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Uncertain Heart

von

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Gebrochen

Ich rieb mir mit den Handrücken über die Augen und drehte mich auf den Rücken. Meinen Arm legte ich über mein Gesicht, weil ich das Licht nicht ertragen konnte. Mir tat alles weh. Hatte ich so viel getrunken? Ich versuchte mich aufzurichten und hielt mir dabei den pochenden Kopf. Erst jetzt stellte ich mit Entsetzen fest, dass das gar nicht mein Bett war, in dem ich lag.

„Was…?“ Wieso hatte ich mein Kleid von gestern Abend noch an? Überrascht sah ich mich um und erkannte, dass es Tais Zimmer war, in dem ich mich befand.

Oh Gott.

Dann musste das auch Tais Bett sein.

Geschockt sah ich mich um. Er war nicht hier und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, mit ihm ins Bett gegangen zu sein. Aber ich konnte mich auch nicht daran erinnern, überhaupt in sein Bett gegangen zu sein. Generell waren die Erinnerungen an die vergangene Nacht eher schleierhaft. Doch da er nicht hier war, bedeutete das wohl, dass ich allein in seinem Bett geschlafen hatte und das beruhigte mich zunächst.

Was mich allerdings nicht beruhigte, war die Tatsache, dass ich schon längst zu Hause sein sollte. Ich schlug die Decke zurück und setzte einen Fuß aus dem Bett.

„Au!“

Erschrocken warf ich einen Blick zu Boden.

„Tai? Was machst du denn da auf dem Fußboden?“

Grummelnd öffnete er ein Auge.

„Hätte ich mich mit zu dir ins Bett legen sollen?“

Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, also sah ich peinlich berührt weg.

„Dachte ich mir doch“, meinte Tai und versuchte sich ebenfalls aufzurichten. Sein kranker Fuß ruhte auf einem dicken Kissen. Ansonsten hatte er einfach nur auf dem Boden geschlafen und hatte mir sein Bett überlassen. Ich sah ihn irritiert an.

„Warum hast du mich hierher zu dir gebracht?“

Er stützte sich auf seine Ellenbogen und sah zu mir auf.

„So, wie es dir gestern Nacht ging, konnte ich dich unmöglich nach Hause bringen. Deine Eltern hätten dich umgebracht.“

Allerdings! Aber dann hätte ich es wenigstens schon hinter mich gebracht.

Ich schloss die Augen und hielt mir den Kopf. Es pochte so sehr.

„Möchtest du darüber reden?“, fragte Tai plötzlich. Seine Stimme klang so sorgenvoll. So Ungewohnt. Ich wusste nicht, wann sich das letzte Mal jemand Sorgen um mich gemacht hatte. Ich meine, so richtig…

„Nein“, sagte ich dennoch und zwang mich aufzustehen. Ich stieg über ihn hinweg und suchte nach meinen Schuhen. „Ich denke, ich sollte jetzt mal nach Hause.“

„Mimi, warte“, sagte er, setzte sich aufrecht hin und hielt mich am Handgelenk fest, als ich gerade gehen wollte. Fragend sah ich ihn an. Er zog mich zu sich auf den Boden. Ich kniete neben ihm und sah ihm in die Augen. Ich mochte nicht, dass er mich so mitleidig ansah. Dabei kam ich mir so unglaublich dumm vor, so bemitleidenswert.

„Ich wollte dir nur sagen“, begann er mit leiser Stimme. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann… also dann kannst du… Ich meine, warum hast du eigentlich…“

Anscheinend fand er nicht die richtigen Worte, aber das war okay. Ich nickte nur stumm.

„Danke, Taichi. Aber ich sagte dir doch: frag mich niemals, warum ich das getan habe“, antwortete ich lediglich und stand auf.

Als ich sein Zimmer verließ und die Tür hinter mir schloss atmete ich schwer aus. Kann sein, dass es von dem Restalkohol war, der sich noch in meinem Blut befand, aber irgendwie schlug mein Herz stark gegen meine Brust. Er hatte sich letzte Nacht um mich gekümmert, mich zu sich nach Hause gebracht, mich beschützt. Und jetzt das. Tai war so nett zu mir. Als würde ich ihm etwas bedeuten.

Dieses Gefühl kannte ich schon lange nicht mehr und das machte mir ein wenig Angst.
 

