch, den er gerade mit dem Schwamm malträtierte.

Einar beobachtete ihn dabei und bemerkte, wie müde Tarek aussah. Schon auf dem Dach und beim Essen war es ihm aufgefallen.

„Du willst nicht reden, was?“, fragte er vorsichtig.

„Da gibt es nichts zu reden. Er wusste, wie er mir am meisten weh tun kann und das hat er getan. Mit elf habe ich die erste DVD von meinem eigenen Geld gekauft. Sie lag auf dem Haufen ganz oben. Das war kein Zufall, Einar. Er ist ein berechnendes Arschloch, von dem ich bis vor kurzem geglaubt habe, dass es mich liebt.“

Einar schluckte seine Antwort und küsste Tarek nur kurz. „Lass uns hier schnell fertig werden“, flüsterte er ihm ins Ohr.

„Ist eh das letzte Teil“, antwortete Tarek und reichte Einar den Teller.

Keine fünf Minuten später saßen sie auf dem Bett und scrollten sich durch die Untiefen YouTubes.

„Was willst du sehen?“, fragte Einar leise.

„Ist mir gerade ziemlich egal.“ Mit leeren Augen sah Tarek auf den Bildschirm. In seinem Kopf war Leere, sein Herz bestand aus Schmerz. Die DVDs konnte man ersetzten , es waren keine wirklichen Raritäten dabei. Der Verrat seines Vaters war die eigentliche Schmerzursache. Sein Vater hatte die Vernichtung unschuldiger Plastikscheiben in ein Schwert verwandelt, das nun tief in Tareks Herz steckte. Ein Mann, der immer so stolz auf seinen Sohn, seinen Stammhalter, war, dass selbst das miese Abitur mit einer großen Party gefeiert wurde. Ein Mann, der keinen Hehl daraus machte, dass er Tarek mehr liebte als Yasmin. Ein Mann, der aufgrund eines Kusses keinen Sohn mehr hatte.

Kraftlos ließ Tarek sich zur Seite fallen und rollte sich zusammen. Er weinte nicht, starrte einfach nur vor sich hin, auch als Einar den Rechner zur Seite stellte und ihn in seine Arme zog. Tarek wusste, dass Einar da war, dass Yasmin auf seiner Seite stand. Er war nicht einsam, nicht allein, und doch war er gerade sehr verloren.
 

„Wie war das bei dir?“, fragte er nach einer ganzen Weile.

„Was meinst du?“, fragte Einar verwundert zurück.

Tarek löste sich von ihm und sah ihn an. Langsam fuhr er mit der Hand über Einars T-Shirt, genau da, wo er unter dem Stoff die Narbe wusste.

In den Augen des anderen blitzte Erkenntnis auf. „Es war merkwürdig. Einerseits war ich erleichtert, einfach nur erleichtert. Ich war ihn los, war frei. Und dann gab es da diese leise Stimme, die flüsterte 'Du liebst ihn doch'. Er hatte so oft gesagt, er könnte ohne mich nicht leben, dass es sich eingebrannt hatte. Manchmal hatte ich Zweifel. Konnte ich ihn wirklich allein lassen? Konnte ich ihn einfach so im Stich lassen? Und dann drehte ich mich auf den Rücken oder versuchte, mich anzulehnen, und die Wunde auf meinem Rücken schrie mich an.“

„Was schrie sie denn?“

„Meistens 'Dreh dich zurück, du Volltrottel!', aber auch 'Er ist an den Schmerzen Schuld! Wie kannst du so einen Scheiß denken?'“

„Schlaue Wunde“, murmelte Tarek.

