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Uncertain Heart

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
~~~Oh Leute, diesmal hab ich echt lang gebraucht, um ein neues Kapitel hochzuladen -.- Dabei ist es schon lang fertig xD Ich hoffe, ich bessere mich in Zukunft wieder, aber zur Zeit ist einfach viel los ;) Ich hoffe, euch gefällt das neue Kapitel. Es ist kurz und traurig, aber doch sehr wichtig, denn Mimi trifft endlich eine Entscheidung. Was auf die Ohren gibts von mir auch :D Ich musste beim Schreiben ein bisschen depri Mucke anmachen, also... Cold & Possibility
(sicher aus Twilight bekannt) :D Viel Spaß damit~~~ Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben :) Diesmal musstet ihr nicht so lang auf ein neues Kapitel warten ;) Heute wird es endlich eine Aussprache zwischen Sora und Mimi geben und ich bin gespannt, was ihr dazu sagt.
Ich hab noch einen richtig schönen Cover Song für euch, der mir total gut gefällt und der mit dem Titel Stay auch ganz gut zum Kapitel passt ;)
Viel Spaß beim lesen!
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Oooh ich weiß nicht, ob ihr es schon gesehen habt, aber die liebe Kaguya hat extra für diese FF ein Bild gezeichnet, welches ihr auf der Titelseite von Uncertain Heart unter Illustrationen finden könnt. Ich finde, sie hat die Charaktere wirklich toll getroffen und die Thematik der Geschichte gut wiedergespiegelt. Und natürlich habe ich mich auch sehr über diese Überraschung gefreut (ich wusste nämlich gar nichts davon) :) :* also liebe Kaguya, noch mal vielen lieben Dank für dieses schöne Bild <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Guten Tag ihr Lieben :)
wie schon auf Instagram angekündigt, kommt heute das neue Kapitel. Und ich rate euch, wenn ihr es nicht schon getan habt, vielleicht noch mal den letzten Teil des vorherigen Kapitels durchzulesen. ;) Nur so ein kleiner Tipp.
Viel Spaß beim lesen :) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi Leute :)
Da das Kapitel "Sündenparty" doch ziemlich lang geworden ist, habe ich beschlossen, es in zwei Teile aufzuteilen. Der zweite wird dann in Kürze folgen. Also... es bleibt noch ein bisschen länger spannend.
Aber jetzt erst mal viel Spaß beim lesen ;)

P.S.: Da es gerade so schön schneit draußen und ich schon ganz viele Weihnachtsgeschenke geshoppt habe, hat mich die Lust gepackt eine kleine Weihnachtsgeschichte zu schreiben, die heute noch online gehen wird. Vielleicht habt ihr ja Lust mal vorbei zu schauen und euch von eurem Lieblingspaar ein wenig in Weihnachtsstimmung versetzen zu lassen ;P Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,
mir ist dieses Kapitel echt nah gegangen und ich habe es wieder und wieder gelesen und mich gefragt, ob ich es genau so hochladen soll oder ob ich es etwas abschwächen soll... ich war nicht nur ein mal kurz davor, es noch mal umzuschreiben, aber nein. Ich habe es genauso gelassen, wie es geplant war. Nun bin ich gespannt, was ihr dazu sagt.
Kein Song hätte besser dazu gepasst als Seven Devils, den benutze ich oft als Inspiration für dramatische Kapitel ;) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben :)
Nach langem rätseln und vielen Vermutungen: es ist Mimis Rückblick, den ihr heute lesen dürft. Ich fand es wirklich schön, dieses Kapitel zu schreiben und ich hoffe, ihr mögt es genauso wie ich :)
Wie ihr wisst, lasse ich mich häufig beim Schreiben (oder eigentlich fast immer :D) von Musik inspirieren und bei diesem Kapitel hat es mir ganz besonders der Soundtrack zu Noragami angetan *_* Noragami - Conversation Heart
Es ist so schön und passt wunderbar zu der letzten Szene zwischen Tai und Mimi :)
Außerdem habe ich zufälligerweise auf Pinterest ein schönes Bild von den beiden gefunden: Michi
Viel Spaß beim Lesen <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben! Ich entschuldige mich im Voraus für Tais kindisches Verhalten :D Aber es hat so Spaß gemacht, ihn Mimi ein bisschen ärgern zu lassen ;P
Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)

Nach einer gefühlten Ewigkeit melde ich mich mit dem versprochenem Sora Kapitel zurück. Einige von euch wollten ja gerne einen Rückblick zu ihrer Geschichte haben.
Da es mir seit ein paar Tagen endlich richtig gut geht, habe ich hoffentlich in Zukunft wieder mehr Motivation für diese Geschichte. Denn es gibt schließlich noch einiges zu erzählen :)
Ich hoffe, euch gefällt das Kapitel und ihr seid gespannt, wie es danach weiter geht. Weil ich's beim Schreiben richtig dramatisch gebraucht hab (xD) hab ich mir hierfür diesmal den Soundtrack von Game Of Thrones angemacht: Light Of The Seven

Bis bald <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
Heute gibts wieder mal ein neues Kapitel und somit auch endlich ein paar Aussprachen ;)
Ich hoffe, es gefällt euch.
Avril Lavigne - Innocence

Eins muss ich allerdings noch loswerden: ich habe mich wahnsinnig über die ganzen Favoriteneinträge gefreut, die in den letzten Tagen enorm hochgeschnellt sind. Somit ist das meine bis jetzt beliebteste Geschichte :) Danke, dass ihr diese Geschichte genauso toll findet wie ich <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)

Lange nichts gehört (oder gelesen) von mir, da ich in letzter Zeit viel zu sehr mit meinem "Nestbautrieb" beschäftigt war :D Aber jetzt gehts endlich weiter und ich hoffe, ihr seid nach diesem Kapitel gespannt darauf, wie es weitergeht :O

Liebe Grüße <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
Entschuldigt, dass ihr so lang nichts von mir gelesen habt. Ich hoffe, ihr seid trotzdem noch gespannt darauf, wie es weitergeht.
Royal Deluxe - I'm A Wanted Man
Viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo, ihr Lieben :)

heute noch mal ein neues Kapitel von mir. Da ich nun jeden Tag darauf warte, dass mein kleiner Sohn zur Welt kommt, kann es passieren, dass das nächste Kapitel (oder dann die Folgenden) etwas auf sich warten lässt. Aber ich denke, dafür habt ihr Verständnis :)
Heute gibts mal wieder einen, wie ich finde, tollen Song zum Kapitel, der mich sehr beim Schreiben inspiriert hat:
Claire Wyndham - Kingdom Fall <3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
Heute geht es endlich mal weiter im Text :D Die mesten wissen ja, dass ich einen kleinen Sohn bekommen habe und deshalb erst mal hier nicht weiter machen konnte. Auch in Zukunft werden neue Kapitel daher unregelmäßig kommen. Die Kleinen lassen einem eben nicht sehr viel freie Zeit zum Schreiben... ;D Ich hoffe, ihr seid gespannt darauf, wie es weitergeht und ich wünsche euch viel Spaß beim Lesen. Das Kapitel ist diesmal etwas länger geworden, da ich mich nicht kurz fassen konnte. Außerdem beinhaltet es ein Zitat aus einer meiner Lieblingsserien und ebenso einen Song aus deren Soundtrack :)
Claire Guerreso - Battle Cry Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben :)
Ich hoffe, ihr lest noch mit. Aber keine Angst, ich hab euch nicht vergessen :D Lang hat's ja gedauert, aber endlich hab ich es geschafft, das neue Kapitel zu beenden.
Danach werden nur noch zwei weitere Kapitel folgen - es ist also Showdown ;)
Viel Spaß beim Lesen!
Eure Khaleesi
The Pierces - Three Wishes Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
X Ambassadors - Unsteady Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Auf zum letzten Kapitel, mit einem lachenden und einem weinenden Auge...
Rewrite The Stars Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
ich möchte mir den Abschied von dieser Geschichte nicht schwerer machen als nötig ... denn ich bin wirklich traurig, dass sie vorbei ist, sie ist mir so ans Herz gewachsen. Aber ich möchte mich bei allen bedanken, die mitgelesen und mitgefiebert haben! Vielen lieben Dank auch für euer Feedback. Ich hoffe, die Geschichte von Mimi und Tai bleibt euch noch für einige Zeit im Gedächtnis :)
Morgen geht es dann (endlich) mit "People always leave" weiter.
Bis Morgen <3
Eure Khaleesi

Der letzte Song zum Epilog:
The Beatles - Here Comes The Sun
Die Playlist zur Geschichte:
Uncertain Heart Komplett anzeigen

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Prolog


 

„Ein Geheimnis, das du verborgen halten willst, darfst du keinem – auch nicht den Vertrautesten – mitteilen, denn keiner wird das Geheimnis besser bewahren als du selbst.“

Saadî
 


 

Es war alles wie immer.

Die Schule, meine Freunde, der Frühling…

Die Schüler gingen lachend an mir vorbei, freuten sich auf die letzten Wochen vor den Frühlingsferien. Ein paar von ihnen lächelten mich unsicher an.

Ob sie mich noch erkannten?

Während ich wie hypnotisiert dem Treiben der Schülermenge hinterher sah, wehte ein lauer Wind durch mein Haar. Völlig in Gedanken versunken betrachtete ich den großen Baum, unter dem wir uns früher oft zum Mittagessen trafen. Auch seine Kirschblüten würden bald erblühen und alles in ein zartes rosa tauchen.

Alles begann von vorn, alles erholte sich nach dem langen Winter – nur ich nicht.

Wie angewurzelt stand ich da, unfähig auch nur einen Schritt weiter zu gehen.

Am liebsten würde ich auf dem Absatz kehrtmachen und zurück nach Hause laufen.

Zu groß war die Angst vor den Blicken, den Fragen, dem Getuschel. Denn das würde mich zweifellos erwarten.

Aus der Ferne konnte ich rote Haare und ein altbekanntes Gesicht erkennen. Sora, meine beste Freundin. Zumindest war sie das noch vor ein paar Monaten.

Was würde sie davon halten, dass ich wieder da war?

Ob sie sauer auf mich sein würde, dass ich vor über einem halben Jahr einfach aus ihrem Leben verschwand und jetzt genauso plötzlich wieder auftauchte? Und wie würden die Anderen reagieren?

Neben ihr stand Taichi. Anscheinend machte er gerade einen seiner dämlichen Witze, gestikulierte dabei wild in der Luft herum und verzog das Gesicht zu einer Grimasse, während Sora sich die Hand vor den Mund hielt und kicherte.

Mein Herz fing an stark gegen meine Brust zu hämmern. Meine Beine wurden weich und ich fragte mich, wie sie mich jemals in dieses Gebäude tragen sollten…

Doch ich musste mich endlich zusammenreißen und mein Leben wieder auf die Reihe kriegen, also lief ich wie ferngesteuert los, setzte einen Fuß vor den anderen.

Schon seit Tagen machte ich mir Gedanken darüber, wie die erste Begegnung verlaufen würde, was ich zu ihnen sagen sollte. Doch jetzt, als der Moment gekommen war, war alles wie ausradiert.

Mein Kopf war leer und meine Kehle wurde staubtrocken, als ich vor ihnen stehen blieb und auf eine Reaktion wartete. Zuerst bemerkten sie mich gar nicht, bis Tai plötzlich seine Erzählungen unterbrach und Sora’s ungläubigem Blick folgte, der schließlich an mir haften blieb. Mit großen Augen sah sie mich an, bis endlich ein breites Lächeln ihre Lippen umspielte und sie mir stürmisch um den Hals fiel.

Ich war wie erstarrt und zudem noch völlig überfordert mit dieser herzlichen Begrüßung. Auch Tai grinste mich an und erst jetzt fiel mir auf, wie sehr ich sie vermisst hatte.

Und plötzlich war es wie vor sieben Monaten. Meine Freunde hatten sich nicht verändert.

Alles war wie immer – nur ich nicht.

Wiedersehen

„Mimi, was machst du denn hier?“, fragte mich Sora und sah mich mit leuchtenden Augen an, als sie sich nach einer halben Ewigkeit wieder von mir löste.

Immer noch sprachlos über ihre herzliche Begrüßung stand ich da und brachte kein Wort heraus. Meine Augen huschten nur immer wieder hin und her, während mein Kopf nach einer passenden Antwort suchte.

„Sieht so aus, als würde sie wieder auf unsere Schule gehen“, antwortete Tai für mich und nahm mir somit die Entscheidung, was ich sagen sollte, ab.

Sora sah ihn überrascht an und betrachtete dann meine Schuluniform. „Sieht wohl so aus“, bemerkte sie und musterte mich eindringlich von oben bis unten.

„Du siehst anders aus.“

Bis jetzt hatte ich noch keinen Ton über die Lippen gebracht, doch diese Bemerkung ließ mich unwillkürlich zusammenzucken. „Wie meinst du das?“, hakte ich unsicher nach.

Sora legte nachdenklich ihre Stirn in Falten, während ihr Blick weiterhin an mir haftete.

„Na ja, du hast dich irgendwie verändert“, stellte sie fest. Wahrscheinlich spielte sie darauf an, dass ich deutlich abgenommen hatte und meine Haare selbst für meine Verhältnisse ungewöhnlich lang waren, doch ehe ich etwas darauf erwidern konnte, grinste sie mich auch schon freudestrahlend an. „Na egal, wir haben uns ja auch lang nicht gesehen. Ich freue mich so, dass du wieder da bist!“

Erneut fiel sie mir um den Hals und drückte mich an sich. Diesmal erlaubte ich es mir, sie ebenfalls zu umarmen und schloss dabei die Augen.

„Ich freue mich auch“, sagte ich und hoffte, dass sie nicht merken würde, wie mir das Herz bis zum Hals schlug.

„Warum seid ihr wieder zurückgezogen? Ihr habt doch nur ein paar Monate in den USA gelebt oder?“, mischte Tai sich ein und unterbrach somit diesen innigen Moment.

„Ja, das stimmt“, nickte ich zustimmend und winkte schnell ab, als wäre es gar keine große Sache. „Wegen meines Vaters mal wieder. Sein Chef hat es sich wohl doch anders überlegt und jetzt soll er wieder von Japan aus arbeiten, weil er hier die besseren Kontakte hat und er sich außerdem mit den japanischen Produkten besser auskennt und…“

„Schon gut, schon gut“, unterbrach Tai mich in meiner Erklärung und grinste verlegen. „So genau wollte ich es nun auch nicht wissen.“

„Sehr einfühlsam!“, merkte Sora an und zog eine Augenbraue hoch, ehe sie sich wieder mir zuwandte und mich bei der Hand nahm.

„Komm, lass uns reingehen! Die Anderen werden vielleicht Augen machen, wenn sie dich sehen. Und in der Pause musst du mir alles von Amerika erzählen!“

Sie zog mich durch die Eingangstür, hinein in die große Halle. Die vielen Schüler, das viele Gerede… alle liefen und sprachen durcheinander und am liebsten hätte ich mich von Sora losgerissen und wäre wieder raus gerannt, denn ich glaubte zu spüren, wie bereits die ersten Blicke auf mir klebten. Doch Sora zog mich weiter die Treppen hinauf zu den Klassenräumen, während mich ungläubige Augen verfolgten.

„Ist das Mimi Tachikawa?“, hörte ich ein Mädchen sagen, hatte jedoch keine Zeit mich nach ihr umzudrehen.

Oben angekommen, stieß Sora die Tür zu ihrem Klassenraum auf, was natürlich sofort die Blicke der darinsitzenden Schüler auf sich zog. Ich sah in ihre verdutzten Gesichter, viele von ihnen kannte ich nicht, doch zwei von ihnen waren mir sehr vertraut.

„Guckt mal, wer wieder da ist“, posaunte Sora heraus und sah in Richtung Yamato und Izzy, die am Fenster standen und sich bis eben noch unterhielten.

Izzy klappte förmlich der Mund auf, als er mich sah, während Yamato nur ein leichtes Grinsen über die Lippen huschte.

„Mimi, was machst du hier? Ich dachte, du wärst wieder nach New York gezogen?“, fragte Izzy ungläubig und ging mit großen Augen auf mich zu.

„Ja… und jetzt bin ich wieder hier“, entgegnete ich etwas unsicher, als er mich umarmte.

Auch Yamato kam zu uns herüber. Seine Begrüßung fiel weniger euphorisch und herzlich aus, wie die der Anderen, doch das hatte ich auch nicht erwartet.

„Schön, dass du wieder da bist“, sagte er dennoch aufrichtig und lächelte mich an.

„Ist das nicht toll?“, meinte Sora begeistert und legte einen Arm um meine Schultern. „Endlich sind wir alle wieder vereint.“

Selten hatte ich mich so unwohl in meiner Haut gefühlt, wie in diesem Moment. Alles hatte sich für mich verändert und sie wussten es nicht. Für sie war alles so wie immer, als wäre ich nie weg gewesen.

Plötzlich tätschelte eine Hand von hinten meinen Kopf und als ich mich umdrehte, sah ich in das bekannte Gesicht von Tai, der mich frech angrinste.

„Ich find’s auch super, dass du wieder da bist. Endlich kann ich wieder jemanden ärgern.“

Beleidigt schlug ich seine Hand weg und funkelte ihn an. „Du Blödmann! Das war ja wieder klar!“

„Was denn?“, erwiderte er und zog grinsend die Schultern hoch. „Ich hab’s ja mit Sora versucht, aber sie lässt sich eben nicht so leicht aus der Reserve locken, wie du.“

Sie zischte, stemmte die Arme an die Seite und sah ihn triumphierend an. „Keine Chance, Tai! Dafür kenn ich dich zu lange, als dass ich mich von dir provozieren lasse.“

„Ja, eben“, stimmte der Braunhaarige ihr widerwillig zu. „Deswegen freue ich mich ja so, dass Mimi wieder da ist.“ Er zwinkerte mir zu und ging an mir vorbei in den Klassenraum, als auch schon die Schulglocke ertönte.

„Oh, wir müssen los. Bist du wieder in meiner Klasse?“, fragte mich Izzy. Ich nickte und wir verabschiedeten uns von den anderen.

„Bis später, Mimi. Wir sehen uns zum Mittagessen“, rief Sora mir noch hinterher und ich schenkte ihr ein zustimmendes Lächeln.

Unser Klassenraum lag eine Etage tiefer, sodass wir uns etwas beeilen mussten, um nicht zu spät zu kommen.

Leider saßen schon alle auf ihren Plätzen, als wir leicht außer Atem ankamen.

Na toll – alle Blicke waren auf mich gerichtet und um die offizielle „Vorstellungsrunde“ kam ich wohl auch nicht drum rum, denn die Lehrerin sah mich bereits erwartend an.

„Wir freuen uns Mimi Tachikawa wieder als unsere Mitschülerin begrüßen zu dürfen. Ihr kennt sie ja noch aus dem letzten Schuljahr. Mimi war eine längere Zeit nicht da, also helft ihr bitte, wenn sie fragen hat.“

Sie wies mir den Platz neben Izzy zu, was mich ein wenig erleichterte. Trotzdem fühlte ich mich unwohl in meiner Haut. Alle sahen mich neugierig an und die Fragezeichen standen ihnen ins Gesicht geschrieben.

Ich versuchte es zu ignorieren und nahm neben Izzy Platz, der mir sofort seine Notizen der letzten Stunde rüberschob. Ich lächelte ihn dankend an und las sie mir aufmerksam durch, während die Lehrerin mit dem Mathe Unterricht begann.

Doch je mehr ich von Izzy’s Aufzeichnungen las, desto mehr schwirrte mir der Kopf.

Super! Ich verstand nur Bahnhof!

Nach der zweiten Seite gab ich mich geschlagen und seufzte frustriert auf.

Ich hatte allerhand nachzuholen! Wie sollte ich das nur schaffen? Ich musste mich schleunigst um einen Nachhilfelehrer bemühen, so viel stand fest. Doch wie sollte ich das alles unter einen Hut kriegen?
 

Die Stunden gingen langsamer vorbei, als mir lieb war und als es endlich zur Pause klingelte, packte ich hektisch meine Sachen ein, bis mir klar wurde, dass mir direkt das nächste Problem bevorstand, als Izzy mich erwartungsvoll ansah. „Kommst du?“

Na klasse… Mittagessen mit Sora und den anderen… na das konnte ja heiter werden!

„Und, konntest du einigermaßen folgen?“, fragte mich Izzy auf den Weg nach unten.

Ich zuckte mit den Schultern und sah ihn hilflos an. „Nicht so richtig. Ich glaub, ich bin nicht besonders gut in Mathe und muss einiges nachholen“, gestand ich ihm, doch in Wahrheit war es noch viel schlimmer. Ich war der Verzweiflung nahe! Jetzt schon! Nach der ersten Stunde! Das restliche Schuljahr würde mit Sicherheit ein einziges Desaster werden.

Durch meine Abwesenheit hatte ich so viel versäumt, dass ich den Stoff in 100 Jahren nicht aufholen würde.

„Mmh, aber war der Unterrichtsstoff in Amerika so anders?“, meinte Izzy nachdenklich.

„Irgendwie schon“, log ich und sah betrübt zu Boden.

Ich hatte wirklich einiges vor mir!

Als wir draußen ankamen, saßen die Anderen schon unter dem Baum und aßen ihr Mittagessen. Ein wirklich vertrautes Bild. Doch irgendwie war mir gar nicht danach mich in diese vertraute Runde zu gesellen.

Nur was sollte ich machen? Sora strahlte mich bereits an, als sie mich erblickte und winkte mich zu sich rüber. Ich nahm neben ihr Platz und hoffte insgeheim darauf, dass es nicht allzu schlimm für mich werden würde, doch noch bevor ich zu Ende denken konnte, platzte es schon aus ihr heraus.

„Also? Erzähl doch mal! Wie war es in den USA? Und warum hast du dich so lang nicht gemeldet? Was hast du alles gemacht?“

Die Fragerunde war somit eröffnet.

„Nun ja“, begann ich und versuchte meine Unsicherheit zu verbergen. „Es war gut.“

„Wow!“, nuschelte Tai mit vollem Mund und unterbrach sein Mittagessen, um mich mit hochgezogener Augenbraue anzusehen. „Klingt ja interessant. Da hat man ja glatt das Gefühl, dabei gewesen zu sein!“

Ich funkelte ihn böse an, doch er schaufelte einfach weiter sein Essen in sich hinein.

„Nun lass sie doch mal erzählen!“, schimpfte ihn Sora und sah mich wieder erwartungsvoll an.

Was wollte sie denn hören? Ich hatte ihr nichts zu erzählen!

Was sollte ich ihr denn auch sagen? Dass ich gar nicht in Amerika war?

Ich hatte dieses Szenario die letzten Wochen über mehrmals in meinen Kopf abgespielt, mir Ausreden zurechtgelegt, da ich wusste, dass diese Fragen kommen würden. Doch Sora jetzt von Angesicht zu Angesicht anzulügen, war etwas völlig anderes!

Doch irgendetwas musste ich sagen!

„Also ich war viel mit der Schule beschäftigt und mein Vater war viel auf Geschäftsreise, so dass ich wenig Zeit hatte, mich zu melden.“

„Verstehe“, nickte Sora verständnisvoll und wartete anscheinend auf weitere Erklärungen.

„Auf jeden Fall braucht Mimi Hilfe in Mathe“, unterbrach mich Izzy und rettete mir so den Hintern. Denn noch mehr Ausreden wollten mir beim besten Willen nicht einfallen.

„Ich würde ihr ja selbst Nachhilfe geben, aber ich hab so viel mit meinem Nebenjob zu tun“, meinte er und sah erwartungsvoll in die Runde. „Vielleicht kann einer von euch ihr Nachhilfe geben?“

„Klar!“, meinte Yamato sofort, was mich irritiert aufsehen ließ. „Ich will nicht zu viel versprechen, aber ich könnte versuchen dir den Stoff beizubringen, den du versäumt hast“, bot er freundlich an, während mir fast der Mund aufklappte.

Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet! Irgendwie war er immer der Unnahbare gewesen. Er war zwar immer mit dabei und gehörte definitiv zu unserem Freundeskreis, hielt sich jedoch überwiegend aus anderer Angelegenheiten heraus. Umso mehr überraschte mich seine Reaktion.

„Ich hab eine Idee!“, sagte Sora plötzlich und grinste begeistert.

„Warum machen wir nicht eine Lerngruppe, um Mimi zu helfen?“

„Eine Lerngruppe?“, fragte Tai verwirrt nach und stopfte sich weiter Reis in den Mund.

„Ja! Sicher muss sie noch einiges nachholen und ich finde, wir sollten sie dabei unterstützen. Zumal es für uns eine gute Vorbereitung auf die Prüfung wäre.“

Achja! Sora, Tai und Yamato befanden sich ja bereits im letzten Schuljahr und standen kurz vor ihren Abschlussprüfungen.

„Das ist eine gute Idee!“, stimmte Yamato ihr zu, was mich erneut verwunderte. Er strahlte sie an, als hätte sie gerade die String Theorie erfunden.

„Finde ich nicht!“, unterbrach ihn Tai barsch, schluckte sein Essen hinunter und sah seinen Freund argwöhnisch von der Seite an.

„Wieso denn nicht? Wär doch eine Win-Win-Situation.“

„Jaah, für dich vielleicht“, neckte Tai ihn und verzog das Gesicht. „Das sagst du doch nur, damit du mehr Zeit mit deiner geliebten Sora verbringen kannst.“

Was? Geliebte Sora? Hatte ich was verpasst?

Blöde Frage – natürlich hatte ich was verpasst! Aber Yamato und Sora? Niemals!

Doch als ich meine beste Freundin ansah war mir alles klar.

Sora wurde puterrot! „TAI! Jetzt halt doch mal deine Klappe!“

„Was denn? Ist doch längst kein Geheimnis mehr, dass ihr Elizabeth Bennett und Mr. Darcy spielt“, grinste Tai frech und fing sich direkt einen Schlag auf den Hinterkopf von seinem Freund ein.

„Au! Sag mal, spinnst du?“, wirbelte Tai herum, doch Yamato reagierte gar nicht weiter darauf, woraufhin der Braunhaarige beleidigt die Arme vor der Brust verschränkte.

„Na ja, auf jeden Fall ist mir meine Zeit wirklich zu schade, um so eine alberne ‚Lerngruppe‘ mit euch zu bilden, ich spiele schließlich auch noch Fußball. Und außerdem“, sagte er herablassend und sah mich misstrauisch an. „Wenn du in den USA so viel mit der Schule beschäftigt warst, wieso brauchst du dann Hilfe in Mathe?“

Ich zuckte zusammen, versuchte jedoch mich schnell wieder zu fangen, um nicht weiter aufzufallen. „Der Stoff in Amerika ist eben ein völlig anderer, als der an unserer Schule“, erwiderte ich glaubhaft und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust. So ein Blödmann!

„Wir helfen dir auf jeden Fall!“, sagte Sora noch einmal aufmunternd und legte mir beruhigend eine Hand auf die Schulter, während Yamato mich zustimmend anlächelte und Tai immer noch den Gekränkten mimte.

Zum Glück hatte diese Farce ein Ende, als es wieder zum Unterricht klingelte, und da Izzy und ich nicht wieder zu spät kommen wollten, verabschiedeten wir uns schnell von den anderen und eilten zurück in unseren Klassenraum. Das Mittagessen verlief tatsächlich nicht ganz so, wie ich es erwartet hatte. Ich entdeckte neue Seiten an meinen Freunden, was mich sichtlich irritiert hatte.

Irgendwie hatte sich wohl doch mehr verändert, als ich dachte…

Willkommensparty

Hallo ihr Lieben, falls ihr euch fragt, wer dieses wunderschöne Titelbild zu meiner FF gemalt hat... ;) Das ist aus der Feder von dattelpalme11 (http://animexx.onlinewelten.com/mitglieder/steckbrief.php?id=446510) entstanden. Sie war so lieb und hat sich extra für mich noch mal hingesetzt und dieses schöne Bild nach meinen Wünschen gezeichnet, was meiner Geschichte mehr Leben einhaucht und sie zu etwas ganz Besonderem macht <3 Danke, dass du das für mich gemacht hast :-*

Hier noch mal der Link zum Bild: http://animexx.onlinewelten.com/fanart/zeichner/446510/2632323/

Schaut mal bei ihr vorbei, sie malt nicht nur schöne Bilder, sondern schreibt auch ganz tolle FF's *_*

So und jetzt viel Spaß mit dem Kapitel ;)
 


 

Geschafft!

Der erste Tag war geschafft – und ich war es auch!

Es war wirklich nicht leicht gewesen wieder in den Schulalltag hinein zu finden. Den Unterricht hatte ich überwiegend damit verbracht, Izzys Notizen zu lesen und gleichzeitig zu versuchen der Lehrerin zu folgen. Mein Kopf war völlig ausgebrannt.

Doch Sora’s Angebot eine Lerngruppe zu machen, war wirklich keine schlechte Idee. Vielleicht würde es mich ein wenig voranbringen.

„Mimi, warte mal!“

Überrascht drehte ich mich um und erkannte Sora, die mir entgegenlief.

„Wollen wir nicht ein Stück zusammengehen? Ich weiß ja noch gar nicht, wo du jetzt wohnst“, schlug sie mir vor, als sie mich eingeholt hatte.

„Ähm, also eigentlich…“, sagte ich unsicher und versuchte mir schnell eine Ausrede einfallen zu lassen.

„Ach komm schon, Mimi“, versuchte meine Freundin mich weiter zu überreden. „Wir haben uns so lange nicht gesehen!“

„Du hast recht!“, stimmte ich ihr zu und wir gingen zu Soras Zufriedenheit ein Stück zusammen.

„Weißt du, wir wohnen gar nicht weit von unserer alten Wohnung entfernt. Im selben Wohnblock, wie vorher, um genau zu sein“, erklärte ich ihr.

„Das ist ja super! Und dein Vater? Was macht er jetzt? Arbeitet er jetzt nur noch in Tokyo?“

„Ja, mal so, mal so. Er ist jetzt Produktionsleiter der ganzen Ostküste, also ist er viel unterwegs.“

Mein Vater arbeitete zu der Zeit schon seit mehreren Jahren für eine Firma, die sich hauptsächlich mit Telekommunikation und Technologie beschäftigte und die zu den 30 größten Firmen Japans gehörte. Daher stimmte es, dass er viel unterwegs und wenig zu Hause war – was mir ganz recht war.

„Mmh, verstehe. Kam ja auch alles ziemlich plötzlich, als ihr umziehen musstet. Da kann ich mir vorstellen, dass es bei ihm ziemlich turbulent zugeht“, meinte Sora verständnisvoll.

Ich hingegen grinste sie nur unsicher an. Hoffentlich würde sie mich nicht weiter löchern, weil sie in der Pause nicht mehr dazu gekommen war…

„Und wie fühlst du dich? Ich finde, du hast dich wirklich sehr verändert.“

Und natürlich würde sie weiter fragen!

„Ich weiß nicht, was du meinst“, entgegnete ich so nett wie möglich und richtete den Blick auf die Straße, während Soras Blicke mich beinahe durchbohrten.

„Na ja, ich meine… du siehst irgendwie müde aus. Und du hast abgenommen“, dachte sie laut nach, was mich wiederum neugierig aufsehen ließ. War es wirklich so offensichtlich, dass etwas nicht stimmte?

„Ich finde, du wirkst auch irgendwie… wie soll ich es sagen? Verändert eben! Als wärst du nicht richtig da.“

Oh mein Gott. Sora war wirklich die aufmerksamste Person, die ich kannte. Wenn es mir nicht gut ging, merkte sie es immer sofort. Das hätte mir vorher klar sein sollen!

Sie sah mich mit einem sorgenvollen Blick an, was mir schnell unangenehm wurde. Ich wollte nicht, dass sie mich so ansah. Genau deswegen konnte ich ihr auch nicht die Wahrheit sagen. Sie würde sich sonst nur Vorwürfe machen, dass sie nichts bemerkt hatte und das wollte ich ihr nicht antun.

„Ich muss einfach erst mal wieder ankommen. Ich war schließlich lange weg“, redete ich mich raus und hoffte, dass sie mir glaubte.

Anscheinend tat sie es, denn sie lächelte mich verständnisvoll an. „Das kann ich verstehen!“

Ich war erleichtert, dass sie nicht weiter nachfragte.

„Hey, ich hab eine Idee“, meinte sie plötzlich und ich sah interessiert auf.

„Was hältst du davon, wenn wir für dich eine kleine Willkommensparty schmeißen?“

Mein Herz rutschte augenblicklich in die Hose.

Eine Party? Ausgerechnet jetzt? Bitte nicht!

„Ich weiß nicht, Sora. Ist das nicht etwas übertrieben?“

„Überhaupt nicht!“, antwortete Sora und winkte ab. „Die Anderen freuen sich doch auch, dass du wieder da bist. Und wir haben so lang nichts gemeinsam unternommen!“

Ihr flehender, liebevoller Blick zwang mich förmlich in die Knie. Wie könnte ich es ihr abschlagen? Außerdem war es eine gute Gelegenheit, sie davon zu überzeugen, dass alles in Ordnung war.

„Na guuut, überredet“, antwortete ich und lächelte sie zustimmend an.

Sora war begeistert. „Oh klasse! Wie wär’s jetzt gleich am Wochenende? Wir könnten es bei Yamato machen.“

Abrupt blieb ich stehen und grinste sie mit einem vielsagenden Blick an, als mir die Situation in der Pause wieder einfiel. „Bei Yamato, ach ja?“

Sora wurde leicht rot und verriet sich damit. Plötzlich war sie wie ausgewechselt und ein verliebter Blick schlich sich auf ihr Gesicht.

„Okay, dann am Samstag bei Yamato“, sagte ich, um ihr aus dieser für sie unangenehmen Situation zu helfen.

Ich ging auf sie zu und nahm ihre Hand. „Und dann kannst du mir alles ganz in Ruhe erzählen. Ich bin wirklich gespannt, was ich verpasst hab“, grinste ich und zwinkerte ihr zu.

Sora nickte und mit einer innigen Umarmung verabschiedeten wir uns voneinander.

„Ich bin so froh, dass du wieder da bist! Ich hab dich echt vermisst!“, flüsterte sie mir ins Ohr und erwärmte damit unwillkürlich mein Herz. Es war erleichternd zu wissen, dass sich doch nicht alles verändert hatte und dass Sora immer noch die Alte war. Auch, wenn ich es nicht mehr war…

Ich wartete, bis sie um die nächste Ecke abgebogen war und machte auf dem Absatz kehrt, um einen anderen Weg einzuschlagen. Nach Hause konnte ich jetzt noch nicht gehen…
 

Leider kam das Wochenende schneller, als mir lieb war und schon stand ich grübelnd vor meinem Kleiderschrank und überlegte fieberhaft, was ich anziehen sollte.

Das Meiste hatte ich schon rausgekramt, kritisch beäugt, nur um es dann kopfschüttelnd auf den Boden zu werfen.

Ich musste ganz dringend shoppen gehen! Die letzten Monate hatte ich leider keine Zeit dafür gehabt und außerdem wäre es völlig überflüssig gewesen, aber jetzt ärgerte ich mich darüber, dass ich nichts Passendes im Schrank hatte.

Sora hatte recht… ich hatte wirklich abgenommen. Das erkannte ich daran, dass mir meine Kleider fast alle eine Nummer zu groß geworden waren. Verärgert über diese Tatsache wühlte ich nach einer Jeans in der hintersten Ecke und betrachtete sie.

Es blieb mir wohl nichts Anderes übrig. Seufzend zog ich sie mir über, außerdem ein leicht zu weites Shirt und Sneakers.

Als ich mich im Spiegel betrachtete, sah ich die Mimi, die ich die letzten Monate schon so oft gesehen und die ich langsam echt satthatte. So einfach, so unschick und so gar nichts Besonderes mehr. So gar nicht ich selbst.

Doch für heute Abend musste das genügen. Ich konnte ja schließlich nicht zaubern!

Ich kämmte noch schnell meine inzwischen viel zu langen Haare und ging dann in die Küche zu meiner Mutter, die gerade am Herd stand und für meinen Vater kochte.

„Ich bin dann noch mal weg“, erklärte ich ihr beiläufig. „Wartet nicht auf mich, könnte spät werden.“

Meine Mutter sah von ihren Kochtöpfen auf und musterte mich irritiert.

„Wieso spät? Sonst bleibst du doch auch nicht so lang.“

„Ich gehe nicht dorthin, Mama. Ich bin mit Freunden verabredet.“

Meine Mutter bekam große Augen und legte den Kochlöffel zur Seite. Sie ging auf mich zu und zog mich in eine Umarmung.

„Ach Mimi, wie schön! Ich finde es gut, dass du dich endlich wieder mit deinen Freunden triffst!“

„Ja, mal sehen“, entgegnete ich lediglich und zwang mich dazu, sie flüchtig zu umarmen.

Ich war bereits im Gehen, als meine Mutter mir in den Flur folgte und mir mitleidig dabei zusah, wie ich mir meine Lederjacke anzog.

„Wissen sie inzwischen davon?“, fragte sie und legte ein sorgenvolles Gesicht auf.

„Nein“, antwortete ich mit fester Stimme. „Und das soll auch so bleiben!“
 

Wiederwillig ging ich die Treppen zu Yamatos Wohnung hinauf. Sein Vater war fast nie zu Hause, also wohnte er quasi alleine. Innerlich breitete sich Unruhe in mir aus. Da würde ich lieber noch ein Mal diese grässliche Schulwoche erleben, als jetzt hier im engsten Kreis der Freunde zu sein. Ich schämte mich für diese Gedanken, doch es war so. Ich hoffte inständig, dass der Abend schnell vorbeigehen würde und betätigte die Türklingel.

Noch ein Mal tief durchatmen – Augen zu – und durch!

„Mimi!“

Sora strahlte mich an und begrüßte mich mit einer gewohnt herzlichen Umarmung.

„Leute, sie ist da!“, rief sie durch den Flur in Richtung Wohnzimmer und zerrte mich förmlich hinein. Aus der Wohnung drang bereits erheblicher Lärm, was mir verriet, dass die Anderen nicht erst seit kurzem hier waren.

„Komm, alle warten schon auf dich!“, meinte Sora und zog mich weiter.

„Sora, warte mal“, erwiderte ich und blieb stehen. Sora sah mich mit einem fragenden Blick an. „Was denn?“

„Ich glaube, ich bin ein bisschen aufgeregt“, gestand ich ihr schüchtern und richtete den Blick zu Boden. Ich kam mir völlig albern vor. Wieso war ich aufgeregt? Das waren doch meine Freunde.

Und sie wussten schließlich nicht, was geschehen war. Also war doch alles so, wie immer, oder?!

„Brauchst du nicht!“, versuchte Sora mich zu beruhigen und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Alle freuen sich, dass du wieder da bist!“

Ich lächelte sie dankend an und ging mit ihr ins Wohnzimmer, wo sich mir ein vertrautes Bild bot.

Tai und Yamato saßen am Wohnzimmertisch und diskutierten angeregt über irgendetwas, während Tai immer wieder seine Bierflasche auf den Tisch knallte. Wahrscheinlich ging es wieder um Fußball oder Musik oder irgend so was. Andere Themen gab es ja bei den beiden oft nicht.

Joe und Izzy saßen daneben. Joe schien Izzy einen Blumenkohl über sein Medizinstudium ans Ohr zu quatschen, denn der Rothaarige stützte gelangweilt seinen Kopf ab und nickte nur geistesabwesend.

Ich schaute mich weiter um und freute mich, als ich das bekannte Gesicht von Kari sah. Ich hatte sie so vermisst! Neben ihr stand Takeru und hielt ihre Hand.

Moment mal…

Er hielt ihre Hand? Und wie verliebt er sie ansah. Was hatte ich jetzt schon wieder verpasst?

Ich sah ziemlich verdutzt aus, als Sora das Wort ergriff.

„Seht mal, wer da ist!“

Na toll! Alle Blicke richteten sich auf mich. Das war mir sichtlich unangenehm, doch noch ehe ich etwas sagen konnte, kam Kari auch schon auf mich zugestürmt und fiel mir um den Hals.

„Mimi, wie schön, dass du wieder da bist! Ich hab dich echt vermisst!“, sagte sie und sah mich mit großen Augen an.

„Ich hab dich auch vermisst!“, gestand ich ihr und ein kleines Stück Anspannung fiel von mir ab. Es tat doch irgendwie gut, sie alle wieder zu sehen.

Auch Joe und Takeru, die mich ebenfalls das erste Mal wiedersahen, begrüßten mich herzlich.

„Du siehst irgendwie anders aus“, bemerkte Joe und runzelte die Stirn.

„Ach ja, findest du?“, kicherte ich nervös und winkte ab.

„Aber immer noch hübsch!“, meinte Takeru und umarmte mich innig.

Wir setzten uns alle um den kleinen Wohnzimmertisch und während Sora mir ein Glas Sekt einschenkte, versuchte ich die neugierigen Blicke durch Konversation abzuwenden.

„Also“, begann ich und sah neugierig in die Runde. „Was hab ich verpasst?“

„Nicht viel“, entgegnete Izzy und gähnte. Anscheinend hatte Joe ihn schon müde gequatscht.

„Mmh“, machte ich und warf einen vielsagenden Blick auf Kari und Takeru, die mir gegenübersaßen. „Das sah aber eben ganz anders aus.“

Kari wurde prompt rot, während Takeru unsicher kicherte und Tai das Gesicht verzog.

„Wir sind jetzt zusammen“, klärte Kari mich schüchtern auf, obwohl ich es mir ja bereits denken konnte. Früher schon waren sie unzertrennlich gewesen und es kam, wie es kommen musste. Die Beiden waren endlich ein Paar!

„Ich freue mich für euch!“, erwiderte ich aufrichtig und strahlte Kari an, deren Augen immer größer wurden.

„Ja, und weißt du was?“, fragte sie und straffte ihre Schultern, bevor sie mir ihre Hand hinhielt und auf den Ring an ihrem Finger deutete. „Wir sind verlobt.“

Ich ließ ein überraschtes Quieken los und schlug die Hand vor den Mund.

„Was? Wirklich? Oh mein Gott, das ist fabelhaft, Kari“, strahlte ich sie an und nahm den Ring an ihrer Hand genauer unter die Lupe.

Einfach unglaublich! Wie lange war ich weg gewesen? Was war noch alles passiert?

„Aber seid ihr nicht noch etwas zu jung, um zu heiraten?“, hakte ich nachdenklich nach und runzelte die Stirn.

„Sag ich ja auch“, mischte Tai sich nun ein und war sichtlich aufgebracht. „Die sind völlig verrückt geworden!“

„Komm mal runter!“, wies seine Schwester ihn zurecht und sah ihn verärgert an. „Ist ja nicht so, dass wir gleich morgen heiraten wollen.“

„Also, wenn du mich fragst, habt ihr ne Schraube locker! Wer bitte schön verlobt sich denn, während er noch zur Schule geht?“

„Dich fragt aber keiner!“, erwiderte Kari bestimmend und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust, ehe sie sich wieder an mich wandte und verlegen lächelte.

„Wir wollen heiraten, sobald wir mit der Schule fertig sind.“

„Das ist toll, ich freue mich so für euch!“, sagte ich und schenkte ihr ein aufmunterndes Lächeln. Es war sicher nicht leicht für die Beiden, da ja offensichtlich nicht alle für diese Verbindung waren und ja auch anscheinend alles recht schnell ging. Doch innerlich beneidete ich Kari und Takeru ein wenig um ihr Glück. Sie hatten sich wirklich gefunden und wenn sie nicht zusammengehörten, dann tat es niemand auf dieser Welt.
 

Die Party war zum Glück ziemlich ausgelassen. So ausgelassen, dass niemand groß dazu kam, mich auszufragen und als Yamato die Musik lauter drehte, sowieso nicht.

Sora, Kari, Takeru und Yamato machten das Wohnzimmer zur Tanzfläche, während Izzy und Joe anscheinend doch noch eine gemeinsame Gesprächsbasis gefunden hatten und Tai und ich mehr oder weniger gelangweilt am Tisch saßen.

„Die zwei sind echt ekelhaft verknallt“, meinte Tai plötzlich und stützte den Kopf auf der Handfläche ab.

Überrascht wandte ich mich zu ihm um. „Kari und Takeru? Also ich finde sie wirklich süß zusammen“, sagte ich und warf den beiden einen neidischen Blick zu.

„Nein, nicht die“, knurrte Tai mit zusammengebissenen Zähnen. „Sora und Matt.“

Ich zog eine Augenbraue hoch, als mir einfiel, dass ich noch gar nicht dazu gekommen war, Sora wegen Yamato auf den Zahn zu fühlen. Aber so, wie es aussah, hatte sich wirklich mehr zwischen den Beiden entwickelt.

„Wieso? Stört es dich?“, hakte ich nach und grinste ihn vielsagend an.

„Nein, natürlich nicht, es ist nur…“ Er sah betreten zur Seite und ich konnte mir irgendwie denken, was in ihm vorging.

„Es ist sicher nicht leicht, plötzlich seinen besten Freund mit einem Mädchen zu teilen“, sagte ich verständnisvoll, woraufhin er mich verwundert ansah. „Und wenn’s dann auch noch die beste Freundin ist, mit der er was hat…“

„Na ja, es ist nur…“, entgegnete er und warf einen Blick auf seine beiden Freunde, die offensichtlich gerade miteinander flirteten. „Wir waren immer zu dritt. Und es war gut so, wie es war. Jetzt ist es irgendwie so, als wären es nicht mehr wir drei, sondern die zwei und ich.“

Ich war ein wenig überrascht darüber, dass er mir das anvertraute. Eigentlich war es nicht seine Art mit mir über solche Dinge zu sprechen. Doch anscheinend wusste er nicht, wem er sich sonst anvertrauen sollte, da Sora und Yamato ja plötzlich nicht mehr zur Verfügung standen.

„Ich hab echt eine Menge verpasst“, stellte ich leicht wehmütig fest und sah auf mein immer noch volles Sektglas, von dem ich bisher nur ein Mal kurz genippt hatte.

„Ja, irgendwie schon“, bestätigte Tai mir und löste damit ein ungutes Gefühl in mir aus.

„Aber was hast du eigentlich die ganze Zeit so getrieben? Ich meine… es muss doch irgendwas passiert sein“, grinste er mich plötzlich an.

„Was meinst du?“, fragte ich gespielt unwissend nach und hoffte dabei, er würde nicht merken, dass er mich gerade auf dem falschen Fuß erwischt hatte.

„Na ja, die Mimi, die ich kannte, wäre nie mit Jeans und einem T-Shirt zu einer Party gekommen. Wo sind denn deine ganzen schicken Kleidchen hin, Prinzesschen?“

Beleidigt verzog ich das Gesicht. Wollte er mich hier gerade wegen meines Outfits aufziehen? Ich wusste selbst, dass ich nicht wie aus dem Ei gepellt aussah, doch das musste er mir nicht auch noch unter die Nase reiben! Ich wandte mich von ihm ab, nahm mein Sektglas in die Hand und stand auf.

„Ich hole mal etwas Nachschub“, entgegnete ich mit ernster Stimme, ignorierte somit seine Frage und verschwand in die Küche. So ein Idiot! Vor der Spüle kippte ich mein Sektglas in den Abfluss und stützte mich seufzend an der Küchenzeile ab.

Ob ich wohl je wieder die Alte werden würde?

Ich hatte es mir zwar fest vorgenommen, aber sehr erfolgreich war ich bis jetzt nicht damit gewesen. Aber es war ja auch erst eine Woche vergangen, vielleicht musste ich mir selbst einfach noch etwas mehr Zeit geben…

Endstation

„Los, Mimi! Raus aus dem Bett!“

„Ich will nicht!“, murrte ich und zog mir die Decke über den Kopf. Es war Montag und ich hatte bei Weitem keine Lust das Desaster der letzten Schulwoche zu widerholen.

„Stell dich nicht so an“, sagte meine Mutter verständnislos und zog mir die Decke weg. „Es wird wirklich Zeit, dass du wieder zur Schule gehst.“

Ich drückte meinen Kopf in das Kissen und umklammerte es, als würde ich es nie wieder loslassen wollen. „Kannst du nicht wieder Herrn Tanaka bestellen?“, nuschelte ich.

„Nein, das kann ich nicht!“, erwiderte meine Mutter streng und nahm die Decke mit nach draußen, damit ich sie mir nicht wiederholen und mich darunter verstecken konnte. „Und jetzt steh endlich auf!“

Mit einem lauten Knall flog die Tür zu und ich sah ein, dass ich mich geschlagen geben musste. Ich musste wieder zur Schule gehen!

Mir war schon klar gewesen, dass meine Mutter es nicht mehr einsah, Herrn Tanaka zu bestellen. Er war während der letzten Monate mein Nachhilfelehrer gewesen und dank ihm hatte ich nicht völlig den Anschluss an den Unterrichtsstoff verloren. Doch wieder richtig zur Schule zu gehen und für Prüfungen zu pauken war etwas völlig anderes!

Wiederwillig kämpfte ich mich aus dem Bett, schleppte mich ins Bad, duschte und zog mir meine glattgebügelte Schuluniform an. Das beste Kleidungsstück, was ich momentan besaß.

„Na wenigstens die passt“, meinte ich zu mir selbst und flocht mir die langen Haare, damit sie mir nicht permanent im Gesicht hingen.

Ich schlurfte in die Küche, wo meine Mutter ein üppiges Frühstück für mich bereitgestellt hatte. Sie versuchte wirklich mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen und kümmerte sich, zumindest was das Essen betraf, aufopfernd um mich. Doch meinen größten Wunsch konnte sie mir nicht erfüllen und so lange das nicht der Fall war, empfand ich nur pure Abneigung gegen ihr liebevoll angerichtetes Essen. Allein, wenn ich es schon sah, wurde mir schlecht.

„Du musst etwas essen, Mimi“, sagte sie sorgenvoll, als sie meinen kritischen Blick sah.

„Hab keine Zeit, muss los“, antwortete ich nur knapp und nahm mir einen Apfel vom Tisch.

Wahrscheinlich war Schule doch nicht die schlechteste Alternative, um wenigstens für ein paar Stunden von hier weg zu kommen.
 

„Hey, wach auf!“

„Lass mich in Ruhe, Mama!“, nuschelte ich und schlug die Hand weg, die an meiner Schulter rüttelte.

„Hey, Mimi!“, flüsterte die Stimme erneut und stupste mich unsanft an. Ich zuckte zusammen und fuhr erschrocken hoch. Gerade noch tief schlummernd und jetzt klopfte mein Herz wie verrückt.

Als erstes sah ich in Izzy‘s sorgenvolles Gesicht. War ich denn nicht zu Hause in meinem Bett? Ich ließ meinen müden Blick weiter durch den Raum schweifen.

Alle starrten mich an, nicht zuletzt die Lehrerin, die ziemlich sauer auf mich wirkte.

Ich blinzelte ein paar Mal und war prompt wieder da angelangt, wo ich eigentlich sein sollte. Im Unterricht!

„Wenn Sie während des Unterrichts einschlafen, Fräulein Tachikawa, sollten sie ihn vielleicht von draußen weiter verfolgen“, wies mich die Lehrerin forsch zurecht und zeigte auf die Tür.

Gott, ich war tatsächlich eingeschlafen! Und das ausgerechnet in Mathe, wo ich doch eigentlich aufpassen sollte. Ich seufzte und stand auf, während Izzy mich sprachlos ansah und „Was ist nur mit dir los?“ flüsterte.

Ich ging vor den Klassenraum, schloss die Tür hinter mir und lehnte mich gegen die Wand. Es war wirklich zum Mäuse melken! Es fiel mir schon schwer genug überhaupt morgens aufzustehen, doch dem Unterricht zu folgen war die reinste Tortur! Außerdem war ich müde und konnte mich kein bisschen konzentrieren. Ich gähnte herzhaft und verbrachte die restliche Stunde damit, vor der Tür zu stehen und mir zwanghaft ins Gedächtnis zu rufen, was wir zuletzt behandelt hatten.

Nach einer gefühlten Ewigkeit klingelte es endlich zur Pause. Ich wartete, bis alle aus dem Klassenraum verschwunden waren, bevor ich reinging, um mein Mittagessen zu holen. Izzy wartete drin auf mich und sah mich mit einem besorgniserregenden Blick an.

„Wieso bist du eingeschlafen?“, fragte er mich direkt und sah mir dabei zu, wie ich meine Sachen zusammenpackte.

„Weil ich müde bin?“, antwortete ich ihm kurz und knapp. Ich hatte gerade wirklich keine Lust darauf mich zu rechtfertigen.

„Dann solltest du mehr schlafen“, erwiderte Izzy plötzlich ziemlich bissig. „Wir schreiben nämlich nächste Woche eine Klausur.“

Ich sah erschrocken auf. „Was? Dein Ernst?“

„Ja.“

„So eine Scheiße!“, fluchte ich und kramte nach meinem Apfel, den ich mir am Morgen in die Tasche gesteckt hatte. Gemeinsam gingen wir zum Mittagessen nach draußen, während Izzy weiter auf mich einredete.

„Mimi, das geht so nicht! Wenn du im Unterricht einschläfst und dann rausfliegst, verpasst du eine Menge. Wie willst du dann die Klausur packen, geschweige denn das Schuljahr?“

„Danke, Schlaukopf, sehr einfühlsam von dir“, entgegnete ich verbissen. Dass ich ein Problem hatte wusste ich selber.

„Ich will dir doch nur helfen. Anscheinend fällt es dir schwer, dich zu konzentrieren“, sagte Izzy, doch ich antwortete nicht mehr darauf, da wir inzwischen bei den anderen angekommen waren und ich mich zu ihnen setzte.

„Hi“, brachte ich nur abweisend über die Lippen. Sora sah mich irritiert an.

„Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“

„Sie ist aus dem Unterricht geflogen, weil sie eingeschlafen ist“, erklärte Izzy ihr an meiner Stelle, woraufhin er sich einen vorwurfsvollen Blick von mir einfing. Verräter!

„Waaas?“, prustete Tai los, so dass er mit seinem Essen, was er sich grad in den Mund gesteckt hatte rumspuckte.

„Findest du das witzig?“, fragte ich ihn verärgert, lehnte mich zu ihm hinüber und klaute ihm die Essstäbchen aus den Händen.

„Hey, gib die wieder her! Jetzt sei mal nicht gleich so zickig! Ich kann schließlich nichts dafür, dass du in der Nacht wer weiß was machst und dann im Unterricht einpennst.“

Er schnappte sich seine Stäbchen und sah mich beleidigt an. Obwohl ich eigentlich Diejenige war, die beleidigt sein sollte.

„Warum schläfst du im Unterricht ein?“, mischte sich Sora jetzt ein und sah mich besorgt an, wie so Viele es in letzter Zeit taten. Ich schluckte meinen Ärger über Tai und Izzy hinunter und sah betreten auf meinen Apfel, den ich in meinen Händen hin und her drehte.

„Weiß nicht“, sagte ich, doch das war nicht wahr. Die letzte Zeit hatte mich ziemlich geschlaucht. Schlaflose Nächte, zu wenig gegessen… kein Wunder, dass ich mich nicht konzentrieren konnte und müde war.

Izzy verschränkte die Arme vor der Brust und sah bestimmend in die Runde. „Leider schreiben wir nächste Woche auch noch eine Klausur.“

„Musstest du mich daran erinnern?“, antwortete ich stöhnend. Die Woche fing wirklich gut an…

„Dann sollten wir gleich heute mit unserer Lerngruppe beginnen“, schlug Sora leicht euphorisch vor und boxte Tai in die Seite, der sich deswegen fast an seinem Essen verschluckte.

„Machst du mit?“, fragte sie ihn breit grinsend, doch er sah sie nur genervt an.

„Ich hab doch schon gesagt, dass ich für so was keine Zeit habe. Außerdem hab ich heute Training!“

„Man, du bist vielleicht ein Miesepeter“, nörgelte Sora und warf einen hoffnungsvollen Blick auf Yamato, der sofort nickend zustimmte.

„Also auf mich könnt ihr euch verlassen. Wenn ihr wollt, können wir uns nachher bei mir treffen. Mein Vater ist sowieso nicht da.“

„Das wäre super!“, jubelte Sora begeistert und klatschte in die Hände.

„Jaah, du Held“, zischte Tai und sah seinen Freund argwöhnisch von der Seite an.

Die Euphorie meiner besten Freundin in allen Ehren, nur konnte ich sie leider nicht ganz so teilen, wie ich es erhofft hatte.

Eine Lerngruppe. Na super! Für so was hatte ich doch eigentlich gar keine Zeit…

„Also, Mimi. Nach der Schule bei Yamato?“, fragte Sora und riss mich somit aus meinen Gedanken.

„Ähm… ja, okay“, stimmte ich leicht zögerlich zu und beschloss meine Bedenken einfach beiseite zu werfen. Hoffentlich würde die Lernerei nicht zu lange dauern…
 

Da Sora und Yamato schon eine Stunde eher Schluss hatten als ich, machte ich mich nach der Schule allein auf den Weg zu Yamatos Wohnung.

Dort angekommen erwarteten die Beiden mich bereits. Ich betrat das Wohnzimmer und sah, dass Yamato Kaffee und Kekse auf den Tisch gestellt hatte. Er schenkte mir eine Tasse ein und reichte sie mir.

„Hier, damit du nicht wieder einschläfst.“

„Danke“, sagte ich nervös grinsend. Koffein konnte ich jetzt wirklich gut gebrauchen!

„So, dann wollen wir mal“, verkündete Sora entschlossen und krempelte die Ärmel hoch.

Seufzend schlug ich mein Buch auf und zeigte den Beiden, bei welchen Aufgaben ich meine Probleme hatte.

„Puh“, machte Yamato und griff sich gegen die Stirn. „Da müssen wir ja wirklich ganz von vorn anfangen.“

„Tut mir leid. Ich weiß, ich hab viel aufzuholen“, entschuldigte ich mich aufrichtig, doch Sora winkte nur ab.

„Ach Quatsch! Das packen wir schon! Und für uns ist es eine gute Prüfungsvorbereitung.“

Ich lächelte sie dankend an. Sie war wirklich unglaublich! In solchen Momenten wurde mir wieder bewusst, warum sie meine beste Freundin war, auch, wenn unsere Freundschaft gerade einen bitteren Beigeschmack hatte. Doch das würde sich schon wieder legen, irgendwann…
 

Bereits nach einer Stunde rauchte mir der Kopf. Alles, was ich sah, waren Zahlen, Wurzeln, Gleichungen… Und ich verstand nur Bahnhof. Auch, wenn Yamato sich die größte Mühe gab es mir verständlich zu erklären.

Vielleicht musste ich mich einfach etwas mehr anstrengen? Deshalb versuchte ich noch aufmerksamer zuzuhören und schrieb fleißig mit, was er mir diktierte.

Unauffällig schielte ich einige Male auf die Uhr. Es war wirklich schon spät und ich hatte noch nichts geschafft…

Ich hatte keine Ahnung, was ich da eigentlich aufschrieb.

Meine Augen huschten immer wieder zur Wanduhr und ich hörte den Sekundenzeiger ungewöhnlich laut ticken, was mich völlig aus dem Konzept brachte.

In dem Moment drückte ich so fest mit dem Bleistift auf, dass die Miene abbrach und Sora verwundert aufsah.

Ich seufzte, legte den Bleistift zur Seite und stützte den Kopf auf meine Hände.

„Puuh, können wir mal eine Pause machen?“

„Klar“, meinte Yamato völlig gelassen und klappte das Buch vorerst zu.

„Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so ein Genie bist“, gestand ich ihm anerkennend, während ich versuchte meine Gedanken etwas zu ordnen.

Yamato lachte auf. „Das hat nichts mit Hexerei zu tun, Mimi. Man muss es einfach nur verstehen.“

„Klingt, als wär’s ein Kinderspiel, so wie du es sagst“, meinte ich stirnrunzelnd und verzog das Gesicht.

„Also ich finde, du schlägst dich bisher sehr gut!“, lobte mich Sora, als ich sie irritiert ansah. Das konnte sie ja wohl kaum ernst meinen!

„Wenn ich mich so gut schlage…“, begann ich zaghaft und kreiste mit meinem Finger verlegen auf dem Papier rum. „Können wir dann für heute Schluss machen?“

„Was, jetzt schon?“, fragte Sora etwas entsetzt und sah auf sie Uhr. „Aber es ist doch noch gar nicht so spät.“

„Jaah, ich weiß“, grinste ich verstohlen. „Aber, dass wir uns heute treffen war ja auch eher spontan und ich hatte meiner Mutter versprochen ihr dabei zu helfen, noch ein paar Kisten auszupacken.“

„Achso, na wenn das so ist…“, meinte Sora nachdenklich und lächelte mich an. „Dann treffen wir uns eben morgen nach der Schule wieder.“

Ich verdrehte gespielt genervt die Augen. „Na guut, wenn’s denn sein muss.“

„Keine Sorge, bis zur nächsten Klausur kriegen wir dich schon fit!“, grinste Yamato aufmunternd.

Ich packte meine Sachen ein und verabschiedete mich von den Beiden.

„Danke, für eure Hilfe. Ich denke, das wird mich wirklich weiterbringen. Und morgen nehme ich mir mehr Zeit, versprochen!“

„Kein Problem, bis morgen“, sagte Sora verständnisvoll und umarmte mich zum Abschied. Sie schloss die Tür hinter mir und erst jetzt fiel mir auf, dass sie nicht mitgekommen war. Sie blieb noch bei Yamato.

Was die Beiden wohl machen würden, jetzt, wo sie alleine waren – schoss es mir durch den Kopf. Leider hatte ich Sora immer noch nicht in einer ruhigen Minute erwischt und wusste daher nicht genau, was zwischen den Beiden lief. Doch nach Tai’s Aussage zu urteilen, schienen sie wohl ganz schön verknallt ineinander zu sein.

Ich freute mich für sie, doch irgendwie konnte ich auch Tai’s Gefühle verstehen. Auch ich beschäftigte mich mit dem Gedanken, ob ihre Beziehung Auswirkungen auf die Freundschaft zwischen Sora und mir haben würde. Bis jetzt schien das ja nicht der Fall zu sein, eigentlich war alles, wie immer zwischen uns. Aber ich wollte einfach nicht noch einen Menschen in meinem Leben verlieren müssen…

Völlig in Gedanken versunken machte ich mich auf den Weg zur Straßenbahn und stieg ein. Inzwischen kannte ich den Weg so gut, dass ich ihn selbst im Traum finden würde.

Ich war froh, dass mir eine Ausrede eingefallen war, um von der Lernerei weg zu kommen. Ich wusste, wie wichtig die Nachhilfe für mich war und doch konnte ich dem Ganzen nicht meine volle Aufmerksamkeit schenken. Mir gingen einfach zu viele andere Dinge durch den Kopf.

Nach einer Weile wurde meine Station angekündigt und ich drängte mich an den Menschen vorbei nach draußen. Es war die letzte Station, also musste ich noch ein paar Straßen weitergehen, bis ich am Krankenhaus angekommen war.

Der Nachmittag hatte sich in die Länge gezogen und es war bereits so spät geworden, dass langsam die Sonne unterging. Ich atmete noch ein Mal schwerfällig aus und betrat das Gebäude. Zum x-ten Mal stieg mir der gewohnt, beißende Geruch entgegen und mir drehte sich augenblicklich der Magen um. Es roch immer irgendwie nach Desinfektionsmittel, Krankheit oder Tod. Vielleicht lag es aber auch einfach nur daran, dass ich mit diesem Ort nichts Gutes verband. Vielleicht bildete ich mir diesen Geruch auch nur ein…

Erinnerung

„Ich bin wieder zu Hause“, rief ich durch den Flur und schmiss meine Schuhe in die Ecke. Ich war trotz des ganzen Kaffees todmüde und es war inzwischen schon wirklich spät geworden.

„Hallo, mein Schatz“, begrüßte mich meine Mutter gewohnt herzlich, als ich in die Küche kam und sah, dass bereits der Tisch gedeckt war. „Wie war die Lerngruppe?“

„Gut“, antwortete ich lediglich und setzte mich schnaufend an den Tisch.

„Wo ist Papa?“

„Der müsste auch gleich kommen. Warst du noch im Krankenhaus?“

„War ich“, sagte ich und tat mir das erste Mal an diesem Tag Essen auf. Es duftete gut und tatsächlich machte sich das Gefühl von Hunger in mir breit. So war es oft in letzter Zeit. Am Tag über stand ich meist so unter Strom, dass ich keinen Bissen runter bekam und am Abend, wenn die Anspannung langsam von mir abfiel, kam der erste Hunger.

Meine Mutter setzte sich zu mir und beobachtete mich dabei, wie ich in meinem Essen rumstocherte und mir ab und zu etwas Gemüse in den Mund steckte.

Ich stoppte mitten im Essen und sah sie verständnislos an. „Was ist?“, fragte ich sie und machte kein Geheimnis daraus, dass sie mir mit ihrem Angestarre auf die Nerven ging.

„Willst du dir das wirklich immer wieder antun? Jeden Tag aufs Neue?“

In diesem Moment kam mein Vater zur Küche herein und sah uns fragend an. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass die Tür aufgegangen war. Hätte ich es bemerkt, wäre ich vorher mit meinem Essen in mein Zimmer verschwunden.

„Was antun?“, fragte er direkt, ohne uns richtig zu begrüßen und setzte sich zu uns an den Tisch.

Meine Mutter seufzte. „Mimi war schon wieder im Krankenhaus.“

Ich schmiss meine Gabel auf den Teller und rutschte meinen Stuhl hinab.

„Danke, Mama“, zischte ich und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Warum gehst du immer noch da hin?“, wollte mein Vater von mir wissen, während er sich Essen auftat. „Ich dachte, wir hätten das besprochen.“

„Wir? Wir haben das besprochen? Nein, IHR habt das besprochen!“, antwortete ich giftig. Ich musste aufpassen, dass ich nicht die Fassung verlor. Dieses Szenario kannte ich nur zu gut und ich wusste, was jetzt kommen würde. Das hatte ich die letzten Monate über häufig genug erlebt.

„Du solltest dich lieber auf die Schule konzentrieren“, erwiderte mein Vater mit gelassener Stimme, doch ich wusste, dass er innerlich kochte.

„Was meinst du, was ich jeden Tag versuche?“

Das Entsetzen sprang mir förmlich aus dem Gesicht und ich musste an mir halten, ihn nicht anzuschreien.

„Du solltest nicht mehr dort hingehen, Mimi. Das ändert nichts an unserer Entscheidung“, redete mein Vater weiter auf mich ein, ohne mich eines Blickes zu würdigen.

Ich presste die Zähne aufeinander und kämpfte gegen meine aufkommenden Tränen an.

„Du meinst, an deiner Entscheidung“, entgegnete ich, stand ruckartig auf und verschwand mit einem lauten Knall in mein Zimmer.
 


 

Ich schmiss mich auf mein Bett und drückte eine gefühlte Ewigkeit mein Gesicht ins Kissen, um den Drang einfach laut zu schreien zu unterdrücken. Am liebsten hätte ich all die Verzweiflung und die Wut in die Welt hinausgeschrien, die mein Vater mir bereitete, die meiner Mutter mir bereitete, die ER mir bereitete…

Irgendwann hatte ich mich einigermaßen gefangen, sodass ich mich umdrehte und nun stattdessen die dunkle Decke meines Zimmers anstarrte.

Womit hatte ich das eigentlich alles verdient? Wie konnte ich nur so naiv sein? Das alles hätte nie passieren dürfen!

Wieder bahnte sich eine Träne über meine Wange. Ich hatte es aufgegeben, sie wegzuwischen. Meine Gedanken schweiften ab…

Zu jenem letzten Schultag, an dem ich zum letzten Mal meine Freunde gesehen hatte, bevor ich mir die Ausrede mit Amerika einfallen lassen musste. An diesem Tag nahm ich alles ganz anders wahr als sonst…
 

Alles kam mir so endgültig vor.

Ein letztes Mal den Unterricht besuchen. Ein letztes Mal mit meinen Freunden zu Mittag essen. Ein letztes Mal mit ihnen Lachen…

Dieser Tag zog geradezu wie ein Traum an mir vorbei und ehe ich mich versah, wachte ich auf.

„Mimi?“

Ich blinzelte ein paar Mal und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Sora sah mich fragend an.

„Ach, die träumt mal wieder von Klamotten!“, neckte Tai und sah mich mit hochgezogener Augenbraue an.

„Charmant, wie immer, Yagami“, meinte Yamato schief grinsend und boxte ihn in die Seite.

„Au, du Idiot! Was soll das?“, beschwerte dieser sich sogleich und sah seinen Freund wütend an.

„Man Jungs, warum seid ihr immer so kindisch?“, meinte Sora genervt und stemmte die Arme an die Seite.

„Und warum scherst du uns gleich wieder unter einen Kamm? Ich hab doch nicht damit angefangen!“, verteidigte Tai sich aufgebracht. Izzy, der neben ihnen stand, schüttelte nur verständnislos den Kopf, während Sora seufzte.

„Ihr solltet euch wirklich mal eine Scheibe von Izzy abschneiden! Der ist schon viel erwachsener als ihr!“, sagte sie, was Tai erschrocken aufsehen ließ.

„Jetzt werd mal nicht gleich fies!“

„Bitte?“, mischte sich nun auch Izzy ein, dem Tais Kommentar nicht entgangen war. „Was soll das denn heißen?“

„Schluss jetzt! Ihr nervt mich!“, entgegnete Yamato und stellte sich mit verschränkten Armen zwischen die beiden.

„Was? Wieso denn ich? Ich hab doch gar nichts gemacht!“, rechtfertigte Izzy sich entsetzt.

Ich konnte nicht mehr, ich musste einfach loslachen.

Alle sahen mich verwundert an, da ich bis eben keinen Ton von mir gegeben hatte und überhaupt den ganzen Tag über sehr ruhig gewesen war… was meine Freunde so nicht von mir kannten.

Aber sie wussten ja auch nicht, dass das unser letzter gemeinsamer Schultag sein sollte.

„Ihr seid einfach zu komisch“, brachte ich gerade noch so heraus und krümmte mich vor Lachen.

„Na toll, sie lacht uns aus“, stellte Tai genervt fest und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Tja, das habt ihr nun davon“, meinte Sora grinsend und stieg mit in mein Lachen ein.

„Oh man, ich werd euch echt vermissen!“, sagte ich, als ich mich etwas beruhigt hatte, woraufhin mich wieder alle irritiert ansahen.

„Wieso vermissen?“, wollte Izzy wissen.

Mein Herz rutschte in die Hose und meine Knie wurden weich. Sie wussten es nicht! Niemand wusste es! Bis auf meine Eltern. Und die hatten mir eine klare Ansage gemacht, wie mein Leben zukünftig verlaufen würde.

Und vielleicht war das gar nicht so schlecht, wenn sie von alledem nichts mitbekommen würden. Es war schwer genug für mich, auch ohne die mitleidigen Blicke der anderen.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Na ja, in den Sommerferien, meine ich.“

„Achso“, sagte Sora nachdenklich und legte die Stirn in Falten. „Aber wir sehen uns doch während der Ferien oder?“

„Ich weiß nicht“, erwiderte ich und legte ein trauriges Gesicht auf. Das war das erste Mal, dass ich sie anlügen musste. „Ich muss viel für die Schule aufholen. Hab einiges verpasst in letzter Zeit.“

„Stimmt, besonders oft warst du nicht da“, bemerkte Tai, bevor er sich schulterzuckend abwandte. „Na dann Leute, ich muss… Hab Training.“

„Und ich muss zur Bandprobe“, meinte Yamato und sah auf die Uhr.

„Ja, es ist wirklich schon spät geworden. Ich muss noch einiges am Computer bearbeiten“, sagte nun auch Izzy.

Sora nickte zustimmend. „Und ich hab meiner Mutter versprochen, mit ihr einkaufen zu gehen.“

Mein Magen verkrampfte sich schlagartig und ich wurde nervös. So schnell sollte also unser letzter Tag vorbei sein? So sollte unser Abschied aussehen?

„Also dann, bis später“, verabschiedete Tai sich als Erster und ging los. Auch die anderen machten sich auf den Weg.

Doch bevor auch Sora einfach so aus meinem Leben verschwand, hielt ich sie am Handgelenk fest und zog sie an mich.

Ich umarmte sie innig, wusste jedoch nicht, was ich sagen sollte. Sora schien ein wenig überrumpelt von diesem herzlichen Abschied und kicherte unsicher.

„Mimi… alles klar bei dir?“

„Ja“, log ich erneut. „Ich wollte dir nur sagen, dass du meine beste Freundin bist.“

Sora löste sich aus meiner Umarmung und sah mich liebevoll an. „Das weiß ich. Und du bist meine.“

Ein Lächeln huschte mir übers Gesicht. Wenn ich es ihr doch nur sagen könnte…

„So, jetzt muss ich aber. Bis die Tage, Mimi“, verabschiedete sie sich freudestrahlend von mir und ließ mich stehen.
 

Und aus Tagen wurden Wochen. Aus Wochen wurden Monate…

Ich lag in meinem Bett und sah diesen Tag so bildlich vor mir, als wäre es erst gestern gewesen. Wahrscheinlich konnte ich mich deswegen so genau daran erinnern, weil es der letzte Tag war, an dem ich wirklich glücklich gewesen war. Glücklich darüber, was ich hatte.

All das hatte ich jetzt immer noch, das wusste ich tief im Inneren. Und doch hatte ich so viel verloren und fühlte mich einsamer, als je zuvor…
 

Der nächste Morgen kam früher, als erwartet und nachdem ich mich in den Schlaf geweint hatte, erschrak ich förmlich vor mir selbst, als ich in den Spiegel schaute.

Schnell spritzte ich mir kaltes Wasser ins Gesicht, was mich tatsächlich etwas wacher machte. Ich dachte an gestern Abend.

Ich hasste meinen Vater! Nach all dem, was zwischen uns geschehen war, fühlte es sich einfach schrecklich an, mit ihm unter einem Dach wohnen zu müssen. Zum Glück war er nur selten zu Hause, weil er viel arbeitete, so dass wir uns nicht häufig über den Weg liefen. Doch wenn wir es dann mal taten, krachte es meistens und endete damit, dass ich mich in meine Kissen weinte.

Ich hatte mich satt! Ich hatte ihn satt! Ich hatte alles so satt! Mit zitternden Händen umklammerte ich das Waschbecken, während mir immer noch das eiskalte Wasser vom Gesicht tropfte.

Ich zwang mich dazu, unter die Dusche zu springen und mich anzuziehen. Ein weiterer Tag, an dem ich mich überwinden musste zur Schule zu gehen.

Wie jeden Morgen ging ich in die Küche und wie jeden Morgen hatte meine Mutter den Tisch für mich gedeckt. Als sie mich sah, lächelte sie mich entschuldigend an. Und ich wusste auch genau, warum sie das tat. Denn wieder einmal war sie mir gestern Abend in den Rücken gefallen. Sie hatte ein schlechtes Gewissen.

Ich funkelte sie böse an und würdigte das liebevoll angerichtete Essen keines Blickes. Stattdessen machte ich auf dem Absatz kehrt, schnappte meine Schultasche und zog mir die Schuhe im Flur an.

„Mimi…“, sagte meine Mutter mit bebender Stimme und kam mir hinterher. „Es tut mir so leid.“

„Ist schon gut, Mama“, entgegnete ich sarkastisch und öffnete die Tür. „Ich weiß doch inzwischen, dass du hinter ihm stehst und nicht hinter mir.“
 

Zum Glück schaffte ich es an diesem Vormittag in der Schule nicht einzuschlafen, was mir zwar deutlich schwerfiel, doch ich schaffte es. Der Unterricht war eine gute Ablenkung und ließ mich für einige Stunden meinen Ärger vergessen.

Als es endlich klingelte, rieb ich mir müde über die Augen, gähnte und streckte mich.

Zufrieden sah ich auf mein Heft und freute mich darüber, dass ich wenigstens ein bisschen was verstanden hatte.

„Heute scheint es besser zu laufen, nicht?“, fragte Izzy, als ich meine Sachen einpackte.

„Ja, etwas“, nickte ich zustimmend.

„Obwohl du immer noch sehr müde aussiehst.“ Es war ihm nicht entgangen, dass ich häufig Probleme hatte die Augen offen zu halten und die nicht zu kaschierenden Augenringe taten ihr Übriges.

Ich ignorierte diesen Kommentar und tat so, als wäre es nicht wichtig. Stattdessen sah ich aus dem Fenster und runzelte die Stirn.

„Ich glaube, heute müssen wir wohl drinbleiben.“

Izzy folgte meinem Blick und seufzte. Ausgerechnet jetzt zogen dicke Wolken auf und die ersten Regentropfen fielen vom Himmel.

Wir trafen uns alle in der Cafeteria und da wegen des Wetters niemand nach draußen wollte, war es hier brechend voll.

Izzy hielt schon völlig verzweifelt nach den anderen Ausschau, während ich versuchte nicht von jedem Zweiten umgerannt und mit Essen bekleckert zu werden.

„Ah“, machte Izzy plötzlich und zog mich weiter durch die Menge. Ziemlich weit hinten in der Ecke saßen unsere Freunde am letzten Tisch, der noch frei war.

„Gott, ist das furchtbar hier!“, stöhnte ich auf und setzte mich neben Tai, der wie immer gerade dabei war sein Mittagessen zu verschlingen.

Angewidert sah ich zu ihm rüber und überlegte mir ernsthaft, ob ich den Platz tauschen sollte. Er hatte so gar keine Tischmanieren.

„Hey, du Löwe“, sprach ich ihn an und zog eine Augenbraue hoch. „Kannst du deine Beute bitte etwas anständiger verschlingen?“

Tai unterbrach sein Essen, nur um mich genervt und mit vollgestopftem Mund anzusehen. „Hast du was dagegen?“, erwiderte er mit einem vielsagenden Blick und musterte mich dann skeptisch, ehe er sein Essen hinunterschluckte. „Wie siehst du eigentlich aus?“

Wie bitte? Überrascht sah ich ihn an. Was sollten schon wieder diese Anspielungen mein Aussehen betreffend? Hatte dieser Typ denn gar keine Manieren?

„Wie seh ich denn aus?“, hakte ich angesäuert nach und war auf Krawall gebürstet.

„Als hättest du die Nacht durchgefeiert“, entgegnete Tai ohne Umschweife, woraufhin ich ihn empört anstarrte und selbst Sora wütend von ihrem Essen aufsah.

„Taichi! So was sagt man nicht zu einem Mädchen! Außerdem sieht Mimi sehr hübsch aus, wie immer“, wies sie ihn schroff zurecht und schenkte mir einen aufmunternden Blick. Oder war es ein mitleidiger Blick?

„Ach kommt schon! Bin ich hier der Einzige, der bemerkt, dass sie sich total gehen lässt, seit sie wieder hier ist?“, platzte es aus ihm heraus und er sah sich fassungslos in der Runde um, während mir nur der Mund aufklappte. Was zum Teufel bildete dieser Kerl sich ein?

Ich lief gegen meinen Willen rot an, als Yamato sich zu seinem Freund rüber lehnte und sich unauffällig räusperte.

„Nein, aber du bist der Einzige, der es laut ausspricht – du Vollidiot!“

Völlig perplex saß Tai da und starrte auf sein Essen. Anscheinend war der Groschen gefallen.

Natürlich war er nicht der Einzige, der es bemerkte, die anderen waren ja schließlich nicht blind! Aber keiner war so unsensibel und rieb es mir unter die Nase. Außer Tai…

„Man, was hast du denn für `ne Kinderstube genossen? Das war selbst für deine Verhältnisse ziemlich unhöflich“, fügte Yamato noch hinzu, was mich nur noch verlegener machte. Wieso war ich hier eigentlich Gesprächsthema Nummer Eins?

Ich klammerte mich an meinem Rock fest, um nicht loszuheulen. Dass er mir so unverblümt die Wahrheit ins Gesicht schmetterte… darauf war ich nicht vorbereitet.

„Mimi?“, fragte Sora und ich sah traurig auf. Sie lächelte mich liebevoll an.

„Was hältst du davon, wenn wir morgen nach der Schule shoppen gehen? Wir sind noch gar nicht richtig dazu gekommen wirklich Zeit miteinander zu verbringen, seit du wieder hier bist.“

Shoppen? Nur wir beide? Mein Herz machte einen kleinen Sprung und ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen. Sie war einfach die Beste! Shoppen war eine großartige Idee, obwohl ich mich unwillkürlich fragte, ob ich das überhaupt noch konnte? Einfach so einen unbeschwerten Mädchen-Nachmittag verbringen…?

„Jaah, genau…“, mischte Tai sich unsicher ein und rang sich ein verlegenes Grinsen ab. „Macht mal so ein bisschen Weiberkram. Das tut unserem Prinzesschen sicher gut.“

Na der hielt sich wohl für besonders witzig!

Ich funkelte ihn böse an und er zuckte leicht zurück, als er meinen wütenden Blick sah.

Doch da diese Situation nicht schon peinlich genug für mich war, meldete sich jetzt auch noch mein Magen zu Wort. Die Retourkutsche für das verschmähte Frühstück heute Morgen. Er grummelte laut vor sich hin, was alle irritiert aufsehen ließ. Kein Wunder! Ich hatte ja auch seit gestern nichts mehr gegessen. Beruhigend legte ich eine Hand auf meinen Bauch, doch das half natürlich gar nichts.

„Entschuldigung, ich hole mir gleich was zu essen“, sagte ich und grinste meine Freunde unsicher an. Doch gerade, als ich aufstehen wollte, schob mein Sitznachbar mir wortlos seinen Teller rüber.

„Hier, iss! Es dauert ewig, bis du an der Theke drankommst und bis dahin ist die Pause vorbei.“

Für einen Augenblick verschlug es mir die Sprache und ich sah ihn überrascht an. Dann setzte ich mich wieder hin und betrachtete stirnrunzelnd sein Mittagessen. War sicher nicht leicht für ihn sein heißgeliebtes Essen für mich zu opfern, doch das war höchstwahrscheinlich dem schlechten Gewissen geschuldet.

„Äh… danke“, sagte ich irritiert und steckte mir den ersten Bissen in den Mund.

Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie Sora mich schief angrinste und ihre Augen immer wieder zwischen Tai und mir hin und her huschten.

Geheimnis

Der restliche Schultag verging zu meinem Glück ziemlich schnell. Und ich bekam sogar noch was vom Unterricht mit, was ich vermutlich meinem gefüllten Bauch verdanken konnte. Ich hatte ganz vergessen, wie gut Essen tat.

Danke, dass du mir dein Mittagessen geopfert hast, Tai.

Auf dem Weg zu Yamato ging ich noch ein Mal meine Notizen aus der letzten Stunde durch. Das erste Mal seit Tagen fühlte ich mich ein klein wenig besser und war motiviert die kommende Klausur zu meistern.

Als ich an der Wohnung ankam und klingelte, stutzte ich ein wenig, da es ziemlich lang dauerte, bis mir jemand öffnete. Außerdem hörte ich Soras Kichern aus der Wohnung. Vielleicht machten sie gerade wild miteinander rum – dachte ich bei mir und grinste. Sora öffnete mir die Tür und strich sich eilig eine Haarsträhne hinters Ohr, die ihr ins Gesicht hing.

„Hi“, begrüßte sie mich flüchtig.

„Stör ich?“, fragte ich mit einem vielsagenden Grinsen und schielte an ihr vorbei in die Wohnung, wo Yamato im Wohnzimmer saß und gerade sein Hemd richtete.

„Nein, quatsch, gar nicht!“, fiepte meine beste Freundin, da sie meinen Blick natürlich bemerkt hatte.

„Gut“, erwiderte ich und ging an ihr vorbei. „Dann können wir ja anfangen. Ich bin höchstmotiviert!“
 

„Yes!“, jubelte ich und klappte das Buch zu. Ich hatte tatsächlich mal etwas verstanden!

„Freu dich nicht zu früh“, meinte Yamato und kratzte sich am Kopf. „Das war erst der Anfang. Wir haben noch einiges aufzuarbeiten.“

„Hey!“, sagte ich vorwurfvoll. „Ich bin froh, dass ich überhaupt mal was kapiert habe.“

Der Blonde lachte unsicher. „Na ja… mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, nicht?“

„Wow, du kannst einem echt Mut machen!“, sagte ich leicht niedergeschlagen und stützte meinen Kopf auf meinen Händen ab.

„Ich denke, wir haben heute schon einiges geschafft“, merkte Sora an und nickte zufrieden. „Also können wir morgen mit ruhigem Gewissen das Lernen ausfallen lassen und shoppen gehen.“

Ich lächelte sie dankend an und seufzte. „Danke, für alles, Sora.“

„Ist doch selbstverständlich“, entgegnete sie und winkte verlegen ab.

„Nein, ist es nicht.“

In letzter Zeit, um genau zu sein, in den letzten Monaten war niemand so nett zu mir gewesen, wie Sora. Sie hatte mir wirklich gefehlt! Es war so viel passiert und sie wusste von alledem nichts und doch versuchte sie mir zu helfen, wo sie nur konnte, ohne ständig darauf rum zu pochen, warum ich mich so verändert hatte. Mir fiel auf, wie sie mich manchmal in der Schule ansah. Mit diesem mitleidigen Blick. Mit Sicherheit fragte sie sich was eigentlich mit mir los war. Es ließ sich schließlich nicht verbergen, dass sich etwas verändert hatte. Dass ich mich verändert hatte. Dafür sorgte allein schon mein äußeres Auftreten. Doch sie war meine Freundin und sie zeigte es mir, indem sie einfach versuchte für mich da zu sein. Und das war ganz und gar nicht selbstverständlich! Nichts war selbstverständlich im Leben, das hatte ich inzwischen gelernt…

Ich warf einen Blick auf die Uhr und war überrascht darüber, wie schnell die Zeit vergangen war.

„Oh nein, schon so spät?“

„Wieso, hast du noch was vor?“, fragte Sora stirnrunzelnd und sah mir dabei zu, wie ich meine Sachen eilig einpackte.

„Ja… äh, nein“, antwortete ich hektisch. „Meine Mutter… sie wartet auf mich.“

Ich zog meine Jacke an und verschwand in den Flur, streckte jedoch noch mal den Kopf durch die Tür. „Ach ja, danke für die Nachhilfe, Matt.“

„Kein Problem“, antwortete er trocken. Sicher war er froh, dass ich mich schon aus dem Staub machte und er mit Sora wieder allein sein konnte.

Sie brachte mich zur Tür und umarmte mich zum Abschied.

„Dann bis morgen.“

„Bis morgen, ich freue mich!“, sagte ich und verabschiedete mich mit einem Zwinkern von ihr.

Zufrieden lächelnd ging ich die Stufen runter, raus an die frische Luft und atmete sie tief ein. Es war nicht viel, doch es war immerhin ein kleiner Fortschritt, den ich heute gemacht hatte. Und auf den kommenden Tag freute ich mich wirklich! Allein das war schon ein Erfolg, wenn man an die letzten Monate dachte…

Ich schlenderte zur Straßenbahn und sah auf die Uhr. Fünfzehn Minuten noch. Seufzend ließ ich mich auf die Bank fallen und holte mein Handy heraus.

Zehn Anrufe in Abwesenheit.
 

Ich erschrak leicht, als ich die Nummer sah und drückte sofort die Rückruftaste.

Es dauerte nicht lange, bis jemand abhob.

„Miss Tachikawa, gut, dass sie zurückrufen. Wir haben schon die ganze Zeit versucht Sie zu erreichen.“

Allein dieser Satz brachte mein Herz zum rasen. „Was ist denn passiert?“, fragte ich nervös.

„Es gab Komplikationen und…“, erzählte die Schwester weiter, doch ich unterbrach sie. Ich wollte es nicht am Telefon erfahren. „Ich bin auf dem Weg“, sagte ich knapp und legte auf.

Ich sah auf die Uhr. Noch dreizehn Minuten. So lang konnte ich nicht mehr warten!

Mein Magen überschlug sich geradezu, als ich wie vom Blitz getroffen aufsprang und losrannte. Panik machte sich in mir breit und in meinem Kopf spielten sich die schlimmsten Szenarien ab.
 

Völlig außer Atem kam ich kurze Zeit später am Krankenhaus an. Mein Puls raste und mein Herz schlug wie wild gegen meine Brust. Doch ich hatte keine Zeit mich zu sammeln. Ich stolperte durch die Eingangstür, rannte an den Schwestern und den anderen Menschen vorbei, die mich fragend ansahen. Wie verrückt drückte ich den Fahrstuhlknopf, während ich unruhig von einem Bein aufs andere trat. „Komm schon!“, sagte ich laut und stampfte wütend mit dem Fuß auf. Vor lauter Aufregung bemerkte ich gar nicht, dass jemand neben mich trat und mir seine Hand auf die Schulter legte.

Erschrocken wandte ich mich um und sah in das verdutzte Gesicht von Tai.

Zum Teufel, was machte er hier?

„Hey, was ist denn mit dir los?“, fragte er völlig entgeistert, da ihm nicht entgangen war wie aufgebracht ich war. „Du bist ja völlig durch den Wind!“

Erst jetzt fiel mir auf, dass er nicht alleine war. Er wurde von einem anderen Jungen gestützt. Ich sah an ihm hinab und stellte fest, dass er in voller Fußballmontur hier war. Sein Knöchel blutete. Normalerweise hätte ich ihn gefragt, was passiert war, doch dafür hatte ich im Augenblick keinen Kopf.

„Lass mich in Ruhe!“, fuhr ich ihn stattdessen barsch an, woraufhin er wütend das Gesicht verzog.

„Blöde Zicke!“, giftete er zurück, doch das war mir egal.

Ich ballte die Hände zu Fäusten und wurde allmählich sauer darüber, dass der Fahrstuhl immer noch nicht da war.

„Das dauert mir zu lang“, sagte ich mehr zu mir selbst, als zu ihm und rannte in Richtung Treppe. Ich stieß die Tür auf und sprintete einige Stufen nach oben, bis ich endlich die Intensivstation erreichte.
 

„Wo ist sie?“, schrie ich die Schwester an, kaum, dass ich oben angekommen war.

„Bleiben Sie ruhig, sie wird gerade operiert.“

„Was? Wieso operiert? Was ist denn passiert?“, fragte ich völlig entsetzt, während die Schwester versuchte ruhig auf mich einzureden.

„Bitte, beruhigen Sie sich. Es gab plötzliche Komplikationen, der Herzschlag war unregelmäßig, aber… die Ärzte tun, was sie können.“

Das durfte nicht wahr sein! Es war, als würde man mir den Boden unter den Füßen wegreißen. Plötzlich überkam mich die Angst – Angst, sie zu verlieren. Ein Gefühl, von dem ich wusste, dass es mich früher oder später einholen würde. Aber ich dachte, es würde auf eine andere Art und Weise passieren… Nicht so. Sie durfte nicht so aus meinem Leben verschwinden. Das hatte sie nicht verdient. Das hatte ich nicht verdient.

In diesem Moment kam ein Arzt um die Ecke und ich schob mich an der Schwester vorbei, die noch versuchte mich aufzuhalten.

Der Arzt deutete jedoch an, dass es okay war und sah mich mitfühlend an, als er mich erkannte.

„Es ist soweit alles in Ordnung“, beantwortete er meine unausgesprochene Frage. „Sie hat die OP gut überstanden.“

Ich atmete erleichtert aus. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Es ging ihr gut…

„Allerdings mussten wir einige Maßnahmen ergreifen, sie ist momentan an einem Beatmungsgerät angeschlossen“, erklärte der Arzt weiter.