Ich wusste, dass ich an diesem Tag Ärger kriegen würde. Ich hatte mich über das Verbot meines Vaters hinweggesetzt und habe mich rausgeschlichen. Was auch immer mich jetzt zu Hause erwarten würde, ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es tatsächlich werden sollte…

Bis ich die Schuhe sah, die im Flur standen. Leise schloss ich die Tür hinter mir und lauschte. Aus dem Wohnzimmer waren eindeutig Stimmen zu hören. Die Stimme meines Vaters. Die Stimme meiner Mutter und…

Oh nein.

Bitte nicht.

Ich holte mein Handy aus der Tasche und tippte eilig eine SMS.
 

„Hat uns gestern irgendwer beobachtet, als ich… du weißt schon was gemacht habe?“
 

Es dauerte nicht lang, bis eine Antwort kam und doch lang genug um mein Herz immer unruhiger schlagen zu lassen.
 

„Nein, nicht, dass ich wüsste. Warum?“
 

Warum? Weil uns jemand gesehen haben MUSSTE. Wieso sollte er sonst hier sein? Ich schluckte schwer, als mir klar wurde, was mich jetzt gleich erwartete. Lieber wäre ich erhobenen Hauptes in die Hölle gegangen.

Aber da musste ich jetzt durch. Ich straffte meine Schultern, atmete noch ein Mal kräftig aus, um mich zu beruhigen und ging in Richtung Wohnzimmer.

„Es tut mir sehr leid, Hayato. Ich denke, wir können das irgendwie regeln. Ah, Mimi, da bist du ja. Gut, dass du kommst.“

Ich erstarrte förmlich als ich seinen Namen hörte. Mein Blick fiel zum Sofa. Er war nicht allein gekommen. Meine Beine drohten nachzugeben, als unsere Blicke sich trafen. Schnell sah ich wieder zu meinem Vater. Er musterte mich von oben bis unten und sein Blick verriet mir, dass das noch Ärger geben würde, dass ich die ganze Nacht weg war und nun völlig fertig hier aufgetauchte. Doch erst mal musste ich das hier überstehen.

„Mimi, wie schön, dass du da bist. Setz dich doch zu uns“, bot mir der Mann an, der Hayato begleitet hatte. Er war sein Vater und ich wusste nicht, wer von beiden schlimmer war. Wenn Hayato der Teufel war, dann war sein Vater derjenige, der die Hölle gefrieren lassen konnte. Dass sie zusammen hier waren, zeigte mir, wie ernst die Sache war. Auch, wenn mich momentan noch alle anlächelten. Bis auf Hayato.

„Danke, Herr Kido, aber ich stehe lieber“, sagte ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

Mir entging nicht, dass mein Vater mich mahnend ansah, doch er sagte nichts.

„Nun, Mimi, es ist so“, begann meine Mutter zaghaft, doch wurde sofort von Herrn Kido unterbrochen.

„Wir sind hier, weil wir dich etwas fragen müssen.“ Seine Stimme war so freundlich und gleichzeitig so kalt, dass mir das Blut in den Adern gefror. Dieser Mann machte mir Angst – schon immer. Doch ich versuchte mir das nicht anmerken zu lassen.

„Warst du in der letzten Nacht bei Hayato und hast sein Auto zerstört?“

Es war so klar, dass er deswegen hier war. Und er ließ seinen Vater für sich sprechen? Wie lächerlich. Er war schließlich fast 23 und kein Kind mehr. Aber Daddy regelte ja alles…

„Nun ja“, entgegnete ich trocken. „Zerstören würde ich das nicht nennen. Es ist schließlich kein Totalschaden.“

Mein Vater klappte der Mund auf. Die Lippen meiner Mutter bebten. Und Herr Kido lächelte mich an.

Was hatten sie erwartet? Dass ich lügen würde?

„Mimi, was redest du da?“, fragte mein Vater, doch Herr Kido hob beschwichtigend die Hand. „Ist schon gut, Keisuke.“ Er stand auf und sah mich unvermittelt an. „Danke, dass du so ehrlich bist, Mimi. Das erleichtert uns weitere Diskussionen. Dein Vater meinte nämlich, dass du nie im Leben so etwas tun würdest. Doch ich war der Ansicht, dass es durchaus verständlich sein könnte, wenn du irgendeine Art von Groll gegen Hayato hegen würdest.“

Groll? Hass wäre wohl das passendere Wort gewesen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Tja, tut mir leid, dass mein Vater sich geirrt hat.“

Oh, das würde definitiv ein Nachspiel haben, das stand fest. Aber das war mir in dem Moment so egal. Ich hatte eh nichts mehr zu verlieren.