„Ja, sie hat mich immer wieder daran erinnert, weswegen ich bei meiner Mutter auf dem Sofa auf dem Bauch lag und Eis in mich hinein stopfte. Es hat am Ende eine Weile gedauert, bis ich so weit war, ihn wirklich hinter mir zu lassen, nicht zuletzt, weil ich noch gegen ihn aussagen musste. Nach ein paar Wochen hatte meine Mum mich meinem neuen Chef vorgestellt. Sie hatte ihm seine Wohnung vermittelt und war der Meinung, dass ich mir einen neuen Job suchen sollte. Sie hat mir in den Hintern getreten, weil ich nur depri war und mich durch ihre Regale las.“

„Und was war falsch daran?“

„Ich hatte einfach nicht die Kraft, mich der Welt zu stellen. Ich war glücklich, hatte aber keinen Bock.“

„Und deine Mum hatte irgendwann keine Lust mehr darauf“, schlussfolgerte Tarek.

„Genau. Sie redete mir immer wieder ins Gewissen. Ich könne ja nicht ewig bei ihr wohnen. Also hat sie diese Wohnung gefunden und ich bin hier her gezogen, hatte einen neuen Job und keine Möbel. Es war gut so. Mein Chef weiß, was damals passiert ist, aber sonst weiß es keiner, nicht einmal seine Frau. Melanie habe ich es auch nie erzählt.“

„Du verdrängst es?“

„Nein, ich denke oft daran, und meine Mum fragt jetzt in einem Ton 'Wie geht es dir?', bei dem ich genau weiß, dass sie ihn meint. Und der Arzttermin gestern, bevor ich beim Friseur war... das war mein Therapeut. Am Anfang bin ich jede Woche hin, jetzt nur noch aller drei Wochen. Ich könnte zwar öfter gehen, aber es geht mir schon ganz gut, das sagen wir beide. Gestern habe ich ihm von dir erzählt.“

„Und er meinte, du müsstest sofort Schluss machen, falls ich mich ebenfalls als Psycho entpuppe?“

Einar lächelte Tarek an und legte eine Hand an dessen Wange. „Er hat gelächelt und gesagt: 'Klingt nach einem Supertypen. Wenn er nett zu dir ist, behalte ihn.'“

„Bin ich nett zu dir?“

„Du bist verdammt nett zu mir“, lächelte Einar und küsste Tarek, danach drückte er ihn fest an sich.

„Zusammen“, flüsterte Tarek ihm ins Ohr.

„Zusammen.“
 

Nach zwanzig gelöschten Entwürfen schickte Tarek endlich die Nachricht ab, über die er seit fast zwei Stunden am Küchentisch grübelte. Einar hatte er noch schlafen lassen als er aufwachte.

„Was würdet ihr sagen, wenn einer eurer Freunde einen Mann lieben würde?“

Er schickte diese Nachricht an alle seine Freunde. Ihre Antwort sollte das Schicksal ihrer Freundschaft besiegeln.

Nach ein paar Minuten kam die erste Antwort: „Die Tucke würde ich fertig machen.“

Tarek löschte den Absender aus seinem Handy und blockierte ihn in seinen sozialen Netzwerken. So ging er bei allen vor, die ähnlich antworteten.

Bei Antworten wie „Ist doch seine Sache“ blieb er vorsichtig, doch das waren leider nur wenige. Seltener waren nur eindeutig positive Nachrichten, genau zwei Stück.

„Sag das ja nicht deinen Eltern, die drehen durch. Wenn du reden willst, komm zu mir. Max“

„Dann soll er mir den erstmal vorstellen und ich sage dir, ob er gut genug für ihn ist. Leider bin ich noch in Spanien. Melde mich, wenn ich wieder da bin, dann kannst du ihn mir gern vorstellen. Jim“

Tarek grinste, als er Jims Nachricht las. So reagierte dieser auch, wenn jemand eine neue Freundin hatte. Er hatte ihn also richtig eingeschätzt.

Noch mehr freute ihn Max' Antwort. Genau auf ihn hatte er gehofft, genau auf so eine Aussage.

Max, Sohn einer Ghanaerin und eines Deutschen, der sie und ihr Kind kurz nach der Geburt hatte sitzen lassen, war und würde wohl immer einer der besten Menschen auf diesem Planeten bleiben. Als Kinder lebten sie in benachbarten Wohnungen und waren unzertrennlich. Erst als sie auf verschiedene Gymnasien gingen, lebten sie sich etwas auseinander. Und doch konnten beide jederzeit zum anderen gehen, sei es um Probleme zu besprechen oder um zusammen Nächte durch zu feiern. Mittlerweile hatte Max sein Studium abgeschlossen und machte sich für sein Referendariat bereit. Als er Tarek damals erzählt hatte, er wolle Grundschullehrer werden, hatte der ihn für verrückt erklärt, auch wenn er wusste, dass es die perfekte Entscheidung für Max war.