„Was heißt das?“, fragte ich ungeduldig. „Wann kann ich zu ihr?“

„Vorerst gar nicht. Sie bleibt unter konstanter Beobachtung, bis sie sich von der OP erholt hat.“

Entsetzt sah ich ihn an. „Und… wie lange wird das dauern?“

„Das können wir so noch nicht sagen“, meinte der Arzt und versuchte wohl beruhigend auf mich zu wirken, was natürlich bestens funktionierte…

Aufgebracht ging ich im Raum auf und ab und fuhr mir nervös durch die Haare.

„Bitte, Miss Tachikawa. Ihre Tochter ist hier in besten Händen! Und ich verspreche Ihnen, wir tun alles dafür, dass es ihr bald bessergeht!“
 

Völlig benommen und wie weggetreten stieg ich in den Fahrstuhl.

Die Ärzte hatten mich weggeschickt. Vorerst durfte ich sie nicht sehen.

Sie sollte diesen Kampf alleine kämpfen. Wie sollte sie das nur schaffen? Wie sollte ich das nur schaffen?

Ich fuhr nach unten und wischte mir schnell noch ein paar Tränen weg, bevor die Fahrstuhltür sich öffnete. Ich umklammerte den Griff meiner Schultasche und wusste, dass mir für heute nichts Anderes übrigblieb. Ich musste nach Hause gehen… und wieder so tun, als wäre nichts passiert. Innerlich wappnete ich mich schon mal gegen das, was mich zu Hause erwartete und trat aus dem Fahrtsuhl.

Seufzend ging ich am Empfang vorbei, blieb jedoch abrupt stehen, als ich Tai sah, der plötzlich vor mir stand. Erschrocken sah ich ihn an. Warum war er noch hier?

„Da bist du ja“, sagte er und musterte mich eindringlich. Es klang, als hätte er auf mich gewartet.

Er stand auf Krücken vor mir, sein Fuß war verbunden.

Dieser Anblick hätte mir eigentlich leidtun müssen, doch ich war momentan nicht in der Lage überhaupt irgendein Gefühl zu empfinden. Nach meinem Gefühlsausbruch auf der Intensivstation fühlte ich mich nur noch leer.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich trotzdem beiläufig, obwohl es mich nicht wirklich interessierte, doch ich musste irgendwie von mir ablenken.

„Ähm, hab mich beim Training verletzt“, erklärte er kurz und knapp und fixierte mich weiter mit seinem Blick, was mir deutlich unangenehm war.

„Und was machst du hier?“

Ich zuckte kurz zusammen und zog eine Augenbraue nach oben.

„Wieso interessiert dich das? Solltest du nicht lieber nach Hause gehen und dein… keine Ahnung, dein Bein hoch legen oder so was?“, antwortete ich abweisend und ging an ihm vorbei.

Zu meiner Enttäuschung humpelte er hinter mir her, anstatt mich in Ruhe zu lassen.

„Na ja, ich dachte du könntest mich nach Hause bringen?“, fragte er und grinste schief, während mir nun das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben stand.

Alles, nur das nicht…

„Ich soll was?“, hakte ich ungläubig nach. „Dich nach Hause bringen? Wieso sollte ich das tun?“

„Weil wir Freunde sind und Freunde so was nun mal machen?“, erwiderte er etwas beleidigt und zog die Mundwinkel nach unten… was irgendwie niedlich aussah. Doch ich beschloss hart zu bleiben. Ich hatte keinen Nerv für seine Wehwehchen!

„So, wie sich Freunde gegenseitig in der Schule helfen und der eine dem Anderen Nachhilfe gibt, wenn er Probleme in Mathe hat?“, konterte ich angesäuert und schenkte ihm einen vielsagenden Blick. „Ja, du hast Recht, Sora und Yamato sind wirklich gute Freunde. Und ich würde sie gerne nach Hause bringen, wenn sie mich darum bitten würden.“

Tai stöhnte genervt auf. „Du bist doch nicht ernsthaft beleidigt deswegen?“

„Doch!“, log ich und hoffte, dass ich ihn somit abschütteln konnte. Aber eigentlich war es mir schnurzegal.

„Ach Mimi, komm schon!“, sagte er und humpelte mir weiter hinterher. Man, dieser Typ war echt hartnäckig.

„Wieso bringt dein Freund dich nicht nach Hause? Der, der dich hierhergebracht hat?“

„Der musste los. Und meine Eltern haben keine Zeit. Und ich kann… Au!“, schrie er plötzlich auf und ich wirbelte herum.

„Was ist?“, fragte ich besorgt nach und sah in sein schmerzverzerrtes Gesicht, welches sich sofort in ein Grinsen verwandelte.

„Nichts“, grinste er und sah mich entschuldigend an. „Ich wollte nur wissen, ob du drauf anspringst. Und da ich jetzt weiß, dass du dir Sorgen um mich machst, wäre es doch unverantwortlich von dir, mich einfach hier stehen zu lassen.“

Wie bitte? Das war ja wohl jetzt nicht sein Ernst!

„Boah, du bist dir auch wirklich für nichts zu schade, was Yagami?“

Tai grinste triumphierend und kniff die Augen zusammen. „Bitte, liebste Mimi, bringst du mich nach Hause?“, säuselte er süffisant, woraufhin ich nur genervt seufzte.

„Werd ich dich denn sonst anders los?“, stellte ich die Gegenfrage, die Tai mit einem klaren „Nein!“, beantwortete.
 

Na super! Eigentlich schwirrte mir echt der Kopf und ich hatte überhaupt keinen Nerv darauf, Tai nach Hause zu schleppen. Wobei schleppen nicht das richtige Wort dafür war. Eigentlich schlurfte er mehr oder weniger hinter mir her, während ich meine Schultasche UND seine Trainingstasche trug.

Wir waren ein paar Stationen mit der Straßenbahn gefahren, doch das letzte Stück mussten wir zu Fuß gehen.

„Mein Gott, was hast du da nur drin?“, nörgelte ich und wechselte zum wiederholten Male den Griff. „Backsteine?“

„Es ist so nett von dir, dass du mich nach Hause bringst“, erwiderte Tai stattdessen und grinste sich einen.

„Ja“, sagte ich nur herablassend. „Vor allem nachdem du mich vor unseren Freunden lächerlich gemacht hast!“

Tai stöhnte auf. „Oh man Mimi, das war doch gar nicht so gemeint“, versuchte er sich zu verteidigen und sah mich entschuldigend an. „Ich finde du siehst immer noch sehr… sehr hübsch…“

„Lass gut sein!“, unterbrach ich ihn und sah betrübt zu Boden. „Ich weiß selbst, dass ich mich ziemlich verändert habe.“

Und das war nicht zuletzt wegen IHR. Sie bescherte mir all die schlaflosen Nächte und hinderte mich daran etwas zu essen. Und so wie es aussah, würde das auch noch eine Weile so bleiben…

„Sag mal, was hast du eigentlich wieder angestellt? Sieht nicht so aus, als könntest du in nächster Zeit Luftsprünge machen“, fragte ich Tai mit einem schiefen Lächeln, nur um das Thema zu wechseln. Wenn ich jetzt weiter über sie nachdachte, würde ich mit Sicherheit in Tränen ausbrechen.

„Ach das“, meinte er nur und sah auf sein Bein. „Mich hat jemand beim Training ziemlich hart gekontert und ich bin umgeknickt und auf einem Stein gelandet. Dann hat’s geblutet und höllisch wehgetan. Der Arzt meinte mein Fußgelenk wäre angebrochen, weswegen ich ihn unbedingt die nächsten Wochen ruhig halten sollte.“

„Tja, das war’s dann wohl mit der großen Fußballkarriere“, erwiderte ich trocken, woraufhin Tai eine blöde Grimasse zog.

„Hey, ich bin nur verletzt und nicht tot!“

Ich musste lachen, obwohl er mir eigentlich ein wenig leidtat. Aber das war eben die Rache für vorhin.

„Und du? Was hast du eigentlich im Krankenhaus gemacht?“, fragte er plötzlich, woraufhin ich abrupt stehen blieb. Er drehte sich zu mir um und sah mich fragend an. „Alles okay?“

Schnell schüttelte ich den Kopf. „Ja, alles okay. Ich war nur da, um… äh um…“, stammelte ich herum und merkte schon jetzt, dass er mir nicht glauben würde, wenn ich weiter so vor mich hin stotterte.

„Meine Oma liegt im Krankenhaus und ich wollte sie besuchen.“

„Sah aber nicht nach einem normalen Krankenbesuch aus“, bemerkte er nachdenklich und legte die Stirn in Falten.

Zum Glück wusste er nicht, wie schwitzig meine Handflächen wurden. Es fiel mir nicht leicht zu lügen, das fiel es mir nie. Aber ich hatte keine andere Wahl. Warum musste er mir auch ausgerechnet im Krankenhaus über den Weg laufen?

„Ich will nicht darüber reden“, antwortete ich schnell und einfach deswegen, weil mir nichts Besseres mehr einfiel. Was sollte ich auch sagen?

Dass ich seit ein paar Monaten eine Tochter hatte, die krank war und seit ihrer Geburt im Krankenhaus lag? Dass ich jeden Tag nach der Schule zu ihr ging, um sie zu sehen?

Auf keinen Fall! Eher wäre ich auf der Stelle tot umgefallen, als ihm die Wahrheit zu sagen!

„Okay“, entgegnete er zu meiner Überraschung und ging weiter. „Wenn du nicht darüber reden willst… Reden wir darüber, wann du mich morgen früh abholen wirst.“

Mir verschlug es die Sprache. Was wollte er? Wieso abholen?

„Bitte, w-was?“, stotterte ich und wollte schon fragen, ob ich mich verhört hatte.

„Na ja, du wohnst von allen am nächsten bei mir dran. Und irgendjemand muss mich ja zur Schule bringen. Soll das etwa meine Mama machen? Ich bitte dich…“, sagte er sarkastisch und ich wusste nicht, ob ich entsetzt oder beeindruckt von so viel Dreistigkeit sein sollte.

„Denkst du ernsthaft, ich hol dich morgen von zu Hause ab, um dich zur Schule zu begleiten?“, hakte ich leicht amüsiert nach, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte. „So viel könntest du mir gar nicht bezahlen, dass ich das machen würde.“

„Ha ha, sehr witzig, Tachikawa“, lachte er gespielt auf und grinste dann verwegen.

„Für dich würde auch was dabei rausspringen.“

„Ah ja, und was?“, fragte ich ungläubig nach.

„Na ja“, begann er nachdenklich. „Da ich die nächsten Wochen definitiv kein Fußball spielen kann, könnte ich dir nach der Schule Nachhilfe in Mathe geben.“

Ich musste ja schon ein wenig lachen…

„Sehr nett von dir, danke! Aber falls du es vergessen hast: Sora und Yamato geben mir bereits Nachhilfe.“

„Das ist richtig“, stimme er mir zu. „Allerdings vergisst du, dass ich viel besser in Mathe bin, als Sora und auch als Yamato!“

„Sagt wer?“

„Sage ich!“

Ich konnte es mir nicht länger verkneifen und prustete los. Was dachte er sich eigentlich?

„Lach nicht!“, ermahnte er mich und verzog das Gesicht. „Außerdem müsstest du dann nach der Schule nicht von mir aus erst wieder zu Yamato laufen. Und du wärst nach der Nachhilfe viel schneller zu Hause.“

Also… das durfte doch nicht wahr sein!

„Wer sagt denn, dass ich dich nach der Schule auch wieder nach Hause bringe? Bin ich dein persönlicher Babysitter oder was?“, konterte ich und war fast schon fasziniert von so viel Frechheit.

„Na, das versteht sich ja wohl von selbst!“, antwortete er überheblich und mir klappte der Mund auf.

„Komm, Tachikawa, du musst dir eingestehen, dass dieser Deal gar nicht so schlecht ist. Es springt für uns beide was dabei raus.“

Ich blieb stehen und zog eine Augenbraue nach oben.

Wenn man es genau betrachtete, hatte er im Grunde recht. Auch, wenn ich keine Lust darauf hatte, jeden Morgen und Nachmittag Tai’s persönlichen Pflegedienst zu spielen, war es doch eine Überlegung wert.

Seine Wohnung lag außerdem viel näher am Krankenhaus, als Yamatos Wohnung. Und ich müsste Sora und ihn nicht länger bei ihrem neuen Liebesglück stören…

„Mmh, okay“, sagte ich etwas zögerlich und ein triumphierendes Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Aber ich spiele nicht die Köchin für dich, wechsle dir nicht deinen Verband und trage dich keine Treppen rauf, das kannst du vergessen!“, zählte ich meine Forderungen auf.

„Geht klar!“, stimmte er zu und sah mich mit einem vielsagenden Blick an, der mir irgendwie merkwürdig vorkam. Doch ich beschloss dem keine weitere Beachtung zu schenken.
 

Als ich nach Hause gekommen war, ging ich geradewegs in mein Zimmer. Meine Mutter rief mir zwar irgendetwas hinterher, doch ich hörte ihr nicht zu, sondern sperrte mich direkt in meinem Zimmer ein. Sie sollte nicht sehen, wie es mir ging! Niemand sollte das! Schlimm genug, dass Tai es fast gesehen hätte…

In dieser Nacht tat ich mal wieder kein Auge zu. Immer wieder, wenn ich sie schloss, sah ich sie vor mir… wie sie an all den Schläuchen hängen musste. Dieses arme, kleine Wesen, das niemanden hatte auf der Welt – nicht einmal mich.

Ich wusste nicht, wie lang ich es noch verheimlichen konnte.

Wann würde die Fassade bröckeln? Wann würden meine Freunde dahinterkommen, dass ich vor Monaten nicht nach Amerika umgezogen war, wie ich vorgab? Sondern zu Hause bleiben musste und die Schule einfach nicht mehr besucht hatte, weil ich schwanger war…

Ich hatte niemandem davon erzählt. Nicht einmal meiner besten Freundin, der ich sonst alles anvertraute. Doch jetzt war es zu spät sich noch irgendjemanden anzuvertrauen. IHM hatte ich auch vertraut. Und man sieht ja wohin es mich gebracht hat…

Smaragdgrün

Am nächsten Morgen war mir ziemlich übel, doch ich zwang mich aufzustehen und zur Schule zu gehen. Beziehungsweise zu meinem neuen Pflegekind Tai. Ich war schon jetzt völlig genervt davon und hatte eigentlich keine Lust darauf ihn nach dieser komischen Begegnung im Krankenhaus wieder zu sehen. Aber was sollte ich machen? Deal war nun mal Deal. Außerdem hatte er meinen seltsam wirkenden Auftritt von gestern sicher schon längst vergessen.

Als ich bei ihm klingelte, öffnete seine Mutter mir die Tür.

„Guten Morgen, Frau Yagami“, begrüßte ich sie nett. „Ist Tai schon fertig? Ich wollte ihn abholen.“

„Hallo Mimi, ja ist er. TAAAI“, rief sie hinter sich, ehe sie mich mehr als dankbar ansah. „Es ist so nett von dir, dass du ihn zur Schule bringst.“

„Na ja“, grinste ich. „Einer muss es ja tun.“

„Ach dieser Junge… er weiß gar nicht, was er an dir hat! Du warst immer schon so nett zu ihm, obwohl er manchmal ein richtiger Stinkstiefel ist“, erwiderte Frau Yagami und gab mir Tai’s Schultasche in die Hand, als er auf Krücken an ihr vorbei gehumpelt kam.

„Na, lästerst du wieder über mich?“, sagte er genervt und schenkte mir einen eindeutigen Blick.

„In den höchsten Tönen“, gab seine Mutter süffisant zurück und zwinkerte mir zu.

Ich musste mir ein Lachen verkneifen, während Tai die Augen verdrehte und „Kommst du?“ zu mir sagte. Ich verabschiedete mich höflich von seiner Mutter und ging ihm hinterher.

„Na, heute mit dem falschen Fuß aufgestanden?“, neckte ich ihn.

„Ha ha, sehr witzig!“, grummelte er und humpelte umständlich die Treppen hinunter.

„Warum bringt Kari dich eigentlich nicht zur Schule?“

„Wie soll sie das denn machen?“, meinte er und rollte erneut mit den Augen. Wow! Es war wohl Welt-Augen-roll-Tag. „Sie muss doch selbst zur Schule. Außerdem hab ich dich auserkoren, das zu tun.“

„Ach komm, ich bin doch nur Mittel zum Zweck“, scherzte ich und klopfte ihm auf die Schulter, woraufhin er fast das Gleichgewicht verlor. „Ups! Entschuldigung!“, sagte ich halbherzig, aber dafür amüsiert.

„Man, pass doch auf! Oder willst du, dass ich mir auch noch den anderen Fuß breche?“, schnauzte Tai mich an, woraufhin ich energisch den Kopf schüttelte, mir jedoch ein Grinsen nicht verkneifen konnte.

Tai verengte seine Augen zu Schlitzen und humpelte weiter.

„Pah, von wegen du bist immer nett zu mir“, nuschelte er in sich hinein, während ich kichernd hinter ihm herlief.

Der Tag hatte zwar ziemlich mies begonnen, aber Tai zur Schule zu bringen konnte tatsächlich witziger sein, als ich gedacht hatte…
 

Leider war diese Belustigung vorbei, als ich die Schule betrat.

Die Realität holte mich ein. Ich musste mich auf den Unterricht konzentrieren, Mathe pauken, nett lächeln… obwohl ich doch eigentlich ganz andere Sachen im Kopf hatte. Zum Beispiel meine kleine Tochter, die im Krankenhaus lag und jeden Tag um ihr Leben kämpfte. Allein bei dem Gedanken daran krampfte sich mein Magen zusammen. Wie es ihr jetzt wohl ging?

Sora begrüßte mich wie immer herzlich, als Tai und ich den Flur betraten. Dann sah sie Tai erschrocken an.

„Was hast du denn gemacht?“, fragte sie entsetzt.

„Mimi hat mich verprügelt“, antwortete er darauf trocken, woraufhin ich genervt aufstöhnte und… mit den Augen rollte.

Die Rothaarige stemmte die Arme an die Seite und fühlte sich sichtlich veräppelt.

„Tja und jetzt hat sie ein schlechtes Gewissen und bringt mich jeden Tag zur Schule“, setzte Tai seine, seiner Meinung nach witzige Erklärung fort und grinste mich schief von der Seite her an. „Und auch wieder nach Hause.“

„Ach komm schon, Yagami“, meinte Yamato, der plötzlich hinter uns aufgetaucht war. „Du kannst uns ruhig sagen, dass deine Mutter sie gebeten hat für dich den Babysitter zu spielen.“

Sora kicherte und Tai verzog das Gesicht. „Du bist doch nur neidisch!“

„Worauf?“, grinste der Blonde, als ich ihm Tai’s Schultasche gab, um sie mit rein zu nehmen.

„Du hättest doch nur zu gerne, dass Sora dir die Tasche zur Schule trägt“, konterte Tai und schien plötzlich ernsthaft beleidigt. Yamato kommentierte das jedoch nur mit einem verächtlichen zischen, während die beiden ins Klassenzimmer gingen.
 

„Boah, diese beiden…“, stöhnte Sora grinsend und fing an mich in ein Gespräch zu verwickeln.

Wir standen auf dem Flur und sie erzählte mir von…

Ehrlichgesagt habe ich keine Ahnung, wovon sie mir erzählt hat, denn ich hörte nicht weiter hin. Ich sah sie an, sah wie sie lachte und ihre Augen strahlten. Ich hätte zu gern gewusst, warum sie so glücklich war, doch alles, an was ich denken konnte war das Krankenhaus. Zum zehnten Mal in fünf Minuten holte ich mein Handy raus, um zu sehen, ob ich einen Anruf erhalten hatte. Doch es kam nichts. Keine Nachrichten waren in dem Falle gute Nachrichten.

„Sag mal, was stierst du die ganze Zeit auf dein Handy?“, hörte ich Sora plötzlich fragen, was mich überrascht aufsehen ließ.

„Ach…“, antwortete ich und steckte es eilig wieder weg. „Nicht so wichtig.“

Sora machte ein nachdenkliches Gesicht, grinste mich jedoch dann breit an.

„Also, was hältst du von der Idee?“, wollte sie wissen und sah mich mit großen Augen an.

„Von welcher Idee?“

Ich hatte keine Ahnung, worum es ging!

Sora lachte. „Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?“

Weil ich sie nicht vor den Kopf stoßen wollte, rang ich mir ein verlegenes Kichern ab.

„Ich hab dich gefragt, ob wir nach dem Shoppen noch zum Friseur gehen sollen?“

„Achso“, antwortete ich und dachte nach. Eigentlich war mir noch nicht mal zum Einkaufen zumute und dann sollte ich auch noch zum Friseur gehen?

Ich nahm eine meiner Haarsträhnen in die Hand und betrachtete sie kritisch.

Vielleicht sollte ich mich doch einfach mal dazu durchringen. Sie waren inzwischen viel zu lang geworden und bekamen schon Spliss.

„Wär mal nicht schlecht. Ich hab es die letzten Monate nie geschafft mir die Haare schneiden zu lassen.“ Was tatsächlich mal nicht gelogen war.

„Super! Ich könnte auch mal wieder einen neuen Schnitt gebrauchen“, jubelte Sora und freute sich wie ein Honigkuchenpferd, was eigentlich mein Part hätte sein müssen. Sie war immerhin die erste Person seit Monaten, die mich auf andere Gedanken brachte. Oder es zumindest versuchte.
 

Der Schultag verging zu meinem Glück ziemlich schnell, so, dass ich mich, wie abgemacht, schon bald wieder mit meinem neuen Anhängsel auf dem Heimweg befand.

Früher hätte es mir nichts ausgemacht ihn nach Hause zu begleiten. Ich mochte Tai.

Wir kannten uns schon ziemlich lange und selbst als ich für ein paar Jahre in den USA gelebt hatte, hatten wir den Kontakt nie ganz verloren.

Doch inzwischen war es fast so, als hätte sich irgendwas verändert. Tai machte zwar immer noch seine blöden Witze, doch irgendwie fühlte ich mich nicht besonders wohl in seiner Gegenwart. Was wahrscheinlich damit zusammenhing, dass er mich äußerst aufgelöst im Krankenhaus gesehen hatte…

„Was ziehst du eigentlich für ein blödes Gesicht?“, fragte er schroff und riss mich somit aus meinen Gedanken.

Ich sah ihn verwundert an. „Was?“

„Du könntest wenigstens so tun, als würde es dir Freude machen, mich nach Hause zu bringen“, sagte er und zog eine Schnute.

„Es macht mir aber keine Freude!“, entgegnete ich und zog eine Augenbraue nach oben.

Ich hätte weitaus besseres zu tun.

„Trotzdem!“, erwiderte er leicht beleidigt. „Wir könnten doch wenigstens etwas Spaß haben.“

Abrupt blieb ich stehen und sah ihn an, während er sich verwundert zu mir umdrehte.

„Was denn?“

„Sag mal“, begann ich und musterte ihn irritiert. „Versuchst du insgeheim einen Ersatz für Sora und Yamato zu finden, weil die Beiden nicht mehr so viel Zeit für dich haben?“

Tai stutzte und runzelte sie Stirn. „Wie kommst du denn darauf?“

„Naja“, meinte ich und sah ihn weiterhin fragend an. „Erst nötigst du mich dazu, deinen Pflegedienst zu spielen, dann überredest du mich dazu mit dir Mathe zu pauken, anstatt mit Yamato und Sora…“

Tai zischte. „So ein Quatsch!“

„Bist du einsam, Tai?“, fragte ich ihn frei heraus, verzog dabei jedoch keine Miene.

Tai klappte beinahe der Mund auf und er starrte mich ungläubig an, bis er plötzlich anfing zu lachen.

„Was spinnst du dir da zusammen, Mimi?“

Keine Ahnung, was es da zu lachen gab, aber für mich schien das alles völlig logisch zu sein.

Seine besten Freunde hatten nicht mehr viel Zeit für ihn. Sicher fühlte er sich ausgeschlossen und versuchte dieses Loch jetzt durch mich zu stopfen.

Er humpelte auf mich zu und legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Glaub mir, Mimi“, begann er und grinste mich breit an. „Wenn ich einsam wäre und Nähe bräuchte, würde ich Izzy anrufen!“

Bitte was? Arroganter Blödmann!

Unsanft schob ich seine Hand von meiner Schulter und funkelte ihn böse an.

„Pfft! Dann ruf ihn doch an und frag IHN, ob er dir deine bescheuerte Tasche nach Hause trägt, die im Übrigen scheiße schwer ist und die ich dir gleich gegen dein gesundes Bein haue!“, giftete ich ihn an.

Was jedoch Tai nicht dazu veranlasste weniger zu grinsen.

„Geht doch!“, sagte er, was mich nur noch mehr verwirrte.

„Was soll das heißen?“, fragte ich immer noch verdammt angesäuert nach.

Sein Grinsen wurde noch breiter – wenn das überhaupt noch ging.

„Ich wollte nur mal sehen, ob da irgendwo noch die alte Mimi ist.“

Das Herz rutschte mir augenblicklich in die Hose und ich sah ihn verdattert an.

Das war ein Witz? Ein Witz, den er gemacht hatte, damit ich sauer auf ihn wurde?

Bevor ich noch irgendetwas darauf erwidern konnte, drehte er sich um und ging humpelte weiter.

„Was ist? Kommst du jetzt? Oder soll ich Izzy doch noch anrufen?“, fragte er und schenkte mir ein amüsiertes Lächeln.

Ich blinzelte ein paar Mal und versuchte mich wieder zu sammeln, während ich mit Erstaunen feststellte, dass ich gar nicht mehr sauer auf ihn war, wegen des blöden Spruches.

Die alte Mimi? Was meinte er damit? Hatte ich mich inzwischen so sehr verändert?
 

„Mach`s gut, Tai. Den Rest schaffst du alleine“, sagte ich zum Abschied und drückte ihm seine Tasche in die Hand, als er mich verwundert ansah.

„Ich dachte, wir lernen Mathe zusammen.“

„Ja, vielleicht morgen. Heute bin ich mit Sora verabredet.“

„Das hättest du mir ruhig mal früher sagen können“, entgegnete er gespielt ernst. „Ich habe extra alle meine Dates für heute abgesagt.“

„Ja, genau – als ob!“, grinste ich triumphierend und wollte schon gehen.

„Was macht ihr denn?“, wollte Tai jedoch noch wissen, woraufhin ich mich noch ein Mal umdrehte.

„Wir wollen shoppen gehen. Das weißt du doch.“

„Achja, da war ja was…“, meinte Tai nur nachdenklich und schenkte mir ein Lächeln. Ein Lächeln, welches mich zugegebener Maßen leicht irritierte.

„Das wird dir sicher gut tun“, sagte er und machte damit meine Irritation komplett. Sein ganzes Verhalten erschien mir plötzlich äußerst verwunderlich. Erst machte er blöde Witze und dann war er plötzlich so… nett. Und irgendwie… süß.

„Ja, kann sein“, antwortete ich nur knapp, um diesem Gespräch endlich zu entfliehen. „Also dann, bis morgen.“
 

„Mimi, du siehst fabelhaft aus!“, jubelte Sora und klatschte begeistert in die Hände.

„Ja, findest du?“, fragte ich etwas unsicher und betrachtete mein neues Ich im Spiegel.

„Ich bin begeistert, was so ein Haarschnitt bewirken kann“, fügte sie noch hinzu und stellte sich hinter mich. Sie spielte ein wenig mit meinen Haarsträhnen und lächelte mich durch den Spiegel hindurch an.

„Wie fühlst du dich?“

„Ich weiß nicht“, gestand ich ihr und konnte fast nicht glauben, dass ich dieses Mädchen war, welches mich da anblickte… und so hübsch aussah.

Sora hatte mich dazu überredet mal etwas zu wagen und sie meinte, eine positive Veränderung würde mir sicher guttun, also… ließ ich mir kurzerhand die Haare abschneiden. Meine Naturhaarfarbe behielt ich, doch sie waren jetzt viel kürzer als vorher und fielen mir in kleinen Wellen auf meine Schultern.

„Ich muss mich noch daran gewöhnen, aber…“, begann ich zögerlich und lächelte schließlich zurück. „Ich denke, es gefällt mir.“

Ein breites Lächeln bildete sich auf Soras Gesicht und sie umarmte mich von hinten. „Das freut mich, Mimi.“

Wir gingen zur Kasse und bezahlten.

„Und, was machen wir jetzt?“, fragte ich und betrachtete unsere vielen Einkaufstüten. Irre, wie viel ich bereits eingekauft hatte.

„Hmm“, überlegte Sora und schenkte mir ein vielsagendes Grinsen. „Du brauchst noch ein Kleid.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben und sah sie skeptisch an. „Wofür?“ Ich hatte nicht vor in nächster Zeit auszugehen.

„Matt gibt am Wochenende ein Konzert. Und ich möchte, dass du mitkommst.“

Okay, anscheinend hatte ich doch vor in nächster Zeit auszugehen. Nach all dem, was Sora für mich getan hatte, konnte ich ihr diesen Wunsch unmöglich abschlagen. Auch, wenn mir eher danach war, mich in mein Bett zu legen und mir die Decke über den Kopf zu ziehen.

„Okay“, erwiderte ich deswegen nur und zuckte mit den Schultern.

Wieder strahlte sie mich an und ich bekam prompt ein schlechtes Gewissen, weil ich ihre Euphorie nur schlecht teilen konnte.

Jetzt reiß dich mal zusammen, Mimi. Und streng dich etwas mehr an! – ermahnte ich mich im Kopf und zwang mich zu einem Lächeln.

Meine beste Freundin steuerte mit mir direkt das nächste Geschäft an, was mich ein wenig stutzen ließ.

„Sora, meinst du nicht, das ist etwas zu teuer?“, hakte ich skeptisch nach, woraufhin Sora nur schief grinste.

„Seit wann ist für dich etwas zu teuer? Früher hast du doch auch die Kreditkarte deines Vaters glühen lassen.“

Richtig! Früher.

Früher lebte ich verschwenderisch und rücksichtslos, was das Geld meines Vaters anbelangte. Allerdings wurde mir dieser Geldhahn schon vor Monaten zugedreht. Als Druckmittel, als Strafe, keine Ahnung, was er sich davon versprach. Er hatte mir die Kreditkarte zwar nicht weggenommen, aber er hatte mir ausdrücklich verboten, sie zu benutzen. Mein Taschengeld war jedenfalls aufgebraucht, ein teures Kleid konnte ich mir definitiv nicht leisten. Wahrscheinlich musste ich mich bald um einen Nebenjob bemühen… doch für heute beschloss ich einfach auf das Verbot meines Vaters zu pfeifen und einfach mal etwas für mich zu tun. Nachdem, was er mir die letzten Monate zugemutet hatte, war das ja wohl das Mindeste.

„Na gut“, willigte ich schließlich ein und schob mein schlechtes Gewissen sofort beiseite. Ich wusste, das würde Ärger geben, doch das war mir in dem Moment egal.

Wir gingen in den Laden und mein Blick fiel sofort auf ein enges, smaragdgrünes Kleid, welches mich anfunkelte.

Sora folgte meinen Augen und grinste mich an.

„Willst du es anprobieren?“
 

Ich zupfte nervös an dem Saum des knappen Kleides und… verdammt, wie knapp es war. Schulterfrei und nicht mal bis zu den Knien. Früher hätte mich das nicht abgeschreckt, im Gegenteil. Doch ich konnte nicht verhindern, dass ich mich plötzlich ungewohnt nackt fühlte.

„Es steht dir“, meinte Sora, als sie mich von oben bis unten betrachtete. „Nicht jeder kann diese Farbe tragen. Nur die Schuhe solltest du noch austauschen.“

Verlegen betrachtete ich meine alten Sneakers, die so gar nicht Lady-like waren.

„Ich weiß nicht…“, meinte ich nur unsicher. „Findest du das nicht etwas zu schick, für ein Konzert?“

„Nein, gar nicht, im Gegenteil“, erwiderte Sora kopfschüttelnd. „Die Band tritt diesmal in einer Bar auf.“

Sie lächelte, ging auf mich zu und fasste mich an den Schultern, so dass wir uns in die Augen sahen.

„Du siehst toll aus, Mimi und das darfst du auch ruhig zeigen.“

Ich musste lächeln. Früher hätte sie mir das nicht zwei Mal sagen müssen – kein Mal!

Aber es hatte sich nun mal in der Zwischenzeit einiges verändert. Dinge, wie Haarschnitte und schicke Kleider waren plötzlich nicht mehr wichtig. Ich betrachtete mich im Spiegel, musste mir allerdings eingestehen, dass mir dieses Kleid mehr als gut gefiel. Es war mit Abstand das Schönste, was ich in den letzten Monaten getragen hatte.

„Okay“, sagte ich und grinste mich selbst an. „Ich nehme es.“

„Gute Wahl“, bestätigte Sora eifrig nickend.

Wir gingen zur Kasse und ich reichte der Kassiererin die goldene Kreditkarte meines Vaters.

Das roch nach Ärger – dieses Kleid war unverschämt teuer!

Doch verdammt! Er konnte mich mal! Ich hatte mir dieses verdammte Kleid verdient! Punkt.

Zufrieden mit mir selbst und über meine innere Rebellion steckte ich die Kreditkarte wieder weg.

„Wow, das hat gut getan“, seufzte ich und strahlte meine Freundin an. Diese jedoch hatte keine Augen für mich, sondern stierte stirnrunzelnd an mir vorbei.

Wo sah sie denn hin?

Neugierig folgte ich ihrem Blick und als ich sah, was sie sah, blieb mir beinahe die Spucke weg. Mein Mund klappte auf.

Vor den Umkleidekabinen stand ein Mädchen. Sie probierte exakt das gleiche smaragdgrüne Kleid an, welches ich mir gerade gekauft hatte. Lächelnd drehte sie sich vor dem Spiegel hin und her, als ihr Freund sie in seine Arme zog und sie sanft am Hals küsste, während sie verlegen kicherte.

Ich wandte mich wieder Sora zu und wollte sie gerade fragen, ob sie gesehen hatte, was ich sah, doch das war nicht nötig. Ihre Blicke sprachen Bände.

Denn das Problem war nicht, dass sie das gleiche Kleid trug, wie ich, sondern der Junge an ihrer Seite.

„Wer ist dieses Mädchen?“, fragte sie mich schockiert.

Strafe

„Einen wunderschönen guten Morgen, Taichi“, säuselte ich vergnügt, als Tai die Tür öffnete. Wie abgemacht holte ich ihn auch an diesem Morgen ab, um ihn zur Schule zu begleiten. Tai kickte seine Tasche nach draußen und humpelte mit seinen Krücken hinterher. „Einen wunderschönen guten Morgen? Das sind ja ganz neue Töne. Bist du krank?“, grummelte er bezüglich meiner frohen Begrüßung, ehe er das erste Mal den Blick hob und mich richtig ansah. Man konnte förmlich sehen, wie er kurz stockte und innehielt, mich von oben bis unten betrachtete.

Ich grinste. „Was ist?“

„Bist du das?“, fragte er fassungslos, was mich irgendwie verunsicherte. War das jetzt ein gutes oder ein schlechtes Zeichen.

„Ja, ich bins“, erwiderte ich leicht verlegen und fummelte an meinen nun viel kürzeren, gewellten Haaren herum. „Sieht ganz anders aus, nicht?“

Oh nein. Gleich würde sicher wieder irgendein dämlicher Spruch kommen.

Konnte er mir nicht einfach mal ein Kompliment machen und sagen, dass ich gut aussah, so wie es normale Menschen taten?

Innerlich ärgerte ich mich schon, dass ich ihn eben so freundlich begrüßt hatte, doch dann bemerkte ich, wie er mich anlächelte.

„Da hast du recht, aber es steht dir wirklich gut.“

Was?

Hatte ich mich da gerade verhört?

Taichi Yagami hatte mir gerade wirklich gesagt, dass ich gut aussah? Es geschehen doch noch Zeichen und Wunder.

Ich grinste verlegen und brachte ein schüchternes „Danke“ über die Lippen.

Wie albern! Ich war doch nicht in ihn verliebt oder so was! Also warum stellte ich mich hier gerade an, wie ein kleines Mädchen?

Doch dann dachte ich daran, wie direkt und unverblümt er mir neulich seine Meinung bezüglich meines Aussehens gesagt hatte und dass ich wahrscheinlich deswegen so gespannt auf seine Reaktion war. Denn bei ihm wusste ich, dass er es ehrlich meinte. Auch, wenn es nicht immer das war, was ich hören wollte…

„Und?“, meinte er plötzlich und sah mich fragend an. „Hast du dir auch was zu essen eingepackt?“

Ich stutzte und sah überrascht zu ihm auf. „Was?“

„Na ja“, begann er schulterzuckend und sah mich an. „Mir ist aufgefallen, dass du in der Pause immer nichts isst. Wenn ich dir nicht gerade meinen Teller rüber schiebe…“

Er grinste zwar, doch mir war gerade gar nicht nach Grinsen zumute. Was sollte denn das schon wieder? Wollte er mich hier gerade wieder aufziehen oder hatte er ernsthaft Interesse an meinem Essverhalten?

Ich hob seine Tasche auf und zuckte mit den Schultern.

„Nein, hab vergessen, mir was einzupacken“, log ich ohne rot zu werden. Darin hatte ich inzwischen wirklich Übung.

Tai zog eine Augenbraue nach oben und verschwand wortlos wieder in die Wohnung.

„Hey, wo willst du denn hin? Wir müssen los!“, rief ich ihm hinterher, doch ehe ich mich versah, war er auch schon wieder da.

Er war wirklich der schnellste Einbeinige, den ich kannte.

„Hier“, sagte er und hielt mir eine Papiertüte entgegen.

Ich runzelte die Stirn und sah ihn skeptisch an.

„Du hast Glück. Kari hat heute Morgen ihr Frühstück vergessen. Du kannst es haben. Später isst das sowieso niemand mehr“, erklärte er mir, hielt mir weiter die Tüte unter die Nase und wartete darauf, dass ich sie entgegennahm.

„Ähm, also… danke, Tai“, entgegnete ich etwas schüchtern und packte das Essen in meine Tasche. Ob ich es essen würde oder nicht, war erst mal dahingestellt, aber ich war definitiv überrascht über diese nette Geste. Und ein wenig gerührt…

Dennoch war mir diese Situation irgendwie unangenehm, also kicherte ich auf den Weg nach unten unsicher und sah ihn irritiert an. „Also erst schiebst du mir dein Essen zu und jetzt gibst du mir auch noch ein komplettes Frühstück mit? Man könnte meinen, du machst dir Sorgen um mich.“

Tai grinste, während ich ihm die Eingangstür aufhielt. Er sagte nichts mehr dazu…
 

Immer wieder schielte ich während des Unterrichts auf mein Handy.

Während der Pause hatte ich heimlich im Krankenhaus angerufen, um mich zu vergewissern, dass es ihr gut ging. Sie lag immer noch auf der Intensivstation und ich durfte nicht zu ihr. Ich hoffte sehr, dass sich das bald ändern würde… Obwohl es wahrscheinlich besser war, sie eine Weile nicht zu sehen – für uns beide. Am Telefon erklärten sie mir, dass alles in Ordnung sei und dass ich mir keine Sorgen machen bräuchte. Das war leichter gesagt als getan. Ich wusste, dass sie dort unter konstanter Beobachtung und in den besten Händen war, doch es fühlte sich trotzdem nicht gut an, sie so alleine zu lassen. Manchmal war ich einfach hin und hergerissen…

Zum dritten Mal in dieser Stunde drückte ich auf die Sperrtaste meines Handys.

Kein Anruf.

Ein gutes Zeichen.

Ich atmete erleichtert aus, als die Schulglocke auch schon das Ende des Schultages ankündigte. Irgendwie hatte ich keine Lust aufzustehen. Lieber wäre ich an dem Stuhl festgewachsen als wieder nach Hause zu gehen. Aber vorher musste ich noch zu Tai und mit ihm für die Klausur lernen, worauf ich ebenso wenig Lust verspürte.

„Musst du nachsitzen oder warum packst du deine Sachen nicht ein?“

Ich sah überrascht auf. Erst jetzt bemerkte ich, dass Izzy mit gepackter Schultasche vor mir stand und auch alle anderen schon gegangen waren.

Wie peinlich. Warum saß ich hier noch rum? Musste doch merkwürdig wirken und merkwürdig wirken war momentan wirklich mein letztes Ziel. Izzy sah mich fragend an.

„Oh, sorry… ich hab geträumt“, kicherte ich unschuldig und packte schnell alle Bücher ein.

„Nett, dass du auf mich gewartet hast. Hättest du aber nicht machen müssen. Ich bin sowieso noch mit Tai verabredet“, erzählte ich ihm auf dem Weg nach unten.

„Mit Tai, achso?“, hakte Izzy verwirrt nach.

„Ja, er gibt mir jetzt Nachhilfe. Ich weiß, Sora und Yamato haben das gemacht, aber ich will ihnen nicht länger zur Last fallen. Sie brauchen ein wenig Zeit für sich alleine…“

Izzy runzelte die Stirn.

„Ich wundere mich nur, warum er dir plötzlich hilft. Schließlich war er ja nicht sehr begeistert davon…“

Hmm, da hatte er recht. Es war schon ein wenig eigenartig, aber ehrlichgesagt konnte und wollte ich mir in der momentanen Situation keine Gedanken darüber machen. Ich hatte wirklich genug um die Ohren und war froh, dass mir überhaupt jemand Nachhilfe anbot.

Obwohl auch Sora recht überrascht war, als ich ihr von Tais Angebot erzählte. Doch wir schoben es beide der Tatsache zu, dass er ja im Augenblick am Fuß verletzt war, nicht trainieren konnte und daher auch mehr Zeit hatte. Ihr jedenfalls kam dieser Umstand recht entgegen… auch, wenn sie es nicht zugeben wollte.

„Man, da bist du ja. Ich warte hier schon seit Stunden“, rief Tai mir entgegen, als wir endlich das Schulgebäude verließen.

Tut mir leid, aber ich musste einfach laut aufstöhnen bei dieser Bemerkung. Immer diese Übertreibungen.

„Wow, und du bist noch nicht verhungert!“, konterte ich, woraufhin Izzy lachte.

„Ich merke schon, ihr werdet viel Spaß bei der Nachhilfe haben.“

Ja, ich auch…

„Also dann, bis morgen“, verabschiedete er sich und ging.

„So, wollen wir dann?“, fragte Tai und sah mich auffordernd an.

Ich warf ihm einen unsicheren Blick zu, während er loshumpelte. Sollte ich ihm davon erzählen?

Schnell schüttelte ich den Kopf, nahm seine Tasche und folgte ihm…
 

Es war wirklich erstaunlich!

Wir saßen nun schon seit über einer Stunde in seinem Zimmer und lernten und ich weiß nicht, woran es lag, aber irgendwie verstand ich unerwartet viel für meine Verhältnisse.

Es fiel mir schwer, das zuzugeben, aber Tai war wirklich ein guter Nachhilfelehrer. Er strahlte beim Lernen so eine Ruhe aus und erstaunlicherweise konnte er die Dinge verdammt gut erklären.

Yamato war toll, wirklich. Aber Tai war ein Mathegenie. Da hatte er ausnahmsweise mal nicht übertrieben.

„Warum verschwendest du eigentlich deine Zeit mit Sport, wo du doch dein Taschengeld damit aufstocken könntest, dummen Schülern wie mir Nachhilfe zu geben?“, fragte ich ihn irgendwann beiläufig, während ich mir Notizen machte.

„Soll das heißen, du willst mich hierfür bezahlen?“, erwiderte er nur tonlos und konzentrierte sich weiter auf die nächsten Aufgaben, während ich schrieb.

Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Das hab ich nicht gesagt. Eigentlich war das eher als Kompliment gemeint. Hätte ich gewusst, dass du SO gut in Mathe bist, hätte ich dich schon eher dazu genötigt mir Nachhilfe zu geben.“

Er lachte und griff nach meinem Zettel.

„Danke. Na dann zeig mal, was du hast.“

Aufmerksam laß er sich die Aufgaben durch und kaute währenddessen auf seinem Bleistift rum. Das tat er immer, wenn er nachdachte, das fiel mir bereits jetzt auf. Gespannt und unsicher zugleich sah ich ihn an, als er von meinem Blatt aufblickte und mich verwundert ansah.

„Wirklich gut, Mimi. Ein paar kleine Fehler noch, aber das kriegen wir auch noch in den Griff.“

Oh mein Gott! Ich weiß, es war völlig übertrieben, aber ich hätte platzen können vor Stolz.

Am liebsten wäre ich ihm direkt um den Hals gefallen, aber das wäre nun WIRKLICH übertrieben gewesen, also wiederstand ich dem Drang.

Dennoch machte sich Begeisterung auf meinem Gesicht breit, als plötzlich mein Handy klingelte.

Ich hatte meinem Vater einen besonderen Klingelton zugeordnet, deswegen erkannte ich sofort, dass er anrief und überlegte kurz, ob ich überhaupt rangehen sollte.

„Willst du nicht rangehen?“, meinte Tai und deutete auf meine Tasche, als das Klingeln auch schon aufhörte.

Erleichtert atmete ich aus. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich plötzlich wie unter Storm stand. Doch das Gefühl der Erleichterung war nicht von Dauer, denn zwei Sekunden später klingelte es erneut, was mich direkt zusammenzucken ließ. Was wollte er denn?

„Da versucht wohl jemand dringend dich zu erreichen…“, merkte Tai an.

So ein Mist. Jetzt musste ich einfach rangehen. Er würde sowieso nicht lockerlassen.

Ich kramte das Handy aus meiner Tasche hervor und hob angespannt ab.

„Ja?“

„Wo steckst du, Mimi?“

Oh, er klang wütend.

„Ich…“, setzte ich an, doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.

„Komm sofort nach Hause, wir haben etwas zu besprechen“, befahl er mir im strengen Ton und sofort drehte sich mir der Magen um.

„Aber ich bin gerade bei der Nachhilfe und wir sind noch nicht fertig“, protestierte ich, wusste jedoch genau in diesem Moment, dass es sowieso keinen Sinn hatte mit ihm zu diskutieren.

„Du kommst nach Hause! Jetzt!“, sagte er stinksauer und legte auf.

Ich wusste gar nicht was ich zuerst fühlen sollte, als ich auflegte. Wut, dass er mich so angeschrien hatte? Scham, dass Tai das Gespräch mitgekriegt hatte? Oder sollte ich mich lieber fragen, was er von mir wollte?

Was auch immer, es war mir sichtlich unangenehm, als ich eilig meine Sachen zusammenpackte, das entging wohl auch Tai nicht.

„Tut mir echt leid, aber ich muss nach Hause.“

„Was war denn los? War das dein Vater?“, fragte Tai irritiert nach, während ich damit beschäftigt war seinem Blick auszuweichen. Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und zog meine Jacke an.

„Ja… tut mir echt leid.“

„Ist schon okay, lass uns einfach morgen weitermachen“, sagte Tai verständnisvoll.

„Ja…“

Wenn ich dann noch leben würde…

Ich hatte das ungute Gefühl, dass zu Hause Ärger auf mich wartete. Und ich konnte mir auch schon denken, warum…
 

Mit weichen Knien betrat ich die Wohnung und wappnete mich innerlich gegen die Moralpredigt, die ich gleich zu hören bekommen würde.

Meine Eltern erwarteten mich bereits im Wohnzimmer. Für eine nette Begrüßung blieb keine Zeit, denn mein Vater kam direkt auf mich zu und hielt mir einen Zettel unter die Nase.

„Kannst du mir das bitte mal erklären?“

Ja. Ich wusste, dass würde noch Ärger geben.

„Über 100.000 Yen? Hast du den Verstand verloren, Mimi?“, schrie er mich weiter an.

Es war so klar, dass er mir deswegen eine Szene machen würde.

„Ach, komm schon“, sagte ich und versuchte nach außen hin so gelassen wie möglich zu wirken. „Als ob es dich stören würde. Du hast doch genug Geld, seit du in der Firma so aufgestiegen bist.“

Ups. Das hätte ich wohl lieber nicht sagen sollen, das wurde mir in dem Moment bewusst, als ich es ausgesprochen hatte. Sein Blick verfinsterte sich.

Ich warf einen Blick zu meiner Mutter. Hilfesuchend sah sie zwischen mir und meinem Vater hin und her. Sie stand mal wieder zwischen den Stühlen.

„Und was hast du dir bitte von diesem Geld gekauft, wenn man fragen darf?“, fragte mein Vater bissig und fixierte mich mit seinem Blick.

Ich zuckte mit den Schultern.

„Ein Kleid.“

„Ein Kleid?“

„Ja, ein Kleid.“

Wenn er jetzt von mir wollte, dass ich es zurückbrachte, dann hatte er sich geschnitten. Lieber würde ich es als Putzlappen verwenden, als es zurück zu bringen. Das wusste er anscheinend auch, denn er hielt lediglich die Hand auf.

„Gib mir deine Kreditkarte.“

Zähneknirschend kramte ich in meiner Tasche, hielt jedoch seinem Blick stand, als ich sie ihm in die Hand drückte.

„Ach Keisuke, meinst du, das ist wirklich nötig?“, mischte sich nun doch meine Mutter ein und beobachtete weiterhin das Blickduell, welches ich und mein Vater uns gerade lieferten.

„Das ist nur zu ihrem Besten. Das wird sie irgendwann auch noch einsehen“, erwiderte er ihr, ohne sie dabei anzusehen.

Ich drehte mich um und verschwand wie so oft mit einem lauten Knall in meinem Zimmer, während mein Vater mir noch hinterherrief, dass ich ab jetzt Hausarrest hatte.

Doch das war mir egal. Ich kannte diese Streitereien zur Genüge und seine Sanktionen zogen längst nicht mehr bei mir.

Aber es war ja alles immer nur zu meinem Besten. Nur zu meinem BESTEN!

Ich konnte diese Leier nicht mehr hören! Alles geschah hier immer nur zu meinem Besten und trotzdem merkte er nicht, was er mir damit antat. Er nahm mir mein Leben weg, Stück für Stück. Und das nur, um mich für eine Sache zu bestrafen, für die ich nichts konnte.

Denn ich hatte mich verliebt.

In den Falschen.

Und das würde er mich wahrscheinlich für den Rest meines Lebens spüren lassen. So, wie er es mich jeden Tag spüren ließ. So, wie er es meine Tochter spüren ließ…

Rebellion

Ich stand vor meinem Spiegel und beäugte mich kritisch, drehte mich hin und her. Es war das erste Mal seit Monaten, dass ich vor hatte auszugehen. Die Tatsache, dass ich eigentlich für diese Woche Hausarrest hatte interessierte mich dabei wenig. Was mich ärgerte war, dass ich mich zumindest am Tag daran halten musste und daher nicht zur Nachhilfe gehen konnte, da mein Vater genau darauf achtete, dass ich pünktlich von der Schule nach Hause kam. Für Tai hatte ich mir eine Ausrede einfallen lassen, nämlich dass mein Vater auf Geschäftsreise war und ich daher meiner Mutter im Haushalt und beim Einkaufen zur Hand gehen musste. Und da war ja auch noch die kranke Oma, die ich regelmäßig im Krankenhaus besuchen wollte…

Ich seufzte, als ich daran dachte. Immer diese Ausreden und Lügen. Das Erschreckende dabei war, dass es mir inzwischen erstaunlich leichtfiel. Die Lügen waren zu meinem Alltag geworden und ich schämte mich für diese Tatsache.

Dafür, dass sie mich so weit getrieben hatten, dass ich selbst meine besten Freunde anlog, nur um mich und meine Familie nicht in Verruf zu bringen. Wo war das Mädchen nur hin, das so ehrlich war, dass diese Aufrichtigkeit nichts erschüttern konnte?

Immer noch stand ich vor meinem Spiegel. Ich hatte das schöne smaragdgrüne Kleid an, was mich eine Woche Hausarrest und meine Kreditkarte gekostet hatte, meine Haare saßen perfekt und das erste Mal seit Monaten sah ich meinem früheren Ich ziemlich ähnlich.

Und doch erkannte ich mich nicht wieder…

Eigentlich traurig.

Ich seufzte, als mein Handy vibrierte.

„Bin gleich da, um dich abzuholen. Hoffe, du bist fertig. ;)“

Sora, oh nein!

Sie durfte auf keinen Fall bei mir klingeln!

Als aller erstes, weil meine Eltern sonst spitzkriegen würden, dass ich auf eine Party gehen wollte und zweitens, weil wir in der Theorie eine ganz andere Wohnung haben sollten – laut meiner Lüge bezüglich des Umzugs.

Eilig schrieb ich ihr zurück.

„Mach dir keine Mühe, ich bin lange noch nicht fertig. Wer schön sein will, braucht eben seine Zeit ;) Geh schon mal vor.“

Okay, das wäre erledigt. Außerdem musste ich eh noch warten, bis meine Eltern im Bett waren, was hoffentlich bald der Fall sein würde.

Fertig gestylt legte ich mich in meinem Partyoutfit ins Bett und zog mir die Decke über den Kopf. Nicht, weil ich es mir anders überlegt hatte, sondern weil meine Mutter seit meinem „kleinen Geheimnis“ die nervige Angewohnheit hatte, noch mal einen Blick in mein Zimmer zu werfen, bevor sie ins Bett ging.

Also tat ich einfach so, als würde ich schlafen und wartete.

Es dauerte auch gar nicht lange bis sie, wie immer, ihren Kopf durch die Tür steckte.

Das Licht war aus. Ich schlief bereits tief und fest. Dachte sie.

Leise schloss sie die Tür hinter sich. Sofort sprang ich auf und hielt mein Ohr daran. Als ich endlich hören konnte, wie meine Eltern die Tür zu ihrem Schlafzimmer schlossen, öffnete ich leise meine, schnappte meine Schuhe und ging auf Zehenspitzen durch die Wohnung.

Ich würde zurück sein, ehe sie etwas bemerken würden… wenn nicht genau in dem Moment die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern aufgegangen wäre und meine Mutter mich in flagranti erwischt hätte.

Ich erstarrte augenblicklich in meiner Bewegung und sah sie mit großen Augen an.

Sie musterte mich von oben bis unten, erkannte, dass ich ein Kleid trug und ganz offensichtlich vorhatte, mich davon zu schleichen.

Sie warf einen Blick nach hinten, mein Vater hatte anscheinend noch nichts bemerkt. Sie sah wieder zu mir. Vermutlich wäre es klug gewesen sich zu entschuldigen, aufrichtige Reue zu zeigen und wieder in mein Zimmer zu gehen, um größeres Unheil zu vermeiden. Doch statt Reue machte sich Trotz in mir breit.

Oh nein, nicht heute!

Mein Blick verfestigte sich und ich straffte meine Schultern. Sollte sie mich doch verpetzen. Was konnten sie mir denn noch wegnehmen? Dann sollten sie mir eben noch eine Woche Hausarrest geben, es war mir egal. Trotzig sah ich sie an. Das wäre der Moment gewesen, wo sie hätte meinem Vater Bescheid sagen müssen, denn sie wusste ganz genau, was ich vorhatte. Doch sie tat es nicht… Ich wandte meinen Blick von ihr ab und tat das, was ich hätte schon längst hätte tun sollen. Ich ging einfach.
 

In der Bar war es laut und belebt, aber Sora hatte nicht untertrieben. Diese Bar war tatsächlich etwas ganz Anderes, als die üblichen kleinen „Keller“, wie ich sie so gern bezeichnete, in der Yamato und seine Band sonst auftraten. Ich war sogar ein wenig beeindruckt, denn so wie es aussah, hatten sie es inzwischen geschafft, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen.

„Mimi, da bist du ja endlich! Wo warst du denn so lang?“

Ich grinste, als ich sie umarmte. Erst war ich ja gegen diesen Abend gewesen, aber jetzt freute ich mich irgendwie hier zu sein. Fast, wie früher…

„Ich sagte doch, Schönheit braucht eben Zeit.“

Sie schenkte mir ein Lächeln und musterte mich anerkennend von oben bis unten.

„Hat sich auf jeden Fall gelohnt, das Kleid zu kaufen.“

Ja, die Woche Hausarrest hat sich wirklich gelohnt.

Ich richtete meinen Blick zu der kleinen Bühne. Da ich schon etwas spät dran war, hatte die Band bereits angefangen. Suchend sah ich mich nach den anderen um.

„Wo sind denn…?“

„Die anderen?“, beendete Sora meinen Satz, während sie weiterhin zur Bühne sah und leicht im Takt der Musik mitwippte.

„Die waren ebenfalls etwas spät dran, aber sie müssten gleich kommen.“

Ich nickte und sah ebenfalls zur Bühne und zu Yamato, der gerade mitten drin war und voll in seiner Musik aufging. Dabei haftete sein Blick unentwegt an seiner Freundin. So wie er sie ansah, hatte man den Eindruck, er würde nur für sie singen.

Ich spürte, wie Sora mir eine Hand auf die Schultern legte. Sie sah mich eindringlich an und ich wusste genau, was sie jetzt sagen würde.

„Du sagst doch nichts, Mimi… oder?“

War klar, dass sie die Sache neulich im Einkaufszentrum immer noch beschäftigte. Genauso wie mich. Zwischendurch hatte ich sogar überlegt mit Tai über diese Sache zu reden, aber das konnte ich einfach nicht.

„Ich habe gesagt, ich halte mich da raus, das weißt du doch“, entgegnete ich mit einem kurzen Blick in Richtung Bühne. Anscheinend hatte Sora ebenfalls niemanden davon erzählt… aber ob das auch die richtige Entscheidung war?

Sie nickte und wandte sich wieder der Band zu. Ich sagte, ich würde mir eben ein Getränk an der Bar holen und gleich wiederkommen. Und ich kam sogar ohne zu Drängeln bis nach ganz vorne durch, wow. Und auf der Karte stand nicht nur Bier. Toll, es gefiel mir ziemlich gut hier und ich hoffte innerlich darauf, dass Yamato noch öfters Auftritte in solchen Bars haben würde.

„Einen Cosmopolitan, bitte.“

„Hallo, kennen wir uns nicht?“

Ich erschrak leicht und fuhr herum.

„Tai?“

Grinsend und mit einem musternden Blick stand er hinter mir. Die Verblüffung, die ihm aus dem Gesicht sprach war nicht zu übersehen.

Der Barkeeper schob mir meinen Cocktail rüber. Ich nahm ihn in die Hand und nippte kurz daran, bis ich mich wieder Tai zuwandte und versuchte einigermaßen lässig zu wirken.

„Was hast du denn gedacht?“, gab ich ihm endlich eine Antwort auf seine Frage. Vielleicht etwas schnippisch, aber seine Blicke verunsicherten mich nun mal.

Tai zog eine Augenbraue nach oben und hörte einfach nicht auf zu grinsen.

Dieses Grinsen… Konnte er das nicht lassen?

Erst jetzt fiel mir auf, dass er gar nicht wie sonst auf zwei Krücken ging, sondern nur auf einer.

„Geht es deinem Fuß schon besser?“

Er nickte und lächelte mich an. „Ja, ab und zu kann ich ihn sogar kurz aufsetzen.“

Ich versuchte irgendwie seinem Blick auszuweichen, wobei mir jedoch nur auffiel, dass er erstaunlich gut aussah heute Abend… und für einen Einbeinigen.

Eigentlich sah Tai immer gut aus, keine Frage – doch heute… keine Ahnung, was es war. Irgendwas war da, warum ich ihn an diesem Abend besonders attraktiv fand. Gewohnt lässig stand er vor mir, insoweit das überhaupt ging mit seinem Fuß… und hörte einfach nicht auf mich anzusehen.

Irritiert zog ich eine Unterlippe nach oben. „Kannst du bitte aufhören mich so anzustarren?“ Er musste das wirklich lassen!

„Wieso? Ist dir das unangenehm?“

Oh Tai, warum musst du immer mit deinen Sprüchen den Nagel voll und ganz auf den Kopf treffen?

Gerade wollte ich etwas erwidern, als etwas anderes meine Aufmerksamkeit erregte. Beziehungsweise JEMAND anderes.

Beinahe wäre mir der Mund aufgeklappt, als ich sah, dass das Mädchen von neulich durch die Tür kam. Das Mädchen in dem smaragdgrünen Kleid, welches ich ebenfalls trug. Auch sie hatte es heute Abend an und sie war nicht allein gekommen.

Das war doch jetzt nicht wahr!

Womöglich träumte ich das alles nur. Doch dann riss Tai mich in die Realität zurück, indem er mir mit der Hand vor den Augen rumwedelte.

„Erde an Mimi?“

Ich blinzelte ein paar Mal und durch sein blödes Gefuchtel verlor ich sie prompt aus den Augen. Na klasse.

Verärgert schob ich seine Hand zur Seite.

„Entschuldige mich bitte kurz.“

Ich suchte sie zwischen den anderen Leuten und als ich sie fand, ging ich entschlossen auf sie zu.

Ja, ich hatte Sora versprochen mich da raus zu halten, aber… das ging doch nun wirklich zu weit! Da konnte ich doch nicht tatenlos danebenstehen!

Das Mädchen in dem smaragdgrünen Kleid sah mich fragend an, als sie merkte, dass ich auf sie zusteuerte, doch mein wütender Blick galt nicht ihr – sondern ihrer Begleitung.

„Hallo, können wir kurz reden?“, fragte ich ihn ohne Umschweife, während nun auch Kari mich fragend ansah.

„Hallo, Mimi. Das ist…“, begrüßte sie mich dennoch freundlich und deutete mit einer Handbewegung auf das Mädchen im smaragdgrünen Kleid, doch ich winkte eilig ab.

„Später, Kari. Erst muss ich etwas mit Takeru besprechen.“

Ich sah wie er schluckte und unsicher zu Kari blickte.

„Geht doch schon mal zu Sora, ich bin gleich da“, sagte er zu den Beiden und machte eine Kopfbewegung in Soras Richtung, die inzwischen mit Tai vor der Bühne stand und die Musik genoss.

Die beiden Mädchen nickten und als sie weg waren, zog ich Takeru an der Hand in eine Ecke. Ich sah mich noch ein mal um, um sicher zu gehen, dass wir keine Zuhörer hatten, ehe ich ihn wutentbrannt anfunkelte.

„Das ist doch wohl nicht dein Ernst oder?“

Takeru wirkte deutlich verblüfft über meine Reaktion und zuckte mit den Schultern.

„Was meinst du denn?“

„Jetzt tu doch nicht so!“, sagte ich, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn abschätzig an.

„Wer ist denn bitte dieses Mädchen? Das in dem smaragdgrünen Kleid?“

Takeru warf einen Blick über die Schulter in Richtung Bühne und sah mich dann wieder verständnislos an.

„Ich weiß nicht, was du von mir willst. Sie ist eine Freundin von Kari und mir und wollte heute Abend mitkommen. Was hast du für ein Problem?“

Ihm standen die Fragezeichen ins Gesicht geschrieben.

Klar. Er hatte ja auch keine Ahnung.

„Eine Freundin, ja?“, wiederholte ich sarkastisch und wollte ihm damit eigentlich die Chance geben, es mir selbst zu sagen. Doch er blieb stur.

„Ja, eine Freundin.“

„DEINE Freundin?“

Er erstarrte. Und das war die Antwort, die ich brauchte.

Allerdings fing er sich ziemlich schnell wieder und sah mich nun an, als hätte ich den Verstand verloren.

„Was redest du da? Kari ist meine Freundin.“

Verächtlich zog ich eine Augenbraue nach oben.

„Das sah aber neulich im Einkaufszentrum ganz anders aus, als ihr gemeinsam dieses Kleid gekauft habt.“

Dieser Blick, mit dem er mich jetzt ansah, konnte man nicht beschreiben. Er fühlte sich ertappt, war erschrocken darüber, dass ich so genau Bescheid wusste. Vielleicht ereilten ihn in diesem Moment sogar Schuldgefühle…

Noch mal warf er einen unsicheren Blick über die Schulter.

„Mimi, das ist nicht so, wie du denkst…“, begann er und hob plötzlich beschwichtigend die Hände.

„Oh doch, ich denke, es ist ganz genau so“, erwiderte ich zornig und war drauf und dran ihm eine reinzuhauen.

Wieso er?

Wieso tat er so etwas? Ausgerechnet T.K.? Der kleine T.K.? Das passte doch gar nicht zu ihm.

„Ich verstehe einfach nicht, wie du Kari so etwas antun kannst. Du solltest es ihr sagen!“

„Wer weiß noch davon?“, fragte er und nun fiel mir endgültig alles aus dem Gesicht.

„Wie bitte?“

„Na, hast du irgendjemanden davon erzählt oder hat das noch jemand gesehen, außer dir?“

Das war nicht sein Ernst! Ich hätte nie gedacht, dass er so abgebrüht sein konnte.

Aber bitte, das konnte er haben, also ging ich ebenfalls auf Konfrontation.

„Ja, Sora hat euch auch gesehen“, sagte ich triumphierend und sah ihn herablassend an. Er war gerade vor meinen Augen auf Rattengröße geschrumpft. Denn anscheinend und auch wenn ich es nur schwer glauben konnte, war er nichts Anderes als das – eine kleine Ratte.

Nun sah auch er mich wütend an. Ich war auf alles gefasst…

„Du darfst es niemanden sagen, hörst du. Das würde alles kaputt machen, das würde Kari kaputt machen!“

„Dafür sorgst du schon selbst, indem du sie hintergehst.“

Nervös fuhr er sich mit den Händen durch seine blonden Haare.

„Ich hintergehe sie nicht!“

„Ach, nein?“, blaffte ich ihn an. „Wie nennt man so etwas denn sonst? Weißt du was, T.K.? Von solchen Kerlen wie dir habe ich echt die Schnauze voll und ich bin unglaublich enttäuscht von dir, das hätte ich nie von dir gedacht… Takeru, ihr seid verlobt!“

Es war wirklich unglaublich. Ich kannte viele solcher Typen. Einer davon war der Vater meines Kindes. Doch ich hätte nie gedacht, dass auch Takeru zu solchen Typen zählen würde… nie!

„Glaub von mir aus, was du willst, Mimi“, entgegnete Takeru ungewohnt kühl, fast schon gleichgültig.

Was war das plötzlich für ein Mensch, der hier vor mir stand?

„Wirklich, es ist mir egal, was du von mir denkst. Denk von mir, was du willst. Aber lass Kari da raus. Sie hat schon genug…“ Er brach mitten im Satz ab und suchte nach den richtigen Worten. Aber egal, was er sagen würde, ich würde ihm nicht glauben – nicht ein Wort mehr.

„Wenn du mit Kari darüber sprechen willst, tu es. Aber erzähle sonst niemanden davon, bitte. Es würde sie zerstören.“

Und ehe ich noch was sagen konnte, wandte er sich ab und ging.

Bitte? Das war ja wohl nicht wahr, dass er gerade Forderungen an MICH stellte, obwohl ICH ja gar nichts getan hatte. Und wenn Kari etwas zerstören würde, dann die Tatsache, dass ihr Freund sie mit einer anderen hinterging. Mit der sie anscheinend auch noch befreundet war.

Er hatte recht. Es würde sie tatsächlich zerstören.

Was sollte ich nur tun?
 

Angewidert warf ich immer wieder verstohlene Seitenblicke zu den Dreien hinüber. Während Kari nichts davon mitzukriegen schien und sich voll und ganz auf die Musik konzentrierte, nippte die schöne Unbekannte immer wieder nervös an ihrem Drink und schielte mich von der Seite her unsicher an.

Jaah, sie konnte ruhig merken, dass ich sie beobachtete.

Sie drehte sich zu Takeru um und flüsterte ihm etwas ins Ohr – allein wegen dieser intimen Geste hätte ich sie verprügeln sollen, alle beide!

Und Kari stand einfach so daneben und ahnte nichts. Die Arme.

Takeru warf mir einen mahnenden Blick zu, welcher so viel bedeutete, wie „Komm mal wieder runter und bleib ruhig.“

Aber wie konnte ich bei so etwas ruhig bleiben? In mir kochte es und ich war drauf und dran Kari von ihm wegzuziehen.

Ich spürte Soras Hand an meinem Arm, den sie fest drückte. Wütend wandte ich mich ihr zu, während sie mich nur eindringlich ansah. Noch hatte ich ihr nichts von dem Gespräch mit T.K. erzählt, doch das war auch nicht nötig. Sie war mindestens genauso entsetzt wie ich gewesen, als sie die Drei zusammen gesehen hatte.

Sie schüttelte leicht den Kopf und bedeutete mir damit, dass ich es lassen sollte mich darüber aufzuregen.

„Wir sprechen nächste Woche darüber, was wir tun können, okay?“, flüsterte sie mir ins Ohr. „Aber ihn hier und jetzt bloßzustellen wäre das Dümmste, was wir tun könnten.“

Ja, wahrscheinlich hatte sie recht.

Es half ja alles nichts. Und Kari half es auch nicht, wenn ich urplötzlich ihren Freund als Betrüger entlarven würde. Wahrscheinlich würde sie mir noch nicht mal glauben.

Aber es war wirklich schwer hier neben ihnen zu stehen und nichts zu tun, nichts zu sagen – es war verdammt schwer.

Jemand legte eine Hand an meine Taille und zog mich an sich. Ich fuhr leicht zusammen.

„Bist du neidisch auf sie, weil sie dasselbe Kleid hat wie du oder warum versuchst du sie die ganze Zeit mit deinen Blicken zu töten?“, sagte Tai an meinem Ohr.

Was tat er denn da? Hatte er zu tief ins Glas geguckt oder was?

Normalerweise hätte ich ihn von mir geschoben, so wie ich es bei jedem anderen Typen auch gemacht hätte, aber ich war einfach zu wütend. Und sein Parfum roch zu gut…

„Kannst du vergessen“, grummelte ich in ihre Richtung und warf ihr einen weiteren, abschätzigen Blick zu. „Das Kleid steht ihr nicht annähernd so gut, wie mir.“

Ich befreite mich aus seiner Umarmung und ging hinüber zur Bar.

Er folgte mir und lehnte sich mit einem Grinsen auf dem Gesicht an den Tresen.

„Drei Cosmopolitan.“

„Wieso kannst du sie nicht leiden?“, fragte Tai und schien leicht amüsiert über mein Verhalten zu sein.

Wenn er nur wüsste…

„Kennst du sie?“, fragte ich hingegen und kippte mir den ersten Cocktail ohne abzusetzen hinter. Das tat gut! Noch einen!

„Ich kenne sie nicht wirklich. Sie ist eine Freundin von Kari soweit ich weiß.“

„Tolle Freundin!“, zischte ich sarkastisch. Und weg war der zweite.

„Sag mal, willst du dich völlig abschießen?“, lachte Tai kurz auf, als ich das dritte Glas an die Lippen setzte. Ich hielt kurz inne und schielte ihn von der Seite her an.

Ich überlegte, ob ich ihm etwas sagen sollte. Vielleicht sollte ich ihm sagen, dass seine Schwester sich mit dem Falschen verlobt hatte. Dann würde Tai ihm sofort eine reinhauen und der Drops wäre gelutscht.

Hm, lieber nicht.

Ich warf den Kopf in den Nacken und schüttelte mich kurz, als der dritte Cocktail endlich seine Wirkung zeigte.

Wie konnte das Leben nur so ungerecht sein? Wieso traf es immer die Falschen Leute? Die, die für den ganzen scheiß nichts können? Die nichts für die Verkorkstheit anderer Menschen können?

Am liebsten hätte ich mir noch mehr bestellt, doch das Geld ging mir so langsam aus.

„Hey“, wandte ich mich an Tai. „Kannst du mir Geld leihen?“

Tai zog verwundert eine Augenbraue nach oben.

„Wo ist deines?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Hab ich gerade in Alkohol investiert.“

Tai lachte und schüttelte den Kopf, kramte jedoch aus seiner Hosentasche ein paar Geldscheine hervor.

„Danke, du kriegst es wieder“, sagte ich und gab es direkt an den Barkeeper weiter.

„Na toll. Ich gebe dir Nachhilfe und zum Dank dafür bezahle ich dich auch noch dafür.“

Ich ignorierte seinen oberwitzigen Kommentar, verdrehte die Augen und bestellte mir eine ganze Flasche Wein.

„Danke“, sagte ich, als der Barkeeper sie mir reichte und Tai große Augen machte. Ich hielt die Flasche demonstrativ in die Höhe. Als wäre sie DAS Allheilmittel.

„Ich muss hier weg. Wie sieht’s aus, kommst du mit?“

Ich wollte wirklich nur noch weg hier. Weg, mich betrinken und volltrunken ins Bett fallen, damit ich an die ganze Scheiße nicht mehr denken musste. Aber ich wollte nicht allein nach Hause gehen. Es war schließlich spät und ich war ein hübsches, junges Mädchen.

Einen kurzen Moment überlegte Tai, warf einen Blick zur Bühne, wo alle anderen noch mit Tanzen beschäftigt waren und nickte schließlich.

Wir verließen die Bar und ich atmete die frische Nachtluft ein, die Zunehmens meinen Kopf vernebelte. Der Alkohol tat sein Übriges. Egal. Ich öffnete die Flasche und gönnte mir einen großen Schluck Wein, ehe ich sie an Tai weiterreichte. Der nippte jedoch nur dran und gab sie mir dann wieder.

Umso besser, mehr für mich.

Wir schwiegen eine Weile, während wir nebeneinander herliefen. Nach jedem weiteren Schluck fühlte ich mich leichter und gleichzeitig schwerer. Dieses Gefühl kannte ich schon gar nicht mehr. Ich hatte es völlig vergessen.

Ich weiß nicht warum, aber ich musste angesichts dieser Tatsache einfach lachen. Die Tatsache, dass ich vergessen hatte, wie es sich anfühlte betrunken zu sein.

„Warum lachst du?“, fragte Tai deutlich verwundert über meinen plötzlichen Lachanfall und sah mich schief von der Seite her an.

„Weißt du, dass das das erste Mal ist, dass ich wieder Alkohol trinke?“

Ich erstaunte. „Wow. Das waren aber viele `das’s.“ Und lachte wieder.

„Wie darf ich das denn verstehen?“, hakte Tai jetzt noch irritierter nach, doch ich winkte nur kopfschüttelnd ab.

„Du musst das gar nicht verstehen.“

Ich ging ein paar Schritte nach vorne und warf meine Arme theatralisch in die Luft.

„Es reicht doch, wenn ich es verstehe. Und wenn mein Vater es versteht. Aber das tut er ja nicht mal. Das wird er wohl nie verstehen.“

„Was wird er nie verstehen?“

Ich holte tief Luft und atmete so schwer aus, dass es mich förmlich zu Boden zog. Ich ließ mich auf meinen Po fallen, auf die kalten Steine der Straße und nahm einen weiteren Schluck aus der Flasche.

„Dass ich nicht so sein kann, wie er mich gerne hätte.“

Tai stützte sich auf seiner Krücke ab, kniete sich äußerst umständlich neben mich und sah mich bedeutungsvoll an, als wäre das jetzt gerade ein todernstes Gespräch.

Dabei wollte ich doch nur Spaß haben. Ein mal… Aber selbst das machte mein Vater mir kaputt. Und Takeru auch.

„Hast du dich deswegen neulich mit ihm am Telefon gestritten und bist du deswegen die ganze Woche über nicht mehr zur Nachhilfe gekommen?“

Ein weiteres schweres Seufzen entfuhr mir und ich musste die Augen schließen. So langsam begann sich alles zu drehen. Als ich sie wieder öffnete sah ich ihn unvermittelt an.

„Ich kann sie doch nicht einfach allein lassen. Das kann er einfach nicht von mir verlangen.“

Ich weiß nicht ob es wirklich gut war, ihm in dem Moment Einblick in meine Seele zu gewähren. Aber er würde es ohnehin nicht verstehen. Ich wollte es einfach nur aussprechen, mehr nicht. Voller Mitgefühl sah er mich an, als es mir plötzlich unangenehm wurde. Ich musste mich zusammenreißen! Kichernd klopfte ich ihm auf den Arm und zwang mich dazu aufzustehen.

„Kannst du mir mal helfen?“

„Wobei könnte ich dir helfen? Ich bin ein verdammter Krüppel“, antwortete er sarkastisch und ich musste lachen.

„Auch Krüppel können Schmiere stehen.“
 

Wir gingen ein paar Straßen weiter. Ich kannte mich in dieser Gegend ziemlich gut aus. Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Ich sollte nicht mal in der Nähe sein. Aber ich musste meiner Wut einfach freien Lauf lassen. Wenn ich das jetzt nicht tat, würde ich diese Nacht definitiv nicht schlafen können und würde noch irgendetwas viel Dümmeres tun. Wie zum Beispiel Tai von der Sache mit Takeru erzählen oder von der Sache mit meinem Vater oder im schlimmsten Fall noch davon, dass es gar nicht meine Oma war, die da im Krankenhaus lag.

Als wir um die nächste Ecke bogen, blieb ich kurz stehen und sah mich um.

Keiner war da.

„Und was machen wir jetzt hier?“, fragte Tai verwundert und sah sich ebenfalls um. Natürlich hatte er keine Ahnung, wo wir waren, doch ich kannte diese Gegend nur zu gut. Wir standen vor einem Haus. Ich wusste, dass dort gerade niemand zu Hause war, da ich neulich ein Gespräch zwischen meinen Eltern belauscht hatte. Denn dieses Haus war nicht irgendein Haus…

„Vielleicht solltest du doch lieber gehen“, sagte ich zu Tai. Ich wollte ihn nicht mit in diese Sache reinziehen.

„Warum sollte ich das machen? Was hast du denn vor?“

„Geh einfach. Oder mach die Augen zu. Wer nichts sieht, weiß auch nichts.“

Der Alkohol schien mir ziemlich zu Kopf gestiegen zu sein, aber das war mir gerade alles egal. Auch, dass ich gerade dabei war eine riesengroße Dummheit zu begehen.

Tai ging nicht, er blieb. Aber immerhin hatte ich ihn gewarnt.

„Frag mich niemals, warum ich das jetzt tue“, befahl ich ihm im strengen Ton und sah ihn eindringlich an. Die Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben.

In der Einfahrt stand ein Wagen. Zielstrebig ging ich darauf zu. Tai sah mir hinterher und ich war mir sicher, einen kurzen Aufschrei hinter mir zu hören, als ich die Flasche Wein fest mit meiner Hand umschloss, ausholte und sie voller Wucht auf den Wagen schmetterte.

„Mimi!“, schrie Tai und kam auf mich zu gehumpelt, um mich am Handgelenk zu packen. „Was machst du denn da?“

„Ich gebe ihm das, was er verdient hat“, erwiderte ich nur wütend. Und es fühlte sich verdammt gut an!

Ich riss mich von ihm los und hielt nach etwas schwererem Ausschau. Als ich einen Stein aufhob, sah ich wie Tai’s Augen sich gefährlich weiteten. „Sag mal, drehst du jetzt völlig durch? Was soll der scheiß?“ Doch es war zu spät, denn ich hatte den Stein bereits auf den Wagen geschmissen. Er hinterließ eine tiefe Delle im Dach.

„Oh Gott, das fühlt sich so gut an“, seufzte ich erleichtert aus.

„Mimi, jetzt lass den Mist. Lass uns hier verschwinden!“, versuchte Tai mich weiterhin zur Vernunft zu bringen. Doch das half nichts. Sollte er mal versuchen mich aufzuhalten. Dieser Typ, den der Wagen gehörte hatte mir so viel Schmerz und Leid zugefügt, noch viel mehr als mein Vater. Er war die Wurzel allen Übels und ich wollte, dass er dafür büßen musste. Und wenn es eben nur sein geliebtes Auto traf…

Tai redete weiter auf mich ein, doch ich hörte ihm nicht zu, denn plötzlich stiegen all die angestauten Emotionen hoch, die ich die letzten Monate erfolgreich unterdrückt hatte. All die Wut, die Enttäuschung… alles wollte einfach nur noch aus mir raus. Also griff ich nach dem nächsten Stein, den ich rumlagen sah und der deutlich größer war als der Letzte.

„Du ARSCHLOCH!“, schrie ich in meiner Verzweiflung und schmiss ihn mit voller Wucht durch die Frontscheibe, die augenblicklich zerbarst.

Ja, genauso fühlte sich mein Herz an. Nachdem er es mir gebrochen hatte. Dieser Stein stand stellvertretend für all den Schmerz, den er mir zugefügt hatte und er sollte es endlich spüren. Ich wollte, dass er genauso leiden musste, wie ich… auch, wenn ich wusste, dass das nie passieren würde. Denn wer ein Herz aus Stein hatte, der konnte nicht leiden, richtig?

„Mimi! Jetzt hör auf damit!“

Tai packte mich abermals am Handgelenk und zerrte mich nun weg von dem Wagen, dessen Alarmanlage bereits angesprungen war. Doch selbst dieses Geräusch nahm ich nicht mehr wahr…

Ich wehrte mich noch ein letztes Mal dagegen, bis mich schließlich doch meine Kräfte im Stich ließen und ich die Arme sinken ließ. Ich spürte, wie die Tränen mir plötzlich unaufhaltsam übers Gesicht liefen und ich hörte, wie Tai’s Krücke zu Boden fiel und er mich von hinten mit seinen Armen fest umschloss. Er umarmte mich so sehr, als hätte er Angst, ich könnte jeden Moment zusammenbrechen. Doch selbst dafür fehlte mir die Kraft.

Gebrochen

Ich rieb mir mit den Handrücken über die Augen und drehte mich auf den Rücken. Meinen Arm legte ich über mein Gesicht, weil ich das Licht nicht ertragen konnte. Mir tat alles weh. Hatte ich so viel getrunken? Ich versuchte mich aufzurichten und hielt mir dabei den pochenden Kopf. Erst jetzt stellte ich mit Entsetzen fest, dass das gar nicht mein Bett war, in dem ich lag.

„Was…?“ Wieso hatte ich mein Kleid von gestern Abend noch an? Überrascht sah ich mich um und erkannte, dass es Tais Zimmer war, in dem ich mich befand.

Oh Gott.

Dann musste das auch Tais Bett sein.

Geschockt sah ich mich um. Er war nicht hier und ich konnte mich auch nicht daran erinnern, mit ihm ins Bett gegangen zu sein. Aber ich konnte mich auch nicht daran erinnern, überhaupt in sein Bett gegangen zu sein. Generell waren die Erinnerungen an die vergangene Nacht eher schleierhaft. Doch da er nicht hier war, bedeutete das wohl, dass ich allein in seinem Bett geschlafen hatte und das beruhigte mich zunächst.

Was mich allerdings nicht beruhigte, war die Tatsache, dass ich schon längst zu Hause sein sollte. Ich schlug die Decke zurück und setzte einen Fuß aus dem Bett.

„Au!“

Erschrocken warf ich einen Blick zu Boden.

„Tai? Was machst du denn da auf dem Fußboden?“

Grummelnd öffnete er ein Auge.

„Hätte ich mich mit zu dir ins Bett legen sollen?“

Ich merkte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, also sah ich peinlich berührt weg.

„Dachte ich mir doch“, meinte Tai und versuchte sich ebenfalls aufzurichten. Sein kranker Fuß ruhte auf einem dicken Kissen. Ansonsten hatte er einfach nur auf dem Boden geschlafen und hatte mir sein Bett überlassen. Ich sah ihn irritiert an.

„Warum hast du mich hierher zu dir gebracht?“

Er stützte sich auf seine Ellenbogen und sah zu mir auf.

„So, wie es dir gestern Nacht ging, konnte ich dich unmöglich nach Hause bringen. Deine Eltern hätten dich umgebracht.“

Allerdings! Aber dann hätte ich es wenigstens schon hinter mich gebracht.

Ich schloss die Augen und hielt mir den Kopf. Es pochte so sehr.

„Möchtest du darüber reden?“, fragte Tai plötzlich. Seine Stimme klang so sorgenvoll. So Ungewohnt. Ich wusste nicht, wann sich das letzte Mal jemand Sorgen um mich gemacht hatte. Ich meine, so richtig…

„Nein“, sagte ich dennoch und zwang mich aufzustehen. Ich stieg über ihn hinweg und suchte nach meinen Schuhen. „Ich denke, ich sollte jetzt mal nach Hause.“

„Mimi, warte“, sagte er, setzte sich aufrecht hin und hielt mich am Handgelenk fest, als ich gerade gehen wollte. Fragend sah ich ihn an. Er zog mich zu sich auf den Boden. Ich kniete neben ihm und sah ihm in die Augen. Ich mochte nicht, dass er mich so mitleidig ansah. Dabei kam ich mir so unglaublich dumm vor, so bemitleidenswert.

„Ich wollte dir nur sagen“, begann er mit leiser Stimme. „Wenn du jemanden zum Reden brauchst, dann… also dann kannst du… Ich meine, warum hast du eigentlich…“

Anscheinend fand er nicht die richtigen Worte, aber das war okay. Ich nickte nur stumm.

„Danke, Taichi. Aber ich sagte dir doch: frag mich niemals, warum ich das getan habe“, antwortete ich lediglich und stand auf.

Als ich sein Zimmer verließ und die Tür hinter mir schloss atmete ich schwer aus. Kann sein, dass es von dem Restalkohol war, der sich noch in meinem Blut befand, aber irgendwie schlug mein Herz stark gegen meine Brust. Er hatte sich letzte Nacht um mich gekümmert, mich zu sich nach Hause gebracht, mich beschützt. Und jetzt das. Tai war so nett zu mir. Als würde ich ihm etwas bedeuten.

Dieses Gefühl kannte ich schon lange nicht mehr und das machte mir ein wenig Angst.
 

Ich wusste, dass ich an diesem Tag Ärger kriegen würde. Ich hatte mich über das Verbot meines Vaters hinweggesetzt und habe mich rausgeschlichen. Was auch immer mich jetzt zu Hause erwarten würde, ich hatte keine Ahnung, wie schlimm es tatsächlich werden sollte…

Bis ich die Schuhe sah, die im Flur standen. Leise schloss ich die Tür hinter mir und lauschte. Aus dem Wohnzimmer waren eindeutig Stimmen zu hören. Die Stimme meines Vaters. Die Stimme meiner Mutter und…

Oh nein.

Bitte nicht.

Ich holte mein Handy aus der Tasche und tippte eilig eine SMS.
 

„Hat uns gestern irgendwer beobachtet, als ich… du weißt schon was gemacht habe?“
 

Es dauerte nicht lang, bis eine Antwort kam und doch lang genug um mein Herz immer unruhiger schlagen zu lassen.
 

„Nein, nicht, dass ich wüsste. Warum?“
 

Warum? Weil uns jemand gesehen haben MUSSTE. Wieso sollte er sonst hier sein? Ich schluckte schwer, als mir klar wurde, was mich jetzt gleich erwartete. Lieber wäre ich erhobenen Hauptes in die Hölle gegangen.

Aber da musste ich jetzt durch. Ich straffte meine Schultern, atmete noch ein Mal kräftig aus, um mich zu beruhigen und ging in Richtung Wohnzimmer.

„Es tut mir sehr leid, Hayato. Ich denke, wir können das irgendwie regeln. Ah, Mimi, da bist du ja. Gut, dass du kommst.“

Ich erstarrte förmlich als ich seinen Namen hörte. Mein Blick fiel zum Sofa. Er war nicht allein gekommen. Meine Beine drohten nachzugeben, als unsere Blicke sich trafen. Schnell sah ich wieder zu meinem Vater. Er musterte mich von oben bis unten und sein Blick verriet mir, dass das noch Ärger geben würde, dass ich die ganze Nacht weg war und nun völlig fertig hier aufgetauchte. Doch erst mal musste ich das hier überstehen.

„Mimi, wie schön, dass du da bist. Setz dich doch zu uns“, bot mir der Mann an, der Hayato begleitet hatte. Er war sein Vater und ich wusste nicht, wer von beiden schlimmer war. Wenn Hayato der Teufel war, dann war sein Vater derjenige, der die Hölle gefrieren lassen konnte. Dass sie zusammen hier waren, zeigte mir, wie ernst die Sache war. Auch, wenn mich momentan noch alle anlächelten. Bis auf Hayato.

„Danke, Herr Kido, aber ich stehe lieber“, sagte ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

Mir entging nicht, dass mein Vater mich mahnend ansah, doch er sagte nichts.

„Nun, Mimi, es ist so“, begann meine Mutter zaghaft, doch wurde sofort von Herrn Kido unterbrochen.

„Wir sind hier, weil wir dich etwas fragen müssen.“ Seine Stimme war so freundlich und gleichzeitig so kalt, dass mir das Blut in den Adern gefror. Dieser Mann machte mir Angst – schon immer. Doch ich versuchte mir das nicht anmerken zu lassen.

„Warst du in der letzten Nacht bei Hayato und hast sein Auto zerstört?“

Es war so klar, dass er deswegen hier war. Und er ließ seinen Vater für sich sprechen? Wie lächerlich. Er war schließlich fast 23 und kein Kind mehr. Aber Daddy regelte ja alles…

„Nun ja“, entgegnete ich trocken. „Zerstören würde ich das nicht nennen. Es ist schließlich kein Totalschaden.“

Mein Vater klappte der Mund auf. Die Lippen meiner Mutter bebten. Und Herr Kido lächelte mich an.

Was hatten sie erwartet? Dass ich lügen würde?

„Mimi, was redest du da?“, fragte mein Vater, doch Herr Kido hob beschwichtigend die Hand. „Ist schon gut, Keisuke.“ Er stand auf und sah mich unvermittelt an. „Danke, dass du so ehrlich bist, Mimi. Das erleichtert uns weitere Diskussionen. Dein Vater meinte nämlich, dass du nie im Leben so etwas tun würdest. Doch ich war der Ansicht, dass es durchaus verständlich sein könnte, wenn du irgendeine Art von Groll gegen Hayato hegen würdest.“

Groll? Hass wäre wohl das passendere Wort gewesen.

Ich zuckte mit den Schultern. „Tja, tut mir leid, dass mein Vater sich geirrt hat.“

Oh, das würde definitiv ein Nachspiel haben, das stand fest. Aber das war mir in dem Moment so egal. Ich hatte eh nichts mehr zu verlieren.

„Nun“, sagte Herr Kido, richtete sein Sakko und wurde ganz geschäftlich. „Wir können gleich alles Weitere regeln.“

Ich sah, wie meinem Vater alles aus dem Gesicht fiel und allein deswegen hatte sich diese Aktion gelohnt. Nicht, dass ich stolz darauf gewesen wäre eine Kleinkriminelle zu sein, doch ihn so zu sehen verschaffte mir irgendwie Genugtuung und führte mir gleichzeitig schmerzlich vor Augen, wie kaputt unser Verhältnis inzwischen war.

Keiner von uns sagte mehr etwas, bis Hayato das Schweigen brach und sich mir das erste Mal zuwandte.

„Wer war der Typ, der dir geholfen hat?“

Ich erschrak. Nicht, weil seine Stimme so kühl und so abgeklärt klang, das schockierte mich schon längst nicht mehr. Ich erschrak, weil er ganz offensichtlich wusste, dass ich nicht allein war.

„Da war kein Typ“, log ich diesmal und hoffte einfach inständig, dass er keine handfesten Beweise hatte. Doch er grinste mich nur triumphierend an. „Da sagen die Überwachungskameras etwas Anderes.“

Ich räusperte mich und sah zur Seite. „Tut mir leid, ich muss mir mal eben ein Glas Wasser holen“, sagte ich und entfloh eilig in die Küche, während Herr Kido und mein Vater begannen alles Weitere zu klären.