„Nun“, sagte Herr Kido, richtete sein Sakko und wurde ganz geschäftlich. „Wir können gleich alles Weitere regeln.“

Ich sah, wie meinem Vater alles aus dem Gesicht fiel und allein deswegen hatte sich diese Aktion gelohnt. Nicht, dass ich stolz darauf gewesen wäre eine Kleinkriminelle zu sein, doch ihn so zu sehen verschaffte mir irgendwie Genugtuung und führte mir gleichzeitig schmerzlich vor Augen, wie kaputt unser Verhältnis inzwischen war.

Keiner von uns sagte mehr etwas, bis Hayato das Schweigen brach und sich mir das erste Mal zuwandte.

„Wer war der Typ, der dir geholfen hat?“

Ich erschrak. Nicht, weil seine Stimme so kühl und so abgeklärt klang, das schockierte mich schon längst nicht mehr. Ich erschrak, weil er ganz offensichtlich wusste, dass ich nicht allein war.

„Da war kein Typ“, log ich diesmal und hoffte einfach inständig, dass er keine handfesten Beweise hatte. Doch er grinste mich nur triumphierend an. „Da sagen die Überwachungskameras etwas Anderes.“

Ich räusperte mich und sah zur Seite. „Tut mir leid, ich muss mir mal eben ein Glas Wasser holen“, sagte ich und entfloh eilig in die Küche, während Herr Kido und mein Vater begannen alles Weitere zu klären.

Ich nahm mir ein Glas aus dem Schrank, und hielt es unter den Wasserhahn. Ich hatte immer noch Kopfschmerzen. Plötzlich spürte ich jemanden dicht hinter mir.

„Du weißt schon, dass er sich zum Mitwisser macht und so ebenfalls strafbar.“

Ich drehte mich um und konnte kaum ertragen, wie nah er mir war. So nah, dass ich ihm unweigerlich in die Augen sehen musste.

„Du kannst ihn da raus halten. Er hat nichts damit zu tun“, entgegnete ich mit fester Stimme, konnte jedoch nicht leugnen, dass mich seine Nähe nervös machte. Das hatte er schon immer getan… mich nervös gemacht. Nicht, wegen seines makellosen Aussehens, den dichten, braunen Haaren oder den markanten Augen, die einen dazu bringen konnten alles zu tun, was er wollte. Nein, es war seine Art, die mich nervös machte.

Hayatos Augen verengten sich zu Schlitzen und er sah mich missbilligend an. „Ist er dein Neuer?“

Ich stützte mich mit den Händen auf der Arbeitsplatte ab, die hinter mir war, um ein wenig mehr Raum zwischen uns zu schaffen.

„Ich weiß nicht, was es dich angeht“, erwiderte ich ernst und versuchte seinem Blick standzuhalten, was wirklich nicht einfach war. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Er beugte sich nach vorne und umfasste mein Kinn mit seiner Hand, was mich unweigerlich erschaudern ließ. „Ich denke nicht, dass er gut genug für dich ist.“

Wie bitte? Was bildete er sich ein?

Erbost schlug ich seine Hand zur Seite und funkelte ihn an. „Bist du gekommen, um mir das zu sagen?“

Er machte einen Schritt zurück, doch das Grinsen blieb. Triumphierend sah er mich an. „Vielleicht? Du weißt, es ist mir egal, ob du mein Auto kaputt machst oder mein Haus abfackelst. Nur… mach es das nächste Mal etwas unauffälliger. Sonst denken die Leute noch, du bist verrückt. Und das wiederum würde auf deine Familie zurückfallen.“

Diese Bemerkung hätte mich verletzen müssen, doch das tat sie nicht. Denn das war seine Art mir zu drohen und dieses Spiel konnte ich auch spielen.

„Hayato“, säuselte ich und legte ein giftiges Lächeln auf, was seiner durchaus würdig war. „Wenn ich dein Haus abfackle, dann kannst du sicher sein, dass du als Erster davon erfahren wirst. Denn du würdest mit ihm zusammen brennen.“

Es fühlte sich gut an ihm die Stirn zu bieten und gleichzeitig schlecht, weil ich noch nie so etwas Boshaftes zu einem anderen Menschen gesagt hatte. Und es auch noch so meinte. Etwas blitzte in seinen Augen auf und er ging einen Schritt zurück. Endlich hatte ich das Gefühl wieder atmen zu können.