„Sie wissen es schon“, schrieb Tarek nun zurück.

„Fuck! Wie geht es dir? Wo bist du? Was kann ich für dich tun?“

„Du könntest dich mit uns treffen“, schlug Tarek vor.

„Ich habe Zeit. Sag mir nur wann und wo“, antwortete Max sofort.

„Lass uns baden fahren. Wir holen dich gegen eins ab.“

„Perfekt.“

„Kaffee?“ Einars verschlafene Stimme riss Tarek aus seinen Gedanken. Mit vollkommen chaotischen Haaren und dem Abdruck des Kissens im Gesicht stand Einar vor ihm und blinzelte ihn verschlafen an.

„Ist vor ein paar Minuten neuer fertig geworden“, berichtete Tarek und stand auf.

„Meine oder deine Stärke?“, murmelte der Halbschlafende.

„Deine.“ Grinsend gab Tarek ihm eine Tasse. „Guten Morgen.“

Einar trank einen Schluck, stellte die Tasse ab und lehnte sich an Tarek. „Morgen“, brummte er.

„Du kannst nicht wieder einschlafen“, lächelte Tarek.

„Warum nicht?“

„Weil wir etwas vorhaben.“

Einar sah ihn verwirrt an. Jedenfalls nahm Tarek an, dass er angesehen wurde und Einar ihm nicht nur sein verwirrtes Gesicht mit fast geschlossenen Augen entgegen streckte.

„Wir fahren raus an den Stausee zum Baden und wir nehmen Max mit“, erklärte Tarek.

Jetzt öffnete Einar seine Augen richtig. „Wer ist Max?“

„Einer meiner besten Freunde. Nimm Platz, ich mache uns Frühstück und erkläre dir alles“, schlug Tarek lächelnd vor und küsste Einar kurz.

Als Einar saß, erzählte Tarek ihm von den Nachrichten, von der einen, die er geschickt hatte, und von den Antworten, die er erhalten hatte. Er erzählte von den Freunden, die er gelöscht hatte, von denen, bei denen er vorsichtig war, von Jim, der alles akzeptierte, was seine Freunde nicht verletzte. Erst zum Schluss erzählte er von Max, dem Nachbarjungen, mit dem er an Regentagen im Treppenhaus gespielt hatte. Max, der ihm bei den Hausaufgaben geholfen hatte und dem er gezeigt hatte, wie man am besten auf Bäume kletterte. Er sprach von den langen Gesprächen über Mädchen, die sie auf den Treppen vor und im Haus geführt hatten. Er belebte die Zeiten wieder, in denen sie sich wochenlang kaum sahen, weil jeder andere, neue Freunde getroffen hatte, und doch waren sie immer auf einer Wellenlänge, egal, wie lange sie sich nicht sahen. Als sein Studium begann, zog Max in eine WG und sie sahen sich noch seltener, die Bindung aber blieb. Ein Anruf, eine SMS und kurz darauf stand der eine beim anderen vor der Tür, für Problemlösungen oder durchtanzte Nächte.

„Klingt gut, dein Max“, sagte Einar, zwischen zwei Löffeln seines Dreifach-Schoko-Superknusper-Müslis.

„Und dir läuft Milch übers Kinn“, stellte Tarek fest, beugte sich schnell rüber und leckte die Milch weg noch bevor Einars Hand sein Kinn erreicht hatte.

„Wann müssen wir los?“, wollte Einar wissen.

„Kurz vor eins. Er wohnt nicht weit von hier.“

Einar sah auf die Uhr über der Küchentür, die schon vor Monaten stehen geblieben war und deren Batterien er nie gewechselt hatte.