Ich nahm mir ein Glas aus dem Schrank, und hielt es unter den Wasserhahn. Ich hatte immer noch Kopfschmerzen. Plötzlich spürte ich jemanden dicht hinter mir.

„Du weißt schon, dass er sich zum Mitwisser macht und so ebenfalls strafbar.“

Ich drehte mich um und konnte kaum ertragen, wie nah er mir war. So nah, dass ich ihm unweigerlich in die Augen sehen musste.

„Du kannst ihn da raus halten. Er hat nichts damit zu tun“, entgegnete ich mit fester Stimme, konnte jedoch nicht leugnen, dass mich seine Nähe nervös machte. Das hatte er schon immer getan… mich nervös gemacht. Nicht, wegen seines makellosen Aussehens, den dichten, braunen Haaren oder den markanten Augen, die einen dazu bringen konnten alles zu tun, was er wollte. Nein, es war seine Art, die mich nervös machte.

Hayatos Augen verengten sich zu Schlitzen und er sah mich missbilligend an. „Ist er dein Neuer?“

Ich stützte mich mit den Händen auf der Arbeitsplatte ab, die hinter mir war, um ein wenig mehr Raum zwischen uns zu schaffen.

„Ich weiß nicht, was es dich angeht“, erwiderte ich ernst und versuchte seinem Blick standzuhalten, was wirklich nicht einfach war. Ein Grinsen umspielte seine Lippen. Er beugte sich nach vorne und umfasste mein Kinn mit seiner Hand, was mich unweigerlich erschaudern ließ. „Ich denke nicht, dass er gut genug für dich ist.“

Wie bitte? Was bildete er sich ein?

Erbost schlug ich seine Hand zur Seite und funkelte ihn an. „Bist du gekommen, um mir das zu sagen?“

Er machte einen Schritt zurück, doch das Grinsen blieb. Triumphierend sah er mich an. „Vielleicht? Du weißt, es ist mir egal, ob du mein Auto kaputt machst oder mein Haus abfackelst. Nur… mach es das nächste Mal etwas unauffälliger. Sonst denken die Leute noch, du bist verrückt. Und das wiederum würde auf deine Familie zurückfallen.“

Diese Bemerkung hätte mich verletzen müssen, doch das tat sie nicht. Denn das war seine Art mir zu drohen und dieses Spiel konnte ich auch spielen.

„Hayato“, säuselte ich und legte ein giftiges Lächeln auf, was seiner durchaus würdig war. „Wenn ich dein Haus abfackle, dann kannst du sicher sein, dass du als Erster davon erfahren wirst. Denn du würdest mit ihm zusammen brennen.“

Es fühlte sich gut an ihm die Stirn zu bieten und gleichzeitig schlecht, weil ich noch nie so etwas Boshaftes zu einem anderen Menschen gesagt hatte. Und es auch noch so meinte. Etwas blitzte in seinen Augen auf und er ging einen Schritt zurück. Endlich hatte ich das Gefühl wieder atmen zu können.

„Hmm“, machte er und musterte mich. Sein Blick erregte nur noch Übelkeit in mir. Wie konnte ich ihn nur jemals lieben? „Du hast einiges dazu gelernt. Autos zerschlagen, Drohungen aussprechen… du bist schon fast so wie ich“, sagte er, als wäre es eine witzige Tatsache und wandte sich ab.

„Nein, Hayato“, entgegnete ich mit fester Stimme und umklammerte immer noch die Arbeitsplatte, an der ich lehnte. „Ich werde niemals so sein wie du.“

Er warf mir ein letztes Grinsen über die Schulter hinweg zu, bevor er die Küche verließ. Ich sackte zu Boden. Sämtliche Anspannung fiel von mir ab. Dieses Zusammentreffen hatte mich doch mehr Kraft gekostet, als ich nach der letzten Nacht aufwenden konnte. Es war das erste Mal seit Monaten gewesen, dass ich ihm gegenüberstand.

Plötzlich fühlte ich mich leer. Als hätte er mit seiner puren Anwesenheit sämtliches Leben aus mir gesaugt. Ich wusste schon damals, dass er diese Art an sich hatte, doch zu dieser Zeit ängstigte sie mich noch nicht so sehr, sie faszinierte mich eher. Er hatte ein starkes Auftreten, stand mit beiden Beinen fest im Leben, wusste genau was er wollte… und tat alles dafür, um es auch zu bekommen.

Wie dumm und naiv ich doch war…
 

Ich hörte die Tür ins Schloss fallen. Sie waren gegangen, endlich. Diese Wohnung fühlte sich ohnehin längst nicht mehr wie ein zu Hause an, doch dass sie es gerade mit ihrer schwarzen Aura verpesteten, nahm mir beinahe die Luft zum Atmen. Ich konnte nicht verstehen, wie es Leute mit ihnen länger als fünf Minuten im selben Raum aushielten, ohne Beklemmungen zu kriegen. Immer noch saß ich auf dem Küchenfußboden und versuchte mich zu beruhigen. Ich stand auf und merkte, dass die Kopfschmerzen schlimmer wurden. Langsam ging ich ins Wohnzimmer, wo meine Mutter völlig aufgelöst auf dem Sofa saß und mein Vater mir den Rücken zugewandt hatte.

Auf zu Runde zwei.

„Was haben sie gesagt?“, fragte ich vorsichtig nach, doch es ging mir dabei nicht um mich. Es war mir völlig egal, welche Konsequenzen mich erwarteten. Ich wollte nur nicht, dass Tai da in irgendeiner Weise mit hineingezogen wird. Und schon gar nicht, nachdem er sich so um mich gekümmert hatte.

„Sie werden von einer Anzeige absehen“, verkündete mein Vater mit zusammengebissenen Zähnen. Auch, wenn das Thema für ihn noch lange nicht gegessen war, war ich einfach nur erleichtert. Wenigstens einer kam aus dieser Sache unbeschadet heraus.

„Doch natürlich müssen wir für den Schaden aufkommen.“

Na, und wenn schon. Ich wusste, dass es ihn unglaublich ärgerte, aber im Grunde hatte er es verdient. Sollte er doch einfach ein paar Geschäftsreisen mehr übernehmen.

„Hast du denn gar nichts dazu zu sagen, Mimi?“, fragte er mich, drehte sich um und sah mich wütend an.

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Und was?“

Was zum Teufel wollte er hören? Eine Entschuldigung? Dass es mir leidtat? Denn das war nicht so und gelogen hatte ich für sie in letzter Zeit schon genug.

„Wo warst du denn gestern, Mimi? Wir haben uns Sorgen um dich gemacht. Du warst die ganze Nacht nicht zu Hause“, sagte meine Mutter nun voller Sorge und ihre Lippen begannen zu zittern.

Doch ich konnte einfach kein Mitgefühl mehr zeigen. Keine Reue. Kein Bedauern. Es war mir egal.

„Das Krankenhaus hat angerufen“, warf mein Vater plötzlich in den Raum. Dieser Satz ließ mich das erste Mal aufhorchen. Die Überraschung stand mir wohl ins Gesicht geschrieben, denn er sah mich irritiert an. „Wusstest du nicht, was? Na ja, ist ja auch kein Wunder. Wie kannst du es auch wissen, wenn du die ganze Nacht weg warst.“

Du blöder…! Warum sagte er mir nicht einfach, was sie gesagt hatten, anstatt mich noch mehr zu quälen?

„Es geht ihr besser und du darfst sie wieder besuchen, wenn du das möchtest“, erklärte er mir und verschränkte die Arme vor der Brust. Das erste Gefühl, was ich empfand, war Erleichterung. Es ging ihr gut. Das zweite Gefühl war Angst. Er war noch nicht fertig mit mir… Unsicher sah ich zu meiner Mutter. Sie wandte den Blick ab, konnte mir nicht länger in die Augen sehen.

„Aber das wirst du nicht!“, sagte mein Vater und sein Blick verfinsterte sich.

Ich lachte kurz auf, obwohl ich ganz genau wusste, dass das eben kein Spaß war, sondern bitterer Ernst. „Was? Du kannst mir nicht verbieten zu meiner Tochter zu gehen.“

„Das wird auch nicht nötig sein.“

Er klang so entschlossen, bei dem, was er sagte und ich wusste, er würde mir gleich den Boden unter den Füßen wegziehen.

„In ein paar Tagen kommt jemand von der Adoptionsvermittlungsstelle und nimmt sie mit.“

Und er tat es…

Das Entsetzen stand mir ins Gesicht geschrieben. Ich wusste immer, dass dieser Tag kommen würde, doch ich wusste nicht, dass er so schnell kommen würde.

„Mimi“, begann meine Mutter nun einfühlsam. „Du weißt, wir haben darüber gesprochen. Wir wollten warten, bis sie gesund ist. Und das ist jetzt der Fall.“

„GESUND?“, schrie ich sie an und sie zuckte zurück. „Sie wird NIE richtig gesund sein, Mom! Sie ist herzkrank!“

Ich ballte meine Hände so stark zu Fäusten, dass es wehtat. Warum taten sie mir das nur an?

„Soll das alles eine Art Strafe sein? Wollt ihr mich bestrafen, ist es das?“

„Wofür denn bestrafen, Liebes?“, fragte meine Mutter und ihr stiegen Tränen in die Augen.

Verärgert sah ich sie an. „Wofür wohl? Dafür, dass ich mich auf Hayato eingelassen habe? Dafür, dass ich nicht erst meinen Abschluss gemacht habe, bevor ich schwanger wurde? Dafür, dass ich letzte Nacht sein Auto `zerstört` habe?“ Es war so lächerlich! Das konnte doch nicht ihr Ernst sein. „Aber eins vergesst ihr dabei“, sagte ich und funkelte die beiden böse an. „Ihr bestraft damit nicht mich, sondern sie.“

Ich fühlte wie meine Augen sich mit Tränen füllten, während mein Vater keine Miene verzog. Er hatte wirklich schon viel unter Herrn Kidos Führung gelernt.

„Wir wollten immer nur das Beste für dich. Und eine Adoption ist das Beste für dich.“

„Nein, es ist das Beste FÜR DICH!“, schrie ich ihn nun fuchsteufelswild an. „Meinst du, ich weiß nicht, warum du in der Firma aufgestiegen bist? Du bist sein Handlanger, seine rechte Hand. Und ich? Ich bin minderjährig und habe ein Kind mit seinem Sohn. Demjenigen, der in ein paar Jahren die Firma übernehmen will. Demjenigen, der mich hätte nicht ein Mal anfassen dürfen! Mich, ein Schulmädchen. Es wäre ein Skandal, wenn das rauskommen würde und DU weißt das!“ Ich schrie ihn an, zeigte mit dem Finger auf ihn. Noch nie in meinem Leben war ich so wütend gewesen. Es war einfach so ungerecht, was er mir antat – was sie mir alle antaten. Und trotzdem taten sie es, ohne mit der Wimper zu zucken. Und wenn ich nicht mitspielte, stand die Existenz und der Ruf meiner Familie auf dem Spiel. Aber auch die der Firma Kido.

„Schluss jetzt! Ich will keine Diskussion mehr darüber!“, schrie mein Vater zurück und ich zuckte zusammen. „Sie wird zur Adoption freigegeben, punkt. Und bis dahin wirst du sie nicht mehr sehen. Ist das klar, Mimi?“

Nein.

Nein…

Nein, nein, nein, nein, NEIN!

Das konnte er einfach nicht von mir verlangen! Das war zu viel. Ich musste hier raus.

Ich wandte mich um und stürmte, ohne nachzudenken aus der Wohnung. Alles, was ich wollte, war seinem Blick zu entfliehen. Diese Entschlossenheit in seinen Augen. Was er sagte, war Gesetz und nichts und niemand auf dieser Welt konnte ihn mehr davon abbringen. Er wollte meine Tochter weggeben. Einfach so. Und brach mir dabei das Herz. Ich rannte nach draußen. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen, doch das war mir egal. Die Tränen rannen mir eh unaufhaltsam übers Gesicht. Ich rannte einfach weiter. Ich konnte nicht mehr. Ich war verzweifelt und ich wusste nicht, ob ich es schaffen würde, je nach Hause zurückzukehren, nachdem was gerade passiert war. Ich brauchte Hilfe. Wenn ich diese Sache weiter mit mir allein ausmachen musste, würde ich daran kaputt gehen, das stand fest. Wenn sie dann plötzlich nicht mehr da war… wem sollte ich davon erzählen? Wem? Wer würde es verstehen?

Ich hatte sie alle angelogen. Wer würde mir verzeihen? Wer? Zu wem konnte ich jetzt noch? Ich hatte binnen kürzester Zeit alles verloren, was mir wichtig war und es scherte sie einen Scheißdreck. Wenn sie sie mir jetzt auch noch nahmen, dann hatte ich nichts mehr. Nichts mehr, wofür sich das alles gelohnt hätte, wofür sich die Lügen gelohnt hätten. Die Karriere meines Vaters war mir egal. Mein Ruf war mir egal. Hayato war mir egal. Diese verfluchte Firma war mir egal.

Ich konnte einfach nicht mehr. Ich musste diese Last von meinen Schultern werfen. Wenn ich das nicht tat, würde sie mich in die Tiefe ziehen. Eine Tiefe, aus der ich wahrscheinlich nie wieder heraus kommen würde…

Ohne lang zu überlegen ging ich zu dem ersten Menschen, der mir einfiel. Dem ersten, dem ich mich ein Stück weit geöffnet hatte. Im Nachhinein könnte ich nicht einmal mehr sagen, warum ich das tat. Doch ich hatte so ein Gefühl in mir, dass er gerade der Einzige war, der mich verstehen konnte.

Schwer atmend und völlig durchnässt klingelte ich an seiner Haustür. Es war gerade mal eine Stunde her, dass wir uns voneinander verabschiedet hatten. Ich hatte mich noch nicht mal umgezogen.

Irritiert öffnete er die Tür und sah mich mit großen Augen an.

„Mimi, was… was machst du hier?“

Meine Haare tropften und meine Schminke war verlaufen. Ich musste aussehen, wie ein Häufchen Elend. Und doch sah ich ihn mit festem Blick in die Augen. Er begriff sofort, dass das hier eben kein Anstandsbesuch war und sah mich fragend an.

„Tai“, begann ich tonlos. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst mich nie fragen, warum ich das letzte Nacht getan habe…“

Er sagte nichts, sondern sah mich einfach nur an. Und ich sah ihn an.

Das war der Punkt, an dem ich nichts mehr zu verlieren hatte.

Sie hatten es geschafft.

Sie hatten mich endgültig gebrochen.

„Frag mich noch mal.“

Ertrinken

Ich stand in seinem Badezimmer. Er hatte mir ein paar Klamotten von sich rausgelegt, die ich anziehen konnte. Der Regen hatte mich komplett durchnässt und ich zitterte am ganzen Körper. Ich sah in den Spiegel. Das Make Up der letzten Nacht klebte wie schwarzer Pech in meinem Gesicht. Meine Augen waren leer und ausdruckslos. Alles, was ich sah, war ein gebrochenes Mädchen. Ein Mädchen, das aufgegeben hatte. Ich konnte nicht länger dagegen ankämpfen oder Teil dieses kranken Spiels sein. Ich hielt das nicht mehr aus, ich musste raus aus meiner Haut. Meine Finger strichen über meine Arme, verkrallten sich in diese und fügten mir Schmerzen zu. Meine Fingernägel bohrten sich tief ins Fleisch und kratzten an der Oberfläche, kratzten an dem Dreck der meine Haut besudelte, bis es blutete. Schmerzlich biss ich mir auf die Unterlippe, um die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Was hatten sie nur aus mir gemacht? Ich erkannte mich nicht wieder.

Schniefend ließ ich von meinen schmerzenden Armen ab und öffnete das smaragdgrüne Kleid, welches ich immer noch trug. Achtlos ließ ich es auf dem Boden liegen, stieg in die Dusche und stellte das Wasser an. Ich war so müde und doch zu wach, um zu schlafen. Ich wollte nie wieder einschlafen. Dann würden die Erinnerungen dieses Tages mich auf ewig verfolgen. Und ich konnte nichts dagegen tun. So musste es in der Hölle sein.

Das heiße Wasser brannte auf meiner aufgekratzten Haut, doch der Dreck ließ sich nicht abwaschen. Er klebte an mir, wie eine zweite Haut. Und das war alles ihre Schuld! Tränen liefen mir über die Wange und ich musste das Gesicht in den Händen vergraben, um nicht laut loszuschreien. Ich biss mir fest auf die Lippe. Wie gerne hätte ich alles raus gelassen. Doch was half das, wenn einem sowieso niemand hörte?

Ich nahm das Duschgel und seifte mich damit ein. Es roch nach ihm. Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet sein Duschgel verwendet hatte und nicht eins von Kari. Irgendwie verband ich diesen Geruch mit etwas Gutem. Und ein klein wenig hatte ich sogar das Gefühl, dass dieser Geruch es schaffte, ein wenig von dem Dreck abzuwaschen, der so stur an meiner Haut klebte. Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der ich unter der Dusche meinen eigenen kläglichen Gedanken nachhing, stellte ich das Wasser ab und stieg nach draußen. Ich wischte mit der Hand über den beschlagenen Spiegel. Das Mädchen darin war immer noch gebrochen…

Ich nahm die Sachen, die er mir rausgelegt hatte und zog sie an. Sie waren viel zu groß, aber das machte nichts. Meine Haare waren noch nass, doch das war egal. Langsam öffnete ich die Tür und schaute vorsichtig hinaus. Ich hatte Glück, dass niemand da war. Tai war allein zu Hause und das war gut so. Ich wollte nicht, dass mich jemand so sah. So verletzlich, so gebrochen. Ich wollte auch nicht, dass Tai mich so sah. Doch er war der einzige Mensch zu dem ich gehen konnte. Der einzige, der mich nicht nur bemitleidete, sondern der sich ernsthaft Sorgen um mich machte. Mein Kopf sagte mir, ich hätte zu Sora gehen sollen. Mein Herz sagte mir, dass ich Tai sehen musste. Warum auch immer. Ich wollte jetzt nicht darüber nachdenken.

Er wartete in seinem Zimmer auf mich. Er saß auf dem Bett und hatte den Kopf in die Hände gestützt, schaute jedoch auf, als ich reinkam. Ich betrachtete seine viel zu großen Klamotten, die ich anhatte und wollte mich eigentlich bei ihm dafür bedanken. Doch ich brachte kein Wort über die Lippen.

Wie sollte ich ihm das alles bloß erklären?

Wie erklärt man jemanden, dass man innerlich tot ist?

Als ich auf ihn zukam und mich neben ihn setzte, sah er mich an. Ich verschränkte die Beine und setzte mich im Schneidersitz hin, die Hände im Schoß vergraben. Er betrachtete mich kurz und sah dann zu Boden. Wahrscheinlich wusste er nicht, was er sagen sollte. Ich wusste ja selbst nicht, was ich sagen sollte.

Plötzlich befreite er meine Hände, die sich fest umklammert hatten und verschränkte unsere Finger miteinander. Ich starrte sie an.

Seine Hand.

Meine Hand.

Sie war so warm. Er drückte sie fest und auch, wenn er nichts sagte, wusste ich in diesem Moment, dass ich ihm vertrauen konnte. Diese winzig kleine Geste, die für andere Menschen wahrscheinlich ganz normal war, war für mich so ziemlich das liebevollste, was ich die letzten Monate erfahren hatte. Ich fing an zu schluchzen und schlug die andere Hand vor den Mund, während ich begann auch seine Hand fest zu drücken. So fest, wie ich nur konnte. Ich brauchte etwas, woran ich mich klammern konnte, damit ich nicht einfach fiel wie ein Stein im Wasser.

Ich spürte, wie mir erneut die Tränen übers Gesicht liefen. Zu lange hatte ich es unterdrückt. Zu lang wollten diese Gefühle einfach nur an die Oberfläche. Ich spürte, wie Tai einen Arm um mich legte und mich an seine Brust zog. Er hielt meinen Kopf so fest an seine Brust gedrückt, dass ich sein Herz schlagen hören konnte und ich weinte so heftig, wie ich es noch nie zuvorgetan hatte. Ich schrie. Schrie die ganze Wut und Verzweiflung raus, die mich die letzten Monate aufgefressen hatte. Und er… er war einfach nur da und hielt mich fest. So fest er nur konnte.
 

Ich lag auf seinem Bett. Er lag hinter mir, hatte einen Arm um mich gelegt und hielt mich immer noch fest. Die Tränen ließen langsam nach und nur Tai hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht mehr das Gefühl hatte ins Bodenlose zu fallen. Plötzlich war da eine Hand, die mich festhielt. Und ich wollte sie auch gern halten, aber das konnte ich noch nicht. Fürs erste sollte sie mich einfach nur festhalten.

Die ganze Zeit über, als ich weinte, hatte er nichts gesagt. Und das war gut so. Diese Ruhe, die er ausstrahlte war mir neu. Und ich brauchte diese Ruhe, genau in diesem Moment.

Ich atmete schwer aus und spürte sofort, wie sein Griff sich um mich verfestigte, als hätte er Angst, ich würde wieder anfangen zu weinen.

„Danke“, wisperte ich erleichtert und merkte, wie sein Griff sich wieder lockerte. „Tut mir leid.“

„Was denn?“, fragte er leise. Allein seine Stimme war so beruhigend.

Ich seufzte. „Dieser Gefühlsausbruch.“ Was mutete ich ihm hier eigentlich zu? Ich sollte ihn nicht mit meinen Problemen belasten. Und doch tat es so gut, ihn bei mir zu wissen.

Er lachte leise auf. „Ich bitte dich. Gefühlsausbrüche gehören zu Mimi Tachikawa wie die Fische zum Wasser.“

Auch ich musste leise lachen. Er und seine Sprüche.

Wir schwiegen eine Weile, machten keine Anstalten aufzustehen. Ich hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren. Keine Ahnung, wie lange ich geweint hatte oder wie spät es war.

„Wie fühlt es sich an?“, fragte Tai plötzlich. Ich seufzte schwer und drehte mich zu ihm um, so dass wir uns in die Augen sehen konnten.

„Es fühlt sich wie ertrinken an.“

Sorgenvoll sah er mich an. „Wie kann ich dir helfen?“

Ich lächelte ihn an. „Du hilfst mir gerade schon genug. Und ich weiß, dass ich das eigentlich nicht von dir verlangen darf.“

„Du darfst alles von mir verlangen“, sagte er und ich sah ihn erstaunt an. „Wir sind Freunde, Mimi“, fügte er schnell noch hinzu. „Und Freunde helfen sich. Egal, um was es geht.“

Ich schloss schmerzhaft die Augen. „Und wenn es nicht egal ist? Wenn es etwas ist, was dich zerstören würde, wenn du es aussprichst?“

Kurz war es still.

„Wen hast du mit „sie“ gemeint?“

Ich wusste, was er meinte. Worauf er hinaus wollte. Darauf, was ich gestern Abend auf der Straße zu ihm gesagt hatte. Ich hatte gehofft, er würde es vergessen. Nachdem er mir so sehr geholfen hatte, hätte er wirklich eine Antwort verdient gehabt. Doch ich konnte ihm keine geben.

„Du darfst es nicht sagen“, erwiderte er tonlos. Ich nickte. Er hatte recht. Zu niemandem ein Wort, das hatte ich versprochen.

„Ein Geheimnis, das du verborgen halten willst, darfst du keinem, auch nicht den Vertrautesten mitteilen. Denn keiner wird das Geheimnis besser bewahren als du selbst.“

Diesen Satz hatte ich mir immer und immer wieder eingeredet, ihn in meinem Kopf immer wieder wie ein Gebet aufgesagt.

Doch was war dieses Versprechen noch wert?

Er blinzelte kurz und legte dann eine Hand auf meine Brust. Genau dorthin, wo das Herz war. Normalerweise wäre ich zurückgezuckt, doch bei ihm war es was Anderes. Es fühlte sich nicht bedrohlich an. Es fühlte sich gut an.

„Wenn du es keinem sagen darfst…“ Seine Stimme war ganz ruhig und sein Blick ruhte auf meinem. „Dann wird es dich zerstören.“

Ich schloss die Augen, denn sie füllten sich erneut mit Tränen und das sollte er nicht sehen. Seine Hand spürte ich immer noch auf meinem Herzen.

„Nichts kann dir passieren, wenn du es aussprichst. Denn wenn du es aussprichst, werde ich für dich da sein und dafür sorgen, dass dir nichts passiert. Ich lasse nicht zu, dass es dich zerstört.“

Nun lief mir doch eine stumme Träne über die Wange. Ich wusste nicht, wann ich mich je im Leben so geborgen und sicher gefühlt hatte, wie in diesem Moment.

Ich öffnete die Augen und sah ihn an. In seinem Blick lag so viel Aufrichtigkeit. Tais Augen waren ganz anders als seine. Hayatos Augen waren starr, gefühllos und kalt. Seine Augen hingegen waren warm, freundlich und ehrlich. Und ich wusste, dass ich ihm vertrauen konnte.

„Sag es mir, Mimi“, forderte er mich mit ruhiger und doch fester Stimme auf. „Ich verspreche, ich lass dich nicht im Stich. Egal, was es ist.“

Er strich eine Haarsträhne hinter mein Ohr und ich bekam eine Gänsehaut unter dieser Berührung.

„Ich kann es dir nicht sagen“, antwortete ich leise und hörte das erste Mal seit Monaten auf mein Herz. „Ich muss es dir zeigen.“

Verständnis

Auf der Fahrt zum Krankenhaus redeten wir kein Wort miteinander. Aber das war auch nicht nötig. Er saß in der Straßenbahn neben mir und immer, wenn er merkte, dass ich nervös wurde, nahm er meine Hand und drückte sie fest. Das beruhigte mich. Er gab mir das Gefühl, das Richtige zu tun. Auch, wenn es falsch war.

Ich sollte ihn nicht mit in diese Sache reinziehen. Das redete ich mir die ganze Zeit ein. Ich hätte dieses Drama mit mir selbst ausmachen sollen. Ich hätte stark bleiben sollen. Es alleine durchstehen sollen. Doch das konnte ich nicht mehr und ich wusste es. Es war vorbei. Ich hatte das Spiel verloren und war dabei mein Versprechen zu brechen. Das Versprechen, dass ich Hayato gab, was ich seiner Familie gab, was ich meiner Familie gab. Nur noch wenige Minuten und ich würde sie alle verraten.

Das zu tun fühlte sich weder gut, noch schlecht an. Es fühlte sich einfach nach gar nichts an. Sie waren mir alle egal geworden, seit der Sekunde, in der mir mein Vater verkündete, dass er ernst machen und meine Tochter zur Adoption freigeben lassen würde.

Ich wusste es. Ich wusste es schon lang bevor er es ausgesprochen hatte. Doch ich hätte nie im Leben gedacht, dass er es wirklich durchziehen würde. Dass er mich so verraten würde.

Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster.

Mein Gesicht spiegelte sich im Fenster und draußen ging langsam schon die Sonne unter.

„Alles in Ordnung?“, fragte Tai einfühlsam und drückte meine Hand.

Ich seufzte und legte meinen Kopf an seine Schulter. Ich trug immer noch seine Klamotten. Alles roch so gut nach ihm.

„Ja. Und nein.“

Er würde es gleich selbst sehen. Ob dies eine gute oder eine schlechte Entscheidung war, kann ich nicht sagen. Nur, dass es sein musste.
 

„Was machen wir hier?“

Mir war klar, dass er es nicht sofort verstehen würde. Wie könnte er auch? Wie könnte er sich je so etwas ausmalen? Er hatte keine Ahnung, was wir hier wollten.

„Du wolltest es doch sehen. Mein Geheimnis.“

Wir gingen zum Eingang des Krankenhauses, hinüber zum Fahrstuhl. Ich betätigte den Knopf und wartete. Unwillkürlich musste ich an den letzten Moment denken, als wir hier so standen. Dass er mich damals beinahe erwischt hätte, war das Schlimmste, was ich mir ausmalen konnte. Und jetzt…? Jetzt wollte ich, dass er es wusste. Dass ich je an diesem Punkt sein würde, hätte ich nie gedacht. Ich hätte dieses Geheimnis mit ins Grab genommen, wenn ich es gekonnt und wenn es irgendetwas gebracht hätte.

Wir fuhren nach oben und während ich immer nervöser wurde, schien er immer ruhiger zu werden. Jedenfalls wirkte es so auf mich. Gern hätte ich gewusst, was gerade in seinem Kopf vorging. In meinem kreisten tausend Fragen. Und die schlimmste war: wie wird er reagieren?

Als die Fahrstuhltüren sich öffneten und wir an den Schwestern vorbeigingen, sah er sich unsicher um.

„Gehen wir jetzt deine kranke Oma besuchen?“

„Nein“, sagte ich und legte die Hand auf die Klinke der Tür, vor der wir stehen blieben. „Nicht ganz.“

Ich atmete noch ein Mal aus und öffnete sie.

Wir gingen hinein und ich hätte es ihm wirklich gerne schonender beigebracht, doch mein Blick fiel direkt auf sie und das Gefühl, sie endlich wieder zu sehen übermannte mich. Ich eilte zu ihr, beugte mich über sie, lächelte sie an.

Sie schlief. Und sah so friedlich aus.

Wieder einmal erwärmte sie mein Herz nur durch ihren Anblick und plötzlich vergaß ich alles um mich drum rum. Es ging ihr gut. Also ging es auch mir gut.

„Mimi, wer…?“

Tai. Für einen klitzekleinen Moment hatte ich vergessen, dass er tatsächlich hier stand.

Und soeben als erster meiner Freunde sah, was ich all die Monate verborgen gehalten hatte.

„Wer ist das?“, fragte er leise und ich sah ihm an, wie überrascht er war.

Ich richtete mich leicht auf, hielt jedoch das Gitter des Bettchens fest umklammert.

Tai machte einen Schritt auf uns zu, warf einen ersten Blick auf sie, ehe er mich ansah. „Ist sie deine Schwester? Oder… eine Cousine?“

Schön wär’s. Ich lächelte. „Nein, das ist sie nicht. Ehrlichgesagt ist sie…“

Seine Augen weiteten sich. Er hatte ziemlich schnell begriffen, was ich sagen wollte, aber nicht über die Lippen brachte und für einen Moment dachte ich, gleich würde es aus ihm herausplatzen. Wie ich das nur tun konnte und warum ich sie die ganze Zeit angelogen hatte? Doch das passierte nicht. Stattdessen richtete er seinen Blick wieder auf sie und sah sie einfach nur an. Eine ganze Weile standen wir so da und ich glaube, er hat in diesem Moment versucht zu begreifen, was das alles bedeutete.

Er musste etwas dazu sagen, irgendwas. Dieses Schweigen hielt ich nicht länger aus. Doch gerade, als ich etwas sagen wollte, unterbrach Tai die Stille, die zwischen uns herrschte.

„Darf ich sie mal halten?“

Erstaunt sah ich ihn an, strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und blinzelte nervös.

„Ehm… ja… ja, natürlich.“ Ich nahm ihm seine Krücke ab und er verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. Dann beugte er sich zu ihr hinunter, nahm ihr Köpfchen in seine Hand und hob sie behutsam hoch. Nun lag sie wiegend in seinen Armen, während er sie liebevoll anlächelte.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich in diesem Moment einfach nur sprachlos dastand, mit offenem Mund. Das war einfach unglaublich! Was tat er da? Warum tat er das? War er denn gar nicht sauer? Hatte er denn gar nicht begriffen, was hier geschehen war?

„Tai, du…“ Mir fehlten einfach die Worte. Niemals hätte ich so viel Zuneigung auf den ersten Blick erwartet. So viel Verständnis. Nie!

„Sie ist wirklich hübsch“, sagte er und wiegte sie weiter in seinen Armen, während sie seelenruhig schlief. Mein Blick huschte immer wieder ungläubig von ihr zu ihm.

„Wie heißt sie?“

Ich sah ihn schuldbewusst an. „Sie hat keinen Namen.“

„Warum nicht?“, fragte er und sah mich verwirrt an.

Ich blickte zur Seite und biss mir fest auf die Unterlippe. Jetzt kam der eigentlich schwierige Teil. Es auszusprechen kostete mich eine Menge Überwindung. Doch ich musste es tun. Er musste es wissen.

„Ich wollte ihr keinen Namen geben. Das sollen ihre zukünftigen Eltern machen.“

Augenblicklich sah er mich fassungslos an und versuchte anscheinend zu begreifen, was ich gerade zu ihm gesagt hatte und was es für mich bedeutete.

„Du… du willst sie weggeben?“

Nein. Das wollte ich nie.

„Ich muss.“

„Mimi, was redest du da?“, fragte Tai irritiert. Empört sah er mich an. Ich schloss die Augen, denn ich ertrug es nicht, dass er mich so ansah. Als wäre ich daran schuld. Als würde ich sie nicht lieben.

„Das verstehst du nicht, Tai.“

Er seufzte. „Dann erklär es mir.“

Wie um alles in der Welt sollte ich das erklären? Es gab einfach nichts, was das hier rechtfertigen würde.

„Tai, ich…“

Mir kamen die Tränen und ich musste mir die Hand vor den Mund halten, um nicht los zu schluchzen.

Tai sah mich mitfühlend an. „Willst du sie halten?“

Ich sah ihn an, sah sie an. Mein Herz war voller Liebe für sie und doch…

„I-ich kann nicht“, antwortete ich und stürmte an ihm vorbei, aus dem Zimmer, als gerade eine Schwester reinkam.
 

Was machte ich nur hier? Warum machte ich es mir so schwer? Erst wollte ich ihm die Wahrheit sagen und jetzt? Jetzt führte genau diese Wahrheit mir schmerzlich vor Augen, was ich getan hatte. Ich hätte mehr um sie kämpfen müssen, sie nicht so einfach hergeben dürfen. Sie gehörte doch zu mir… oder etwa nicht? Ich kam mir so hilflos vor.

Dieser Blick, mit dem er mich angesehen hatte… als wäre ich ein schlechter Mensch. Aber ich konnte doch nichts dafür. Ich beugte mich nach vorn und bettete meinen Kopf auf meine Arme, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte. Erschrocken sah ich ihn an. Er hatte sich im Wartebereich neben mich gesetzt und sah mich mit verständnisvollen Augen an.

„Es tut mir leid, dass ich das eben so gesagt habe. Das sollte nicht vorwurfsvoll klingen.“

Ich ließ geknickt den Kopf hängen und starrte zu Boden. „Ich dachte, du wärst sauer auf mich.“

„Wieso sollte ich?“, fragte er verwundert. Ich sah ihn verständnislos an.

„Tai… ich hab euch alle belogen… Monatelang!“

„Ich weiß.“

„Und ich war auch nicht in Amerika, ich war… ich war…“

„Ja, ich weiß“, sagte er seelenruhig, während ich ihn nur ungläubig anstarrte.

„Und das macht dich nicht sauer?“

„Mimi“, antwortete er so aufrichtig wie möglich. „Wie könnte ich sauer auf dich sein? Ich kann mir nicht mal im Traum ausmalen wie schlimm das alles für dich gewesen sein muss.“

Ich hätte weinen können, doch ich verkniff es mir. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit…?

„Außerdem…“, sagte er und ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen. „…hast du eine wirklich süße Tochter. Ich finde, sie sieht dir sehr ähnlich.“

Meine Augen wurden groß und ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Wie machte er das nur? Wie schaffte er es so viel Verständnis aufzubringen?

Noch nie hatte mir eine Person so viel Verständnis für meine Situation entgegengebracht, wie er es gerade tat und das beeindruckte mich zu tiefst. Aber nicht nur das. Von der ersten Sekunde an hatte er meiner Tochter mehr Liebe geschenkt, als ihr leiblicher Vater in den letzten 10 Monaten.

Und plötzlich sah ich ihn mit ganz anderen Augen.
 

„Was machen wir jetzt?“, fragte er, als wir das Krankenhaus verließen. Ich seufzte laut auf. Ich hatte einiges zu verarbeiten. Und ich wusste gerade selbst nicht, wie es weitergehen sollte. Also drehte ich mich zu ihm um und sah ihn hilfesuchend an.

„Ich weiß es nicht.“

„Kannst du denn nach Hause?“

Betreten sah ich zur Seite. Konnte ich das denn noch? Nachdem, was heute Nachmittag geschehen war? Wie sollte ich meinem Vater nur je wieder unter die Augen treten, ohne daran zu zerbrechen?

„Wenn du willst“, begann Tai. „Kannst du für ein paar Nächte bei mir schlafen. Meine Eltern haben sicher nichts dagegen.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Dein Ernst?“

Er nickte. Es war einfach unglaublich, was er hier gerade alles für mich tat. Das hätte er nicht tun müssen und das wusste ich. Nichts war im Leben selbstverständlich und das schon mal gar nicht. Gerührt von diesen ganzen Momenten, die ich in den letzten Stunden mit ihm erlebt hatte, ging ich auf ihn zu und umarmte ihn innig. Ich nahm seinen Duft in mir auf, der mich wieder ein Mal beruhigte, denn ich wusste, dass er für mich da war. „Danke, Tai“, flüsterte ich und ließ ihn los. Er lächelte mich an. „Schon gut. Wozu hat man denn Freunde?“

Ich grinste. Er war wirklich ein toller Freund.

„Wir müssen aber noch ein paar Sachen von mir zu Hause holen.“
 

Bei mir zu Hause angekommen, holte ich noch ein Mal tief Luft, bevor ich den Schlüssel ins Schlüsselloch steckte.

„Was ist?“, fragte Tai irritiert.

Ich sah ihn entschuldigend an. „Es tut mir so leid, dass ich dich da jetzt mit reinziehe.“

„Ach was…“, meinte er nur gleichgültige und zuckte mit den Schultern. „Was kann jetzt noch Schlimmes kommen?“

Oh, er hatte ja keine Ahnung…

Unkommentiert öffnete ich die Tür und trat ein. Ich sah, dass die Schuhe meines Vaters weg waren und das bedeutete, dass er nicht mehr zu Hause war, was mich sehr erleichterte. Es war Sonntag und wahrscheinlich war er wieder abgereist zu irgendeiner Geschäftsreise.

„Mimi, bist du das?“

Die panische Stimme meiner Mutter drang aus dem Wohnzimmer und sie kam zu uns in den Flur gestürmt. Sie sah ziemlich aufgelöst aus, doch das war mir in dem Moment völlig egal.

„Siehst du doch“, sagte ich und drängte mich an ihr vorbei. „Ich hole nur ein paar Klamotten ab. Warte hier“, bedeutete ich Tai und verschwand in meinem Zimmer. So schnell ich konnte, packte ich die wichtigsten Sachen zusammen. Schuluniform, Bücher, Klamotten… Als ich wieder rauskam, stand meine Mutter völlig sprachlos vor mir. „A-aber… wo willst du denn hin?“

Ich beschloss ihr nicht zu antworten und wollte an ihr vorbeigehen, doch sie hielt meinen Rucksack fest.

„Lass los!“, schrie ich sie an. Ihr kamen die Tränen. „Du kannst doch nicht einfach gehen. Mimi, wir kriegen das irgendwie wieder hin. Wir sind doch eine Familie.“

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und ich funkelte sie böse an.

„Wir sind schon lang keine Familie mehr!“

Ich riss meine Tasche aus ihrem Griff und drängte Tai in Richtung Ausgang. „Komm, lass uns einfach verschwinden.“

Meine Mutter ging mir hinterher. „Sag… sag mir wenigstens wo du hingehst.“

„Ich gehe zu Tai. Und versuch nicht, mich zu erreichen“, entgegnete ich knapp und knallte die Tür hinter mir zu.

Erleichtert atmete ich aus. Was für ein Drama.

Tai sah mich stutzig an. „Deine Mutter scheint sich ziemliche Sorgen um dich zu machen. Bist du sicher, dass du nicht doch bleiben willst?“

„Nein“, antwortete ich sofort entschlossen. „Dafür ist einfach zu viel zwischen uns passiert. Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich erst mal bei dir bleibe?“

Er lächelte mich verständnisvoll an. „Na klar!“

Puzzle

„Was sagst du dazu?“

Tai sah seine Mutter bittend an. Wir saßen alle zusammen an einem Tisch und ich wusste nicht, wann mir etwas das letzte Mal so unangenehm war. Ich kannte Tais Mutter schon ewig und sie war immer nett zu mir gewesen. Aber bedeutete das auch, dass sie mich bei sich aufnahm? Ohne den Grund dafür zu wissen? Vielleicht war das doch etwas zu viel verlangt. Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme vor der Brust und schaute uns misstrauisch an.

„Ich weiß nicht, Tai…“

„Ach, komm schon“, bettelte Tai weiter. Er gab wirklich sein Bestes, sie zu überreden, dass ich für ein paar Tage bleiben konnte.

„Was sagen denn deine Eltern dazu?“, fragte sie mich, doch ich konnte nur mit den Schultern zucken. „Ich weiß nicht. Wir reden momentan nicht miteinander. Es ist gerade… es ist sehr kompliziert.“ Am liebsten hätte ich ihr gesagt, dass meine Eltern nichts dagegen hatten und dass es plausible Gründe dafür gab vorläufig auszuziehen, doch das konnte ich nicht. Noch mehr Lügen ertrug ich einfach nicht.

„Hmm“, machte Frau Yagami und legte ein nachdenkliches Gesicht auf.

„Du würdest ihr wirklich helfen“, sagte Tai. „Sie kann momentan nicht nach Hause.“

„Und natürlich könnt ihr mir nicht sagen, warum. Schon klar.“

Betreten sah ich zur Seite. Nie im Leben hätten wir ihr sagen können, was geschehen war. Schließlich seufzte sie schwermütig auf. „Oh, na gut.“

„Ehrlich?“, fragte Tai verdutzt und sah mich an.

„Ja, Mimi kann für ein paar Tage bleiben. Aber ich werde mit ihrer Mutter darüber sprechen müssen und ihre Erlaubnis einholen.“

Ich nickte zwar, doch ganz recht war es mir nicht. Als ob meine Mutter damit einverstanden wäre… Doch hatte ich eine Wahl?

„Okay, das geht klar. Komm, Mimi“, sagte Tai zufrieden, stand auf, ich nahm meine Tasche und folgte ihm in Richtung seines Zimmers.

„Moment mal“, rief seine Mutter und stand plötzlich hinter uns. Sie zog eine Augenbraue nach oben und sah ihren Sohn ernst an. „Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass ihr zusammen in einem Zimmer schlaft.“

Oh mein Gott. Das hatte sie gerade nicht wirklich gesagt! Sie dachte doch nicht ernsthaft, dass wir… Oh man. Das war einer dieser Momente, in denen einem als Kind wirklich alles aus dem Gesicht fiel. Und genauso war es bei Tai.

„Mama!“, ermahnte er sie. „Das ist doch wohl jetzt nicht dein Ernst!“

Doch seine Mutter straffte entschlossen die Schultern und baute sich vor ihrem Sohn auf, der inzwischen einen ganzen Kopf größer war als sie. „Na und ob das mein Ernst ist. Oder meinst du, ich habe schon Lust Oma zu werden?“

Ich prustete los, während Tai puterrot anlief und dampfte wie eine Lokomotive. „Das… also… was denkst du denn? Das hatten wir doch gar nicht vor! Und außerdem bin ich schon alt genug… und… ach man! Du bist echt peinlich!“

Wütend ging er in sein Zimmer, schmiss die Tür hinter sich zu, nur um sie eine Sekunde später wieder aufzureißen und mit samt seinen Bettsachen wieder rauszukommen. Er stapfte zum Sofa und schmiss sein Kissen und seine Decke darauf. Ein Wunder, wie er plötzlich mit seinem immer noch verletzten Fuß aufstampfen konnte.

„So. Zufrieden?“

Seine Mutter nickte zustimmend, während ich einfach nicht mehr aufhören konnte zu lachen. Es war einfach zu komisch, wie peinlich ihm das war.

„Dürfen wir wenigstens noch zusammen Mathe lernen? Oder wirst du davon auch Oma?“

Genervt sah er sie an, doch seine Mutter zischte nur und ging zurück in die Küche. „Sei nicht albern, Tai. Um Acht gibt es Abendessen.“ Ich hatte mich zwar wieder einigermaßen im Griff, musste mir jedoch immer noch das Lachen verkneifen. Diese Frau war einfach der Hammer.

„Ich mag deine Mutter“, sagte ich zu Tai, der an mir vorbei humpelte. „Sie ist peinlich“, erwiderte er nur tonlos und schloss die Tür hinter uns, nachdem wir in sein Zimmer gegangen waren.

„Na ja, vielleicht ein bisschen“, grinste ich und setzte mich auf den Boden, um meine Schulsachen aus der Tasche zu kramen. „Aber sie macht sich wenigstens Sorgen um dich.“

Tai setzte sich aufs Bett, da es für ihn und seinen Fuß wahrscheinlich so bequemer war.

„So, wie deine Mutter vorhin aussah, macht sie das auch.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Ist mir egal. Jetzt ist es zu spät sich Sorgen zu machen.“

„Was ist eigentlich zwischen euch vorgefallen? War das mit der Adoption ihre Idee?“

Geknickt senkte ich den Blick. „Nein, die meines Vaters und die…“

Nein. Das konnte ich ihm noch nicht sagen. Es war einfach zu kompliziert und er wusste ohnehin schon zu viel. Ich wollte ihn nicht noch mehr mit in diese Sache hineinziehen.

„Schon okay“, meinte er verständnisvoll und griff nach einem Buch, welches auf seinem Bett lag. „Wir müssen nicht weiter darüber reden, wenn du nicht willst. Lass uns lieber ein bisschen Mathe pauken. Das lenkt ab.“

Genervt stöhnte ich auf und warf den Kopf in den Nacken. „Oh, musstest du mich jetzt daran erinnern? Wie soll ich das nur schaffen? Ich hab gerade echt keinen Kopf für irgendwelche Tests.“

„Kann ich verstehen. Aber versuch es wenigstens. Das ist wichtig, wenn du bestehen willst.“

Ich nickte zustimmend und schlug ebenfalls mein Buch auf. Er hatte recht. Ich musste wenigstens versuchen, mich zu konzentrieren, wenn ich nicht in Mathe durchfallen wollte.
 

„Hmm, meinst du, das ist so richtig?“, fragte ich, nachdem ich meine Aufgaben zu Ende bearbeitet hatte und setzte mich zu ihm aufs Bett. Er nahm mir den Zettel aus der Hand, las ihn aufmerksam durch und überlegte. Dabei kaute er auf seinem Stift rum und bei diesem Anblick musste ich irgendwie grinsen. Nach einer Weile wandte er den Kopf um und sah mich fragend an. „Was ist?“

Oh nein, ich sollte ihn nicht so anstarren. Schnell drehte ich mich weg und versuchte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Aufgaben zu lenken. „Ach, nichts. Was ist jetzt mit den Aufgaben?“

Tai sah mich kurz an, konzentrierte sich jedoch dann wieder auf das Papier. „Na ja, hier und da sind noch einige Fehler drin, aber ich denke, wenn wir eine Nachtschicht einlegen, kriegen wir das auch noch in den Griff.“

Es gefiel mir wie er „wir“ sagte und dabei musste ich wieder unwillkürlich grinsen. Nachtschicht gefiel mir allerdings weniger.

„Essen ist fertig“, sagte seine Mutter und stand urplötzlich bei ihm in der Tür.

„Oh Gott, kannst du nicht mal anklopfen?“, meinte Tai genervt.

„Wieso? Ihr lernt doch nur Mathe.“ Sie zwinkerte mir zu und ging zurück in die Küche. Tai stöhnte auf, während ich ihn nur grinsend ansah und mit den Schultern zuckte. „Sie hat recht.“

Tai grinste mich schief von der Seite her an. „Zum Glück weiß sie nicht, dass du schon mal schwanger warst. Sonst würde sie uns einen Sicherheitsabstand von mindestens drei Metern verordnen.“

Ich lachte auf, nahm seine Krücke und schlug ihn unsanft damit gegen sein Bein. „Au!“, schimpfte er, lachte jedoch auf. Wir gingen gemeinsam zum Essen. Sein Vater war nicht da, aber Kari saß mit am Tisch.

„Mama meinte, du bleibst für ein paar Tage bei uns“, stellte sie fest und musterte mich von oben bis unten, als ich mich ihr gegenübersetzte und Tai sich neben mich. Ihr Blick huschte unsicher zwischen uns beiden hin und her. „Seid… seid ihr jetzt zusammen?“

Tai spuckte das Wasser, was er gerade trinken wollte zurück ins Glas. Er hustete und ich sah sie mit großen Augen an. „Gute Frage, das hab ich mich auch schon gefragt“, stupste Frau Yagami ihre Tochter in die Seite.

„Nein, sind wir nicht“, sagte ich jedoch eilig. „Wie kommst du denn darauf?“

„Na ja“, meinte Kari und deutete auf mich. „Du trägst seine Klamotten, schläfst bei uns…“

Tai schlug sich die Hand vors Gesicht und sah seine Schwester entnervt an. „Oh man, wie alt bist du noch mal? Nur, weil sie für ein paar Nächte hier übernachtet, heißt das doch noch lange nicht… Das wäre doch völlig absurd.“

Ich schielte zu ihm hinüber. Wäre es das? Absurd?

Ich räusperte mich und ließ das für den Moment mal unkommentiert. Und zum Glück taten das alle anderen auch.
 

„Wie sieht’s aus? Bist du soweit?“

„Ja… ähm… kann losgehen“, sagte ich und rutschte rüber. Er setzte sich neben mich aufs Sofa und bettete seinen verletzten Fuß auf den Tisch. Ich hatte eine Ladung Bücher auf dem Schoß und atmete schwermütig aus. Was war nur alles passiert an diesem Wochenende? Das war einfach zu viel. Und dann morgen auch noch die Mathe Klausur. Wie sollte ich das nur alles schaffen?

„Hey, das wird schon“, sagte Tai plötzlich, während er schon mal das erste Buch aufschlug. Ich grinste ihn an. „Kannst du Gedanken lesen?“

„Schön wär’s“, antwortete er und lächelte mich an.

„Was soll das heißen?“

„Ach, nichts.“

„Jetzt sag schon“, kicherte ich und schlug ihm gegen den Arm.

„Na ja“, sagte er und zuckte mit den Schultern. „In deinen Kopf würde ich schon gern mal reinschauen.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben. Was meinte er damit?

„Natürlich nur, um zu sehen, wie viel Ahnung du von Mathe hast. Also, zeig mal her, was du da hast“, grinste er, lehnte sich zu mir hinüber und warf einen Blick auf meine Bücher.

Ich merkte, wie ich leicht errötete und das nur, weil er mir so nah war. Irgendwie war mir das unangenehm und ich räusperte mich. „Ähm… ich hol uns mal etwas zu Trinken.“

Ich stand auf, ging in die Küche und atmete erleichtert aus. Das war schon viel besser. Was war nur los? Wieso wurde ich plötzlich rot, wenn er mir nah kam? Das war doch früher nicht so. Das war doch noch nie so! Warum ausgerechnet jetzt? Weil er so nett zu mir war? Weil er mir völlig selbstlos Hilfe angeboten hatte?

Ich nahm eine Flasche frischen Orangensaft aus dem Kühlschrank und schenkte ihn in zwei Gläser. Er hatte recht gehabt, mit dem, was er vorhin beim Essen gesagt hatte. Es wäre völlig absurd! Ich musste ganz dringend damit aufhören mich so in seiner Gegenwart zu verhalten. Aber wahrscheinlich war das nur die natürliche Reaktion auf sein Verhalten. Er hatte mir geholfen, mich beschützt, stand mir bei… Verständlich, dass ich mich eben zu ihm hingezogen fühlte. Momentan war er tatsächlich alles, was ich hatte.

Ich fuhr kurz zusammen, als ich merkte, dass jemand neben mir stand.

„Und ihr wollt also die Nacht heute durchmachen und lernen?“, fragte Kari plötzlich und lächelte mich an. Ich nickte und sie schenkte sich ebenfalls ein Glas Orangensaft ein. „Ich finde es gut, dass Tai dir dabei hilft. Und… auch bei allem anderen.“

Ich sah sie leicht irritiert an, woraufhin sie schnell abwinkte. „Keine Sorge, er hat mir nichts erzählt. Ich habe keine Ahnung, was mit dir oder deiner Familie ist. Ich will nur, dass du weißt, dass wir alle für dich da sind. Wenn du das willst.“

Schuldbewusst sah ich zu Boden. Es war mir unangenehm, dass Kari schon mehr mitbekommen hatte als sie sollte. Ich wollte nicht noch jemanden mit in diese Sache hineinziehen. Schlimm genug, dass ich Tai mit hineinzog.

„Danke, das weiß ich sehr zu schätzen“, bedankte ich mich dennoch kleinlaut und meinte es tatsächlich auch so. Es wäre wirklich schön gewesen, wenn sie alle für mich da sein könnten. Aber so war es nun mal besser für alle.

„Na, dann“, meinte Kari und wollte gehen. „Macht nicht zu lange.“

„Kari, warte mal.“

„Mmh?“ Sie wandte sich noch ein mal um und sah mich fragend an. „Was ist?“

„Ich muss dich etwas fragen.“

Das war die Gelegenheit, sie darauf anzusprechen. Wir waren gerade alleine und niemand hörte uns zu. Außerdem war es eine der vielen Sachen, die mir einfach nicht aus den Kopf gingen. Es musste einfach sein. Sie sollte nicht auch noch in ihr Verderben rennen, wie ich. Nicht sie auch noch.

„Es geht um Takeru.“

Kari blinzelte kurz, lächelte jedoch dann. „Hab mich schon gefragt, wann du etwas sagst. Ich wusste, du kannst es nicht lang für dich behalten.“

Wie?

Die Fragezeichen standen mir offensichtlich ins Gesicht geschrieben. War ich jetzt die Verwirrte oder sie?

„Du denkst, er betrügt mich“, sagte Kari mit ruhiger Stimme und sah mich unvermittelt an, währenddessen mir wahrscheinlich nur der Mund offenstand. Sie wusste es? Und sie wusste, dass ich es wusste? Was zum Teufel war hier los?

„Ich hab es gesehen“, antwortete ich leise und war in dem Moment auf alles gefasst. Würde sie weinen? Würde sie sauer werden? Würde sie sich die ganze Nacht in ihrem Zimmer einschließen und sich ihrem Liebeskummer hingeben?

Doch nichts von alledem geschah. Stattdessen blieb sie einfach seelenruhig dastehen. „Ich weiß, er hat es mir erzählt?“

„Äh… wirklich?“ Ich war sichtlich verwirrt. Er hatte es ihr gesagt? Und trotzdem stand sie hier vor mir und zuckte nicht ein Mal mit der Wimper? Die Tatsache, dass ihr Freund sie hinterging steckte sie besser weg als erwartet und ich wusste nicht, ob ich erleichtert oder besorgt über diese Reaktion sein sollte.

„Er hat mir erzählt, dass du ihn gestern darauf angesprochen hast.“

„Oh, Kari“, sagte ich mitfühlend. „Es tut mir so leid. Ich wünschte, du hättest es anders erfahren. Aber glaub mir, so ist es das Beste und…“

„Das Beste wäre, wenn du dich da raushältst.“

Wie bitte? Hatte sie das gerade wirklich gesagt?

„Ich meine es Ernst, Mimi.“ Und genauso sah sie jetzt auch aus. Todernst. So kannte ich sie nicht. Was war mit ihr los? Was war mit Takeru los? Was war hier überhaupt los?

„D-du…“, stotterte ich und sah sie verständnislos an. „Wie soll ich mich da raushalten? Er ist dabei, dir dein Herz zu brechen und ich soll einfach so dabei zusehen?“

Sie grinste kurz und sah dann zu Boden. „Er bricht mir nicht das Herz. Hörst du? Es ist alles gut. Er beschützt mich. Das hat er schon immer, das weißt du doch. Also, bitte Mimi… halt dich einfach da raus. Das wäre das Beste für alle.“

Ohne, dass ich noch etwas dazu sagen konnte, wandte sie sich ab und ging in ihr Zimmer zurück. Unfassbar! Ich verstand die Welt nicht mehr. Waren denn jetzt plötzlich alle dabei durchzudrehen? Was sie eben zu mir gesagt hatte, musste ich erst mal sacken lassen. Und ich musste es ganz dringend Sora erzählen, bevor sie die Beiden auch noch darauf ansprach. Denn dann würden wir sicher erst recht nicht erfahren, was Sache war. Ich hatte keine Ahnung, was mit Kari oder mit Takeru los war, aber… irgendetwas war hier faul und zwar gewaltig. Das ergab doch alles gar keinen Sinn. Was meinte sie damit, als sie sagte, er würde sie damit beschützen? Wie beschützt man jemanden, indem man ihn betrügt? In meinem Kopf geisterten plötzlich so viele Fragen. Es war wie ein Puzzle, dessen Teile einfach nicht zusammenpassen wollten.

Kopfschüttelnd ging ich ins Wohnzimmer zurück, in dem nur noch ein leichtes Schummerlicht brannte. Tai saß auf dem Sofa… und war eingeschlafen.

Ich grinste, stellte die beiden Gläser auf dem Tisch ab und sah ihn an. Ob er wusste, was mit seiner Schwester los war? Ob er wusste, dass etwas nicht stimmte? War er deswegen gegen diese Verlobung?

Ich rüttelte an seinem Arm, woraufhin er hochschreckte. „Was… was ist?“

„Warum schläfst du denn schon?“, kicherte ich und hielt mir die Hand vor den Mund. Er sah zur Uhr und rieb sich die Augen. „Wie lang braucht man für gewöhnlich, um was zu Trinken zu holen?“

„Entschuldige, bitte.“

Er grinste mich an und richtete sich auf.

„Schon gut, lass uns anfangen.“

Zugzwang

„Ich kann nicht mehr“, gähnte ich und warf einen Blick auf die Uhr. Es war inzwischen schon nach Mitternacht und so langsam machte sich die letzte Nacht und der Schlafmangel bemerkbar.

„Wir haben’s fast geschafft. Nur noch eine Seite“, entgegnete Tai und streckte genüsslich seine müden Glieder.

„Du musst das wirklich nicht alles für mich tun“, sagte ich schuldbewusst und versuchte mich auf die nächste Aufgabe zu konzentrieren, was mir immer schwerer fiel.

„Was meinst du damit?“

Ach, Tai. Plötzlich so bescheiden?

„Na, das alles hier. Dass du mit mir Mathe lernst, obwohl du mindestens genauso müde bist wie ich. Und dass…“ Es war mir unangenehm es auszusprechen. „Dass du für mich deine Familie belügst.“

„Ich belüge sie nicht. Ich erzähle ihnen nur nicht alles, das ist ein Unterschied.“ Er sagte das so selbstverständlich, als wäre das eine eindeutige Tatsache. Doch er unterschätzte das Ausmaß der Bedeutung.

„Trotzdem, danke.“

Er grinste, nahm mir das Blatt vom Schoß, auf dem ich gerade schrieb und sah mich an. „Hör auf, dich ständig zu bedanken. Ich hätte für jeden anderen dasselbe getan.“

Hättest du?

Ich bemerkte, wie ich leicht geknickt den Blick senkte, hoffte jedoch, dass er es einfach auf die Müdigkeit schieben würde.

Tai laß sich den Zettel durch und legte ihn dann zur Seite. „Ganz okay. Wir machen fünf Minuten Pause und dann noch die restliche Seite zu Ende.“

Ich seufzte. „Du machst mich fertig.“

Tai lachte, lehnte sich zurück und breitete die Arme aus. Wie verdattert saß ich da und überlegte, was diese Geste zu bedeuten hatte, dabei war es doch so offensichtlich.

„Komm schon her, ich beiße nicht“, lachte er und hielt weiterhin die Arme ausgestreckt. Verlegen krabbelte ich zu ihm rüber, beugte mich über ihn und legte meinen Kopf auf seine Brust. Seine Arme umschlossen mich und ich ließ mich erschöpft fallen. Erleichtert atmete ich aus und spürte, wie gut mir diese Nähe tat. Es fühlte sich einfach nur nach Geborgenheit an. Ich schloss die Augen.

„Aber nicht einschlafen!“, ermahnte er mich gleich, klang dabei jedoch selbst ziemlich müde.

„Keine Sorge.“

Kurz lagen wir einfach so da und entspannten uns, während sich seine Brust beruhigend hob und sank.

„Darf ich dich was fragen?“, unterbrach er plötzlich die Stille. Ich nickte, auch, wenn ich viel lieber weiter auf den gleichmäßigen Klang seines Herzens gehört hätte.

„Wolltest du deine Tochter zur Adoption freigeben?“

„Das wollte ich nie“, antwortete ich schläfrig. „Aber eine Zeit lang dachte ich, es wäre tatsächlich die beste Lösung für alle. Jetzt… jetzt will ich es nicht mehr und das ist ziemlich egoistisch von mir.“

„Was ist daran egoistisch, sein Kind behalten zu wollen?“

Ich seufzte. „Würde ich sie behalten, würde ich das Leben mehrere Menschen ruinieren. Ist das nicht egoistisch?“

Darauf sagte Tai nichts mehr. Stattdessen strich er mir sanft über das Haar, was nur dazu führte, dass ich mich noch wohler fühlte und am liebsten gar nicht mehr aufgestanden wäre. Ich hätte für immer auf seiner Brust liegen bleiben und schlafen können.

„Wie hast du das nur alles ausgehalten? Ich hätte nie gedacht, dass du so stark sein kannst“, sprach er in die Stille und in seiner Stimme schwang Mitgefühl. Stark? Ich war alles andere als das. Wäre ich stärker, wäre ich jetzt nicht hier.

Ich zuckte leicht mit den Schultern und kuschelte mich noch dichter an ihn. „Man sagt immer, was einen nicht umbringt, macht einen härter. Aber das stimmt nicht. Was einen nicht umbringt, wird so lang schmerzen, bis es dich umgebracht hat. Der Schmerz wird irgendwann ein Teil von dir und er wird so lang allgegenwärtig sein, dich fesseln und besitzen, bis du aufgibst. Bis du nicht mehr kannst. Und am Ende hat er, anstatt dich härter zu machen, doch umgebracht. Auch, wenn er nur deine Seele tötet… Er wird dich nie loslassen, nie vergessen lassen und er wird so lang ein Teil von dir sein, bis er sie dir ganz langsam ausgesaugt hat. Das ist es, was Schmerz tut.“

Und das waren für diesen Abend die letzten Worte, die wir miteinander wechselten…
 

Oh Gott. Ich wusste nicht, wann ich mich das letzte Mal so wohl gefühlt hatte. Wann ich das letzte Mal so gut geschlafen hatte. Und genau deshalb wollte ich gar nicht erst die Augen öffnen. Stattdessen ließ ich sie einfach weiter geschlossen und lauschte wie er atmete, wie sein Herz schlug…

Offensichtlich hatte ich es gestern Abend nicht mehr ins Bett geschafft und war auf seiner Brust eingeschlafen. Und genauso, wie ich eingeschlafen war, so wachte ich auf. Behütet und beschützt. Das war es, was sich so gut anfühlte. Ich hatte zwar die Augen immer noch geschlossen, konnte mir jedoch ein Lächeln nicht verkneifen, als er sich kurz reckte und dann die Arme noch fester um mich schloss. Für einen kurzen Moment hätte alles perfekt sein können, wären da nicht…

Diese zwei Augen, die mich so penetrant anstarrten. Ich spürte es ganz deutlich und das, obwohl ich selbst die Augen geschlossen hatte und das sollte schon was heißen. Vorsichtig öffnete ich ein Auge und blinzelte in die seiner Mutter, die mich unvermittelt von oben herab ansah.

„Ach, du Schreck“, platzte es aus mir heraus und ich fuhr hoch. Oh nein! Die erste Nacht hier und wir hatten schon die erste und einzige Regel gebrochen, die sie uns auferlegt hatte. Mit verschränkten Armen stand sie vor uns. Ich warf einen Blick zu Tai, der weiterhin unbeirrt schlief. Vorsichtig rüttelte ich an seinen Arm, während ich den Blick nicht von ihr abwandte – das hätte ich mich nie getraut…

„Tai… wach auf!“

Keine Reaktion. Seine Mutter zog eine Augenbraue nach oben und brachte mich damit ins Schwitzen. „WACH AUF!“, schlug ich ihn nun ziemlich unsanft gegen den Oberarm, woraufhin er hochschreckte und mich wütend ansah.

„Au! Sag mal, spinnst du?“, blaffte er mich an, doch ich traute mich nicht, auch nur eine Miene zu verziehen. Das war’s. Sie würde mich rausschmeißen und ich musste wieder zu meinen Eltern gehen. Wie konnte ich nur so dumm sein und auf der Brust ihres Sohnes einschlafen?

Da ich keine Reaktion zeigte, sah mich Tai nun verdattert an, ehe sein Blick zur Seite und dann nach oben ging.

„Oh.“

Wenn Blicke töten könnten…

„Mom… w-wieso bist du schon wach?“

Frau Yagami schnaufte, was eindeutig kein gutes Zeichen war. „Das ist nicht die richtige Frage. Was habe ich gestern zum Thema getrennte Betten und Großmutter werden gesagt? Ich dachte, ich hätte mich deutlich ausgedrückt.“

Tai schlug eine Hand vors Gesicht und stöhnte auf. „Oh man, wir haben doch nur Mathe gelernt.“

„Ich wusste gar nicht, dass Mathe lernen bedeutet, dass man aufeinander schlafen muss.“

Oh mein Gott. Das war jetzt nicht nur ihm peinlich.

Ich sprang sofort auf und kramte meine Schulsachen zusammen, die immer noch verstreut auf dem ganzen Tisch lagen. „Tut mir ehrlich leid. Es war nicht seine Schuld. Wir haben wirklich nur Mathe gelernt und dann muss ich irgendwie eingeschlafen sein“, verteidigte ich uns beide und versuchte so, die Situation irgendwie zu retten.

„Ja, wahrscheinlich war es so“, sagte seine Mutter plötzlich, sah uns beide jedoch weiterhin unvermittelt an. „Dennoch gelten in diesem Haus gewisse Regeln und bevor hier jemand miteinander schläft…“

Tai hielt nun beide Hände vors Gesicht und schüttelte den Kopf. „Bitte rede nicht weiter… Und es heißt nicht miteinander, sondern beieinander.“

„Entschuldigung?“, meinte Frau Yagami daraufhin und sah ihn verständnislos an. „Ich möchte sichergehen, dass das Mädchen, das so mit dir schläft…“

„BEI mir schläft.“

„Was auch immer…“

In diesem Moment kam Tais Vater aus dem Schlafzimmer und warf einen kurzen Blick auf uns, ehe er grinste und weiter in Richtung Küche ging. „Morgen, Sohn.“

„Morgen, Dad.“

Sein Vater ließ das ganze relativ unberührt, im Gegenteil… anscheinend schien er das sogar ganz lustig zu finden. Was Frau Yagami nur noch mehr auf die Palme brachte.

„Hey, kannst du vielleicht auch mal was dazu sagen?“, rief sie ihm wütend hinterher.

„Was denn?“, kam es aus der Küche. „Der Junge ist alt genug. Lass ihn in Ruhe!“

„Aber ich bin noch nicht alt genug, um Oma zu werden“, rief sie ihm verständnislos entgegen. Sie warf uns einen mahnenden Blick zu. „Heute Abend schläft jeder für sich, damit das klar ist.“

Das war der Moment, wo ich am liebsten im Erdboden versunken wäre. Sie schien echt sauer auf uns zu sein, dass wir ihre Regel missachtet hatten. Auch, wenn es nicht mit Absicht geschehen war. Ich nickte ganz eifrig und zeigte aufrichtige Reue. „Wird auf keinen Fall noch mal vorkommen. Großes Indianerehrenwort!“

Tai warf mir einen skeptischen Blick zu, doch seine Mutter schien einigermaßen besänftigt. „Gut. Da, wir das geklärt hätten. Ihr seid spät dran und solltet euch beeilen. Ach und übrigens habe ich gestern Abend noch mit Mimis Mutter telefoniert. Sie ist damit einverstanden, dass du ein paar Tage bei uns bleibst.“

Tatsächlich? Ich war schwer beeindruckt. Nicht zuletzt darüber, dass das nicht meine erste und letzte Nacht hier war. Ich dachte ernsthaft, sie würde wollen, dass ich wieder nach Hause ging…

Doch diese Frau war wie das Wetter. So streng, wie sie sein konnte, so nett und herzlich war sie auch. Und das wusste ich durchaus zu schätzen. Deshalb beschloss ich, dass so etwas wie letzte Nacht auf keinen Fall noch mal passieren durfte!
 

Keine Ahnung, wieso, aber irgendwie war ich auf dem Weg zur Schule immer noch peinlich berührt. Es war mir unangenehm, dass Tais Mutter uns so gesehen hatte und daraus falsche Schlüsse zog. Dabei war doch überhaupt nichts passiert und das würde es auch nie. Völlig absurd eben – um es mit Tais Worten auszudrücken. Gedankenverloren schüttelte ich den Kopf. Ich musste mich auf den bevorstehenden Test konzentrieren.

„Mach dir keinen Kopf“, sagte Tai und schielte mich mit einem vielsagenden Blick von der Seite her an, während ich neben ihm herlief und seine Tasche trug. „Mmh“, machte ich nur und überlegte währenddessen, wie ich ihn am besten auf ein gewisses Thema lenken konnte, ohne, dass es zu auffällig wirkte, denn die Sache von gestern Abend wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen.

„Du brauchst dir keine Gedanken machen, wegen meiner Mutter. Aber wenn es dich so sehr beschäftigt, kann ich ihr gerne noch mal klarmachen, dass zwischen uns nichts läuft.“

Ich lachte gespielt auf. So ein Quatsch!

Gedankenlesen konnte er jedenfalls schon mal nicht sehr gut, denn ich dachte gerade an etwas Anderes… an etwas ganz Anderes. Wie sollte ich ihn nur fragen?

„Allerdings hat sie bei Kari und T.K. nicht weniger empfindlich reagiert. Im Gegenteil. Er darf immer noch nicht bei uns übernachten und das, obwohl sie schon verlobt sind. Also Sex vor der Ehe können die beiden sich wohl abschminken“, hang Tai noch lachend hintendran und brachte mich somit auf eine Idee. Ich räusperte mich kurz und straffte dann meine Schultern.

„Wo wir grad beim Thema wären…“

Tai sah mich verwirrt an. „Bei welchem Thema? Sex?“

Ich schlug mir die Hand vors Gesicht. Sex! Oh man, Tai…

„Nein, ich meine Kari und Takeru.“

„Was ist mit ihnen?“

„Na ja, ich habe mich gerade gefragt, wie lange die beiden wohl schon ein Paar sind und ob sie glücklich miteinander sind.“

Tai zuckte nur gleichgültig mit den Schultern.

„Keine Ahnung, wieso fragst du sie nicht selbst?“

Na toll, das war nicht gerade die Antwort, die ich mir erhofft hatte.

Okay. Ich musste die Sache anders angehen.

„Ich meine ja nur, sich gleich zu verloben ist ja schon eine ziemlich starke Liebeserklärung an jemanden und ich frage mich einfach, ob sie sich das gut überlegt haben. Immerhin wird es für beide so ziemlich die erste feste Beziehung sein, die sie haben…“

Oder?

Verheißungsvoll sah ich ihn an. Doch er zuckte wieder nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung, für meine Schwester auf jeden Fall. Ich hätte es gewusst, wenn sie vor ihm schon mal einen festen Freund gehabt hätte.“

Gut, wir kamen der Sache näher.

„Aha, und wie ist das bei Takeru?“, bohrte ich weiter nach. „Hatte er schon mal eine feste Freundin, also ich meine vor Kari?“

Plötzlich blieb Tai stehen und fixierte mich mit einem fragwürdigen Blick, der mich leicht zurückschrecken ließ. Vielleicht war ich doch etwas zu offensichtlich an die Sache rangegangen. Ohje, hoffentlich hatte er nichts bemerkt…

„Was soll das, Mimi? Was stellst du mir hier für komische Fragen? Woher soll ich bitte schön wissen, wie viele Frauen Takeru schon hatte? Ich meine… er ist 14!“

„Ähm…“, machte ich nur und suchte in meinem Kopf nach einer passenden Antwort. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, warum ich diese Fragen stellte. Er würde ausrasten!

„Na ja“, sagte ich stattdessen und legte einen nachdenklichen Blick auf. „Du warst mit 14 auch kein unbeschriebenes Blatt mehr.“

„Na und wenn schon“, zischte Tai und humpelte weiter. „Geht mich doch nichts an, wie viele Mädels der schon hatte.“

Oh Tai, wenn du wüsstest, wie sehr es dich etwas anging…
 

Der Test war nicht ohne. Um genau zu sein: er war schlimmer als erwartet. Er machte mich fertig! Ich konnte wirklich von Glück reden, dass ich wenigstens ein bisschen mit Tai gelernt hatte. Ohne ihn wäre ich definitiv durchgefallen, gar kein Zweifel. Doch ich konnte tatsächlich die ein oder andere Frage mit Sicherheit beantworten, so, dass es vielleicht gerade so zum Bestehen reichte.

Völlig ausgelaugt und mit lauter Zahlen und Formeln im Kopf ließ ich diesen nach dem Klingeln auf den Tisch fallen und schloss für einen Moment meine müden Augen. Ich hätte einschlafen können…

„Und, wie ist es gelaufen?“

Oh, Izzy. Kannst du mich nicht einfach für eine Sekunde hier liegen und Luft holen lassen?

„Na ja“, formte ich lediglich mit den Lippen und zwang mich dazu den Kopf zu heben und ihn anzusehen. „Hätte schlimmer sein können. Vielleicht hab ich mit Ach und Krach bestanden.“ Erneut legte ich meinen Kopf nieder und schloss sie Augen.

„Hey, kommt ihr mit zum Mittagessen?“

Sora. Warum könnt ihr mich nicht einfach alle schlafen lassen? Ich öffnete die Augen. Mit sorgenvollem Blick stand sie vor mir. „Was ist los mit dir? Du siehst ja gar nicht gut aus! Du solltest wirklich was zum Mittag essen. Los, komm mit!“

„Okaaay“, stöhnte ich schläfrig und stand schwermütig auf, da mein Körper anscheinend urplötzlich 20 Kilo schwerer zu sein schien.

Wir gingen in die Schulmensa und setzten uns zu den Anderen, die bereits dabei waren, ihr Mittagessen zu sich zu nehmen. Ich hatte wirklich keinen Hunger, deshalb stocherte ich nur gedankenverloren in meinem Salat herum, den ich mir eben geholt hatte und stützte dabei meinen schweren Kopf auf meiner Hand ab.

Sie redeten über irgendwas. Keine Ahnung, über was. Ich hörte nicht zu. Das Einzige, woran ich dachte, war Mathe… ob es wirklich ausreichte, um zu bestehen?

Wie dumm! Ich sollte jetzt nicht daran denken! Der Test war gelaufen. Aus und vorbei. Egal, was dabei rauskam, ich konnte eh nichts mehr daran ändern. Außerdem war dieser Test angesichts meines anderen Problems eine Kleinigkeit. Ich hatte es zwar für ein paar Stunden geschafft, mich durch das Lernen ein wenig abzulenken, doch immer wieder schlich sie sich in meine Gedanken. Ich musste unbedingt eine Lösung finden. Es musste doch irgendetwas geben, was ich tun konnte, dass sie nicht…

„Hallooo! Erde an Mimi…“

„Mmh?“

Müde sah ich auf, während Izzy mit der Hand vor meinen Augen rumwedelte. Wie lang tat er das wohl schon?

„Sag mal, hörst du mir eigentlich zu?“ Er sah mich verärgert an, doch ich gähnte nur herzhaft und sah ihn gleichgültig an. „Du redest immer so viel, Izzy. Ich kann dir gar nicht immer zuhören. Mein Kopf würde explodieren, wenn ich dir immer zuhören würde.“

Sora fing an zu lachen und auch Tai und Yamato schmunzelten über diesen Kommentar. Izzy hingegen zog eine Schnute und schien ein wenig beleidigt.

„Keine Ahnung, was du nachts treibst“, meinte er plötzlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber hättest du mal ein bisschen mehr geschlafen, wäre der Test nicht so schlecht gelaufen und du wärst nicht zu müde, um mir zuzuhören.“

Wie bitte? Was ich nachts treibe?

Gerade, als ich etwas darauf antworten wollte – nämlich, dass er sich seine Sprüche sonst wo hinstecken konnte, da ich schließlich nur so müde war, WEIL ich die ganze Nacht gelernt hatte – legte Tai mir eine Hand auf die Schulter. Ich sah zur Seite und bemerkte, dass er Izzy sauer anfunkelte.

„Lass sie doch einfach in Ruhe, okay? Du siehst doch, dass es ihr gerade nicht so gut geht. Außerdem gibt es wichtigere Dinge als Mathetests. Und ganz nebenbei: so spannend war es wirklich nicht, was du eben erzählt hast. Da wäre selbst ich fast eingeschlafen.“

Ach?

Völlig erstaunt von dieser ritterlichen Verteidigung starrte ich ihn an. Izzy sah ziemlich gekränkt aus und sackte in sich zusammen, doch Yamato klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter. „Wo er recht hat…“

Sora kicherte unsicher, während Izzy erst Yamato und dann mich ansah.

„Tut mir leid, Mimi. Das war taktlos von mir.“

Mein erstaunter Blick wanderte von Tai zu ihm. Hatten denn jetzt alle komplett den Verstand verloren? Tai, der mich verteidigte? Izzy, der sich entschuldigte?

„Ähm… macht doch nichts“, stammelte ich herum und da mir die Situation irgendwie zu verdreht war, stand ich auf, verabschiedete mich höflich und brachte mein unberührtes Essen weg. Bei Tai würde ich mich später zu Hause definitiv noch bedanken.

Ich ertappte mich dabei, dass ich tatsächlich an zu Hause dachte, wenn ich an ihn und sein zu Hause dachte und auf der einen Seite fühlte sich dieser Gedanke gut an. Obwohl ich gleichzeitig auch wusste, dass es ein zu Hause auf Zeit war und ich nicht für immer bleiben konnte. Was für ein bitterer Beigeschmack…

„Du hast überhaupt nichts gegessen“, stellte Sora fest, die plötzlich neben mir aufgetaucht war, als ich gerade dabei war, meinen Salat zu entsorgen.

„Ich habe heute keinen Hunger.“

Besorgt sah sie mir in die Augen. „Das hast du doch in letzter Zeit nie… Mal ehrlich, Mimi. Was ist los?“

Oh nein. Ich wollte nicht, dass sie mir diese Frage stellte. Und dass sie mich so ansah. Was sollte ich sagen? Dass alles in Ordnung war? Wie lang sollte ich sie noch belügen? Es fiel mir immer schwerer die Fassade aufrecht zu erhalten. Ich senkte den Blick, damit ich sie nicht weiter ansehen musste. Irgendwie hatte ich Angst, dass mir sonst die Wahrheit aus dem Gesicht springen würde.

„Es ist…“ Ich überlegte. Ich konnte sie doch nicht schon wieder belügen… „Weißt du, meine Oma liegt doch im Krankenhaus. Und… und es sieht nicht gut aus. Das macht mir echt zu schaffen. Vielleicht wird sie bald nicht mehr da sein…“

Das war zwar nicht die ganze Wahrheit, aber es war das Einzige, was ich sagen konnte.

„Oh, Mimi“, sagte sie mitleidig und zog mich in eine innige Umarmung. „Wirklich? Aber warum hast du das nicht eher gesagt? Ich hatte ja keine Ahnung, dass es so schlimm um sie steht. Tai hatte zwar etwas erwähnt, aber…“

Hat er?

„Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass es dir deswegen so schlecht geht. Aber jetzt verstehe ich auch, warum Tai meinte, dass du sie sehr oft besuchst.“

Ich löste mich leicht von ihr und sah sie fragend an. „Ihr habt über mich gesprochen?“ Und er hatte sie ebenfalls angelogen?

Sora sah leicht beschämt zur Seite. „Na ja, ich habe mir schon länger Sorgen um dich gemacht, um ehrlich zu sein. Irgendwie bist du total verändert, seit du wieder hier bist.“

Stimmt.

„Und ich wollte dich einfach nicht direkt damit konfrontieren. Ich dachte, wenn du jemanden zum Reden brauchst, würdest du schon zu mir kommen. Und dann hab ich gedacht, dass du ja durch die Nachhilfe viel Zeit mit Tai verbringst und er vielleicht weiß, was mit dir los ist. Aber das es so schlimm ist, wussten wir alle nicht. Oh, Mimi…“

Erneut zog sie mich an sich.

„Ich will nur, dass du weißt, wir sind alle für dich da, wenn du willst.“

Ich nickte leicht. Sora ließ mich los und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, ehe sie sich wieder zu den Anderen gesellte.

Gott, ich hatte mich noch nie im Leben so schlecht gefühlt, wie in diesem Moment. Nicht nur, dass ich Sora eine weitere Lüge auftischen musste und sie herzzerreißend auf meine kranke Oma reagiert hatte. Jetzt hatte ich Tai auch noch so weit mit hineingezogen, dass er sich auch schon gezwungen fühlte, Sora anzulügen. Und das war das, was ich nie gewollt habe…
 

Nach der Schule machte ich mich schon mal alleine auf den Weg zu Tai nach Hause. Seine Tasche hatte ich mitgenommen, damit er sie später nicht tragen musste, während er am Nachmittag noch mit Yamato verabredet war, um ihm bei der Bandprobe zuzusehen. Ich denke, in Wirklichkeit war dies nur ein verzweifelter Versuch, mal wieder etwas Zeit mit seinem Freund zu verbringen – ohne Sora. Denn mal ehrlich: Tai war nicht dafür bekannt, dass er sich für Yamatos Musik interessierte. Aber wie auch immer… ich gönnte es ihm und hoffte für ihn, dass er es genießen konnte, mal wieder etwas Zeit mit seinem besten Freund zu verbringen.

Bei Tai zu Hause angekommen, öffnete ich die Tür, da Tai mir seinen Schlüssel überlassen hatte. Ich sah, dass bis jetzt nur Karis Schuhe im Flur standen und noch ein Paar andere. Aber seine Mutter und sein Vater schienen beide noch nicht zu Hause zu sein. Ich wollte mich ein wenig hinlegen, bevor ich mich später noch auf den Weg ins Krankenhaus machen würde. Die letzte Nacht und der Mathetest hatten doch ein wenig geschlaucht, so dass ich ziemlich müde war und einfach nur noch ins Bett fallen wollte. Ich ging ins Wohnzimmer, wo mir gerade Kari entgegenkam.

„Hey Mimi, Sora ist hier und wartet auf dich in Tais Zimmer.“

Ah, Sora gehörte also das zweite Paar Schuhe, welches im Flur stand. Aber Moment mal.

Woher wusste Sora eigentlich, dass ich bei Tai sein würde? Ob Tai es ihr erzählt hatte, dass ich vorübergehend bei ihm nächtigte?

Nein, das würde er nicht tun. Denn dann würde Sora Fragen stellen und Fragen waren das, was wir wohl beide nicht gebrauchen konnten. Jetzt – wo wir uns ein Geheimnis teilten. Vielleicht dachte sie einfach, wir würden wieder zusammen lernen nach der Schule, also war sie hierhergekommen, um mich zu sehen. Sicher machte sie sich immer noch Sorgen, wegen der Sache mit meiner kranken Oma und weil es mir so schlecht ging. Ach, Sora…

„Okay, danke“, entgegnete ich, während Kari mir zunickte und an mir vorbeiging, doch ich hielt sie vorsichtig am Handgelenk fest, sodass wir uns in die Augen sehen konnten.

„Ist alles gut bei dir? Ich wollte dich gestern Abend nicht verärgern. Es ist nur, ich mache mir Sorgen um dich.“

Kari seufzte und wich meinem Blick aus. „Musst du aber nicht. Es ist alles in Ordnung!“

Verständnislos sah ich sie an. „Aber Kari… Wie kannst du sagen, dass alles in Ordnung ist, wenn du gleichzeitig weißt, dass dein Verlobter dich hintergeht?“

„Oh, Mimi“, meinte sie daraufhin und klang sichtlich genervt. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass er das nicht tut. Und außerdem solltest du dich da raushalten.“

„Aber wir wollen alle nicht, dass du unglücklich wirst.“ Das musste sie doch verstehen!

„Wen meinst du denn mit ‚wir‘?“, fragte Kari fast schon bissig. „Etwa dich und meinen Bruder? Hast du ihm davon erzählt?“

„Nein, natürlich nicht!“

„Gut. Dann lass mich bitte in Ruhe mit diesem Thema.“

Ich seufzte frustriert auf. Was war nur mit ihr los? So kannte ich sie einfach nicht.

„Ich möchte doch nur nicht, dass er dir wehtut, Kari.“

Sauer sah sie mich an und riss sich von mir los. „Er tut mir nicht weh. Und jetzt… halt dich einfach da raus, Mimi. Das alles geht dich nichts an! Ich bin sicher, du hast selbst genug Probleme, um die du dich zu kümmern hast.“

Und mit diesen Worten ließ sie mich stehen und flüchtete in ihr Zimmer. Völlig perplex sah ich ihr hinterher und fragte mich, was das gerade für eine Show war, die sie da ablieferte. Denn das war definitiv nicht Kari. Kari würde niemals so reagieren. Jedenfalls nicht, wenn nicht mehr dahinter stecken würde…

Nachdenklich ging ich zu Tais Zimmer. Ob ich ihm davon erzählen sollte? Oder würde das alles nur noch schlimmer machen?

Fast schon hätte ich vergessen, dass Sora ja auf mich wartete, deswegen sah ich sie mit großen Augen an, als ich die Tür öffnete.

„Sora, hi. Was machst du hier?“

Sie saß auf dem Bett und hatte einen Strauß Blumen in der Hand. Ich lächelte müde und ging zu ihr rüber, als sie aufstand und mich ansah. „Du hättest mir nicht extra Blumen bringen müssen“, lächelte ich, doch sie machte keine Anstalten sie mir zu überreichen. Stattdessen sah sie mich mit einem ernsten Blick an.

„Was machst du hier, Mimi?“

„Ähm…“, stotterte ich und nahm die erstbeste und logischste Ausrede, die mir einfiel. „Na ja, Tai gibt mir doch Nachhilfe und…“

„Tai ist nicht hier“, unterbrach sie mich. „Weil er nämlich bei Yamato zur Bandprobe ist. Außerdem ist dein Mathetest vorbei, also warum brauchst du weiter Nachhilfe?“

Stimmt. Das hatte ich nicht bedacht, dass sie direkt eins uns eins zusammenzählte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, nur mir wurde langsam flau im Magen. Dieser Blick, mit dem sie mich ansah, gefiel mir gar nicht.

„Weiß du, für wen die Blumen sind?“, fragte sie mich und ich sah sie irritiert an. Wenn sie nicht für mich waren, dann…

„Für deine kranke Oma“, beendete sie meinen Gedanken, der mir augenblicklich den Boden unter den Füßen wegriss. Sie wusste es.

„Ich war im Krankenhaus, Mimi. Nur zu dumm, dass sie mir dort gesagt haben, dass deine Oma gar nicht im Krankenhaus liegt und auch nie gelegen hat, als ich nach ihrem Zimmer fragte. Ich wollte einfach nur nett sein, weißt du? Und dann muss ich von einer wildfremden Person erfahren, dass meine beste Freundin mich angelogen hat.“

Ich ließ die Schultern hängen, unfähig ihr in die Augen zu sehen. Noch nie hatte ich mich so sehr geschämt, wie in diesem Moment. Was sollte ich nur sagen? Was sollte ich sagen, um es ihr zu erklären? Das konnte ich nicht!

„Aber das war noch nicht alles…“, erzählte Sora weiter und nun sah ich sie doch an. Was denn noch? Ihr Blick verriet mir, dass sie ziemlich wütend war und das zurecht.

„Danach war ich bei dir zu Hause, weil mir das alles komisch vorkam.“

Jetzt war ich es, die eins und eins zusammenzählte. Schlimmer hätte es nicht kommen können. Wenn Sora bei mir zu Hause war, dann bedeutete das…

„Und was musste ich dort feststellen? Dass du mich wieder angelogen hast! Ihr seid überhaupt nicht umgezogen, Mimi. Eure Wohnung ist noch die Gleiche, wie vor eurem angeblichen Umzug.“

Ich wünschte, der Boden würde sich auftun und mich verschlingen, so furchtbar kam ich mir vor. Sora hatte mir geglaubt und mir vertraut und ich? Ich hatte sie angelogen, anstatt ihr die Wahrheit zu sagen. Aber wie hätte ich das auch tun sollen?

„Sora, du verstehst das nicht…“, setzte ich an zu erklären, doch sie ließ mich nicht zu Wort kommen. Stattdessen rannen ihr nun Tränen der Enttäuschung über die Wangen. „Und dann… dann sagt mir deine Mutter auch noch, dass du vorübergehend bei Tai wohnst, was ich auch nicht wusste. Ich meine…“

Sie war so verletzt, dass ich es kaum aushielt und auch mir schossen die Tränen in die Augen.

„Ich meine, was soll das alles Mimi? Du lügst mich die ganze Zeit an, erzählst allen, du wärst in Amerika gewesen, was offensichtlich nicht wahr ist und jetzt wohnst du plötzlich bei Tai? Was hat das alles zu bedeuten? Was weiß er, was ich nicht weiß?“

Ich wollte etwas sagen, doch ich konnte nicht mehr. Ein dicker Kloß hatte sich in meinem Hals gebildet und mir wurde das erste Mal so richtig bewusst, was ich angerichtet hatte.

Sora stand vor mir und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht, ehe sie mich verständnislos ansah. „Du sagst nichts dazu?“

Ich sah sie an. Sah ihr in die Augen und hätte in diesem Moment sterben wollen, denn ich hatte meine beste Freundin verloren. Den Menschen, der immer bedingungslos für mich da war und mich unterstützt hatte, bei allem, was ich auch tat. Wie konnte ich das nur tun?

„Gut, wenn das so ist…“, sagte Sora schließlich und wollte an mir vorbeigehen. Ich hielt sie fest und sah ihr in die Augen. „Bitte… geh nicht, Sora.“

Enttäuscht sah sie mich an und ich wusste, ich hatte meine Chance verspielt.

„Solange du keine Erklärung dafür hast, will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.“

Dieser Satz brach mir das Herz und am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen und hätte sie angefleht, nicht zu gehen und trotz allem bei mir zu bleiben. Doch Sora wandte sich ab.

„Du bist jetzt am Zug, Mimi. Ich habe genug getan…“

Sie schloss die Tür hinter sich und ließ mich allein und kein Gefühl auf der Welt hätte ausdrücken können, wie verlassen ich mich in diesem Moment gefühlt habe.

Ausweg

Gedankenverloren saß ich an ihrem Bett und betrachtete sie, wie sie schlief. So friedlich, so ahnungslos. Die Besuchszeit war längst vorbei, doch das war mir egal. Es war schon so gut wie dunkel draußen und mein Handy hatte sicher schon fünf Mal geklingelt. Ich fühlte mich wie gelähmt. Ich sah sie an, sah wie wunderschön und perfekt sie war und sogleich dachte ich daran, dass ich sie schon bald verlieren würde. Wie sollte ich das aushalten?

Und Sora.

Immer wieder gingen mir ihre Worte durch den Kopf. Wie enttäuscht sie von mir war, so hatte ich sie noch nie gesehen. Genauso gut hätte man mir ein Schwert in die Brust rammen können und es hätte immer noch weniger wehgetan als Soras Blick oder die Tatsache, dass ich mein Kind verlieren würde.