„Hmm“, machte er und musterte mich. Sein Blick erregte nur noch Übelkeit in mir. Wie konnte ich ihn nur jemals lieben? „Du hast einiges dazu gelernt. Autos zerschlagen, Drohungen aussprechen… du bist schon fast so wie ich“, sagte er, als wäre es eine witzige Tatsache und wandte sich ab.

„Nein, Hayato“, entgegnete ich mit fester Stimme und umklammerte immer noch die Arbeitsplatte, an der ich lehnte. „Ich werde niemals so sein wie du.“

Er warf mir ein letztes Grinsen über die Schulter hinweg zu, bevor er die Küche verließ. Ich sackte zu Boden. Sämtliche Anspannung fiel von mir ab. Dieses Zusammentreffen hatte mich doch mehr Kraft gekostet, als ich nach der letzten Nacht aufwenden konnte. Es war das erste Mal seit Monaten gewesen, dass ich ihm gegenüberstand.

Plötzlich fühlte ich mich leer. Als hätte er mit seiner puren Anwesenheit sämtliches Leben aus mir gesaugt. Ich wusste schon damals, dass er diese Art an sich hatte, doch zu dieser Zeit ängstigte sie mich noch nicht so sehr, sie faszinierte mich eher. Er hatte ein starkes Auftreten, stand mit beiden Beinen fest im Leben, wusste genau was er wollte… und tat alles dafür, um es auch zu bekommen.

Wie dumm und naiv ich doch war…
 

Ich hörte die Tür ins Schloss fallen. Sie waren gegangen, endlich. Diese Wohnung fühlte sich ohnehin längst nicht mehr wie ein zu Hause an, doch dass sie es gerade mit ihrer schwarzen Aura verpesteten, nahm mir beinahe die Luft zum Atmen. Ich konnte nicht verstehen, wie es Leute mit ihnen länger als fünf Minuten im selben Raum aushielten, ohne Beklemmungen zu kriegen. Immer noch saß ich auf dem Küchenfußboden und versuchte mich zu beruhigen. Ich stand auf und merkte, dass die Kopfschmerzen schlimmer wurden. Langsam ging ich ins Wohnzimmer, wo meine Mutter völlig aufgelöst auf dem Sofa saß und mein Vater mir den Rücken zugewandt hatte.

Auf zu Runde zwei.

„Was haben sie gesagt?“, fragte ich vorsichtig nach, doch es ging mir dabei nicht um mich. Es war mir völlig egal, welche Konsequenzen mich erwarteten. Ich wollte nur nicht, dass Tai da in irgendeiner Weise mit hineingezogen wird. Und schon gar nicht, nachdem er sich so um mich gekümmert hatte.

„Sie werden von einer Anzeige absehen“, verkündete mein Vater mit zusammengebissenen Zähnen. Auch, wenn das Thema für ihn noch lange nicht gegessen war, war ich einfach nur erleichtert. Wenigstens einer kam aus dieser Sache unbeschadet heraus.

„Doch natürlich müssen wir für den Schaden aufkommen.“

Na, und wenn schon. Ich wusste, dass es ihn unglaublich ärgerte, aber im Grunde hatte er es verdient. Sollte er doch einfach ein paar Geschäftsreisen mehr übernehmen.

„Hast du denn gar nichts dazu zu sagen, Mimi?“, fragte er mich, drehte sich um und sah mich wütend an.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was?“

Was zum Teufel wollte er hören? Eine Entschuldigung? Dass es mir leidtat? Denn das war nicht so und gelogen hatte ich für sie in letzter Zeit schon genug.

„Wo warst du denn gestern, Mimi? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Du warst die ganze Nacht nicht zu Hause“, sagte meine Mutter nun voller Sorge und ihre Lippen begannen zu zittern.

Doch ich konnte einfach kein Mitgefühl mehr zeigen. Keine Reue. Kein Bedauern. Es war mir egal.