„Noch anderthalb Stunden.“ Auf seinem Handy konnte Tarek die Zeit eindeutig besser ablesen.

„Schnell fertig frühstücken und dann ausgiebig gemeinsam duschen?“, schlug Einar vor und Tarek nickte grinsend.
 

„Sieht er denn gut aus?“, fragte Einar neugierig als sie im Auto saßen. Die Aussicht auf einen Nachmittag am See und Tareks gute Laune hatten seine Stimmung gehoben. Die drei großen Tassen Kaffee, den ihn geweckt haben, waren ebenfalls positive Faktoren.

„Die Frauen, die ihm scharenweise nachlaufen, sind jedenfalls der Meinung“, antwortete Tarek.

Einar seufzte. „Die guten sind immer hetero.“

„Hey!“, protestierte Tarek und hielt in einer Einfahrt.

„Du bist doch auch hetero, dachte ich. Und ich bin deine Ausnahme.“

„Ich bin... schubladenresistent“, stellte Tarek fest während er auf seinem Handy tippte.

Erst strahlte Einar ihn an, dann lachte er. „Du bist toll.“

„Ich weiß.“ Sie grinsten sich an. Sie küssten sich. Sie erschraken fast zu Tode als plötzlich jemand an die Windschutzscheibe klopfte.

„Ich bringe ihn um“, fluchte Tarek, stieg aus und umarmte seinen Freund.

„Stellst du ihn mir vorher wenigstens vor?“, wollte Einar wissen, der ebenfalls ausstieg.

Die beiden anderen sahen ihn an, Tarek grinsend, Max neugierig.

„Geduld ist eine Tugend“, erwiderte Tarek.

„Und ich bin Einar“, stellte er sich vor und streckte Max seine Hand entgegen.

„Max, Hallo“, lächelte Max und schüttelte Einars Hand.

„Steigt ein.“

Sie kamen Tareks Aufforderung nach, wobei Einar zielgerichtet auf der Rückband Platz nahm, noch bevor es zu Diskussionen kommen konnte. Er saß hinter Max und beobachtete Tarek, wie der sich aufs Fahren konzentierte.

Auf Max' Frage hin erzählte Tarek ihre Geschichte, wie sie sie schon Einars Mutter erzählt hatten. Einen kleinen Unterschied machte er allerdings: Einar hatte seiner Mutter gesagt, sie hätten sich geküsst, nicht Tarek ihn. Diese kleine Änderung nahm Tarek jetzt zurück und Max erfuhr einen größeren Teil der Wahrheit als Einars Mutter.

Einar lehnte sich nur zurück und beobachtete Tarek lächelnd. Tarek redete und lachte und gestikulierte und sah kurz zu Max und Einar, der ihn sanft anlächelte.

„Guck nicht so dämlich verknallt da hinten“, forderte Tarek schließlich.

„Dann rede du nicht so dämlich verknallt hier vorne“, warf Max ein.

„Mach ich gar nicht“, protestierte Tarek.

„Tust du“, war Max' trockene Antwort.

„Ich mag ihn, können wir ihn behalten?“, meldete sich nun auch Einar vom Rücksitz.

„Was!?“ Tarek sah Einar erschrocken im Rückspiegel an.

Die anderen beiden ignorierten ihn, Max drehte sich lieber so gut es ging zu Einar um. „Das solltest du mit meiner Freundin klären, aber Jenny ist da ziemlich aufgeschlossen.“

„Gut zu wissen. Wir sollten uns dann demnächst zu Vertragsverhandlungen treffen.“

„Leute!“, kam es vom Fahrersitz.

„Was ist? Findest du es nicht gut, wenn ich mich mit Max verstehe?“, fragte Einar unschuldig.

Tarek seufzte. „Wir können ihn trotzdem nicht behalten. Er schnarcht.“

„Glaube ihm kein Wort“, sagte Max nur.

„Jetzt gehen wir erstmal baden“, verkündete Tarek und bog auf den Parkplatz am Stausee ein.