Ich schloss die Augen und lehnte mich auf das Gitter des Bettes. Ich spürte, wie die Tränen hochkamen und ich konnte sie nicht länger zurückhalten. Eine der Tränen tropfte auf das kleine Händchen, welches ich immer noch festhielt. Wozu das alles? Warum tat ich mir das immer noch an?

In diesem Moment ging hinter mir die Tür auf, doch ich sah nicht auf. Ich wusste, dass es nur er sein konnte.

„Mimi“, sagte er leise und kam zu mir. „Was machst du denn hier?“

Ich gab ihm keine Antwort, da ich noch zu sehr damit beschäftigt war, die Tränen wieder unter Kontrolle zu bringen.

Er setzte sich neben mich und legte mir eine Hand aufs Bein.

„Wollen wir nicht nach Hause? Es ist schon ziemlich spät.“

„Welches zu Hause?“, fragte ich schluchzend und streichelte dabei immer noch ihre Hand. „Ich habe doch kein zu Hause mehr. Und bald werde ich auch keine Tochter mehr haben. Meine beste Freundin habe ich auch verloren…“

„Was? Sora?“, fragte Tai erstaunt und ich seufzte schwermütig.

„Ja, Sora.“

„Was ist passiert?“

„Das, was früher oder später sowieso passieren musste. Sie hat herausgefunden, dass ich sie die ganze Zeit angelogen habe.“

„Hast du ihr gesagt, dass du… naja… hast du ihr die Wahrheit gesagt?“, fragte Tai vorsichtig, woraufhin ich nur bedauernd den Kopf schüttelte. Wie hätte ich das erklären sollen? Und hätte es das gut gemacht, was ich getan habe? Wohl kaum. Der Zweck heiligt nun mal nicht die Mittel.

„Warum nicht? Sie hätte es verstanden, dass weiß ich.“

„Kann schon sein“, meinte ich schulterzuckend und richtete mich auf. „Aber ich konnte es nicht. Ich bin nicht so stark, Tai.“

„Aber du hast es mir gesagt.“

Ja, das hatte ich. Die beste und gleichzeitig schlechteste Entscheidung, die ich je getroffen hatte, fast gleichgesetzt mit der, mich auf Hayato einzulassen.

„Du solltest es ihr sagen, Mimi. Ich kenne Sora, sie würde dir keine Vorwürfe machen.“

Erneut stiegen mir die Tränen in die Augen. „Ich kann sie nicht auch noch mit in die Sache hineinziehen. Es ist so schon alles schlimm genug. Und außerdem… was würde das ändern? Sie wird bald weg sein und keiner kann das verhindern.“

Tai ergriff meine Hand und drückte sie fest. Mit der anderen berührte er mein Kinn und drehte es langsam zu sich, so dass ich ihn ansehen musste.

„Es gibt immer einen Ausweg“, sagte er ruhig und sah mir fest in die Augen. Wie gern hätte ich ihm geglaubt.

„Gibt es nicht.“ Eine Träne lief mir übers Gesicht, die er mit seinem Daumen auffing und wegwischte. Erst jetzt fiel mir auf, wie nah sich unsere Gesichter waren. So nah, dass ich seinen Atem spüren konnte. So nah, dass mein Herz anfing stark gegen meine Brust zu schlagen und ich beinahe befürchtete, er würde es hören. Wieso löste er plötzlich solche Gefühle in mir aus? Langsam näherte er sich meinen Lippen und es war unglaublich, wie sehr ich mich in diesem Moment zu ihm hingezogen fühlte. Ich sog stark die wenige Luft ein, die mir noch blieb, denn seine Nähe raubte mir förmlich den Atem. Er hielt kurz inne, wartete auf meine Reaktion, während auch er die Luft anhielt.

Ich hätte es tun können. Ich hätte meine Lippen auf seine legen und ihn einfach küssen können. Doch die Vernunft hielt mich zurück. Ich durfte seine Gutmütigkeit nicht ausnutzen, um mich besser zu fühlen. Auch nicht, obwohl ich mir fast sicher war, dass er mich nicht abweisen würde. Obwohl sich mein Herz inzwischen so sehr nach Liebe sehnte, dass es fast schon weh tat. Doch er war mein Halt, meine Insel, mein Freund – das durfte ich auf keinen Fall dadurch kaputt machen, dass ich mich einsam fühlte. Dieser Kuss hätte einfach zu vieles zu schnell verändert, wofür ich noch nicht bereit war.

Nervös und völlig überfordert mit dieser Situation strich ich mir hektisch eine Haarsträhne hinters Ohr und berührte mit der anderen Hand sein Gesicht. Er schloss die Augen, als er es verstand. Und dafür war ich ihm dankbar. Schwer ausatmend lehnte ich meine Stirn an seine und schloss ebenfalls die Augen.

„Tut mir leid“, flüsterte ich aufrichtig. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich würde ihn abweisen, weil er mir nichts bedeutete. Im Gegenteil. Wie auch immer das passiert war, doch er war zu einer der wichtigsten Personen in meinem Leben geworden. So schnell. Ohne, dass ich es richtig bemerkt hatte, war unsere Freundschaft nicht mehr dieselbe.

„Schon gut“, lächelte er. Er hatte es verstanden, das erleichterte mich.

Dann richtete er sich auf und hielt mir seine Hand entgegen.

„Komm, wir gehen nach Hause.“
 

Als wir bei ihm zu Hause ankamen, war es inzwischen ziemlich dunkel geworden und ich hoffte inständig, dass seine Eltern schon schliefen, sonst würde es gleich die nächste Standpauke geben. Auf dem Rückweg wirkte Tai sehr gedankenverloren. Fast so wie ich. Auch ich dachte über seine Worte nach. Es gibt immer einen Ausweg? Welchen denn? Für manche Situationen gab es eben keine Lösung und gerade diese schien so unüberwindbar, dass einfach nichts und niemand auf der Welt mir hätte helfen können. Und diese unumstrittene Tatsache war es, die mich so fertigmachte. Wie sollte ich danach einfach normal weiterleben? Wie…?

Als wir vor seiner Tür standen und er aufschloss, hielt er kurz inne und drehte sich zu mir um. „Wir kriegen das schon irgendwie hin, Mimi. Uns fällt ganz sicher was ein“, sagte er ruhig und bedacht. Ich wollte ihm die Illusion nicht nehmen, also nickte ich nur stumm. Doch ich wusste wie aussichtslos meine Lage war und gleichzeitig bewunderte ich Tai für seinen Mut und seine Hoffnung. Aber er hatte ja auch nur einen Bruchteil dessen mitbekommen, was ich in den letzten Monaten erlebt hatte. Hätte er durchgemacht, was ich durchgemacht habe… würde er Hayato, seine Familie und meinen Vater kennen… wüsste er, wie sehr er sich verändert hätte… dann würde er wissen, wie hoffnungslos es war, dass ich meine Tochter jemals bei mir wissen konnte. Das war die bittere Wahrheit und die tat verdammt weh!

Wir betraten den dunklen Flur und aus dem Wohnzimmer drang kein Licht mehr, was bedeutete, dass tatsächlich alle schon schliefen. Wir zogen unsere Schuhe aus und gingen leise ins Wohnzimmer, wo Tais Blick direkt auf seinen neuen Schlafplatz fiel und er schwer seufzte.

„Wenn du willst, können wir tauschen. Es würde mir nichts ausmachen, auf dem Sofa zu schlafen“, schlug ich ihm vor. Ich hätte ihm gerne ein Stück seiner Fürsorge wiedergegeben, doch er schüttelte den Kopf.

„Sei nicht albern“, flüsterte er belustigt und ging zur Couch hinüber. „Dann, gute Nacht.“

„Tai…?“ Ich wusste nicht, warum ich ihn aufhielt, aber irgendwie hatte ich das Gefühl ihn nicht so gehen lassen zu können. Mir brannte schon länger etwas auf der Zunge und ich musste es einfach wissen. Und außerdem hatte ich eh nichts zu verlieren, egal, was er sagen würde. Überrascht drehte er sich um und sah mich fragend an. „Was denn?“

„Findest du…?“, stotterte ich herum und wusste nicht so recht, wie ich es sagen sollte. Zum Glück war es dunkel im Wohnzimmer und er konnte die Röte nicht sehen, die mir ins Gesicht stieg. Abwartend sah er mich an.

„Also, findest du… es wirklich so absurd? Du weißt schon… Das, was du gestern Abend gesagt hast… Ist es so abwegig, mich zu lieben?“

Ich hoffte, er wusste, worauf ich anspielte. Nämlich darauf, als er meinte, eine Beziehung zwischen uns wäre völlig absurd. Und nach der Sache vorhin im Krankenhaus, musste ich es einfach wissen, ob er es ernst meinte, was er gesagt gatte. Nicht, weil ich hoffte, er würde sich irgendwann in mich verlieben, das könnte ich nie von ihm erwarten. Ich war jetzt schon eine viel zu große Bürde für ihn. Aber ich wollte einfach wissen, ob es für mich eine Möglichkeit gab, irgendwann wieder geliebt zu werden. Von einem Mann, der genauso liebevoll und aufopferungsvoll war wie Tai. Würde mich so jemand, trotz all meiner Makel und meines familiären Hintergrundes wirklich aufrichtig lieben können?

Tai kam auf mich zu, aber erst, als er direkt vor mir stand, konnte ich sehen, dass er leicht lächelte.

„Willst du eine ehrliche Antwort?“, fragte er leise. Ich nickte. Ja, das wollte ich. Auch, wenn sie eventuell weh tun sollte.

Vorsichtig legte er eine Hand an meine Wange, was mein Herz erneut zum Rasen brachte. Lediglich wegen dieser kleinen Geste schrie in meinem Inneren alles so sehr auf, dass mein Herz drohte zu explodieren. Wie sehr hatte ich solche Berührungen vermisst…

Er beugte sich langsam nach vorn und ich spürte, wie seine Lippen sanft meine Stirn berührten. Und dieser Kuss, welcher nicht mal ein richtiger Kuss war, war das Intensivste und Zärtlichste, was ich in den ganzen letzten Monaten erfahren durfte. In diesem Kuss lag so viel Liebe, Zärtlichkeit und Ehrlichkeit, wie ich niemals erwartet hätte und für einen Moment fühlte es sich so an, als würde mein Herz stehen bleiben. Als bräuchte es Zeit, um diesen Kuss zu verarbeiten.

Behutsam löste er sich wieder von mir und sah mir tief in die Augen. „Ich könnte dich lieben, Mimi.“
 

Keine Ahnung, wie ich es nach diesem Tag geschafft hatte, einzuschlafen. Aber es ging. Sogar erstaunlich gut. Wahrscheinlich konnte ich das dem vielen Stress und der Müdigkeit zuschreiben. Doch als ich am nächsten Morgen aufwachte, kamen sofort die Bilder des letzten Abends in mir hoch. Es war immer noch so allgegenwärtig, als würden seine Lippen immer noch meine Stirn küssen. Unfassbar, was das in mir auslöste. Ich verstand es ja selbst nicht. Und was er gesagt hatte… dass er mich lieben könnte. Ich griff mir an die Stirn und versuchte tief durchzuatmen. Was hatte das alles zu bedeuten?

Wir waren doch Freunde. Oder etwa nicht?

Und wenn wir keine Freunde mehr waren? Was waren wir dann? Was zur Hölle gab es denn dazwischen? Existierte irgendwo in diesem Universum das Konstrukt einer unausgesprochenen Beziehung? Eine Beziehung, die zwar auf tiefer Zuneigung und Vertrauen beruhte, mehr als Freundschaft und doch weniger als Liebe war?

Das alles verwirrte mich zutiefst und ich beschloss – wie auch immer – bald Ordnung in diese Angelegenheit zu schaffen. Wenn ich Tai als Freund nicht verlieren wollte, musste ich definitiv darauf achten, was als nächstes zwischen uns geschah. Es durfte nicht so weit kommen, dass einer von uns Gefühle entwickelte, die über Freundschaft hinausgingen und dessen war ich mir bewusst.

Was ich mir nicht bewusst war, war die Tatsache, dass das schon längst zu spät war. Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, ich würde es schaffen, meine Gefühle unter Kontrolle zu bringen. Wie sehr ich mich doch irrte…
 

Trotz dieser ganzen Gedanken und Zweifel schaffte ich es irgendwie aufzustehen, duschen zu gehen und mich anzuziehen. Als ich aus dem Bad kam, saß er mit seiner Schwester am Frühstückstisch. Er sah mich und warf mir einen bedeutungsschweren Blick zu. Der erste Gedanke, der mir kam war, ob er es vielleicht schon bereute, was er gestern zu mir gesagt hatte. Doch dann lächelte er mich an und zog den Stuhl neben sich zur Seite, dass ich mich setzen konnte.

„Guten Morgen, Kari“, begrüßte ich seine Schwester und setzte mich ihr gegenüber. Sie sah auf und schenkte mir ihr zuckersüßes Lächeln.

„Guten Morgen, Mimi. Na, gut geschlafen?“

Sie wirkte wie immer. Keine Spur mehr von der Kari, von neulich. Verwirrt runzelte ich die Stirn und vergaß dabei, ihr zu antworten. Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich eine Hand auf meinem Bein spürte. Sofort schoss mir die Röte ins Gesicht. Fragend sah ich ihn an. Er neigte den Kopf und grinste.

„Iss ruhig in Ruhe auf. Ich hab noch kurz was zu erledigen.“

Er stand auf, nahm seine Krücke und humpelte zum Sofa, wo er den Laptop aufklappte und irgendetwas eingab.

Irritiert sah ich ihn an. Ich musste das schleunigst in Ordnung bringen. Auf keinen Fall wollte ich, dass er auf etwas hoffte, was sowieso niemals passieren würde – was niemals passieren durfte!
 

Schweigend gingen wir zur Schule, während ich krampfhaft überlegte, wie ich es angehen konnte. Doch, ehe mir etwas Schlaues einfiel, waren wir auch schon da und vom weiten erkannte ich Yamato und Sora, die wie jeden Morgen auf Tai warteten, um gemeinsam in die Klasse zu gehen.

„Mein Gott“, sagte Yamato, als wir bei ihnen ankamen. „Wie lang soll sie eigentlich noch deine Sklavin spielen und dir die Schultasche tragen? Bist du es nicht langsam leid?“, wandte er sich an mich, was Tai jedoch nur mit einem Zischen quittierte und ich mit einem Schulterzucken. „Eigentlich macht es mir nichts aus.“

Yamato grinste. „Nicht? Du solltest sie dir warmhalten, Tai. Eine Frau, die dir freiwillig deine Sachen hinterherträgt, findest du nicht so schnell wieder. Sora macht das schon lang nicht mehr. Na ja, um genau zu sein, hat sie es noch nie gemacht.“

Mein Blick streifte den meiner ehemals besten Freundin, doch sie wich mir schnell aus und schlug Yamato gegen den Oberarm. „Red nicht so einen Unsinn! Lass uns endlich reingehen.“

Der Blonde seufzte schwer und ließ die Schultern hängen. „Man, hier hat auch keiner mehr Sinn für Humor.“

Nach Lachen war mir wirklich nicht zumute. Es tat mir weh, dass sie mich so abweisend stehen ließ. Das führte mir schmerzlich vor Augen, was ich mit meinen ganzen Lügengeschichten alles angerichtet hatte.

„Du solltest es ihr wirklich sagen. Dann renkt sich das zwischen euch auch wieder ein“, schlug Tai vor, doch ich seufzte nur. „Ich will nicht, dass sie schlecht von mir denkt.“

Im Grunde hatte er recht und ich wusste das. Doch wie um alles in der Welt sollte ich diese verworrene Geschichte erklären? Sollte ich sie ebenfalls mit ins Krankenhaus schleifen, um ihr meine Tochter zu zeigen, die bald schon nicht mehr meine Tochter sein würde? Nicht auszumalen, was Sora von mir halten könnte, wenn sie erst die ganze Wahrheit erfuhr. Sie war bereits jetzt schon schwer enttäuscht von mir und ich würde es nicht ertragen, ihr Vertrauen ganz zu verlieren. Das würde mir das letzte Stückchen Boden unter den Füßen wegreißen, auf dem ich verzweifelt versuchte zu balancieren.

Und dennoch konnte ich es nicht einfach so im Raum stehen lassen.

Ich begleitete Tai zu seinem Klassenzimmer. Als wir dort ankamen, sah ich, dass Sora noch im Flur stand und aus dem Fenster schaute.

„Schaffst du den Rest allein?“, fragte ich Tai. Dieser nickte, schulterte seine Tasche und verschwand im Klassenraum.

„Sora?“ Vorsichtig näherte ich mich ihr und hoffte dabei, sie würde mich nicht wieder mit diesem Blick ansehen. Sie wandte sich um und anstatt enttäuscht zu wirken, wirkte sie eher wütend.

„K-kann… ich mit dir reden?“

„Worüber denn?“, fragte sie tonlos. Ich schluckte.

„Ich würde es dir so gern erklären.“

„Bitte, ich höre dir zu.“

„Aber ich kann es nicht.“

Sora lehnte sich gegen die Wand und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Aber Tai kannst du es erzählen.“

Das war ein Vorwurf, den ich ihr nicht verübeln konnte.

„Er weiß nur so viel, wie er wissen muss“, sagte ich, doch Sora zischte nur.

„Wieso sagst du es ihm und nicht mir?“

„Ich will dich nur schützen“, erwiderte ich fast schon verzweifelt.

„Vor was denn?“, schrie sie mich an, sodass einige andere Schüler kurz stehen blieben und sie verwundert ansahen. Auch ich zuckte zurück. So hatte ich sie noch nie gesehen. So verletzt.

„Warum schläfst du bei Tai?“, fragte sie mich plötzlich und klang beinahe eifersüchtig dabei, doch das war total deplatziert. Warum fragte sie mich so etwas? Jetzt?

„Darum geht es doch gar nicht…“

„Oh doch, tut es sehr wohl. Ich denke, es geht mich sehr wohl etwas an, wenn meine beste Freundin etwas mit meinem besten Freund hat und plötzlich Geheimnisse mit ihm teilt.“

„Sora, was soll das?“, fragte ich fassungslos. Worauf wollte sie denn hinaus? „Ich habe überhaupt nichts mit Tai. Und… darum geht es hier auch wirklich nicht“, wiederholte ich erneut und hoffte, sie würde mir glauben. Was dachte sie sich denn? Dass ich ihn ihr wegnehmen würde – ihren besten Freund?

Sie sah mich an und ihrem Blick konnte ich entnehmen, dass sie mir kein Wort glaubte. War das das Ergebnis meiner Lügengeschichten, in die ich mich verstrickt hatte? Wahrscheinlich würde ich mir selbst kein Wort mehr glauben. Geknickt ließ ich die Schultern hängen und wandte mich ab. Es hatte keinen Zweck. Es war völlig egal, was ich sagte, Sora vertraute mir nicht. Womöglich würde sie mir noch nicht mal glauben, wenn ich ihr die ganze Wahrheit sagen würde. Immer noch spürte ich ihren Blick in meinem Nacken, als ich ging, um die nächste Ecke bog und sie förmlich stehen ließ. Ich lehnte mich an die Wand, atmete schwer aus und versuchte schmerzlich die Tränen zu unterdrücken, die erneut hochkamen. Ich ertrug es nicht länger, wie sie mich ansah. Beschäftigte sie es wirklich so sehr, dass ich bei ihrem besten Freund schlief? Dass ich ihn, anstatt sie in mein Geheimnis eingeweiht hatte, traf sie, das konnte ich verstehen. Aber warum war sie so eifersüchtig? War es überhaupt Eifersucht oder steckte etwas ganz anderes dahinter?

Mit dem Handrücken wischte ich mir eine Träne weg, die mir über die Wange rollte und gerade, als ich in mein Klassenzimmer gehen wollte, hörte ich Tais Stimme.

„Sag mal, was sollte das, Sora?“

Ich hielt inne und presste mich zurück an die Wand. Er klang ziemlich sauer.

„Musstest du sie so abblitzen lassen?“

„Fragt sich, wer hier wen abblitzen lässt!“, erwiderte Sora nicht weniger wütend. „Ihr seid es doch, die Geheimnisse vor mir haben.“

„Es ist eben kompliziert. Gib ihr noch etwas Zeit.“

Ich riskierte einen Blick um die Ecke und sah, wie Sora an ihm vorbei ins Klassenzimmer gehen wollte, doch er hielt sie am Arm fest, sodass sie stehen bleiben musste.

„Sei nicht so unfair, Sora“, wies er sie mit einem strengen Blick zurecht. „Du kannst ihr nicht vorwerfen, was du selbst tust.“

Sora funkelte ihn mit einem bösen Blick an. „Lass mich endlich los!“, sagte sie stur, riss sich von ihm los und stapfte ins Klassenzimmer.

Ich lehnte mich gegen die Wand und versuchte zu begreifen, was gerade geschehen war. Soras Eifersucht. Der Streit mit Tai eben. Was er zu ihr gesagt hatte. Was sie selbst tat? Das ergab keinen Sinn. Und so dickköpfig, wie sie gerade war, standen die Chancen schlecht es von ihr zu erfahren. Aber Tai konnte ich auch nicht fragen. Erstens wüsste er dann, dass ich sie belauscht habe und zweitens würde er niemals etwas von Sora preisgeben, was sie nicht wollte, dass er verriet. Dessen war ich mir ganz sicher. Und es war ziemlich offensichtlich, dass, um was es hierbei auch immer ging, Sora nicht gut darauf zu sprechen war…

In dem Moment klingelte mein Handy und riss mich aus meinen Gedankenkreislauf. Ich kramte es aus meiner Tasche hervor und hob ab, ohne aufs Display zu sehen.

„Hallo?“

„Mimi…“

Oh nein, was wollte sie? Warum rief sie mich an, während ich in der Schule war? Das konnte nichts Gutes bedeuten. Gespannt wartete ich ab, was sie mir zu sagen hatte. Dabei schlug mein Herz plötzlich schnell gegen meine Brust und mein Puls beschleunigte sich. Eigentlich gab es nur einen Grund für diesen Anruf…

„Mimi, sie wird heute abgeholt. Ich wollte… ich wollte, dass du Zeit hast, dich von ihr zu verabschieden.“

Und plötzlich hörte sich meine Welt auf zu drehen. Jetzt schon? So schnell wollten sie sie mir wegnehmen? Völlig geistesabwesend legte ich auf und ließ meine Hand sinken, wobei mein Handy zu Boden fiel. Meine Knie drohten nachzugeben. Mir wurde schwarz vor Augen und es war heiß und kalt gleichzeitig. Ich spürte, wie mir Schweißperlen auf der Stirn standen und ich hatte das Gefühl zu ersticken. Wenn ich jetzt nichts tat, war alles aus. Für immer.

Wie benommen stieß ich mich von der Wand ab und eilte um die Ecke. Sofort fiel mein Blick auf Tai, der immer noch auf dem Flur stand. Sein Blick traf meinen und ohne, dass ich etwas sagen musste, begriff er, was los war...
 

Völlig außer Atem kamen wir beim Krankenhaus an. Tai war trotz seiner Fußverletzung das letzte Stück mit mir gerannt, so dass er nun vor Schmerzen humpeln musste. Am Eingang hielt er kurz inne und stützte sich keuchend auf seine Knie ab. Besorgt sah ich ihn an und wollte gerade etwas sagen, als er mich fordernd ansah. „Jetzt geh schon! Beeil dich!“

Ich nickte und stolperte förmlich ins Krankenhaus. Den Fahrstuhl sparte ich mir und hastete die Treppen hoch zur Station. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Seit dem Anruf meiner Mutter konnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Es durfte einfach nicht sein, dass sie sie einfach so mitnahmen!

Nach Luft ringend kam ich schließlich oben an. Ich eilte zu ihrem Zimmer, riss die Tür auf und dieser Anblick, der sich mir bot, war einfach nur gruselig. Ein Haufen fremder Leute standen im Zimmer. Eine mir unbekannte Frau hielt meine Tochter im Arm. Und alle sahen mich verständnislos an. Die Frau, die mein Kind hielt, warf mir einen bösen Blick zu und wollte gerade etwas sagen, als die Schwester dazwischen ging. „Keine Sorge, es ist alles gut. Das ist die Mutter des Kindes. Ich nehme an, sie ist gekommen, um sich zu verabschieden.“

Ich atmete schwer aus, unfähig auch nur einen Ton zu sagen.

Die Frau nickte nur stumm und kam zu mir rüber. Sie hielt mir das Baby hin, als wäre es ein Präsent. „Hier. Sie haben drei Minuten.“

Drei Minuten? So sollte also unser Abschied aussehen?

Ich zögerte kurz, warf der Schwester einen unsicheren Blick zu. Sollte ich das wirklich tun? Diese Nähe zulassen, die es mir am Ende nur noch schwerer machen würde, mich von ihr zu trennen? Plötzlich fühlte ich, wie eine Hand meine Schulter berührte. Ich wusste, dass er da war und dass, egal was gleich geschah, er mir Halt geben würde. Also streckte ich die Arme nach ihr aus, bereit diese Nähe zuzulassen – auch, wenn sie mir endgültig das Herz brechen würde. Die Frau legte sie mir in die Arme und ich spürte das erste Mal ihre Wärme. Das erste Mal, seit ihrer Geburt hielt ich meine Tochter im Arm und von diesem Moment an wusste ich, dass wir zusammengehörten. Dass nichts und niemand auf der Welt mich von ihr trennen konnte. Dass ich es nie zulassen würde, dass sie sie mir entrissen. Wir waren eins. Nahmen sie sie mit, nahmen sie auch einen Teil von mir mit und es war klar, dass ich das nicht überleben würde.

Ich merkte nicht einmal, dass alle Beteiligten aus den Raum gegangen waren, so überwältigt war ich von diesem neuen Gefühl der Verbundenheit. Ich wollte mir diese Nähe nie zugestehen, da ich wusste, sie würde mich unwiderruflich an sie binden und würde ich sie auch nur ein Mal im Arm halten, wäre unsere Abmachung sofort nichtig. Das Versprechen, was ich gegeben hatte, gab es nicht mehr. Denn ich würde sie nie wieder loslassen. Diese Erkenntnis schmerzte so sehr, dass ich unweigerlich anfing zu weinen. Nun hatte sich das Schicksal endgültig gegen mich gestellt. Es war bereit, mir einen Teil meiner Seele zu nehmen, ohne den ich nicht mehr leben konnte.

Völlig verzweifelt sah ich zu Tai auf, der mir gegenüberstand. „Ich schaffe das nicht…“, murmelte ich kaum hörbar, dabei immer die Zeit im Nacken. Gleich würden sie wieder hier sein.

Er berührte sanft meine Wange und wischte mir eine Träne weg, während er mir tief in die Augen sah. Ich konnte nicht sagen, was es war, dass in seinen Augen aufblitzte, ob es Mut oder Zuversicht war, doch es ließ mich für eine Sekunde hoffen.

„Es gibt immer einen Ausweg“, sagte er leise.

Hoffnung

„Es gibt immer einen Ausweg“, sagte er leise.

„Welchen denn?“, fragte ich verzweifelt.

Konnte er denn nicht sehen, dass jede Sekunde alles vorbei sein würde? Dass ich verloren hatte?

„Welchen denn?“, fragte ich noch ein Mal. Es gab keinen Ausweg aus dieser Situation. Tai lächelte mich an.

Es gab keinen Ausweg. Es gab keinen Ausweg. Es gab KEINEN Ausweg…!

In dem Moment kamen sie wieder. Bereit, sie mir aus den Armen zu reißen. Ausweichend ging ich einige Schritte zurück, während Tai sich schützend vor mich stellte.

„Es ist so weit, Fräulein Tachikawa. Wir müssen sie jetzt mitnehmen“, sagte die Frau, die in Begleitung einer Schwester und noch zwei anderen Leuten vom Jugendamt war. Niemals würde ich solchen Leuten mein Kind anvertrauen! Mein Blick verfinsterte sich, wie der einer Wölfin, die ihr Junges verteidigt. Und dann geschah etwas, was ich wahrscheinlich nie vergessen werde…

Tai ging auf die Frau zu und sah ihr entschlossen in die Augen.

„Ich werde das Kind mitnehmen.“

Nein, das ist unmöglich! Was redete er da?

Wie konnte er sich nur erhobenen Hauptes der Frau entgegenstellen, die bereit war, mir mein Kind wegzunehmen? Diese Situation war völlig surreal. Er konnte sie nicht mitnehmen! Das war einfach nicht möglich! Ich bewunderte seinen Mut, der mich völlig sprachlos machte. Alle anderen warfen sich fragende Blicke zu und auch mir stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Was meinte er mit: „Ich werde das Kind mitnehmen“?

In seiner Stimme lag solch eine Entschlossenheit, dass ich fast selbst schon glaubte, es wäre möglich, was er sagte.

Die Frau lächelte fast schon diabolisch. „Und wer sind Sie, wenn ich fragen darf?“

Tai straffte seine Schultern und baute sich vor ihr auf, so gut es mit der Krücke ging. Seinen Fuß hatte er angehoben, was mir verriet, dass er ganz sicher Schmerzen wegen des Laufs vorhin hatte.

„Ich bin der Vater des Kindes“, sagte er plötzlich und diese Aussage hätte mich beinahe umgehauen, hätte ich nicht mein Baby im Arm gehabt. Niemals würden sie ihm das glauben! Sie wussten, dass es keinen offiziellen Vater gab. Die Frau zog eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. „Der Vater wurde als unbekannt angegeben.“

„Ja, kann sein“, sagte Tai beiläufig, als wäre es überhaupt nicht von Bedeutung. „Aber ich habe vor, sie zu adoptieren, sobald ich 18 bin. Was in ein paar Wochen der Fall sein wird.“
 

Ich konnte nicht glauben, was er da eben gesagt hatte. Hatte ich mich verhört oder kamen diese Worte gerade tatsächlich aus seinem Mund? Regungslos und die Luft anhaltend stand ich da und traute mich nicht zu atmen. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so perplex waren alle Anwesenden. Nur Tai stand da – wie ein Fels in der Brandung – und sagte einfach so, dass er vorhatte meine Tochter zu adoptieren. War das sein Ausweg?

Die Frau vom Jugendamt sah an ihm vorbei mich an und musterte mich. „Ist das wahr?“, fragte sie spitzfindig.

Ich wusste überhaupt nicht, was ich sagen sollte, war jedoch noch so geistesgegenwertig, dass ich einfach nur stumm nickte. Sie wandte sich wieder Tai zu. „Sie haben vor, das Kind zu adoptieren? Wie kommt es dazu? In welcher Beziehung stehen Sie zu der Mutter?“

Oh Gott – sie machte wirklich ernst. Diese Frage konnte er unmöglich beantworten. Wir waren kein Paar!

„Wir sind ein Paar.“

Ich musste mich zusammenreißen, dass mir nicht der Mund aufklappte. Ohne mit der Wimper zu zucken, behauptete er allen Ernstes, wir wären ein Paar. Ich verstand die Welt nicht mehr. Doch um meine Tochter behalten zu können, zog ich mittlerweile alles in Erwägung. Und wenn wir vor Gericht ein Paar sein mussten, dann war es so.

„Ja… Ja, das stimmt. Schon länger“, mischte ich mich nun ein, um Tai in seinem mehr oder weniger wahnwitzigen Vorhaben zu unterstützen. Das würden sie uns doch nie glauben! Und genau so sahen mich auch alle an.

„Das stimmt. Ich habe ihn schon öfters mit Fräulein Tachikawa hier gesehen“, sagte nun auch die Schwester. Keine Ahnung, ob sie das wirklich glaubte oder mir einfach nur helfen wollte. Doch es untermauerte unsere Lüge.

„Tai wäre ein toller Vater“, ergänzte ich meine Aussage und warf ihm einen verstohlenen Blick zu. Besonders überzeugend klang ich ja nicht.

„Und was genau qualifiziert Sie als Vater? Ich meine… ganz offensichtlich gehen Sie selbst noch zur Schule.“

So schnell würde diese Frau also nicht klein beigeben, aber das hatte ich auch nicht erwartet. Tai hatte einen Kampf begonnen, den wir unmöglich gewinnen konnten.

„Das stimmt, aber nicht mehr lange. Ich stehe kurz vor meinen Abschlussprüfungen. Danach wollte ich eigentlich studieren, aber es macht mir nichts aus, noch ein Jahr zu warten, bis auch Mimi ihren Abschluss hat. Danach können wir uns gemeinsam um unser Kind kümmern.“

Unser Kind…?!

„Meine Familie unterstützt uns dabei. Wir würden alles tun, damit unser Kind bei uns bleiben kann!“

Okay.

Das war zu viel.

Ich musste mich setzen.

Ich ging zu einen der Stühle und ließ mich darauf nieder. Betrachtete meine Tochter in meinem Arm, die gerade die Augen aufschlug. Sie neigte den Kopf und lächelte mich an. Als wolle sie mir sagen, dass es das Richtige war, was wir hier taten. Sie ermutigte mich dazu. Ich lächelte sie an und wandte mich nun voller Entschlossenheit an die Frau vom Jugendamt und ihre Begleiter.

„Ich bin mir sicher, dass wir das schaffen können – Tai und ich. Meine Eltern dachten, ich schaffe es nicht allein. Doch jetzt bin ich nicht mehr allein.“ Ich warf ihm einen zuversichtlichen Blick zu. Ob er wusste, wie dankbar ich ihm war?

„Es gibt niemanden auf der Welt, dem ich meine Tochter mehr anvertrauen würde als ihm.“

Ein kurzes Schweigen herrschte im Raum und ich war mir nicht sicher, ob meine Worte reichten, um sie zu überzeugen.

„Sie wissen, dass das Sorgerecht momentan noch bei Ihren Eltern liegt, da sie noch nicht volljährig sind.“

„Das weiß ich“, antwortete ich.

„Das heißt, Ihre Eltern müssten entweder der Adoption durch ihren Freund zustimmen oder Sie müssten das Sorgerecht vor Gericht einklagen. Sollte sich dort herausstellen, dass man sie nicht für fähig hält Eltern zu sein, und das geht schnell bei so jungen Menschen, dann…“

Sie musste ihren Satz nicht beenden. Ich wusste, was das bedeutete. Ich nickte.

Die Beamten warfen sich einen kurzen Blick zu, dann wandte sie sich wieder an Tai.

„Ich muss Ihre Daten aufnehmen. Dann müssen Sie, sobald Sie 18 sind einen Antrag auf Adoption stellen. Bis dahin könnten wir das Kind einer Pflegefamilie geben.“

„Nein!“ Ich sprang von meinem Stuhl auf.

„Oder die Sorgeberechtigten willigen ein, dass das Kind bis zur möglichen Adoption bei Ihnen bleiben darf.“

Eine kleine Erleichterung machte sich in mir breit. Es gab also doch einen Ausweg. Doch der Weg dahin war wahrscheinlich steiniger, als ich ihn mir vorstellte. Das hörte sich alles sehr kompliziert an und ich war mir fast sicher, dass meine Eltern niemals zustimmen würden, dass das Baby bis zur Adoption bei uns bleibt. Geschweige denn, dass Tai es adoptieren durfte.

Ich musste schlucken. Was hatten wir uns da nur eingebrockt? Wie sollte dieser Plan nur jemals aufgehen?

Die Frau verfestigte ihren Blick und sah mich unvermittelt an. „Wenn Ihre Eltern der Adoption durch Ihren Freund nicht zustimmen, sieht es schlecht für Sie aus.“
 

Kurze Zeit später saß ich immer noch mit meiner Tochter auf dem Arm im Krankenzimmer und wartete ungeduldig darauf, dass die Frau vom Jugendamt wiederkam. Sie war herausgegangen, um meine Eltern anzurufen. Wenn sie nicht zustimmen sollten, würde das bedeuten, dass sie mein Baby bis zur Adoption mitnehmen würden. Und das durfte einfach nicht passieren. Sie durften sie mir nicht wegnehmen!

Unruhig saß ich auf einem Stuhl und seufzte schwermütig. Tai kam zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Alles in Ordnung?“ Ich sah zu ihm auf.

„Das kommt ganz darauf an, was sie gleich sagen wird…“ Er lächelte mich zuversichtlich an und erst jetzt wurde mir klar, was er eigentlich eben für mich getan hatte. Und welche Konsequenzen dieses Vorhaben haben könnte.

„Was hast du dir nur dabei gedacht?“, fragte ich ihn unsicher. „Wie kommst du darauf, sie adoptieren zu wollen? Weißt du, was das für dich bedeutet?“

Er wandte den Blick von mir ab und sah das Baby an, welches friedlich in meinen Armen lag. „Ja, weiß ich“, sagte er dann. „Glaub mir, Mimi. Ich würde das nicht tun, wenn es einen anderen Ausweg für euch geben würde.“

Ich stand auf, legte sie vorsichtig zurück in ihr Bettchen und ging dann auf Tai zu. Eindringlich sah ich ihn an. „Was tust du nur, Tai? Du kannst doch nicht deine ganze Zukunft wegen mir… wegen uns wegwerfen.“ Er hatte doch keine Ahnung, was es bedeutete, ein Kind groß zu ziehen. Ein Kind, welches nicht seins war. „Deine Selbstlosigkeit in allen Ehren, aber… ich kann es nicht zulassen, dass du dir meinetwegen so eine große Bürde auferlegst.“

Ich war den Tränen nahe. Wie könnte ich so etwas je von ihm verlangen? Wir waren nicht mal ein Paar. Er musste das nicht für mich tun! Und doch tat er es, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Doch das alles betraf nicht nur ihn. Diese Entscheidung, die er bereit war zu treffen, betraf einfach alle. Mich, meine Eltern, seine Familie… Nicht auszumalen, was sie davon halten würden.

„Mimi, du kannst mir vertrauen“, sagte er und griff nach meiner Hand. „Ich habe lange und viel recherchiert und solange das Sorgerecht bei deinen Eltern liegt, hast du absolut keine Chance, dein Kind zu behalten. Es sei denn, du klagst es ein. Aber wir wissen, wie aussichtslos so eine Gerichtsverhandlung wäre. Das Einzige, was uns bleibt, ist eine Adoption – was deine Eltern ja eh vorhatten. Nur, dass ich es sein werde, der sie adoptiert.“

Das Einzige, was UNS bleibt? Er sagte einfach so „uns“, als wäre es unser beider Problem. Dabei war es eigentlich nur meins und ich zog ihn einfach so mit in diese Sache hinein.

Beschämt senkte ich meinen Blick. „Wie soll ich das nur mit meinem Gewissen vereinbaren, wenn du deine Zukunft wegen uns aufgibst?“

Er wollte etwas antworten, doch in dem Moment öffnete sich die Tür zum Krankenzimmer und die Frau vom Jugendamt trat herein. Ihre Miene verriet absolut gar nichts, was mir sofort ein flaues Gefühl im Magen bescherte. Gespannt sah ich sie an. Sie warf einen Blick auf uns und sah, dass wir Händchenhaltend dastanden. Gut so. Das untermauerte hoffentlich unsere Aussage, wir wären ein Paar.

„Ihren Vater konnte ich leider nicht erreichen, da er noch bis Ende der Woche auf einer Geschäftsreise ist“, begann die Frau trocken und mein Herz rutschte in die Hose. Also würden sie sie mitnehmen.

„Aber ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen und sie ist damit einverstanden, dass das Kind vorerst bei Ihnen bleibt, bis das mit der Adoption geklärt ist.“

Als sie das sagte wurden meine Knie weich und mein Herz machte einen Freudensprung. Meine Mutter hatte tatsächlich zugestimmt? Das war wirklich eine Überraschung, mit der ich nicht gerechnet hatte.

„Für so eine Entscheidung reicht die Zustimmung eines Sorgeberechtigten, wenn es allerdings um die bevorstehende Adoption geht, müssen beide Sorgeberechtigten zustimmen. Wir werden für nächste Woche einen Termin vereinbaren, wo wir uns alle zusammen an einen Tisch setzen und darüber reden werden. Bis dahin, alles gute Fräulein Tachikawa. Sie hören von uns.“

Wie?

Das war’s?

Das war alles? Sie wandte sich um, ging aus dem Zimmer und ließ uns allein. Tai, mich und meine Tochter. Einfach so. Ungläubig sah ich zu Tai auf, der mich triumphierend angrinste. Wie hatte er das nur hinbekommen? Ich durfte mein Baby wirklich mitnehmen…
 

„Wie erklären wir das deinen Eltern?“, fragte ich unsicher, als wir mit gepackten Sachen auf dem Weg nach Hause waren und mir plötzlich bewusstwurde, dass Tais Eltern ja noch gar nichts von der ganzen Sache wussten. Sie würden doch ausrasten, wenn wir urplötzlich mit einem Baby vor der Tür standen und Tai ihnen von seinem Plan, sie zu adoptieren erzählte. Allein bei dem Gedanken daran, wie seine Mutter reagieren würde, wurde mir schlecht. Wir durften nicht mal im selben Raum übernachten und dann tauchten wir mit einem Baby bei ihr zu Hause auf? Die Katastrophe war vorprogrammiert.

„Keine Sorge, wir haben noch genau zwei Tage Zeit, um uns das zu überlegen.“

„Wie meinst du das?“ Ich trug meine Tochter auf dem Arm und schulterte zudem noch die ganzen restlichen Sachen, da Tai mit seinem schmerzenden Fuß nicht im Stande war, irgendetwas zu tragen.

„Mein Vater ist für zwei Tage auf einer Tagung und meine Mutter hat die Gelegenheit genutzt, eine alte Schulfreundin zu besuchen.“

„Und Kari?“

Tai grinste. „Die hat natürlich auch gleich ihre Chance gewittert und übernachtet bei Takeru.“

„Oh, verstehe.“ Also blieben uns tatsächlich noch ein paar Tage Zeit, um uns zu überlegen, wie wir die Sache am besten angehen konnten. Trotzdem ließ ich den Blick betrübt zu Boden sinken. Was Tai heute für mich getan hatte, war mehr als ich jemals von ihm verlangen könnte und mehr als ich erwartet hätte. Wäre er nicht so mutig gewesen, wäre ich jetzt niemals mit meiner Tochter auf dem Weg zu ihm nach Hause.

Ich räusperte mich. „Du hast nie danach gefragt…“, sagte ich kleinlaut und traute mich nicht ihn anzusehen.

„Was habe ich nie gefragt?“, fragte er verwundert.

„Wer ihr Vater ist.“

Tai schwieg kurz, während ich den Blick stur zu Boden richtete.

„Ist das denn wichtig?“, antwortete er schließlich, was mich zum Nachdenken brachte. War es das?

„Ja und nein. Leider ist er kein guter Mensch und er ist auch kein Mensch, der Rücksicht auf andere nimmt. Er könnte uns das Leben zur Hölle machen. Mein einziger Vorteil ist, dass er nichts von alledem weiß. Er würde nie akzeptieren, dass ich das Kind behalte.“

Auch, wenn es mir schwerfiel, es zuzugeben, aber: ich hatte Angst vor Hayato. Bis jetzt war ich ihm immer recht selbstbewusst gegenübergetreten, doch nicht auszumalen, was er mit den richtigen Mitteln anrichten konnte. Tatsächlich fürchtete ich mich mehr vor seiner Reaktion als vor der meines Vaters.

„Du hast den Vater als unbekannt angegeben. Ich denke nicht, dass es in seiner Macht stünde, uns Schwierigkeiten zu machen“, entgegnete Tai zuversichtlich, doch er hatte ja keine Ahnung…

„Ich weiß nicht, ob ich es zulassen kann, dass du noch mehr in diese Sache mit hineingezogen wirst“, sagte ich schuldbewusst, denn ich hatte ein schlechtes Gewissen. Ich konnte doch nicht zulassen, dass er tatsächlich alles meinetwegen aufgab. „Ich kann das einfach nicht von dir verlangen, Tai. Dass du sie adoptierst. Momentan ist mir das Wichtigste, dass sie bei mir ist, aber ich verspreche dir: ich finde eine andere Möglichkeit. Eine, für die du nicht deine Zukunft wegwerfen musst.“

Er blieb stehen und ich drehte mich um.

„Und was ist mit deiner Zukunft?“, fragte er mit entschlossenem Blick und ich konnte mir fast schon denken, was dieser Blick zu bedeuten hatte. Ich würde ihn nicht umstimmen können…

„Glaub mir Mimi, ich würde es nicht machen, wenn es eine andere Möglichkeit geben würde. Alles, was ich möchte, ist euch zu helfen, mehr nicht. Und ich möchte nicht, dass du deswegen ein schlechtes Gewissen hast. Außerdem… sobald die Adoption abgeschlossen ist kannst du gerne mit deiner Tochter hingehen wo du willst.“

Ich wich seinem Blick aus.

„Ich werde ganz sicher keine Ansprüche auf sie erheben, nur weil ich auf dem Papier ihr Vater sein werde“, lachte er und ich grinste unsicher. Das wäre auch zu schön um wahr zu sein.

Unentschlossen sah ich ihn an, nickte dann jedoch, weil ich wusste, dass es vorerst tatsächlich keine andere Möglichkeit für uns gab. Tais Angebot war mehr als selbstlos und ich wusste nicht, ob ein Leben dafür ausreichte, um das wieder gutzumachen…
 

Ich war ein wenig aufgeregt, als wir an seiner Wohnung ankamen. Das sollte das erste Mal sein, dass ich meine Tochter für mich alleine hatte und plötzlich fühlte ich mich bei dem Gedanken etwas überfordert.

„Wo soll sie eigentlich schlafen? Ich habe doch hier gar kein Babybettchen“, dachte ich laut nach, während ich durch die Wohnung ging, die wie ausgestorben war und mich umsah. „Und was soll sie Essen? Bis jetzt haben sich immer die Schwestern um alles gekümmert. Ich weiß doch gar nicht, wie das geht…“

Verzweiflung kroch in mir hoch und ich denke, das sah man mir in diesem Moment auch an. Woher sollte ich auch wissen, wie man mit einem kleinen Baby umgeht? Ich hatte mich nie mit solchen Fragen auseinandersetzen müssen, da der Plan ja nun mal ein anderer war…

„Ganz ruhig“, meinte Tai und griff nach einem Zettel, den er am Morgen ausgedruckt hatte. „Ich dachte mir schon, dass es einige Kleinigkeiten gibt, die wir beachten sollten, also habe ich ein paar Ratschläge aus dem Internet zusammengesucht, die wir befolgen können.“

Er hielt mir den Zettel hin. Ich runzelte die Stirn und sah ihn stutzig an.

„Du hast schon damit gerechnet, dass wir sie heute mitnehmen können?“

Tai grinste schief. „Na ja, wenn ich mir mal etwas in den Kopf gesetzt habe… du weißt ja. Und wenn der Plan nicht aufgegangen wäre, wären wir eben mit ihr geflüchtet.“

Ich musste lachen. Manchmal bewunderte ich ihn wirklich für dieses Talent, die Dinge immer irgendwie leicht zu nehmen. Vielleicht gelang ihm deshalb alles, was er sich in den Kopf setzte.

„Okay, also ich werd dann mal losgehen und ein paar Sachen besorgen“, meinte er, doch ich schüttelte energisch den Kopf.

„Kommt gar nicht in Frage! Ich sehe doch die ganze Zeit schon, wie sehr dein Fuß schmerzt. Du wirst dich schön hinlegen und dich ausruhen!“, orderte ich, drückte ihm die Kleine in die Hand und schob ihn in Richtung Sofa. Dann holte ich ein Kissen, legte es auf den Tisch und bettete seinen Fuß darauf.

Tai sah mich völlig verdutzt an.

„Darf ich den Herrn sonst noch etwas mitbringen? Vielleicht was zum Naschen? Oder eine kalte Cola?“

Er überlegte und lächelte dabei. „Mmh, vielleicht Popcorn und einen Film. Nach dem ganzen Stress in der Schule und im Krankenhaus haben wir uns mal einen entspannten Abend verdient oder was meinst du? Außerdem sind wir allein hier.“

Was ich dazu meinte? War das etwa eine Anspielung? Ich wurde rot.

„Du musst nicht gleich rot werden“, lachte Tai auf und dass er es sofort bemerkt hatte, machte mich direkt noch verlegener.

„Ich meine doch nur, dass wir endlich mal Ruhe haben und wir die wenigen ruhigen Stunden nutzen sollten, um uns zu entspannen. Wenn meine Eltern zurück sind, kommen genug neue Probleme auf uns zu.“

Da hatte er recht. Aber so locker, wie er es sagte, klang es beinahe so, als würde er sich überhaupt keine Gedanken darübermachen. Sondern, als wäre es einfach nur eine Tatsache.
 

Als ich vom Einkaufen wiederkam, ging schon langsam die Sonne unter. Ich wollte nicht, dass Tai extra aufstehen musste, also hatte ich mir seinen Schlüssel ausgeliehen.

„Bin wieder da“, rief ich durch die Wohnung, doch bekam keine Antwort. Ich stellte die Tüten in der Küche ab und ging ins Wohnzimmer. Ich musste schmunzeln, als ich sie beide so daliegen sah.

Tai war eingeschlafen. Dabei hielt er immer noch meine kleine Tochter im Arm, die ebenfalls seelenruhig schlief. Ich beugte mich zu ihnen hinunter und lächelte. Vorsichtig strich ich ihr über den Kopf.

„Na, du scheinst dich ja ziemlich wohl bei Tai zu fühlen.“

„Das machen alle Mädchen“, nuschelte Tai, als er aufwachte und mich verschlafen ansah.

Ich schrak ein wenig zurück und richtete mich schnell wieder auf, um in die Küche zurück zu gehen.

„Ich hab einen Film mitgebracht“, rief ich, während ich die Einkäufe ausräumte. „Um genauer zu sein zwei. Ich wusste nicht, was du gucken magst. Also habe ich einen Thriller und eine Komödie mitgebracht.“

Ich verstaute die restlichen Sachen in den Schränken und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich mich zu ihnen aufs Sofa setzte.

„Ich denke, eine Komödie wäre ganz passend. Das heitert dich sicher etwas auf“, meinte er und lehnte sich zurück. Ein leises Stöhnen entwich ihm unter zusammengebissenen Zähnen.

Mein Blick fiel auf seinen Fuß. Wir waren vorhin eine Weile gelaufen und das, obwohl Tais Fuß immer noch nicht ganz verheilt war.

„Tut’s sehr weh?“, fragte ich mitleidig.

Tai zwang sich zu einem schiefen Grinsen. „Ach, was.“

Ich seufzte auf und schüttelte verständnislos den Kopf. „Warum glaube ich dir das nicht?“ Ich stand auf, ging ins Bad und suchte nach irgendeiner Schmerzsalbe, mit der ich seinen Fuß eincremen konnte.

„Hier, die wird dir helfen“, sagte ich, als ich mich wieder neben ihn setzte. Ich klopfte mit der Hand auf meinen Schoß, doch Tai sah mich nur stirnrunzelnd an.

„Na, los. Füßchen her!“, forderte ich, doch Tai schien skeptisch.

„Du hast doch gesagt, du spielst nicht die Krankenschwester.“

„Wann habe ich das gesagt?“

„Als wir die Abmachung getroffen haben. Du bringst mich zur Schule, wenn ich dir Nachhilfe gebe.“

„Richtig“, stimmte ich ihm zu und zog dennoch seinen Fuß auf meinen Schoß. „Aber vorerst brauche ich keine Nachhilfe mehr, also… ist diese Abmachung hinfällig.“

Tai lachte auf, während ich seinen Verband abwickelte. „Auch die, dass du nicht für mich kochst?“

Ich grinste. „Witzig“, sagte ich, doch mein Lächeln erstarb, als ich den Verband abhatte und seinen geschwollenen Knöchel sah. „Oh, Tai. Das sieht gar nicht gut aus. Du hättest nicht rennen dürfen.“

„Hatte ich denn eine Wahl?“, fragte er, während ich vorsichtig die Salbe auftrug.

„Man hat doch immer eine Wahl.“

„Und das aus deinem Mund…“

Ich sah zu ihm auf und lächelte. Er hatte es sich bequem gemacht und hielt das schlafende Baby immer noch in seinem Arm, als wäre es das Normalste von der Welt.

„Sie steht dir“, sagte ich liebevoll. Und das stimmte. So langsam musste ich mir eingestehen, dass es tatsächlich keinen geben würde, der sich besser als Vater eignete als Tai. Auch wenn es nur pro-forma sein würde…

Tai sah das kleine Mädchen in seinen Armen ganz verträumt an und lächelte ebenfalls. Die beiden so zu sehen erwärmte mein Herz. Selten hatte ich so viel Zufriedenheit verspürt, wie in diesem Moment.

„Du solltest ihr so langsam mal einen Namen geben. Jetzt, wo sie bei dir bleiben wird.“

Ich runzelte die Stirn. Einen Namen? Darüber hatte ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht. Es kam nie für mich in Frage, ihr einen Namen zu geben. Doch er hatte recht. Angestrengt dachte ich nach.

„Also ich finde ja Hope sehr passend“, sagte Tai plötzlich.

„Hope.“ Ich sprach den Namen ganz langsam aus. Hope. Hoffnung.

Ich lächelte ihn an und nickte zustimmend. „Hope ist perfekt.“ Es gab keinen Namen, der hätte treffender sein können. Sie gab mir Hoffnung. Hoffnung, dass vielleicht doch noch alles gut werden würde.

Das kleine Baby, welches so friedlich aussah, als hätte es nie etwas anderes getan als in seinen Armen zu schlafen, schmiegte sich eng an ihn und Tai lächelte, als hätte er nie etwas anderes getan als sie zu halten.
 


 

„Der Großteil unseres Lebens besteht aus einer Aneinanderreihung von Bildern. Sie ziehen an uns vorbei wie Städte an der Autobahn. Doch manchmal gibt es einen Moment, der uns überrascht und wir wissen, dass dieser Moment mehr ist als nur ein flüchtiges Bild. Und dass dieser Moment und jedes Detail daran für immer Bestand haben wird.“

One Tree Hill
 

Hayato

Ich war eingeschlafen. Nachdem wir Hope ins Bett gebracht hatten, schauten wir die Filme, die ich aus der Videothek ausgeliehen hatte. Doch wir waren beide so müde, dass wir beide ziemlich schnell einschliefen. Ein Schreien ließ mich jedoch hochschrecken. Der Fernseher lief immer noch. Ich sah neben mich. Tai schlief tief und fest. Und der Schrei, den ich eben gehört hatte, kam nicht aus dem Fernseher, wie ich zunächst dachte. Es kam aus Tais Zimmer. Ich schlug die Decke zur Seite, in die wir uns eingewickelt hatten und ging zu Hope.

„Hey, was hast du denn?“, sagte ich ruhig und beugte mich über sie, um sie hochzuheben. Ich wog sie in meinen Armen, ging mit ihr im Zimmer auf und ab, doch es half alles nichts. Sie ließ sich einfach nicht beruhigen.

„Was machst du denn da?“ Tai stand in der Tür und rieb sich müde die Augen.

„Sie hört einfach nicht auf zu weinen“, sagte ich verzweifelt und musste gleichzeitig feststellen, dass ich absolut keine Ahnung von Babys hatte. Es hatte mich nie jemand auf so eine Situation vorbereitet. Ich bekam Panik.

„Was ist, wenn es ihr nicht gut geht?“

„Ganz ruhig“, meinte Tai einfühlsam und kam zu mir. „Sie hat sicher nur Hunger.“

„Nein, du verstehst nicht was ich meine“, sagte ich panisch, während sie immer lauter schrie. Wenn es ihr nun wirklich nicht gut ging? Woher sollte ich wissen, ob sie Hunger oder Schmerzen hatte. Tai sah mich fragend an. „Was meinst du?“

Mir fiel ein, dass er nichts davon wusste.

„Hope hat einen Herzfehler, Tai.“

„Was?“, fragte er schockiert. „Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“

Ich fühlte mich furchtbar. Hope schrie und weinte und ich hatte es nicht mal für nötig gehalten, Tai über ihre Krankheit aufzuklären. Obwohl er bereit war, so viel für mich aufzugeben. Ich hätte verstanden, wenn er das jetzt anders sehen würde.

„Gib sie mir mal“, meinte er plötzlich und hielt die Arme auf. Ich zögerte kurz, doch dann gab ich sie ihm. Während er sie hin und her wog, kaute ich nervös auf meiner Lippe rum und hüpfte von einem Bein aufs andere. „Was meinst du? Sollen wir ins Krankenhaus fahren? Eigentlich hat sie die letzte OP gut überstanden und die Ärzte meinten, es wäre alles gut, aber… es kann immer zu Komplikationen kommen oder? Ich meine, sie ist schließlich noch klein und nicht so stark. Und oh Gott, ich habe einfach absolut keine Ahnung, was ich machen soll. Tai? Tai, jetzt sag doch was!“

„Psst!“, machte dieser jedoch nur und legte einen Finger an die Lippen, damit ich ruhig war. Vielleicht reagierte ich etwas panisch. Aber ich war auf diese Situation nicht vorbereitet gewesen. Auf ein: was, wenn?

Vor lauter Panik bemerkte ich gar nicht, dass Hope sich schon deutlich ruhiger verhielt und nicht mehr so stark weinte. Ungläubig sah ich Tai an, der immer wieder mit zwei Fingern über ihren Bauch strich.

„Wie hast du das gemacht?“, fragte ich verblüfft. Was machte er da? Und woher konnte er das?

„Kari hat früher auch oft geweint in der Nacht“, erklärte er mir leise, während Hope sich immer weiter beruhigte. „Ich weiß noch genau, wie meine Mutter früher immer aufgestanden ist und ihr so über den Bauch gestrichen hat, bis sie sich beruhigt hatte. Ich glaube, sie hatte einfach Bauchschmerzen oder so.“

Mir klappte der Mund auf. Stand er hier gerade ernsthaft vor mir und erklärte mir die Welt? Plötzlich kam ich mir total dämlich vor, dass ich da nicht selbst draufgekommen bin. Andererseits war ich auch sehr erleichtert, denn Hope war inzwischen wieder tief und fest eingeschlafen.

„Siehst du? Es ist alles gut“, sagte Tai zufrieden und legte sie zurück in ihr Bettchen. „Wahrscheinlich hatte sie einfach nur Bauchschmerzen.“

Ich riskierte einen Blick auf das schlafende Baby und war völlig von den Socken. „Beeindruckend.“

Tai lachte leise. „Komm, gehen wir wieder schlafen.“

Ich runzelte die Stirn, folgte ihm jedoch zurück ins Wohnzimmer. Wollte er etwa, dass wir beide hier schliefen?

„Ich denke nicht, dass ich jetzt noch mal einschlafen kann“, gestand ich, setzte mich hin und schlang die Arme um meine Beine.

„Mimi, was war das eben?“, fragte er ernst, setzte sich neben mich und sah mich eindringlich an. „Du warst eben total hysterisch und meintest, Hope hätte einen Herzfehler.“

Schuldbewusst sah ich ihn an. Ich hatte wirklich ein schlechtes Gewissen, dass ich ihm nicht eher davon erzählt hatte. Was, wenn wirklich etwas Schlimmes mit ihr passiert wäre?

„Es tut mir so leid, dass ich dir nichts davon erzählt habe“, entschuldigte ich mich ehrlich, doch Tai seufzte.

„Mimi, das kannst du nicht machen! Wenn wir glaubhaft als Paar rüberkommen wollen, dann musst du mir solche Dinge erzählen. So etwas Wichtiges muss ich wissen!“

Er hatte recht. Wie leichtsinnig von mir, es zu verschweigen.

„Du hast recht, Tai“, gab ich reumütig zu und senkte den Blick. „Du hast mich heute Nachmittag gefragt, ob es wichtig wäre, wer Hopes Vater ist.“

Tai warf einen unsicheren Blick in Richtung ihres Zimmers.

„Ich denke, ich sollte dir alles erzählen. Von Anfang an…“
 

Rückblick

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Ich hatte überhaupt keine Lust auf dieses Geschäftsessen. Ich fühlte mich lächerlich in diesem schwarzen Kleid, den hohen Schuhen, der schicken Frisur. Ich sah viel älter aus, als ich eigentlich war. Schick machen, ja. Aussehen, wie eine Erwachsene, nein. Das musste nicht sein. Allerdings sah mein Vater dies anders. Er hatte mich und meine Mutter heute extra zum Friseur gefahren und uns seine Kreditkarte für neue Kleider gegeben. Heute Abend stand ihm ein wichtiges Geschäftsessen bevor und weil sein neuer Chef „ganz besonders nett“ war, lud er sogar seine Familie dazu ein. Wenn alles gut lief, würde mein Vater so was wie seine rechte Hand werden. Das bedeutete zwar mehr Verantwortung und mehr Geschäftsreisen, aber auch mehr Geld. Und dem wollte ich natürlich nicht im Wege stehen. Also hatte ich mich so richtig herausgeputzt, um einen besonders guten Eindruck zu hinterlassen. Heute Abend würde ich mich nach allen Regeln der Norm benehmen.

Oh Gott, hoffentlich gab es da auch Alkohol. Eine kleine Bar, an der ich mich heimlich betrinken und dann abhauen konnte. Meine guten Vorsätze in allen Ehren, aber den ganzen Abend einen auf feine Dame machen, war echt nicht mein Ding. Mein Vater hatte mich bereits ermahnt, diesmal erst nachzudenken, bevor ich den Mund aufmachte. Er kannte mich eben. Oft sprach ich frei heraus und immer das aus, was mir gerade in den Sinn kam. Eine Charaktereigenschaft, mit der viele nicht klarkamen.

„Bist du soweit?“

Meine Mutter lugte durch die Zimmertür, sah mich vor dem Spiegel stehen und bekam große Augen. „Mimi… wie hübsch du aussiehst.“

„Werd nicht sentimental“, entgegnete ich unbeeindruckt und schnappte meine Handtasche. „Ist schließlich nur ein Essen, nicht meine Hochzeit.“

„Mimi“, sagte mein Vater, als ich aus dem Zimmer kam und musterte mich. „Sehr schön. Dann können wir ja gehen.“

„Jap“, sagte ich und verdrehte die Augen. „Bringen wir es hinter uns.“

Er warf mir einen bösen Seitenblick zu und ich legte schweigend einen Zeigefinger auf meine Lippen. „Schon verstanden. Erst überlegen, dann reden. Alles klar. Können wir jetzt endlich gehen?“
 

Noch nie in meinem Leben wurde ich in so ein schickes Restaurant eingeladen. Es war beeindruckend.

„Wow! Bombastisch, ist ja der Hammer!“, entfuhr es mir, als ich mich begeistert umsah. Ich grinste schief. „Nur so schickimicki Leute hier, ist ja abgefahren.“

Mein Vater räusperte sich und stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite. „Mimi!“

„Ja ja, schon gut.“ Ich straffte meine Schultern und wischte mir das Grinsen aus dem Gesicht. Ich musste mich wenigstens ein bisschen anpassen.

„Oh, Herr Kido“, rief mein Vater freudig, als der Kellner uns an unseren Tisch geleitete. „Vielen Dank, für die Einladung. Wir fühlen uns sehr geehrt.“

Geehrt? Na ja…

Ich dachte, mein Vater würde gleich einen Hofknicks machen, doch höflich wie er war, stellte er zuerst uns vor. „Das ist meine Frau, Satoe. Und das…“ Er zeigte auf mich. „Das ist meine Tochter, Mimi.“

Meine Mutter und ich begrüßten den Chef meines Vaters höflich, der sofort einen merkwürdigen Eindruck auf mich machte. Irgendwie hatte ich das Gefühl, in seiner Gegenwart würde alles zu Eis gefrieren. Mein Blick wanderte zu dem jungen Mann, der neben ihm saß. Mir stockte der Atem. Seine Augen waren so durchdringend, dass es sich anfühlte, als würde er mit diesen Augen direkt in meine Seele blicken können.

Einschüchternd.

Und gleichzeitig faszinierend.

Er sah gut aus – unglaublich gut. Und er war deutlich älter als ich, so viel stand fest. Er trug einen schicken Anzug und sah ganz geschäftlich aus, wie der Mann neben ihm.

„Freut mich sehr! Darf ich Ihnen meinen Sohn vorstellen? Das ist Hayato. Mein Nachfolger.“

Er begrüßte meinen Vater und meine Mutter freundlich, grinste mich jedoch nur an. Ich setzte mich ihm gegenüber und es begann das langweiligste Gespräch, welchem ich je versucht hatte zu folgen. Geschäfte hier, Investoren da, Verträge dort. Keine Ahnung, wovon sie da sprachen. Ich war gelangweilt und fuhr mit dem Zeigefinger den Rand meines Glases entlang, während mir Hayato immer wieder verstohlene Seitenblicke zuwarf. Was mir natürlich nicht entging. Ich versuchte zuzuhören. Er sprach wie ein erwachsener Geschäftsmann, drückte sich gewählt aus und sah dabei so unglaublich gut und souverän aus, was mich ernsthaft beeindruckte. Er konnte kaum älter als 20 sein und doch benahm er sich so überaus förmlich. Ich war mir sicher, dass ich niemals so förmlich sein würde, wenn ich erst mal 20 war.

Bei dem Gedanken daran musste ich grinsen.

„Warum lachen Sie, Fräulein Mimi? Woran denken Sie gerade?“, fragte Herr Kido plötzlich und sah mich vielsagend an. Ach herje. Er erwartete doch nicht ernsthaft eine Antwort? Und er hatte mich nicht mal geduzt.

„Ja“, sagte Hayato und warf mir diesen Blick zu, mit dem er mich schon die ganze Zeit heimlich beobachtete. „Lassen Sie uns an Ihren Gedanken teilhaben.“

An meinen Gedanken teilhaben lassen?

Oh man, dieser Typ überforderte mich komplett. Was wollten sie denn von mir hören? Ich musste hier weg.

„Nun“, sagte ich und räusperte mich. „Ich habe gerade gedacht, wie köstlich dieses Essen ist.“

Wie köstlich dieses Essen ist? Was schwafelte ich hier?

„Und nun, entschuldigt mich kurz. Ich gehe mich etwas frisch machen.“

Keine Ahnung, ob man das so sagte. Ich kannte diesen Satz nur aus Filmen. Mein Vater nickte mir zu und ich stand auf, um auf die Damentoilette zu verschwinden. Ich musste mal tief durchatmen. Dieser Blick. So durchdringend.

Ich ging zur Toilette und zog meinen Lippenstift nach. Prüfend betrachtete ich mich im Spiegel. „Okay, auf in die zweite Runde.“ Danach holte ich tief Luft, richtete mein kurzes Kleid und ging hinaus. Auf den Weg zurück zum Tisch kam ich an einer Bar vorbei, die ich vorher nicht bemerkt hatte. Natürlich hätte ich nicht dorthin gehen sollen, aber… vielleicht nur ein Gläschen Wein, um den restlichen Abend in diesem Aufzug zu überstehen? Quasi ein Motivationswein. Kurzentschlossen schlenderte ich zur Bar und setzte mich auf einen Hocker.

„Einen Wein, bitte. Trocken“, sagte ich dem Barkeeper. „Ach, nein. Vielleicht doch lieber ein Martini.“ Etwas mehr konnte schließlich nicht schaden.

„Für mich dasselbe, bitte.“

Ich schrak zusammen und wandte mich um. Neben mir stand Hayato.

Oh nein. Er hatte mitbekommen, wie ich mir Alkohol bestellt hatte. Sicher würde er mich an meinen Vater verpfeifen, da ich noch nicht volljährig war und eigentlich gar keinen Alkohol trinken durfte.

„So, wie es aussieht, sind Sie der Gespräche müde geworden“, sagte er leicht lächelnd, während der Barkeeper unsere Drinks brachte. Ich traute mich kaum daran zu nippen, doch eigentlich war es jetzt eh egal. Er hatte es ja sowieso schon mitbekommen. Also nahm ich einen großzügigen Schluck. „Sie auch, so wie es aussieht.“

„Vielleicht ein bisschen“, antwortete er grinsend und sah mich an. „Langweile ich Sie?“

Ich musste schmunzeln. Was für eine Frage…

„Ihr müsst mich nicht so förmlich anreden. Ich bin Mimi. Einfach nur Mimi.“

„Na gut“, sagte er leichtfindig und zuckte mit den Schultern. „Dann bin ich Hayato. Einfach nur Hayato.“

Ich war erstaunt, wie nett dieser souveräne Typ plötzlich sein konnte und sprach dies auch frei heraus aus. „Wow. Und ich dachte, du wärst stocksteif, wie ein Besenstiel.“

Er lachte auf und allein sein Lachen war atemberaubend. „Darf ich dich vielleicht vom Gegenteil überzeugen?“

Ich runzelte die Stirn und sah ihn fragend an. „Von welchem Gegenteil?“

Er rückte etwas näher und sah mir direkt in die Augen, was mich irgendwie nervös machte. Noch nie hatte ich solche Augen gesehen.

„Dass ich nicht so stocksteif bin, wie du vielleicht denkst. Man kann mit mir…“ Er nahm meine Hand und drückte mir einen sanften Handkuss darauf. „…auch sehr viel Spaß haben.“

Mamma Mia, mir wurde heiß. Versuchte er gerade mich nach allen Regeln der Kunst zu verführen?

Ich sah ihn vielsagend an. „Flirtest du gerade mit mir?“ Er grinste süffisant. „Vielleicht.“
 

Es folgte ein langes Gespräch. Viele Drinks. Und etliche Blicke. Eindeutige Blicke.

Ehe ich mich versah, war ich ihm fast schon verfallen. Er hatte eine Art an sich, die ich nicht in Worte fassen konnte. Hayato übte eine gewisse Faszination auf mich aus, wie ich es vorher bei noch keinem erlebt hatte. Er weckte etwas in mir, was ich noch nicht kannte.

Verlangen.

Dieses Gefühl war mir neu und völlig fremd und verunsicherte mich. Ich wollte mir jedoch nichts anmerken lassen, also spielte ich das Spiel einfach mit. So, wie er es tat.

Immer wieder berührten sich unsere Finger rein zufällig, während wir ausgelassen tranken und miteinander lachten. Er war wirklich charmant.

„Mimi? Was macht ihr denn da?“, fragte mein Vater, der plötzlich hinter uns stand.

Oh nein! Ich sah auf die Uhr. Wir hatten völlig die Zeit vergessen. Schnell schob ich mein Glas zur Seite und hoffte, er würde nicht bemerken, dass ich getrunken hatte.

„Es tut mir leid, Herr Tachikawa. Ich habe Mimi aufgehalten und wir haben uns verquatscht“, antwortete Hayato statt meiner höflich. Mein Vater sah ihn misstrauisch an, als Herr Kido hinter ihm auftauchte, der anscheinend auch schon zu viel Sake getrunken hatte.

„Ach, lass die jungen Leute in Ruhe, Tachikawa. Wir sollten jetzt wirklich gehen. Hayato wird sich schon um sie kümmern.“

„Aber…“, setzte mein Vater an, doch Hayato unterbrach ihn. „Richtig, ich werde Mimi wohlbehalten wieder zurück nach Hause bringen.“

„Aber sie…“, versuchte er es erneut, doch Hayatos Vater zog ihm am Arm weg. Meine Mutter wartete bereits am Ausgang. Anscheinend hatten wir das gesamte restliche Essen verpasst. Ehe mein Vater noch irgendetwas einwenden konnte, hatte Herr Kido ihn auch schon weggezogen, während Hayato sich wieder mir zuwandte.

„So“, sagte er und grinste mich schief an. „Zu mir oder zu dir?“

Bitte was? Ich verschluckte mich beinahe an meinem Drink und sah ihn entsetzt an. „Du gehst aber ganz schön ran.“

Er lachte auf. „Ich wollte nur sehen, wie du darauf reagierst.“

Ein Stein fiel mir vom Herzen. Auch, wenn wir hier den ganzen Abend schon miteinander flirteten und uns gewisse Blicke zuwarfen, hieß das doch noch lange nicht, dass ich mit ihm nach Hause gehen würde. Oder?

„Warum?“, fragte ich irritiert.

Er zuckte mit den Schultern und nahm einen Schluck. „Um herauszufinden, ob ich eine Chance bei dir hätte.“

Wow. Er war verdammt ehrlich. Das gefiel mir.

„Wer weiß“, antwortete ich neckend und rutschte vom Hocker.

Ich ging zur Toilette, um mich wieder zu sammeln. Er brachte mich völlig aus der Fassung. Als ich wieder rauskam, stand er mir plötzlich gegenüber. Vor lauter Schreck ließ ich meine Handtasche fallen. Wir bückten uns gleichzeitig danach. Unsere Hände berührten sich. Unsere Blicke trafen sich. Und es geschah, was nie hätte geschehen dürfen…

Er legte die Hand in meinen Nacken und küsste mich.
 

Stolpernd stürzten wir in seine Wohnung. Oder eher gesagt, in sein Haus. Dieser Typ besaß tatsächlich schon ein eigenes Haus und das mit… keine Ahnung, Anfang 20? Ich wusste nicht wie alt er wirklich war und es war mir auch egal. Seit dem Augenblick, als ich ihn das erste Mal sah, war ich so fasziniert von ihm, dass ich sämtliche Regeln über Bord warf. Ich war wie in einem Bann. Eine Art Rausch, der mich fesselte und Besitz von mir ergriff, noch ehe ich begreifen konnte, was hier gerade geschah. In der Bar hatte er mich geküsst. Seitdem fiel es uns schwer voneinander abzulassen und irgendwohin zu kommen, wo wir ungestört waren. Ich hatte zwar schon den ein oder anderen festen Freund gehabt, aber so etwas wie mit Hayato hatte ich noch nie zuvor erlebt. Es war wie ein Abenteuer. ER war wie ein Abenteuer. Schon im Flur öffnete er mein Kleid am Rücken, während ich sein Hemd aufknüpfte und es ihm auszog.

Er ließ kurz von mir ab, um die Tür hinter sich abzuschließen. Dann wandte er sich zu mir um und drückte mich gegen die Wand. Er fuhr mit der Hand in meinen Nacken, küsste mich. Seine andere Hand streifte meine Taille und meinen Po. Sein Griff verfestigte sich und ehe ich mich versah, hob er mich hoch. Mein Rücken wurde gegen die Wand gepresst und unsere Körper waren sich so nah, dass ich spüren konnte, wie erregt er war. Ich versuchte keinen Wiederstand zu leisten. Ich wollte, was er wollte. Wie leichtsinnig das war, wusste ich, aber es war mir in diesem Moment egal. Mit seinen Blicken hatte er solch einen Besitz von mir ergriffen, dass selbst, wenn ich mich dagegen wehren wollte, es nicht geschafft hätte. Ich legte meine Arme um seinen Nacken und wir verschmolzen in einen innigen Kuss, der schnell immer leidenschaftlicher wurde. Mein Atem beschleunigte sich, genauso wie seiner. Ich spürte, wie mir schwindlig wurde. Der Alkohol hatte meine Sinne vernebelt. Und seine Blicke.

Er löste sich kurz von mir und sah mich sehnsüchtig an. „Ist es okay für dich?“

Ich nickte.

„Hast du Kondome dabei?“

Ich schüttelte den Kopf.

Er lachte. „Eine Frau, wie du hat keine Kondome dabei? Kaum zu glauben.“

Stirnrunzelnd sah ich ihn an. Eine FRAU, wie ich?

Sein Blick wurde skeptisch. „Warum schaust du so? Du bist doch…“

Ich wusste, worauf er hinauswollte.

„…volljährig?“

Es war vorbei. Keine Ahnung, warum ich so dumm war und es ihm nicht eher gesagt hatte, doch diese Gefühle hatten mich so übermannt, dass ich die Stimme der Vernunft völlig beiseiteschob. Natürlich war er älter als ich. Natürlich durfte er nichts mit mir machen, schon gar nicht mit mir schlafen. Natürlich wusste ich es vorher.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein. Bin ich nicht. Ich gehe noch zur Schule.“

Hayato wich einige Schritte zurück. Es war so dunkel in dem Flur seines Hauses, dass ich seine Miene nicht erkennen konnte. Gleich würde er mich rauswerfen, da war ich mir ganz sicher.

„Dafür, dass du eine Schülerin bist, siehst du ziemlich erwachsen aus“, sagte er mit ruhiger Stimme, was mich nur noch mehr verunsicherte. Warum war er nicht sauer?

Er näherte sich mir wieder und legte eine Hand an meine Wange. „Weißt du, wie alt ich bin?“

Ich sah zur Seite, denn ich hatte keine Ahnung. „Zu alt?“

Er grinste. „22. Bald 23. Das sind wie viel…?“

„Sechs Jahre“, erklärte ich ihm. Ich kam mir so albern vor. Ich hätte es ihm eher sagen müssen. Von Anfang an mit offenen Karten spielen sollen. Ich wartete darauf, dass er wütend wurde, doch nichts geschah. Er sah mich einfach nur an. Ich erwiderte seinen Blick, mit dem er mich sofort wieder in seinen Bann zog.

Plötzlich beugte er sich zu mir hinunter und küsste mich erneut. Verwickelte mich in denselben leidenschaftlichen Kuss, wie zuvor. Ich verstand es nicht.

Er löste sich von mir. „Wir müssen es niemandem sagen, Mimi“, hauchte er mir entgegen, was mir einen Schauer über den Rücken jagte. „Es kann… unser Geheimnis sein.“ Verführerisch strich er mir mit dem Finger über die Wange, den Hals, bis hin zu meinem Dekolleté, was mein Herz unaufhaltsam zum rasen brachte.

Ich zog eine Augenbraue nach oben und grinste. Allein daran hätte ich schon merken sollen, wie skrupellos er war. Doch ich fühlte mich so sehr zu ihm hingezogen, dass ich nur noch sah, was ich unbedingt haben wollte – ihn.

Ich schlang meine Arme um ihn und er hob mich erneut hoch und drückte mich gegen die Wand. Und wir machten genau da weiter, wo wir aufgehört hatten und niemals hätten wieder anfangen sollen…

_________________________

Fehler


 

„We all eat lies when our hearts are hungry.“

-unknown-
 

Er hatte mir die ganze Zeit aufmerksam zugehört und mich nicht einmal unterbrochen, während ich ihm erzählte, wie Hayato und ich uns kennengelernt hatten. Unsicher sah ich ihn an.

„Jetzt sag doch was.“

Tai seufzte und wich meinem Blick aus. „Das war ziemlich dumm von dir, Mimi.“

Er hatte recht. Natürlich war es dumm von mir.

„Du hättest dich nicht auf einen älteren Typen einlassen sollen. Was hast du dir nur dabei gedacht?“

Vorwurf schwang in seiner Stimme mit, was mir sofort ein schlechtes Gewissen bereitete.

„Nichts“, antwortete ich kleinlaut, denn genau so war es. Ich hatte mir nichts dabei gedacht. „Es war total dumm und naiv von mir. Das weiß ich jetzt auch.“

Tai nickte und sah mich an. „Und aus dieser einen Nacht ist dann Hope entstanden, verstehe.“

Ich runzelte die Stirn und zuckte unschuldig mit den Schultern. „Ja… ja, ich denke schon, nur…“, stammelte ich.

„Mimi!“, rief er erschrocken. „Du willst mir doch nicht ernsthaft sagen, dass es mehr als dieses eine Mal zwischen euch gab!“

Fassungslos sah er mich an. Aber er wollte die Wahrheit. Und das war sie nun mal. Wenn ich ihm schon alles erzählte, dann auch gnadenlos ehrlich. Also nickte ich.

„Meine Eltern wussten nichts davon. Niemand wusste etwas davon. Wir trafen uns immer heimlich. Oft log ich zu Hause und erzählte, ich würde bei einer Freundin übernachten. In Wahrheit war ich immer bei ihm. Anfangs war es nur eine Affäre, aber dann…“
 

Ich öffnete die Augen und die weiße Decke seines Schlafzimmers strahlte mich an. Ich hielt die Hand hoch, um nicht noch mehr geblendet zu werden.

„Guten Morgen, Schönheit.“

Ich drehte mich auf die Seite. Er kam gerade aus dem Badezimmer, nur mit einer Hose bekleidet und trocknete sich die Haare ab. Ich grinste. „Hat dir schon mal jemand gesagt, dass du verdammt sexy bist?“

Er grinste, ging zum Schreibtisch und legte seine Armbanduhr an. „Schon mehrmals.“

Ich zog eine Schnute. Hayato kam zu mir rüber, kniete sich neben das Bett und sah mich an. „Aber aus deinem Mund höre ich es am liebsten.“

Ich lächelte und er gab mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich wieder erhob. Ich streckte mich genüsslich. „Oh man, ich liebe dein Bett. Am liebsten würde ich den ganzen Tag darin liegen bleiben.“

„Tu dir keinen Zwang an.“

Ich setzte mich auf und sah ihn erwartungsvoll an. „Was machen wir heute?“

„Wie, was machen wir heute?“, fragte er überrascht.

„Na ja, es ist Samstag und meine Eltern sind nicht zu Hause. Das heißt, ich kann so lang wegbleiben, wie ich will.“

Er holte ein frischgebügeltes Hemd aus seinem Schrank und zog es sich über. „Ich muss gleich noch zu einem Geschäftstermin.“

„Was? Am Samstag?“

„Es dauert nicht lang“, sagte er beiläufig, wandte sich zu mir um und sah mich an, während er sein Hemd zuknöpfte. „Ich komme in ein paar Stunden wieder und dann können wir gerne etwas machen. Und so lange…“ Er kam auf mich zu, beugte sich über mich und strich mir sanft über die Beine. „…kannst du gerne in meinem Bett liegen bleiben.“

Ich grinste. „Wie langweilig, so ganz alleine, ohne dich. Ich denke, ich werde lieber etwas schwimmen gehen.“ Ich stand auf, sprang vom Bett und zog das Hemd aus, welches ich mir letzte Nacht von ihm ausgeliehen hatte, bis ich splitterfasernackt vor ihm stand. Seine Augen funkelten auf, was mir eine gewisse Art von Genugtuung verschaffte. Immer wieder, wenn er mich so ansah. Ich genoss es, dass er mich auf diese Art und Weise begehrte. Seit unserer ersten Begegnung war ich ihm restlos verfallen. Dass das, was wir taten verboten war, reizte uns umso mehr. Wir liebten beide den Nervenkitzel, wenn wir uns heimlich trafen.

„Also, beeil dich mit deinem Geschäftstermin. Ich warte hier auf dich“, sagte ich und schlenderte vom Schlafzimmer hinaus in seinen Garten, in dem sich ein riesiger Pool befand. Ich spürte seine Blicke in meinem Rücken und ich wusste, dass mir das irgendwann nicht mehr genügen würde. Diese oberflächliche Beziehung, die wir führten war abenteuerlich, allerdings reichte mir das schon längst nicht mehr. Wir verbrachten so viel Zeit miteinander, dass ich drauf und dran war, mich in ihn zu verlieben, obwohl ich wusste, dass ich es nicht durfte. Das wussten wir beide. Was wir taten würde niemals von irgendwem toleriert werden. Weder von meiner Familie, noch von seiner. Dessen war ich mir bewusst. Und trotzdem wollte ich das, was ich am wenigsten haben konnte. Ich wollte ihn, voll und ganz.

Die verbotenen Früchte schmecken doch immer besonders gut.
 

Nachdem ich ein paar Runden geschwommen war, zog ich mir dann doch einen Bikini an und legte mich auf einen Liegestuhl in die Sonne. Gedankenverloren sah ich mich um. Dieses Anwesen war viel zu groß, für ihn alleine. Es war der blanke Wahnsinn, dass er so jung und doch schon so erfolgreich war. Eine Sache, die mich extrem beeindruckte. Es faszinierte mich, dass er immer genau wusste, was er wollte und auch genau wusste, wie er es bekommen konnte. In jeglicher Hinsicht.

Wo sollte das nur hinführen?

Wir konnten schließlich nicht ewig so weitermachen. Es dauerte einfach noch zu lang, bis ich auch Volljährig sein würde und so lang würde er niemals auf mich warten. Nicht Hayato. Aber ich wollte nicht zu viel darüber nachdenken. Ich schloss die Augen.

Als ich sie wieder öffnete, stand die Sonne bereits etwas tiefer. Ich war wohl eingeschlafen. Ich hörte, dass die Tür sich öffnete. Anscheinend war er schon von seinem Termin zurückgekehrt.

Ich stand auf und ging in Richtung Schlafzimmer, wo ich mich an die Tür lehnte. Hayato kam herein und lockerte seine Krawatte, als er mich entdeckte. Er musterte mich von oben bis unten und warf mir einen verführerischen Blick zu.

„Kannst du mich bitte immer so empfangen, wenn ich nach Hause komme?“

Ich grinste, denn ich hatte einen strahlend gelben Bikini an, der ziemlich knapp war und von dem ich wusste, er würde ihm gefallen.

„Wie war dein Termin?“, fragte ich.

„Lästig.“ Er zog sich aus, hängte seine Sachen fein säuberlich weg und zog sich eine Badehose an. Dann kam er zu mir rüber und zog mich mit einem Ruck an sich. „Ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren, weil ich wusste, du würdest nackt in meinem Pool schwimmen.“

„Das war Absicht“, säuselte ich und sah ihn verliebt an. „Damit du schnell wiederkommst.“

„Hat funktioniert.“

Er ging an mir vorbei und sprang in den Pool, um sich ein wenig abzukühlen. Ich setzte mich an den Rand, ließ die Beine ins kühle Wasser baumeln und sah ihm dabei zu. Nach ein paar Runden, schwamm er zu mir rüber, umfasste meine Beine und fing an zuerst diese und dann meinen Bauch zu küssen. Ein kurzes Stöhnen entfuhr mir, doch wir wurden unterbrochen. Sein Handy klingelte.

Er ließ von mir ab und stieg aus dem Wasser.

„Was ist denn?“, ging er unfreundlich ans Telefon.

Es folgte ein geschäftliches Gespräch, von dem ich mal wieder weniger als die Hälfte verstand. Ich sah nur, dass er offensichtlich sauer war. Da ich so oft bei ihm war, wie ich konnte, bekam ich mehr mit als ich sollte. Hayato hatte in der Firma fast den gleichen Stand wie sein Vater und ließ dies nur zu gern raushängen. Oft lernte ich ihn dann von einer Seite kennen, die ich so noch nicht kannte. Aber eins hatte ich bereits herausgefunden: wenn Hayato etwas wollte, dann tat er alles dafür, um es zu bekommen. Egal, was dafür nötig war. Ehrlichgesagt machte mir diese Seite manchmal sogar Angst. Doch solche Gedanken schob ich nur allzu gern beiseite, um ihn weiter in dem rosaroten Licht zu sehen.

„Dann entlasse ich ihn eben. Was interessiert mich das?“, rief er wütend, was mich erschrocken aufsehen ließ. Entlassen? Etwa einen Mitarbeiter von ihm?

„Das ist mir egal. Wir hören uns.“ Er legte auf und kam wieder zu mir nach draußen.

„Nie können Sie etwas alleine regeln“, beschwerte er sich.

„Du hast eben von entlassen gesprochen, meintest du damit…?“

„Das geht dich nichts an, Mimi! Halt dich aus meinen Angelegenheiten raus!“, ermahnte er mich forsch, was mich zusammenzucken ließ. Es wunderte mich nicht. Er hatte ja recht. Es ging mich wirklich nichts an. Und diese Seite an ihm kannte ich. Ich wusste, dass sie da war. Auch, wenn ich in diesem Moment noch nicht wahrhaben wollte, wie stark diese Seite wirklich war.

Ich nickte und er setzte sich neben mich.

„Ich habe mir etwas überlegt“, sagte er plötzlich und schien wie ausgewechselt. Plötzlich war er charmant wie immer. Als hätte er die Maske wieder für mich aufgesetzt. Gespannt sah ich ihn an. Dieser Blick brachte mich irgendwann noch um den Verstand.

„Wenn du volljährig und mit der Schule fertig bist“, begann er und nahm meine Hand. Mein Herz begann zu rasen. „Dann will ich, dass du zu mir ziehst.“

Was? War das sein Ernst? Meine Gefühle überschlugen sich augenblicklich.

Völlig perplex sah ich ihn an.

„Meinst du das ernst? Aber meine Eltern, sie würden…“

„Sie können es dir nicht verbieten, wenn du volljährig bist“, unterbrach er mich. „Uns kann niemand etwas verbieten. Weder jetzt, noch später. Wenn ich etwas haben möchte, dann nehme ich es mir. Verstehst du, Mimi? So läuft das nun mal. Und ich habe mich entschieden, dass ich dich will. Und zwar immer.“

Sein Blick war so entschlossen, dass ich nie darauf gekommen wäre, er würde es nicht ernst meinen. Es war, als könnte er meine Gedanken lesen. Als würde er wissen, dass mir eine Affäre auf Dauer nicht genügte. Dass ich mehr von ihm wollte. Nie hätte ich gedacht, dass es ihm genauso ging.

Anstatt ihm eine Antwort zu geben, nickte ich nur. Ein wenig unsicher war ich zwar schon, wenn ich an meine Eltern und ihre Reaktion dachte, doch… nie im Leben hätte ich ihm etwas abschlagen können. So naiv war ich…
 

Ein paar Tage später war ich auf dem Weg von der Schule nach Hause. Seit Tagen konnte ich an nichts anderes denken, als an das, was er zu mir gesagt hatte. Er wollte mit mir zusammen sein. So richtig. Das war unglaublich und grenzte an ein Wunder, wenn man bedachte, welchen gesellschaftlichen Status er hatte, dass er viel älter war als ich und dass ich nichts, als eine kleine Schülerin war. Vielleicht ließ ich mich zu sehr von seinem Äußeren blenden, doch das wollte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht wahrhaben. Meine Gefühle spielten einfach völlig verrückt, wenn ich in seiner Nähe war.

Heute war Freitag, das bedeutete, wir konnten uns endlich wiedersehen.

Meine Eltern waren nicht da, als ich nach Hause kam. Also würde ich ihnen später einfach einen Zettel hinterlassen, dass ich bei Sora übernachtete. Ich ging in mein Zimmer, um mich umzuziehen. Danach packte ich einige Sachen zusammen. Gerade, als ich gehen wollte klingelte das Haustelefon. Sora.

„Hallo, Sora“, begrüßte ich meine beste Freundin.

„Hey, Mimi. Tut mir leid, dass ich dich störe. Kannst du mal in deinen Terminkalender nachschauen, wann Izzy Geburtstag hat? Tai und Yamato hatten die Idee eine Party für ihn zu schmeißen. Ich bin mir nur nicht mehr so sicher, welcher Tag das war.“

Ich lachte auf. „Grandiose Idee. Izzy und eine Party. Warte, ich schaue mal nach“, sagte ich belustigt und kramte in meiner Schultasche nach meinem Kalender. Ich klemmte den Hörer unter meine linke Schulter, während ich darin rumblätterte. „Warte, ich habs gleich, das war am…“ Ich stockte und ging einige Seiten zurück. Nachdenklich betrachtete ich die letzten Wochen. Ein Tag war mit einem roten Kreuz gekennzeichnet. Stutzig runzelte ich die Stirn.

„Sora… kann ich dich wieder anrufen?“

„Ja, natürlich“, sagte sie und ich legte auf. Ich blätterte noch weiter zurück. Zu dem Tag, an dem ich Hayato kennengelernt hatte. Ich schlug die nächsten Seiten auf, bis ich wieder bei dem Tag mit dem roten Kreuz angelangt war. Dieser Tag war über zwei Wochen her.

„Das… das kann nicht sein“, stammelte ich geistesabwesend, während ich in meinem Kopf hin und her rechnete.

Ich hätte längst meine Regel bekommen müssen. Wieso war mir das nicht früher aufgefallen?

Ein kurzer Schreck ließ mich zusammenzucken. Ich stürmte aus meinem Zimmer und ohne groß darüber nachzudenken, rannte ich zur nächsten Drogerie. Wenn mein Gefühl richtig war, war das die schlimmste Katastrophe, die überhaupt passieren konnte.

Ich nahm den Schwangerschaftstest mit nach Hause und stürzte ins Bad.

Ein paar Minuten später hatte ich das Ergebnis.