„Das Krankenhaus hat angerufen“, warf mein Vater plötzlich in den Raum. Dieser Satz ließ mich das erste Mal aufhorchen. Die Überraschung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn er sah mich irritiert an. „Wusstest du nicht, was? Na ja, ist ja auch kein Wunder. Wie kannst du es auch wissen, wenn du die ganze Nacht weg warst.“

Du blöder…! Warum sagte er mir nicht einfach, was sie gesagt hatten, anstatt mich noch mehr zu quälen?

„Es geht ihr besser und du darfst sie wieder besuchen, wenn du das möchtest“, erklärte er mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Das erste Gefühl, was ich empfand, war Erleichterung. Es ging ihr gut. Das zweite Gefühl war Angst. Er war noch nicht fertig mit mir… Unsicher sah ich zu meiner Mutter. Sie wandte den Blick ab, konnte mir nicht länger in die Augen sehen.

„Aber das wirst du nicht!“, sagte mein Vater und sein Blick verfinsterte sich.

Ich lachte kurz auf, obwohl ich ganz genau wusste, dass das eben kein Spaß war, sondern bitterer Ernst. „Was? Du kannst mir nicht verbieten zu meiner Tochter zu gehen.“

„Das wird auch nicht nötig sein.“

Er klang so entschlossen, bei dem, was er sagte und ich wusste, er würde mir gleich den Boden unter den Füßen wegziehen.

„In ein paar Tagen kommt jemand von der Adoptionsvermittlungsstelle und nimmt sie mit.“

Und er tat es…

Das Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben. Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde, doch ich wusste nicht, dass er so schnell kommen würde.

„Mimi“, begann meine Mutter nun einfühlsam. „Du weißt, wir haben darüber gesprochen. Wir wollten warten, bis sie gesund ist. Und das ist jetzt der Fall.“

„GESUND?“, schrie ich sie an und sie zuckte zurück. „Sie wird NIE richtig gesund sein, Mom! Sie ist herzkrank!“

Ich ballte meine Hände so stark zu Fäusten, dass es wehtat. Warum taten sie mir das nur an?

„Soll das alles eine Art Strafe sein? Wollt ihr mich bestrafen, ist es das?“

„Wofür denn bestrafen, Liebes?“, fragte meine Mutter und ihr stiegen Tränen in die Augen.

Verärgert sah ich sie an. „Wofür wohl? Dafür, dass ich mich auf Hayato eingelassen habe? Dafür, dass ich nicht erst meinen Abschluss gemacht habe, bevor ich schwanger wurde? Dafür, dass ich letzte Nacht sein Auto `zerstört` habe?“ Es war so lächerlich! Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. „Aber eins vergesst ihr dabei“, sagte ich und funkelte die beiden böse an. „Ihr bestraft damit nicht mich, sondern sie.“

Ich fühlte wie meine Augen sich mit Tränen füllten, während mein Vater keine Miene verzog. Er hatte wirklich schon viel unter Herrn Kidos Führung gelernt.

„Wir wollten immer nur das Beste für dich. Und eine Adoption ist das Beste für dich.“

„Nein, es ist das Beste FÜR DICH!“, schrie ich ihn nun fuchsteufelswild an. „Meinst du, ich weiß nicht, warum du in der Firma aufgestiegen bist? Du bist sein Handlanger, seine rechte Hand. Und ich? Ich bin minderjährig und habe ein Kind mit seinem Sohn. Demjenigen, der in ein paar Jahren die Firma übernehmen will. Demjenigen, der mich hätte nicht ein Mal anfassen dürfen! Mich, ein Schulmädchen. Es wäre ein Skandal, wenn das rauskommen würde und DU weißt das!“ Ich schrie ihn an, zeigte mit dem Finger auf ihn. Noch nie in meinem Leben war ich so wütend gewesen. Es war einfach so ungerecht, was er mir antat – was sie mir alle antaten. Und trotzdem taten sie es, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wenn ich nicht mitspielte, stand die Existenz und der Ruf meiner Familie auf dem Spiel. Aber auch die der Firma Kido.

„Schluss jetzt! Ich will keine Diskussion mehr darüber!“, schrie mein Vater zurück und ich zuckte zusammen. „Sie wird zur Adoption freigegeben, punkt. Und bis dahin wirst du sie nicht mehr sehen. Ist das klar, Mimi?“

Nein.

Nein…

Nein, nein, nein, nein, NEIN!

Das konnte er einfach nicht von mir verlangen! Das war zu viel. Ich musste hier raus.