Da der See etwas weiter von der Stadt entfernt lag, war er unter der Woche nicht so überfüllt. Die städtischen Freibäder oder den Baggersee direkt am Stadtrand sollte man bei diesem Wetter allerdings unter allen Umständen meiden, weshalb Tarek gerne so weit raus fuhr.

Sie holten ihre Sachen aus dem Kofferraum und gingen zum Eingang des Strandbades. Ihre Handys und Geldbörsen verstauten sie in den Schließfächern am Eingang, darauf bestand Max, dem im letzten Sommer das Handy im Freibad gestohlen wurde.

Während Einar und Tarek nun Ausschau nach einen schönen Plätzchen hielten, ging Max hinter ihnen und beobachtete Einar. Er beobachtete ihn und versuchte herauszufinden, weshalb er das Gefühl hatte, ihn zu kennen.

Nachdem sie sich im Wasser abgekühlt hatten, warfen sie sich wieder auf die Decke und ließen sich unter einer dicken Schicht Sonnenmilch von der Sonne rösten.

„Einar, sag mal, kennst du zufällig einen Dom?“, fragte Max schließlich.

„Ja, kenne... kannte ich. Wieso?“

„Na ja, ich war mal vor Ewigkeiten auf einer Party, Doms 21. Geburtstag, und ich habe das Gefühl, dass du auch da warst“, erklärte Max.

„Woher kennst du Dom?“, wollte Einar wissen.

„Er war damals mein Mentor, wenn man das so nennen will, bei den Orientierungswochen an der Uni.“

„Grundschulpädagogik.“

„Genau“, bestätigte Max.

Einar sah Max noch einmal genau an, dann fiel der Groschen. „Klar kennen wir uns“, grinste er dann.

„Warst du der...?“

„Ja, war ich.“

„Wer war was?“, wunderte Tarek sich.

„Wir haben an dem Abend ziemlich viel miteinander geredet. Ich weiß nur nicht mehr, worüber“, meinte Max.

„Muss philosophisch gewesen sein. Ich war dicht und dann werde ich immer philosophisch“, sagte Einar.

„Und dann...“, grinste Max.

„Und dann...“, grinste Einar zurück.

„Und dann?“, fragte Tarek, nun vollkommen verwirrt.

„Wie soll ich das jetzt...“

„Also wir haben...“

„Raus mit der Sprache!“

„Wir haben uns geküsst“, gab Einar zu.

„Wild in der Ecke geknutscht, würde ich es nennen“, fügte Max an.

Dieses Geständnis brachte für Tarek nur eines: Absolute Verwirrung.

„Meinst du, wir haben ihn kaputt gemacht?“, wunderte Einar sich als Tarek nur verstört vor sich hin starrte.

„Ich hoffe nicht“, erwiderte Max. „Das will ich Yasmin nicht erklären müssen. Sie mag zierlich wirken, hat aber einen Schwarzen Gürtel im Karate.“

„Ihr... ihr... habt...“, flüsterte Tarek.

„Ja, besoffen, auf einer Party, vor meinem Ex. Ein paar Wochen später habe ich ihn getroffen und meine wilden Zeiten waren vorbei. Auch die Partyknutschereien.“

„Es ist sehr lange her“, lächelte Max.

„Aber du bist doch...“, meinte Tarek.

„Wenn ich getrunken habe, bin ich für alles offen, das weißt du“, lachte Max. „Weißt du nicht mehr, wie wir unser Abi gefeiert haben?“

„Stimmt, du bist am Ende nackt durch die Nachbarschaft gerannt“, meinte Tarek.

„Ich finde, ein bisschen Küssen ist da halb so schlimm“, sagte Max.

„Ja, aber es ist komisch, dass ihr beide...“

„Ein bisschen vielleicht, aber es ist ewig her. Und jetzt hab ich dich und Max hat...“

„Jenny. Genau.“ Max lächelte Tarek weiter an.

Tarek lehnte sich an Einar. „Ja, jetzt hast du mich.“

„Sag ich ja“, grinste Einar und küsste ihn kurz.