Wie konnte ich nur so dumm sein?
 

Ich ging an diesem Abend nicht mehr zu Hayato. Der Schock saß zu tief. Wie konnte ich ihm nur unter die Augen treten?

Er rief mich ein paar Mal an, gab es dann jedoch auf, als ich nicht ans Telefon ging. Früher oder später musste ich mit ihm reden, das war mir klar. Also nahm ich am nächsten Tag all meinen Mut zusammen und ging zu ihm. Er würde mir schon nicht den Kopf abreisen. Schließlich war es nicht nur meine Schuld. Schon in unserer ersten Nacht hatten wir nicht verhütete, weil wir den Gefühlen völlig erlegen waren und keiner von uns einen kühlen Kopf bewahren konnte. Ein fataler Fehler.

Aber immerhin hatte er mir gesagt, dass er mich wollte. Ja, er wollte mich und er wollte, dass ich zu ihm zog. Hoffnung machte sich in mir breit. Vielleicht freute er sich sogar über die Nachricht, wenn der erste Schock überwunden war. Er war schließlich schon um einiges älter und Vater zu werden, war in dem Alter nichts Ungewöhnliches. Im Gegensatz zu mir. Gott, ich war doch noch viel zu jung für ein Kind. Was hatte ich mir da nur eingebrockt?

Mit schwitzigen Händen stand ich vor seiner Tür und klingelte. Da musste ich jetzt durch, ob ich wollte oder nicht.

Er öffnete mir die Tür, verschränkte die Arme vor der Brust und sah mich fragend an.

„Du bist 24 Stunden zu spät“, meinte er kühl.

„Tut mir leid, dass ich dich versetzt habe“, entschuldigte ich mich und drängte mich an ihm vorbei. Irgendwie hatte ich das Gefühl, es war ihm nicht ganz recht, dass ich hier unangemeldet auftauchte.

„Hat dich jemand gesehen?“, fragte er plötzlich. „Du kannst doch nicht einfach unangemeldet hier auftauchen, Mimi. Was, wenn ich Besuch gehabt und man dich gesehen hätte?“

„Was?“ Ich sah ihn irritiert an. „Beruhige dich, es hat mich niemand gesehen!“

Für so was hatte ich jetzt wirklich keinen Gedanken übrig.

„Gut“, sagte er und kam auf mich zu, um mich unvermittelt an sich zu ziehen und zu küssen.

Als ich den Kuss nur zögerlich erwiderte, ließ er mich los und sah mich verwundert an. „Was ist? Darum bist du doch hier oder?“

Ich entfernte mich einige Schritte von ihm und wich seinem Blick aus. Das war das schwierigste Gespräch, welches ich je führen würde, da war ich mir sicher. „Eigentlich nicht“, sagte ich kleinlaut. „Eigentlich wollte ich mit dir über etwas reden.“ Misstrauisch sah er mich an. „Es ist besser, wenn du dich setzt, Hayato.“
 

Eine gefühlte Ewigkeit später hatte ich ihm erzählt, was los war. Ich war schwanger von ihm. Und er sagte nichts. Einfach gar nichts.

Schweigend saßen wir da, während er zu Boden starrte.

„Sag doch was, Hayato“, flehte ich ihn an. Ich musste wissen, wie er darüber dachte. „Bist du sauer auf mich?“

Er stand auf und fing an unruhig im Raum auf und ab zu gehen. „Wie konntest du das tun, Mimi?“

Wie bitte?

„Ich?“, fragte ich fassungslos. „Wenn ich mich recht erinnere, habe ich mich nicht allein geschwängert.“

„Ich wusste, es war ein Fehler.“ Er sah wütend aus. Und er war völlig aufgebracht. Aber ein Fehler?

„Was war ein Fehler?“

„Die Sache mit dir. Ich hätte mich niemals mit dir einlassen dürfen. Du bist viel zu jung.“

Ich sprang auf. „Sag mal, hast du sie noch alle? ICH bin zu jung? Was ist mit dir? Du wusstest es doch und hast trotzdem mit mir geschlafen!“ Ich wurde wütend. Wie er gerade reagierte war total unfair, selbst für seine Verhältnisse.

„Verdammt, Mimi!“, schrie er mich nun an. „Weißt du eigentlich, was das bedeutet?“

Was sollte ich dazu sagen? Natürlich wusste ich um die Konsequenzen.

„Du bist noch nicht mal volljährig. Ich habe mich strafbar gemacht. Wenn das rauskommt, werde ich alles verlieren. Meine Stellung in der Firma, meinen Job, mein ganzes Leben.“

Schuldbewusst sah ich zu Boden. Soweit hatte ich allerdings noch nicht gedacht. Aber er hatte recht. Würde er der offizielle Vater des Kindes sein, käme raus, dass er eine Affäre mit einer Minderjährigen gehabt hatte und das wäre definitiv sein beruflicher und gesellschaftlicher Untergang.

Er ging auf mich zu und hob mein Kinn an, sodass ich ihn ansehen musste.

„Willst du mit mir zusammenbleiben, Mimi?“, fragte er plötzlich und darauf gab es für mich nur eine Antwort. „Das ist alles, was ich will.“

Er sah mich todernst an. „Dann darfst du dieses Kind niemals behalten! Verstehst du das, Mimi? Es würde alles kaputt machen! Alles, was wir haben. Das lasse ich nicht zu!“ Wie er es sagte, klang es beinahe wie eine Drohung und inzwischen denke ich, dass es auch eine war.

Ich dachte an unsere erste Begegnung, die nur ein paar Wochen zurücklag und an den ersten Eindruck, den ich von ihm hatte. Ich fand ihn faszinierend und einschüchternd zugleich. Die Faszination war schlagartig verschwunden. In der Zwischenzeit hatte ich viele Gesichter von ihm zu sehen bekommen, doch noch nie eins, welches mir wirklich Angst machte. Ich hätte auf meine erste Intuition hören sollen. Dass ich es nicht getan hatte, war ein fataler Fehler.
 

Früher hatte ich immer angefangen zu weinen, wenn ich an diesen Tag zurückdachte. Jetzt nicht mehr. Tai sagte nichts.

„Jetzt weißt du alles“, sagte ich schließlich und biss mir auf die Unterlippe. Wie würde er auf die unverblümte Wahrheit reagieren? Es war das erste Mal, dass ich diese Geschichte überhaupt jemanden erzählte.

„Hayato hat alles verraten, woran ich geglaubt habe und das ohne mit der Wimper zu zucken. Inzwischen habe ich akzeptiert, dass er nie so war, wie ich ihn gesehen habe.“

Tai starrte mich an, aber er ließ mich nicht an seinen Gedanken teilhaben.

„Ich kann verstehen, wenn du mich jetzt dafür verachtest. Was ich getan habe… war absolut dämlich und zudem noch schrecklich naiv.“

„Ich verachte dich nicht, Mimi“, sagte er plötzlich ernst, was mich aufsehen ließ. „Ich verachte ihn!“

Tai stand auf und fuhr sich durch die Haare. „Dass er das von dir verlangt hat. Dafür könnte ich ihm eine reinhauen. Und das, obwohl ich ihn nicht mal kenne.“

Er war wütend. Ich hatte damit gerechnet, dass er schockiert gewesen wäre. Ich hätte verstanden, wenn er jeglichen Respekt vor mir verloren hätte. Aber dass er so wütend auf Hayato war, damit hatte ich nicht gerechnet.

„Als ich das Kind nicht abgetrieben habe und nicht da weitergemacht habe, wo wir aufgehört hatten, hat er sich gegen mich gewendet. Ich hatte mich für das Kind und gegen ihn entschieden und somit hatte er sich auch gegen mich entschieden. Er hat seinen Vater gegen mich aufgehetzt. Und dieser hat meinen so sehr unter Druck gesetzt, dass es schließlich zur Zwangsadoption kommen sollte. Ich habe ihm versprochen, dass ich den Vater als unbekannt angeben würde, doch das genügte ihm nicht. Er hatte zu viel Angst davor, dass ich ihm irgendwann einen Strick daraus drehen würde, dass er etwas mit einer Minderjährigen hatte und daraus auch noch ein Kind entstanden ist. Das war seine größte Sorge. Ich war ihm völlig egal. Sie haben alle so lang auf mich eingeredet, dass ich eine Zeit lang sogar dachte, es wäre wirklich das Beste so. Denn auch für meine Familie stand vieles auf dem Spiel. Keine Ahnung, wie ich mich so in ihm täuschen konnte“, erklärte ich betrübt und sah zu Boden. Tai setzte sich neben mich und griff nach meiner Hand. Er drückte sie fest und sah mir tief in die Augen.

„Kann ich dich was fragen, Mimi?“

Ich nickte.

„Liebst du ihn noch?“

Ich stutzte und sah ihn überrascht an. „Was?“

„Hast du noch Gefühle für ihn? Ich muss das wissen!“

Ich schüttelte den Kopf. „Wie könnte ich?“

„Gut.“ Er sah erleichtert aus. Und nachdenklich. „Denn sonst hätte ich dir nicht helfen können. Es ist gut, dass du mit ihm abgeschlossen hast. Denn nach allem was du mir erzählt hast, bin ich mir sicher, dass es ihm nicht gefallen wird, was wir vorhaben.“

Dieser Gedanke war mir tatsächlich auch schon gekommen. Er wollte Hope so weit wie möglich von mir fernhalten, damit niemals rauskommen kann, was er getan hat. Es wäre einfach ein zu großes Risiko für ihn, wenn sie bei mir bleiben würde. Egal, ob Tai irgendwann der Vater sein würde oder nicht.

„Du hast recht“, sagte ich einsichtig. „Hayato kann man nicht über den Weg trauen.“

Konfrontation

Irgendwie hatten wir es dann doch geschafft wieder einzuschlafen. Ich auf der einen Seite des Sofas, Tai auf der anderen. Keine Ahnung, wieso wir schließlich doch dort schliefen, aber ich denke, es war einfach, weil Tai spürte, dass ich nicht allein sein wollte. Ich ließ es mir zwar nicht anmerken, aber ihm die Geschichte von Hayato und mir zu erzählen, wühlte mich innerlich doch mehr auf als ich zugeben wollte. Nicht einmal meinen Eltern hatte ich diese Details erzählt. Für sie war Hope das Ergebnis eines One-Night-Stands und meiner Naivität. Von unserer Affäre wusste niemand. Bis heute.

Als am Morgen der Wecker klingelte und mich weckte, war ich noch völlig schlaftrunken. Die Nacht war einfach viel zu kurz gewesen. Ich tastete nach meinem Handy, welches auf dem Fußboden lag und schaltete den Wecker aus. Stöhnend richtete ich mich auf, ehe ich erschrak und zusammenzuckte.

„Verdammt! Die Schule!“, dämmerte es mir.

Tai murrte und drehte sich noch einmal um.

„Tai! Wach auf!“, meinte ich und rüttelte etwas unsanft an seinem Bein. Ein weiteres Murren kam aus seinem Mund, doch er öffnete ein Auge und schielte mich an. „Was ist?“

„Was machen wir mit Hope? Wir müssen doch beide in die Schule. So ein Mist! Daran hatte ich gar nicht gedacht. Wo soll sie denn so lange bleiben?“, platzte es aus mir heraus und ich sprang auf. Nervös fuhr ich mir durch die Haare, während ich krampfhaft überlegte, wie ich das Problem lösen konnte.

„Wir können sie schlecht allein lassen. Sie jemand anderen anvertrauen geht auch nicht. Aber Schule schwänzen wäre in meiner Situation einfach völlig inakzeptabel. Was, wenn das Jugendamt davon Wind kriegt? Dann nehmen sie mir Hope gleich wieder weg und stellen mich als verantwortungslos und unreif dar. Nein, das geht auf keinen Fall…“

Ich redete mehr mit mir selbst, als mit Tai, während ich aufgebracht auf und ab ging, bis Tai mich am Handgelenk festhielt und mich somit zum Stehen brachte. Er lag immer noch auf dem Sofa und sah mich mit müden Augen an.

„Was soll ich denn jetzt machen, Tai?“, fragte ich ihn verzweifelt.

„Also erst mal“, meinte er und richtete sich stöhnend auf. „Hörst du auf, wie eine wildgewordene Furie hier rumzulaufen. Dafür hatte ich zu wenig Schlaf und es ist definitiv noch zu früh.“

Bitte? Fassungslos sah ich ihn an. Verstand er denn den Ernst der Lage gar nicht?

„Und dann“, setzte er fort und sah mich an. „Gehst du zur Schule.“

„Hä?“, konnte ich darauf hin leider nur von mir geben, da ich jetzt diejenige war, die anscheinend nichts verstand. Hatte er nicht zugehört?

„Aber was wird…“

„Um Hope kümmere ich mich.“

Skeptisch sah ich ihn an und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie willst du das machen? Du kannst ja schlecht an zwei Orten gleichzeitig sein.“

„Mimi“, sagte Tai mit einem Tonfall, als wäre ich wirklich schwer von Begriff. „Hast du dir meinen Fuß mal angesehen? Ich gehe heute nirgendwo hin, außer zum Arzt.“

Oh. Ja. Sein Fuß. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht… Wie egoistisch von mir. Peinlich berührt warf ich einen Blick darauf. Er sah wirklich nicht sonderlich gut aus und ganz sicher hatte Tai recht, wenn er meinte, er müsse damit zum Arzt gehen.

„Hope nehme ich einfach mit zum Arzt. Dann lasse ich mich krankschreiben, bis es mir bessergeht.“

„Gut, aber irgendwann musst du wieder zur Schule. Und was machen wir dann mit ihr?“, fragte ich nach.

„Ganz ruhig, Mimi. Ein Problem, nach dem anderen, okay?“

Okay. Wo er recht hatte, hatte er recht. Momentan machte es wenig Sinn weit voraus zu planen. Auch, wenn es mir für Tai leidtat, so konnte ich froh sein, dass ich jemanden hatte, der sich um sie kümmern konnte.

Ich nickte.

„Dann mache ich dir aber wenigstens noch Frühstück, bevor ich gehe. Und ich rufe für dich beim Arzt an und sage, dass es dringend ist. Dann kannst du nachher sicher gleich hingehen.“

Tai lächelte zustimmend. Ich denke, er war in diesem Moment genauso erleichtert wie ich, dass wir einander hatten und uns gegenseitig helfen konnten.
 

„Okay, hast du alles, was du brauchst?“

„Wie oft willst du mich das noch fragen?“, lachte Tai gespielt genervt auf und war dabei, mich förmlich aus der Tür rauszuschieben. „Du bist wirklich spät dran und solltest dich beeilen, damit du noch rechtzeitig in die Schule kommst.“

„Ich weiß nicht“, entgegnete ich zweifelnd. „Kann ich euch wirklich allein lassen? Soll ich nicht vielleicht doch lieber hierbleiben?“

Ich vertraute Tai – keine Frage. Aber ich würde ihn definitiv für ein paar Stunden mit Hope allein lassen müssen und ich war mir nicht sicher, ob er dieser Aufgabe bereits gewachsen war.

„Oh, Mimi“, stöhnte er und schob mich an den Schultern weiter nach draußen. „Jetzt geh endlich!“

Ich drehte mich um und grinste ihn entschuldigend an. „Tut mir leid, es ist nur…“

„Mach dir keine Sorgen. Wir kommen schon zurecht“, versuchte er mich zu beruhigen und lächelte mich verständnisvoll an. Komisch, aber irgendwie schaffte er es doch immer wieder, mir die Sorgen und Zweifel zu nehmen.

Ja, er würde das schon hinkriegen, ganz sicher. Wer, wenn nicht Tai?

Ich atmete tief durch. „Okay, du hast recht.“

In dem Moment hörte ich, wie Hope anfing zu weinen. Anscheinend war sie jetzt aufgewacht.

„Oh, da will sich wohl noch jemand von dir verabschieden. Warte kurz!“, grinste Tai und machte auf dem Absatz kehrt.

Er war wirklich süß! Ich musste grinsen.

Ich wandte mich um, um auf ihn zu warten, wobei mir beinahe das Herz stehen geblieben wäre, als zwei Augen mich überrascht ansahen.

Oh Gott.

Was machte SIE denn hier?

Völlig verwirrt sah sie mich an.

„So-Sora was… äh, was machst du hier?“, stammelte ich.

Schnell warf ich einen unsicheren Blick nach hinten und überlegte, ob ich die Tür einfach zuziehen sollte. Doch das war wahrscheinlich eh zwecklos. Hopes Geschrei war nicht zu überhören.

„Ich, äh…“, begann sie und sah dabei immer wieder zur Tür. „Ich wollte dich abholen. Noch mal mit dir reden, weißt du… Es tut mir leid, wegen unseres Streits neulich und ich…“, sagte sie fast schon geistesabwesend und zeigte schließlich fragend in Richtung Wohnung. „Weint da etwa ein Baby?“

Das Herz rutschte mir in die Hose und ich glaube, ich vergaß sogar zu atmen. Was sollte ich darauf antworten? Natürlich weinte da ein Baby, das war unverkennbar. Eine passende Ausrede wollte mir daher gerade nicht einfallen.

„Äh… ja… ja, ich glaube schon.“ Unsicher warf ich einen Blick in Richtung Flur. Was um alles in der Welt sollte ich jetzt nur tun?

Sie hörte einfach nicht auf mich anzustarren und sie wollte eine Antwort auf die unausgesprochene Frage, welches Baby das war und was es bei Tai zu Hause machte. Doch was sollte ich sagen? Ich konnte ihr doch nicht…

Doch noch ehe ich zu Ende überlegen konnte, war es auch schon zu spät.

Tai stand wieder vor mir und hielt mir Hope freudestrahlend und mit ausgestreckten Armen entgegen.

„Hier. Verabschiede dich gefälligst von deiner Tochter, bevor du gehst. Sonst ist sie traurig“, grinste er frech und schien gar nicht mitzukriegen, dass mir in dem Moment einfach alles aus dem Gesicht fiel.

Zu spät.

Es war endgültig zu spät.

Hope hörte auf zu weinen und drehte ihr Köpfchen in Richtung Sora. Ich traute mich nicht, sie anzusehen und sah stattdessen Tai an, der inzwischen auch zu bemerken schien, dass etwas nicht stimmte. Er wandte den Kopf und fuhr kurz zusammen.

Damit hatte er wohl nicht gerechnet.

„Sora?“, kam es ihm nur leise über die Lippen.

Augenblicklich zog er Hope wieder an sich, während ich immer noch wie versteinert dastand und es nicht wagte, ihr in die Augen zu sehen. Ich wollte nicht sehen, was sie gerade dachte.

Ich würde es nicht ertragen, wenn sie mich jetzt verurteilen würde. Also sah ich einfach nur Tai an. Der wiederum sah Sora an und in seinem Blick lag etwas Unergründliches. Ein Blick, der mein Herz zerbrechen ließ.

Er war traurig.

Traurig darüber, dass seine beste Freundin es so erfahren musste. Er hatte sie auch angelogen, die ganze Zeit über. Mir zuliebe. Gott, was hab ich da nur angerichtet?

Als ich Tai so sah, wusste ich, dass ich mich ihr stellen musste. Es machte einfach keinen Sinn mehr irgendwelche Ausflüchte zu suchen. Ich musste mich der unbequemen Wahrheit stellen und dafür geradestehen, dass ich sie belogen hatte. Dass ich ihr nicht die Wahrheit über mich und Hope gesagt hatte. Ich musste mich ihrem Urteil stellen. Das war ich ihr UND Tai schuldig.

Vorsichtig wandte ich den Kopf.

Auch Sora stand wie versteinert da, starrte das Kind in Tais Armen an. Dann mich. Der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben.

„Wie… wie soll ich das verstehen? Deine Tochter?“

„Sora“, setzte ich so einfühlsam wie möglich an. „Ich kann dir das erklären.“

Ihre Miene verfinsterte sich und sie warf erst mir und dann Tai einen bösen Blick zu. Dann machte sie auf dem Absatz kehrt und lief davon.

Ich sah Tai noch kurz entschuldigend an, bevor auch ich mich in Bewegung setzte und ihr folgte.

„Sora, jetzt warte doch mal!“, rief ich ihr hinterher, doch die Rothaarige machte gar keine Anstalten, stehen zu bleiben.

„Sora, warte!“, sagte ich noch einmal mit Nachdruck, als ich sie eingeholt hatte und sie am Arm packte. „Ich kann es dir erklären.“

Schnaufend wirbelte sie herum. „Was willst du mir erklären? Hm, Mimi? WAS?“

Ich zuckte zusammen. Sie schrie mich an.

Sie hatte mich noch nie angeschrien.

„Willst du mir erklären, wie man Babys macht? Keine Sorge, das weiß ich bereits selbst.“

Ich seufzte. „So ein Quatsch, Sora. Ich versuche doch nur, dir die Wahrheit zu erzählen.“

„Wahrheit? Welche Wahrheit?“, giftete sie mich an. „Woher soll ich überhaupt noch wissen, was wahr und was gelogen ist?“

Okay. Das hatte ich verdient.

„Du hast recht“, sagte ich so ruhig wie möglich. „Aber diesmal versichere ich dir, dass es wirklich die Wahrheit ist.“

Sora zischte verächtlich. „Du hast ein Kind, Mimi? Ernsthaft?“

„Ja… Ja, hab ich. Aber… es war nie geplant, dich und all die anderen anzulügen, das musst du mir glauben“, setzte ich an zu erklären, doch ihre Miene war so versteinert, dass ich bereits wusste, wie aussichtslos mein Vorhaben war.

So wütend hatte ich sie noch nie gesehen. Nicht einmal, als sie neulich plötzlich bei Tai zu Hause auftauchte und mich zur Rede stellte.

Ich hätte ihr damals bereits die Wahrheit sagen sollen. Ich hätte ihr einfach von Anfang an die Wahrheit sagen sollen. Sie war doch meine beste Freundin. Noch nie hatte ich mich so schlecht gefühlt.

„Ach, und was ist mit Tai?“, fuhr sie mich plötzlich an. „Was hat er damit zu tun?“

Oh Gott. Wie sollte ich das nur alles erklären? Die ganze Sache war viel zu kompliziert, um sie einfach so zu rechtfertigen.

„Ist er etwa der Vater?“, fragte sie mich stur und meine Augen weiteten sich.

„Sora, was soll das?“, entgegnete ich und konnte nicht fassen, was sie mich hier gerade wirklich fragte.

„Weißt du Sora, gib mir doch einfach etwas Zeit es dir zu erklären. Ich verspreche, ich erzähle dir alles, was du wissen willst. In Ruhe.“

„Auf deine Versprechen pfeife ich“, platzte es aus ihr heraus und Tränen stiegen ihr in die Augen. „Ich bin heute zu dir gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen. Weil ich dachte, es gäbe eine gute Erklärung für die ganzen Lügen.“

„Die gibt es auch“, unterbrach ich sie, doch sie hörte mir nicht zu.

„Antworte einfach auf meine Frage! Ist Tai der Vater?“

Ich war verzweifelt.

Wieso hörte sie mich denn nicht an? Und worum ging es hier eigentlich wirklich? Warum war es jetzt wichtiger, wer der Vater war, als zu erfahren, warum ich plötzlich eine Tochter hatte?

„Ach, vergiss es!“, blaffte sie mich an, wischte sich mit dem Ärmel über ihre feuchte Augenpartie und drehte sich um. „Eigentlich will ich es gar nicht wissen, ob er der Vater ist. Er kann schließlich machen was und mit wem er will oder?“

„Sora, bitte…“, flehte ich nun förmlich. Sie musste mir doch einfach nur zuhören. Dann könnte ich ihr alles erklären.

„Lass mich einfach in Ruhe, okay Mimi? Bitte“, sagte sie nun ungewöhnlich ruhig.

Dann ging sie. Und ließ mich einfach stehen.

Ich hätte nie gedacht, dass nach Hayato mein Herz ein zweites Mal brechen könnte. Doch der Gedanke, sie jetzt endgültig verloren zu haben, war fast noch schlimmer.
 

In der Schule gingen wir uns aus dem Weg.

Was nicht sonderlich schwer war, da wir in getrennten Klassen waren und ich Izzy in der Mittagspause einfach damit vertröstete, noch ein paar Abschriften machen zu müssen. Unser Streit ging mir nicht aus dem Kopf. Mehr noch – er steckte mir immer noch tief in den Gliedern, als wäre es erst vor einer Minute passiert, dass sie mich hat stehen lassen. Nun wusste sie, welches Geheimnis ich hatte und doch war es nur die halbe Wahrheit. Weniger als das. Mir war bewusst, dass, wenn Hope letztendlich bei mir bleiben durfte, ich sowieso mit ihr hätte reden müssen. Allerdings hätte ich versucht es ihr schonender beizubringen. Und solange noch nichts entschieden war, wollte ich sie eigentlich nicht mit in diese Sache hineinziehen. Es genügte, dass Tai für mich Kopf und Kragen riskierte.

Was sollte ich jetzt nur tun?

Ich starrte auf meine Notizen.

Ihr Blick ging mir nicht aus dem Kopf.

So schockiert und wütend hatte ich sie noch nie erlebt.

Eine leise Träne fiel aufs Papier, die ich jedoch schnell wegwischte, als es zum Unterricht klingelte und die anderen Schüler wieder ins Klassenzimmer strömten. Ich wusste, ich musste es irgendwie wieder geradebiegen. Aber ich hatte keine Ahnung, wie ich das anstellen sollte.

Ob sie mir das je verzeihen würde?
 

Mir war hundeelend, als ich nach der Schule auf den Weg nach Hause war. Ich brachte den ganzen Tag keinen Bissen runter. Während des Unterrichts hatte ich Tai eine kurze SMS geschrieben und gefragt, ob bei ihm und Hope alles in Ordnung war.

„Alles bestens“, hatte er kurz und knapp geantwortet.

Wahrscheinlich meinte er damit eher Hope, als sich selbst. Denn ich war mir sicher, dass es ihm nach heute Morgen ähnlich ging wie mir.

Vor der Wohnungstür angekommen steckte ich seufzend den Schlüssel ins Schloss. Keine Ahnung, wie ich Tai jetzt gegenübertreten sollte. Mein schlechtes Gewissen ihn gegenüber drohte mich aufzufressen. Wie konnte ich nur einen Keil zwischen ihn und Sora treiben? Seiner besten Freundin! Für mich hatte er sie angelogen. Sora war eh schon misstrauisch geworden, doch er hatte sie einfach weiter belogen, genau wie ich. Was war ich nur für ein schlechter Mensch? Was für eine schlechte Freundin?

Ich ging durch den Flur und wunderte mich, dass ich überhaupt kein Geräusch aus dem Wohnzimmer hörte.

Verwundert sah ich mich um. Bis ich Tai auf dem Sofa sitzen sah. Er hatte seinen Fuß hochgelegt und laß in einem Buch.

„Hey“, begrüßte ich ihn kleinlaut.

Er sah auf. „Hey.“

„Was machst du da?“

„Ich muss lernen. Für die Prüfungen“, erklärte er mir tonlos, während ich meine Schultasche abstellte und mich zu ihm setzte.

„Was hat der Arzt gesagt?“

Tai stöhnte. „Er meint, ich kann bis die Prüfungen beginnen, die Schule nicht mehr besuchen. Das Gelenk hat sich entzündet und ich soll es jetzt endgültig solang schonen, bis es verheilt ist. Aber er hat mir ein Antibiotikum verschrieben, was recht schnell anschlagen sollte.“

Betreten sah ich zu Boden. Na toll. Ich hatte nicht nur einen Streit zwischen ihn und seiner besten Freundin verursacht, sondern hatte ihn auch noch um seine Schulzeit gebracht. Die letzte, die er in seinem Leben an dieser Schule haben würde. Mit Matt, mit Sora…

Hatte ich schon erwähnt, dass ich mich so schlecht, wie noch nie in meinem Leben fühlte?

„Hope geht es auch gut. Sie schläft gerade. Zum Lernen habe ich noch genug Zeit. Bis zu den Prüfungen sind es noch drei Wochen“, fuhr er unbeirrt fort, als würde es gar keine Rolle spielen. Dann klappte er das Buch zu und legte es zur Seite.

„Drei Wochen, die du wegen mir verpasst“, sagte ich reumütig.

„Ich schaff das schon, Mimi. Ich bin bereits ganz gut auf die Prüfungen vorbereitet, da ich frühzeitig mit Lernen angefangen habe.“

„Das meine ich nicht“, entgegnete ich und meine Stimme wurde brüchig. Prüfend sah er mich an.

Ich konnte nicht mehr. Ich konnte diesem Blick nicht mehr standhalten.

Mein Gesicht sank in meine Hände und ich fing an zu schluchzen.

„Es tut mir so leid, Tai“, wimmerte ich. „Das ist alles meine Schuld.“

„Was redest du denn da? Meinst du etwa Sora?“, fragte Tai. Wie konnte er immer noch so tun, als wäre das alles nicht so schlimm? Es war eine Katastrophe!

„Wen denn sonst?“, fragte ich und sah ihn verzweifelt an, während mir die Tränen nur so über die Wange liefen. „Du hättest ihr Gesicht sehen sollen, Tai. Sie hasst mich!“

Er rutschte ein Stück näher und sah mich einfühlsam an. „So ein Unsinn. Sie könnte dich nie hassen.“

„Doch, ich hab es gesehen. Ich hab es in ihrem Blick gesehen“, beharrte ich beunruhigt. „Sie verachtet mich und sie…“

Ich wandte den Blick ab, doch Tai sah mich immer noch eindringlich an. „Was? Was hat sie denn überhaupt gesagt? Ich denke, was immer es war, sie wird einfach etwas Zeit brauchen, um es zu verdauen und dann wird sie…“, redete Tai auf mich ein, doch ich unterbrach ihn.

„Sie hat mich gefragt, ob du der Vater bist.“

Nun sah er mich schockiert an.

„Zwei Mal.“

„Und…“, begann er unsicher und schluckte schwer. „Was hast du gesagt?“

„Ich habe gar nichts gesagt“, meinte ich entschuldigend. Jetzt sah er weg. Sah nicht mehr mich an, sondern fixierte irgendeinen Punkt im Raum. Er wirkte nachdenklich.

„Es tut mir so leid“, wiederholte ich, woraufhin Tai die Augen schloss und langsam den Kopf schüttelte.

„Es ist… es ist halb so wild. Sie kriegt sich schon wieder ein“, sagte er nun fast schon trotzig und stand auf. Er humpelte in die Küche, während ich ihm mit fassungslos hinterher sah.

„Sie kriegt sich schon wieder ein? Tai! Sag mal, ist dir überhaupt klar, was passiert ist?“

Da ich keine Antwort bekam, stand ich ebenfalls auf und ging ihm hinterher. Er stand gerade am Kühlschrank und gönnte sich ein Glas Orangensaft.

„Ja“, meinte er dann ungewöhnlich gleichgültig. „Sie hat die Wahrheit erfahren.“

Ich verschränkte die Arme, lehnte mich gegen die Arbeitsplatte und sah ihn skeptisch an.

„Na ja, nicht so richtig, oder?“

Tai schloss den Kühlschrank und wandte sich zu mir um. Ich verstand nicht, was mit ihm los war. Warum wirkte er plötzlich so resigniert?

„Sie hat zumindest erfahren, dass du eine Tochter hast. Ist das nicht der ausschlaggebende Punkt?“

Ich dachte an den Streit heute Morgen, zwischen Sora und mir und daran, was sie gesagt hatte.

„Ich bin mir nicht so sicher, ob es das ist, was sie so schockiert hat“, sagte ich offen, denn der Gedanke ging mir schon den ganzen Tag nicht aus dem Kopf. Warum hatte sie so darauf beharrt zu erfahren, ob Tai der Vater der Kleinen war?

Zum ersten Mal, seit ich Sora kenne, kam mir ein Gedanke. Ein Gedanke, der mich nicht nur beunruhigte, sondern der mir auch völlig abwegig vorkam. Ich traute mich beinahe nicht ihn auszusprechen. Doch würde ich ihn nicht fragen, würde es mir keine Ruhe lassen, das stand fest.

„Tai, kann ich dich was fragen?“

Er sah mich an. Seine Miete verriet rein gar nichts.

„Hat Sora Gefühle für dich?“

Kaum zu glauben, dass ich ihm ernsthaft diese Frage stellte. Es hörte sich einfach komplett falsch an. Die zwei kannten sich schon eine halbe Ewigkeit. Teilweise hatte Sora ein innigeres Verhältnis zu Tai als zu mir. Seit ich sie kannte, waren sie beste Freunde. Aber Liebe… das konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen! Und doch hatte mich ihre Reaktion heute Morgen stutzig gemacht. Ich musste es einfach wissen. So absurd diese Frage auch geklungen haben mag…

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen uns, was mich zunehmend verunsicherte.

„Sei nicht albern, Mimi“, sagte Tai schließlich trocken und stellte sein Glas in die Spüle. „Sora ist mit Yamato zusammen.“

„Spielt das eine Rolle?“, entgegnete ich nachdenklich. Ja, sie war mit Yamato zusammen, aber… konnte man nicht trotzdem auch für einen anderen Gefühle haben?

Tai sah mich ernst an. „So was spielt immer eine Rolle. Findest du nicht?“

Ich nickte. „Doch. Ich meine nur… Wäre es nicht möglich, dass sie…“

„Hör auf, Mimi!“, fuhr er mich urplötzlich an, was mich zusammenfahren ließ. Das zweite Mal an diesem Tag, wurde ich angeschrien. Erst von Sora und jetzt auch noch von Tai und beide Male ging es nicht zuletzt um den jeweils anderen. Was hatte das nur zu bedeuten? Warum regte ihn das so auf?

Wortlos und enttäuscht über seine Reaktion wandte ich mich um und verließ die Küche. Ich ließ ihn stehen und ging in sein Zimmer, wo Hope friedlich schlief. Ich beugte mich über sie und beobachtete sie dabei, während mir erneut Tränen in die Augen stiegen.

Warum nur?

Warum fühlte es sich so an, als würde hier etwas nicht stimmen?

Mir war klar, dass gerade alles aus den Fugen geraten war. Aber warum hatte ich nur das Gefühl, dass es plötzlich mehr Geheimnisse als vorher gab? Und dass nicht alle mir gehörten…?
 

„Du kannst ihr nicht vorwerfen, was du selbst tust.“

Kapitel 14
 

Maske

„Mimi?“, erklang Tais Stimme von draußen, als er an seine eigene Tür klopfte.

„Mimi, es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien!“

Wie lieb von ihm sich zu entschuldigen, allerdings half das leider gar nichts. Keine Ahnung, warum ich so verletzt war oder enttäuscht oder was auch immer. Vielleicht störte es mich auch einfach, dass es eventuell etwas gab, was mir Tai vorenthielt. Etwas, was Sora und ihn betraf. Was wiederrum bedeutete, dass Sora mir ebenfalls etwas nicht erzählt haben könnte. Ein echtes scheiß Gefühl. Ich wischte mir mit meinem Ärmel die Tränen weg, während ich immer noch an Hopes Bettchen stand und ihr beim Schlafen zusah. Warum stand ich eigentlich hier und heulte wie ein kleines Mädchen? Das war doch völlig sinnlos!

Soras Verhalten hatte mich zwar misstrauisch gemacht, aber das war doch noch lange kein Beweis dafür, dass sie irgendwelche Gefühle für Tai hegte.

So ein Quatsch!

Sie war doch mit Yamato zusammen. Und Tai hatte mir ebenfalls versichert, dass das völlig absurd sei.

Und trotzdem…

Dieses Gefühl, welches ich im Bauch hatte… es ließ mich einfach nicht los. Was, wenn es gar nicht so absurd war? Ist es denn so ausgeschlossen, dass man die gleichen Gefühle für zwei Menschen empfindet? Oder dass die dritte Person einfach stillschweigend im Hintergrund dabei zusieht, weil es so das Beste für alle ist?

Wenn das so sein sollte, würde das alles in ein völlig anderes Licht werfen.

Ich fasste mir an die Stirn und versuchte mich zu sammeln.

Meine Gedanken waren viel zu konfus und ergaben einfach keinen Sinn.

„Mimi?“, kam es erneut von draußen, als Tai an die Tür klopfte.

Ich wischte mir noch ein letztes Mal über die Augen, stampfte dann zur Tür und riss sie auf.

„Warum klopfst du an? Ist doch dein Zimmer, oder?“, sagte ich kratzbürstig und drängte mich an ihm vorbei. Irgendwie war ich sauer. Keine Ahnung, ob ich auf Tai sauer war. Ich denke, ich war eher auf die Situation sauer, weil ich sie nicht verstand. Und weil mich meine eigenen Gedanken so sehr verunsichert hatten.

„Was hast du denn?“, wollte er wissen und ging mir hinterher in die Küche.

Dort angekommen sah ich mich kurz um. Überlegte, was ich tun könnte um mich abzulenken. Ich brauchte jetzt irgendeine Beschäftigung, um nicht länger über Sora und Tai nachzudenken und über das was da eventuell war oder auch nicht war. Was allerdings schwer war, wenn eine der betreffenden Personen mir auf Schritt und Tritt folgte.

„Lass mich einfach in Ruhe, okay?“, verlangte ich deshalb und ging kurzentschlossen zu den Besteckkästen hinüber, um sie mit einem Ruck rauszuziehen und auf die Arbeitsplatte zu stellen. Dann krempelte ich meine Ärmel hoch, nahm das ganze Besteck raus und fing an, es mit einem Handtuch zu polieren.

„Was soll denn das werden, wenn’s fertig ist?“, fragte Tai skeptisch und ich spürte förmlich seinen Blick in meinem Nacken.

Konnte er nicht einfach gehen?

„Beschäftigungstherapie“, gab ich nur kurz zurück und machte unbeirrt weiter. Äußerst verbissen fuhr ich immer wieder mit dem Tuch über dieselben sauberen Stellen, auch, wenn es überhaupt keinen Unterschied machte.

„Hör mal, ich hab mich doch gerade entschuldigt. Ich wollte dich nicht anschreien!“, wiederholte Tai. „Diese Frage war nur…“

„Schon gut“, unterbrach ich ihn trotzig. „Es geht mich ja auch schließlich nichts an.“

„Was redest du da? Natürlich geht es dich etwas an. Wir sind deine Freunde. Sora und ich.“

Ich knallte das Messer, welches ich gerade in der Hand hielt auf die Anrichte und wirbelte herum. „Und ihr? Seid IHR Freunde? Oder seid ihr mehr als das?“

Entschlossen sah ich Tai an, dieser jedoch gab mir keine Antwort.

Na schön.

Dann eben nicht.

Ich wandte mich wieder um und polierte noch energischer als vorher die Messer.

„Ich weiß überhaupt nicht, worauf du hinaus willst“, meinte Tai plötzlich nicht weniger trotzig als ich.

„Nein, natürlich nicht“, zischte ich, woraufhin Tai laut aufstöhnte.

„Oh mein Gott, Mimi. Was willst du eigentlich von mir hören?“

Ich antwortete nicht. Biss mir nur auf die Unterlippe, um mich nicht zu vergessen.

„Ich habe dir doch gesagt, wie absurd das wäre. Ich weiß gar nicht, wie du darauf kommst, dass Sora Gefühle für mich haben könnte. Das ist doch völliger Schwachsinn!“

„So?“, sagte ich sarkastisch. „Dann muss ich wohl Soras Bemerkungen auch keine weitere Bedeutung zumessen.“

Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass er mich gerade für dumm verkaufen wollte. Waren meine Gedankengänge denn so dermaßen unverständlich?

„Sag mal, warum interessiert dich das überhaupt?“, rief Tai mir verärgert entgegen, während ich die Messer zurück in die Schublade knallte.

„Kannst du das jetzt vielleicht mal lassen und mit mir reden?“ Er trat hinter mich und drückte meinen Arm, den ich ihm sofort wieder entzog.

„Ich habe aber keine Lust mit dir zu reden! Wie du schon sagst: es ist völliger Schwachsinn“, giftete ich ihn an und stampfte zurück ins Wohnzimmer, um Abstand zu gewinnen. Ohne Erfolg.

„Und wieso bist du dann so sauer?“

„Ich bin überhaupt nicht sauer!“

„Doch, bist du!“

Ich stöhnte. „Na gut, dann bin ich eben sauer. Weil ich das Gefühl habe… ach, keine Ahnung, was ich für ein Gefühl habe. Es kam mir nur eben komisch vor, das ist alles.“

„Was daran soll komisch sein, wenn dich Sora fragt, ob ich der Vater bin? Ich meine, hättest du das etwa nicht gedacht, wenn du uns zwei so zusammen gesehen hättest?“

Er verstand es einfach nicht.

„Oh man, darum geht es doch gar nicht!“

Wütend stampfte ich mit dem Fuß auf und ballte die Hände zu Fäusten.

„Herrgott, Mimi. Warum musst du aus allem immer so ein Drama machen?“

„WAS?“, rief ich empört.

So, das genügte.

„Was soll das denn bitte heißen?“

„Du bist so eine Drama Queen! Hör auf, dir Sachen einzureden, die nicht wahr sind“, schrie er mich nun an. Dieses Gespräch artete plötzlich in einen heftigen Streit aus, was ich definitiv nicht wollte. Aber mit dem was er eben gesagt hatte, war er eindeutig übers Ziel hinausgeschossen. Wie auch immer es innerhalb weniger Minuten so weit kommen konnte… ich war stinksauer auf ihn!

„Du bist so ein Idiot, Taichi! Ich soll aufhören mir Sachen einzureden?“, schrie ich zurück. „Dann kann ich ja auch aufhören, mir einzureden, dass ich so was wie Gefühle für dich empfinde. Oder dass du das alles nicht nur für mich tust, weil du ein guter Freund und einfach nur nett bist. Ja, du hast recht. Vielleicht sollte ich wirklich aufhören, mir solche Dinge einzureden.“

Ich war so wütend! So wütend, dass ich gar nicht weiter darüber nachdachte, was eben aus meinem Mund kam und es war mir auch egal.

Tai stand da und starrte mich an.

In diesem Moment fing Hope an laut zu weinen.

„Na toll“, fuhr ich ihn an. „Jetzt hast du sie aufgeweckt!“

Ich ging in Tais Zimmer und versuchte mich augenblicklich etwas zu beruhigen, was mir verdammt schwerfiel.

„Hey, was hast du denn?“ Ich nahm sie aus ihrem Bettchen und in meine Arme. Gemeinsam ging ich mit ihr ins Wohnzimmer, wo Tai immer noch wie angewurzelt dastand.

„Jetzt guck nicht so“, ermahnte ich ihn forsch. Was hatte er denn? „Hat sie schon ihr Fläschchen bekommen?“

Tai nickte.

„Ist sie frisch gewickelt?“

Tai nickte.

„Ob sie wieder Bauchschmerzen hat?“, überlegte ich laut, woraufhin gar keine Reaktion mehr von Tai kam.

„Oh man, was hat sie nur?“, sagte ich und war schon wieder der Verzweiflung nah. Ich streichelte ihren Rücken und wippte ein wenig auf und ab.

„Mimi, sag mal…“, setzte Tai kleinlaut an. Warum starrte er mich so an?

„Hmm?“, machte ich nur. Hoffentlich war’s wichtig.

„Hast du das eben ernst gemeint?“

Verständnislos sah ich ihn an. „Hab ich was ernst gemeint?“

„Na, das was du eben gesagt hast.“

Plötzlich dämmerte es mir. Ja, da war was. Was hatte ich noch gleich gesagt? Ich zuckte leicht zusammen. Hatte ich ihm eben ernsthaft im Streit offenbart, dass ich Gefühle für ihn hatte?

„Äh…“, entgegnete ich verlegen, während ich die weinende Hope weiter hin und her wog.

„Was macht ihr da?“

Wir wirbelten herum. Plötzlich stand Kari vor uns. Hatten wir wirklich so sehr gestritten, dass wir die Tür nicht einmal gehört hatten?

„Äääähhh…“, sagte ich noch einmal und schaute nun zudem noch ziemlich dämlich drein. Na toll. Das hatte gerade noch gefehlt.

Fragend sah sie uns an.

„Was. Macht. Ihr. Da?“, wiederholte sie noch einmal betont langsam und zeigte dabei erst mit dem Finger auf Tai, dann auf mich und dann auf das Baby in meinen Armen. „Und wer ist das?“

„Oh man“, stöhnte ich frustriert auf. Das durfte doch nicht wahr sein! Zwei Mal an einem Tag? Ernsthaft? So was nennt man wohl Karma.

„Erklär du es ihr“, forderte ich Tai auf, da ich immer noch völlig durcheinander und verwirrt wegen unseres Streits war und nun wirklich keine Lust auf lange Erklärungen hatte. Es war eh schon alles schlimm genug.

„Was soll ich ihr erklären?“, entgegnete Tai, als hätte er von nichts eine Ahnung.

„Wie wär’s, wenn du ihr Hope vorstellst?“, meinte ich forsch. Inzwischen war mir fast schon alles egal. Die Katze war doch eh aus dem Sack.

Tai stemmte die Hände an die Seite und warf mir einen eindeutigen Blick zu. „Wie wär’s, wenn du es ihr erklärst? Sie ist schließlich deine Tochter!“

„Was?“, platzte es entsetzt aus Kari heraus und sie bekam große Augen.

Wütend funkelte ich Tai an. „Na, und? Ich dachte, sie wäre auch deine Tochter!“

„WAS?“, rief Kari nun und zog somit unsere Blicke auf sich, während Hope immer noch unaufhaltsam weinte. Tai schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und versuchte gleich, sie zu beschwichtigen, da seine Schwester augenblicklich aschfahl im Gesicht geworden war.

„Nein, Kari. Es ist nicht so, wie du jetzt denkst.“

Verständnislos sah sie zwischen ihm und dem Baby hin und her.

„TAI“, schrie sie aufgebracht. „DU HAST EIN BABY!“

„Nein, ich sagte dir doch…“

„Mama wird dich UMBRINGEN!“

„Jetzt hör mir doch mal zu!“

„Na das hast du ja toll hingekriegt“, mischte ich mich ein und sah ihn vorwurfsvoll an.

„Was?“, entgegnete Tai und warf mir einen bösen Blick zu. „Das ist ja wohl alles deine schuld!“

„Meine Schuld?“, rief ich. „Wieso meine Schuld?“

Verurteilend zeigte er mit dem Finger auf mich, was mich nur noch wütender machte. „Hättest du nicht diesen sinnlosen Streit angefangen, hätten wir gehört, dass jemand zur Tür reinkommt.“ ´

„Pfft, als hätte ich mit mir allein gestritten. Wer hat denn mit irgendwelchen Ausflüchten angefangen?“

„Wie bitte? Ausflüchte?“ Tai zischte verächtlich. „Du müsstest dich mal hören!“

„Und du müsstest einfach mal ehrlich sein.“

„Ich bin verdammt noch mal ehrlich!“

„SCHLUSS JETZT, DAS REICHT!“

Wir schraken beide zusammen.

Kari stand vor uns und sah uns beide wütend an.

„Hört sofort auf zu streiten!“, befahl sie uns in einem ungewöhnlich strengen Ton. Ich schluckte. Kari… so hatte ich sie ja noch nie erlebt.

„Das ist ja nicht auszuhalten! Kein Wunder, dass die Kleine schreit.“ Sie ging auf uns zu und nahm mir das Baby aus dem Arm. Ich ließ es zu, weil ich einfach noch zu schockiert über diese Feldwebel-Reaktion war und wie sie uns eben hat strammstehen lassen.

„Ist ja schon gut, meine Kleine“, sagte sie einfühlsam und ging mit Hope im Wohnzimmer auf und ab, während sie ihr vorsichtig mit der flachen Hand über ihren Rücken kreiste. Ziemlich schnell hörte Hope auf zu weinen, was mich extrem verwunderte.

Erstaunt sah ich ihr dabei zu. Sie war wirklich Tais Schwester. Niemand sonst schaffte es, sie so schnell zu beruhigen. Nicht einmal ich.

„Wo ist ihr Bettchen?“, fragte Kari leise, als Hope wieder dabei war einzuschlafen. Geistesabwesend zeigten Tai und ich gleichzeitig auf seine Zimmertür.

Kari ging an uns vorbei und warf uns einen musternden Blick zu. „Schämt euch was, ihr beide“, sagte sie und verschwand hinter der Tür.

Am liebsten wäre ich auf der Stelle im Erdboden versunken.

Was um alles in der Welt hatten wir uns dabei gedacht, uns so aufzuführen?

Beschämt sah ich zu Boden und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Tai stand neben mir und starrte Löcher in die Luft. Ich hoffte sehr, dass er sich mindestens genauso schämte, wie ich mich.

Und prompt hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen. Wie konnte ich nur so einen Streit vom Zaun brechen? Das war doch total sinnlos und unfair. Anstatt seine Antwort einfach so hinzunehmen, hatte ich mich tierisch darüber aufgeregt, weil ich der Meinung war, es besser zu wissen. Was ich ja gar nicht tat. Ich wusste nichts und Tai zu beschuldigen, er würde mir nicht die Wahrheit sagen, war einfach nicht fair von mir. Solange sich nicht das Gegenteil herausstellte, musste ich ihm doch vertrauen. Oder?

„Es tut mir leid“, sagte ich kleinlaut und hoffte inständig, dass er nicht allzu sauer auf mich war.

Erst kam keine Antwort von ihm, doch nach einer Weile sagte er: „Mir auch. Ich wollte dich nicht anschreien.“

„Ich dich auch nicht.“

Ein Stein fiel mir vom Herzen. So, wie es aussah, wollte er sich auch einfach wieder versöhnen und darüber war ich froh. Allerdings…

„Ähm… also, wegen dieser Sache… Du weißt schon. Das, was ich vorhin gesagt habe…“

Ich konnte das ja schlecht einfach so im Raum stehen lassen. Ehrlichgesagt wusste ich selbst nicht einmal genau, warum ich das in dem Moment gesagt hatte. Es war einfach so aus mir herausgeplatzt. Ich hatte nicht darüber nachgedacht. Auch nicht darüber, was es bedeutete und ob es überhaupt wahr war. Es war einfach nur das gewesen, was ich in diesem Moment empfunden habe und irgendwie sprudelte es dann aus mir heraus.

„Also ich…“

Ich brach ab, denn Kari kam wieder aus dem Zimmer.

„So“, sagte sie. „Sie schläft jetzt.“

Oh Gott, am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen, so dankbar war ich ihr. Es tat mir wirklich unglaublich leid, dass ich mich so kindisch verhalten hatte.

„Danke, Kari“, sagte ich aufrichtig. „Entschuldige bitte das von eben. Es war etwas… Na ja, etwas chaotisch.“

„Das hab ich gesehen“, sagte sie, stemmte die Arme an die Seite und sah uns beide an, als wäre sie unsere Klassenlehrerin und wir zu spät zum Unterricht gekommen.

„Was ist nur mit euch los?“, fragte sie verständnislos, woraufhin Tai schwer ausatmete.

„Ihr habt euch ja früher schon manchmal in den Haaren gehabt… aber SO?“

Da hatte sie recht. Wir waren vielleicht nicht immer ein Herz und eine Seele gewesen, aber bis aufs Blut hatten wir uns nie gestritten.

Anscheinend schämten wir uns beide zu sehr, um zu antworten. Betreten sahen wir in unterschiedliche Richtungen. Kari seufzte.

„Da ihr euch ja offensichtlich beruhigt habt… Könnte mir vielleicht mal einer erklären, was hier los ist?“

Na super. Ein zweites Mal an diesem Tag war die Stunde der Wahrheit geschlagen. Angst kroch in mir hoch. Wenn Kari genauso bestürzt wie Sora reagieren würde, würde ich das nicht verkraften. Nicht nach diesem Tag.

Aber es half ja schließlich alles nichts, oder? Also atmete ich langsam aus und fasste mir ein Herz.

„Ich kann’s dir erklären.“

Tai sah mich verblüfft an. Was hatte er denn gedacht? Dass ich mir irgendeine Ausrede einfallen lassen würde? Auf keinen Fall! Erstens wurden schon genug Lügen erzählt und zweitens hatte Kari eh schon viel zu viel mitbekommen.

„Magst du mit mir einkaufen kommen? Ich muss noch ein paar Dinge besorgen. Auf den Weg erzähl ich dir dann alles in Ruhe“, schlug ich vor, woraufhin Kari nickte.

„Könntest du so lang auf Hope aufpassen?“, fragte ich Tai. Auch dieser nickte. Keine Ahnung, ob es ihm recht war, dass seine Schwester die Wahrheit von mir erfuhr, aber ich dachte, das sei ich ihr schuldig. So, wie ich es allen meinen Freunden schuldig war.
 

„So ist das also“, sagte Kari und ich wunderte mich, dass sie immer noch so ruhig war. Eigentlich dachte ich, sie würde ausflippen, wie Sora. Doch nachdem ich ihr alles erzählt hatte, während wir durch den Supermarkt schlenderten, reagierte sie tatsächlich sehr verständnisvoll.

Sie und Tai waren sich in manchen Dingen wirklich sehr ähnlich.

„Und was wollt ihr nun machen? Ich meine, Tais Vorhaben in allen Ehren… Versteh mich nicht falsch, ich finde es toll, dass er das für euch macht, aber… wie wollt ihr es Mama und Papa erklären? Die rasten doch völlig aus, wenn sie davon erfahren“, gab Kari sorgenvoll zu bedenken.

Da hatte sie recht.

„Wir wissen noch nicht, wie wir es ihnen erklären sollen“, seufzte ich schwerfällig und packte ein paar Flaschen Frischmilch in meinen Korb.

„Hmm, soweit ich weiß, kommt Mama übermorgen wieder. Bis dahin sollte uns was eingefallen sein, wie wir es ihnen schonend beibringen.“

Ich lächelte sie unsicher an. „Danke, das ist lieb, dass du versuchst mich aufzumuntern. Aber wir kriegen das schon irgendwie hin. Tai und ich. Und wenn er sich umentscheiden sollte… dann… dann wäre das auch nicht so schlimm. Hope und ich schaffen das schon irgendwie.“

„Mimi, was redest du denn da?“, meinte Kari plötzlich und griff nach meiner Hand, um sie fest zu drücken und mir entschlossen in die Augen zu sehen.

„Wir sind doch alle für dich da. Du bist jetzt nicht mehr allein. Wir können das zusammen durchstehen.“

Gerührt von ihren Worten sah ich sie traurig an. „Das sehen leider nicht alle so.“

„Wen meinst du?“

„Sora.“

Kari wirkte überrascht. „Habt ihr euch deswegen vorhin gestritten?“

Ich nickte und sah betrübt zu Boden. „Sie hat es heute Morgen durch Zufall erfahren und ist völlig ausgerastet. Und dann… dann habe ich mich auch noch deswegen mit Tai gestritten, weil ich ihm unterstellt habe, dass er und Sora Gefühle füreinander haben.“

Kari antwortete mir zunächst nicht, sah nur unsicher zur Seite, was mich extrem irritierte. Wusste sie etwas, dass ich nicht wusste?

„Mimi…“, entgegnete sie schließlich stirnrunzelnd und grinste dabei schief. „Ich denke, da haben deine Gedanken dir einen Streich gespielt, weil du einfach einen Grund gesucht hast, warum Sora so wütend war. Ich denke, sie ist momentan einfach nur enttäuscht darüber, dass du damit nicht eher zu ihr gekommen bist.“

Ich seufzte und nickte. „Ja, wahrscheinlich hast du recht.“

Eigentlich klang es ja auch alles recht plausibel.

„Das wird schon wieder“, meinte Kari zuversichtlich. Ich schenkte ihr ein zaghaftes Lächeln, als wir um die Ecke und in den nächsten Gang einbogen.

Abrupt blieben wir beide stehen. Ich dachte wirklich etwas Schlimmeres könnte der Tag nicht für mich bereithalten, doch da hatte ich mich gewaltig geirrt.

„Takeru?“, sagte ich leise und war völlig perplex über das Bild, dass sich uns bot.

Takeru stand da. Mit genau demselben Mädchen von neulich. Demselben Mädchen aus dem Einkaufszentrum. Demselben Mädchen von der Party. Eng umschlungen standen sie da und küssten sich innig. Danach löste sich Takeru von ihr und fuhr mit seiner Hand über ihre Wange. Sie lächelte ihn verliebt an.

Ich wollte gerade den Mund aufmachen und etwas sagen, als Kari nach meiner Hand griff und sie fest drückte. Schnell zog sie mich zurück in den Nachbargang.

Geschockt sah ich sie an. Sie biss sich auf ihre Unterlippe und wich meinem Blick aus.

„Kari…“, sagte ich fassungslos. „Was zur Hölle war das? Und wieso sagst du nichts dazu? Ich meine… willst du ihn nicht endlich zur Rede stellen?“

Die Brünette kniff die Augen zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. Ich sah, wie weh es ihr tat und das brach mir beinahe das Herz. Arme Kari. So etwas hatte sie wirklich nicht verdient. So etwas hatte niemand verdient!

Mein Blick verfinsterte sich.

„Gut. Wenn du ihn nicht zur Rede stellen willst… ich mach es gerne!“

Ich wollte losstürmen, doch Kari hielt mich fest und sah mich flehend an.

„Nein, Mimi. Bitte nicht! Misch dich da nicht ein, hörst du. Bitte tu das nicht!“

Schon wieder.

Schon wieder bat sie mich darum, mich rauszuhalten. Aber warum nur? Wollte sie diese ganze Sache etwa einfach so stillschweigend hinnehmen?

„Aber Kari“, sagte ich bedeutungsvoll. „Ich kann doch nicht dabei zusehen, wie er dir das antut. Wie kannst DU nur dabei zusehen? Ich verstehe es nicht. Ist es denn wirklich das, was du willst? Willst du dich so hintergehen lassen?“

Kari seufzte schwermütig. „Nein, natürlich nicht, aber… es ist alles anders, als du denkst.“

Ich verstand es nicht. Sie sprach in Rätseln.

„Was meinst du damit?“

„Mimi, kannst du mir etwas versprechen?“

Ich nickte.

„Bitte rede mit niemanden darüber, auch nicht mit Tai. Bitte, ja? Machst du das für mich?“

Verständnislos sah ich sie an. Dann lächelte sie plötzlich, als hätte sie ihre gewohnt fröhliche Maske aufgesetzt und schlenderte in den nächsten Gang. Ich folgte ihr. Takeru und dieses Mädchen schienen längst weg zu sein. Karis Verhalten war äußerst merkwürdig. In dem einen Moment schien sie total bestürzt darüber und im nächsten war sie wieder ganz die Alte. Sie schlenderte gelassen durch die Reihen, als wäre nichts gewesen, packte eine Sache nach der anderen in den Korb und ich fragte mich, ob sie überhaupt wusste, was sie da tat. Irgendwie wirkte sie ein wenig neben der Spur. Allerdings versuchte sie es zu überspielen. Dabei hätte ich nur zu gern gewusst, was gerade in ihr vorging. Dieser Anblick konnte sie doch nicht kalt lassen?

„Kari, bitte rede mit mir“, flehte ich sie an. „Was ist mit dir los?“

Plötzlich blieb sie stehen, hatte mir den Rücken zugewandt.

„Manchmal gibt es eben Dinge, über die man nicht reden kann oder nicht reden will und das ist in Ordnung. Das weißt du ja am besten. Aber wenn du wirklich das Gefühl hast, dass da zwischen Sora und Tai etwas nicht stimmt, solltest du der Sache auf den Grund gehen.“

Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Wieso lenkte sie auf einmal so vom Thema ab?

„Weißt du, Mimi… Hinter einer Maske kann man viele Grimassen schneiden. Aber sei vorsichtig…“

„Warum?“, fragte ich verwirrt und hatte keine Ahnung, was ich von dem Ganzen hier halten sollte. Was wollte sie mir damit sagen? Ein ungutes Gefühl machte sich in meiner Magengegend breit. Was stimmte hier nicht?

Plötzlich drehte Kari sich zu mir um und sah mich ernst an.

„Jemand anderes könnte auch eine tragen, deswegen. Andere haben auch Geheimnisse, verstehst du?“
 

„There are two sides to every story. There are two sides to every person. One that we show to the world and another we keep hidden inside.“

~Revenge~

Geständnis

„Andere haben auch Geheimnisse, verstehst du?“

Dieser Satz ging mir einfach nicht aus dem Kopf. Und das Gefühl, dass Kari mir eigentlich was ganz anderes damit sagen wollte, auch nicht.

Auf dem Nachhauseweg redeten wir nicht mehr viel miteinander. Sie weiter auszuhorchen wäre sinnlos gewesen, das war mir längst klar. Plötzlich unterbrach ausgerechnet sie das Schweigen.

„Wie geht es jetzt weiter?“

Überrascht sah ich auf.

„Was?“

„Na, was willst du machen? Ich meine, wenn Mama nach Hause kommt.“

Und dieser Gedanke holte mich schließlich auch wieder ein. Noch ein Problem mehr, welches ich zu lösen hatte. Fragend sah ich sie an. Kari trug zwei Einkaufstüten, ebenso wie ich, die gefüllt waren mit Essen. Inzwischen war es schon ziemlich spät geworden und die Sonne ging langsam unter. Ich seufzte dem roten Licht entgegen.

„Ich weiß es nicht.“

„Dir ist nicht ganz wohl bei dem Gedanken, dass Tai das für dich machen will, richtig?“

Ich nickte. Kari hatte schon immer diese seltsame Gabe, sich ziemlich gut in andere Menschen hineinversetzen zu können. Manchmal war es fast, als würde sie aus einem lesen, wie aus einem Buch. Ich wünschte, es wäre andersrum genauso.

„Gibt es keine andere Lösung?“, fragte sie und sah mich nachdenklich an.

„Bis jetzt nicht“, gab ich frustriert zu, denn es fühlte sich tatsächlich nicht gut an, Tai in so eine Lage gebracht zu haben. Was er vorhatte war wirklich Wahnsinn. Und wahnsinnig lieb von ihm.

„Ich denke, das Wichtigste ist, dass man immer bei der Wahrheit bleibt“, meinte Kari plötzlich. Ach ja? Und was war mit ihrer Wahrheit?

„Wenn Mama nach Hause kommt, seid einfach ehrlich zu ihr. Sie wird nicht begeistert sein, das ist klar, aber vielleicht hat sie eine andere Lösung parat. Eine, auf die ihr selbst noch nicht gekommen seid.“

„Ja, vielleicht hast du recht“, bestätigte ich, jedoch etwas zweifelnd. Natürlich mussten wir ihr die Wahrheit sagen, das stand außer Frage. Aber was würde danach passieren?

Als wir am Wohnblock der Yagamis ankamen, kamen uns einige Leute mit schweren Kisten entgegen, denen wir schnell Platz machten.

„Unsere Nachbarn“, erklärte Kari mir beiläufig. „Sie ziehen um.“

Wir beschlossen lieber die Treppe zu nehmen, anstatt des Aufzugs, damit dieser für die Umzugshelfer frei bleiben konnte.

„Man, ich sollte echt mehr Sport machen“, stöhnte ich erschöpft, als wir oben ankamen, woraufhin Kari herzhaft lachte.

„Du warst schon immer ein Sportmuffel. Ich glaube, das wird in diesem Leben nichts mehr“, entgegnete Kari völlig unverblümt, weshalb ich beleidigt eine Schnute zog.

„Hey! Ich war eben mit anderen Dingen beschäftigt. Kann ja nicht jeder so eine Sportskanone sein, wie dein Bruder.“

„Ja, du warst wirklich sehr beschäftigt. Mit schminken und shoppen.“

„Kari!“, meinte ich vorwurfsvoll und stemmte die Arme in die Hüften, als wir vor der Wohnungstür ankamen und ich endlich diese schweren Tüten abstellen konnte.

„Schon gut“, kicherte Kari. „Dafür hast du eben andere Talente. Wenn du mich fragst, wäre Tai völlig verrückt, eine andere dir vorzuziehen.“

Prompt wurde ich puterrot.

„W-was? A-aber davon war doch gerade überhaupt nicht die Rede…“, stammelte ich, woraufhin Kari nur noch mehr lachte, als sie endlich die Tür aufschloss und wie bestellt Tai in der Tür stand und uns fragend musterte.

Sein Blick huschte von Kari zu mir und er zog irritiert eine Augenbraue nach oben.

„Was ist denn mit dir los? Warum bist du so rot?“

Kari prustete los.

Boden, tu dich auf.

Aufgebracht stampfte ich an ihm vorbei.

„Was redest du da? Ich bin überhaupt nicht rot!“, blaffte ich ihn an.

Tai blieb verwirrt in der Tür stehen, während Kari eintrat.

„Was hab ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht?“, rief er mir noch hinterher, weil er natürlich nicht verstand, warum ich sauer war. Kari hatte mich vorgeführt!

„Ich lass euch dann mal alleine“, meinte Kari immer noch grinsend, stellte die Einkäufe schnell in die Küche und verschwand dann in ihrem Zimmer.

Hektisch räumte ich alles aus und sortierte es ein, als Tai in die Küche kam und sich an den Türrahmen lehnte. Ich hatte ihm den Rücken zugewandt, da ich mich erst mal wieder unter Kontrolle bringen und mir diese Farbe aus dem Gesicht wischen musste.

„Bist du immer noch sauer auf mich?“

Ich seufzte und stützte mich geschafft auf der Arbeitsplatte ab.

„Das hat doch gar keiner gesagt“, gab ich kleinlaut zurück. Oh man, warum verstand er es einfach nicht?

„Ich versteh dich nicht“, sagte er plötzlich, als hätte er meine Gedanken gelesen.

„Vorhin streitest du mit mir bis aufs Blut, dann entschuldigst du dich und jetzt bist du schon wieder so abweisend. Und dann sagst du auch noch, dass du…“

Ich schluckte. War ja klar, dass ich aus dieser Nummer nicht so einfach rauskam.

„Du hast es also nicht überhört“, stellte ich nüchtern fest und stierte angestrengt auf die Arbeitsplatte, nur um ihn nicht ansehen zu müssen.

Nach einer Weile des Schweigens, in der keiner von uns wusste, was er sagen sollte, ging Tai einige Schritte auf mich zu.

„Warum hast du mir das nicht eher gesagt?“ Seine Stimme klang so ernst.

„Was denn?“, stellte ich mich dumm. Was sollte ich denn sagen?

„Dass du Gefühle für mich hast. Dann hätten wir uns den ganzen Zirkus sparen können.“

Was?

Erschrocken sah ich auf und nun wandte ich mich doch um, um ihn anzusehen. Jetzt war ich diejenige, die nichts mehr verstand. Sein Blick war entschlossen. Diesen Blick kannte ich nur zu gut und er hatte ihn nur, wenn er sich einer Sache völlig sicher war.

„Was meinst du damit?“, fragte ich verwirrt.

„Du hättest es mir sagen sollen, Mimi“, antwortete Tai entschlossen. „Dann wäre es gar nicht erst zu diesem sinnlosen Streit gekommen. Dann hätten wir nicht die ganze Zeit so einen Eiertanz aufführen müssen. Denn dann hätte ich dir viel früher gesagt, was ich für dich empfinde.“

Meine Augen weiteten sich, während mein Herz augenblicklich bis zum Hals schlug und es mir auf einmal wie Schuppen von den Augen fiel. Warum hatte ich es nicht eher bemerkt? Wie konnte ich nur so verdammt blind sein, die ganze Zeit über? Tai hatte mir nicht geholfen, weil er mein Freund war oder weil er einfach nett war oder weil er eine hilfsbereite Ader hatte. Er hatte mir die ganze Zeit über beigestanden, weil…

Ich musste diesen Gedanken nicht zu Ende denken und er musste es nicht aussprechen. Es genügte, dass er auf mich zukam und mich unvermittelt in die Arme zog. Er drückte mich so fest an sich, dass ich spüren konnte, wie schnell sein Herz schlug. Es schlug genauso schnell wie meins.

„Tut mir leid, dass ich so dumm war“, sagte er auf einmal. Seine Stimme klang nun reumütig und traurig.

„Ich war einfach zu feige, es dir zu sagen, weil ich dachte…“

Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Deswegen stand ich einfach nur da, während seine Arme mich fest umschlossen und er das Gesicht in meinen Haaren vergrub.

„Ich dachte, ich wäre nur ein Freund für dich, sonst nichts weiter. Und als du mir dann noch von Hayato erzählt hast, war ich mir fast sicher, dass da nie etwas zwischen uns sein würde. Aber das war mir egal, verstehst du? Ich wollte einfach nur für dich und Hope da sein, mehr nicht. Und ich wollte, dass du bei mir bist. Wenn du da bist, dann fühl ich mich gut, Mimi.“

Er musste es einfach merken – wie stark mein Herz gegen meine Brust hämmerte. So stark hatte es noch nie geschlagen, für niemanden. Nicht einmal für Hayato. Ich spürte, wie aufrichtig seine Worte waren, und das trieb mir fast die Tränen in die Augen.

Ich krallte mich in sein Shirt und erwiderte seine Umarmung mit derselben Intensität. Wir hielten uns aneinander fest. Keine Ahnung, warum das so war, aber irgendwie schienen wir uns gegenseitig zu brauchen.

„Ich weiß nicht, warum ich mich gut fühle, wenn du da bist und warum ich mich schlecht fühle, wenn es nicht so ist. Aber ich habe schon lange aufgehört, mich das zu fragen.“

„Schon lange?“, flüsterte ich und versuchte zu begreifen, was er mir sagen wollte.

Ich konnte spüren, wie er grinste.

„Du hast es nie bemerkt oder?“

Er ließ von mir ab.

„Als du vor ein paar Monaten angeblich weggezogen bist“, fing er an zu erklären und sah mir dabei direkt in die Augen. „das war irgendwie schlimmer für mich, als ich erwartet hatte. Keine Ahnung, wieso, aber ich fing an dich zu vermissen.“

Er hatte mich vermisst?

„Warum hast du dich dann nicht bei mir gemeldet?“

Tai sah beschämt zur Seite.

„Ich habe versucht dieses Gefühl zu ignorieren. Ich wusste nichts damit anzufangen, weil es mir so fremd war und ich nicht verstand, warum das so war. Warum ich dich vermisste. Aber… irgendetwas fehlte. Irgendwann war dieses Gefühl fast verschwunden, denn ich hatte es akzeptiert und dann…“

Ein Schmunzeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„…dann stehst du plötzlich wieder vor uns, als wäre nichts gewesen. Und doch musste irgendetwas geschehen sein, das hat man dir angesehen. Das haben alle dir angesehen. Ich habe versucht, mich nicht zu sehr in die Sache hineinzusteigern, obwohl ich mir wie Sora und die anderen Sorgen gemacht habe. Aber zu dem Zeitpunkt bin ich wohl immer noch vor meinen Gefühlen davongelaufen. Deswegen wollte ich dir auch keine Nachhilfe geben. Ich wollte keine Zeit mit dir verbringen.“

Ich zuckte kurz zurück. Das so gnadenlos ehrlich aus seinem Mund zu hören, schmerzte zugegebenermaßen.

„Aber es gab einen Punkt, an dem ich nicht mehr wegsehen konnte und das war, als wir uns im Krankenhaus begegnet sind und du so aufgelöst warst. So hatte ich dich noch nie gesehen. Also beschloss ich meine eigenen Gefühle hintenan zu stellen und irgendwie für dich da zu sein, egal wie.“

Seine Worte rührten mich zutiefst und nun stiegen mir tatsächlich Tränen in die Augen. Warum nur hatte ich einfach nie etwas bemerkt? Wie blind konnte man eigentlich sein?

„Dass meine Gefühle für dich immer stärker geworden sind, je mehr Zeit wir miteinander verbracht haben ist nicht verwunderlich“, lächelte Tai und wischte mir mit dem Daumen eine Träne von der Wange.

„Du bist unglaublich, Mimi. Und du weißt es noch nicht einmal.“

Ich biss mir schmerzlich auf die Lippe, um nicht in Tränen auszubrechen.

„Nicht“, flüsterte er, während er mit dem Finger über meine Lippen strich, um mich davon abzuhalten.

Schließlich beugte er sich zu mir runter und küsste mich, woraufhin mein Herz einen Sprung machte, nachdem es für eine ganze Sekunde aufgehört hatte zu schlagen. Es war fast schon unheimlich, wie ehrlich und aufrichtig sich dieser Kuss anfühlte. Es lag keine Schwere darin, kein bitterer Beigeschmack, keine Forderung. Es war einfach nur ein Kuss, der seine Gefühle zum Ausdruck brachte.

Und wie er sie zum Ausdruck brachte.

Unvermittelt schlang ich die Arme um seinen Hals und erwiderte den Kuss. Es war das Beste, was ich seit einer Ewigkeit gespürt hatte. Und es fühlte sich gut an – so gut.

Plötzlich waren alle Zweifel wie weggeblasen. Alle schlechten Gedanken verflüchtigten sich und es gab nur noch uns beide – in diesem Moment.

Er umschloss meine Taille und zog mich noch enger an sich, während er den Kuss intensivierte, was mich beinahe völlig von den Socken riss.

Mein Gott, konnte dieser Typ küssen!

Ich musste grinsen. Tai ließ kurz von mir ab, um mich fragend anzusehen.

„Was ist?“

„Das ist total verrückt.“

„Warum?“, lachte er.

„Na ja, ich hätte eben nicht gedacht, dass du so gut küssen kannst.“

Tai runzelte amüsiert die Stirn.

„Du hast mir weniger als das zugetraut?“

Ich lächelte, als ich mich erneut auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss gab.

„Du überrascht mich einfach immer wieder, Taichi Yagami.“

„Allerdings. Mich auch.“

Wir wirbelten herum. Erschrocken sah ich in das Gesicht, der Person, die soeben hinter Tai aufgetaucht war, die Arme in die Hüften gestemmt hatte und uns mit Argusaugen beobachtete.

„Ma… Mama“, stammelte Tai überrascht, während mein Herz, welches mir eben noch beflügelt bis zum Hals schlug, in den Keller rutschte.

Wahrheitssuche

„Also… Ich warte“, sagte Yuuko und durchbohrte uns mit ihren Blicken. Mir wurde ganz flau im Magen. Früher als erwartet saßen wir uns jetzt gegenüber und nun mussten Taichi und ich ehrlich sein. Da führte kein Weg dran vorbei.

„Kannst du mir mal erklären, warum ich einen Anruf von der Schulleitung bekomme, dass mein Sohn sich bis zu den Prüfungen selbst krankgemeldet hat?“, fragte sie Tai streng. Natürlich war sie nicht gerade erfreut über diese Nachricht.

„M-Mein Fuß… Es war wieder schlimmer geworden. I-Ich soll zu Hause bleiben und mich schonen, hat der Arzt gesagt“, stammelte Tai, doch das stellte Yuuko noch nicht zufrieden. Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Und warum rufst du mich dann nicht an? Oder deinen Vater? Weißt du, was ich mir für Sorgen gemacht habe, als der Anruf kam?“

Ich schielte zu Tai und sah, dass er beschämt den Tisch fixierte. Er konnte ihr nicht in die Augen sehen. Und das verstand ich. Es war nun an mir, diese Sache zu klären. Das war ich ihm schuldig.

„Bitte seien Sie nicht böse auf Tai“, bat ich seine Mutter, woraufhin sie mich fragend musterte. „Das hat er alles nur wegen mir gemacht.“

„Wegen dir? Das verstehe ich nicht, Mimi.“

Ich holte tief Luft und stand auf, um Hope zu holen, doch Tai hielt mich am Handgelenk fest. Bittend sah ich ihm in die Augen. Sie musste es jetzt erfahren. Wir hatten vorher keine Zeit mehr gehabt, genau darüber zu reden, aber… eine weitere Lüge würde ich nicht verkraften. Das Ganze musste ein Ende haben.

Tai verstand, was ich ihm mit meinen Blicken sagen wollte und nickte stumm. Wortlos ging ich in sein Zimmer und kam mit Hope auf dem Arm wieder raus. Sie fing an zu lachen und strahlte erst Tai, dann Yuuko an. Diese jedoch sah aus, als hätte sie eben der Schlag getroffen. Man konnte förmlich sehen, wie sie in ihrem Kopf nach Antworten suchte.

„Ist das… eine Cousine von dir, Mimi? O-Oder eine Nichte?“

Ich schüttelte den Kopf, als ich mich wieder neben Tai setzte und Hope auf meinen Schoß nahm.

„Nein, ich habe keine Geschwister, das wissen Sie, Yuuko. Und eine Cousine ist sie auch nicht. Sie gehört zu mir.“ Ich sah kurz zu Tai und lächelte ihm zuversichtlich an. „Zu uns, meine ich.“

Yuuko bekam Schnappatmung. Sie hielt sich die Brust und für einen kurzen Moment dachte ich, sie würde in Ohnmacht fallen.

„Keine Sorge“, fügte ich deswegen schnell hinzu. „Tai ist nicht der Vater. Aber sie ist meine Tochter.“

Seine Mutter schluckte schwer und auch Tai standen die Schweißperlen auf der Stirn. Selbst mir war mulmig zumute und alles in meinem Magen drehte sich um. Doch ich versuchte mich zusammenzureißen und ihre Reaktion abzuwarten.

„Und…“, begann Yuuko, die schließlich ihre Sprache wiedergefunden hatte. „Wer ist dann der Vater?“

Ich seufzte schwer. „Das kann ich leider nicht sagen. Aber er möchte nicht, dass ich Hope behalte.“

„Hope“, widerholte sie vorsichtig. „Das ist ein schöner Name.“

Hope strahlte sie an, als hätte sie es verstanden. Und auch ich lächelte. „Den hat Tai ausgesucht.“

Yuuko sah ihren Sohn an und ihr standen 1000 Fragen ins Gesicht geschrieben und ich war fest entschlossen, ihr jede einzelne zu beantworten. Das Versteckspiel musste ein Ende haben und das hier war der erste Schritt in die richtige Richtung.

„Bist du deshalb von zu Hause ausgezogen?“, fragte sie mich schließlich und ich nickte.

„Wo war deine Tochter… ich meine Hope währenddessen? War sie bei deinen Eltern? Wissen deine Eltern überhaupt davon?“

„Ja, sie wissen es. Und sie möchten, dass ich sie zur Adoption freigebe. Sie war die ganze Zeit nach ihrer Geburt, bis vor ein paar Tagen, im Krankenhaus, wegen eines Herzfehlers. Hopes leiblicher Vater hat viel Einfluss auf meine Familie und hat sie die letzten Monate unter Druck gesetzt. Deswegen soll sie aus dem Weg geschafft werden.“

Yuuko nickte kurz und sah angestrengt zwischen uns dreien hin und her.

„Verstehe. Das ist eine ziemlich üble Geschichte. Das tut mir sehr leid für dich, Mimi.“

Ein kleiner Stein fiel mir vom Herzen. Zumindest hatte sie uns noch nicht die Köpfe abgerissen. Das war schon mal ein guter Anfang, aber ich hatte das Gefühl, dass dieses Gespräch noch lange nicht vorbei war.

„Was hast du damit zu tun?“, wandte sie sich schließlich an ihren Sohn, der erschrocken aufsah.

„Nun ja, i-ich…“

„Tai hat mir geholfen“, sprach ich für ihn. „Er war als Einziger für mich da. Für mich und für Hope. Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht, aber wir versuchen einen Weg zu finden…“

„Ich möchte sie adoptieren“, fiel Tai mir plötzlich ins Wort und sprach schließlich das aus, was ich eh schon befürchtet hatte. Frau Yagami sah ihn schockiert an.

„Du willst… was?“

Mein Magen drehte sich noch mehr um und mir wurde übel. Warum musste er das ausgerechnet jetzt sagen?

„TAI“, schrie seine Mutter plötzlich, was uns beide zusammenfahren ließ. „Hast du den Verstand verloren?“

Das war’s. Das Gespräch hatte so gut begonnen und nun geriet alles aus den Fugen. Und das nur, weil Tai mal wieder zu vorschnell gehandelt hatte.

„Auf keinen Fall adoptierst du sie! Sie ist nicht deine Tochter, Tai. So schlimm das auch alles für Mimi ist, DU hast damit nichts zu tun! Das lasse ich auf keinen Fall zu!“

Die Tür hinter Yuuko öffnete sich und Kari kam verschlafen aus ihrem Zimmer und rieb sich die Augen.

„Mama? Wieso bist du schon zurück? Und was schreit ihr hier so rum?“

Yuuko beachtete sie nicht weiter, sondern fixierte ihren Sohn, dessen Miene jedoch immer entschlossener wurde.

„Wenn ich es nicht tue, wird es jemand anders tun und dann verliert Mimi ihre Tochter. Willst du das? Du kannst es mir nicht verbieten, hörst du? Ich bin bald 18 und wenn ich sie adoptieren möchte, dann tue ich das!“

Typisch Tai. Wenn er sich einmal was in den Kopf gesetzt hatte… Und wenn andere dann noch dagegen waren, bestärkte ihn das umso mehr in seinem Vorhaben. Trotzdem, mit so viel Sturheit würde er rein gar nichts bei seiner Mutter erreichen, das war mir klar. Die Lawine rollte und drohte, uns unter sich zu begraben.

„Schluss jetzt, Tai!“, schrie seine Mutter ihn aufgebracht an und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. „Du wirfst auf keinen Fall für irgendein Mädchen deine Zukunft weg! Hör auf mit diesen Hirngespinsten!“

Diese Aussage traf mich wie ein Schlag ins Gesicht, doch gleichzeitig verstand ich sie auch. Es war genau das, was ich erwartet hatte.

„Hirngespinste?“, rief Tai plötzlich und sprang von seinem Stuhl auf. „Irgendein Mädchen? Ich liebe dieses Mädchen, Mama!“

Mein Herz blieb stehen und Yuuko, Kari und ich sahen ihn geschockt an, während Hope anfing zu weinen.

Ich war unfähig irgendetwas zu tun. Oder irgendetwas zu denken. Sein Geständnis traf mich schneller als der Blitz und ging mir direkt unter die Haut. Stille legte sich über alle Beteiligten, bis Kari als Erste wieder zu sich kam und auf mich zuging. Behutsam nahm sie mir die weinende Hope vom Schoß und sah ihre Mutter und ihren Bruder böse an.

„Danke. Jetzt weint sie wieder. Habt ihr gut hingekriegt.“

Sie verschwand mit ihr in ihrem Zimmer, um sie zu beruhigen und ich war mehr als dankbar dafür, denn ich war außer Stande mich zu bewegen.

Yuuko richtete ihren Blick angestrengt nach unten und biss sich auf die Unterlippe.

„Du… du liebst sie also.“

Tai setzte sich wieder hin, gab ihr jedoch keine Antwort darauf.

Weitere endlose Sekunden der Stille verstrichen, in denen keiner von uns wusste, was er als nächstes sagen oder tun sollte. Die ganze Situation war völlig eskaliert und das war das, was ich eigentlich vermeiden wollte. Ich fühlte mich schuldig, dass Tai seine Mutter angeschrien hatte. Was mochte sie jetzt wohl von uns denken? Und Tai… er konnte doch nicht einfach sagen, dass er mich liebte. Dafür war ich definitiv noch nicht bereit. Und seine Mutter auch nicht.

Irgendwann holte Yuuko tief Luft und sah uns beide an. Es schien, als hätte sie sich wieder einigermaßen gesammelt.

„Heute Abend kommt dein Vater nach Hause, Tai. Wir werden das die nächsten Tage sacken lassen und dann in Ruhe über alles reden.“

„In Ordnung“, antwortete Tai ruhig.

„Mimi, was dich betrifft“, sprach sie weiter und sah mir nun in die Augen. Ihre Stimme war ruhig, aber bestimmt.

„Mir tut sehr leid, in welche Situation du da geraten bist und ich möchte dir und deiner Tochter gerne helfen. Wenn du nicht weißt, wohin mit ihr, kann sie vorerst bei uns bleiben. Aber für uns alle wird es hier dann einfach viel zu eng. Ich schlage vor, dass du vorerst zu deinen Eltern zurückziehst.“

Ich hatte es befürchtet. Ich musste gehen. Stumm nickte ich, doch innerlich zerriss es mich erneut, bei der Vorstellung mich meinen Albträumen erneut stellen zu müssen.

„Sie gehört da nicht hin, Mama“, meinte Tai und sah seine Mutter flehend an.

„Wir finden eine Lösung für sie, Tai. Ich werde das mit deinem Vater bereden und wir werden gemeinsam überlegen, was wir für euch tun können.“

Tränen stiegen mir in die Augen, doch ich hielt sie zurück. Ich durfte jetzt nicht schwach werden.

„Ist es für dich okay Mimi, wenn Hope hierbleibt? So, wie ich das verstanden habe, kannst du sie nicht mit nach Hause nehmen, richtig?“

„J-Ja… das ist völlig okay für mich“, entgegnete ich mit bebender Stimme und krallte meine Finger in meinen Rock, um mich selbst zu beherrschen. „Ich wüsste nicht, wo sie besser aufgehoben wäre. Kari ist zauberhaft zu ihr und Tai…“ Ich sah ihn an und lächelte wehmütig, als Tai nach meiner Hand griff und seine Finger mit meinen verschränkte.

„Du kannst gerne diese Nacht noch hierbleiben“, sagte Yuuko und stand auf. „Aber ruf deine Eltern an und sag, dass du morgen nach Hause kommen wirst.“

Ich nickte und bedankte mich bei ihr. Irgendwie hatte ich es ja erwartet und doch traf es mich völlig unvorbereitet. Das neue zu Hause, welches ich für mich gefunden hatte, war nicht mein zu Hause und das musste ich endlich einsehen. Tai und seine Familie taten jetzt bereits mehr für mich, als sie tun müssten und dafür war ich ihnen sehr dankbar.
 

Später am Abend kam Tais Vater nach Hause und die drei saßen lange im Wohnzimmer, um ihm die Situation zu erklären, während ich meine Mutter anrief. So wenig, wie Tais Vater von dem Ganzen beeindruckt war, umso mehr freute sich meine Mutter, dass ich am nächsten Tag nach Hause kommen würde.

„Also dann, bis morgen“, seufzte ich schwer ins Telefon.

„Bis dann, mein Schatz. Ich freue mich, dass du nach Hause kommst“, sagte sie noch, ehe ich kommentarlos auflegte. Ich wusste, wie schwer es ihr gefallen war, mich gehen zu lassen. Doch sie schien immer noch nicht zu verstehen, wie schwer es für mich sein würde, meinem Vater erneut unter die Augen zu treten.

Ich ließ mich rücklinks auf Tais Bett fallen und wischte mir über meine verquollenen Augen, als endlich die Tür aufging.

„Und…?“, fragte ich vorsichtig nach, als er sich neben mich setzte und den Kopf in die Hände stützte.

„Es war nicht einfach. Aber mein Vater hat cool reagiert, viel besonnener als meine Mutter. Er sagt, wir werden überlegen, was wir tun können.“

„Es ist so nett von deiner Familie, mir zu helfen. Das hätte keiner von euch tun müssen.“

Tai ließ sich zurückfallen und wandte sich mir zu, sodass wir uns anschauen konnten.

„Du gehörst jetzt zu mir, Mimi. Und wir stehen für die ein, die zu uns gehören.“

Ein ungutes Gefühl beschlich mich und ich wich seinem Blick aus.

„Tai, was du da vorhin gesagt hast… Hast du das ernst gemeint?“

„Habe ich“, antwortete er entschlossen.

Seufzend sah ich zur Decke. Ich musste ehrlich zu ihm sein.

„Ich mag dich, Tai. Sehr sogar, das weißt du. Aber…“ Ich versuchte die richtigen Worte zu finden. „Ich denke nicht, dass ich für so was schon bereit bin.“

Plötzlich spürte ich, wie er eine Hand auf meinen Bauch legte und sich mit der anderen abstützte, um mich von oben anzusehen. Er grinste.

„Ich weiß. Und das ist nicht schlimm. Ich werde dich auf keinen Fall zu etwas drängen, wozu du noch nicht bereit bist. Ich will nur…, dass du weißt, was ich fühle. Und dass ich auf dich warten werde.“

Ich war froh, dass er das so sah. Es erleichterte mich und erwärmte mein Herz. Er wusste, dass ich Gefühle für ihn hatte, das konnte ich nun selbst nicht mehr leugnen. Dafür waren sie bereits zu präsent. Aber würde ich jemals sagen können, dass ich ihn liebte? Würde ich je für so etwas tiefes bereit sein? Nach all dem, was ich mit Hayato erlebt hatte…? Würde ich mich da jemals wieder voll und ganz einem anderen Menschen hingeben können, ohne Angst zu haben, erneut verletzt zu werden? Darauf gab es momentan keine Antwort für mich. Aber ich wollte es versuchen, Tai zuliebe. Weil er es Wert war, dass ich es versuchte.

„Lass es uns einfach ganz langsam angehen, ja?“, sagte ich und berührte seine Wange mit meiner Hand.

„Was immer du willst“, grinste er verschmitzt und beugte sich zu mir herunter, um mir einen sanften Kuss auf die Lippen zu hauchen.

Es war, als würden Schmetterlinge in meinem Bauch tanzen und ich genoss das Gefühl, solange es da war.
 

In dieser Nacht durfte ich in Tais Zimmer schlafen. Anscheinend hatte Tais Vater seiner Frau ins Gewissen geredet oder aber sie war von Tais plötzlichem Liebesgeständnis so überrascht, dass sie nichts mehr dagegen einwenden konnte. Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass ich es unglaublich genoss in seinen Armen einschlafen zu können. In dieser Nacht träumte ich das erste Mal wieder von der Vergangenheit…
 

„Mimi, was soll das? Hör auf, mein Essen wegzuessen!“, beschwerte sich Izzy, dem ich gerade das dritte Stück Fleisch vom Teller geklaut hatte.

„Was denn?“, entgegnete ich mit vollem Mund und kaute dabei genüsslich weiter. „Ich habe eben gerade einen Wachstumsschub. Da muss man essen, essen und nochmals essen.“

„Oder du bist einfach ein Vielfraß“, sagte Tai nüchtern, woraufhin er einen wütenden Seitenblick von mir kassierte. Und meinen Ellenbogen.

„Hey! Das sagt genau der Richtige!“

Wir saßen alle in der Schulmensa und nahmen unser Mittagessen ein. Bald würde ich meinen Freunden sagen müssen, dass ich vorhatte wegzuziehen. Doch bis dahin wollte ich dieses unbeschwerte Beisammensein so lang wie möglich genießen.

„Was denn?“, beschwerte sich Tai. „Ich bin schließlich auch Leistungssportler und was machst du noch mal? Ach ja, shoppen und Geld ausgeben. Wirklich sehr kräftezehrend.“

„Ich bin Leistungssportler, bla bla“, äffte ich ihn nach und zog dabei alberne Grimassen, während Tai nur einen großen Schluck Wasser nahm und sich beleidigt wegdrehte.

Sora, die mir gegenübersaß, fing an zu lachen.

„Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen: was sich liebt, das neckt sich.“

Tai prustete den gesamten Inhalt seines Mundes über den Tisch, was Yamato einen riesen Wasserfleck auf seiner Schuluniform bescherte.

„Ey, man! Bist du bescheuert?“, rief er und sah entsetzt an sich hinab.

„Du hast sie doch nicht alle!“, blaffte Tai stattdessen Sora an.

Ich beobachtete diese Szene recht gelangweilt, während ich mir ein weiteres Stück Fleisch von Izzys Teller klaute, der dies inzwischen murrend hinnahm.