Ich wandte mich um und stürmte, ohne nachzudenken aus der Wohnung. Alles, was ich wollte, war seinem Blick zu entfliehen. Diese Entschlossenheit in seinen Augen. Was er sagte, war Gesetz und nichts und niemand auf dieser Welt konnte ihn mehr davon abbringen. Er wollte meine Tochter weggeben. Einfach so. Und brach mir dabei das Herz. Ich rannte nach draußen. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, doch das war mir egal. Die Tränen rannen mir eh unaufhaltsam übers Gesicht. Ich rannte einfach weiter. Ich konnte nicht mehr. Ich war verzweifelt und ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, je nach Hause zurückzukehren, nachdem was gerade passiert war. Ich brauchte Hilfe. Wenn ich diese Sache weiter mit mir allein ausmachen musste, würde ich daran kaputt gehen, das stand fest. Wenn sie dann plötzlich nicht mehr da war… wem sollte ich davon erzählen? Wem? Wer würde es verstehen?

Ich hatte sie alle angelogen. Wer würde mir verzeihen? Wer? Zu wem konnte ich jetzt noch? Ich hatte binnen kürzester Zeit alles verloren, was mir wichtig war und es scherte sie einen Scheißdreck. Wenn sie sie mir jetzt auch noch nahmen, dann hatte ich nichts mehr. Nichts mehr, wofür sich das alles gelohnt hätte, wofür sich die Lügen gelohnt hätten. Die Karriere meines Vaters war mir egal. Mein Ruf war mir egal. Hayato war mir egal. Diese verfluchte Firma war mir egal.

Ich konnte einfach nicht mehr. Ich musste diese Last von meinen Schultern werfen. Wenn ich das nicht tat, würde sie mich in die Tiefe ziehen. Eine Tiefe, aus der ich wahrscheinlich nie wieder heraus kommen würde…

Ohne lang zu überlegen ging ich zu dem ersten Menschen, der mir einfiel. Dem ersten, dem ich mich ein Stück weit geöffnet hatte. Im Nachhinein könnte ich nicht einmal mehr sagen, warum ich das tat. Doch ich hatte so ein Gefühl in mir, dass er gerade der Einzige war, der mich verstehen konnte.

Schwer atmend und völlig durchnässt klingelte ich an seiner Haustür. Es war gerade mal eine Stunde her, dass wir uns voneinander verabschiedet hatten. Ich hatte mich noch nicht mal umgezogen.

Irritiert öffnete er die Tür und sah mich mit großen Augen an.

„Mimi, was… was machst du hier?“

Meine Haare tropften und meine Schminke war verlaufen. Ich musste aussehen, wie ein Häufchen Elend. Und doch sah ich ihn mit festem Blick in die Augen. Er begriff sofort, dass das hier eben kein Anstandsbesuch war und sah mich fragend an.

„Tai“, begann ich tonlos. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nie fragen, warum ich das letzte Nacht getan habe…“

Er sagte nichts, sondern sah mich einfach nur an. Und ich sah ihn an.

Das war der Punkt, an dem ich nichts mehr zu verlieren hatte.

Sie hatten es geschafft.

Sie hatten mich endgültig gebrochen.

„Frag mich noch mal.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Was soll ich sagen... ich hab mit Mimi mitgelitten, als ich dieses Kapitel geschrieben habe </3 Aber ich denke, es war sehr aufschlussreich und ich hoffe, ihr seid schon gespannt darauf, wie es weitergeht.
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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Linchen-86
2017-05-06T19:31:28+00:00 06.05.2017 21:31
Guten Abend meine Liebe,

da brauchte ich mal glatt zwei Tage Verdauungszeit um zu kommentieren :D Ich fand es zwar niedlich wie Tai Mimi mit zu sich genommen hatte, aber ich dachte gleich oh weia... das wird nicht unbemerkt bleiben und genauso war es dann ja auch.
Mimi kommt nach Hause und nicht nur ihre Eltern, sondern und... boah bin ich gut... lag ja voll richtig mit meiner Vermutung. Sohn des Chefs und so... hehe... 23 also habe tatsächlich auf Mitte 20 getippt und ihn mir gar ein wenig so vorgestellt. Der Vater/Chef scheint ja auch ein mega Arsch zu sein. Ich denke mal ums Geld geht es ihnen sicher nicht, aber so abgebrüht wie sie sind ist ihnen wohl alles recht. Ich schätze nachdem klar war, das Mimi schwanger war und nicht abtreiben wollte, da hat wohl auch der Chef plötzlich einen auf gut Freund mit Keisuke gemacht und befördert, die Bedingung kann ich mir auch gleich vorstellen und die einzige Person die leidet ist Mimi.