Max beobachtete die beiden lächelnd. Er kannte Tarek sein ganzes Leben lang, und doch hatte er ihn noch nie so erlebt. Klar, er war verliebt gewesen, aber noch nie so verliebt. Unwillkürlich lächelte er zufrieden.

„Grins nicht so“, forderte Tarek ihn aber direkt auf.

„Ich bin nur glücklich, dass es dir gut zu gehen scheint“, erklärte Max.

„Heute Vormittag habe ich viele Kontakte aus meinem Telefon gelöscht. Mein Vater hat meine komplette Filmsammlung geschrottet und ist seiner Meinung nach nicht mehr mein Vater. Aber ich habe dich nicht verloren. Jim scheint sich auch nicht abzuwenden. Ich habe Yasmin nicht verloren. Und sie scheint Einar zu mögen. Filme kann man ersetzen; Freunde, die mich nicht mit Einar wollen, will ich nicht. Viele hatte ich nur noch aus Gewohnheit. Und jetzt sitze ich hier, mit meinem besten Freund und meinem Freund in der Sonne und alles was fehlt ist Eis oder Bier.“ Tarek grinste die beiden an.

„Ich stehe nicht auf“, verkündete Einar direkt und legte sich wieder auf den Bauch.

„Vergiss es“, meinte auch Max als Tarek ihn ansah.

Tarek seufzte. „Dann gib mir bitte den Schlüssel fürs Schließfach“, bat er ihn und Max gab ihm den Schlüssel. „Wünsche?“

„Eis, groß.“

„Eis, groß.“

Sie beide sahen Tarek mit großen Augen an. „Bitte“, fügten sie wie aus einem Mund an.

Ein paar mal blinzelte Tarek noch, dann ging er zum Kiosk.

„Wir haben noch nicht, aber irgendwann werden wir ihn kaputt machen“, stellte Max fest und legte sich neben Einar.

„Einen muss es ja treffen“, murmelte Einar schläfrig.

Max brummte etwas zustimmendes.

Zehn Minuten später war Tarek wieder da und die beiden fast eingeschlafen.

„Eis, groß, zweimal“, sagte Tarek nur und schon saßen beide und sahen ihn erwartungsfroh an.

„Danke“, sagten wieder beide gleichzeitig als er ihnen das Eis reichte.

„Warum habe ich euch einander vorgestellt?“, wunderte Tarek sich und setzte sich mit seinem eigenen Eis wieder zu ihnen.

„Weil du uns beide magst?“, schlug Einar vor.

„Weil du Masochist bist?“, schlug Max vor.

„Wahrscheinlich beides“, murrte Tarek und fing an zu essen.

Die anderen lachten essend.
 

„Sag mal, seit wann kennst du Dom nicht mehr?“, wollte Max später von Einar wissen.

„Seit meinem Ex. Wie gesagt, kurz nach der Party, auf der wir... du weißt schon, habe ich ihn kennengelernt. In den ersten paar Monaten war noch alles in Ordnung, dann waren wir auf Doms Silvesterparty. Er fand, dass Dom und ich zu vertraut waren für Freunde, dabei kennen wir uns seit der sechsten Klasse. Er wollte nicht, dass ich Dom sehe, und ich war blind und verliebt genug, auf ihn zu hören. Danach hab ich Dom immer vertröstet, wenn er sich mit mir treffen wollte, und irgendwann habe ich gar nicht mehr geantwortet. Ich habe ihn fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel und ich bin alles andere als stolz darauf.“

„Jetzt verstehe ich einiges“, meinte Max und sah in zwei fragende Gesichter. „Im Frühjahr nach dieser Party, nach der Silvesterparty, jammerte Dom mir und anderen ganze Abende lang vor, dass sein bester Freund ihn ohne Angabe von Gründen nicht mehr mit ihm sprach.“

„Fuck.“ Einar raufte sich die Haare. „Ich habe versagt, was?“

„Du warst verliebt“, warf Tarek ein.

„Ich war ein Idiot.“

„Das auch“, meinte Tarek, zog Einar aber in seine Arme.