„Das ist doch total lächerlich, Sora. Ich bitte dich. Ich stehe überhaupt nicht auf verwöhnte Mädchen. So viel Taschengeld bekomme ich gar nicht, wie sie im Monat für Klamotten ausgibt.“

Ich begann eifrig zu nicken. Wo er recht hatte…

„Außerdem mag ich eher kluge, sportliche Mädchen, die ein wenig zurückhaltender sind und wissen, wie sie sich in der Öffentlichkeit zu benehmen haben“, setzte er fort, wobei Sora auf einmal rot um die Nase wurde.

„Heeey!“, schrie ich ihn an und holte mir somit erneut seine Aufmerksamkeit. „Soll das heißen, dass ich mich in der Öffentlichkeit nicht benehmen kann?“

„Genau“, bestätigte Tai nickend. „Du hast überhaupt keine Manieren.“

Wütend sah ich ihn an.

„Boah, du hast wohl neulich bei dem Spiel einen Ball zu viel an den Kopf bekommen.“

„Ach du meine Güte“, mischte sich plötzlich auch Yamato ein, während er sich immer noch mit einer Serviette über sein Hemd wischte. „Wenn ihr beide nicht irgendwann mal heiratet, dann weiß ich auch nicht.“

Tai und ich zuckten zurück und sahen uns überrascht an. Mir entging nicht, dass nun er derjenige war, der rot wurde. Räuspernd stand er auf und schob mir dabei seinen Teller rüber. „Hier, Vielfraß. Das kannst du haben, ich bin satt.“

Stutzig betrachtete ich seinen Teller. Frühlingsrollen? Und die wollte er nicht mehr?

Ohne weiter zu überlegen stopfte ich mir eine in den Mund, während ich ihm „Wir sind noch nicht miteinander fertig, Yagami“ hinterherrief.

„Gott, ist das gut“, schwärmte ich dennoch, als ich meine beste Freundin ansah, die immer noch peinlich berührt zu sein schien. „Alles okay bei dir, Sora?“

„Ja… ähm… ja“, entgegnete sie und aß weiter, während ich darüber nachdachte, wie ich Tai am besten eins für seine Frechheit auswischen konnte… Dieser Tai…
 

Ein fieses Klingeln riss mich aus meinem Traum. Erst dachte ich, es wäre der Wecker und es wäre schon Morgen. Doch dann merkte ich, dass etwas neben Tais Bett leuchtete. Sein Handy lag auf seinem Nachttisch und klingelte. Kurz sah ich zu Tai, der tief und fest schlief. Ich runzelte die Stirn. Unfassbar, dass er bei diesem durchdringenden Geräusch schlafen konnte. Ich griff nach seinem Handy, um nachzusehen, wer es war und schrak zurück.

Sora.

Ihr Name und ihr Foto strahlten mich an und kurz überlegte ich, sie wegzudrücken. Doch dann ließ ich es einfach klingeln und die Mailbox rangehen. Warum rief sie mitten in der Nacht bei ihm an? Was sollte das?

Auf dem Display erleuchtete eine neue Nachricht. Sollte ich sie abhören?

Nein, das würde Tai sofort merken.

Allerdings wurmte es mich, dass sie ihn mitten in der Nacht kontaktierte. Was ging nur in ihrem Kopf vor? Was wollte sie von ihm?

Ich biss mir auf die Unterlippe und ohne weiter darüber nachzudenken, öffnete ich seinen letzten Nachrichtenverlauf.

Natürlich waren die letzten zehn Nachrichten von ihr. Was auch sonst. Ich hatte nichts anderes erwartet und es sogar befürchtet. Ich hätte sie nicht lesen sollen, doch der Zweifel nagte an mir. Das Gefühl, dass beide etwas zu verbergen hatten, ließ mich einfach nicht los. Ich scrollte mich durch die Nachrichten, die sie ihm geschrieben hatte.
 

Sora: „Was soll das, Tai? Was ist hier los? Du und Mimi? Dein Ernst?“
 

Nächste Nachricht.
 

Sora: „Warum antwortest du nicht?“
 

Nächste Nachricht.
 

Sora: „Bist du wirklich der Vater, Tai? Sag’s mir, ich muss es wissen.“
 

Nächste Nachricht.
 

Sora: „Hör auf, mich zu ignorieren, Taichi. Du bist mir eine Antwort schuldig! Wie lang läuft das schon zwischen euch beiden?“
 

Das Herz schlug mir bis zum Hals. Ich konnte nicht fassen, was ich da las…
 

Tai: „Hör du erst mal auf, dich so aufzuregen. Es ist, wie es ist.“
 

Sora: „Das ist alles, was du dazu zu sagen hast? Du bist so unfair!“
 

Tai: „Wieso bin ich unfair? Ich habe keine Ahnung, was du meinst.“
 

Sora: „Spiel nicht den Unwissenden. Sei einfach ehrlich!“
 

Mit pochendem Herzen scrollte ich weiter…
 

Tai: „Ich bin ehrlich. Es tut mir leid, dass du es auf diese Weise erfahren musstest, aber Mimi bedeutet mir sehr viel und das weißt du. Du wusstest es immer. Ich kann nichts dafür, wenn du jetzt nicht damit klarkommst.“
 

Tai: „Tut mir leid. Bitte vertrag dich wieder mit ihr. Sie leidet sehr unter eurem Streit.“
 

Sora: „Ich leide auch…“
 

Ende der Nachrichten.

Behutsam legte ich das Handy wieder auf den Nachttisch und ignorierte somit die Nachricht auf der Mailbox. Ich wollte sie nicht hören. Sora war nicht sie selbst. So hatte ich sie noch nie erlebt. Und Tai… Er sagte, er habe keine Ahnung, was sie von ihm wolle. Vielleicht stimmte das ja sogar. Vielleicht wusste auch er nicht, was mit Sora los war… was sie ihm eigentlich sagen wollte.

Plötzlich drehte Tai sich zu mir um und legte einen Arm um mich.

„Bist du wach?“, murmelte er.

„Ja… Ich hatte einen Traum“, antwortete ich, als er sich an mich kuschelte.

„Was hast du denn geträumt?“

Ich grinste, als ich daran zurückdachte.

„Ich habe davon geträumt, dass du mich früher in der Schule immer geärgert hast. Und ich glaube, du hattest recht.“

Ich spürte, dass er grinste. „Womit?“

„Du warst früher schon in mich verknallt. Konntest es nur nicht zugeben.“

„Könntest recht haben“, meinte er schläfrig und ich merkte, dass er bereits wieder wegdämmerte. Ich hingegen lag die ganze restliche Nacht wach…

Aussprache

„Soll ich dich wirklich nicht begleiten?“, fragte Tai besorgt, während ich meine Tasche aus seinem Zimmer holte.

„Nein, wirklich nicht. Ich schaff das schon“, antwortete ich entschlossen, doch in Wahrheit wurden mir die Knie weich. In mir sträubte sich einfach alles dagegen, wieder nach Hause zu gehen. Aber ich musste. Ob ich nun wollte oder nicht. Also blieb mir nichts anderes übrig, als stark zu sein.

„Tut mir leid, dass du gehen musst“, sagte Tai und zog mich an sich, doch ich schüttelte den Kopf und lächelte ihn an.

„Ist schon in Ordnung. Ich bin einfach nur froh, dass Hope noch für eine Weile bei euch bleiben kann.“

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn innig. Ich hoffte, er konnte spüren, wie dankbar ich ihm war.

„Melde dich, wenn du zu Hause bist“, flüsterte er, als ich ihn losließ.

„Bis bald, Mimi“, sagte Kari, die hinter Tai stand und jetzt auch auf mich zukam und mich umarmte. Von Hope hatte ich mich bereits vor ein paar Minuten verabschiedet. Dieser Abschied fiel mir am schwersten. Aber ich wusste, dass sie hier gut aufgehoben war und ich sie sehen konnte, wann ich wollte. Das erleichterte mich etwas.

„Tut mir leid, Mimi“, sagte Yuuko plötzlich und sah mich mitleidig an. Offensichtlich hatte sie den ersten Schock verdaut.

„Es ist in Ordnung. Danke für alles, Frau Yagami“, bedankte ich mich aufrichtig bei ihr und verabschiedete mich höflich.

Ich nahm meine Tasche vom Boden und wandte mich um, als Tai mich plötzlich am Handgelenk packte und zu sich umdrehte. Unerwartet zog er mich noch einmal an sich und hauchte mir einen Kuss auf die Wange, was mich unaufhaltsam erröten ließ.

„Bis später“, grinste er und ich konnte merken, wie schwer es ihm tatsächlich fiel, mich gehen zu lassen.

„Bis später“, meinte ich schüchtern und warf seiner Mutter noch einen letzten Blick zu, die peinlich berührt an die Wand starrte.

Ich ging zur Tür und sah noch, wie Kari ihrem Bruder in die Seite stieß. „Casanova.“

„Lass mich in Ruhe“, maulte Tai und ging in sein Zimmer. Ich musste schmunzeln. Ich würde diese Familie wirklich vermissen.
 

Zu Hause angekommen war ich erst mal froh, dass nur meine Mutter zu Hause war. Als ich reinkam, fiel sie mir um den Hals und weinte sogar, so erleichtert war sie, dass ich wieder da war. Für sie war es ein Traum. Für mich war es ein Albtraum. Aber was hatte ich erwartet? Ich konnte nicht ewig davonlaufen.

Sie wollte mich in ein Gespräch verwickeln, hatte sogar Essen vorbereitet, doch ich meinte, dass ich keinen Hunger hätte und ging direkt in mein Zimmer.

Es war merkwürdig, wieder hier zu sein. Mein Bett. Mein Kleiderschrank. Mein Schreibtisch. Mein altes Leben. Es machte mir Angst.

Ich ging zu meinem Bett und fing an, meine Tasche auszuräumen. Dann ließ ich mich gedankenverloren aufs Bett sinken und überlegte, was ich als nächstes tun sollte. Noch nie war ich so fehl am Platze, wie in diesem Moment. Seufzend ließ ich mich fallen und starrte zur Decke. Mir fiel ein, dass ich mich ja bei Tai melden sollte. Also kramte ich mein Handy aus meiner Hosentasche und tippte eine SMS.
 

„Bin in meinem alten Zimmer und liege auf dem Bett. Vermisse euch schon jetzt.“
 

Es dauerte nicht lange, bis eine Antwort kam. Als hätte er auf diese Nachricht gewartet.
 

Tai: „Geht uns genauso. Hope geht es gut. Sie hat gerade gegessen und schläft jetzt. Ich glaube, sie hat das Herz meiner Mutter schon jetzt im Sturm erobert ;)“
 

Ich lächelte. Wenigstens etwas. Solange es Hope gut ging, ging es mir auch gut. Aber was sollte ich jetzt tun? Auf keinen Fall würde ich jetzt rausgehen, mich mit meiner Mutter an den Esstisch setzen und Smalltalk führen. Also starrte ich weiter an die weiße Decke meines Zimmers, Stunde um Stunde, bis sie erst grau und dann schwarz wurde. Draußen war es dunkel geworden und ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren.

Plötzlich hörte ich die Wohnungstür und wie mein Vater „Bin zu Hause“ rief.

Ich hörte wie meine Mutter durch die Wohnung ging und anfing mit ihm zu flüstern. Die Wände hier waren wirklich sehr dünn.

„Mimi ist da.“

„Das ist gut.“

„Willst du sie nicht begrüßen?“

Ein eindeutiges Seufzen war zu vernehmen.

„Jetzt geh schon zu ihr!“, forderte meine Mutter und kurze Zeit später klopfte es an meiner Tür.

„Darf ich reinkommen?“

Ich verdrehte die Augen.

„Nein?“

Er kam trotzdem rein. Was sonst. Aber er betrat mein Zimmer nicht richtig, sondern stand lediglich in der Tür, als würde meine Türschwelle eine Art Schutzzauber umgeben. Vielleicht wusste er aber auch, dass es ihm nicht zustand, mein Zimmer zu betreten.

„Hallo, Mimi. Wie geht’s dir?“

Ich antwortete nicht, setzte mich jedoch auf und sah ihn an.

„Warum ist es hier so dunkel?“, fragte er, denn er konnte mein Gesicht nicht richtig erkennen, was wohl auch besser für ihn war. Auch ich konnte ihn nicht eindeutig sehen.

„Ich bin nur hier, weil ich hier sein muss. Nur, dass das klar ist“, sagte ich bitter und presste angestrengt die Lippen aufeinander.

„Ich weiß“, sagte er kühl. „Trotzdem schön, dass du wieder da bist.“

Er schloss die Tür hinter sich.

Das konnte er sich sparen. Ich fand es alles andere als schön, wieder hier zu sein.

Mein Handy vibrierte.
 

Tai: „Gute Nacht, Prinzessin.“
 

Es folgte ein Foto von der schlafenden Hope, die unglaublich friedlich und unbeschwert aussah. Immer wieder, wenn ich sie sah, erwärmte sie mein Herz. Es gab eine Zeit, da hätte ich es niemals für möglich gehalten, aber sie machte mich wirklich glücklich. Und Tai auch. Ich wollte ihm antworten und scrollte durch meine Kontakte. Direkt vor seinem Namen stand ihrer und kurz blieb ich an ihrer Nummer hängen. Sollte ich sie anrufen? Sollte ich ihr schreiben? Ich hatte keine Ahnung, was ich tun konnte, um mich wieder mit ihr zu versöhnen, aber so konnte es auf keinen Fall weitergehen. Egal, was passiert war – Sora war mir immer noch wichtig. Sehr wichtig sogar. Ich wollte nicht, dass sie mich in dem Licht sah, wie sie es gerade tat. Und ich wusste nicht, was in ihrem Kopf vorging. Zu gerne hätte ich es verstanden. Die Sache mit Tai ließ mir keine Ruhe. Sie schrieb ihm, dass sie auch leiden würde. Was hatte sie damit gemeint?

Ich öffnete ein neues Nachrichtenfenster.
 

„Können wir uns treffen? Und reden?“
 

Ich drückte auf senden und wartete ab. Es kam keine Antwort. Ich hatte es befürchtet.

Ich ließ mich wieder zurückfallen und atmete schwer aus. Wie sollte das nur alles weitergehen? Weitere lange Minuten verstrichen und irgendwann holte mich der Hunger doch ein. Ich öffnete meine Zimmertür und sah, dass meine Eltern beide noch wach waren und vor dem Fernseher ihren Abend ausklingen ließen. Ein vertrautes Bild. Früher hatten wir oft zusammen dort gesessen. Wortlos ging ich in die Küche und als ich den Kühlschrank öffnete, drehte meine Mutter sich um.

„Hast du Hunger, Liebes? Ich kann dir was machen.“

Sofort sprang sie auf und eilte in die Küche.

„Es geht schon. Ich mach mir selbst was.“

Ich holte einen Joghurt aus dem Kühlschrank, ohne sie weiter zu beachten und wollte eigentlich direkt wieder in mein Zimmer verschwinden, als mein Vater mich zu sich rief.

„Komm mal kurz, Mimi.“

Ich stöhnte leise auf und warf den Kopf in den Nacken. Konnte er mich nicht in Ruhe lassen?

„Was gibt’s denn?“, fragte ich gereizt und stellte mich vor ihn.

„Es ist so“, begann er und ich fragte mich, was jetzt wohl kommen würde. „Da wir wussten, dass du zurück nach Hause kommen würdest, haben wir für nächste Woche die Frau vom Jugendamt eingeladen.“

„Du hast was?“ Fassungslos sah ich ihn an.

„Wir müssen eine Lösung für diese Sache finden, Mimi.“

„Diese Sache heißt Hope und ist meine Tochter“, entgegnete ich wütend und funkelte ihn an. „Und falls du immer noch denkst, ich würde sie zu irgendeiner fremden Familie geben, dann bist du schief gewickelt.“

Mein Vater stöhnte auf und fuhr sich gestresst durch die Haare.

„Lass uns einfach dann in Ruhe darüber reden, okay? Alle zusammen.“

Ich zischte und ließ ihn sitzen. „Na, das sind ja rosige Aussichten“, schnaufte ich und schmiss die Tür hinter mir zu.

Innerlich war ich total in Rage und hätte am liebsten alles in diesem Raum zusammengeschlagen. Ich wusste, dass ich mich früher oder später mit dem Jugendamt auseinandersetzen musste, aber dass mein Vater schon wieder die Initiative ergriff, ärgerte mich zutiefst. Er hatte einfach schon wieder die Zügel in die Hand genommen und für mich entschieden, ohne mich zu fragen. Aber diesmal hatte er die Rechnung ohne mich gemacht.

Entschlossen griff ich zu meinem Handy und tippte wütend eine SMS an Tai, um ihm von dem Treffen zu erzählen.
 

„Das Jugendamt kommt nächste Woche für ein Gespräch zu uns nach Hause. Ich werde ihnen Hope auf keinen Fall überlassen!“
 

Tai: „Das musst du auch nicht, dafür werde ich sorgen! Mach dir keine Gedanken. Alles wird gut.“
 

Ich legte mein Handy zur Seite und biss mir schmerzlich auf die Unterlippe. Auf keinen Fall würde ich sie hergeben! Nicht noch ein Mal. Diesmal würde ich um meine Tochter kämpfen. Und wenn es sein musste, dann auch vor Gericht.
 

Die nächsten Tage vergingen eher schleichend. Ich ging zur Schule. Ich war zu Hause. Ich ging zur Schule. Ich war bei Tai und Hope. Ich war wieder zu Hause.

Es war furchtbar.

Am liebsten wäre ich jedes Mal dageblieben, wenn ich meine Tochter und Tai besuchte.

Tais Mutter hatte die nächsten zwei Wochen Urlaub, sodass sie sich ein wenig intensiver um Hope kümmern konnte – wofür ich ihr überaus dankbar war. Und auch Tais Fuß ging es langsam besser, während er weiter versuchte sich auf die Prüfungen vorzubereiten.

„Siehst du? Ich schaff das mit links“, prahlte er, während er ein Physikbuch in der Hand hielt und nebenbei einbeinig einen Fußball balancierte.

„Du solltest es nicht gleich übertreiben“, schmunzelte ich und lehnte mich auf seinem Bett zurück. „Ich habe wirklich keine Lust, noch mal deine Krankenschwester spielen zu müssen.“

„Du warst meine Krankenschwester? Das hab ich gar nicht bemerkt“, grinste Tai frech und fing den Ball gekonnt mit seinem anderen Fuß auf.

„Frechheit. Kaum kann er wieder laufen, hat er die große Klappe“, erwiderte ich und zog eine Schnute.

„Irgendwann verletz ich mich vielleicht noch mal“, sagte er und stolperte auf mich zu, woraufhin ich reflexartig zurückwich, er jedoch meinem Gesicht gefährlich nah kam. „Und dann kannst du gerne noch mal deine pflegerischen Künste unter Beweis stellen.“

„W-Wenn d-du so weitermachst, g-geht das schneller als du denkst“, stotterte ich schüchtern und wurde rot um die Nase, was Tai nur mit einem kecken Grinsen quittierte. Gott, wenn er so weitermachte, würde ich ihm nicht mehr lang wiederstehen können.

„I-Ich glaube, ich muss jetzt nach Hause“, sagte ich deshalb schnell, ehe ich mich nicht mehr im Griff hatte.

„Schade.“

Nach einigen weiteren, langen Sekunden, in denen er mir intensiv in die Augen sah und mein Herz zum Rasen brachte, ließ er von mir ab und stellte sich aufrecht hin, um mir die Hand hinzuhalten.

„Darf ich dich heute wenigstens nach Hause bringen?“

Ich lächelte dankend, schüttelte jedoch den Kopf. Ich nahm seine Hand und ließ mir von ihm aufhelfen.

„Ich denke, das ist keine gute Idee. Meine Eltern wissen noch nichts von dir. Also ich meine, sie wissen nicht, na ja… dass du… dass wir. Du weißt schon.“

„Schon klar, Prinzessin. Du schämst dich für mich.“

„Was?“, polterte ich los und sah ihn fassungslos an. „So ein Unsinn! Wie kommst du denn darauf?“

„War doch nur ein Spaß. Reg dich nicht auf!“, lachte er.

Schmollend stemmte ich die Hände in die Hüften. „Sehr witzig, Yagami.“

„Ich fand es lustig. Vor allem dein Gesicht“, grinste Tai mich frech an, während ich nur stöhnte.

„Jaah, innerlich zerreißt es mich vor Lachen!“

Ich schnappte meine Schultasche und ging an ihm vorbei, drehte mich dann jedoch noch mal um und machte einen großen Schritt auf ihn zu. Sein Lachen erstarb, als ich direkt vor ihm stehen blieb und mich auf die Zehenspitzen stellte.

„Bis morgen“, flüsterte ich verführerisch und hauchte ihm einen sanften und doch leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen, der nach so viel mehr verlangte. Völlig perplex sah er mich an. Das war das erste Mal, dass nicht er mich, sondern ich ihn küsste. Und es gefiel mir.

„Dein Gesicht ist unbezahlbar“, grinste nun ich frech und freute mich über meine Retourkutsche.

„Schon klar“, schmunzelte Tai, da er mich direkt durchschaut hatte. „Aber das war’s wert.“

Breit grinsend verließ ich sein Zimmer.

Seine Mutter saß mit Hope auf dem Arm am Esstisch und schnitt ihr Grimassen, woraufhin die Kleine immer wieder lauthals anfing zu lachen. Es freute mich wirklich, dass sie meine Tochter so aktiv in ihr Familienleben integrierte, obwohl sie ja eigentlich gar nicht dazu gehörte. Ich ging zu ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn, als sie mich anlächelte.

„Es geht ihr wirklich gut hier.“

„Allerdings. Ich hätte es nicht gedacht, aber… sie ist zauberhaft, Mimi. Ich hab sie schon richtig lieb gewonnen“, sagte Yuuko.

„Danke, das macht mich wirklich glücklich“, sagte ich aufrichtig.

„Tai hat mir erzählt, dass es bald ein Gespräch mit dem Jugendamt geben wird. Hast du dir schon überlegt, wie es weitergehen soll, Mimi?“, fragte sie mich plötzlich und die Freude, die ich eben noch empfunden hatte, wich dem dumpfen Gefühl der Realität, die mich nur allzu oft einholte. Traurig schüttelte ich den Kopf.

„Na ja, so gerne ich Hope auch habe. Immer kann sie nicht hierbleiben“, meinte Yuuko und vervollständigte damit meine Verzweiflung.

„Ich weiß“, antwortete ich geknickt.

„Uns fällt noch was ein, Mimi. Wir überlegen uns gemeinsam eine Lösung für dich und die Kleine.“

„Danke!“, seufzte ich und warf meiner glücklichen Tochter einen Blick zu. Wenigstens ging es einer von uns beiden gut. „Ich muss jetzt nach Hause. Ich komme dann morgen nach der Schule wieder.“

„Ist gut. Tschüss, Mimi“, verabschiedete Yuuko sich von mir und ich ging in den Flur, um meine Schuhe anzuziehen. Als ich die Tür öffnete, schreckte ich zurück.

„So-Sora…“

Überrascht sah ich sie an. Was machte sie hier?

An ihrer Haltung konnte ich erkennen, dass sie gerade klingeln wollte.

„Ha-Hallo, Mimi“, sagte sie kleinlaut und wich meinem Blick aus.

Sprachlos sah ich sie an. Dieses plötzliche Aufeinandertreffen überforderte mich gänzlich und ich war ganz und gar nicht darauf vorbereitet. Aber wahrscheinlich war das auch gar nicht nötig, denn sie stand ja schließlich nicht vor meiner Tür, sondern vor Tais.

Nach einer Weile des Schweigens, trat ich unvermittelt zur Seite.

„Tai ist in seinem Zimmer.“

Fragend sah sie mich an.

„Na, deswegen bist du doch hier oder?“, fragte ich trocken.

Sora schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin wegen dir gekommen.“

Ich stutzte. „Wegen mir?“

„Ja“, sagte sie und sah schüchtern zur Seite. „Ich dachte mir, dass du vielleicht hier bist.“

Ich trat hinaus und schloss die Tür hinter mir.

„Ja, ich war gerade zufällig da.“

„Zufällig?“

„Ja, ich wohne jetzt wieder zu Hause“, erklärte ich ihr beiläufig, als wäre es keine große Sache.

„Und deine Tochter?“, fragte Sora, doch ich sah sie nur verständnislos an. Wieso interessierte sie das plötzlich?

„Warum bist du hier, Sora?“, fragte ich gerade heraus und ignorierte somit ihre Frage nach meiner Tochter.

Sora seufzte schwer. „Ich dachte, wir könnten reden. Hast du vielleicht Lust auf einen Spaziergang?“

Ich war sichtlich überrascht darüber, dass ausgerechnet sie jetzt den ersten Schritt machte, doch ich nickte. Wenn sie endlich eine Aussprache wollte, dann war ich bereit dafür.
 

Wir gingen eine Weile durch den Park. Schweigend. Keine von uns beiden wusste, wie sie anfangen sollte. Und ich wollte sie nicht bedrängen.

„Wollen wir uns setzen?“, fragte Sora schließlich und wir ließen uns auf die nächste Bank nieder.

„Du hast mir geschrieben, ob wir reden können“, begann sie schüchtern. „Und ich glaube, ich bin jetzt bereit dafür.“

„Das freut mich“, sagte ich ehrlich, doch ich wurde auch nervös. Was hatte sie mir zu sagen?

„Du hast dich sicher gefragt, was mit mir los war. Warum ich dir nicht zuhören konnte.“

Ich nickte. Und ich hoffte, dass sie nun endlich bereit war, mir zuzuhören. Aber erst würde ich ihr zuhören.

„Ich war einfach völlig überrumpelt von dieser plötzlichen Situation, Mimi. Verstehst du? Erst bist du Monate lang weg. Dann kommst du mir nichts, dir nichts wieder und bist plötzlich so verändert. Ich habe mir wirklich ernsthaft Sorgen um dich gemacht. Ich wollte für dich da sein, die ganze Zeit über. Ich wusste, es musste irgendetwas vorgefallen sein, aber ich wollte dich auch nicht bedrängen. Dass du dich dann ausgerechnet Tai anvertraut hast, hat mich verletzt. Ich dachte immer, wir könnten über alles reden, Mimi. Als ich dann herausgefunden habe, dass du eine Tochter hast und Tai offensichtlich der Vater ist, war ich geschockt.“

„Nein, Sora. So ist das nicht!“, fiel ich ihr schnell ins Wort, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Ich weiß. Ich weiß, dass Tai nicht der Vater ist.“

Verwirrt sah ich sie an. „Woher?“

„Er hat es mir gesagt“, entgegnete sie leicht lächelnd.

„Achso…“, meinte ich betrübt und sah zu Boden. Er hatte also inzwischen mit Sora darüber gesprochen. Warum hatte er nicht erzählt, dass sie sich ausgesprochen hatten?

„Ich kam mir einfach so hintergangen vor“, setzte Sora unbeirrt fort. „Du hast uns alle die ganze Zeit angelogen. Bis auf Tai wusste einfach niemand, was wirklich mit dir passiert ist. Und dass er es selbst mir nicht sagen wollte, kränkte mich noch mehr. Es war ein komisches Gefühl für mich, euch beide plötzlich so vertraut miteinander zu erleben. Früher hast du immer deine Sorgen mit mir geteilt und auch Tai hat das. Er war ja auch mein bester Freund. Doch plötzlich teiltest du deine Sorgen mit ihm und er mit dir.“

„Sora“, sagte ich verständnisvoll und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Als sie mich ansah, konnte ich erkennen, dass sie Tränen in den Augen hatte.

„Wenn du Angst hast, dass ich dir deinen besten Freund wegnehme oder dass ich nicht mehr deine beste Freundin bin… dann kann ich dich beruhigen. Das wird nicht passieren.“

Doch Sora schüttelte wieder den Kopf und wischte sich dabei eine Träne weg.

„Nein, das ist es gar nicht. Ich weiß selbst nicht, was mit mir los ist. Ich denke, ich war einfach nur gekränkt, dass ich nicht in dein Geheimnis einbezogen wurde. Ja, das ist sicher alles“, sagte sie, als müsse sie sich von dieser Tatsache erst einmal selbst überzeugen. Doch für mich klang es verständlich. Ihre Gefühle waren nachvollziehbar.

„Du hast wirklich eine süße Tochter, Mimi. Auch, wenn ich nie gedacht hätte, dass sie hinter deinem Geheimnis steckt“, meinte Sora plötzlich und lächelte mich an.

Ich grinste verlegen. „Na ja, darauf wäre sicher auch keiner gekommen. Und ich wusste einfach nicht, wie ich es euch sagen sollte. Außerdem… wurde mir verboten, darüber zu sprechen.“

Es war an der Zeit, dass auch ich ehrlich zu Sora war. Sie musste nicht weiter nachfragen. Ich erzählte ihr alles. Wie ich Hayato kennengelernt und mit ihm eine heimliche Liebesbeziehung geführt hatte. Wie er mich und meine Familie unter Druck gesetzt hatte. Wie sehr ich ihn dafür hasste, dass er mir meine Tochter nicht gönnte. Und auch, wie aufopferungsvoll Tai mir geholfen hatte. Ich erzählte ihr einfach alles. Und sie hörte einfach nur zu, bis ich fertig war.

„So ist das also“, sagte sie schließlich und sah mich mitleidig an. „Es tut mir leid, dass dir das alles passiert ist.“

„Muss es nicht“, schüttelte ich den Kopf. „Wenn das alles nicht passiert wäre, hätte ich niemals erfahren, wie glücklich mich Hope macht. Weißt du, alles schlechte was passiert, hat auch irgendwo etwas Gutes. Man muss es nur sehen können.“

Sora nickte und griff nach meiner Hand.

„Du bist wirklich stark, Mimi. Du solltest es nicht länger geheim halten. Wenn du es den anderen erzählst, werden sie dir sicher auch beistehen. Wie ich.“

Dankbar lächelte ich sie an. „Das heißt, du bist nicht mehr böse auf mich?“

„Ich war nie wirklich böse auf dich, Mimi. Ich habe es nur nicht verstanden. Aber jetzt verstehe ich es. Und wenn du meine Hilfe brauchst, bin ich für dich da.“

Tränen stiegen mir in die Augen und am liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen. Es fühlte sich unglaublich erleichternd an, sich endlich mit ihr ausgesprochen zu haben. Und doch war da noch eine Sache, die mir noch immer auf der Seele brannte und die ich endlich loswerden musste.

„Sora, kann ich dich noch etwas fragen?“

„Ja, was denn?“

Es wollte mir kaum über die Lippen kommen. Aber ich musste es wissen…

„Bist du… Bist du glücklich? Ich meine, mit Yamato?“, stammelte ich und Sora sah mich verdutzt an. „Wie meinst du das?“

„Ich meine, macht er dich glücklich? Liebst du ihn, von ganzem Herzen?“

Sora überlegte kurz, als müsste sie intensiv über meine Frage nachdenken. Dabei war es eine ganz einfache Frage, auf die es nur zwei Antworten gab.

„Ja… Ja, ich denke schon“, lächelte sie schließlich. „Yamato ist wirklich toll. Ja, er macht mich wirklich glücklich. So sehr, dass ich manchmal denke, ich hätte ihn gar nicht verdient.“

Das war die Antwort, die ich brauchte. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich war so froh, dass sie diese Frage mit Ja beantwortet hatte. Aber vor allem war ich froh, dass sie anscheinend doch keine tieferen Gefühle für Tai zu haben schien. Auch, wenn sie das nicht direkt gesagt hatte, aber ich hatte ja auch nicht direkt danach gefragt.

„Danke, dass du so ehrlich zu mir warst, Sora.“

Sora blickte verlegen zur Seite und räusperte sich.

„Und du? Was ist mit dir?“, fragte sie kleinlaut.

„Was meinst du?“, hakte ich nach, da ich keine Ahnung hatte, worauf sie hinauswollte.

„Bist du… also, bist du glücklich mit Tai?“

Das wollte sie also wissen. Doch was sollte ich ihr darauf antworten?

„Er ist der Grund, warum es mir besser geht, also… würde ich schon sagen, dass er mich glücklich macht“, sagte ich.

Ich hatte ihr nicht genau erzählt, was inzwischen alles zwischen mir und Tai passiert war und auch nicht, dass er gesagt hatte, dass er mich liebte. Doch Sora war nicht dumm. Natürlich konnte sie sich ihren Teil denken.

„Verstehe“, sagte sie leise und senkte den Blick. „Das ist gut. Tai ist toll. Er hat es verdient, dass du bei ihm bist.“

Fragend sah ich sie an, als sie aufstand. Ich verstand nicht, was genau sie mir damit sagen wollte, doch ich wollte auch nicht weiter nachfragen. Irgendwie sagte mir mein Gefühl, dass es fürs erste besser war, das Thema Tai nicht weiter zu vertiefen. Wir hatten uns endlich ausgesprochen und das war im Moment alles, was zählte.

„Wirst du es den anderen sagen?“, fragte Sora mich, als sie mich noch ein Stück nach Hause begleitete.

Ich seufzte schwer und zuckte mit den Schultern. „Ich bin mir nicht sicher. Sie werden nicht begeistert sein, dass ich sie angelogen habe.“

„Ich finde, du solltest es ihnen sagen. Erleichtere dein Gewissen, Mimi. Sonst frisst es dich früher oder später auf. Sei einfach aufrichtig zu ihnen. Sie werden es verstehen“, ermutigte mich Sora und ich nickte.

In Wahrheit hatte ich Angst davor. Auch jetzt noch, nach allem was geschehen war. Ich war schon so weit gekommen und doch hatte ich immer noch Angst davor, ehrlich zu mir selbst und zu anderen zu sein. Doch jedes Geheimnis musste einmal sterben. Oder?

Eifersucht

„Bist du nervös?“, fragte Tai, während ich vor dem Spiegel stand, mein Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt hatte und gleichzeitig versuchte, mir die Haare zu richten.

„Etwas schon, ja“, gestand ich ihm. Den ganzen Tag über hatte ich schon dieses ungute Bauchgefühl. Es war wie vor einer Prüfung, vor der man nicht gelernt hatte.

Apropos Prüfung…

„Wie sieht’s bei Ihnen aus, Herr Yagami. Sind Sie aufgeregt?“, fragte ich und vernahm ein deutliches Zischen.

„Wieso sollte ich? Wenn ich in etwas gut bin, dann ist es Mathe. Das müsstest du am besten wissen, Schätzchen.“

Ich musste grinsen. „Du bist ziemlich überheblich“, stellte ich amüsiert fest.

„Ich bin nur selbstsicher“, entgegnete Tai locker und das war noch nicht mal gespielt. In zwei Stunden würden die Leute vom Jugendamt kommen, um mit uns ein Gespräch über Hopes Zukunft zu führen. Tai konnte leider nicht dabei sein, da ihm seine erste Prüfung bevorstand. Man konnte sagen, ich war doppelt aufgeregt. Wobei ich mir wegen Tai wahrscheinlich keine Sorgen machen musste.

„Mach dir keine Sorgen“, sagte Tai am anderen Ende der Leitung, als hätte er schon wieder meine Gedanken gelesen. Durch das Telefon.

„Meine Mutter wird nachher bei dem Gespräch dabei sein. Wir haben gestern noch lang und breit darüber gesprochen, welche Lösung es für dich und Hope geben könnte.“

„Und?“, hakte ich unsicher nach. „Ist euch was eingefallen? Ich für meinen Teil bin ziemlich ratlos.“ Die letzten Tage hatte ich krampfhaft überlegt, was ich tun konnte. Was wir tun konnten. Tais Adoption war eine Möglichkeit. Aber noch lange nicht die Beste, das wussten wir alle. Ob allein die Tatsache, dass er ein guter Vater für Hope wäre, für das Jugendamt ausreichen würde, um sie mir zu lassen? Da war ich mir nicht sicher. Es stand alles in den Sternen und alles auf dem Spiel. Und mir wollte einfach keine Lösung einfallen, als letztendlich mein Recht, meine Tochter selbst groß zu ziehen, vor Gericht einzuklagen. Dafür musste ich allerdings erst Mal das Jugendamt und meine Eltern davon überzeugen, dass ich erwachsen genug für so eine Aufgabe war. Ich war immer noch Minderjährig und das war mein großer Minuspunkt.

„Uns ist etwas eingefallen“, sagte Tai schließlich und ließ mich überrascht hochfahren.

„Wirklich? Und was?“

Hatten sie tatsächlich eine Lösung parat?

„Meine Mutter wird dir nachher alles genauer erklären. Ich habe jetzt leider keine Zeit mehr, die Prüfung beginnt gleich.“

„Okay“, seufzte ich. „Dann bis später. Ach, und Tai?“

„Hm?“

„Viel Glück.“

„Dir auch, Prinzessin“, sagte er und legte auf. Ich lächelte und legte das Handy auf meinen Schreibtisch, ehe ich mich das gefühlt hundertste Mal vor den Spiegel stellte und kritisch beäugte. Ich hatte meine Haare zu leichten Wellen geföhnt, hatte mir eine Jeanshose und einen schwarzen Blazer angezogen. Ich zupfte ihn zurecht und betrachtete mich von allen Seiten, denn ich wollte so erwachsen wie nur irgend möglich aussehen. Was blieb mir auch sonst anderes übrig? Tai meinte zwar, dass ihm und seinen Eltern etwas eingefallen wäre, aber was sollte das sein? Ich war mehr als gespannt darauf, welches Ass Frau Yagami aus dem Ärmel zaubern würde und ob es mir wirklich weiterhelfen würde…
 

Zwei Stunden später war es soweit und der Albtraum wurde Wirklichkeit.

Ich saß mit meinen Eltern an einem Tisch, sie mir gegenüber und die Frau vom Jugendamt neben mir. Es war eine andere, als beim letzten Mal und ich wusste nicht, ob mich das erleichtern oder beunruhigen sollte. Ich konnte sie nicht einschätzen, doch sie schien noch recht jung zu sein. Zum dritten Mal in der letzten halben Stunde sah sie jetzt auf ihre Armbanduhr und räusperte sich, während mein Vater ungeduldig mit den Fingern auf den Tisch trommelte. Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so angespannt war die ganze Situation.

„Ich denke, wir sollten anfangen“, sagte sie schließlich, doch Tais Mutter war immer noch nicht da. So langsam wurde auch ich nervös. Hatte sie es vergessen? Würde sie überhaupt noch kommen?

Just in diesem Moment klingelte es an der Tür und ich sprang von meinem Stuhl auf.

„Das muss sie sein!“

Ich lief schnell zur Tür, um ihr aufzumachen. Sie lächelte mich an. Und sie war nicht allein gekommen.

„Hope!“, strahlte ich über beide Ohren.

„Tut mir leid, dass ich zu spät bin. Ich habe niemanden gefunden, der auf sie aufpassen konnte, also musste ich sie mitbringen“, erklärte sie mir, während ich ihr die Tür aufhielt.

„Das ist gar kein Problem. Ich freue mich, dass sie hier ist. Sie gibt mir Kraft.“

„Ich hoffe, ihr habt noch nicht ohne mich angefangen“, sagte Frau Yagami und zog ihre Schuhe raus, ehe sie geradewegs mit Hope ins Wohnzimmer spazierte, als wäre sie hier zu Hause.

„Guten Tag, freut mich Sie alle kennenzulernen. Ich bin Frau Yagami, die Mutter von Tai. Und ich habe Besuch mitgebracht“, verkündete sie selbstbewusst, als wäre alles völlig normal und entspannt.

Bewundernd sah ich ihr hinterher. Also entweder sie bluffte gerade und konnte sich verdammt gut verstellen oder sie hatte ein riesen Ass im Ärmel.

Was auch immer es war – ich beschloss, ihr einfach zu vertrauen. Ich straffte meine Schultern, atmete ein letztes Mal tief ein und ging ebenfalls ins Wohnzimmer, wo ich wieder meinen gewohnten Platz einnahm.

„Sehr schön. Da wir jetzt alle vollzählig sind, können wir ja beginnen“, sagte die Beamtin und schlug ihre Unterlagen auf.

Ich konnte sehen, wie meine Mutter kurz abgelenkt von Hopes plötzlichem Erscheinen war. Sie sah sie an, als wäre sie eine Fata Morgana. Was nicht verwunderlich war, denn sie hatte sie noch nie in ihrem Leben gesehen. Mein Vater hingegen reagierte gewohnt kühl. Außer eines kurzen Blickes hatte er nichts für meine Tochter übrig. Ein Grund mehr ihm die Stirn zu bieten.

„So, wir sind also hier, um darüber zu sprechen, wo Hope in Zukunft leben wird und vor allem, wer sie großzieht. Ich denke…“

„Ich denke, wir sollten gar nicht erst um den heißen Brei drum rumreden. Wir wissen schließlich alle, warum wir hier sind“, unterbrach Yuuko die Beamtin. Meine Güte. Diese Frau hatte vielleicht Haare auf den Zähnen. Aber wie hieß es so schön? Angriff ist die beste Verteidigung. Also los!

„Ich möchte, dass Hope bei mir bleibt und auch bei mir aufwächst. Ich bin ihre Mutter. Sie gehört zu mir und zu niemanden sonst!“, sagte ich selbstbewusst, wobei Yuuko ein kurzes Grinsen über die Lippen huschte. Es war wichtig, dass wir jetzt an einem Strang zogen.

„Gut, äh… ja, gut. Wie sehen Sie das, Frau und Herr Tachikawa?“

Die Beamtin sah meine Eltern erwartungsvoll an. Mein Vater räusperte sich.

„Wir wollen nur das Beste für unsere Tochter. Sie ist definitiv noch zu jung ein Kind großzuziehen. Sie ist minderjährig und hat keine Erfahrung, was es heißt, für einen anderen Menschen Verantwortung zu übernehmen.“

„Ich weiß sehr wohl, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin schließlich nicht ihr Vater…“ Ich unterbrach meinen Satz, da mich die Beamtin bereits fragend ansah und ich nicht zu viel sagen durfte. Nachdenklich blätterte sie in ihren Unterlagen.

„Fräulein Tachikawa, in den Unterlagen steht, dass sie den Vater als unbekannt angegeben haben. Ist das richtig?“

„Ja.“

„Aber hier steht auch, dass sie einen festen Freund haben, der, laut eigenen Angaben bereit wäre, ihre Tochter sogar zu adoptieren. Ist das richtig.“

„Ja“, sagte ich wieder und warf Yuuko einen kurzen Blick zu. Immer noch schien sie recht gelassen, während Hope auf ihrem Schoß vergnügt vor sich hin grinste. Die süße Kleine hatte absolut keine Ahnung, um was es hier ging und dass dieses Gespräch darüber entscheiden würde, wie ihr weiteres Leben verlaufen sollte.

„In meinen Unterlagen steht auch, dass ihr Freund ebenfalls noch nicht volljährig ist. Das dürfte ihr Vorhaben sehr erschweren, wenn ich das anmerken darf“, fuhr die Beamtin fort.

„Deswegen sind wir der Meinung, es wäre das Beste, wenn Mimi ihre Tochter weggeben würde“, warf mein Vater prompt ein, woraufhin ich ihn böse anfunkelte. „Es muss ja nicht für immer sein. Vielleicht besteht die Möglichkeit, sie vorerst in eine Pflegefamilie zu geben, bis Mimi ihre Schule beendet hat und dann könnten wir gemeinsam sehen, wie es weitergeht.“

„Blödsinn!“, fuhr ich ihn an und war kurz davor die Fassung zu verlieren. „Du spielst doch nur auf Zeit. Du wartest doch nur darauf, dass ich einen Fehler mache und du einen Grund hast, sie mir wegzunehmen!“

„Wenn ich dazu etwas sagen dürfte?“, mischte sich Frau Yagami ein und wir sahen sie alle gespannt an. War jetzt der Moment gekommen, in dem sie den Joker ziehen würde?

„Ich weiß, dass mein Sohn selbst noch zur Schule geht und beide minderjährig sind. Aber ich kann Ihnen versichern, dass die zwei sich wirklich aufopferungsvoll um Hope gekümmert haben, in den letzten Wochen – neben der Schule. Mein Sohn schreibt gerade seine Prüfungen und trotzdem hat er es geschafft, Hope jeden Abend ins Bett zu bringen und ihr ein Gutenachtlied vorzusingen. Wenn Mimi und Tai mal keine Zeit hatten, sich um sie zu kümmern, waren entweder ich, mein Mann oder meine Tochter da, um auf sie aufzupassen. Wissen Sie…“ Und nun wandte sie sich direkt an meine Eltern.

„Sie können wirklich stolz auf ihre Tochter sein. Was Mimi in den letzten Wochen alles bereit war, für Hope zu tun, war wirklich erstaunlich. Sie gibt sich außerordentlich viel Mühe, ihrer Aufgabe als Mutter gerecht zu werden. Mein Sohn und sie sind wirklich ein tolles Team, das können sie mir glauben. Und wenn sie nichts dagegen haben, würde ich gerne einen Vorschlag machen.“

Tatsächlich. Es war soweit. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Was hatten sie sich nur überlegt? Alle hörten gespannt zu, was Frau Yagami zu sagen hatte.

„Kürzlich ist bei uns nebenan eine Wohnung freigeworden. Ich schlage vor, dass Mimi dort mit Hope einzieht. Das wäre eine gute Möglichkeit für sie, sich von ihrem Elternhaus zu lösen und mit ihrer Tochter auf eigenen Beinen zu stehen, ohne, dass sie dabei allein wäre. Mein Sohn und ich würden sie weiterhin unterstützen. Natürlich auch, bis sie die Schule beendet hat.“

Eine Weile herrschte Schweigen. Alle dachten angestrengt nach und auch bei mir musste diese Idee erstmal sacken. Aber eins wusste ich schon jetzt: ich fand sie genial!

„Und wer soll diese Wohnung bezahlen?“, warf mein Vater schleunigst ein, da er bereits sah, wie sein Plan den Bach runterging.

„Nun ja“, sagte sie Beamtin und überlegte. „Wir könnten Ihre Tochter natürlich finanziell unterstützen. Allerdings würden Sie weiterhin das vorläufige Sorgerecht für Hope behalten, bis sie volljährig ist. Einwilligen müssten Sie also schon, sonst darf ihre Tochter nicht allein wohnen.“

Ich warf meiner Mutter einen flehenden Blick zu. Warum sagte sie nichts?

Ihre Augen huschten immer wieder zwischen Hope und mir hin und her.

„Bitte, Mom“, formte ich mit meinen Lippen und hoffte, an das letzte Fünkchen Verstand in ihr zu appellieren. Sie wandte sich meinem Vater zu.

„Ich finde, das ist vielleicht gar keine schlechte Idee“, äußerte sie zaghaft.

Mein Vater sah erst sie und dann uns alle fassungslos an.

„Haben denn hier alle plötzlich den Verstand verloren? Mimi ist doch selbst noch ein Kind und sie kann nicht…“

„Sie ist kein Kind mehr!“, warf Yuuko nun etwas lauter ein. „Sie hat eine Tochter und sie möchte Verantwortung für ihr Kind übernehmen und für sie sorgen. Macht Sie das nicht stolz?“

Ich konnte sehen, wie sehr es in seinem Kopf arbeitete. Er suchte nach einer Lösung. Doch er fand sie nicht.

„Ich wäre stolz, wenn ich eine Tochter, wie Mimi hätte. Sie macht ihre Sache wirklich ganz toll für ihr Alter.“ Yuuko griff nun nach der Hand meiner Mutter und sah sie eindringlich an, da sie anscheinend gemerkt hatte, dass mit meinem Vater kein Reden war.

Plötzlich lächelte meine Mutter und sie sah mich an, als wären das erste Mal seit Monaten Worte zu ihr durchgedrungen. Sie nickte mir zu, wandte sich dann meinem Vater zu.

„Ich finde, ein Versuch ist es wert.“

„Was?“

„Wir müssen anfangen, Mimi zu vertrauen, dass sie das Richtige tun wird. Ich denke, sie kann es schaffen. Wenn wir sie nur lassen.“

Mein Vater stöhnte schwermütig auf und fuhr sich durch die Haare. Er stand nun ganz alleine da. Was wollte er noch tun? Sicherlich dachte er gerade an seinen Job, seinen Chef und an Hayato. Doch das half ihm jetzt auch nicht weiter.

„Komm schon! Gib dir einen Ruck, Keisuke“, versuchte meine Mutter weiterhin auf ihn einzureden.

„Wir können Fräulein Tachikawa eine Frist setzen“, sagte nun die Beamtin, da sie sah, wie sehr mein Vater mit sich haderte. „Wir geben ihr, sagen wir, ein halbes Jahr Zeit, um sich in ihrer Rolle als Mutter einzufinden. Natürlich werden regelmäßige Besuche unsererseits stattfinden. Nach sechs Monaten können wir sehen, wie sie sich gemacht hat und dann entscheiden, wie es weitergeht. Das wäre sicher auch in Ihrem Interesse, Frau Tachikawa“, sagte sie nun und lächelte mich an. Diese Frau wurde mir immer sympathischer.

„Wenn sie sich in diesem halben Jahr bewehren, sollte es kein Problem sein, dass Hope bis zu ihrer Volljährigkeit bei Ihnen bleibt. Und wenn Sie sie dann immer noch behalten wollen, sehe ich keinen Anlass für eine Adoption. Es sei denn, ihr Freund möchte dann immer noch… Ach, wo wir gerade beim Thema wären.“

Sie wandte sich an Yuuko, die sie gespannt ansah und der ich am liebsten augenblicklich um den Hals gefallen wäre.

„Mimis Chancen würden sich deutlich verbessern, wenn sie in einer stabilen Beziehung leben würde und somit Hope ein familiäres Umfeld bieten könnte. Aber dies nur so am Rande…“

Ich sah sie mit großen Augen an. Hatte sie gerade Yuuko vorgeschlagen, dass sie ihren Sohn mit bei mir einziehen lassen sollte?

Ich musste mich ernsthaft beherrschen, dass mein Mund nicht aufklappte, denn dieses Gespräch verlief überhaupt nicht so, wie ich es mir ausgemalt hatte. Es verlief besser! Deutlich besser!

Frau Yagami und ich tauschten einen kurzen Blick aus, in dem sie mir bedeutete, dass wir über dieses Thema noch sprechen würden. Ich machte mir nicht viele Hoffnungen, dass sie Tai erlauben würde, mit bei mir einzuziehen, aber allein der Gedanke daran, verschaffte mir innerliche Luftsprünge.

Nun lag es nur noch an meinem Vater, der inzwischen angestrengt auf seiner Unterlippe herum kaute.

„Ein halbes Jahr?“, sagte er und sah mich an.

Ich nickte.

„Und wenn du es nicht schaffst, kommst du nach Hause zurück und gibst Hope in eine Pflegefamilie?“

Es fiel mir schwer, doch ich nickte und stimmte somit dieser Bedingung zu. Denn das würde niemals passieren! Ich würde nicht versagen. Da konnte er lange darauf warten!

„Gut, von mir aus“, sagte er schließlich und lehnte sich zurück. „Versuch es. Wenn du es unbedingt willst.“

Sämtliche Anspannung fiel in diesem Moment von mir ab und ich konnte nicht anders, als aufzuspringen und nun tatsächlich Yuuko um den Hals zu fallen. Ich konnte mich sogar dazu durchringen, meine Mutter dankend zu umarmen.

„Danke, dass du das gemacht hast, Mom“, flüsterte ich in ihr Ohr.

Sie lächelte mich an und eine kleine Träne rollte ihre Wange hinab.

Ich beugte mich zu Hope hinab und schloss sie in meine Arme. Nun konnte uns nichts und niemand mehr trennen.

„Dann wären wir hier fertig“, sagte Frau Yagami und erhob sich, ebenso wie die Beamtin.

„So wie ich. Richten Sie sich in Ruhe ein, Fräulein Tachikawa. Ich komme Sie dann in ein paar Wochen besuchen und sehe nach dem rechten. Wenn Sie Hilfe brauchen, rufen Sie mich an.“

„Haben Sie vielen Dank!“, sagte ich und reichte ihr die Hand. Ich war überglücklich! Das war der beste Tag seit langem!

Die Beamtin verabschiedete sich höflich von meinen Eltern und bedankte sich für die kooperative Zusammenarbeit, ehe sie die Wohnung verließ.

„Da wir das erledigt hätten, werden wir uns auch wieder auf den Heimweg begeben“, verkündete Frau Yagami und verabschiedete sich dennoch höflich von meinen Eltern, als ich ihr Hope wiedergeben wollte.

Fragend sah sie mich an und grinste dann. „Kommst du nicht mit?“

„Wie?“ Wahrscheinlich war ich noch so unter Schock über diese Neuigkeiten, dass ich echt auf dem Schlauch stand.

„Die Wohnung steht seit zwei Wochen leer, Mimi. Ich habe schon mit dem Vermieter gesprochen, wir kennen uns ja bereits seit Jahren. Wenn du möchtest, kannst du morgen einziehen.“

Meine Augen weiteten sich und wurden feucht. Ich durfte mitkommen? Mit Hope?

„Heute Nacht kannst du mit Hope gerne noch mal bei uns schlafen“, schlug sie mir vor und ich begann heftig zu nicken, da ich außerstande war noch irgendetwas zu sagen. Das musste sie mir nicht zwei Mal sagen!

Ich war einfach sprachlos. Tai würde ausflippen, wenn er davon erfuhr!
 

„Ich bin etwas aufgeregt“, gestand ich Yuuko, als sie das erste Mal mit mir in meiner ersten, eigenen Wohnung stand. Als ich mir die leeren Zimmer ansah, konnte ich immer noch nicht glauben, was während der letzten Stunden alles passiert war und wie sehr sich mein Leben dadurch verändert hatte. Falls das ein Traum war, wollte ich nie wieder daraus aufwachen.

„Das ist verständlich, Mimi. Es ging ja auch alles recht schnell. Aber wir können morgen die ersten Sachen rüber schaffen. Dann sieht es gleich etwas wohnlicher hier aus“, sagte sie und strich mit dem Finger über den angesetzten Staub auf der Küchenzeile. Sie verzog das Gesicht, lächelte dann jedoch zuversichtlich.

„Na ja, das kriegen wir schon hin. Einmal mit dem Lappen drüber und schon ist es schick hier.“

„Frau Yagami?“, unterbrach ich sie und sah sie dankend an. „Danke, dass Sie mir beigestanden haben. Ohne Sie und Tai hätte ich das nie geschafft.“

„Ist schon gut, Mimi“, lächelte sie und legte den Kopf schief. „Du scheinst Tai eine Menge zu bedeuten und wenn er glücklich ist, dann bin ich es auch. Und übrigens: nenn mich Yuuko. Schließlich sind wir ja bald Nachbarn.“

Sie zwinkerte mir zu, als mir etwas einfiel.

Tai…

Ich hatte mich noch gar nicht bei ihm gemeldet. Ob seine Prüfung schon vorbei war?

„Oh, ich rufe Tai gleich mal an und erzähle ihm alles.“

„Gut, mach das. Ich lass dich erst mal allein.“

Ich kramte in der Hosentasche nach meinem Handy, als Yuuko die Wohnung verließ.

Eilig wählte ich seine Nummer. Ich konnte es kaum erwarten, ihm die Neuigkeit zu berichten.

Es dauerte nicht lange, bis er abhob.

„Mimi?“

„Tai“, sagte ich und grinste so heftig ins Telefon, dass ich sicher schon albern dabei aussah, doch ich konnte einfach nicht anders.

„Es hat geklappt, Tai. Ihr seid genial! Ich ziehe bei euch ein! Also… nebenan, meine ich natürlich. Ach, ich bin so aufgeregt“, verkündete ich begeistert und strahlte dabei über beide Ohren.

„Das sind sehr gute Neuigkeiten. Siehst du, ich hab doch gesagt, alles wird gut.“

„Ja, das hast du…“, sagte ich verlegen und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr. Ob ich ihm schon davon erzählen sollte, dass die Frau vom Jugendamt vorgeschlagen hatte, dass er ebenfalls hier einziehen könnte?

Nein, das würde ich ihm lieber persönlich sagen. Unter vier Augen. Ich konnte es kaum erwarten, ihn zu sehen.

„Wann kommst du nach Hause? Oh, und wie war deine Prüfung? Ist es gut gelaufen? Hast du den Abschluss so gut wie in der Tasche?“, grinste ich, woraufhin Tai lachte.

„Na und ob, Kleines. Das war ein Klacks für mich. Aber gut, dass du es ansprichst. Yamato und Sora wollten noch mit mir darauf anstoßen, dass wir unsere erste Prüfung hinter uns gebracht haben…“

Die eben empfundene Euphorie verflüchtigte sich und mein Herz rutschte augenblicklich in den Keller. Sora?

„Oh, ähm… ja. Ja, natürlich“, sagte ich unsicher. Zum Glück konnte Tai gerade nicht sehen, wie unruhig ich innerlich wurde. War denn tatsächlich alles schon wieder vergeben und vergessen? Taten denn alle einfach so, als wäre nichts gewesen?

Tai wusste es nicht, aber als er ihren Namen sagte und dass er den Abend mit ihr, anstatt mit mir verbringen würde, wurde ich eifersüchtig. Er konnte nicht wissen, warum das so war. Er wusste ja schließlich nichts davon, dass ich seinen Nachrichtenverlauf gelesen hatte. Er wusste nur, dass ich mich mit ihr ausgesprochen hatte und dass offensichtlich wieder alles okay zwischen uns war.

War es das auch wirklich?

„Okay, ich melde mich später bei dir“, sagte Tai und ich wollte schon auflegen. „Ach, und Mimi?“

„Hm?“

„Ich freue mich wirklich für dich. Du hast es verdient.“

„Ja… Ja, danke“, brachte ich nur noch über die Lippen. „Bis später.“ Ich legte auf und ließ frustriert das Handy sinken.

Er würde heute Abend nicht da sein. Er würde bei ihr sein. Es fiel mir schwer, mir das einzugestehen, aber es wurmte mich. Und sofort machte sich wieder dieses ungute Gefühl in mir breit. Misstrauen.

Die Tatsache, dass Yamato ja dabei war, half dabei wenig…
 

Ein paar Stunden später lag ich bereits in seinem Bett, denn es war schon spät. An Schlaf war leider nicht zu denken. Immer wieder schielte ich zu dem Handy, auf dem Nachttisch hinüber, in der Hoffnung, eine Nachricht von ihm zu erhalten.

So gerne hätte ich die Gedanken vertrieben, die sich wie wild in meinem Kopf tummelten und wie leise Stimmen auf mich einredeten.
 

Es ist alles in Ordnung. Sie sind nur Freunde.

Sind sie nicht und du weißt es.

Ich weiß gar nichts.

Doch! Erinner dich, du hast die SMS gelesen. Irgendwas ist da faul.

Da ist gar nichts faul. Sora ist meine Freundin und Tai ist quasi mit mir zusammen… na ja, zumindest denke ich das. Er würde das nicht tun.

Wie sehr kannst du ihm vertrauen?

Wie sehr kannst du ihr vertrauen?

Gerade, als die Gedanken anfingen mich mürbe zu machen, klingelte das Handy und versetzte mir einen Schock.

Hektisch hob ich ab.

„Hallo?“

„Mimi, du bist ja noch wach.“

„Tai…“, sagte ich und fuhr mir nervös durch die Haare. „Ja, ich konnte nicht schlafen. Das war alles etwas viel für einen Tag.“

„Verstehe“, sagte Tai und zögerte einen Moment, als ich im Hintergrund lautes Gelächter hörte und eindeutig die Stimme meiner besten Freundin erkannte.

„Tai, wo bleibst du denn? Komm wieder rüber!“

Sie war definitiv angetrunken! Tai lachte. „Ja, ich komme gleich.“

Mir gefiel das gar nicht…

„Ist… ist Yamato gar nicht bei euch?“, fragte ich unsicher nach.

„Was? Nein, der ist schon gegangen. Der hat morgen einen wichtigen Auftritt mit seiner Band und wollte fit sein. Ich bringe Sora nachher noch nach Hause. Das heißt, wenn ich sie irgendwann mal hier wegbekomme.“ Wieder hörte ich, wie sie miteinander rumalberten und lachten und am liebsten hätte ich aufgelegt. Was ich letztendlich auch tat.

„Alles klar, dann viel Spaß noch! Ich schlafe jetzt“, sagte ich und legte auf, ohne eine Antwort abzuwarten.

Ich konnte das nicht ertragen! Selbst, wenn es rein freundschaftlich war, war es momentan einfach zu viel für mich. Für mich waren längst noch nicht alle Fragen geklärt, auch, wenn ich mich mit Sora ausgesprochen hatte.

Frustriert ließ ich mich zurück ins Kissen fallen, um die dunkle Decke von Tais Zimmer anzustarren.

Ich musste daran denken, was Sora gesagt hatte. Dass sie glücklich mit Yamato war und wie toll er zu ihr war. Doch… ich musste auch daran denken, was ich einst zu Tai gesagt hatte.

Was, wenn man dieselben Gefühle für zwei Personen hatte?

Und was, wenn eine der Personen davon wusste…?

Versprechen

Irgendwann hatte die Müdigkeit mich doch in den Schlaf getrieben, doch als plötzlich die Tür ging, schrak ich hoch. Schnell sah ich auf die Uhr auf meinem Handy. Es war 3.00 Uhr nachts.

Einen Moment später ging die Zimmertür auf und Tai kam herein. Erst, als er die Tür hinter sich schloss, erkannte er mich und schrak zurück.

„Gott, Mimi. Hast du mich erschreckt!“, sagte er geschockt und fasste sich an die Brust, ehe er zu mir rüberkam und sich ans Bett setzte. „Was machst du denn hier?“ Durch das Licht der Straße, dass durch die Fenster schien, konnte ich erkennen, dass er grinste.

„Deine Mutter hat mir erlaubt, heute noch eine Nacht hier zu bleiben. Morgen kann ich dann die Wohnung nebenan beziehen“, erklärte ich ihm ruhig und er lächelte.

„Das ist super! Hätte nicht gedacht, dass es so schnell geht. Aber je eher du von zu Hause weg kommst, desto besser“, sagte er und stand auf. Er ging zu seinem Schreibtisch und zog sich sein Shirt über den Kopf. „Man, hab ich einen Schädel dran.“

Ich biss mir auf die Unterlippe.

Sollte ich fragen?

„Wie… Wie war es denn?“

„Hm? Ähm… Gut! Es war toll, mal wieder was mit den beiden zu unternehmen. Auch, wenn Yamato sich ziemlich früh verabschiedet hat.“

Tai kam wieder zu mir, setzte sich hin und strich mir mit der Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Warum hast du denn nicht gesagt, dass du heute hier übernachtest? Dann wäre ich eher nach Hause gekommen.“

„Ich wollte dich und Sora nicht stören“, kam es leider schneller über meine Lippen als beabsichtigt. Und natürlich bemerkte er den Unterton in meiner Stimme.

„Mich und Sora nicht stören?“, lachte er. „Was redest du denn da? Das klingt ja fast so, als wärst du eifersüchtig.“

Ich funkelte ihn wütend an, da er es anscheinend für einen Witz hielt.

„Wow, Mimi. Dieser Blick…“, sagte er und grinste frech.

Er nahm mich überhaupt nicht ernst!

„Schön, dass du das so lustig findest.“

„Ach, komm schon. Du musst doch nicht eifersüchtig auf Sora sein. Ich dachte, ihr hättet euch ausgesprochen.“

„Haben wir auch“, sagte ich und stand auf. Ich fing an unruhig im Zimmer auf und ab zu gehen. „Es tut mir ja leid, dass ich wieder damit anfange, aber… Ach, ich weiß auch nicht.“ Ich blieb stehen und ballte die Hände zu Fäusten. Ich war so sauer, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Sauer auf mich selbst, weil ich Tai und ihr nicht einfach vertrauen konnte. Dabei gab es ja noch nicht mal einen Beweis für meine Vermutung. Bis auf die SMS, aber die hätten alles Mögliche bedeuten können.

„Mimi, ich weiß wirklich nicht, was mit dir los ist“, sagte Tai ruhig und ging auf mich zu. „Sora ist doch mit Matt zusammen. Und ich möchte mit dir zusammen sein. Reicht das denn nicht? Kannst du mir nicht einfach vertrauen?“

Nein, das konnte ich nicht. Und daran war meine Vergangenheit schuld.

Trotzdem, ich brauchte etwas, woran ich mich festhalten konnte. Ich brauchte einen Beweis.

„Nein, das reicht mir nicht“, sagte ich trotzig und sah Tai herausfordernd an. Immer wieder musste ich daran denken, dass er heute Abend mit ihr zusammen war und wie viel Spaß sie miteinander hatten, das durfte ich schließlich live miterleben.

„Was?“, entgegnete Tai fassungslos. „Was willst du denn noch?“

„Warum hast du Sora vorhin noch nach Hause gebracht? Warum ist sie nicht mit Yamato nach Hause gegangen?“, hakte ich weiter nach, ohne auf seine Frage einzugehen. Innerlich spürte ich, wie die Wut und die Eifersucht wieder in mir hochkroch und mich auffraß. Allein bei dem Gedanken daran, dass Tai sie mitten in der Nacht nach Hause begleitete, wurde mir schlecht.

„Was hätte ich denn tun sollen? Sie allein nach Hause gehen lassen? Mitten in der Nacht?“, antwortete Tai. „Außerdem ist Yamato wirklich sehr früh gegangen. Wir hatten noch keine Lust nach Hause zu gehen und wollten lieber noch ein wenig weiter feiern. Was ist daran so schlimm? Sora ist meine beste Freundin!“

Den letzten Satz hätte er sich sparen können. Das wusste ich schließlich selbst. Und noch nie war mir diese Freundschaft so ein Dorn im Auge, wie eben.

„Oh, wie schön für euch, dass ihr ein wenig Zweisamkeit genießen konntet, nachdem ich euch wochenlang im Weg war“, giftete ich zurück, woraufhin Tai laut aufstöhnte.

„Gott, Mimi! Du müsstest dir mal zuhören! Weißt du eigentlich, wie bescheuert das alles ist?“

„Bescheuert?“, schrie ich ihn an.

„Ja, bescheuert! Du weißt ganz genau, dass ich mit dir zusammen sein möchte und mit niemanden sonst.“

Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Ach ja, weiß ich das?“ Ich war kurz davor, ihm von den SMS zu erzählen, die ich gelesen hatte, konnte mich jedoch in letzter Sekunde noch zusammenreißen.

Ich ging an ihm vorbei und setzte mich aufs Bett, um das Gesicht in den Händen zu vergraben. Wie konnte es sein, dass wir schon wieder so aneinandergerieten? Und wieder war Sora der Grund dafür. Sie war doch auch meine beste Freundin. Wieso fiel es mir so schwer, den beiden zu vertrauen?

Ich seufzte schwer, als er sich neben mich setzte.

„Was soll ich denn noch tun, dass du mir glaubst?“

Plötzlich durchzuckte mich ein Gedanke, den ich schon länger hatte, aber bis zu diesem Moment immer unterdrückt hatte. Doch gerade jetzt gewann er deutlich die Oberhand. Ich musste es einfach wissen, was er wirklich für mich empfand. Und es gab nur einen Weg, das herauszufinden.

„Beweis es mir“, sagte ich leise und wandte mich ihm zu. Unvermittelt legte ich meine Lippen auf seine und verwickelte ihn in einen leidenschaftlichen Kuss. Tai zögerte kurz, gab sich dann jedoch schnell dem Kuss hin. Ich presste meine Lippen auf seine und schwang mich kurzerhand auf seinen Schoß, während ich die Hände in seinem Haar vergrub. Er umschloss mich mit seinen starken Armen, fuhr sanft mit den Händen meinen Rücken hinunter, bis zu meinen Hüften. Ich löste mich von seinen Lippen und begann seinen Hals mit Küssen zu übersähen, während meine Hände seinen Oberkörper erforschten. Als ich ihm meine Hüfte verlangend entgegen schob, entwich ihm ein genüssliches Stöhnen.

Er fuhr mit den Händen unter mein Shirt und streichelte meinen Rücken, was mir einen wohligen Schauer verschaffte. Ich wollte ihn so sehr. Und ich wollte, dass er mir bewies, wie sehr er mich wollte.

Tai küsste meinen Hals. Seine Hände wanderten nach vorne, berührten erst meinen Bauch, dann meine Brüste. Verlangend trafen sich erneut unsere Lippen und verschmolzen zu einem intensiven Kuss.

Plötzlich packte er mich an den Hüften und hob mich hoch, nur, um mich gleich wieder aufs Bett zu legen, damit wir uns weiter küssen konnten. Er lag auf mir und während ich die Hand in seinen Haaren vergrub und mich ihm genüsslich entgegen reckte, konnte ich seine Erektion spüren.

„Schlaf mit mir, Tai“, hauchte ich ihm verführerisch entgegen. „Ich will mit dir schlafen!“

Tai hielt plötzlich inne und wich ein Stück zurück. Irritiert sah er mich an.

„Was?“

„Hörst du schwer?“, grinste ich und wollte ihn wieder an mich ziehen, doch diesmal blieb er standhaft.

„Hatten wir nicht gesagt, wir wollen es langsam angehen lassen?“

Frustriert ließ ich meine Arme sinken und sah ihn verständnislos an.

„Ja, schon, aber… willst du es denn nicht?“ Allein diese Frage laut auszusprechen verursachte bei mir einen stechenden Schmerz in der Magengegend.

„Nicht so.“

Im Grunde hätte er mir auch gleich eine reinhauen können. Das wäre ein besseres Gefühl gewesen, als das, was ich gerade empfand. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte und zum Glück war es so dunkel, dass er nicht sehen konnte, dass mir erneut die Tränen in die Augen stiegen.

„Mimi“, sagte er, grinste verwegen und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. „Ich bin total betrunken. Das ist wirklich nicht der richtige Moment.“

Aber es war der richtige Moment, um mit Sora den Abend zu verbringen, anstatt mit mir. Ich sprach meine Gedanken nicht aus, blinzelte stattdessen meine Tränen weg und schob ihn von mir. Ich kroch zurück unter die Bettdecke und drehte mich auf die Seite. Das erste Mal wünschte ich mir, in meinem eigenen Bett liegen zu können. Wenn er mich nicht wollte, warum war ich dann hier? Warum tat er das dann alles für mich?

Ich spürte, wie er einen Arm um mich legte und sich von hinten an mich kuschelte. So gut mir diese Art von Nähe auch tat, so sehr schmerzte sie auch.

„Weißt du eigentlich, wie viel du mir bedeutest?“, flüsterte er und drückte mir einen Kuss ins Haar. Kaum merklich schüttelte ich den Kopf.

„Das war mir klar“, grinste er, als er seinen Arm noch fester um mich schlang. „Du bedeutest mir sehr viel, Mimi. Und ich bin gerne mit dir zusammen. Wahnsinnig gerne. Und ich weiß, dass es dir genauso geht. Deswegen möchte ich, dass unser erstes Mal etwas Besonderes ist. Das klingt jetzt vielleicht etwas altmodisch und bescheuert, aber… ich möchte, dass wir uns erst noch ein bisschen besser kennenlernen, als Paar meine ich. Ich möchte, dass du mir voll und ganz vertraust, bevor du diesen Schritt machst.“

Er berührte mit der Hand mein Gesicht und wandte meinen Kopf zu sich, so dass ich ihn ansehen musste.

„Wir sollten es nicht aus einer Laune heraus tun oder deswegen, weil du irgendeinen Beweis brauchst, dass ich dich liebe. Wir sollten es tun, weil es etwas Besonderes ist. Weil wir etwas Besonderes sind.“

Nun konnte ich meine Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte los. Wie machte er das nur immer wieder? Wie konnte er mir jedes Mal mit so viel Wärme begegnen? Schniefend wischte ich mit dem Finger meine Tränen von den Augen.

„Du redest ganz schön viele tolle Sachen, dafür, dass du so betrunken bist.“

Tai lachte. „Jaah, oder gerade deswegen.“ Er gab mir einen Kuss auf die Stirn und kuschelte sich wieder an mich.

„Oh man, morgen bereue ich sicher, was ich gesagt habe. Ich meine, das war immerhin DIE Gelegenheit“, witzelte er und ich musste lachen.

„Ich bereue es nicht, was du gesagt hast. Du hast recht. Ich möchte auch, dass es etwas Besonderes ist. Und ich habe kein Problem damit, wenn wir warten. Vielleicht war genau das der Beweis, den ich gebraucht habe.“

Lächelnd verschränkte ich seine Finger mit meinen.

„Danke, dass du immer so aufrichtig zu mir bist, Tai.“
 

Am nächsten Tag hatten wir alle Hände voll zu tun, die neue Wohnung bezugsfertig zu machen. Während Yuuko auf Hope aufpasste, waren Tai, sein Vater und Kari damit beschäftigt sämtliche Umzugskartons nach oben zu tragen, während ich versuchte Ordnung in meinem kleinen, neuen Reich zu schaffen. Die Wohnung war etwas kleiner als die, der Yagamis, doch sie reichte für Hope und mich vollkommen aus. Hope sollte sogar ihr eigenes Zimmer bekommen. Dass ich meiner Tochter mal so viel bieten konnte, hatte ich nie zu träumen gewagt. Also stand ich rätselnd an der Türschwelle und überlegte angestrengt, wie ich es ihr einrichten konnte.

„So, das ist der Letzte“, stöhnte Tai plötzlich hinter mir und stellte einen Karton ab. Mit dem Handrücken fuhr er sich über die schwitzende Stirn. „Ich frag mich echt, was du da alles drin hast.“

„Klamotten? Schuhe?“, erwiderte ich geistesabwesend und starrte weiter in den kargen Raum vor mir.

„War mir fast klar, dass es keine Bücher sind“, lachte Tai und kam auf mich zu. „Was machst du hier eigentlich? Nach Kisten ausräumen sieht das nicht aus.“

„Ich überlege, wie ich Hopes Zimmer einrichten soll. Es sieht so trostlos aus“, stellte ich prüfend fest und fuhr mit dem Finger über die bereits gräulich verfärbte Tapete an der Wand. Anscheinend wurde dieser Raum schon länger nicht benutzt.

Tai legte eine nachdenkliche Miene auf, als sein Vater und Kari ebenfalls mit jeweils einer Kiste durch die Tür kamen und sie im Wohnzimmer abstellten.

„So, das war alles“, verkündete Susumu, völlig aus der Puste.

„Danke, Herr Yagami“, sagte ich höflich und lächelte.

„Kein Problem, Mimi. Ich muss jetzt leider zur Arbeit, aber wenn ich später wiederkomme, schauen wir mal, was wir noch an alten Möbeln im Keller haben. Ein paar alte Sachen von Kari müssten da noch sein, die könntest du für Hope benutzen. Und Yuuko müsste auch noch einige alte Stücke dort unten stehen haben, dann musst du dir nichts Neues kaufen.“

„Danke, das ist wunderbar!“, strahlte ich begeistert und war wirklich froh über dieses Angebot. Momentan konnte ich einfach jede Hilfe gebrauchen.

Tais Vater beteuerte noch, dass das doch selbstverständlich sei, was mir mal wieder überaus unangenehm war. Danach verabschiedete er sich.

„Ich muss auch wieder rübergehen. Ich löse Mama mit Hope ab, weil sie auch gleich zur Arbeit muss. Ihr schafft den Rest alleine?“

„Ich denke, ja. Danke für deine Hilfe, Kari“, sagte ich, während Kari zum Abschied wank und durch die Tür verschwand.

Ich wandte mich wieder dem Raum zu.

„Also, wenn du möchtest…“, sagte Tai grinsend und trat einen Schritt näher. „Dann können wir morgen nach der Schule etwas Farbe kaufen und Hopes Zimmer streichen. Dann sieht es sicher schon viel freundlicher aus.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Wirklich? Du würdest mir dabei helfen?“

„Na klar“, grinste er. „So, wie ich dich kenne, hast du doch sicher noch nie ein Zimmer gestrichen und weißt gar nicht, wie das geht.“

Ich schlug ihm gegen den Arm. „Hey, du traust mir echt verdammt wenig zu!“

Tai zog eine Augenbraue nach oben und sah mich wissend an.

„Okay, du hast recht“, gab ich mich geschlagen und er lachte.

Ich nahm seine Hand, verschränkte unsere Finger miteinander und lehnte meinen Kopf an seine Schulter. „Ich freue mich, dass ich ihr endlich ein richtiges zu Hause bieten kann“, seufzte ich glücklich und dachte daran, was es doch für ein weiter Weg bis hierhin gewesen war. Tai drückte mir einen Kuss aufs Haar und legte seinen Kopf auf meinen.

„Du wirst das toll machen, Mimi. Das weiß ich.“
 

Am nächsten Tag gingen wir das erste Mal seit langem wieder gemeinsam zur Schule. Tai hatte am kommenden Tag seine nächste Prüfung und wollte mit den anderen gemeinsam in der Bibliothek dafür lernen.

„Oh, ich habe überhaupt keine Lust“, stöhnte ich genervt. Viel lieber wollte ich weiter meine neue Wohnung einrichten, damit Hope und ich endlich unser eigenes Reich hatten. Am Abend davor hatten wir noch eine ganze Menge geschafft. Kari hatte niedliche, alte Kindermöbel im Keller stehen, die wirklich toll aussahen. Und aus Yuukos Zeit vor der Ehe waren auch noch einige Sachen vorhanden, die zwar schon etwas aus der Mode waren, aber absolut noch ihren Zweck erfüllten. Und mit ein bisschen Deko würde das Ganze richtig schön wohnlich aussehen.

„Na ja, um die Schule kommst du eben nicht drum rum. Und so schlimm ist es ja jetzt auch nicht“, grinste Tai und verschränkte die Arme hinter den Kopf.

„Sagt der, der bald nicht mehr hin muss“, schmollte ich und zog eine Schnute.

„Ach, komm schon. Du unterschätzt das. Ich muss schließlich bald studieren, das wird ganz sicher kein Zuckerschlecken.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Du hast mir gar nicht erzählt, dass du jetzt doch studieren möchtest.“

Fragend sah er mich an. „Nun ja, ich habe gedacht… da das jetzt mit Hope erst mal geklärt ist, wäre es gut, erst mal ein Studium zu beginnen, bis du auch mit der Schule fertig bist. Vielleicht können wir für die Zeit einen Babysitter engagieren, wenn meine Mutter mal nicht auf sie aufpassen kann.“

Ich war sichtlich überrascht über diese Neuigkeit und sah ihn mit offenem Mund an.

„Nicht gut?“, hakte Tai unsicher nach, doch ich schüttelte schnell den Kopf.

„Doch, absolut! Das ist eine tolle Idee, Tai!“ Ich freute mich darüber, dass Tai seine Zukunftspläne anscheinend doch noch nicht ganz über den Haufen geworfen hatte. Das war schließlich das Letzte, was ich wollte. Er sollte nicht wegen uns alles stehen und liegen lassen und seine eigenen Träume hintenanstellen, nur, um mir und Hope unter die Arme zu greifen. Er hatte schließlich schon mehr als genug für uns getan und es ging nun stetig bergauf. Die Situation hatte sich grundlegend verändert. Jetzt war es an der Zeit, dass auch mal Tai im Vordergrund stand.

Zuversichtlich lächelte ich ihn an. „Ich finde es klasse, dass du das machen willst. Wir kriegen das schon hin. Und wer weiß, vielleicht kannst du ja dann sogar zu mir ziehen.“

Nun war es Tai, der mich ziemlich verdutzt ansah, während ich mir eins grinste. Ich hatte ja noch gar keine Gelegenheit gehabt, es ihm zu erzählen. Diese Sora-Sache und die neue Wohnung hatten mich so sehr abgelenkt, dass ich es ganz vergessen hatte.

„Die Frau vom Jugendamt hat zu bedenken gegeben, dass es sehr gut für Hope wäre, wenn sie in klaren Familienverhältnissen aufwachsen würde. Das heißt, es wäre definitiv ein Plus Punkt, wenn ich eine feste Partnerschaft mit Zukunftsaussichten vorweisen könnte.“

Ich konnte sehen, wie Tai augenblicklich rot um die Nase wurde. Ich musste kichern, denn genauso ging es mir, als ich mir das Ganze das erste Mal bildlich vorgestellt hatte.

„Das heißt… d-du u-und ich in… in einer Wohnung? So richtig?“, stotterte er. Ich machte einen Schritt auf ihn zu.

„Ja. Du und ich. In einer Wohnung. So richtig. Wie ein richtiges Paar, verstehst du?“ Neckisch grinste ich ihn an, was ihn nur noch mehr erröten ließ.

„Ge-gefällt mir, diese Vorstellung“, stammelte Tai und wir gingen weiter.

„Na ja, deine Mutter wird es vorläufig sicher nicht erlauben, also freu dich nicht zu früh. Ihr Blick war ziemlich eindeutig, als dieser Vorschlag in den Raum geschmissen wurde.“

„Die krieg ich schon rum!“, grinste er nun breit und ich freute mich darüber, dass er es anscheinend auch für eine schöne Vorstellung hielt, wenn wir zusammenwohnen würden.

„Ich drück dir die Daumen“, meinte ich und verschränkte die Arme hinter den Rücken. „Aber jetzt sag mal, was willst du eigentlich studieren? Sport? Oder etwas ganz anderes?“

Tai zuckte mit den Schultern. „Ehrlichgesagt habe ich mich noch nicht hundert Prozentig entschieden, aber Sport wäre auf jeden Fall eine Variante. Zumindest könnte ich dann an derselben Uni, wie Sora studieren. Das wäre definitiv ein plus Punkt. Dann würde ich immerhin schon eine Person kennen.“

Skeptisch runzelte ich die Stirn. An derselben Uni, wie Sora? Ich war mir nicht sicher, ob mir diese Vorstellung gefiel.

Ach.

Wem machte ich eigentlich was vor?

Mir gefiel diese Vorstellung ganz und gar nicht!

So langsam war ich zwar wirklich davon überzeugt, dass da absolut nichts zwischen ihr und Tai lief, vor allem nachdem, wie Tai neulich Nacht reagiert hatte, doch… so ganz wollte mein Gefühl mich einfach nicht loslassen. Und ich verfluchte mich selbst dafür. Ja, wirklich. Ich hatte mir nach seiner letzten Liebeserklärung wirklich geschworen, diese Eifersucht in den Griff zu kriegen, denn, wenn ich weiter so machen würde, ohne irgendeinen Beweis zu haben, würde ich Tai am Ende noch gänzlich vertreiben. Und das war das Letzte, was ich wollte. Ich brauchte ihn! Aber Sora…

„Wieso geht dir das nicht aus dem Kopf?“, fragte er plötzlich und riss mich somit aus meinem Gedankenkreislauf. Überrascht sah ich ihn an. Dann grinste ich entschuldigend.

„Wieso kannst du immer meine Gedanken lesen?“

„Manchmal bist du sehr leicht zu durchschauen.“

„Hmm“, machte ich und sah betreten zu Boden. „Tut mir leid. Es wäre sicher schön, wenn du mit Sora zusammen…“

„…ein Eis essen könntest? Das sehe ich genauso!“, mischte sich plötzlich eine bekannte Stimme ein. Sora tauchte neben Tai auf und legte ihm einen Arm um die Schultern. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie uns auf dem Schulweg eingeholt hatte.

„Hey!“, sagte Tai und sah sie genervt an. „Schleich dich gefälligst nicht so an! Und wieso zum Teufel sollte ich mit dir ein Eis essen gehen?“

Sora zog schmollend die Unterlippe nach oben.

„Weil ich dir heute Nachhilfe in Japanisch geben werde, damit du die Prüfung morgen bestehst. Ist doch klar! Das war doch unsere Abmachung, die wir neulich Abend getroffen hatten. Hast du das etwa schon vergessen?“

Bedächtig zog ich eine Augenbraue nach oben und schaute die beiden misstrauisch an. Neulich Abend? Und er hatte ihr versprochen, mit ihr Eis essen zu gehen?

„Kann ich mich gar nicht dran erinnern“, erwiderte Tai nur tonlos.

„Na, du musst ja wirklich ziemlich betrunken gewesen sein“, stellte ich nüchtern fest, während Sora immer noch breit grinste und nicht mitbekam, worauf ich anspielte.

„Ja, dann erzählt der gute Taichi ganz schön viel, wenn er betrunken ist“, sagte sie und ich konnte mir ein Schnaufen nicht verkneifen.

„Ja, so langsam glaube ich das auch“, sagte ich, als Tai die Augen verdrehte.

„Hör auf mich aufzuziehen, Sora“, nörgelte er und folgte mir. Sora ging uns pfeifend hinterher. Natürlich hatte sie keine Ahnung, wie das Ganze auf mich wirkte, doch es war so, dass erneut Eifersucht in mir hochkroch. Es war ganz gut, dass ich Tai bis zum Nachmittag nicht sehen würde. Somit hatte ich genug Zeit, um wieder runter zu kommen.
 

„Kannst du jetzt mal aufhören, mich anzuschweigen?“

Ich beachtete ihn nicht, und strich stattdessen weiter die Wand von Hopes Zimmer in einem zarten mintgrün. Gequält presste ich die Lippen aufeinander. Tai hatte gut reden. In seinem Kopf herrschte nicht völliges Chaos. Ein auf und ab der Gefühle. Leider hatte ich es an diesem Tag nicht geschafft, mein bescheuertes Kopfkino abzustellen. Dabei hatte ich es mir so fest vorgenommen. Ich spannte meine Arme an und rollte das geschätzt zehnte Mal über dieselbe Stelle an der Wand.

„Wenn du weiter so machst, bist du bald durch und kannst die Wand in der Nachbarwohnung auch gleich noch mit streichen.“

„Ja, sehr witzig“, entgegnete ich eiskalt, ohne ihn anzusehen. „Was sollte das mit dem Eis essen? Hast du ihr das echt versprochen?“

„Gott im Himmel, also darum geht es dir?“

Verständnislos sah ich ihn an. „Natürlich geht es darum! Worum denn sonst?“

Tai setzte den Pinsel ab und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte ein altes T-Shirt an, was schon mit vielen, kleinen Farbspritzern übersäht war, genauso wie meins. Leider zeichneten seine Muskeln sich unter diesem Shirt nur noch deutlicher ab und die Gedanken, die ich dabei hatte, ließen mich unvermittelt erröten. Schnell schüttelte ich den Kopf.

„Hast du dazu was zu sagen?“

„Was willst du denn hören? Das war doch nur so ein Spruch. Du solltest nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Sie hat mir beim Lernen geholfen, das ist alles.“

„Ach ja? War das, was du an dem Abend zu mir gesagt hast, auch nur so ein Spruch?“

„Nein, war es nicht. Ich habe jedes Wort ernst gemeint!“, sagte er ruhig und ging auf mich zu. Er zog mich an sich und grinste, doch ich drehte beleidigt den Kopf zur Seite.

„Okay, ich schreib das mal dem Stress zu, den du in letzter Zeit hattest. Aber Mimi… du musst damit aufhören!“

Er grinste, doch er meinte es ernst. Das wusste ich. Frustriert ließ ich die Arme sinken.

„Ich weiß. Keine Ahnung, warum ich immer so reagiere. Früher wäre mir das nie passiert.“

„Schon klar. Du hast einfach Angst, mich zu verlieren. Und du hast Angst, wieder verletzt zu werden. Aber Mimi, ich bin nicht Hayato! Und du wirst mich auch nicht verlieren, das verspreche ich dir.“

Liebevoll sah er mich an, was mein Herz erneut zum dahinschmelzen brachte. Immer wieder schaffte er es, mich mit seiner Wärme und Ehrlichkeit auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen.

„Du machst, dass ich mich schlecht fühle“, sagte ich und lächelte entschuldigend.

„Ach, ist das so?“

„Ja. Du bist immer so verdammt süß!“, stieß ich hervor und schlug ihn sanft gegen die Brust. „Und dann komme ich mir wie eine bescheuerte, dumme Ziege vor.“

Tai lachte und hob den Pinsel in seiner Hand hoch.

„Na ja, wenigstens siehst du es ein“, grinste er und strich mir damit über die Nase.

„Hey!“, rief ich empört und wich einen Schritt zurück. „Was soll das?“

„Das war deine Strafe dafür, dass du gesagt hast, ich würde machen, dass du dich schlecht fühlst. Dabei strenge ich mich so an, genau das Gegenteil zu bewirken.“ Er machte einen Satz auf mich zu und schmierte mir erneut Farbe ins Gesicht. Perplex sah ich ihn an.

„So, und jetzt lass uns endlich weiter streichen! Sonst werden wir heute nicht mehr fertig.“ Er widmete sich wieder der Wand, während ich immer noch dastand und ihn anstarrte.

„Na, warte“, flüsterte ich, tunkte heimlich meine ganze Hand in den Farbtopf und schlich mich an ihn heran.

Mit einem Ruck schlug ich ihm mit der flachen Hand auf den Arsch, was ihn unvermittelt aufschrien ließ. Ich begann zu lachen, als er sich umdrehte und seinen Hintern musterte, den ein wunderschöner, grüner Handabdruck zierte.

„Nicht dein Ernst, Prinzessin.“

Ich hielt mir den Bauch vor Lachen und zeigte mit dem Finger auf ihn. „Du müsstest dein doofes Gesicht mal sehen! Zum Totlachen!“

„Schön, dass du das lustig findest, aber hast du mal darüber nachgedacht, was meine Mutter denkt, wenn sie deine Hand auf meinem Arsch findet?“

Mein Lachen erstarb und ich sah ihn verdattert an, als er auch schon seine Hände in den Eimer tauchte, auf mich zukam und mir beide Hände an die Brüste drückte.

„Aaaah! TAI!“, schrie ich auf und sah an mir hinab. Zwei große Hände zierten meine Oberweite und nun war es Tai, der sich vor Lachen kugelte.

„So, jetzt sind wir quitt!“

„Quitt?“, konterte ich. „Quitt sind wir noch lange nicht. Das bedeutet Krieg!“

Ich schnappte mir einen Pinsel aus dem Farbeimer und schleuderte ihn einmal in der Luft, sodass Tai eine riesen Ladung von Farbspritzern ins Gesicht bekam.

„Oh, na warte…“, sagte er verheißungsvoll und sprang auf mich zu, um mir den Pinsel aus der Hand zu reißen und mich aus zu kitzeln. Lachend wand ich mich unter ihm, während er versuchte mich an jeder freien Stelle meines Körpers zu beschmieren.

„Tai, hör auf! Lass das!“, lachte ich und war schon völlig außer Atem, als er endlich von mir abließ und mich musterte.

„Gott, wie siehst du nur aus, Mimi? Unmöglich! Du solltest dir wirklich was anderes anziehen.“

„Bitte“, sagte ich, grinste ihn gönnerhaft an, zog mir kurzentschlossen das grün bemalte Shirt über den Kopf und schmiss es ihm vor die Füße. Schnaufend stemmte ich die Hände gegen die Hüfte. „Besser?“

Irritiert zog Tai eine Augenbraue nach oben. Damit hatte er wohl nicht gerechnet.

„Und, wie sieht’s aus? Willst du mich noch weiter mit Farbe beschmieren, oder gibst du endlich auf?“, sagte ich und machte einen Schritt auf ihn zu. Ein Lächeln umspielte seine Lippen, ehe er mich unerwartet an sich zog.

„Du müsstest mich lang genug kennen, um zu wissen, dass ich niemals aufgebe.“

Dann küsste er mich. Der Kuss war so verlangend, dass augenblicklich tausend Gefühle in mir zu explodieren drohten. Schneller als beabsichtigt ließ ich mich von diesem Kuss hinreißen und schlang die Arme um seinen Hals, um mich ihm auf Zehenspitzen entgegen zu recken. Er schloss beide Arme fest um meine Taille und küsste mich noch intensiver. Als meine Hände unter sein Shirt fuhren und seinen Rücken ertasteten, spürte ich, wie er unter dieser Berührung zusammenzuckte. Ein Seufzer entfuhr ihm und er begann meinen Hals zu küssen, während wir uns zusammen auf den Boden gleiten ließen.