Ja, es wäre sicher ein Skandal wenn eine (wahrscheinlich Saubermann Image und saubere Firma...) eine Minderjährige Schülerin schwängert. Das kann ja nur für alle Konsequenzen haben... Tja, da hätte der gute Hayato wohl besser aufpassen müssen. Immerhin hätte er sich ja theoretisch denken können das Mimi sich mit dem Thema Verhütung nicht so auskennt... wobei sie dann stenggenommen auch noch keinen Sex haben sollte... aber gut... anderes Thema :D

Das Streitgespräch... puh... das war hart...hart zu lesen... musste echt unterbrechen... Das sie auch noch Herzkrank ist, ist wirklich schlimm... Ich habe die Tage gelesen, dass fast jede 8. Kind in Deutschland mit irgendeinem Herzfehler zur Welt kommt. Erschreckend diese Zahl... richtig erschreckend... Sicher eines der Gründe warum sie wohl auch zu früh zur Welt kam. Geburt und dann muss dann dein Kind womöglich noch gleich operiert werden. Wah... Ich mag mir das nicht mal vorstellen... heul...
aber viel schlimmer ist und das habe ich ja auch schon befrüchtet, die Zwangsadoption... Sie entscheiden und MIMI muss gehorschen. Schlimmer gehts einfach nicht. Nicht zu wissen wo sie hingeht, ob es ihr gut geht, ob man sich gut um sie kümmern wird... Ne, ne, ne... Das darf nicht passieren...

Das sie dann nur noch das weite sucht, kann ich total nachvollziehen. Ich hätte ganz genau so reagiert. Weg und niemals wieder kommen und dann läuft sie zu Tai... Ach herm... Mir brach es fast das Herz, als sie da so fertig vor ihm stand. Ich bin gespannt ob und wie Tai ihr helfen kann oder ob er ihr überhaupt helfen will. Da sie ja tatsächlich alle Freunde über eine lange Zeit angelogen hatte.

Bis zum nächsten Kapitel.
Liebe Grüße :*
Antwort von:  Khaleesi26
11.05.2017 22:16
Guten Abend :)

danke, für dein Kommi und es tut mir leid, dass du bei dem Kapitel so schwer schlucken musstest. Es war aber auch wirklich hart... selbst beim schreiben hab ich richtig mit Mimi mitgelitten. Tai war wirklich süß. Doch so gut, wie er es auch gemeint hat, hat er Mimi damit wahrscheinlich mehr geschadet als geholfen... und das ahnt sie ja auch schon. Nur es kommt ja leider schlimmer, als sie gedacht hat, denn mit Hayato und seinem Vater hatte sie ja nicht gerechnet :O Und jaaa, du warst echt gut :D Hast den Nagel genau auf den Kopf getroffen! Und Arsch ist noch milde ausgedrückt -.- Wie es alles dazu kam, das wird später noch mal genauer erklärt. Aber du hast recht, es liegt schon auf der Hand, wer da am meisten seine Finger mit im Spiel hat und wie das ganze abgelaufen ist :/

Oh wirklich? Ich hoffe, du konntest es trotzdem einigermaßen verdauen. Jetzt ist es eben vollends zwischen Mimi und ihrem Vater eskalliert, denn er lässt ihr keine Wahl mehr. Und das muss echt schlimm sein. Ihr sind ja quasi die Hände gebunden. Aber es ist echr erschreckend, wie viele Kinder mit einem Herzfehler zur Welt kommen. Da hat man ja auch sein Leben lang mit zu kämpfen, bzw. wird nie richtig gesund sein. Deswegen wurde sie auch operiert :( Allein das zu wissen, ist sicher für Mimi schwer genug, aber sie dann noch weggeben zu müssen...

Ich denke, da hätte wirklich jeder so reagiert und an ihrer Stelle würde ich keinen Fuß mehr über diese Tür setzen. Aber erst mal ist sie ja bei Tai, der ihr hoffentlich irgendwie helfen kann...
Es tut mir leid, dass dir das Kapitel so nah gegangen ist, aber ich freue mich auch, dass es dich wirklich so berührt hat.

Liebe Grüße <3


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