„Was macht Dom jetzt? Er müsste ja schon fertig sein mit dem Studium...“

Max lächelte ihn an. „Er lebt jetzt in Berlin und beginnt nach den Ferien an einer Grundschule als Lehrer.“

„Klingt gut“, lächelte Einar.

„Ja, es geht ihm gut.“ Max stand plötzlich auf. „Ich hol uns was zu trinken.“
 

Es dauerte eine ganze Weile bis Max wieder zu ihnen kam, sein Handy am Ohr.

„... ja, das ist doch klar... Was?... Willst du wirklich?... Okay, Sekunde...“ Er hielt Einar das Telefon hin. „Da will dich jemand sprechen.“

„Was?“ Einar sah ihn verwirrt an. „Wer?“

Doch Max lächelte nur und drückte ihm das Handy in die Hand.

„Hallo?“, fragte Einar vorsichtig.

„Einar?“, kam die leise Antwort.

„Ja?“

„Hier ist Dom.“

Einar sah erschrocken zu Max, dann zu Tarek.

„Hallo“, flüsterte er dann ins Telefon und stand langsam auf. „Es tut mir leid.“

„Ich weiß“, antwortete Dom.

„Es tut mir so unendlich leid.“ Einars Augen füllten sich mit Tränen und seine Stimmte drohte zu versagen.

„Hey, weine nicht“, bat Dom. „Max hat mir gesagt, dass dein Ex nicht wollte, dass wir uns sehen.“

„Ich war so ein Idiot, was?“ Langsam ging Einar etwas von den anderen weg.

„Ja, aber ich auch“, gestand Dom.

„Du?“

„Ich mochte den Typen vom ersten Moment an nicht, und ich habe dir nichts gesagt, habe dich ins Unglück rennen lassen.“

Einar schüttelte den Kopf. „Ich wäre auch mit Warnung gerannt.“

„Aber jetzt ist es vorbei?“

„Ja, vorbei. Endgültig vorbei.“

„Und du hast dir Max besten Freund geschnappt?“

„Tarek, ja. Und ich glaube, er ist besser als mein Ex“, lächelte Einar.

„Ich habe ihn ein paar Mal getroffen. Er ist auf jeden Fall besser, sehr viel besser. Hätte nur nicht gedacht...“

Einar lachte. „Er auch nicht.“

„Hör zu, ich muss auflegen. Lass dir von Max meine Nummer geben und melde dich, ja?“ Das Lächeln in Doms Stimme war nicht zu überhören.

„Ja. Ich hab dich vermisst.“

„Ich dich auch“, flüsterte Dom, dann war etwas im Hintergrund zu hören. „Bis bald.“ Er legte auf.

Einar ging lächelnd zu den anderen zurück. „Danke“, meinte er und reichte Max das Handy.

„Gerne doch“, lächelte Max.

„Geht es dir besser?“, fragte Tarek als Einar sich an ihn kuschelte.

„Auf jeden Fall“, murmelte Einar.

„Und trotzdem so kuschelwütig“, lachte Max. „Ich bring schnell das Handy zurück ins Schließfach.“

„Bringst du uns diesmal was zu trinken mit?“, fragte Tarek ihn mit großen Augen.

Max nickte lachend und ging.

„Du hast einen tollen Freund“, sagte Einar leise.

„Ja, den besten.“

„Behalten wir ihn also?“

„Na gut, aber er schläft bei sich“, gab Tarek nach.

Einar lachte und küsste ihn.
 

Nach einer weiteren Abkühlung im Wasser und einem weiteren Eis für jeden, fuhren sie schließlich wieder in die Stadt. Sie setzten Max wieder ab und suchten gerade einen Parkplatz, als Einars Handy klingelte.

„Dom“, murmelte er. Max hatte ihnen auf der Fahrt die Nummern des jeweils anderen gegeben.

„Steig aus und geh ran. Ich fahr noch schnell zu Rewe, solange die noch auf haben. Wir haben kaum noch Milch“, lächelte Tarek ihn an.