Seine Küsse verschafften mir ein angenehmes Prickeln auf der Haut und als er seine Hand in meinen Nacken legte, um mich erneut zu küssen, entfachte er damit ein unbändiges Feuer in meinem Inneren. Genüsslich biss ich ihm in die Lippe, während ich meinen Körper noch mehr gegen ihn presste. Keuchend ließ er von mir ab und sah mich mit verklärtem Blick an.

„Ich will dich so sehr, Mimi“, hauchte er mir entgegen. Ich fuhr mit dem Daumen über seine warmen Lippen und sah ihn verlangend an. Nicht nur mein Unterleib, sondern mein ganzer Körper wollte ihn. Mehr als alles andere.

„Was haben wir uns versprochen, Mimi?“, fragte er schwer atmend und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. „Sag’s mir noch mal, bevor ich völlig die Kontrolle verliere.“

„Wir wollten warten. Damit es etwas Besonderes wird“, presste ich hervor und wusste, dass es das einzig Richtige war.

„Rückzugskommando?“, grinste Tai und sah mich flehend an.

„Wir haben ein Rückzugskommando?“, lachte ich.

„Es wäre zumindest besser, wenn wir eins hätten. Irgendwie suchen wir uns immer die unmöglichsten Momente aus, um übereinander herzufallen.“

„Also, ich finde es mehr als perfekt hier“, säuselte ich unschuldig, woraufhin Tai mir einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.

„Mimi!“, ermahnte er mich und ich kicherte.

„Schon gut. Wie wär’s mit: Prada?“

„Prada?“

„Ich liebe Prada!“

Tai sah mich verständnislos an.

„Gucci?“, fragte ich, doch Tai runzelte nur die Stirn.

„Warum nicht Sushi?“, meinte er.

„War ja klar, dass du ein Wort nimmst, dass mit Essen zu tun hat“, lachte ich. Ich küsste ihn erneut und biss ihm abermals sanft in die Unterlippe, was ihm ein weiteres Stöhnen entlockte.

„Oh Gott… Was ist jetzt mit dem Rückzugskommando?“

„Okay, okay. Ist ja schon gut. Gucci!“, grinste ich triumphierend.

Tai lachte und richtete sich auf, ehe er mir die Hand reichte und mich mit sich hochzog.

„Das war haarscharf“, schmunzelte er und zog mich in seine Arme.

„Das macht nichts“, lächelte ich gespielt schüchtern und spielte mit seinem T-Shirt Kragen.

„Das denk ich mir. Aber Mimi, mal ehrlich… wegen vorhin. Du musst dir wirklich keine Gedanken machen, dass ich dir davonlaufe und schon gar nicht wegen irgendeiner anderen. Ich habe nur Augen für dich. Das müsstest du jetzt langsam mal wissen, nachdem, was eben beinahe passiert wäre.“

Ich nickte und strich ihm über die Wange. „Du hast recht. Ich werde damit aufhören. Ab jetzt vertraue ich dir! Voll und ganz. Das Verspreche ich dir.“

Rückzugskommando

Die nächsten Wochen waren irgendwie magisch.

Ich genoss den Freiraum, den die neue Wohnung Hope und mir gab. Wir konnten so viel Zeit wie noch nie miteinander verbringen und es war das pure Glück. Sie bei mir zu wissen, war einfach alles, was zählte. Doch es war nicht nur das. Ich genoss auch die Zeit, die ich zusammen mit Tai hatte. Wir hatten es geschafft, eine ältere Frau aus der Nachbarschaft zu engagieren, um ab und zu auf Hope aufzupassen. Ich glaube, sie war ziemlich einsam und froh, über so eine willkommene Abwechslung.

„Ist das auch wirklich in Ordnung, Frau Hanada?“

Lächelnd nahm sie mir Hope ab und sah mich an.

„Gar kein Problem. Du weißt, Mimi, ich hab die Kleine gern bei mir. Sie hat mein Herz bereits im Sturm erobert.“ Hope lachte, als Frau Hanada anfing sie zu kitzeln. Zufrieden lächelte ich.

„Ja, so geht es irgendwie jedem. Sie wickelt einfach alle um den Finger.“

„Kann ich mir vorstellen. Deine Tochter ist ja auch ganz besonders süß. Habt ihr beide heute etwas vor? Du und dein Freund?“

Ich schmunzelte und strich mir verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Wir müssen lernen. Tai hat morgen seine letzte Prüfung und ich will ihm etwas Ruhe gönnen. Außerdem schreibe ich morgen eine Mathe Klausur, auf die ich mich noch vorbereiten muss. Und seine Mutter hat sich auch mal einen kinderfreien Abend verdient. Die Yagamis helfen mir wirklich schon genug.“

„Ah verstehe. Du kannst Hope so lange bei mir lassen, wie du willst. Wir werden uns die Zeit schon vertreiben, nicht Kleine?“ Hope quiekte vergnügt. Ich war wirklich froh, dass sie sich so wohl bei Frau Hanada fühlte. Frau Hanada war ungefähr 65 und schon fast so etwas, wie ein Oma Ersatz für Hope geworden. Ihr Mann starb vor ein paar Jahren und ihre Kinder und Enkelkinder wohnten weit weg, weswegen sie sich vermutlich wirklich freute, mal etwas Leben im Haus zu haben. Sie half mir unheimlich damit. Und ich freute mich für sie, dass sie für ein paar Stunden nicht allein war und eine Aufgabe hatte.

„Danke nochmals. Also dann, bis später“, verabschiedete ich mich winkend und machte mich wieder auf den Weg nach oben. Eigentlich sollte ich mich gedanklich schon mal auf Mathe vorbereiten, doch in meinem Kopf war nur eins: Tai.

Aufgeregt rannte ich die Treppen nach oben und nahm manchmal sogar mehrere Stufen auf einmal. Tai war viel bei mir gewesen, die letzten Wochen – mehr, als er tatsächlich zu Hause war. Doch dank der Prüfungen und meiner vielen Klausuren zum Schuljahresende, hatten wir wenig Zeit füreinander gehabt. Deshalb genoss ich jede freie Minute mit ihm. Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. Momentan war einfach alles perfekt. Tai war ein toller Freund und er war zauberhaft zu Hope. Manchmal kam es mir vor, als würde ich mich jeden Tag ein Stück mehr in ihn verlieben.

Ein wenig aus der Puste kam ich oben an und schloss die Tür auf. Ich streifte mir die Schuhe ab und ging eilig ins Wohnzimmer, wo Tai es sich bereits auf dem Teppich gemütlich gemacht hatte und in ein Lehrbuch vertieft war.

„Hey“, sagte ich etwas außer Atem. Tai sah auf und grinste.

„Bist du gerannt?“

„Ein wenig.“

„Warum?“

„Nun, ich konnte es eben kaum erwarten, für Mathe zu pauken“, witzelte ich und ließ mich im Schneidersitz neben ihn nieder.

Tai lachte und versuchte sich wieder auf sein Buch zu konzentrieren, während er auf seinem Bleistift herumkaute.

„Was lernst du denn da?“, fragte ich neugierig und beugte mich zu ihm.

„Morgen ist Englisch dran. Danach hat der Wahnsinn endlich ein Ende.“

„Englisch? Dabei könnte ich dir helfen“, schlug ich vor und ein Grinsen umspielte meine Lippen.

Tai zog eine Augenbraue hoch und schielte mich von der Seite her an.

„Ach, ja? Und wer lernt dann für dich Mathe?“

„Das kann ruhig noch warten.“ Ich rutschte etwas näher.

„Ich denke, ich komme klar“, erwiderte Tai selbstsicher und versuchte, sich nicht weiter ablenken zu lassen.

„Bist du sicher?“, hakte ich dennoch einmal nach und legte einen verführerischen Blick auf. „Ich bin nämlich ziemlich gut in Englisch.“

Tai räusperte sich und ich konnte sehen, wie er damit zu kämpfen hatte, standhaft zu bleiben. „Das kann ich mir vorstellen. Trotzdem solltest du jetzt lieber für Mathe lernen.“

Ich schenkte ihm ein letztes Grinsen und zuckte schließlich mit den Schultern, ehe ich von ihm wegrutschte.

„Na gut.“

Ich holte mein Buch und mein Heft, schlug beides auf und setzte mich ihm gegenüber. Ich beobachtete Tai, wie er in seinem Buch las. Dann legte ich mein Buch auf den Boden und mich bäuchlings davor. Ich stützte mich ab und beugte mich darüber, um mir dann ein paar Notizen zu machen. Nachdenklich kaute ich auf meinem Stift herum und sah auf, als ich bemerkte, dass Tai mich beobachtete.

„Ist was?“, fragte ich unwissend und grinste.

Sein Blick wanderte von meinen Augen hinab auf mein Dekolleté, was durch mein knappes Shirt besonders gut zur Geltung kam. Und natürlich dadurch, dass ich auf dem Bauch lag, was natürlich keine Absicht war.

„N-nein“, stotterte Tai und hatte Schwierigkeiten, seinen Blick abzuwenden. „Ich versuche nur, mich zu konzentrieren.“

„Oh“, sagte ich und schielte in sein Heft. „Kommst du etwa nicht weiter?“ Ich richtete mich auf und krabbelte auf allen vieren zu ihm hinüber, um mich über seine Arbeiten zu beugen. Selbstverständlich entging mir nicht, wo seine Augen festhingen.

„Du willst wohl echt, dass ich morgen durchfalle, was?“, entgegnete er trocken, ohne den Blick abzuwenden.

„Ich spiele nur“, grinste ich verführerisch und schaffte wieder etwas Abstand zwischen uns. „Keine Sorge, ich lass dich weiter lernen.“

Sein Blick wanderte von meiner Oberweite wieder nach oben. Erst zu meinen Augen. Dann zu meinem Mund.

Plötzlich warf er sein Buch zur Seite und schnellte nach vorne. Seine Hände umfassten mein Gesicht und seine Lippen trafen mich hart und gierig.

„Du bist schuld, wenn ich morgen nicht bestehe!“, hauchte er gegen meine Lippen, während er mich weiter verlangend küsste.

„Warum? Ich habe dir schließlich meine Hilfe angeboten“, entgegnete ich grinsend.

„Tolle Hilfe“, schmunzelte er und zog mich auf sich. Er ließ sich nach hinten fallen und erforschte mit den Händen meinen Rücken.

Ich küsste ihn begierig auf seine warmen Lippen, während sich das Verlangen erneut in mir regte. In letzter Zeit fiel es mir immer schwerer, den nötigen Abstand zu halten, um es nicht zu überstürzen, so, wie wir es abgemacht hatten. Ich genoss die Nähe zu Tai. Ich genoss jede einzelne Minute mit ihm. Und ich genoss diese vielen, wunderbaren Gefühle, die er in mir auslöste.

Ich biss ihm sanft in die Unterlippe, da ich bereits wusste, welche Wirkung es auf ihn hatte.

„Wir sollten das nicht tun“, stöhnte er gegen meinen Mund.

„Ich kann nicht mehr warten“, sprudelte es aus mir heraus, während ich mit den Händen seinen Oberkörper hinabfuhr und unter sein Shirt glitt, um seine Haut zu spüren.

„Ich auch nicht“, sagte Tai und legte eine Hand an mein Gesicht, ehe er von meinen Lippen abließ und mir in die Augen sah. „Aber wollen wir unser erstes Mal wirklich hier auf dem Fußboden deiner Wohnung haben?“

„Wir könnten ins Schlafzimmer gehen“, schlug ich eilig vor.

„Mit der Prüfung im Nacken?“, grinste Tai überlegen und ich wusste, dass er mal wieder recht hatte. Ich seufzte und zog eine Schnute. Wie konnte er nur jedes Mal so standhaft bleiben? Würde er nicht immer einen Rückzieher machen, wäre ich wahrscheinlich schon längst übers Ziel hinausgeschossen.

„Tut mir leid. Ich hatte mich nur so gefreut, endlich mal wieder mit dir allein zu sein.“

Tai lächelte mich liebevoll an und strich mit dem Finger über meine Lippen.

„Geht mir genauso, Prinzessin. Aber, wenn wir das erste Mal miteinander schlafen, will ich, dass alles perfekt ist. Nur wir zwei. Keine Verpflichtungen, die auf uns warten. Niemand, der uns stören könnte. Und ein Zimmer, in dem wir uns mindestens drei Tage lang einschließen können.“

Bei dieser Vorstellung musste ich schmunzeln. „Gefällt mir, der Plan. Das heißt aber, dass wir mindestens bis nach der Prüfung warten müssen. Und wenn du mich drei Tage irgendwo einsperren willst, muss ich jemanden finden, der so lang auf Hope aufpasst.“

Tai fuhr mir mit der Hand durchs Haar und sah mich amüsiert an.

„Du könntest meine Mutter fragen.“

„Oh, ja, natürlich“, entgegnete ich begeistert. „Frau Yagami, bitte… würden sie drei Tage auf meine Tochter aufpassen, damit ich mit ihrem Sohn schlafen kann? Sie würden uns einen riesen Gefallen damit tun.“

Tai lachte. „Nein, mal ehrlich. Wenn es so weit ist, nehme ich mir so viel Zeit, wie du willst, für dich. Aber lass uns noch bis nach der Prüfung warten, ja? Schaffst du das?“

Ich biss mir auf die Unterlippe und sah ihn angestrengt an. „Wird schwierig.“

„Für mich auch, glaub mir“, lachte Tai. „Also, Rückzugskommando?“

Ich seufzte schwer auf, als ich mich ihm geschlagen gab. „Rückzugskommando.“

„Okay. Gucci“, grinste er und wir richteten uns beide auf.

„Das war ne scheiß Idee mit dem Rückzugskommando“, nörgelte ich und verschränkte gespielt beleidigt die Arme vor der Brust.

„Kann sein“, grinste Tai. „Aber dafür wird es danach umso schöner“, versprach er mir, küsste mich und sah mir tief in die Augen, was mein Herz zum höherschlagen brachte. „Ich liebe dich, Mimi.“

„Ich liebe dich, Tai. Bleibst du heute über Nacht?“

Er grinste gegen meine Lippen. „Natürlich bleib ich über Nacht.“

„Schön“, sagte ich und rutschte ein Stück weg. Ich drückte ihm sein Buch wieder in die Hand. „Und jetzt: lern! Sonst musst du die Prüfung am Ende noch wiederholen und ich kann nicht garantieren, dass ich noch so lange warten kann.“

Tai grinste mich an, schüttelte leicht den Kopf und konzentrierte sich schließlich wieder seufzend auf seine Aufgaben.

Ich beobachtete ihn noch eine Weile, ehe ich mich ebenfalls wieder meinen Aufgaben widmete. Ich war überglücklich, wie sich die Beziehung zwischen Tai und mir entwickelt hatte. Er gab mir alles, was ich brauchte. Liebe. Geborgenheit. Sicherheit. Und ich war gewillt, nichts davon wieder aufzugeben. Es war egal, wie lange wir warteten. Das Gefühl, dass es dann etwas ganz Besonderes sein würde, erfüllte mich. Denn ich wollte ihn. Und er wollte mich. Und das war alles, was zählte.
 

„Ich habe eine Idee“, verkündete Tai am nächsten Morgen, als ich mit Hope in der Küche saß und sie gerade fütterte.

„Was denn?“, fragte ich und sah ihn überrascht an, während er sich seine Schuluniform zuknöpfte.

„Was hältst du davon, wenn wir heute eine Party geben?“

„Eine Party?“

„Ja“, meinte Tai und goss sich einen Kaffee ein. „Ich dachte, zur Feier des Tages, dass die Prüfungen hinter uns liegen. Außerdem kennen die anderen deine neue Wohnung noch gar nicht. Na ja, und…“ Er deutete mit dem Kopf auf Hope. Fragend sah ich zwischen Hope und ihm hin und her.

„Oh… äh… ich weiß nicht.“

„Möchtest du es nicht endlich offiziell machen?“, fragte Tai und setzte sich zu mir. „Ich meine, früher oder später werden es sowieso alle erfahren.“ Er legte seine Hand auf meine, da er meinen unsicheren Blick bemerkte. „Es gibt nichts, wofür du dich schämen müsstest, Mimi. Wir sind zusammen. Wir drei. Und das können alle wissen.“

Dankbar lächelte ich ihn an. „Du hast recht. Du hast absolut recht. Ich sollte endlich reinen Tisch mit meiner Vergangenheit machen. Meine Freunde sind mir wichtig. Genauso wie du und Hope. Ich sollte es ihnen sagen.“

Freudig strahlte ich ihn an. „Lass uns diese Party machen!“
 

Nach der Schule wollten Izzy und ich uns noch mit den anderen treffen. Tai, Yamato und Sora waren längst mit ihrer Prüfung fertig und warteten bereits in einem Café auf uns.

„Also, ich fand die Klausur eigentlich relativ einfach“, bemerkte Izzy, als wir auf den Weg dorthin waren.

„War mir fast klar, dass du das sagst“, entgegnete ich augenrollend.

„Wie lief es denn bei dir?“

„Nicht so gut“, stöhnte ich und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Aber das ist jetzt auch egal. Das Schuljahr ist fast vorbei und ich werde in Mathe definitiv nicht durchfallen. Alles andere ist mir egal.“

Izzy runzelte die Stirn. „Du solltest dir wirklich höhere Ziele stecken, als nicht durchzufallen.“

„Ja, ja, schon klar, Papi“, witzelte ich und kniff ihn in die Seite. Er lachte verlegen, als wir am Café ankamen und ich die Tür öffnete. Ich suchte den Raum nach den anderen ab und fand sie recht schnell an einen der hinteren Tische.

„Ah, da sind sie“, erkannte auch Izzy und wir gingen zu ihnen. Ich freute mich, als ich sah, dass sogar Joe gekommen war. Seit er Medizin studierte bekam man ihn nur noch sehr selten zu Gesicht.

„Hallo, alle zusammen“, sagte ich und unterbrach damit ihre angeregte Unterhaltung. „Ich wusste gar nicht, dass du auch kommst, Joe. Schön, dich zu sehen.“

„Ein Seminar ist heute ausgefallen, also habe ich gedacht, ich schaue mal kurz vorbei“, antwortete er und erhob sich für eine kurze Umarmung. Izzy quetschte sich zu Sora und Yamato, sie sich offensichtlich einen Milchshake teilten. Kurz schmunzelte ich darüber, ehe ich mich an Joe vorbei zu meinem Angebeteten durchdrängelte.

„Hey, Prinzessin.“

„Hallo, Schatz. Wie war die Prüfung?“, sagte ich und gab ihm einen Kuss auf den Mund.

Joe sah uns stirnrunzelnd an. „Entschuldigung, habe ich was verpasst?“

„Offensichtlich“, grinste Izzy.

„So ist das eben, wenn man sich nie blicken lässt“, entgegnete Yamato und legte einen Arm um Sora, die mir ein zaghaftes Lächeln schenkte. Ich lächelte zurück, doch irgendwie war unser Verhältnis trotz der Aussprache immer noch angespannt. Aber ich hatte mir fest vorgenommen, das heute Abend zu ändern.

„Bevor ihr mir gleich all das langweilige Zeug von eurer Englischprüfung erzählen werdet…“, verkündete ich und sah begeistert in die Runde. „…wollte ich euch fragen, was ihr davon haltet, heute Abend alle zu mir zu kommen? Ich habe jetzt meine eigene Wohnung, müsst ihr wissen.“ Alle sahen mich verblüfft an.

„Wie, jetzt? Du bist von zu Hause ausgezogen? Aber warum?“, wollte Izzy direkt wissen, doch ich grinste nur verlegen.

„Das ist eine lange Geschichte und ich wollte sie euch heute Abend erzählen.“ Ich schenkte Tai einen kurzen Blick, während er mich ermutigend anlächelte und meine Hand drückte.

„Also, wollt ihr kommen? Ich wohne direkt neben Tai. Wir könnten auf eure Prüfungen anstoßen…“ Erwartungsvoll sah ich meine Freunde an. Sora wirkte weniger überrascht als alle anderen. Sie kannte mein Geheimnis ja schließlich schon.

„Du wohnst direkt neben Tai?“, hakte Joe misstrauisch nach. „Dann hättet ihr auch gleich zusammenziehen können.“

„Seh ich auch so“, lachte Yamato plötzlich auf. „Ist ja nicht so, dass ihr nicht jede freie Minute miteinander verbringt.“

Ich grinste unsicher, während ich immer noch auf eine Antwort wartete.

„Also, ich finde, das ist eine tolle Idee. Ich komme gern“, antwortete Sora schließlich und lächelte mich freundlich an. Erleichtert atmete ich auf.

„Gut, von mir aus. Bin dabei“, meinte nun auch Yamato schulterzuckend und auch Izzy nickte zustimmend.

„Also ich kann nicht. Ich muss…“

„Lernen. Ist schon klar, Joe“, lachte ich und kniff ihn in die Seite.

„Ich werde Kari und Takeru Bescheid sagen“, meinte Tai und zückte sein Handy.

„Gut. Also, dann um sieben bei mir?“, fragte ich in die Runde und alle waren einverstanden. Der erste Schritt war getan. Ein kleiner Stein fiel mir vom Herzen. Jetzt musste ich nur noch den Rest überstehen…
 

So cool, wie ich im Cafe noch war, so aufgeregter war ich wenige Stunden später, als Tai zur Tür reinkam.

„Mimi? Mimi, ich hab die Sachen besorgt, die du wolltest“, rief er und fing an, alles in der Küche auszuräumen. Mit Hope auf dem Arm kam ich aus ihrem Zimmer.

„Ich hab sogar Chips und Sushi mitgebracht“, sagte er, ehe er den Kopf hob und grinste. „Haben sich meine zwei Frauen etwa schick gemacht?“

Ich schenkte ihm ein unsicheres Lächeln, während Hope die Arme nach ihm ausstreckte und vergnügt rumbrabbelte. Ich hatte ihr extra ein süßes, rotes Kleidchen angezogen und ein dazu passender Haarreif mit Schleife zierte ihren blonden Lockenkopf. Tai nahm sie an sich und hielt die lachende Hope hoch in die Luft. „Du siehst wirklich süß aus, kleine Prinzessin. Bereit für deinen großen Auftritt?“

Nervös zog ich am Saum meiner weißen Bluse. „Sie schon. Ich nicht.“

„Bist du aufgeregt?“, fragte Tai und sah mich mitfühlend an.

„Das beschreibt es nicht mal annähernd.“

„Hey“, sagte Tai und kam auf mich zu. „Es wird alles gut. Sie werden es verstehen.“

Ich umarmte ihn dankbar.

„Und außerdem, wissen Sora und Kari ja schon bescheid. Also hast du das Schlimmste ja eh bereits hinter dir. Izzy, Matt und T.K. haben sowieso nix zu melden.“

Ich musste herzhaft lachen, weil er dieses eigentlich ernste Thema so scherzhaft behandelte. Noch eine seiner besten Eigenschaften.

Hope gähnte und Tränen der Müdigkeit stiegen ihr in die Augen.

„Oh, nein. Jetzt bist du müde? Ausgerechnet jetzt?“

Tai rümpfte die Nase. „Hm, ich glaube, du hast die kleine Maus umsonst hübsch gemacht. Na, komm. Dann legen wir dich mal hin.“

Ich seufzte, als Tai sie zurück ins Kinderzimmer brachte und umzog, damit sie schlafen konnte. Ich stand im Türrahmen und beobachtete die beiden dabei. Tai war wirklich süß mit ihr. Er war fast, wie ein richtiger Vater für Hope.

Fast…?

Wenn wir zusammenbleiben würden, dann würde Hope mit ihm aufwachsen. Sie würde keinen anderen Vater, außer ihn kennen. Sozusagen… war Tai bereits ihr Vater.

Bei dem Gedanken daran, errötete ich, als er sich zu mir umdrehte.

„Was ist?“, grinste er.

„W-was? Ähm… nichts, gar nichts“, log ich, doch Tai kam auf mich zu und zog mich an den Hüften zu sich.

„Und warum wirst du dann plötzlich so rot um die Nase? Hast du schon wieder versaute Gedanken?“

„WAAS?“, entrüstete ich mich. „Ich habe gerade an was völlig anderes gedacht!“

„Ja, na klar“, grinste er breit, da er mir kein Wort glaubte. „Kaum sind die Prüfungen vorbei, kommst du auf anzügliche Gedanken.“

„Das hättest du wohl gern“, meckerte ich und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

„Allerdings“, scherzte Tai und zog mich noch enger an sich, was mein Herz unweigerlich höherschlagen ließ.

„Hör auf mich so anzusehen“, flüsterte ich.

„Warum?“, entgegnete er und sah mir nur noch tiefer in die Augen. Wie sollte man bei so was denn standhaft bleiben?

Tais Hand glitt meinen Rücken hinauf, bis in mein Kreuz. Er drückte mich noch enger an sich, während er seine andere Hand in meinen Nacken legte und meinen Lippen immer näherkam. Kurz vorher hielt er jedoch inne. Eine unerträgliche Distanz, die ich kaum länger ertragen konnte.

„Was ist?“, fragte ich und konnte meine Augen gar nicht von seinen Lippen abwenden.

„Du machst mich wahnsinnig. Weißt du das?“, hauchte er gegen meinen Mund.

Ich grinste und schloss die Lücke zwischen uns. Ich legte meine Lippen begierig auf seine und ehe ich mich versah, hatte Tai mich gegen die Wand hinter uns gedrückt. Meine Hände ruhten auf seiner Brust, während seine meinen Körper hinab fuhren und jeden einzelnen Zentimeter davon erforschten. Seine Finger glitten über meinen Bauch, schoben meine Bluse höher und gelangten schließlich an den Bund meiner Jeans. Mit einem gekonnten Handgriff öffnete er den ersten Knopf meiner Hose, was mich genüsslich aufseufzen ließ.

Wie konnte man nur etwas so sehr begehren, wie ich ihn begehrte?

Verlangend presste ich meine Lippen weiter auf seine. Sie verschmolzen in einen intensiven Kuss, während er mich weiter gegen die Wand drückte und seine Finger langsam in meine Jeans glitten. Gerade, als er an meiner empfindlichsten Stelle angekommen war und mir ein forderndes Stöhnen entlockte, klingelte es an der Tür.

Ruckartig hielten wir in unseren Bewegungen inne und starrten uns an.

Wir hatten völlig die Zeit vergessen. Ich glaube, wir hatten einfach alles um uns drum rum vergessen. Entsetzt sah ich ihn an.

„Ach, du scheiße! Prada, äh… Sushi! Nein, Gucci, GUCCI!“, rief ich und schuppste ihn von mir. Aufgeregt rannte ich zum Spiegel und versuchte mein zerzaustes Haar wieder in Ordnung zu bringen, während Tai sich sein Hemd glatt streifte.

„Oh, man! Ist es etwa schon so spät?“, fluchte ich und hetzte zur Tür.

„Alles gut, keine Panik“, meinte Tai und folgte mir.

Etwas übereilt riss ich die Tür auf und starrte in die Gesichter unserer Freunde, die uns überrascht ansahen.

Es war Yamato, auf dessen Lippen sich zuerst ein Grinsen legte.

„Habt ihr gerade gevögelt?“, platzte es aus ihm heraus und auch alle anderen fingen an, zu grinsen, während mir die Hitze ins Gesicht schoss und ich puterrot anlief.

Tai hingegen blieb ganz cool. „Nein? Wieso?“, entgegnete er trocken und nahm mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die ich gar nicht bemerkt hatte und die dort absolut nicht hingehörte.

„Wollt ihr jetzt reinkommen oder was?“, fragte er und hielt die Tür auf. Beschämt trat ich zur Seite.

„Aber nur, wenn wir nicht stören“, flötete Kari, was Tai lediglich mit einem „Bla bla“ quittierte.

„Wow, schön hast du’s hier, Mimi“, meinte Takeru, als sich alle neugierig in der Wohnung umsahen.

„Danke“, sagte ich verlegen und folgte ihnen. „Es ist nicht groß, aber für uns reicht es.“

„Für uns?“, hakte Izzy gleich spitzfindig nach. „Ich dachte, ihr wohnt noch nicht zusammen.“

Ich warf erst Tai und dann Kari einen unsicheren Blick zu, doch beide nickten mir aufmunternd zu. Mein Blick fiel auf Sora und auch sie lächelte. Ich straffte meine Schultern.

„Ich muss euch etwas zeigen… beziehungsweise, jemanden.“

Ich ging zu Hopes Zimmer und öffnete die Tür. Die anderen folgten mir in den kleinen Raum.

„Ein Kinderzimmer?“, fragte Yamato irritiert und sah sich um. Sein Blick fiel auf das kleine Bettchen.

Als auch Izzy und Takeru es bemerkten, weiteten sich ihre Augen.

„Ein… ein Baby?“, stotterte Izzy und schrak zurück, als hätte er noch nie zuvor eins gesehen.

Tai lachte. „Ja, ein Baby. Und pass auf! Gleich beißt es dich!“

„Sehr witzig“, grummelte Izzy und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das ist meine Tochter und sie heißt Hope“, eröffnete ich allen und warf einen Blick auf meine schlafende Tochter. Sie sah so friedlich aus und bekam von dem ganzen Trubel um sie drum rum nichts mit.

„Deine… deine was? Ist das euer Ernst? Ihr habt ein Baby zusammen?“, stammelte Yamato und sah Tai und mich fassungslos an, als Sora ihm beruhigend eine Hand auf den Arm legte.

„Red keinen Unsinn, Tai ist nicht der Vater!“, mischte Izzy sich ein, als wäre Yamato total bescheuert.

„Woher willst du das wissen? Ich finde, die Sache ist ziemlich eindeutig. Oh Gott…“, sagte Takeru und schlug die Hand vor den Mund. „Seid ihr etwa deswegen so plötzlich ein Paar geworden? Weil das Kind nicht mit getrennten Eltern aufwachsen soll?“

Kari fing an zu kichern, während ich nur leicht gestresst aufseufzte.

„Jetzt hört doch mal zu! Tai kann gar nicht der Vater sein!“, protestierte Izzy jedoch weiterhin entschlossen. „Das passt zeitlich überhaupt nicht zusammen. Überlegt doch mal, wenn man es zurückrechnet und in Anbetracht der Tatsache, dass Mimi für längere Zeit außer Lande war… Außerdem waren sie davor noch gar kein Paar.“

„Oh Gott, Izzy, du bist ja so schlau“, unterbrach ihn Yamato und schlug sich die Hand gegen den Kopf. „Man kann auch miteinander rumvögeln, ohne, dass man zusammen ist, du Detektiv!“

Augenblickliche, peinliche und betretene Stille legte sich über alle Anwesenden. Während ich rot anlief und Sora ihren Freund peinlich berührt musterte.

Tai fing an zu lachen, doch ich schlug ihn gegen den Arm.

„Hör sofort auf zu lachen! Es ist gar nicht so, wie ihr denkt. Es ist ganz anders!“, richtete ich mich nun an die anderen, die mich inzwischen einfach nur noch verwirrt ansahen.

„Ich erkläre es euch“, seufzte ich.
 

Wir setzten uns ins Wohnzimmer und ließen Hope schlafen, während ich mehr oder weniger hektisch erklärte, wie es dazu kommen konnte. Natürlich, ohne irgendwelche Details zu nennen.

„Alle Verwirrungen beseitigt?“, hakte ich unsicher nach. Yamato legte die Stirn in Falten und schüttete sein zweites Bier nach hinten. Izzy griff sich nachdenklich ans Kinn und stierte in die Luft. Und Takeru schüttelte bedächtig den Kopf.

„Ich versteh’s immer noch nicht“, sagte er. „Wenn Tai nicht der Vater ist. Wer ist es dann?“

„Das hatte ich doch bereits erzählt. Ich kenne ihn nicht genauer“, log ich, da ich der Meinung war, dass sie nicht gleich die ganze, dramatische Geschichte erfahren mussten.

„Weiß er von Hope?“, fragte Yamato.

Ich nickte.

„Und es ist ihm egal?“, fragte Izzy.

Ich nickte.

„So ein Schwein!“, schimpfte Takeru.

Alle nickten.

Wieder legte sich Schweigen über die Runde, was mir deutlich unangenehm war. Ich hatte ihnen zwar alles erzählt, aber ich wusste immer noch nicht, wie sie dazu standen. Ich hatte sie schließlich alle belogen.

„Puh, das ist ein ganz schöner Hammer. Aber…“, setzte Yamato schließlich an. „…, wenn ihr irgendwie Hilfe braucht, egal, welche… dann fragt einfach. Wir sind für euch da“, verkündete er und legte Sora eine Hand aufs Bein, die zustimmend nickte.

„Wir natürlich auch“, stimmten auch Kari und Takeru zu.

„Jetzt verstehe ich auch, warum du in der Schule immer pennst“, sagte Izzy und ich rümpfte die Nase. „Was? Mache ich gar nicht!“

„Schon gut“, grinste er. „Wenn du mal keine Zeit zum Lernen hast, dann sag einfach Bescheid. Ich helfe dir, so gut ich kann, versprochen.“

Ein großer, dicker Stein fiel mir vom Herzen.

„Danke, ihr alle!“

Tai drückte meine Hand und lächelte mich an, als wollte er sagen: hab ich’s dir nicht gesagt?

„So, genug der dramatischen Geschichten. Das zieht einen ja total runter. Lasst uns lieber ein bisschen feiern! Wir haben schließlich heute unsere letzte Prüfung geschrieben“, grinste Yamato und holte für alle eine Runde Bier aus dem Kühlschrank.

Wir machten leise Musik an, aßen, tranken, unterhielten uns angeregt.

Es war ein entspannter, ausgelassener Abend mit meinen Freunden. Der absolut beste Abend seit langem.

„Willst du noch was?“, fragte Yamato, der gerade dabei war, allen nochmal nachzufüllen.

„Danke, aber ich glaube, ich habe erst mal genug“, lehnte ich ab und sah mich suchend nach Kari um, da ich sie schon lang nicht mehr gesehen hatte.

Ich stand auf und ging in die Küche, blieb jedoch kurz vorher stehen, als ich hörte, dass Takeru bei ihr war und sie offensichtlich eine hitzige Diskussion führten.

„Ich weiß gar nicht, warum du so einen Aufstand deswegen machst“, hörte ich Takeru sagen. „Wir hatten eine Abmachung, Kari.“

Eine Abmachung? Wovon sprach er? Ich lehnte mich etwas weiter gegen die Wand, um genauer zuzuhören.

„Ich weiß ja, ich weiß. Ich sage doch nur, dass du vielleicht nicht ganz so offensichtlich handeln solltest. Die Mädchen in der Schule stellen schon Fragen. Und nicht nur sie…“

Kari klang unsicher. So etwas wie Angst schwang in ihrer Stimme mit.

„Was meinst du damit?“

„Mimi hat dich gesehen.“

Takeru seufzte. „Ich weiß.“

„Nein, nicht nur im Shopping-Center. Auch vor ein paar Wochen beim Einkaufen.“

„Was? Davon hast du mir gar nichts erzählt“, sagte Takeru beunruhigt.

„Ich wollte es dir nicht noch schwerer machen. Ich möchte nur nicht, dass alles wieder von vorn losgeht.“ Karis Stimme brach und sie begann zu schluchzen.

Mir brach das Herz und am liebsten wäre ich sofort zu ihr gegangen und hätte sie in den Arm genommen. Was auch immer hier los war. Ich hatte das Gefühl, dass es etwas mit T.K. und seiner heimlichen – oder vielleicht auch nicht ganz so heimlichen – Freundin zu tun hatte.

„Keine Sorge. Ich werde dafür sorgen, dass das nicht noch mal passiert, versprochen“, sagte Takeru beruhigend und tröstete sie. „Und jetzt, beruhig dich ein wenig. Und dann komm wieder zu uns.“

Kari schniefte. „Okay.“

Ich wich einen Schritt zurück und tat so, als wäre ich gerade auf den Weg in die Küche, als Takeru mir entgegenkam, beladen mit einem Teller voll von dem Sushi, was Tai besorgt hatte.

„Oh. Hey, Mimi. Tolles Sushi! Selbst gemacht?“, fragte er, und stopfte sich eins davon in den Mund, als wäre nichts gewesen.

„Äh… nein, Tai hat es vorhin gekauft“, sagte ich und tat ebenfalls unwissend. T.K. grinste. „Super lecker! Danke noch mal für die Einladung“, entgegnete er und ging wieder zurück ins Wohnzimmer.

Vorsichtig ging ich in die Küche und stellte mich neben Kari. Ich nahm mir ein Glas aus dem Schrank und goss mir Wasser ein. Kari legte sich gerade ebenfalls ein paar Sushi Rollen auf den Teller und versuchte dabei krampfhaft mir nicht in die Augen zu sehen.

„Alles in Ordnung?“, fragte ich nach und legte eine Hand auf Karis Schulter. Sie sah mich kurz an.

„Ähm, ja. Ja, es ist alles in Ordnung. Ich finde es toll, dass du endlich allen von Hope erzählt hast.“

„Ja, ich finde es auch gut, dass das Versteckspiel endlich ein Ende hat“, lächelte ich. „Weißt du, manchmal fällt einem eine große Last von den Schultern, wenn man sich jemanden anvertraut.“

Kari nickte und eine Träne kullerte über ihre Wange.

„Ach, Kari…“, sagte ich mitfühlend und wollte sie in den Arm nehmen, doch sie ging auf Abstand und wischte sich stattdessen mit dem Ärmel über ihre feuchte Augenpartie.

„Nein, es ist schon gut. Wirklich, Mimi. Alles ist in Ordnung“, wiederholte sie und ich wusste nicht, ob sie gerade mich oder sich selbst davon überzeugen wollte. Ohne weiterer Worte nahm sie ihren Teller und ging an mir vorbei. Völlig verwirrt stand ich da und fragte mich, was nur mit ihr los war. Ich leerte mein Glas Wasser und ging ebenfalls zurück ins Wohnzimmer, wo eine mehr als ausgelassene Stimmung herrschte. Izzy und Yamato waren in eine hitzige Diskussion verstrickt. Keine Ahnung, um was es dabei ging. Aber sie schienen beide schon etwas angetrunken zu sein. Kari und T.K. machten sich über ihr Essen her und hatten im Fernsehen irgendein Tennisspiel angestellt. Mein Blick fiel auf Sora und Tai, die sich ebenfalls angeregt unterhielten. Tai grinste und Sora kicherte. Er hatte offensichtlich schon einen kleinen Schwips. Ich setzte mich neben Kari und tat so, als würde ich ebenfalls das Spiel im Fernsehen verfolgen.

„Was? Ach nein, hör auf, du spinnst doch!“, kicherte Sora und schlug Tai spielerisch gegen den Arm.

„Wenn ich’s dir doch sage! Sein Handtuch ist ihm runtergerutscht und plötzlich stand er splitterfasernackt in der Mädchenumkleide!“

Sora prustete los. Anscheinend erzählte Tai wieder eine seiner Geschichten aus dem Fußballclub.

„Was hat er da überhaupt gemacht?“, fragte sie lachend und hielt sich den Bauch.

Tai zuckte mit den Schultern. „Er war eben neu an der Schule und hat sich verlaufen.“

„Ach du Schande! Sah er wenigstens gut aus?“

„Wie meinst du das?“, fragte Tai irritiert nach.

„Na, wenn er schon sein Handtuch in der Mädchenumkleide verliert, dann kann er doch wenigstens gut aussehen, damit die Mädels auch etwas davon haben“, grinste sie.

„Hey, das hab ich gehört“, mischte sich Yamato mit einem schiefen Seitenblick zu den beiden ein.

„Ach, komm“, meinte Tai keck. „Du kannst froh sein, dass ich noch nie splitterfasernackt in der Mädchenumkleide stand. Sonst hätte sich deine Freundin das mit dir vielleicht noch mal überlegt. Oder Sora?“ Er lehnte sich zu Sora rüber und grinste sie schief an, während ich am liebsten über den Tisch gesprungen wäre und Yamato ein Kissen nach Tai warf.

„Vollidiot!“

Tai fing an zu lachen und legte einen Arm um Soras Schultern. „Ich mach doch nur Spaß.“

Schöner Spaß!

Ich sah, wie Sora rot anlief und seinem Blick auswich.

„Ähm… i-ich…“, fing sie an zu stottern. „I-ich hole mir mal noch etwas Sushi.“

Irgendwie ließ mich dieser Satz aufhorchen. Sushi?

Tai sah sie überrascht an und nahm schließlich den Arm von ihren Schultern. „Okay…“

Sora stand auf und ging in die Küche, während Tai sitzen blieb und sein Bier in einem Zug leerte, ehe er sich ebenfalls dem Tennisspiel im Fernsehen zuwandte.

Ich beobachtete ihn aus dem Seitenwinkel. Warum wirkte er plötzlich so angespannt? Ich stand auf und ging in die Küche zu Sora. Sie stand an der Arbeitsplatte und lud sich den Teller mit Sushi voll.

„Sora?“, sagte ich, lehnte mich gegen den Türrahmen und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ja?“

„Du magst doch überhaupt kein Sushi.“

Sora ließ die Stäbchen sinken und stierte auf ihren Teller. „Da hast du recht.“

Ich zog eine Augenbraue nach oben und sah sie fragend an. „Alles klar?“

„Ja, ich wollte nur mal weg von den Jungs. Manchmal sind sie echt kindisch, oder?“, sagte sie und grinste verlegen. Weg von den Jungs oder weg von Tai?

Ich nickte stumm und ging zurück ins Wohnzimmer, wo ich mich neben Tai setzte.

„Hey, ich dachte, du wolltest dir auch Sushi holen?“, fragte er und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Wange, doch ich schüttelte den Kopf.

„Nein, mir ist der Appetit vergangen.“

Sündenparty Teil I


 

„Welcome to the final show.

Hope you’re wearing your best clothes.“
 


 

Den ganzen Tag schon hatte ich mich auf diesen Abend gefreut. Endlich hatte ich Tai ganz für mich. Endlich war ich mit ihm allein, nachdem wir so lang gewartet hatten. Aufgeregt steckte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffnete die Tür zu meiner Wohnung.

Das Licht war gedämmt. Auf dem Boden lagen Rosenblätter.

Ich folgte der Spur bis ins Schlafzimmer.

Da war er. Er trug eine schwarze Hose und ein schickes, weißes Hemd. In seiner Hand hielt er einen riesigen Strauß Rosen.

„Hallo, Prinzessin“, säuselte er und ein schiefes Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Gefällt es dir?“

„Oh, Tai. Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll.“ Beeindruckt sah ich mich im Raum um. Überall standen Kerzen und sogar auf dem Bett lagen Rosenblätter. Es duftete himmlisch.

„Komm zu mir“, sagte er und streckte die Hand nach mir aus. „Ich habe so lang auf diesen Moment gewartet.“ Er sah mir tief in die Augen, zog mich so dicht an sich, dass er den unruhigen Schlag meines Herzens spüren musste.

„Ich liebe dich, Tai“, hauchte ich gegen seine Lippen. Er lächelte.

„Ich dich auch. Hast du Hunger?“

„Was?“ Verwirrt sah ich ihn an.

„Ob du Hunger hast?“, wiederholte er. „Ich habe extra was für uns besorgt.“

Ich trat einen Schritt zurück. Die Rosen in seiner Hand hatten sich in einen Teller voller Sushi verwandelt, welches akkurat zu einer Pyramide gestapelt war.

„Was zum Teufel…“, stammelte ich und runzelte die Stirn.

Plötzlich griff eine Hand von hinten um Tais Schultern und schnappte sich eine Sushi-Rolle von dem Teller.

„Also ich mag Sushi.“

Ich sah auf und blickte in Soras Gesicht. Sie schmiegte sich von hinten eng an meinen Freund und steckte sich das Sushi genüsslich in den Mund.

„Aber… du hasst Sushi!“, schrie ich sie wütend an, doch sie grinste nur und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Nein, das hast du nur gedacht.“ Tai lächelte und wand sich zu ihr um und dann…
 

…schreckte ich hoch.

„SUSHI“, schrie ich und saß kerzengerade im Bett.

Ich war schweißgebadet. Es war mitten in der Nacht. Panisch sah ich mich um. Es war alles dunkel. Keine Sora. Keine Rosenblätter. Und vor allem kein Sushi.

Erleichtert griff ich mir an die feuchte Stirn und atmete schwerfällig aus. Tai neben mir grummelte und richtete sich auf.

„Was hast du denn?“, fragte er besorgt und streichelte meinen Arm.

„Nichts. Nur ein Albtraum.“

Ich warf die Decke zurück und ging geradewegs ins Badezimmer, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu spritzen. Verwirrt stützte ich mich am Waschbeckenrand ab.

Was zur Hölle war das?

Ich ging in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken. Dabei fiel mein Blick auf die Reste vom Vorabend, die immer noch in der Küche standen. Wütend schnappte ich mir den Teller und kippte alles kurzentschlossen in die Mülltonne. „Drecks Sushi!“

Als ich zurück ins Schlafzimmer kam, hatte Tai die Nachttischlampe angestellt und saß im Schneidersitz auf dem Bett.

„Du kannst ruhig weiterschlafen. Es ist alles in Ordnung“, sagte ich, doch er grinste nur und klopfte mit der flachen Hand neben sich. Ich seufzte und setzte mich ihm gegenüber.

„Alles klar bei dir?“, fragte er. Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und sah ihn genervt an. „Hab ich doch gesagt!“

„Gut“, grinste er und holte etwas hinter seinem Rücken hervor. „Ich hab nämlich ein Geschenk für dich.“ Er hielt mir einen Briefumschlag vor die Nase. „Alles Gute, zum Abschluss, Tai.“

Irritiert zog ich eine Augenbraue nach oben und sah ihn fragend an. „Wie, jetzt? Ein Geschenk für mich… aber eigentlich ist es für dich, zum Abschluss? Muss ich das jetzt verstehen?“

Er zuckte mit den Schultern, als ich den Briefumschlag entgegennahm.

„Na ja, es ist ein Geschenk für dich… und für mich, sozusagen. Wir haben beide was davon. Ich dachte, so zur Feier des Tages, dass meine Prüfungen vorbei sind. Und du hast dir auch mal eine Auszeit verdient.“

Ich runzelte die Stirn und öffnete den Umschlag. Es befand sich ein Flyer darin.

„Was ist das?“

Ich drehte und wendete das Teil in meiner Hand. Ganz vorn war ein Strand, der Fuji und Kirschblüten zu sehen. „Nishiizu?“

„Ja, ich war früher öfter mal mit meinen Eltern da. Es ist total schön da und schau mal, von dem Hotel aus kann man sogar den Fuji sehen.“ Er klappte den Flyer auf und zeigte auf ein wunderschönes Hotel, mit Blick aufs Meer und auf den Fuji in weiter Ferne. Völlig verdattert sah ich ihn an.

„Ich versteh nicht ganz.“

Tai lachte und klappte den Flyer wieder zu. „Wir fahren dort hin. Nächstes Wochenende. Nur wir zwei.“

Meine Augen weiteten sich. „WAS?“

„Ja, ist doch toll, oder?“ Tais Augen strahlten, während mir sofort tausend Fragen durch den Kopf schossen.

„Aber… Aber wie sollen wir denn dort hinkommen? Und hast du das etwa schon gebucht? Das ist doch sicher super teuer da! Wovon hast du das bezahlt? Und was ist mit Hope? Ich kann sie doch nicht einfach so allein lassen und außerdem…“

„Mimi“, unterbrach er mich und ich verstummte.

„Mimi… kannst du mal aufhören, dir um alles und jeden Sorgen zu machen? Kannst du dich nicht einfach mal freuen?“

Total verdattert saß ich da und starrte ihn an. Ich kam mir komplett bescheuert vor.

„Ich habe schon mit meiner Mutter gesprochen“, erklärte er mir weiter. „Sie wird an dem Wochenende auf Hope aufpassen. Das heißt, wir können ganz sorglos wegfahren, nur wir zwei. Und um das Geld mach dir mal keine Gedanken. Es ist alles bezahlt.“ Ich wollte etwas einwenden, doch er hielt mir den Finger an die Lippen. „Nein, du sagst jetzt nichts dazu. Es sei denn, du möchtest mir sagen, dass du dich darüber freust. Dann, bitte sprich!“

Ich sackte zusammen und stierte auf den Flyer in meiner Hand.

„Du bist total verrückt“, sagte ich leise.

„Ich weiß.“

„Und du willst wirklich mit mir da hin?“

„Will ich.“

„Nur wir zwei?“

„Nur wir zwei!“

Ich warf ihm einen verstohlenen Blick zu. „Das ganze Wochenende?“

Er grinste schief. „Das ganze Wochenende.“

Ich wurde rot um die Nase, weil ich ganz genau wusste, was das bedeutete. Allerdings konnte ich bei dem Gedanken daran nicht verhindern, dass sich ebenfalls ein Lächeln auf meine Lippen legte.

„Tai, du bist komplett verrückt!“, rief ich und fiel ihm um den Hals. Er schloss seine Arme um mich. „Ich weiß, du wiederholst dich. Also, freust du dich?“

„Soll das ein Witz sein?“, entgegnete ich und wedelte mit dem Flyer vor seiner Nase herum. „Das ist die beste Überraschung seit langem!“

Überglücklich ließ ich mich zurück in die Kissen fallen und der Albtraum von vorhin war wie weggeblasen.

„Ich freue mich, wenn du dich freust“, sagte Tai zufrieden und stützte sich neben mich ab. „Du hast dir das mehr als verdient, nach dem ganzen Stress der letzten Monate. Und außerdem…“ Er legte ein schelmisches Grinsen auf und fuhr mit dem Finger meinen Bauch hinauf. „Dort kann ich dich endlich drei Tage lang in einem Zimmer einsperren. Mit einem riesigen Bett. Also, ich hoffe, du hast jetzt kein ausführliches Kulturprogramm erwartet. Ich will dich an diesem Wochenende ganz für mich haben.“

Ich lachte und zog ihn an mich. „Nichts lieber als das“, sagte ich und küsste ihn.
 

Am nächsten Morgen ging ich allein zur Schule. Die Zeiten, in denen ich mit Tai zur Schule ging und dort auf Yamato und Sora treffen würde, waren endgültig vorbei. Zugegebenermaßen war ich sogar ein wenig reumütig darüber. Eigentlich war es doch eine schöne Zeit, in der wir alle gemeinsam die Schule besuchten. Zumindest bis zu dem Tag, als ich verschwand.

„Hey, Mimi“, rief jemand von hinten. Ich drehte mich um und sah Izzy, der auf mich zu gerannt kam.

„Guten Morgen, Izzy“, begrüßte ich ihn freundlich. Völlig aus der Puste kam er bei mir an.

„Hab mich extra beeilt, damit ich dich noch einhole. Ich hab ein wenig verschlafen“, gestand er und griff sich an die Stirn.

„Wow“, lachte ich. „Du hast das erste Mal in deinem Leben verschlafen, gratuliere! Möchtest du eine Trophäe oder lieber eine Aspirin?“

Izzy grinste unsicher und verzog dann das Gesicht. „So offensichtlich?“

„Na ja, du verträgst eben kein Bier und das weiß ich besser als du.“

„Anscheinend. Dann wähle ich die Aspirin. Ich trinke nie wieder!“, sagte er gequält, als ich ihm eine Schmerztablette gab und wir an der Schule ankamen.

Vor dem Schulgebäude sammelte sich eine Schaar Schüler, die wild durcheinanderredeten und lachten.

„Was ist da los? Gibt’s da was umsonst?“, fragte Izzy, doch ich zuckte nur mit den Schultern.

„Keine Ahnung.“

Ein Mädchen aus der Parallelklasse löste sich von der Menge, als sie mich sah und kam auf mich zugestürmt.

„Hey, Mimi. Hast du kurz Zeit?“

Ich nickte und wandte mich an Izzy. „Geh ruhig schon mal rein, ich komme gleich nach.“

„Alles klar“, meinte Izzy und schenkte dem Mädchen ein müdes Lächeln.

„Hallo, Kazumi. Was gibt’s denn?“, fragte ich sie, als Izzy gegangen war.

„Was hast du morgen Abend vor?“, platzte es aus ihr heraus. Erwartungsvoll sah sie mich an.

Ich überlegte. „Eigentlich noch nichts, warum?“

„Einige Schüler aus der Abschlussklasse veranstalten eine Party, weil die Prüfungen vorbei sind.“ Sie drückte mir einen Flyer in die Hand. „Es ist eine Sündenparty“, erklärte sie mir. Die Schrift prangte groß und breit in Rot auf dem Zettel.

„Was ist denn das für ein Quatsch?“, lachte ich und begann laut vorzulesen. „Erleichtert eurer Gewissen. Gesteht euch eure dunkelsten Geheimnisse. Und werdet dafür gefeiert. Das beste Geheimnis gewinnt!“

Verständnislos und zugleich belustigt sah ich sie an. „Was?“

Kazumi verdrehte die Augen, als wäre ich irgendwie schwer von Begriff.

„Kennst du das etwa nicht? Das ist der neuste Schrei auf Studentenpartys.“

Diese Info half mir allerdings so gar nicht weiter. Von dieser Welt verstand ich nichts.

„Und wie funktioniert das Ganze?“, hakte ich nach.

„Also es ist so“, begann Kazumi und legte einen bedeutungsvollen Blick auf. „Irgendjemand veranstaltet diese Party. Die Sündenparty. Und er lädt ein paar Leute dazu ein. Diese wiederum können ebenfalls Leute einladen und so weiter und so weiter. Die Anzahl sollte natürlich schon begrenzt sein, damit das Ganze nicht aus dem Ruder läuft – versteht sich von selbst. Aber grundsätzlich gilt: je mehr Leute, desto besser. Außerdem erhöht das die Chance, dass sich nicht alle Anwesenden kennen. Das macht es umso spannender.“

Bis jetzt klang es zwar noch nicht sehr aufregend und ergab wenig Sinn, aber ich war neugierig.

„Okay, und wie geht es dann weiter?“, fragte ich.

Kazumi lachte. „Hallo? Es heißt Sündenparty. Ihr beichtet euch eure dunkelsten Geheimnisse, ist doch klar.“

„Was?“

Okay, nun hatte sie meine volle Aufmerksamkeit.

„Keine Sorge, ihr sagt sie euch nicht direkt ins Gesicht – das wäre ja komplett witzlos! Ihr schreibt sie auf.“

„Interessant. Und was passiert dann?“

„Dann werft ihr sie in eine Art Black Box. Wenn das alle getan haben, werden die Zettel rausgeholt und auf gehangen, sodass jeder sie lesen kann. Auf jeden Fall gibt es dann eine Abstimmung. So in etwa wie eine Wahl, verstehst du?“

Ich runzelte die Stirn. „Eine Abstimmung? Was wird denn abgestimmt?“

Wieder lachte sie und schlug mir spielerisch gegen den Arm. „Natürlich, wer die beste Sünde preisgegeben hat, du Dummerchen. Und beste heißt in dem Fall gleich schlimmste.“

Verdattert sah ich sie an. War das ihr Ernst? Irgendwie erschien mir das Ganze total irrwitzig.

„Und dann… gibt es eine Art Preis, oder wie?“, fragte ich nach.

„Nein, dann wäre es ja nicht mehr anonym. Das ist ja das Gute an dem Spiel. Jeder darf seine Sünden beichten, ohne, dass er sich selbst verraten muss. Wie auf einem Beichtstuhl – nur auf moderne Art und Weise.“

Ich war fast schon sprachlos darüber, wie begeistert sie von dieser Form der Bespaßung war. So etwas Verrücktes hatte ich noch nie zuvor gehört!

„Und das soll lustig sein?“, meinte ich skeptisch und warf einen Blick zu der aufgeregten Schülermenge hinter uns.

Kazumi zuckte mit den Schultern. „Irgendwie schon. Man feiert quasi, dass man den Mut hatte, sein Gewissen zu erleichtern. Ich war selbst noch nicht dabei, aber ich habe gehört, dass es echt interessant sein soll.“ Sie lehnte sich etwas weiter nach vorn und zwinkerte mir zu. „Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“

Ich zog eine Augenbraue nach oben und betrachtete noch mal den Zettel in meiner Hand.

„Das klingt irgendwie voll daneben.“

Kazumi rollte mit den Augen. „Und trotzdem habe ich dich hiermit offiziell eingeladen. Sag’s weiter!“
 

Gedankenverloren sah ich aus dem Fenster und kaute dabei auf meinen Stift herum. Mir ging so vieles durch den Kopf. Schon wieder.

Der gestrige Abend. Sora. Kari. Takeru. Tai. Das kommende Wochenende mit ihm. Die Party…

Die Party. Was für eine bizarre Idee. Doch irgendetwas reizbares schien es wohl an sich zu haben, sonst wären nicht so viele Leute davon begeistert gewesen. Immer wieder gingen mir Kazumis Worte durch den Kopf.
 

„Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“
 

Ach! So ein Quatsch! Als ob das auch nur ansatzweise irgendeinen Sinn ergab. Die Leute hatten schon komische Ideen. Obwohl… jeder hatte doch Geheimnisse, oder? Jeder hatte seine Leichen im Keller – manche klein, manche größer – aber sie waren da. Vielleicht empfanden es ja einige Teilnehmer tatsächlich als befreiend, wenn sie sich auf diese Weise der Welt mitteilen konnten. Sie konnten ihr Gewissen erleichtern, ohne, dass irgendeine Art Konsequenz folgte. Ich dachte an mein Geheimnis. Ich hatte es schon gebeichtet. Aber was war mit den anderen? Sie hatten auch Geheimnisse. Ich dachte an Kari. Vielleicht wäre so etwas genau das Richtige für sie, um sich zu erleichtern. Ich hatte das Gefühl, wenn sie sich nicht bald jemanden mitteilen konnte, würde sie zugrunde gehen. Und was war mit Sora? Und mit Tai? Hatten die beiden auch ein gemeinsames Geheimnis, was sie miteinander verband? Dieses Gefühl ließ mich einfach nicht los und nach gestern Abend… Ich dachte daran, wie merkwürdig sich Sora verhalten hatte und wie verkrampft plötzlich Tai gewirkt hatte, obwohl die Stimmung doch vorher recht ausgelassen zwischen den beiden war. Soras scheinbar unbedeutender Kommentar schoss mir wieder in den Kopf…
 

„Ähm… i-ich hole mir mal noch etwas Sushi.“
 

Und Kazumi…
 

„Oder würde es dich etwa nicht interessieren, welche Geheimnisse deine Mitmenschen so mit sich rumtragen?“
 

Oh Gott, ich glaub, ich bekam auch Kopfschmerzen. Doch, es musste einfach etwas geben, was die beiden verheimlichten. Und auch Kari und Takeru trugen ein Geheimnis mit sich rum. Ich hielt das nicht mehr aus. Schmerzhaft biss ich mir auf die Lippe und umklammerte meinen Stift. Es genügte! Ich konnte weder noch länger Kari dabei zusehen, wie es sie zerstörte, noch ständig Tai und Sora weiter hinterherstellen und darauf lauern, dass sie irgendetwas sagten oder taten, was mein Misstrauen erweckte. Das alles machte mich ganz wahnsinnig!

„Hey! Hey, Mimi!“

Izzys Flüstern riss mich aus meinem kläglichen Gedankenkreislauf. „Hey, was ist los?“ Er lehnte sich leicht zu mir rüber, während die Lehrerin damit beschäftigt war, etwas an die Tafel zu schreiben. „Du passt überhaupt nicht auf!“, tadelte er mich.

Ich lächelte entschuldigend.

„Tut mir leid. Es ist nur… was hast du morgen Abend vor?“
 

„Morgen Abend?“, fragte Tai stutzig, während er mit Hope zusammen auf dem Sofa lag und sie immer wieder in die Luft hielt, damit sie kicherte. Nach der Schule war ich sofort nach Hause gegangen, um Tai von der Party zu erzählen. Natürlich ließ ich ein wichtiges Detail aus.

„Hast du noch nichts davon gehört?“, entgegnete ich unschuldig und tat so, als wäre ich schwer mit aufräumen beschäftigt. „Die Schüler der Abschlussklassen haben es organisiert. Sie wollen euren Abschluss feiern.“

Tai überlegte. „Nein, hab ich noch nicht mitbekommen. Obwohl Yamato es neulich schon mal erwähnt hatte, dass vermutlich eine Party geplant ist.“

„Und?“, fragte ich erwartungsvoll und räumte ein paar Bücher ins Regal zurück. „Willst du hingehen?“

Er verzog das Gesicht. „Hmm, nein.“

„Was, wieso nicht?“

„Ich bin froh, dass die Schule vorbei ist. Ich brauch diese Party nicht. Außerdem hatten wir schon lang keinen Abend mehr für uns.“

Ich schnaufte. Wie konnte ich ihn nur überreden, mitzukommen?

„Aber ich habe schon Izzy gefragt und er kommt auch mit“, warf ich ein, als Tai mich überrascht ansah.

„Du hast schon Izzy gefragt?“

Ich zuckte unschuldig mit den Schultern. „Na ja, ich dachte, du würdest auch hingehen wollen.“

„Und was ist mit Hope?“

„Ich habe schon mit Frau Hanada gesprochen… vorhin. Sie würde morgen Abend auf sie aufpassen.“

„Na, ich weiß nicht“, meinte Tai nachdenklich und seine Mundwinkel sanken wenig begeistert nach unten.

„Ach, komm schon, Tai“, fing ich nun an zu betteln und kniete mich neben ihn und Hope. „Ich war schon ewig auf keiner Party mehr. Mir fehlt das irgendwie. Dieses normale Schülerleben.“ Ich legte meinen kleines-Mädchen-Blick auf, der schon früher hervorragend bei ihm funktioniert hatte, wenn ich etwas von ihm wollte. „Ich möchte nur auch mal wieder Spaß haben und ich dachte, es wäre eine tolle Idee für uns beide. Außerdem hast du es dir verdient. Du hast dich die letzten Monate echt abgerackert. Erst das mit deinem Fuß, Hope, ich… du hast es dir verdient, deinen Abschluss zu feiern. Und ich habe mir verdient, mich endlich mal wieder schick zu machen und mein grünes Kleid rauszuholen.“

Tai antwortete mir nicht, er sah mich einfach nur an.

Ich kräuselte meine Lippen. „Bitteee, Taiii“, flehte ich und zog dabei seinen Namen betont in die Länge. „Bitte lass uns zu dieser Party gehen, ja?“

Tai seufzte schwer, gab sich letztendlich jedoch geschlagen. „Na, gut. Wenn du unbedingt hinwillst.“

„Klasse!“, jubelte ich, sprang auf und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. „Ich ruf sofort die anderen an und frag, ob sie auch mitwollen.“

Tai grinste amüsiert. Ich hatte es geschafft. Jetzt musste ich nur noch dafür sorgen, dass die anderen auch mitkommen würden. Vielleicht war das ja meine Chance, auf die ich so lang gewartet hatte…
 

Ich hatte es geschafft!

Genau 24 Stunden später waren wir alle gemeinsam auf den Weg zu dieser Party, die bei irgendeinem Typen aus der Abschlussklasse stattfand und den ich überhaupt nicht kannte. Aber das war ja egal. Darum ging es ja bei dieser Party. Wobei mir es um etwas völlig anderes ging.

„Ich bin richtig aufgeregt“, gestand ich und eine freudige Hitze breitete sich in mir aus. Oder war es eher Aufregung?

„Warum bist du nur so heiß auf diese Party?“, fragte Tai, der mich mit hochgezogener Augenbraue von der Seite her ansah, doch ich zuckte nur mit den Schultern.

„Wenigstens ist hier eine heiß“, warf Yamato genervt ein und verschränkte die Arme hinter den Kopf, als Sora ihn unsanft in die Seite stieß.

„Oho“, lachte Tai auf. „Ärger im Paradies?“

„Ach, halt die Klappe“, meckerte der Musiker und ging einige Schritte voraus.

„Also ich für meinen Teil trinke heute nichts. Ich bin nur mitgekommen, weil Mimi mich sonst nicht in Ruhe gelassen hätte“, meinte Izzy und lenkte so gekonnt vom Thema ab.

„Willkommen im Club“, sagte Tai und rollte mit den Augen.

„Ach, kommt schon Leute. Ich weiß gar nicht, wo euer Problem ist? Wir waren ewig nicht alle zusammen weg. Ich finde, das war eine tolle Idee, Mimi“, sagte Kari und lächelte mich aufmunternd an.

Ob sie die Idee nachher immer noch so gut fand, wenn wir erst mal da waren und sie feststellten, was das für eine Party war?

„Da wären wir“, verkündete Sora recht niedergeschlagen, als wir an dem Haus ankamen, in dessen Vorgarten sich schon einige Leute tummelten. Die ganze Zeit über war sie hinter Matt hergetrottet. Sie hatten kein einziges Wort miteinander gewechselt. Anscheinend gab es wirklich Stress zwischen den beiden. Ich beschloss, Sora später darauf anzusprechen, aber erst mal…

„Seid ihr bereit?“, fragte ich verheißungsvoll, während meine Aufregung immer größer wurde. War das wirklich eine gute Idee? Sollte ich das wirklich tun? Was war, wenn tatsächlich heute Abend Dinge offenbart wurden, die ich nicht wissen wollte? Dinge, die alles verändern könnten?

„Jetzt sei mal nicht so dramatisch“, entgegnete Yamato stirnrunzelnd.

„Genau, ist doch nur ne Party“, meinte auch Tai und alle gingen rein. Ich blieb noch einen kurzen Moment stehen und wog mein Gewissen ab. War das richtig oder falsch, was ich hier tat?

Ach, verdammt! Ich hatte keine Zeit mehr, darüber nachzudenken. Nun war es eh zu spät. Was auch immer dieser Abend bringen sollte – es musste geschehen. Sonst würde ich keine Ruhe finden.

Ich folgte den anderen nach drinnen und war fast schon geschockt darüber, wie viele Leute da waren. Die halbe Schule schien anwesend zu sein.

„Na, klasse. Wie soll ich denn da jemals die richtigen Zettel finden?“, nuschelte ich in mich hinein.

„Was hast du gesagt?“, fragte Tai, der neben mir stand. Ich winkte schnell ab. „Ach, gar nichts. Lass uns was zu trinken holen.“

Wir gingen alle in die Küche, wo ein paar der älteren Schüler gerade ein Trinkspiel spielten und anschließend in lautes Gegröle verfielen.

„Mimi!“ Ich drehte mich um. Kazumi kam auf mich zugestürmt. „Du bist ja doch gekommen. Hast du jemanden mitgebracht? Sind das deine Freunde?“ Sie blickte uns begeistert an und war offensichtlich auch schon etwas beschwipst.

„Ja, das sind…“, begann ich, doch sie ließ mich nicht aussprechen.

„Ist ja cool! Und? Habt ihr so was schon mal gemacht?“

Takeru schmunzelte. „Was… gemacht?“

Kazumi stemmte eine Hand an die Hüfte und schaute uns alle bedeutungsvoll an.

Oje.

„Na, wart ihr schon mal auf so einer Party?“

Alle sahen sich irritiert an. „Jaah? Du etwa nicht?“, fragte Tai irritiert, als meine Handflächen langsam zu schwitzen begannen.

„Wow, echt? Ist ja der Wahnsinn!“, meinte Kazumi und sah uns alle mit großen Augen an. „Also, ich bin zum ersten Mal dabei, aber ich bin schon tierisch gespannt. So eine Sündenparty ist schon echt was ziemlich Bizarres oder? Aber irgendwie auch witzig. Na ja, viel Spaß euch noch.“ Sie grinste, drehte sich um und mischte sich wieder unters Volk.

„Wie bitte, Sünden-was?“, meinte Kari und sah fragend in die Runde.

„Was soll das sein, eine Sündenparty?“, fragte nun auch Sora.

Tai sah mich an. „Mimi?“

Ich grinste unsicher und zuckte mit den Schultern. Doch das kaufte mir irgendwie keiner ab. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ich knickte ein.

„Okay, okay. Ich hab gedacht, es wäre lustig. Alle wollten herkommen und mitmachen.“

„Wobei mitmachen?“, hakte Tai misstrauisch nach, doch noch bevor ich antworten konnte, wurde plötzlich die Musik abgestellt und alle Blicke richteten sich in die Mitte des Raums, wo einer der älteren Schüler auf einem Tisch stand und um Ruhe bat.

„Hey Leute, schön, dass ihr alle gekommen seid! Ich könnte jetzt eine riesen Reden darüber halten, wie geil es ist, dass die Schule endlich vorbei ist, aber das wäre zu langweilig und deswegen seid ihr auch alle nicht hier. Nein, ihr seid alle nur aus einem Grund hier. Nämlich, um eure Sünden zu beichten!“, rief er über die Menge, die ihm zujubelte und in die Hände klatschte.

„Oh, nein“, kam es Takeru leise über die Lippen und auch die anderen warfen sich unsicher Blicke zu.

Tai beugte sich zu mir runter. „Mimi, was soll das?“, fragte er leise.

„Also, ihr kennt die Regeln. Denkt euch nichts aus, nur um zu gewinnen. Seid gnadenlos ehrlich mit euch und euren Sünden. Wir wollen die nackte Wahrheit und nur die! Ihr wisst, die beste Sünde gewinnt am Ende des Abends.“

Wieder riefen die Leute ihm begeistert zu, während ein paar Leute rumgingen und an alle Anwesenden Zettel und Stifte verteilten. Der Junge, der eben noch gesprochen hatte, stellte eine schwarze Kiste auf den Tisch, auf den er eben noch gestanden hatte und erklärte, dass das die Box der Schande sei, was wohl irgendwie witzig sein sollte, bei meinen Freunden jedoch nicht ankam.

Es wurde also ernst…

„Nein, vergiss es. Da mach ich nicht mit!“, protestierte Takeru sofort und verschränkte die Arme vor der Brust. Alle anderen sahen sich schweigend an.

„Was soll das hier werden, wenn’s fertig ist?“, fragte Tai in die Runde und ich konnte den Zweifel in seinem Blick sehen.

„Also ich mache da auch nicht mit, auf keinen Fall“, lehnte nun auch Sora vehement ab und machte somit all meine Hoffnungen zunichte. Ich musste etwas unternehmen. Ganz dringend.

„Ehm, also…, wenn ich es kurz erklären dürfte?“, hakte ich dazwischen und alle sahen mich überrascht an. „Es stimmt. Ich wusste, was das für eine Party ist. Und ich wollte unbedingt hingehen.“ Tai verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue nach oben. Hoffentlich ging das nicht alles gleich voll nach hinten los.

„Ihr wisst, ich habe dieses Schuljahr ein großes Geheimnis mit mir herumgetragen. Und es tat unglaublich gut, als es endlich raus war. Als ihr endlich alle Bescheid wusstet. Ich habe gesehen, es ist nicht schlimm, zu seinen Sünden zu stehen. Im Gegenteil. Es erleichtert einen. Und ich möchte mutig sein und endlich offiziell zu meiner Tochter stehen. Auch, wenn ich dann wahrscheinlich den Preis für die beste Sünde gewinnen werde“, lachte ich unsicher. „Ich möchte endlich reinen Tisch machen. Mit allem! Und jedem! Deswegen bin ich heute hier. Und ich wäre euch dankbar, wenn ihr jetzt nicht gehen würdet.“ Flehend sah ich die anderen an. Kari war die Erste, die einknickte.

„Mimi, das finde ich so mutig von dir. Also ich… i-ich bleibe auf jeden Fall hier und unterstütze dich. Du bist nicht allein.“

Takeru sah sie fassungslos an. „Was? Du willst da mitmachen?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Mal ehrlich, Leute. Wie schlimm können eure Sünden schon sein? Ich denke nicht, dass es schlimmer sein kann als das, was ich getan habe.“

Ich hatte sie noch nicht überzeugt, noch nicht alle. „Ich hatte mit einem älteren Typen eine Affäre. Und habe ein Kind von ihm. Und ich habe es vor der Welt versteckt. Und alle angelogen.“

Sora war die Zweite, die einknickte. Sie warf einen kurzen Blick zu Tai und sah dann wieder zu mir.

„Du hast recht, Mimi.“

„Was?“, platzte es aus Tai heraus. „Habt ihr sie noch alle?“

„Ich finde es sehr mutig, was Mimi da sagt. Und sie hat recht. Manchmal tut es gut, mit allem reinen Tisch zu machen“, entgegnete Sora entschlossen.

„Na, das sind ja ganz neue Töne“, entgegnete Yamato trocken und warf seiner Freundin einen komischen Blick zu. Ich überging diesen Kommentar und sah die anderen hilfesuchend an.

„Also, was ist? Bleibt ihr hier und unterstützt mich?“

Kari nickte. Takeru stöhnte und nickte schließlich auch. Sora war ebenfalls einverstanden.

„Von mir aus“, nörgelte Yamato genervt. Izzy schüttelte nur den Kopf. „Ich verstehe diesen Wirbel hier nicht so richtig, aber…, wenn es dir so viel bedeutet, bleibe ich natürlich auch. Ich kann ja aufschreiben, dass ich in der letzten Klausur geschummelt habe.“

Alle sahen ihn entsetzt an.

„Das war ein Witz, Leute. Keine Ahnung, was ich aufschreiben soll, aber mir fällt schon irgendwas ein.“

Ich sah zu Tai. Sein Blick war unergründlich. Ich war mir nicht sicher, ob er wirklich bleiben oder jeden Moment die Flucht ergreifen würde. Ob er mich bereits wieder durchschaut hatte?

Schließlich seufzte er und ein Stein fiel mir vom Herzen. „Okay, ist gut. Ich bleibe auch.“

Ich strahlte. „Super!“ Dann reichte ich den anderen ihre Zettel und ihre Stifte. Fragend sahen sie das leere Stück Papier in ihrer Hand an.

„Wenn ihr fertig seid, müsst ihr es in diese schwarze Box da drüben stecken.“

Yamato drückte mit den Fingern gegen seinen Nasenrücken. „Oh man, ich glaub, ich brauche erst ein paar Bier, bevor ich das machen kann.“

Sora sah ihn irritiert an. „So schlimm?“ Er verengte die Augen zu Schlitzen und funkelte sie böse an.

„Gut“, sagte ich und versuchte diese hitzige Situation etwas zu entschärfen. „Lasst uns erst mal was trinken. Ist vielleicht wirklich besser.“

Sündenparty Teil II

„Confess sin quickly. You don’t want to allow your heart

to get in the habit of keeping sin a secret.“

– Jackie Hill Perry


 

Eine Stunde später war die Sache getan.

Wir waren alle gut angetrunken und hatten unsere Zettel in die Box gesteckt. Ein paar der anderen Leute waren gerade dabei, sie aufzuhängen. Und zwar kreuz und quer an Leinen durch den ganzen Raum. Es sah verrückt aus. Aber das war es ja auch.

Kari, Izzy und Takeru hatten sich als Erste darangemacht, die vielen Zettel unter die Lupe zu nehmen. Tai und Sora verspürten offensichtlich kein großes Verlangen danach. Und Yamato… der lehnte einfach nur genervt gegen eine Wand und ergab sich seinem Schicksal. Genauso, wie ich. Wir tranken beide ein Bier und beobachteten aus naher Ferne, Sora und Tai, die sich angeregt unterhielten. Sora lachte.

Yamato schnaubte. „Möchte mal wissen, was es bei dieser Show hier noch zu lachen gibt“, nörgelte er und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Flasche.

„Was meinst du?“, fragte ich, doch er hielt den Blick einfach weiter starr geradeaus gerichtet. Ich rutschte etwas näher an ihn ran, um besser mit ihm reden zu können.

„Sag mal, was ist eigentlich los? Habt ihr euch gestritten, du und Sora?“

„Was los ist?“, entgegnete er und seine Mundwinkel zuckten amüsiert, als er mit dem Kopf in ihre Richtung deutete. „Frag sie doch. Mir sagt sie es ja nicht.“

Ich stutzte. „Wie meinst du das? Redet sie nicht mit dir?“

„Nope“, antwortete Matt und stieß sich von der Wand ab. „Und sonst macht sie auch nichts mehr mit mir. In letzter Zeit ist sie total komisch. Keine Ahnung, was mit ihr los ist, aber langsam nervt es. Ich hole mir noch ein Bier. Möchtest du auch noch eins?“

Ich schüttelte den Kopf.

„Geile Party“, maulte er und ging in Richtung Küche.

Ich stöhnte auf und ließ mich wieder gegen die Wand fallen. Irgendwie war alles so… so verquer. Nichts war mehr wie vorher und alles wurde immer verrückter. Ich war mir nicht sicher, ob ich diese Decke, die auf unser aller Geheimnisse lag und sie behütete, wirklich wegziehen wollte. Ob ich sie bloßstellen wollte, denn das würde alles verändern. Ich war mir unsicher. Und doch juckte es mich in den Fingern, sämtliche Zettel durchzulesen, die im Raum verteilt waren. Ich sah wieder zu Tai und Sora. Irgendetwas stimmte nicht. Dass sie sich jetzt auch noch mit ihrem Freund in den Haaren hatte, war für mich kein gutes Zeichen. Vielleicht ahnte Matt ja auch, dass etwas nicht stimmte. So, wie es aussah, standen die beiden sich momentan nicht sonderlich nahe – weder seelisch, noch körperlich. Das merkte man.

Kari kam auf mich zu. „Puh, da sind vielleicht Sachen dabei, das glaubst du nicht. Total verrückt! Ich glaube, viele der Leute haben geflunkert. Das kann einfach nicht alles wahr sein, was da steht“, gab sie skeptisch zu bedenken, doch ich schielte sie nur von der Seite her an.

„Und du? Hast du auch geflunkert?“

„Ähm… ich… nein, also… ich war schon ehrlich. Ich denke, du hattest recht. Manchmal tut es einfach gut, wenn man sich mitteilen kann. Und es erfährt ja schließlich keiner, wer welchen Zettel geschrieben hat, nicht?“ Ein unsicheres Lächeln umspielte ihre Lippen. Ich sah sie an und grinste dann. „Natürlich nicht. Wie soll das denn gehen?“

Ich stieß mich von der Wand ab und war der Meinung, dass nun der Zeitpunkt gekommen war, dass ich ebenfalls einen Blick auf die Sünden warf.

Ich wusste nicht, wo ich anfangen und wo ich aufhören sollte, also blieb ich einfach vor dem erstbesten Zettel stehen, der mir vor die Nase kam.
 

„Ich bin Vegetarierin. Schon seit Jahren. Aber manchmal ist das Verlangen nach Fleisch so groß, dass ich Kilometer weit fahre, um in irgendeinem Fast Food Restaurant Burger zu essen. Dort erwischt mich niemand.“
 

Ich schmunzelte. Okay. Wenn sie meinte. Ich ging weiter.
 

„Ich schaue mir heimlich Pornos an.“
 

Ich lachte auf. Sehr interessantes Geheimnis. Als ob das nicht alle Jungs machen würden. Ich stellte mir vor, dass der Zettel von Izzy sein könnte und musste noch mehr lachen. Ich ging weiter.
 

„Ich bin in den Vater meiner besten Freundin verliebt.“
 

Puh, das war bitter. Ich ging trotzdem weiter.
 

„Manchmal stelle ich mir vor, wie mein Sportlehrer nackt aussieht und wie es wäre mit ihm zu schlafen.“
 

„Ich bin mit jemanden zusammen, den ich nicht liebe.“
 

Gott. Das war härter als ich gedacht hätte. Unfassbar welch dunklen Gedanken die Leute mit sich rumtrugen. So langsam bekam ich Angst. Tais oder Soras Handschrift konnte ich bis jetzt noch nirgendwo ausfindig machen. Gefasst ging ich weiter und las einen Zettel nach dem anderen.
 

„Vor ein paar Monaten habe ich meinen Vater mit seiner Affäre erwischt. Ich habe es meiner Mutter nicht gesagt.“
 

„Ich hasse Menschen. Menschen tun sich schlimme Dinge an und manchmal denke ich, es wäre besser, wenn sie nicht mehr da wären.“
 

Mir stockte der Atem. Wie grausam war das, was die Leute hier aufgeschrieben hatten? Mir wurde immer schlechter und mein Magen drehte sich um, und doch zwang ich mich, weiterzugehen.
 

„Mein Bruder geht auf meine Schule. Er weiß nicht, dass wir Geschwister sind.“
 

„Ich stehe auf Mädchen. Und auf Jungs.“
 

Ich schluckte schwer. Das war wirklich hart. Und ich wusste nicht, ob ich wirklich weiterlesen sollte. Das war alles zu viel. Wie konnten die Leute nur solche Dinge mit sich herumtragen? Wie konnten sie überhaupt damit leben? Das war alles furchtbar! Und, wenn mir die Dinge von fremden Leuten schon so nah gingen, wie sollte das dann erst bei den Menschen sein, die mir nahestanden. Tai. Was hatte er aufgeschrieben?

Unsere Blicke trafen sich und ich glaube, er konnte in diesem Moment die Angst in meinen Augen erkennen. Er wollte auf mich zugehen, doch Sora hielt ihn am Arm fest und sagte etwas zu ihm. Er nickte und folgte ihr. Sie gingen weg von den Leuten.

Ich überlegte nicht lang und heftete mich an ihre Ferse. Sie gingen nach oben und verschwanden in einem Zimmer. Auf leisen Sohlen schlich ich ihnen nach. Was zur Hölle wollten sie allein in einem Zimmer? Mein Kopfkino schaltete sich sofort ein, doch ich hielt den Drang, hineinzustürmen erfolgreich zurück. Stattdessen lehnte ich mich gegen die Tür, die einen Spalt breit offen war. Und ich konnte sie reden hören.

„Tai, ich muss wissen, was du auf deinen Zettel geschrieben hast“, hörte ich Sora sagen.

„Du weißt genau, was ich drauf geschrieben habe“, entgegnete Tai streng.

„Gut. Ich war mir nicht sicher, ob du mir böse bist. Aber ich finde, Mimi hat recht. Egal, ob sie den Zettel sieht oder nicht. Wir sollten endlich reinen Tisch machen.“

Was meinte sie damit?

„Willst du mir etwa damit sagen, dass du den Zettel in die Kiste geworfen hast?“, meinte Tai und ich konnte an dem Klang seiner Stimme erkennen, dass er wütend war.

„Was, natürlich habe ich…“

„Sora, bist du bescheuert?“, entfuhr es ihm plötzlich und selbst ich zuckte zusammen „Ich dachte, du würdest den Zettel einfach nicht reinwerfen, so wie ich. Ich bin nur wegen Mimi geblieben. Ich hatte nie vor, den Zettel wirklich in die Kiste zu werfen“. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Was regte ihn denn so auf? Er war so wütend.

„Warum nicht? Mimi wird sie nicht lesen, es sind viel zu viele. Und außerdem… ich kann das nicht länger, Tai!“ Nun wurde auch sie lauter.

„Was meinst du damit? Was kannst du nicht länger?“

„Na, das hier!“, platzte es aus Sora heraus. „Ich ertrag das nicht mehr, Yamato etwas vorzumachen. Und Mimi. Und mir selbst. Und dir. Ich ertrag es in deiner Nähe einfach nicht mehr!“

Plötzlich tauchte Yamato neben mir auf. Ich hatte ihn zunächst gar nicht bemerkt. Wie lang stand er schon da? Er sah mich an. Dann legte er einen Finger auf die Lippen und wies mich somit an, still zu sein. Ich nickte kaum merklich und konzentrierte mich wieder auf das Geschehen in dem Zimmer.

„Sora“, sagte Tai und seine Stimme klang nun sanfter. „Das hatten wir doch geklärt. Wir haben doch darüber gesprochen. Ich bin jetzt mit Mimi zusammen und du mit Yamato. Du liebst ihn doch, oder?“

„Ich… ich weiß es nicht“, sagte Sora und ihre Stimme brach. Sie weinte. „Ich weiß nicht mehr, wen ich liebe. Ich weiß nur, dass ich es in deiner Nähe nicht mehr aushalte. Es tut mir zu sehr weh, zu sehen, dass du mit ihr zusammen bist. Tai, du… du weißt doch, was ich für dich empfinde.“

Ich zuckte zusammen. Und mein Herz fiel vor meine Füße zu Boden. Ich hatte es gewusst. Ich hatte es die ganze Zeit gewusst.

„Das reicht!“, knurrte Yamato unter zusammengebissenen Zähnen und riss mit einem Ruck die Tür auf, um in das Zimmer zu stürmen.

„Sag das noch mal!“, giftete er Sora an. Die beiden erschraken, während ich immer noch wie angewurzelt vor der Tür stand, unfähig mich auch nur einen Zentimeter zu rühren.

„Matt, das war… das war nicht so gemeint. Du verstehst da etwas falsch…“, versuchte Sora sich noch zu verteidigen, doch es half nichts. Die Würfel waren gefallen. Die Decke, die auch ihr Geheimnis gehütet hatte, war nun weg und legte die nackte, schonungslose Wahrheit offen. Eine Wahrheit, die ich so niemals erfahren wollte, das wurde mir nun klar.

„Halt bloß den Mund!“, schrie Matt, der seine ganze Wut gegen Sora zu richten schien. „Seit Wochen bist du schon so komisch und redest nicht mehr mit mir. Zwischen uns läuft gar nichts mehr. Ich hatte es dem Prüfungsstress zugeschoben, doch jetzt weiß ich ja, was der wahre Grund dafür war.“ Er funkelte Tai böse an, der einfach nur dastand und seine Hände zu Fäusten ballte. Dann… fiel sein Blick auf mich.

„Mimi… was… was machst du hier?“, sagte er bestürzt.

Ich zwang mich dazu, mich aus meiner Starre zu lösen und in das Zimmer zu treten. Ich wollte ihnen in die Augen sehen. Doch Sora drehte den Kopf weg, als sie mich sah. Wut kroch in mir hoch. Wie konnte sie es wagen, mich jetzt nicht einmal anzusehen?

„Sieh mich gefälligst an!“, schrie ich sie an und sie zuckte zusammen. Ihr Blick verriet mir, wie leid es ihr tat, dass ich es so erfahren musste, doch… das war nun zu spät.

„Mimi, lass es mich erklären!“, meinte Tai bittend und wollte einen Schritt auf mich zugehen, doch Yamato stellte sich sofort zwischen uns.

„Was willst du ihr denn erklären? Warum meine Freundin offensichtlich was von dir will? Das würde ich auch nur zu gern erfahren!“

„So ist es doch gar nicht!“, protestierte Tai, doch Soras Schluchzen sprach Bände.

„Mimi, ich erkläre es dir, versprochen, aber bit…“

„Was steht auf dem Zettel?“, unterbrach ich ihn. Überrascht sah er mich an. Doch er antwortete mir nicht.

„Du hast ihn doch nicht in die Kiste geworfen, richtig? Also. Was steht auf deinem Zettel, Tai?“, schrie ich ihn nun an, und sein Blick wich meinem aus. Das durfte nicht wahr sein! Das durfte einfach nicht wahr sein!

Ich wusste nun, was Soras Geheimnis war. Doch was war seins? Sie hatten davon gesprochen, dass sie beide dasselbe auf den Zettel geschrieben hatten. Doch, wenn Sora geschrieben hatte, dass sie in Tai verliebt war… dann würde das bedeuten…

„Nein…“, stammelte ich und fasste mir gegen die Stirn. Mein Kopf schwirrte. Meine Gedanken überschlugen sich. Mir wurde schlecht. Das konnte nicht sein! Bilder der letzten Wochen schossen mir durch den Kopf. Meine perfekte kleine Welt mit Tai. Und Hope. Alles gelogen? Alles nur Fassade? Um seine wahren Gefühle zu verbergen? Das konnte einfach alles nicht sein! Ich wollte es nicht wahrhaben. Ich konnte es erst glauben, wenn ich es mit eigenen Augen sah.

Mir wurde schwindlig und meine Atmung wurde unruhig. Ich begann zu hyperventilieren, doch ich riss mich zusammen, um ihm noch einmal in die Augen zu sehen.

„Der Zettel!“, forderte ich erneut. Ich musste es wissen! Ich brauchte Gewissheit! Und zwar jetzt! Sonst würden meine Gedanken mich auffressen.

„Mimi, mach das nicht…“, flehte Tai mich an, während Sora weiterhin unaufhörlich schluchzte. Er wollte es immer noch nicht. Er wollte das Geheimnis weiter verschlossen halten. Damit er seine Fassade von der perfekten Beziehung aufrechterhalten konnte. Doch das war bereits zu spät. Ich hatte nicht vor, mich weiter täuschen zu lassen. Entschlossen sah ich ihn an und straffte meine Schultern.

„Gut. Wenn du es mir nicht zeigen willst. Ich find es auch so heraus!“ Ich machte auf dem Absatz kehrt und flüchtete zurück nach unten. Die Party war, wie ich sie verlassen hatte. Und keiner scherte sich um mich. Deshalb ging ich geradewegs auf irgendwelche x-beliebigen Zettel zu und überflog jeden einzelnen davon flüchtig.

„Mimi, was machst du da?“, fragte Izzy, der plötzlich neben mir aufgetaucht war und dem offensichtlich nicht entging, wie aufgewühlt ich war, während ich hektisch von Zettel zu Zettel ging und sämtliche Sünden gedanklich zerpflückte.

„Hast du Soras Zettel gefunden?“, fragte ich ihn.

„Nein? Aber ich habe auch nicht danach gesucht… Was ist denn mit dir los?“ Verständnislos sah er mich an, als ich schließlich bei ein paar Zetteln angekommen war, die ich schon vorhin gelesen hatte. Ich überflog sie erneut. Auf der panischen Suche nach einer Antwort.
 

„Ich bin mit jemanden zusammen, den ich nicht liebe.“
 

„Vor ein paar Monaten habe ich meinen Vater mit seiner Affäre erwischt. Ich habe es meiner Mutter nicht gesagt.“
 

„Mein Bruder geht auf meine Schule. Er weiß nicht, dass wir Geschwister sind.“
 

„Ich stehe auf Mädchen. Und auf Jungs.“
 

Ich stutzte und riss zwei Zettel einfach ab.

„Hey, was soll das? Das darfst du nicht! Wir haben noch nicht alle abgestimmt!“, blaffte mich ein Mädchen von der Seite an, doch nachdem ich ihr einen vernichtenden Blick zuwarf, musterte sie mich nur und ließ mich dann in Ruhe. Ich las die Zettel erneut durch. Oh nein… Bitte nicht…

Izzy beugte sich darüber und blickte irritiert drein.

„Ist das nicht Karis Schrift?“

Mein Herz rutschte in die Hose. Ich nickte.
 

„Ich stehe auf Mädchen. Und auf Jungs.“
 

Dann betrachtete ich den anderen Zettel. Das konnte nur Takeru sein...
 

„Ich bin mit jemanden zusammen, den ich nicht liebe.“
 

Ich schlug mir die Hand vor den Mund. Auch Izzy schien mehr als geschockt. Doch ich hatte keine Zeit, mich damit aufzuhalten. Ich musste weitersuchen. Ich steckte die Zettel ein und ging hektisch weiter. Auf der Suche nach einer Antwort, die ich bereits kannte und die mir das Herz zerriss.

Ich ging einen Zettel nach dem anderen durch. Tränen stiegen mir in die Augen. Ich fand ihn nicht. Ich fand Soras Zettel nicht. Wo war er? Wo war ihre Sünde? Wo?

Finger schlossen sich um mein Handgelenk und hielten mich davon ab, weiter zu machen.

Ich blickte in die Augen von Tai, die mich entschlossen ansahen.