„Und keinen Wein“, fügte Einar grinsend an. „Bis gleich.“

Tarek fuhr allein weiter und holte im Supermarkt Wein, Milch und noch einiges anderes. Wieder in der Wohnung stellte er fest, dass Einar noch immer telefonierte, lachend auf dem Boden sitzend im Wohnzimmer. Er winkte ihm kurz durch die halb offene Tür und zog sich dann mit den Einkäufen in die Küche zurück.
 

„Was machst du?“, wollte Einar wissen, als er eine halbe Stunde später ebenfalls in die Küche kam.

„Abendessen“, antwortete Tarek und schnippelte weiter Tomaten.

„Und was gibt es?“

„Olivenbrot und Salat. Das beste für Sommernächte. Den Wein habe ich kurz ins Eisfach gelegt.“

„Wo ist das Brot? Ich schneide es schon mal“, bot Einar an.

„Das ist schon geschnitten und im Ofen.“

Für diese Aussage wurde er fragend von der Seite angesehen.

„Es gibt Olivenbrot, beträufelt mit Olivenöl und mit Parmesan leicht überbacken. Ich habe es gesehen und wusste, dass es das heute sein soll.“ Tarek lächelte ihn an. „Und ich habe dich Oliven essen sehen, also rede dich nicht raus.“

„Mach ich doch gar nicht“, flüsterte Einar direkt neben seinem Ohr.

„Gut“, hauchte Tarek, dessen Ohr gerade angeknabbert wurde. „Wir essen gleich.“

„Können wir nicht später essen?“

„Das Brot schmeckt warm am besten...“, flüsterte Tarek.

„Okay, dann essen wir erst.“ Einar küsste noch Tareks Nacken, dann holte er Teller, Besteck und Gläser.

„Würdest du bitte auch das Brot aus dem Ofen holen, wenn der Timer sich meldet?“, bat Tarek ihn, da er sich gerade um die Vinaigrette kümmerte.

„Klar“, lächelte Einar und schon klingelte der Timer.

Nachdem das Essen erfolgreich auf den Tellern verteilt war und der Wein wieder aus dem Gefrierfach befreit war, machten sie es sich auf dem Boden im Wohnzimmer gemütlich, auf einigen Bodenkissen, die Einar im Wandschrank im Flur aufbewahrte.

„Woher kennst du Dom eigentlich?“, fragte Tarek während des Essens.

„Aus der Schule. Er war immer in meiner Parallelklasse. Ich kannte ihn schon ein bisschen, wie man sich halt so kennt, wenn man nur Sport zusammen hat und ab und zu Fußball auf dem Schulhof spielt. Dann hat er sich als erster in unserer Schule geoutet in der Neunten. Bei mir wusste es nur meine Mutter, aber das wollte ich gern ändern. Ich bin also zu ihm gegangen, für Ratschläge, Beistand, Mut. Ich glaube, er war dankbar, dass ich nicht wie die anderen war. Die hatten ihn gemobbt, ihn plötzlich anders angesehen oder ihn komplett gemieden. Seine halbe Klasse hatte sich gegen ihn gewandt, die andere Hälfte waren die Mädchen. Er wollte einen Freund haben, einfach nur jemanden, mit dem er reden konnte. Und da war ich. Ängstlich, unsicher, neugierig. Wir wurden schnell Freunde und schnell kam das Gerücht auf, wir wären ein Paar. Wir waren es nie. Wir waren einfach beste Freunde und gingen bald gemeinsam aus um Jungs zu treffen. Es war super. Nach dem Abi fing ich meine Ausbildung an und er ging an die Uni. Die Partys wurden wilder, die Jungs zahlreicher. Dann kam er. Und es war alles vorbei.“

„Und jetzt hast du ihn wieder“, lächelte Tarek.

„Ja, habe ich“, grinste Einar und küsste Tarek. „Und ich habe dich.“

„Hast du.“ Tarek schob ihre Teller aus dem Weg und zog Einar zu sich. „Mit Haut und Haar.“

„Gut zu wissen.“ Wieder küsste Einar ihn und die Bewegung seiner Hände ließ keinen Zweifel mehr zu, dass er nicht mehr warten wollte bis nach dem Essen.



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