„Lass mich los!“, keifte ich ihn an, doch er dachte nicht daran.

„Hör auf damit!“, befahl er, doch ich schüttelte nur trotzig den Kopf.

„Du hast mir gar nichts zu sagen! Und jetzt, lass mich los!“ Mit einem Ruck befreite ich mich aus seinem Griff. Erst jetzt bemerkte ich, dass er in der anderen Hand einen Zettel hielt. Seine Sünde.

Ich wischte mir über die feuchten Augen, als er mich flehend ansah und seufzte. Ich konnte den Schmerz sehen, der auch in seinen Augen lag. Und da wusste ich es…

Er hielt mir den Zettel hin.

„Ich liebe dich“, sagte er und ich wusste, er würde mir gleich das Herz brechen.

Mit zittrigen Fingern nahm ich seinen Zettel entgegen. Sora, die mit geröteten Augen hinter ihm stand, ging an uns vorbei. Sie nahm einen Zettel von der Leine, der nur ein paar Meter weiter hing. Als sie zurückkam, hatte sie erneut Tränen in den Augen. Sie gab ihn mir.

Ihre Sünde.

„Es tut mir so leid, Mimi.“

Ich versuchte ruhig zu Atmen, doch mir fehlte die Luft. Alles in mir schnürte sich zu, als ich beide Zettel auffaltete…
 

„Ich habe mit meiner besten Freundin geschlafen.“
 

„Ich habe mit meinem besten Freund geschlafen.“

Flashback I – Kari


 

„Die Lüge, die man am wenigsten ertragen kann, ist die eigene.“

Tokyo Ghoul re (Band 8)
 

In diesem Moment, als die Wahrheit wie eine Welle auf mich einschlug, war es, als würde sie mich ersticken. Als würde jegliches Leben aus mir weichen.

Ich fühlte mich ohnmächtig.

Der Schmerz war so stark und füllte jede Pore meines Seins aus, so dass ich nichts mehr spürte. Keinen Groll. Keine Wut. Keinen Hass. Da war einfach nur Leere, sonst nichts.

Geistesabwesend starrte ich immer noch auf die Zettel in meiner Hand. Ein paar kleine Worte, die die Macht hatten, alles zu zerstören, woran ich geglaubt hatte.

Hatte ich das?

Hatte ich der Lüge wirklich geglaubt? Vielleicht war es einfach zu schön, um es wahrhaben zu wollen. Zu schön, um das Offensichtliche zu sehen.

Tief im Inneren wusste ich es doch. Ich hatte es geahnt. Aber es jetzt schwarz auf weiß zu sehen war doch um so vieles schmerzhafter, als in meinen Albträumen. Die Realität erschlug mich und raubte mir die Luft zum Atmen.
 

Keine Ahnung, wie lange Kari schon an meiner Schulter rüttelte, ehe ich wieder zu mir kam.

„Mimi? Mimi, man… du machst mir echt Angst. Jetzt sag doch was.“

Mit sorgenvollem Blick sah sie mich an. Verwirrt blickte ich mich um. Jetzt fiel es mir wieder ein. Wie in Trance war ich nach draußen gerannt. Weil ich keine Luft mehr bekommen hatte. Weil ich in seiner Nähe nicht mehr atmen konnte. Die frische Nachtluft schlug mir entgegen und bereitete mir Kopfschmerzen. Mein Blick ging wieder zu Kari, die immer noch vor mir stand und mich an beiden Schultern gepackt hielt. Als hätte sie versucht mich wachzurütteln.

„Oh man, geht’s wieder? Was ist denn nur los mit dir?“ Ihre Stimme zitterte. Sie hatte Angst. Doch nicht so viel Angst, wie ich. Ohne groß darüber nachzudenken griff ich in meine Tasche und holte die zerknitterten Zettel hervor, die ich offenbar dort reingesteckt haben musste. Ich hielt sie Kari hin und kurz wirkte es, als müsste sie darüber nachdenken, ob sie sie nehmen und lesen sollte oder nicht. Ich konnte es ihr nicht verübeln. Ich hätte sie selbst nie lesen sollen. Doch sie tat es trotzdem. Sie faltete die Zettel auseinander und ich suchte nach einer Regung in ihrem Gesicht. Doch sie starrte einfach nur auf die Schrift. Auf Tais Sünde und auf Soras, die zu einer Einzigen verschmolzen.

„Mimi, ich…“

Sie sah mich nicht an und das konnte nur eins bedeuten.

„Hast du es gewusst?“, fragte ich und meine Stimme drohte erneut zu brechen.

Sie schüttelte bedauernd den Kopf. „Gewusst nicht. Aber geahnt.“

„Genau, wie ich“, sagte ich und konnte es nicht verhindern, dass mir eine Träne über die Wange lief, als ich schließlich Schritte hinter mir hörte.

„Mimi? Lass mich in Ruhe! Mimi!“

Ich wollte mich nicht umdrehen, denn ich hatte genug. Ich hörte, wie Yamato versuchte ihn aufzuhalten. Er war stinksauer.

„Lass sie einfach in Ruhe, hörst du? Ihr beiden habt heute Abend schon genug angerichtet!“

Ich begann zu schluchzen und presste mir die Hand auf den Mund.

Offenbar war Izzy auch bei ihm. „Das sehe ich auch so. Du solltest dich jetzt erst mal zurückhalten, Tai.“

„Zurückhalten?“, schrie Tai. Ich wünschte, ich hätte genauso wütend sein können wie er. Doch es ging nicht. Ich war innerlich gebrochen und das ist ein Gefühl, welches noch schlimmer war als einfach nur Hass oder Wut zu empfinden.

„Was ist eigentlich hier los?“, hörte ich nun auch Takeru sagen, der offensichtlich neben ihnen aufgetaucht war.

„Tai, lass sie einfach in Ruhe“, sagte Sora. „Gib ihr einfach ein bisschen Zeit, um…“

„Spinnst du?“, schrie Tai sie völlig außer sich an. „Das ist doch alles nur deine schuld!“

„Mir reichts! Ich hab genug gehört“, funkte Yamato wütend dazwischen und verließ die Gruppe. Er ging an uns vorbei, blieb kurz stehen und warf mir einen flüchtigen Blick zu. Dann sah er zu Sora und Tai. „Ihr beide seid echt das Letzte!“

In seinen Augen lag so viel Verachtung, wie ich es noch nie zuvor gesehen hatte. Er drehte sich um und ohne noch ein Wort zu verlieren, ging er. Auch sein Herz war gebrochen.

Stille legte sich über die Gruppe. Bis es von vorne begann. Ich hörte Tai, der weiterhin wütete und seiner besten Freundin wüste Beschimpfungen an den Kopf warf. Sora, die leise weinte. Takeru und Izzy, die versuchten, Tai zurückzuhalten.

Mit dem Rücken weiterhin zu ihnen gewandt, hielt ich mir die Hand vor Augen, als würden sie dadurch irgendwie verschwinden.

„Mimi!“, rief Tai erneut aufgelöst. „Mimi, hör mir bitte zu!“

Ich schüttelte kaum merklich den Kopf und flüsterte: „Bring mich hier weg.“ Ich spürte, wie Kari nach meiner Hand griff. Als ich sie ansah, nickte sie. „Dreh dich einfach nicht um. Komm mit.“ Ich sah, wie sie einen Blick hinter mich warf. Dieser Blick konnte nur an eine Person gerichtet sein, denn er drückte mehr aus als tausend Worte.

Ich hörte ihn noch ein paar Mal meinen Namen rufen, bis er immer leiser wurde und auch die Geräusche der Party hinter mir langsam verblassten. Wie schön wäre es gewesen, wenn ich meine Gedanken genauso dort zurücklassen könnte. Wenn ich einfach vor ihnen davonlaufen könnte. Doch das Einzige, wovor ich davonlaufen konnte, waren sie und das tat ich auch. Wir setzten einen Schritt vor den anderen, wobei ich Kari einfach folgte, ohne darüber nachzudenken, wo wir überhaupt hingingen. Schnellen Schrittes gingen wir die Straßen entlang, über die wir vor wenigen Stunden erst gekommen waren, während sie immer noch meine Hand festhielt. Sie zog mich einfach immer weiter. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich die ganze Nacht lang hinter ihr herlaufen können. Doch irgendwann blieb sie stehen.

„Komm. Ich bring dich nach Hause.“

Ich sah nach oben. Wir waren an unserem Wohnblock angekommen. Kari brachte mich nach oben und erst, als wir vor meiner Tür angekommen waren, ließ sie meine Hand los. Sie nahm mir meine Tasche ab und kramte meine Schlüssel raus, ehe sie mir aufschloss. Dann legte sie mir noch ein Mal ihre Hand auf die Schulter und sah mich mitfühlend an. „Es tut mir so leid, Mimi. Versuch ein wenig zu schlafen. Ich hole Hope morgen früh bei Frau Hanada ab und dann komme ich zu dir.“

Wie angewurzelt blieb ich in der Türschwelle stehen und starrte in den dunklen Flur, der genauso dunkel wie meine Gedanken waren und der mich zu verschlucken drohte.

Kari drehte sich um und wollte in ihre Wohnung gehen, als ich den Kopf wandte.

„Kari… kannst du… kannst du vielleicht…?“

Sie lächelte sanft und kam zurück. „Natürlich, ich bleibe gerne bei dir.“

Wir gingen gemeinsam rein und Kari schaltete das Licht an. Ich machte mir nicht die Mühe meine Schuhe auszuziehen, sondern ging geradewegs ins Wohnzimmer, um mich auf das Sofa sinken zu lassen. Immer noch wie in Trance starrte ich vor mich hin. Alles wirkte so verdammt unwirklich. Ich konnte immer noch nicht fassen, was da gerade geschehen war. Doch die Zettel in meiner Tasche bewiesen das Gegenteil.

Kari holte mir aus der Küche ein Glas Wasser und reichte es mir. Ich setzte es an meine Lippen und nahm einen Schluck. Und als hätte dieses stinknormale Leitungswasser irgendeine heilende Wirkung auf mich gehabt, brach ich augenblicklich in Tränen aus. Kari setzte sich neben mich, nahm mir das Glas ab und zog mich in ihre Arme. Ich drückte mein Gesicht in ihre Schulter, während endlich sämtliche Emotionen über mich hereinbrachen. Enttäuschung. Wut. Bitterkeit. Demütigung. Das Gefühl, verraten worden zu sein. Ich ließ einfach alles raus und Kari hielt mich einfach nur fest, strich mir ab und zu sanft über den Kopf. So saßen wir eine ganze Weile da, während ich jegliches Zeitgefühl vergaß. Als meine Tränen langsam versiegten, hatte ich keine Ahnung, wie spät es war oder wie lange ich geweint hatte. Ich lag immer noch in Karis Armen und gab mich einfach dem Schmerz hin, den dieser Abend bei mir hinterlassen hatte.

„Hätte ich doch niemals vorgeschlagen auf diese blöde Party zu gehen“, sagte ich schließlich schniefend und richtete mich wieder langsam auf. Kari sah mich mitfühlend an.

„Es ist doch nicht deine Schuld. Es wäre früher oder später sowieso irgendwann rausgekommen.“

„Kari… w-was meintest du vorhin damit, du hättest es geahnt? Wusstest du was von Sora und…?“ Meine Stimme brach. Ich konnte seinen Namen nicht aussprechen. Kari schüttelte bedauernd den Kopf.

„Ich war mir nicht sicher, aber ich habe gespürt, dass sich etwas zwischen den beiden verändert hatte.“

„Wie meinst du das?“, fragte ich, doch Kari hielt inne. Offenbar war sie sich nicht sicher, ob sie mir wirklich erzählen sollte, was sie wusste. Doch, egal wie weh es gerade tat, jetzt wollte ich auch die ganze Wahrheit wissen. „Erzähl mir alles, bitte, Kari“, flehte ich förmlich. Kari nickte.

„Gut. Es ist schon ziemlich lang her, ich weiß gar nicht mehr genau, wann es war… Aber es war komisch. Ich bin nachts aufgestanden, weil ich Durst hatte und mir aus der Küche ein Glas Wasser holen wollte. Ich glaube, sie hat mich nicht bemerkt, aber Sora ist in dem Moment aus Tais Zimmer gekommen. Erst wollte ich sie fragen warum, aber dann hab ich es gelassen, da sie ziemlich durcheinander gewirkt hat. Außerdem war es nicht ungewöhnlich, dass sie manchmal etwas länger bei uns blieb. Ich dachte, die beiden wären vielleicht einfach beim Lernen eingeschlafen oder so.“

Ich zwang mich, Karis Worte genau in mir aufzunehmen und nach irgendeiner Antwort zu suchen. Nach irgendeiner Erklärung. Aber sie schnürten mir lediglich die Kehle zu.

„Ich wollte Tai am nächsten Tag darauf ansprechen, aber er war alles andere als gut drauf. Also habe ich es dabei belassen. Seitdem war das Verhältnis der beiden irgendwie anders. Ich kann es nicht genau beschreiben, aber… Ich hatte es dem Umstand zugeschrieben, dass Sora kurz darauf mit Matt zusammengekommen ist und dass Tai sich von den beiden irgendwie vernachlässigt fühlt. Oh, Mimi… es tut mir so leid, dass ich nicht eher etwas gesagt habe. Ich hatte ja keine Ahnung, dass sie miteinander…“

„Warte mal“, unterbrach ich Kari. „Was soll das heißen: Sora ist kurz darauf mit Matt zusammengekommen? Tai war noch nicht mit mir zusammen, als das mit Sora passiert ist?“

Kari schüttelte bedächtig den Kopf. „Nein, nein, um Gottes Willen, nein. Es war wohl ungefähr zu der Zeit, als du na ja… offiziell umgezogen bist. Und kurz danach ist das dann mit Matt und Sora passiert.“

Ich biss mir schmerzlich auf die Unterlippe. Spielte das eine Rolle? Hatte es eine Bedeutung, dass es genau zu dieser Zeit passiert war? Ich dachte, dass Tai mich in den letzten Wochen mit Sora betrogen hatte. Doch das änderte einiges. Und trotzdem schmerzte es. Außerdem wusste ich ja gar nicht, ob es bei diesem einen Mal geblieben war. Vielleicht hatten sie eine Affäre. Diesen Gedanken wollte ich lieber gar nicht erst zu ende denken.

„Bitte, Mimi. Verurteile Tai nicht zu schnell“, sagte Kari plötzlich und legte eine Hand auf meine. „Ich bin genauso sauer auf ihn wie du, weil er es dir nicht eher gesagt hat, das kannst du mir glauben. Aber du weißt selbst am besten, wie es ist, ein Geheimnis bewahren zu müssen. Du hattest deine Gründe. Ich hatte meine Gründe. Und Tai hatte sie sicher auch. Hör dir bitte erst an, was er zu sagen hat.“

Ich konnte weder auf Karis Bitte eingehen, noch konnte ich sie ablehnen. Mir schwirrte so sehr der Kopf von diesen ganzen Informationen.

„Kari, weißt du… Dieser Abend heute läuft immer wieder vor meinem inneren Auge ab. Wie ein Film. Wäre es ein Film, wäre es ein bizarres Drama. Und ich bin die Hauptdarstellerin. Tai hat mich heute sehr verletzt“, sagte ich und eine weitere Träne rollte mir über die Wange.

Kari nickte und sah mich mitfühlend an. „Ich weiß. Und das tut mir leid. Glaub mir, ich weiß genau, wie du dich fühlst. Ich habe mein eigenes Drama bereits durchlebt.“

Plötzlich fiel mir der Zettel wieder ein, der immer noch in meiner Tasche lag. Ich zog ihn heraus und faltete ihn auseinander. Es war Karis Geständnis. Ich schluckte und reichte ihn ihr. Sie nahm ihn entgegen und starrte einige Sekunden darauf.

„Erzähl mir davon, Kari.“

Ich sah, wie sie mit sich kämpfte, doch letztendlich seufzte sie und sah mich vielsagend an.

„Wer hat das noch gelesen?“

„Nur Izzy. Ich habe ihn sofort eingesteckt, bevor ihn noch jemand lesen konnte.“

„Gut“, sagte sie. „Es fällt mir nicht leicht, darüber zu reden.“

Ich legte meine Hand auf ihre. „Versuch es einfach. Was ist hier los, Kari?“

Sie biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe sie mir alles erzählte. Sie schüttete mir ihr Herz aus, wie ich ihr meines ausgeschüttet hatte. Und ich hörte mir alles geduldig an. Jedes einzelne Wort…
 

Rückblick
 

Es war vor ein paar Monaten, als sie an unsere Schule kam. Eine neue Schülerin. Sie kam in meine Klasse, weil sie von ihrer alten Schule geflogen war. Sie tat mir unglaublich leid, denn niemand wollte etwas mit ihr zu tun haben und böse Gerüchte machten die Runde.
 

„Habt ihr schon gehört, dass Aiko vorher auf einer katholischen Mädchenschule war?“

„Nein, ehrlich? Aber warum ist sie von ihrer Schule geflogen?“

„Also, ich habe gehört, sie soll eine heimliche Liebesbeziehung zu einer Mitschülerin gehabt haben. Könnt ihr das fassen? Das ist so ekelhaft!“
 

Die anderen Mädchen flüsterten in der Pause und dabei war es ihnen völlig egal, ob Aiko es hörte oder nicht. Ich fand das furchtbar. Sie hatte keinen einzigen Freund.
 

„Hey, du bist Aiko, nicht?“, fragte ich sie deshalb irgendwann in der Pause, als sie wieder mal allein auf ihrem Platz saß. Sie nickte nur verunsichert.

„Ich bin Kari. Möchtest du mit mir zusammen Mittag essen?“

An diesem Tag sah ich sie das erste Mal lächeln, seit sie an unsere Schule gekommen war. Die anderen Mädchen verstanden nicht, warum ich mich mit ihr abgab, aber das war mir egal. Wir freundeten uns an und verbrachten immer mehr Zeit miteinander, auch nach der Schule. Sie spielte leidenschaftlich gerne Tennis und ich sah ihr oft dabei zu. Ich mochte sie wirklich gern. Und ich glaube, sie mochte mich auch.
 

„Sag mal, Kari“, sagte sie eines Tages zu mir, als wir allein beim Mittagessen saßen und uns mal wieder alle schief von der Seite ansahen. „Macht es dir nichts aus, mit mir gesehen zu werden? Du weißt doch, was die Leute über mich reden. Hast du dich niemals gefragt… na ja, ob an den Gerüchten etwas dran ist?“

Ich sah von meinem Essen auf und lächelte sie an, ehe ich ihre Hand nahm.

„Nein und es ist mir auch egal. Ich mag dich so, wie du bist Aiko. Ganz egal, was die anderen erzählen oder was davon wahr ist.“
 

Aiko’s und meine Beziehung wurde immer inniger. Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto mehr fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Nach ein paar Wochen war sie bereits so viel mehr als nur eine Freundin für mich geworden. Es war nicht so, dass ich noch nie verliebt war, aber… diese Art von Gefühlen verunsicherte mich zutiefst. Deshalb beschloss ich irgendwann meinen ganzen Mut zusammenzunehmen und mit ihr darüber zu sprechen.
 

„Aiko, ich muss… ich muss mit dir reden.“ Wir standen beide in der Mädchenumkleidekabine der Schule. Sie hatte gerade wieder ein Match gespielt und zog sich um. Fragend sah sie mich an.

„Was denn, Kari?“

Ich spürte, wie meine Hände zu schwitzen begannen und mein Herz wild gegen meine Brust schlug. „Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll. I-ich… also i-ich“, stammelte ich und hatte keine Ahnung, wie ich diese Worte je über die Lippen bringen sollte. Doch sie mussten einfach raus. Sonst würden sie mich noch irgendwann auffressen. „Ich glaube, ich habe mich in dich…“

Aiko kam auf mich zu und blieb direkt vor mir stehen. Liebevoll sah sie mich an.

„Ich glaube, ich weiß, was du versuchst zu sagen, es aber nicht kannst.“ Dann nahm sie meine Hand. „Mir geht es genauso.“

Mein Herz machte einen Sprung, als sie mich so ansah und sich nach vorne beugte, um mich zu küssen. Ich hatte schon mal einen Freund gehabt und wusste, wie es sich anfühlte verliebt zu sein, doch die Gefühle, die Aiko in mir auslöste, waren völlig neu und doch so überwältigend. Ich verlor mich in diesen ersten Kuss von uns.

Leider sollte es zugleich unser Letzter sein.

Wir vergaßen völlig die Zeit und als schließlich die Tür zur Umkleide aufflog und die anderen Mädchen hereinkamen, standen wir immer noch da und küssten uns.

Niemand kann sich vorstellen, wie es ist, mit solchen Blicken angesehen zu werden. Erst jetzt hatte ich eine Vorstellung davon, wie sich Aiko die ganze Zeit gefühlt haben musste. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie dann tat, was sie tat.

„Was zum Teufel…“, sagte eine meiner Klassenkameradinnen, als Aiko sofort drei Schritte zurückwich. Irritiert sah ich erst sie und dann die anderen an, die uns voller Entsetzen beobachteten.

„Oh mein Gott, ich hab’s gewusst“, platzte es plötzlich aus jemanden heraus und sie hielt sich die Hand vor den Mund. „Ihr seid lesbisch!“

Alle anderen fingen an zu lachen. Sie lachten über uns und unsere Gefühle, als wären sie ein Witz.

„Hört auf so einen Unsinn zu reden“, erwiderte Aiko darauf bitter. Sie würdigte mich keines Blickes mehr. Sie stand vor ihrem Spint, zog sich an und tat so, als wäre ich gar nicht da oder als wäre das eben zwischen uns gar nicht passiert. „Kari und ich sind nicht lesbisch. Sie hatte nur was im Auge und ich habe nachgesehen, was es ist.“

Tränen stiegen mir in die Augen.

„Ja, natürlich. Und rein zufällig habt ihr euch dann geküsst“, lachte eines der Mädchen, doch Aiko zischte nur verächtlich.

„Als ob ich sie küssen würde, du spinnst doch! Ich habe nicht das geringste Interesse an ihr. Aber vielleicht steht sie ja auf mich. Woher soll ich das wissen? Ist mir jedenfalls völlig egal.“

Ich konnte nicht fassen, dass sich mein Leben innerhalb so weniger Sekunden so stark verändern konnte. Doch es passierte. Mit Tränen in den Augen rannte ich aus der Umkleidekabine, während ich ihr Gelächter noch weit hinter mir hörte. Und von diesem Tag an war alles anders.

Es war, als hätten wir die Rollen getauscht. Ich war immer beliebt gewesen, an der Schule. Ich hatte Freundinnen, die gerne Zeit mit mir verbrachten. Doch plötzlich war ich eine Aussätzige. Die anderen Mädchen mieden mich. Sie redeten hinter meinem Rücken und machten auf den Flur einen hohen Bogen um mich, als hätte ich eine ansteckende Krankheit.

Durch meine Offenheit hatte sich alles verändert. Ich hatte Aikos Platz eingenommen.

Noch nie hatte ich mich in einem Menschen so sehr getäuscht. Während sie immer beliebter wurde, wurde ich ausgeschlossen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich wirklich hilflos.
 

Das war der Moment, in dem Takeru ins Spiel kam. Natürlich bekam er mit, wie es mir ging. Wir gingen auf dieselbe Schule und auch an den Jungs gingen diese Gerüchte nicht spurlos vorbei.

„Was ist los Kari?“, fragte er eines Nachmittags, als wir auf dem Schulhof waren. „Ich sehe doch, dass dich diese Gerüchte belasten.“

Traurig ließ ich die Schultern hängen. „Und was, wenn es keine Gerüchte sind?“

Takeru überlegte kurz und lächelte mich dann aufmunternd an. „Und was wäre so schlimm daran?“

„Was so schlimm daran wäre?“, entgegnete ich fassungslos. „Du siehst doch, wie die anderen darauf reagieren. Keiner versteht es. Alle denken, ich wäre irgendwie… unnormal.“

„Du bist völlig normal, Kari“, sagte Takeru und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Lass diese Idioten einfach reden. Wenn du später auf der Uni bist, interessiert es kein Schwein mehr, ob du auf Mädchen oder Jungs stehst. Die sind einfach kindisch.“

Tränen stiegen mir in die Augen und ich fiel ihm unvermittelt in die Arme.

„Ich weiß. Ich weiß ja. Ich versuche ja, sie zu ignorieren. Aber… es ist so verdammt schwierig, wenn einfach niemand mehr etwas mit dir zu tun haben möchte. Ich will… Ich will einfach nur, dass alles wieder normal wird.“

Takeru strich mir sanft über den Kopf und hielt mich fest an sich gedrückt, während ich mich in seinen Armen ausweinte.

Ich zuckte leicht zusammen, als uns eine bekannte Stimme plötzlich überraschte.

„Kari… Kari, ich muss mit dir reden!“

Es war Aiko.

Wütend sah ich sie an. „Was willst du, Aiko? Es gibt nichts mehr zu reden!“

Erst jetzt sah ich, dass auch sie Tränen in den Augen hatte und ihr Gesicht gerötet war.

„Es tut mir so leid, Kari. Dass ich dich verleugnet habe und meine Gefühle zu dir… einfach alles tut mir so leid. So war das nicht geplant. Aber du weißt nicht, wie das ist, Kari. Wenn man von allen verstoßen wird, nur, weil man anders ist. Ich hab das alles schon ein Mal durch und ich habe mir geschworen, so etwas nie wieder durchmachen zu müssen.“

Ich schnaufte verächtlich. „Ja, Aiko. Du hast recht. Ich habe absolut keine Ahnung, wie das ist.“

„Kari…“, sagte Aiko schniefend und kam auf mich zu. „Ich möchte einfach nur mit dir zusammen sein.“

Takeru stellte sich zwischen uns. „Das kannst du vergessen!“

Überrascht sah sie zu ihm auf.

„Kari ist jetzt mit mir zusammen! Also, lass sie endlich in Ruhe! Und sag das auch deinen dämlichen Freundinnen!“
 

Ich konnte nicht fassen, was Takeru hier für mich tat. Er hatte sich ritterlich vor mich gestellt und mich vor der Welt beschützt. Natürlich glaubten sie uns nicht sofort. Die meisten freuten sich für uns und waren froh darüber, dass ich offensichtlich wieder zur Besinnung gekommen war. Und auch Aiko hielt sich zukünftig von mir fern. Doch die Mädchen aus meiner Klasse redeten immer noch. Sie trauten dem Frieden nicht und waren der Meinung, dass T.K. nur mein Alibi-Freund war, um zu vertuschen, dass ich insgeheim auf Mädchen stand. Na ja, und im Grunde war es ja auch so. Das Gerede und die Lästereien wollten einfach nicht aufhören.
 

„Hier“, sagte er und legte mir einen kleinen, silbernen Ring in die Hand. Wir waren gerade zusammen im Kino und aßen Popcorn.

„Woher hast du den denn? Aus einem Kaugummiautomaten?“

„Nein, von meiner Mutter. Der liegt schon ewig bei uns rum und ich glaube, sie wird ihn nicht vermissen“, erklärte Takeru und steckte sich eine ganze Hand Popcorn in den Mund. Ich staunte nicht schlecht, als ich den Ring vor meinen Augen hin und her drehte.

„Und was soll ich jetzt damit?“

„Das ist dein Verlobungsring. Ab heute sind wir offiziell verlobt.“

Ich erschrak und sah ihn geschockt an. „Bitte, was?“

Takeru zuckte nur mit den Schultern. „Ich höre, was die anderen immer noch über dich reden. Das muss endlich aufhören! Ich will nur, dass du deine Jahre bis zum Abschluss friedlich verbringen kannst – ohne irgendwelches Gerede. Ich will, dass es dir gut geht, Kari. Du bist meine beste Freundin. Und das ist die beste Lösung. Wenn sie das sehen, werden sie dir glauben.“

Er klang so überzeugt von diesem Plan, dass ich selbst alle Zweifel über Bord warf und zustimmte. Takeru meinte, wir müssten es ja nur bis zum Abschluss durchziehen. Wir würden einfach allen erzählen, dass wir danach heiraten würden und dann, nach dem Abschluss, würden wir uns friedlich trennen, weil wir festgestellt hätten, dass wir doch noch zu jung wären, um so einen bedeutsamen Schritt zu machen.

Takeru sollte recht behalten. Die Mädchen staunten und bekamen große Augen, als sie den Ring an meiner Hand sahen.

„Wahnsinn! Dann stimmt es also wirklich, mit Takeru und dir“, sagte ein Mädchen. Ein anderen grinste übers ganze Gesicht und klatschte eifrig in die Hände. „Ich habe es schon immer gewusst, dass ihr zusammengehört. Mal ehrlich, ihr seid seit eurer Kindheit die besten Freunde. Irgendwann MUSSTET ihr euch ineinander verlieben! Ihr seid einfach füreinander bestimmt.“

Ich machte gute Miene zum bösen Spiel. Denn so wahnwitzig diese Idee auch war – von da an wurde es besser. Die Leute hörten auf zu reden. Sie ignorierten mich auch nicht mehr, wenn sie mir auf dem Flur begegneten. Alles war wieder wie vorher – zumindest fast.

Schließlich konnte keiner ahnen, dass Takeru, nachdem er eingewilligt hatte, meinen Freund zu spielen, sich selbst verliebte.
 

Fassungslos sah ich Kari an.

Was sie mir hier offenbart hatte, musste ich erst einmal verdauen. Ich hatte ja keine Ahnung, was sie alles durchmachen musste.

„Kari… Ich… Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, stammelte ich, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf, während sie sich eine winzige Träne von der Wange wischte. Offenbar hatten auch sie die Schatten der Vergangenheit wieder eingeholt.

„Ist schon gut, Mimi. Jetzt ist es ja raus. Es war so schwer für mich, mich die ganze Zeit verstellen zu müssen. Und Takeru… ich hätte es längst beenden müssen. Er hat mehr für mich getan, als ein normaler Freund je getan hätte. Jetzt ist er verliebt und auch er hat das Recht glücklich zu werden, mit dem Mädchen, dass seine richtige Freundin ist. Stattdessen gaukelt er immer noch allen vor, wir wären das liebende Pärchen, während er sich außerhalb der Schulzeit mit seiner eigentlichen Freundin trifft.“

Ich schluckte schwer. Kaum auszumalen, wie es Kari gerade gehen musste. Und Takeru… ich hatte ihn völlig zu Unrecht verurteilt.

„Warum beendest du es dann nicht, Kari?“, fragte ich sie eindringlich. „Lös diese Fake-Verlobung auf. Sag einfach allen, dass ihr euch getrennt hättet.“

Traurig sah sie zu Boden und ich spürte, dass sie mir noch nicht alles erzählt hatte. Da war noch mehr…

„Aber dann wäre es endgültig.“

Ich stutzte. „Was meinst du damit?“

„Weißt du, einige aus meiner Klasse haben die beiden schon öfters zusammen gesehen und fingen an, unangenehme Fragen zu stellen. Obwohl T.K.‘s Freundin auf eine ganz andere Schule geht. Das macht die Sache aber nicht unbedingt einfacher. Würde ich das Ganze endgültig beenden, würde Takeru offen zu seiner Freundin stehen – was für mich bedeuten würde, dass ich die beiden noch öfter zusammen sehen müsste als nötig. Das würde sehr schmerzen, glaube ich. Vielleicht noch mehr als diese Fassade aufrecht zu erhalten.“

Ich überlegte eine Sekunde lang, was Kari damit meinen könnte, bis es mir wie Schuppen von den Augen fiel und ich mir die Hand vor den Mund schlug.

„Oh! Kari“, sagte ich. „Hast du dich etwa in Takerus Freundin verliebt? Na, klar. Das ist es! Es würde dir zu sehr weh tun, sie immer mit ihm zusammen zu sehen und würde dir erneut das Herz brechen“, schlussfolgerte ich, doch Kari sah mich völlig verdattert an.

„Was? Nein! Mimi!“, platzte es aus ihr heraus. „Du bist völlig auf dem falschen Dampfer! Es ist nicht seine Freundin, in die ich mich verliebt habe.“

„Nicht?“ Fragend sah ich sie an. Stand ich jetzt völlig auf dem Schlauch?

Ich sah, wie Kari beinahe schon verträumt an ihrem Ring spielte, den sie von…

„Takeru! Es ist Takeru!“ Meine Augen weiteten sich. „Du hast dich in Takeru verliebt!“

Verzweiflungstat

„I think love is a hard word to define.

You can love a lot oft hings about a person but still not love the whole person.“

-Owen - „Confess“


 

Kari schlug sich beschämt die Hände vors Gesicht.

„Nein. Nein, lass das! Hör auf damit!“, meinte ich sofort und nahm ihr die Hände vom Gesicht. „Hör endlich auf, dich für deine Gefühle zu schämen, Kari.“

Sie seufzte schwer und sackte förmlich in sich zusammen, als wäre eine große Last von ihren Schultern gefallen.

„Es ist nichts Verwerfliches daran, Kair“, versuchte ich auf sie einzuwirken. „Takeru hat sich sehr für dich eingesetzt. Mehr als jeder andere Freund es getan hätte. Er hat dich beschützt und stand die ganze Zeit hinter dir. Er war für dich da. Es ist nicht verwunderlich, dass du Gefühle für ihn entwickelt hast.“

Kari sah mich traurig an. „Ja, mag sein.“ Dann stand sie auf, verschränkte schützend die Arme vor ihrem Körper und fing an im Wohnzimmer auf und ab zu gehen. „Aber ich könnte es ihm niemals sagen. Ich kenne ihn. Er würde sich sofort die Schuld darangeben. Dabei bin ich hier diejenige, die ihre Gefühle nicht unter Kontrolle hat.“

„Von welcher Schuld sprichst du da? Es ist völlig normal, dass man seine Gefühle nicht ständig im Griff hat. Man kann nicht beeinflussen, in wen man sich verliebt.“

Sie warf mir einen vielsagenden Blick zu. Wir wussten beide, dass ich gerade klug daherredete, aber insgeheim selbst sauer über diese Tatsache war. Ja, es stimmte. Man kann nicht beeinflussen, in wen man sich verliebt. Ob Tai in Sora verliebt war? Und sie in ihn?

Schnell schüttelte ich den Kopf und versuchte, diesen grausamen Gedanken zu verdrängen.

„Was ist mit Aiko? Hast du noch Gefühle für sie?“

Kari sah beschämt zur Seite und biss sich auf die Unterlippe.

„Vielleicht, ja. Aber das spielt keine Rolle mehr. Sie wird mir immer etwas bedeuten, aber sie wird auch immer diejenige sein, die mich verraten hat. Und Takeru… tja, er wird immer der Junge sein, der mich beschützt hat und der mir einfach alles bedeutet, noch mehr als Aiko es je tun wird.“

Die Sache war komplizierter als ich gedacht hatte. Kari schien völlig durcheinander. Und das zurecht. Sie hatte Gefühle für Aiko - ein Mädchen - und noch stärkere Gefühle für Takeru - ihren besten Freund. Kein Wunder, dass es ihr so schlecht ging. Langsam fing ich an, Karis Situation zu verstehen. Wie würde ich mich fühlen, wenn ich Gefühle für zwei Menschen hegen würde? Gefühle, die sich zwar ähnelten und doch nicht gleich waren?

Ich ballte die Hände so stark zu Fäusten, dass sich meine Nägel in mein Fleisch bohrten. Plötzlich fing ich bittersüß an zu lachen, da mir die Ironie der Dinge gerade erst bewusstwurde.

„Es ist alles so furchtbar kompliziert“, sagte ich und stützte meine Stirn in die Hände, vergrub meine Finger in meinem Haar und versuchte krampfhaft nicht zu weinen. „Ich habe mich immer gefragt, wie so was geht. Man kann doch nicht Gefühle für zwei Menschen haben – habe ich immer gedacht. Und dann kommst du mit deiner Geschichte und es tut mir so unglaublich leid, dass du so etwas durchleben musstest. Wie verwirrt muss man sein, wenn man plötzlich zwei Menschen liebt und diese Gefühle einfach nicht zuordnen kann? Das alles macht mich fix und fertig.“

Kari kam auf mich zu und setzte sich wieder neben mich, um mir einen Arm um die Schultern zu legen.

„Mimi, jetzt hör mir mal zu!“, verlangte sie. Ich wischte mir eine Träne aus dem Gesicht und sah sie hilfesuchend an.

„Rede mit Tai. Ich gebe dir ja recht. Liebe kann verwirrend sein und manchmal… manchmal macht sie uns wahnsinnig und wir verstehen sie nicht, aber…“ Sie schluckte kurz und überlegte, was sie sagen sollte. Als würde sie ihre nächsten Worte mit Bedacht wählen wollen. „Liebe ist nicht leicht zu definieren. Man kann so viele Dinge an einem Menschen lieben und doch muss man deshalb nicht den ganzen Menschen lieben.“

Traurig sah ich sie an und versuchte, die Worte zu verinnerlichen, die sie mir eben ans Herz gelegt hatte. Ja, sie hatte recht. Ich musste mit Tai reden. Es führte kein Weg dran vorbei.
 

Die Nacht war furchtbar. Zumindest das, was davon übrig war.

Gequält rollte ich mich auf die Seite und öffnete stöhnend meine verquollenen Augen. Da lächelte mich das schönste Lächeln an, dass ich je gesehen hatte.

„Nanu“, sagte ich und grinste. „Was machst du denn hier?“

Hope lachte und klatschte in ihre kleinen Hände, als sie zwei Hände von hinten umschlossen und hochhoben.

„Guten Morgen. Ich wollte dich ausschlafen lassen. Also hab ich Hope schon mal von Frau Hanada abgeholt, sie gefüttert, gebadet und gewickelt.“ Kari nahm sie auf den Arm, während meine Kleine vergnügt quiekte.

„Oh man, wie spät ist es denn?“, fragte ich verdattert und sah auf den Wecker.

„Es ist bereits nach Mittag. Wie hast du geschlafen?“

„Furchtbar und trotzdem besser als erwartet“, sagte ich und rollte mich wieder auf den Rücken.

„Danke, für gestern Kari. Und für heute. Ohne dich wäre ich wohl echt aufgeschmissen gewesen, was?“

„Kein Thema, hab ich gern gemacht“, sagte sie aufrichtig.

Ich setzte mich auf und fragte mich ernsthaft, wie ich es geschafft hatte, die letzte Nacht zu überstehen. Es wirkte alles so surreal. Sora. Tai. War das alles wirklich passiert? Ich wünschte, es wäre nur ein böser Traum gewesen. Doch es wurde realer denn je, als Karis Handy klingelte. Sie blickte auf das Display und las offensichtlich eine SMS.

„Mein Bruder. Ist es okay, wenn ich dich jetzt allein lasse? Ich weiß, du hasst ihn gerade…“

„Hass ist nicht das richtige Wort.“

„…Aber er braucht mich.“

Ich schüttelte den Kopf und rang mir ein Lächeln ab. „Ist schon okay, Kari. Geh nur. Ich komme klar.“

„Gut“, sagte Kari und setzte Hope auf meinen Schoß. „Wenn was ist, kannst du jederzeit anrufen. Oder klingeln. Aber das möchtest du sicher vorerst nicht. Also… ruf mich einfach an. Ich komme später noch mal vorbei, um nach euch beiden zu sehen.“

„Gerne“, entgegnete ich und lächelte sie dankend an, ehe sie mein Zimmer verließ und ich hörte, wie die Tür ins Schloss fiel.

Und nun?

Wie sollte es denn jetzt weitergehen?

Am liebsten hätte ich mich sofort wieder unter meiner Decke verkrochen und die nächsten drei Wochen durchgeschlafen, in der Hoffnung, dass wenn ich aufwachen würde, vielleicht doch alles nur ein böser Traum war. Fast stiegen mir wieder die Tränen in die Augen, als ich an diese verfluchte Party dachte.

„Ma-ma.“

Überrascht blickte ich nach unten.

„Mamama.“

Ein leichtes Grinsen huschte über meine Lippen. „Was hast du gesagt?“

Hope sah mich freudestrahlend an. Ihr Lächeln war einfach zauberhaft und egal, wie schlecht es mir je gehen würde… sie machte alles wieder gut. Oder zumindest erträglich. Ich nahm sie in meine Arme und drückte sie an mich, während sie vergnügt weiter brabbelte und mit meinen Haaren spielte.

Eine leise Träne rollte über meine Wange.

Schluss jetzt mit Weinen! Ich musste mich einfach zusammenreißen. Ich musste mit Tai reden. Und wenn es nur ihr zu liebe war. Tai war mehr als nur ein Papa für Hope. Er hatte mir geholfen, als ich keinen anderen Ausweg mehr wusste. Er hatte sich aufopferungsvoll um sie gekümmert. Und Hope liebte ihn abgöttisch. Er war der einzige Vater, den sie kannte. Und auch, wenn Tai mir unendlich wehgetan hatte, durfte Hope nicht darunter leiden. Ich musste jetzt einfach stark sein. Für sie.
 

Ich gönnte mir eine etwas längere Dusche, während Hope schlief und später kam sogar Kari noch mal vorbei, um nach dem Rechten zu sehen.

„Wie geht’s dir?“, fragte sie und setzte sich zu Hope auf den Fußboden, die gerade mit ihren Bausteinen spielte.

„Keine Ahnung“, gestand ich und knöpfte meine Bluse zu. „Ich versuche nicht darüber nachzudenken.“ Denn es tat einfach zu weh.

„Verdrängung ist keine Option, Mimi.“

Da hatte sie recht. Aber es half mir dabei, nicht jede Sekunde wieder in Tränen auszubrechen.

Kari räusperte sich und setzte einen blauen Stein auf Hopes grünen Stein, was sie begeistert lachen ließ.

„Möchtest du gar nicht wissen, wie es Tai geht?“ fragte sie zaghaft. Ich wandte mich ab, um mir eine Jacke über zu ziehen und um sie nicht ansehen zu müssen.

„Nein.“

Kari seufzte. „Na schön, aber du solltest trotzdem wissen, dass es ihm…“

„Ich werde mit ihm reden, keine Sorge“, unterbrach ich sie. „Aber erst mal gehe ich einkaufen. Würdest du ein paar Minuten hierbleiben und auf Hope aufpassen?“

„Ja, na klar".“

„Danke.“ Ich zog meine Schuhe an und schloss die Tür hinter mir. Erleichtert atmete ich aus. Doch diese Erleichterung währte nicht lange, denn die Tür nebenan schloss sich ebenfalls.

Erschrocken blickte ich zur Seite und es schnürte mir augenblicklich die Kehle zu.
 

„Mimi“, sagte er leise und sah mich ebenso überrascht an. Als hätte er jetzt überhaupt nicht damit gerechnet mich zu sehen.

Er sah gut aus. Viel zu gut, wenn man bedachte, dass er doch eigentlich die ganze letzte Nacht genauso gelitten haben müsste wie ich.

„Was ist?“, fragte ich kühl. „Dachtest du etwa, ich verlasse jetzt wegen dir wochenlang nicht das Haus?“ Das wäre mir auf jeden Fall lieber gewesen. Aber ich durfte jetzt keine Schwäche zeigen. Ich musste mit ihm reden… irgendwie.

„Hör mal, Mimi, ich…“, setzte er an, doch ich brachte ihn mit einer kurzen Handbewegung zum Schweigen.

„Nein, du hörst mir zu!“

Tai verstummte und sah mich fragend an, als hätte er Angst vor dem, was gleich kommen würde. Und um ganz ehrlich zu sein, hatte ich die auch. Ich wusste, ich musste mit ihm reden. Doch was sollte ich ihm sagen? Dass es aus und vorbei war? Dass er und Sora sich zum Teufel scheren konnten? Dass ich ihn liebte, aber er mir das Herz gebrochen hatte?

Ich hatte keine Ahnung. Und ich hatte mir vorher überhaupt keine Gedanken darüber gemacht. Ich war froh, dass ich irgendwie diese Nacht überstanden hatte und jetzt sollte ich mich gleich meinem Schicksal stellen?

Nein. Dafür war ich einfach noch nicht bereit.

„Ich… äh, also ich…“

„Mimi, es tut mir alles so leid. Bitte glaub mir, ich wollte dir nie weh…“

„Halt, hör auf!“

Gequält kniff ich die Augen zusammen. Ich wollte das jetzt nicht hören. Ich konnte es nicht hören. Ich hatte mir zwar geschworen mich Hope zu liebe zusammen zu reißen, aber… es ging einfach nicht. Mein ganzer Körper begann zu zittern. Ich ertrug es ja kaum ihm gegenüberzustehen. Wie sollte ich ein ganzes Gespräch mit ihm überleben, in dem er mir von Sora und sich erzählte? Es war einfach noch zu früh. Ich würde es nicht ertragen mir jetzt irgendwelche Erklärungen, Ausreden und Liebesschwüre anzuhören. Ich brauchte mehr Zeit. Viel mehr Zeit. Um das alles zu verdauen und um mich emotional von Tai zu distanzieren, damit ich für Hope in der Lage war, die Sache wie eine verantwortungsbewusste Mutter zu klären.

„Mimi, lass es mich doch bitte erklären“, wiederholte Tai flehend und kam einen Schritt auf mich zu. „Es ist alles ganz anders als du denkst.“

Ich schüttelte den Kopf. „Mir egal. Ich will es nicht hören. Jetzt noch nicht“, sagte ich mit fester Stimme und zwang mich dabei ihn anzusehen. Sein Blick raubte mir fast den Atem. Ich musste einfach weg von hier. „Wir werden reden, versprochen. Aber gib mir einfach noch etwas mehr Zeit.“

Ich wartete keine Antwort ab, sondern drehte mich um und ging, denn dies war keine Bitte. Wenn Tai reden wollte, musste er warten, bis ich bereit dafür war. So und nicht anders.
 

„Danke, dass du hier gewartet hast. Ich hab mich echt beeilt“, sagte ich und stellte die Einkäufe in der Küche ab.

„Kein Thema“, antwortete Kari, schaltete den Fernseher aus und stand auf. „Ich habe Hope hingelegt. Sie war total müde vom Spielen. Ich lächelte, während ich die ganzen Sachen in den Schränken verstaute. Doch das Lächeln verschwand, als Kari auf mich zukam, sich gegen die Küchenzeile lehnte und mich mit ihren Blicken zu durchbohren drohte.

„Du hast vorhin Tai getroffen, stimmts?“

„Woher weißt du das?“, fragte ich wenig überrascht.

Kari lachte gequält auf und verschränkte dann die Arme vor der Brust. „Ihm geht’s wirklich mies, Mimi. Er vermisst dich. Und er vermisst Hope.“

Ich seufzte, schloss die letzte Schranktür und drehte mich zu ihr um. „Was soll ich denn tun, Kari? Ich weiß, ich hab gesagt, ich rede mit ihm, aber… ich bin irgendwie noch nicht bereit dafür.“

Kari nickte. „Hmm, verstehe.“ Sie stieß sich leicht ab und sah mich eindringlich an. „Aber warte nicht zu lang. Lass ihn nicht unnötig leiden. Ich denke, er hätte dir einiges zu sagen.“

Ja, ich ihm auch. Aber das konnte ich noch nicht. Nicht jetzt, nachdem alles noch so frisch und unwirklich war.

„Lass mich einfach noch ein wenig meine Wunden lecken.“

„Klar“, sagte Kari und ging in den Flur. „Wie gesagt, wenn was ist, ruf mich an. Bis dann.“

„Bis dann.“

Die Tür ging zu und ich sackte in mir zusammen. Ich musste erst mal mit allem klarkommen. Und bis dahin war es vermutlich besser, wenn ich vorerst niemanden sah. Nicht Tai. Nicht Sora. Und auch sonst keinen. Bis auf Kari. Bei ihr hatte ich das Gefühl, dass wir uns gerade gegenseitig Halt geben konnten, da ich offensichtlich die Einzige neben Takeru war, die ihr Geheimnis kannte. Doch auch sie stand zwischen den Stühlen. Man merkte deutlich, dass sie nicht nur mit mir, sondern auch mit ihrem Bruder mitlitt.

Doch Tai musste einfach warten. Ich musste mich auf Hope konzentrieren und darauf, für sie da zu sein, ihr eine gute Mutter zu sein. Alles andere konnte warten.
 

Der Rest des Tages verging eher schleichend. Ich hatte das Gefühl, dass die Zeit so gar nicht rumgehen wollte. Hope und ich hatten Frau Hanada zu einem abendlichen Spaziergang eingeladen, was sie dankend annahm. Sie freute sich immer, wenn sie mal rauskam und wenn sie Hope sah. Wir redeten über dies und das und in ihrer Gegenwart tat ich einfach so, als wäre nichts geschehen. Das war genau die Ablenkung, die ich gerade brauchte. So zu tun, als wäre alles ganz normal half mir, es für ein paar Stunden zu verdrängen.

Später am Abend hatte ich mich einigermaßen von der letzten Nacht erholt. Hope ging es bestens und sie schlief und mir hatte die frische Luft ebenfalls gut getan. Es war schon recht spät geworden, doch ich wollte noch nicht schlafen – vielleicht weil ich Angst vor den Träumen hatte, die mich garantiert einholen würden. Stattdessen öffnete ich eine Flasche Wein und goss mir ein großes Glas davon ein. Gerade, als ich es mir auf dem Sofa bequem gemacht hatte, klingelte es an der Tür.

Oh, nein. Das war doch nicht etwa…?

Stöhnend stand ich auf und ging zur Tür, während mein Herz bis zum Hals schlug. Es klingelte noch mal. Und noch mal. In immer kleineren Abständen.

„Tai?“, rief ich unsicher durch die Tür. „Ich hatte doch gesagt, du sollst mich in Ruhe lassen! Ich kann jetzt noch nicht…“

„Mimi?“

Überrascht sah ich auf. Das war nicht Tai.

„Mimi… Bissu da?“

Erschrocken öffnete ich die Tür und als hätte er nur darauf gewartet, fiel er mir entgegen, direkt in meine Arme.

„Wow, wow, wow“, sagte ich und fing ihn auf. „Was machst du hier, Yamato?“

Er versuchte, sich aufzurichten, doch musste sich dabei am Türrahmen abstützen. „Mimi, i-ich…“, stammelte er und aus seinem Mund drang ein äußerst derber Geruch.

„Yamato! Du bist ja stock besoffen!“

Mit verklärtem Blick sah er mich an. Seine blonden Haare waren zerzaust, seine Augen fahl. Er packte mich an den Schultern, vermutlich um sich selbst irgendwo festzuhalten und sah mich eindringlich an.

„Oh, man. Was hast du nur gemacht?“, sagte ich fassungslos und musterte ihn von oben bis unten. Er sah fix und fertig aus.

„Mimi, ich…“, wiederholte er. Gespannt sah ich ihn an. „Mimi, ich…“ Er drückte meine Schultern fester. „Mimi, ich muss kotzen!“

Schnell hielt er sich die Hand vor den Mund und stürmte an mir vorbei in mein Badezimmer. Die Tür knallte hinter ihm zu und ich hörte nur noch, wie die Klobrille nach oben flog und er sich übergab.

Gestresst fasste ich mir gegen die Stirn und schloss die Tür hinter mir. Ich ging in die Küche, um ihm schon mal ein Glas Wasser einzuschenken, was ich ihm gleich geben würde, vorausgesetzt er schlief nicht gleich neben dem Klo ein. So betrunken hatte ich ihn noch nie gesehen und ich musste gestehen, dass mich dieser Anblick schockierte.

Yamato war immer der introvertierte, der lieber die Probleme in sich rein fraß als sie der Welt mitzuteilen. Dass er sich jetzt so öffentlich betrank bedeutete, dass es ihm wirklich dreckig gehen musste. Aber was hatte ich erwartet? Nicht nur ich hatte gestern erfahren, dass ich hintergangen worden war. Wir teilten das gleiche Schicksal und wäre Hope nicht gewesen, hätte ich vermutlich zusammen mit ihm in der Bar gesessen und mir alle Lichter weggeschossen.

Nach einer Weile ging ich zum Badezimmer und klopfte vorsichtig an. „Ist alles in Ordnung bei dir?“

Ich hörte, wie er die Toilettenspülung betätigte und der Wasserhahn anging. Danach kam er völlig fertig wieder heraus.

„Ich hab Tais Zahnbürste benutzt. Ich hoffe, das ist nicht schlimm.“

„Überhaupt nicht“, entgegnete ich trocken. „Damit wollte ich morgen eh das Klo putzen.“

Yamato rang sich zu einem schiefen Grinsen durch.

„Tut mir leid“, sagte er entschuldigend. Ich betrachtete ihn eingehender. Er wirkte plötzlich so verletzlich. Das kannte man sonst gar nicht von ihm.

„Kein Problem“, entgegnete ich verständnisvoll. Willst du dich vielleicht setzen?“

Er nickte und wir gingen zusammen zum Sofa, wo ich mein Glas Wein wieder in die Hand nahm und ihm ein großes Glas Wasser reichte, was er in einem Zug leerte.

„Danke“, sagte er und eine ganze Weile schwiegen wir uns einfach nur an. Ich wusste genau, warum er hier war. Vermutlich, weil er sich genauso verloren fühlte wie ich mich.

„Wie geht’s dir?“, fragte ich schließlich zaghaft nach.

Er stützte sich auf seine Knie und ließ den Kopf hängen. „Beschissen.“

„Mir auch.“

Wieder schwiegen wir. Ich verstand, was er gerade durchmachte. Und er wusste, wie es mir ging. Dann sah er mich plötzlich an. „Ich musste dich sehen, Mimi.“

Überrascht hob ich den Kopf. „Mich? Warum das?“

„Weil du die Einzige bist, die versteht, wie ich mich gerade fühle.“

Er fuhr sich durch seine zerzausten Haare und ließ sich zurück ins Sofakissen fallen. „Tai ist mein bester Freund. Und Sora deine beste Freundin. Und sie haben uns beide verarscht.“

Ja, das waren die schmerzlichen Fakten.

„Wenn jemand versteht, was ich gerade durchmache, dann bist du das.“

Er rutschte ein Stück näher und nahm urplötzlich meine Hand in seine.

„Du empfindest den Schmerz doch genauso wie ich, oder?“

„Ja“, bestätigte ich, wurde jedoch langsam unruhig, da seine tiefblauen Augen mich fixierten. „Ja, aber…“

„Ich vermisse sie so, Mimi“, sagte er und eine gewisse Verzweiflung lag in seinem Blick. „Warum hat sie das gemacht? Ich verstehe einfach nicht, warum sie mir das antut.“

Ich ließ den Blick sinken und schüttelte traurig den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

Yamato schob einen Finger unter mein Kinn und hob es an, sodass ich in seine Augen sehen mussten, die plötzlich etwas ganz anderes wiederspiegelten. Sehnsucht.

„Ich will mich nicht einsam fühlen, Mimi“, flüsterte er und kam mir immer näher. So nah, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte.

„Matt, was…“, fragte ich verwirrt, während seine Nähe mich immer nervöser machte und mir das Herz bis zum Hals schlagen ließ.

„Mimi...“, wiederholte er und senkte den Kopf, sodass unsere Lippen nur noch Millimeter voneinander entfernt waren. Der Duft von Zigarettenrauch und Parfüm stieg mir in die Nase. Seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht und er legte sanft seine Hand an meine Wange. Wahrscheinlich hätte ich ihn von mir stoßen sollen, doch in diesem Moment war ich einfach wie gelähmt. Ich wusste genau, was er wollte. Was er zum Atmen brauchte. Er wollte vergessen. Und ich wollte das auch.

Stolz

„You know you really love someone

when you can’t hate them

for breaking your heart.“


 

Er wartete nicht darauf, dass ich etwas tat, sondern ließ diesen letzten kleinen Abstand zwischen uns verschwinden und küsste mich.

Seine Lippen fühlten sich rau an und doch verlor ich mich viel zu schnell in diesen Kuss. Obwohl mir mein Kopf die ganze Zeit sagte, wie falsch das war, schrie mein Herz permanent nach Erlösung. Danach, diesen Schmerz zu unterdrücken und einfach mal für ein paar Minuten zu vergessen.

Yamato drückte mich zurück in die Sofakissen. Ich ließ zu, dass er mit seiner Zunge meinen Mund öffnete, während seine Hand an meiner Seite hinabwanderte, bis hin zu meiner Hüfte, wo er fest zupackte. Unsere Zungen tanzten im Einklang miteinander, bis er sich von mir löste, nur um meinen Hals ebenfalls mit Küssen zu übersähen. Ich schloss die Augen und versuchte krampfhaft nicht darüber nachzudenken, was wir hier taten. Ich wollte am liebsten an gar nichts mehr denken. Doch abermals stahl er sich in meinen Kopf und in mein Herz, was so verzweifelt nach ihm schrie, dass ich es beinahe zuließ, dass ich mich dieser Illusion hingab.

Nachdem Yamato meinen Hals mit seinen Lippen liebkost hatte, richtete er sich kurz auf, um sich sein schwarzes Shirt auszuziehen. Er beugte sich wieder hinab und erneut fanden sich unsere Lippen. Seine Hände fuhren unter mein Shirt und erforschten meinen Körper und ich stöhnte in den Kuss hinein, während meine Finger sich in seinen Haaren vergruben.

Oh, Tai…

„Oh, Sora“, raunte er mir entgegen und mir wurde schlagartig übel. Oh mein Gott, was taten wir hier eigentlich? Unerwartet schubste ich ihn von mir runter und richtete mich auf.

„Scheiße!“, fluchte er und sah mich irritiert an. Sah so aus, als wäre er genauso überrascht über seine Worte wie ich. Ich seufzte und fuhr mir mit der Hand durch mein zerzaustes Haar, als mir klar wurde, dass ich diesen Fehler nicht machen durfte – dass WIR ihn nicht machen durften.

„Ist schon okay“, sagte ich, hob sein Shirt vom Fußboden auf und schmiss es ihm entgegen. „Mach das nur nie wieder. Es wäre sowieso nicht richtig gewesen.“

Yamato streifte sich das Shirt wieder über und lehnte sich zurück, ehe er sich mit beiden Händen gestresst durch die Haare fuhr.

„Ja, wahrscheinlich hast du recht“, gab er zu. „Ich weiß nicht, was eben in mich gefahren ist, ehrlich nicht. Es tut mir so leid, Mimi.“ Plötzlich wirkte er beinahe verzweifelt, da ihm wahrscheinlich ebenfalls bewusst wurde, was es für Konsequenzen gehabt hätte.

„Was denn genau?“, entgegnete ich schief grinsend und versuchte, die angespannte Stimmung etwas aufzulockern. „Dass du mich Sora genannt oder dass du fast mit mir geschlafen hast?“

Unsicher grinste er zurück. „Beides?“

Ich griff nach meinem Weinglas und nahm einen großen Schluck daraus. Was zum Teufel war denn da eben in uns gefahren? So etwas durfte auf gar keinen Fall passieren – niemals! Wären wir dann besser gewesen als Sora und Tai? Nein, sicher nicht. Ich musste mich auf Hope konzentrieren und darauf, ihr eine gute Mutter zu sein. Es hätte nichts geholfen, mit Matt zu schlafen. Nein – es hätte alles nur noch schlimmer und noch komplizierter gemacht und das wollte ich weder Hope, noch Yamato, noch mir antun.

„Tust du mir einen Gefallen?“, fragte Yamato schließlich zaghaft. „Erzählst du bitte Tai nichts davon?“

Völlig perplex sah ich ihn an, weil ich absolut nicht verstand, wie er jetzt darauf kam und warum ihm das überhaupt noch wichtig war.

„Unsere Freundschaft steht eh schon auf dünnem Eis. Ich will es nicht noch schlimmer machen, indem ich sein Mädchen küsse.“

„Eure Freundschaft steht auf dünnem Eis? Du bist wirklich erstaunlich“, entgegnete ich fast schon beeindruckt und dennoch fassungslos. „Jeder andere würde sich einen Scheiß um seinen sogenannten besten Freund scheren, wenn der mit seiner Freundin geschlafen hätte. Du bist doch der Letzte, der sich etwas vorzuwerfen hat. Normalerweise solltest du jetzt zu ihm rüber gehen und ihm eine reinhauen.“

Ich war selbst erstaunt darüber, wie leicht mir diese Worte über die Lippen kamen. Aber so war es nun mal. Und so langsam wurde es Zeit, dass ich dem Alptraum, der plötzlich mein Leben bestimmte, in die Augen sah. Tai und Sora hatten alles kaputt gemacht. Und Yamato saß hier und machte sich Gedanken darüber, was Tai von IHM halten könnte? Irgendwas lief hier falsch.

Yamato entfuhr ein bittersüßes Lachen, ehe er seine Hände faltete und in seinen Nacken legte.

„Ich weiß, was du meinst. Und wahrscheinlich bin ich der dümmste Mensch auf der Welt, wenn ich das jetzt sage, aber… Tai bedeutet mir immer noch was. Er war mein Leben lang mein bester Freund. Ich kann ihn nicht einfach so aus meinem Leben verbannen, genauso wenig wie Sora. Auch, wenn ich beiden den Arsch aufreißen könnte, das kannst du mir glauben.“

Überrascht über diese Offenbarung musste ich erst ein Mal schlucken. Ich wusste, dass das eben eine reine Verzweiflungstat von ihm war, weil er seine Gefühle genauso gern verdrängen würde, wie ich meine. Doch, dass er so empfand hätte ich nicht gedacht.

„Ich weiß, was du jetzt denkst“, sagte er. „Es wäre viel leichter die beiden einfach zu hassen. Wirklich, das könnten wir tun. Wir könnten sie einfach hassen und sie für immer aus unserem Leben streichen. Nie wieder mit ihnen reden. Wir sollten sie verachten, dafür, dass sie uns so wehgetan haben. Aber, wenn es so einfach wäre, dann wäre ich jetzt nicht hier, richtig?“

Ich dachte kurz über seine Worte nach und nickte dann kaum merklich.

„Also, Mimi“, setzte er erneut an, richtete sich etwas auf und sah mich vielsagend an. „Was tun wir nun, da wir sie nicht hassen können? Denn ich denke, dir geht es genauso – wenn du mal ehrlich zu dir selbst bist.“

Ich biss mir schmerzlich auf die Unterlippe. Aus dieser Sicht hatte ich die ganze Sache noch gar nicht gesehen. Tai und Sora würden uns nie ganz egal sein. Ganz gleich, was wir taten. Sie würden immer die sein, die wir liebten und die unser Herz gebrochen hatten.

„Richtig“, sagte er plötzlich, als hätte er gerade meine Gedanken gelesen. „Hassen funktioniert nicht. Dafür lieben wir sie zu sehr. Und vergessen…? Tja, das funktioniert auch nicht, wie wir eben gesehen haben.“

Er ließ sich zurück in die Kissen fallen und grinste gen Decke. „Ich würde sagen, wir sind ganz schön am Arsch, was?“

Verdammt.

Er hatte recht. Selbst, wenn ich mit Tai ein klärendes Gespräch führen würde, wie sollte es danach weitergehen? Wie sollte ich ihm je wieder gegenübertreten, ohne diesen tiefen Schmerz zu empfinden? Wäre er mir egal, würde es nicht mehr so verdammt wehtun. Also würde ich nie vergessen können, was sie getan hatten, doch hassen würde ich sie auch nie können. Vor allem Tai nicht. Dafür bedeutete er mir einfach zu viel. Und trotzdem musste ich einen Weg finden, irgendwie damit umzugehen. Nur, wie?
 

Yamato ging an diesem Abend nicht mehr nach Hause. Stattdessen übernachtete er auf meinem Sofa, um sich auszunüchtern. Es fühlte sich komisch an, wenn ich daran dachte, was vergangene Nacht fast zwischen uns passiert wäre – und falsch. Tatsächlich fühlte es sich so an, als hätte ich jemanden betrogen. Dabei waren wir doch diejenigen, die betrogen worden waren.

„Guten Morgen“, begrüßte ich ihn, als ich vom Bad ins Wohnzimmer kam und er sich noch einmal murrend rumdrehte.

„Wie lang hab ich geschlafen?“, war seine erste Frage, als ich Hope auf ihre Spieldecke absetzte und in die Küche ging.

„Nun ja, sagen wir es mal so. Hope hat gerade ihren Mittagsschlaf beendet, also…“

Sofort sprang er vom Sofa auf. „Was? So lang? Warum hast du mich denn nicht geweckt?“

Ich zuckte unsicher mit den Schultern. „Ich weiß nicht. Ich dachte, du hättest ein bisschen Schlaf bitter nötig.“

Aufgebracht fuhr er sich durch seine zerzausten Haare und rieb sich dann mit dem Handrücken über die Augen.

„Man, ich bin echt völlig hier versackt. Tut mir echt leid.“

„Das ist nicht weiter tragisch. Ist ja nicht so, dass ich noch Männerbesuch erwartet hätte.“ Ich grinste ihn schief an, doch irgendwie kam mein Witz nicht so richtig an, denn er stand stöhnend auf, machte einige Schritte auf mich zu und sah mich eindringlich an.

„Mir tut echt leid, was da gestern passiert ist. Ich hätte dir nicht so nahekommen sollen, wirklich nicht. Ehrlichgesagt ist es mir sogar ein bisschen peinlich, dass ich so sturzbetrunken hier aufgetaucht bin.“

Plötzlich war er wieder ganz der alte Yamato. Zuvorkommend und äußerst korrekt.

„Mach dir keine Gedanken“, wank ich schnell ab. Ich wollte ihm nicht noch mehr Kopfzerbrechen bereiten. „Keine Sorge, ich werde Tai nichts davon erzählen. Momentan reden wir sowieso nicht miteinander.“ Ich goss mir einen Becher von dem heißen Kaffee ein, den ich vorhin gemacht hatte und hielt auch Matt eine Tasse hin.

Dankend nahm er sie an.

„Hast du schon mit Sora gesprochen?“

Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich will sie nicht sehen. Auch, wenn es mir das Herz zerreißt, nicht mehr mit ihr zusammen sein zu können.“

„Das kann ich irgendwie verstehen“, seufzte ich. Plötzlich wusste ich wieder, was ihn gestern Abend ausgerechnet zu mir getrieben hatte. Ich verstand besser als jeder andere, was er gerade durchmachte.

„Darf ich dir trotzdem was erzählen?“, fragte ich zaghaft und haderte dabei mit mir selbst. Doch ich fand, er hatte ein recht darauf, das zu wissen, was ich wusste.

Yamato seufzte, grinste jedoch zaghaft. „Nur zu. Mein Herz ist schon gebrochen. Schlimmer kann es also nicht werden.“

Ich schluckte schwer und mir wurde mulmig zumute. Doch ich wollte unbedingt wissen, was er davon hielt.

„Kari hat mir etwas erzählt. So, wie es gerade aussieht, weiß sie ungefähr, wann es passiert ist. Es war, als ich… als ich offiziell umgezogen bin. Das heißt, wenn das stimmt, war Sora zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht mit dir zusammen.“

„Und Tai nicht mit dir“, schlussfolgerte Yamato seelenruhig. Ich nickte.

„Was für eine Ironie“, grinste er plötzlich bittersüß, leerte seinen Kaffee in einem Zug und schaute gedankenverloren in die leere Tasse. „Wenn das stimmt, wäre es doch noch schlimmer als es eh schon ist.“

Erstaunt sah ich ihn an. „Wie meinst du das?“

„Na ja, das ändert einiges, oder etwa nicht?“, entgegnete er traurig lächelnd. „Das würde bedeuten, ich war für Sora nichts weiter als ein Lückenfüller. Die zweite Wahl eben. Der Notnagel für ihr gebrochenes Herz.“

„Aber Matt…“, fuhr ich hoch, doch er schüttelte den Kopf.

„Das tut tatsächlich mehr weh, als die Tatsache, dass sie mit Tai geschlafen hat. Sie wollte nie mit mir zusammen sein. Sie hat es nur getan, um ihn zu vergessen.“

Prompt bekam ich ein schlechtes Gewissen, es ihm überhaupt erzählt zu haben. Es schmerzte unheimlich, ihn so am Boden zu sehen und dabei auch noch zu wissen, dass es wahr sein könnte. Hatte sie sich mit Matt wirklich nur ablenken wollen? Und in Wahrheit die ganze Zeit über Tai geliebt? Auch mich erschütterte diese Möglichkeit, denn dann hätte sie mir als beste Freundin ganz schön was vorgemacht.

„Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es tut mir so leid, Matt“, sagte ich traurig und senkte den Blick. War es doch ein Fehler, ihm davon zu erzählen? Musste ich ihn denn noch mehr verletzen als er es eh schon war?

„Ist schon gut, Mimi“, antwortete er und legte mir eine Hand auf die Schulter. „Auch, wenn es weh tut… Jetzt weiß ich wenigstens, dass es für Sora und mich keine Zukunft mehr gibt. Es gab einen Moment – um genau zu sein, nicht nur einen – in dem ich gedacht habe, es war eben nur eine Dummheit von ihr und das alles würde sich schon irgendwie wieder einrenken. Doch ich hätte es gleich besser wissen müssen. Rückblickend betrachtet gab es so viele Momente, in denen sie Tai vermutlich hinterhergetrauert hat und ich das nur nicht sehen wollte, weil ich sie so sehr geliebt habe und es immer noch tue. Für uns wird es keine gemeinsame Zukunft mehr geben. Es ist nicht wie bei dir und Tai.“

Überrascht hob ich den Kopf. „Was willst du denn damit sagen? Meinst du etwa, für mich und Tai würde es noch irgendeine Zukunft geben?“ Ich konnte nicht fassen, dass er das so leichtfertig in den Raum stellte. Obwohl er doch ganz genau wusste, wie ich mich fühlte.

„Tai liebt dich über alles, das merkt jeder, der euch beide zusammen sieht.“

„Das kann nicht dein Ernst sein“, sagte ich bitter und fast schon beleidigt. „Wie kannst du das behaupten? Ich weiß noch nicht mal, ob es nur das eine Mal zwischen ihm und Sora gab oder ob da noch mehr war. Vielleicht lief das auch die ganze Zeit weiter hinter unserem Rücken und wir waren nur zu blind, um es zu bemerken.“

Ich wurde sauer. Allein, dass die Möglichkeit bestand, dass es so gewesen sein könnte, machte mich wütend und zerfetzte mein Herz erneut.

„Das glaubst du doch wohl selbst nicht“, grinste Yamato mich wissend an. Ich fragte mich ernsthaft, ob er mich verarschen wollte.

„Woher willst du wissen, dass es nicht so war?“, fuhr ich ihn an.

Er stieß sich von der Küchenzeile ab und stellte seine leere Tasse weg. „Weil ich Tai kenne“, sagte erlediglich, als würde das alles erklären. „Er ist mein bester Freund und ich kenne ihn besser als ich Sora je gekannt habe. Und ich kenne seine Prinzipien.“

Unverstanden verschränkte ich die Arme vor der Brust und verzog das Gesicht. „Ach ja? Gehört es denn auch zu seinen Prinzipien, die Menschen, die er liebt anzulügen?“

Yamato entfuhr ein leises Lachen, ehe er mich eindringlich fixierte. „Nein, das ganz sicher nicht. Und ehrlichgesagt kann ich auch nicht verstehen, warum er es dir nicht schon früher gesagt hat. Er hat uns beide belogen. Das ist echt das Letzte.“ Er ballte seine Hand zur Faust und ich konnte sehen, wie sehr er mit sich zu kämpfen hatte. „Es ändert aber nichts an der Tatsache, dass er dich liebt“, sagte er jedoch plötzlich.

Yamato sprach aus voller Überzeugung und ich hatte keine Ahnung, woher er diese Gewissheit nahm oder was ich darauf antworten sollte.

„Wie dem auch sei… du musst wissen, was du tust“, beendete er seinen Vortrag und ging zu Hope ins Wohnzimmer, um sich vor ihr hinzuknien. Ich beobachtete, wie er lächelte und dem kleinen spielendem Mädchen vor sich sanft übers Haar strich.

„Tut mir leid, was ich gestern mit deiner Mama gemacht habe“, entschuldigte er sich. „Ich verspreche dir, das wird nie wieder vorkommen.“

Ich musste grinsen. „Du entschuldigst dich bei ihr?“

„Ja“, sagte er und stand auf. Er wirkte irgendwie erleichtert. „Ich hatte das Gefühl, dass ich das tun müsste. Es war nie meine Absicht dich in Bedrängnis zu bringen. Außerdem… war ich ziemlich betrunken und ich…“

Ich wank ab. „Schon vergessen. Ehrlich.“

„Da bin ich aber froh“, lächelte er dankend und ging in den Flur, um sich anzuziehen.

„Was wirst du jetzt tun?“, fragte ich ihn, nachdem ich ihm gefolgt war und mich gegen die Wand lehnte.

„Ich habe absolut keine Ahnung“, gestand er offen, als er sich seine Lederjacke überzog. „Ich habe gehört, Verdrängung soll eine gute Methode sein, um seinen Problemen aus dem Weg zu gehen.“

Na, das hatte ja am Abend zuvor bestens funktioniert.

Skeptisch grinsend runzelte ich die Stirn. „Ja, aber früher oder später muss man sich doch seinen Gefühlen stellen.“

Er grinste mir entgegen. „Dito.“
 

Und damit sollte ich recht behalten. Das „früher oder später“ kam leider doch früher als erhofft…

„Nein, keine Ahnung, was sie hat. Sie weint einfach die ganze Zeit und ich kriege sie nicht beruhigt“, sagte ich verzweifelt, während ich Hope auf dem Arm hatte, ihr beruhigend über den Rücken strich und das Telefon, mit Kari am anderen Ende, zwischen Kopf und Schulter geklemmt hatte. Ich wusste einfach nicht, was mit ihr los war. Seit Yamato gegangen war, ging es ihr zunehmend schlechter und ich wusste mir nicht mehr zu helfen. Sie weinte schon seit Stunden und ließ sich absolut nicht beruhigen. So kannte ich sie gar nicht.

„Hast du mal Fieber gemessen?“, fragte Kari besorgt.

„Ja, das habe ich schon, aber sie hat kein Fieber. Und auch sonst fehlt ihr eigentlich nichts. Ich weiß wirklich nicht, was mit ihr los ist.“ Ich war der Verzweiflung nahe. Was konnte ich nur tun, um sie zu beruhigen? Ich hatte doch schon alles versucht, aber nichts half.

„Bist du sicher, dass ihr nichts fehlt?“, hakte Kari mit Bedacht nach, während ich weiter im Raum unruhig auf und ab ging und Hope mir ins Ohr schrie.

Abrupt blieb ich stehen. „Was willst du damit sagen?“

„Na ja“, begann Kari vorsichtig. „Meinst du nicht, dass sie sehr wohl mitbekommt, dass etwas nicht stimmt? Vielleicht vermisst sie…“

„Nein“, fuhr ich ihr über den Mund. „Das glaube ich nicht.“

„Glaubst du oder willst du nicht, dass sie Tai vermisst?“

Ich biss mir auf die Unterlippe. Verdammt! Ich konnte doch jetzt schlecht Tai um Hilfe anflehen, weil ich mit meiner eigenen Tochter nicht klarkam.

„Kannst du nicht rüberkommen? Bitte, Kari. Ich weiß nicht mehr, was ich mit ihr machen soll?“, fragte ich hilfesuchend.

„Das geht leider nicht. Ich bin gerade bei Takeru und…“

„Oh…“

„Und meine Eltern sind leider beide arbeiten. Vielleicht kann dir Frau Hanada helfen, Hope zu beruhigen.“

Ich seufzte. „Nein, das kann ich nicht von ihr verlangen. Sie tut eh schon so viel für uns“, antwortete ich geknickt und wusste, dass ich von Kari unmöglich verlangen konnte, herzukommen. Sie hatte schließlich ihre eigenen Probleme. Wir hatten zwar nicht noch mal darüber gesprochen, aber vielleicht war sie ja gerade bei Takeru, um mit ihm über ihre Gefühle zu reden.

„Ich schaffe das schon irgendwie“, versuchte ich glaubhaft rüber zu bringen.

„Bist du dir sicher?“ Ich hörte die Ungewissheit in ihrer Stimme.

„Ja, absolut. Bis später dann“, sagte ich und legte schnell auf, ehe ich es mir anders überlegte. Denn um ehrlich zu sein, war ich am Rande des Wahnsinns und Hope war es auch. Sie war inzwischen so außer sich, dass sie einfach nur noch schrie und weinte und überhaupt nicht mehr mitbekam, wie oft ich sie beruhigend streichelte oder wie lieb ich ihr zuredete.

„Süße, was hast du nur?“, fragte ich außer mir vor Sorge und setzte sie auf meinen Schoß. Ich griff nach dem Schlüsselbund, der vor mir auf dem Tisch lag und wedelte klirrend vor ihrer Nase damit rum. Ein rosa Püschel befand sich daran, mit dem sie sonst immer begeistert rum spielte. Doch auch dieser lenkte sie diesmal nicht ab. Im Gegenteil. Ich hatte das Gefühl, dass sie nur noch mehr weinte.

„Was mache ich nur?“ Hilfesuchend sah ich mich um. „Ah, ich hab’s. Willst du Schokolade? Schokolade hilft mir immer, wenn ich traurig bin.“

Ich setzte sie auf ihre Spieldecke ab. Dann eilte ich in die Küche, um eine Tafel Schokolade zu holen, von der ich ihr ein winziges Stück abbrach. Normalerweise liebte sie es, darauf rum zu lutschen. Doch als ich es ihr hinhielt und selbst ein Stück in den Mund steckte, um ihr zu zeigen, wie lecker das doch war, drückte sie nur ihre kleinen Händchen auf ihre Augen und weinte bitterlich weiter.

Frustriert ließ ich den Kopf hängen. Also nahm ich sie wieder auf die Arme und versuchte sie weiterhin durch hin und her wiegen zu beruhigen. So langsam machte ich mir echt Sorgen. Natürlich hatte sie schon oft geweint, aber noch nie war es so schlimm wie jetzt gewesen.

„Bitte, bitte hör auf zu weinen, bitte“, flehte ich, als würde das irgendetwas bringen. Ich wollte gerade vor lauter Verzweiflung ebenfalls in Tränen ausbrechen, als es unerwartet an der Tür klingelte.

Besuch? Das hatte mir gerade noch gefehlt.

„Jetzt nicht“, rief ich in Richtung Tür und hoffte, dass der ungebetene Gast einfach wieder verschwand. Doch es klingelte noch mal, und nochmal.

Ich stöhnte genervt auf. „Ja, doch!“

Mit der weinenden Hope auf dem Arm ging ich zur Tür und öffnete sie, woraufhin mich zwei aufgebrachte braune Augen musterten.

Tai stand mit beiden Händen gegen die Hüfte gestemmt vor mir und sah mich wütend an. „Was meinst du, was du hier machst?“, fragte er ohne Umschweife.

Völlig perplex sah ich ihn an. „Was ich hier mache? Was machst du hier, sollte ich wohl eher fragen.“

Er wartete nicht mal eine Antwort ab, sondern drückte sich einfach an mir vorbei in die Wohnung.

„Hey, sag mal, geht’s noch?“, blaffte ich ihn an, doch das schien ihn nicht zu interessieren, denn im nächsten Moment hatte er mir Hope aus den Armen genommen.

„Spinnst du? Was soll das?“

Ich ging ihm hinterher ins Wohnzimmer, während er es nun war, der meine Tochter beruhigend hin und her wog und ihr sanft über den Rücken strich. Ich hingegen war rasend vor Wut und wäre am liebsten übergekocht. Was fiel ihm ein hier einfach so reinzuplatzen und mir meine Tochter wegzunehmen?

„Tai, gib sie mir sofort zurück!“, forderte ich ihn auf. „Was glaubst du eigentlich, wer du bist? Du kannst nicht einfach hier reinplatzen, wenn dir danach ist und du kannst dir schon gar nicht einfach so meine Tochter krallen. Was fällt dir eigentlich ein?“, tobte ich und ging auf ihn zu. „So, und jetzt gib sie mir sofort zurück oder ich schwöre bei Gott…“

„Dein falscher Stolz ist hier gerade völlig unangebracht“, fuhr er mich wütend an. Ich zuckte zusammen.

Falscher Stolz?

Es verschlug mir die Sprache, als ich mit ansah, wie er liebevoll auf Hope einredete, ihren kleinen Kopf an seine Schulter drückte und sie sich verzweifelt an sein Shirt klammerte.

Ich schluckte schwer. Er hatte recht. Mein falscher Stolz war daran schuld gewesen, dass Hope so unglücklich war. Ich sah die beiden an. Tai, der väterlicher nicht hätte sein können, und Hope, die sich plötzlich zu beruhigen schien, weil sie ihn endlich wieder hatte.

„Ich fass das nicht“, sagte ich ungläubig, ließ mich erschöpft aufs Sofa sinken und vergrub das Gesicht in meinen Händen.

„Ich bin die schlechteste Mutter der Welt“, jammerte ich und war den Tränen nahe.

„Hast du mal Fieber gemessen?“, fragte Tai und schien meine Aussage gerade gänzlich zu ignorieren.

„Was? Ja, habe ich.“

„Und? Ist sie krank?“ Seine Stimme war voller Sorge.

Ich schüttelte den Kopf. „Sie hat kein Fieber. Ich glaube, ihr fehlt etwas ganz anderes“, gab ich letztendlich zu, als ich an Karis Worte zurückdachte.

„Das ist gut. Trotzdem ist es besser, wenn du sie hinlegst und sie sich ausruhen kann.“

„Meinst du, das hätte ich nicht schon versucht?“, entgegnete ich müde. „Sie hat einfach die ganze Zeit geschrien und ich wusste nicht, was sie hat.“

„Hmm“, machte Tai nachdenklich. „Sie beruhigt sich langsam etwas. Ich werde mal versuchen, sie schlafen zu legen.“

Ich sah zu, wie er sie mitnahm. Er ging mit ihr in ihr Zimmer und ich konnte hören, wie er weiterhin liebevoll auf sie einredetet. Hope hatte inzwischen aufgehört zu weinen und nach einer Weile war kein Mucks mehr aus dem Zimmer zu hören.

„Sie ist eingeschlafen“, sagte Tai schließlich, als er wieder raustrat und leise die Tür hinter sich anlehnte. Dann stellte er das Babyphone neben mir auf den Tisch.

„Danke“, wisperte ich. Ich wagte es nicht, ihn anzusehen. Ich hatte mich völlig unreif und kindisch verhalten. Anstatt ihn gleich um Hilfe zu bitten, war ich stur geblieben. Dabei hätte ich zuerst an ihr Wohlergehen denken müssen, so wie ich es mir vorgenommen hatte. Stattdessen hatte ich, stolz wie ich war, jegliche Hilfe abgelehnt. Kari hatte recht. Hope fehlte etwas Entscheidenden in ihrem Leben und das war ihr Papa.

„Gut, dann gehe ich jetzt wieder“, sagte Tai und wandte sich ab.

„Sie vermisst dich sehr“, kam jedoch schneller über meine Lippen als ich beabsichtigt hatte. Er ging nicht weiter, sondern blieb einfach nur stehen, als ich endlich den Kopf hob und ihn ansah. „Und ich dich auch.“

Flashback II – Tai


 

„From the outside looking in, it’s hard to understand.

From the inside looking out, it’s hard to explain.“
 

„Es freut mich, dass du endlich bereit bist, mit mir zu reden.“

„Hmm“, machte ich und sah weiter geradeaus. Tai tat das genauso.

Mit einem sicheren Abstand zueinander saßen wir da, vermieden es uns in die Augen zu sehen und sahen dabei vermutlich aus wie zwei Teenager, die nicht wussten, wie sie sich verhalten sollten. Und im Grunde waren wir das ja auch. War ich wirklich schon bereit, mit Tai darüber zu sprechen, was geschehen war? Nein, überhaupt nicht. Aber Hope hatte mir gezeigt, dass es dringend nötig war. Sie vermisste ihn mehr als ich gedacht hatte. Eine sehr schmerzende Erkenntnis.

„Du bist ein fester Bestandteil in Hopes Leben geworden“, brachte ich schließlich kaum hörbar über die Lippen. „Es war nicht richtig, sie von dir fernzuhalten. Sie ist es nicht gewöhnt, dass du nicht bei ihr bist.“

„Und ich bin es nicht gewöhnt, dass ihr nicht bei mir seid“, antwortete er und ich konnte hören, wie verzweifelt auch er war. Vermutlich ging es ihm nicht besser als mir.

„Das waren die schlimmsten drei Tage meines Lebens. Euch nicht mehr um mich haben zu können war absolute Folter. Ich wollte euch in Ruhe lassen, dir Zeit geben, damit klarzukommen. Doch als Kari vorhin anrief und meinte, dass es Hope schlecht geht, konnte ich einfach nicht anders.“

Unwillkürlich musste ich lächeln. Das war typisch Tai. Egal, was passiert war – wenn ihn jemand brauchte, den er liebte, war er da, ganz egal, ob derjenige es wollte oder nicht. Aber so war er schon immer – absolut selbstlos, liebevoll und ehrlich. Deswegen passte das alles hier auch gar nicht zu ihm. Ich verstand einfach nicht, warum er das getan hatte.

„Warum ist das mit Sora passiert?“, platzte es plötzlich aus mir heraus. Alles in mir schrie nach einer Antwort, nach einer Erklärung, nach irgendetwas, dass mir half, dass alles zu verarbeiten.

Tai schwieg, als würde er überlegen, was er antworten sollte.

„Leider gibt es keine Rechtfertigung für das, was ich getan habe“, sagte er reumütig. „Aber es gibt einen Grund. Und dieser Grund warst du, Mimi.“

Überrascht sah ich ihn an. „Ich? Was hab ich damit zu tun?“

„Na ja“, sagte er und ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er weiterhin gen Boden starrte. „Auch, wenn du mir das jetzt wahrscheinlich nicht glauben wirst, aber… ich hab dich schon immer gemocht. Sehr sogar.“

Betreten sah auch ich zu Boden. Ich wusste nicht, ob es das war, was ich jetzt hören wollte, aber ich wollte ihm zumindest die Gelegenheit geben, sich zu erklären.

„Letztes Jahr im Frühling habe ich mich in dich verliebt. Zumindest weiß ich jetzt, dass es so war“, begann er zu erzählen. „Es war an Hanami. Du hast so unglaublich schön ausgesehen in deinem Kimono. Und dann hast du dich so vollgefressen, weil du meintest, alles probieren zu müssen und dir wurde total übel.“

Bedächtig zog ich eine Augenbraue in die Höhe, doch ein bisschen Schmunzeln musste ich auch, als ich daran zurückdachte. Ich konnte mich noch gut an diesen Tag erinnern.

„Klingt nicht so, als hätte ich mich besonders liebenswert benommen“, entgegnete ich leicht zweifelnd.

Tai schüttelte den Kopf und kurz streifte mich sein Blick. „Trotzdem. Für mich war dieser Tag etwas ganz Besonderes. Du warst etwas ganz Besonderes. Ich habe mich noch nie so wohl in deiner Gegenwart gefühlt, wie damals. Und von da an war es um mich geschehen.“

Ich sah wie auch er zufrieden lächelte, als er daran zurückdachte. Und, dass er es aufrichtig meinte, konnte ich an seinem Blick erkennen, der plötzlich so viel Wärme ausstrahlte und doch im nächsten Moment erkaltete.

„Und dann bist du weggezogen. Einfach so. Ohne dich zu verabschieden.“

Unangenehme Stille legte sich zwischen uns. Der schöne Tag an Hanami, den wir gemeinsam verbracht hatten, wich dem Tag, an dem wir uns zuletzt sahen. Es war der letzte Schultag vor den Sommerferien und ich wusste, dass ich insgeheim Abschied nehmen musste. Nur wussten meine Freunde das damals noch nicht.

„Ich weiß ja, dass du nicht bleiben konntest, weil du schwanger warst und die Sache mit Hayato… nur, damals wusste ich das noch nicht. Ich war wirklich wütend darüber, Mimi.“

Er wandte den Kopf und sah mir entschlossen in die Augen, was mir sofort ein schlechtes Gewissen bescherte. Auch mir war es damals nicht leicht gefallen meine Freunde anzulügen und Monate lang zu verlassen. Aber ich hatte keine Ahnung, dass es Tai so sehr verletzt hatte.

„Ich habe absolut nicht verstanden, warum du dich nicht verabschiedet hast. Warum du einfach so weggezogen bist und nichts gesagt hast“, sagte er bitter und presste angestrengt die Zähne aufeinander. „Irgendwie dachte ich, wir wären dir alle egal und das tat verdammt weh. Vor allem, weil ich mich gerade so sehr zu dir hingezogen gefühlt habe. Aber das wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht richtig wahrhaben und als du plötzlich weg warst, erst recht nicht. Ich habe versucht meine Gefühle zu verdrängen, weil es zu sehr weh tat, dass du nicht mehr da warst. Und dann… dann ist das mit Sora passiert…“
 

Rückblick
 

„Was ist nur mit dir los, Alter? Deine Launen sind ja abartig“, nörgelte Yamato, als ich fluchtartig das Kino verlassen hatte.

Mimi war gerade seit zwei Wochen weg und ich hatte wirklich andere Sorgen als mir so einen albernen Film im Kino anzusehen. Eigentlich hatte ich auf den ganzen Abend keine Lust gehabt. Doch das scherte sie ja einen Dreck. Sie war jetzt irgendwo da draußen, in einem anderen Land und dachte nicht eine Sekunde lang an mich.

„Ich habe einfach keine Lust auf so eine bescheuerte Liebesschnulze. War echt ne dämliche Idee von euch, da reinzugehen. Da hätte ich wirklich Besseres mit meiner Zeit anfangen können“, meckerte ich zurück. „Aber ihr könnt ruhig wieder rein gehen. Ich gehe nach Hause“, sagte ich zu meinen zwei besten Freunden, die sich fragende Blicke zuwarfen, ehe ich sie einfach stehen ließ.
 

„Jetzt warte doch mal, Tai. Hau doch nicht gleich ab“, rief Sora mir hinterher, als ich bereits um die nächste Ecke gebogen war.

Genervt stöhnte ich auf. „Was ist?“

Konnten mich denn nicht alle einfach mal in Ruhe lassen?

Stutzig blieb sie vor mir stehen. „Was ist eigentlich mit dir los?“, fragte sie sorgenvoll. „Du bist seit ein paar Tagen wie ausgewechselt. Du bist launisch, abweisend und gemein. Und… wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, dass du Liebeskummer hast.“

Ich verdrehte die Augen und sah gen Himmel. War das denn so offensichtlich?

„Ich habe keine Ahnung, was du meinst“, log ich, versteckte die Hände in den Hosentaschen und vermied es weiterhin, sie anzusehen.

„Ist es wegen Mimi?“

Überraschung legte sich auf mein Gesicht. Woher sollte sie das wissen? Ich hatte es niemanden erzählt. Ich wollte es ja noch nicht einmal selbst wahrhaben. Jemanden zu lieben, der tausende Kilometer weit weg war und sich einen Dreck um mich scherte war absolut nicht gesund. Ich sollte das schleunigst ablegen und sie vergessen.

Ich antwortete nichts und das war für Sora Antwort genug.

„Lass uns reden, Tai.“
 

Kurze Zeit später saßen wir zusammen in einer Bar, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wollte. Was brachte es schon über seine Gefühle zu reden, wenn sie doch niemals erwidert werden würden?

„Wo ist eigentlich Yamato abgeblieben?“, fragte ich gelangweilt, während ich an meinem kühlen Bier nippte und Sora ihren Cocktail umrührte.

„Wahrscheinlich ist er auch nach Hause gegangen, als er gemerkt hat, dass wir nicht wiederkommen. Oder aber er sitzt immer noch in diesem Kino und sieht sich diese grauenhafte Liebesschnulze an.“

Ich schmunzelte. „Der war doch echt schrecklich, oder?“

Sora kicherte. „Kann man so sagen. Keine Ahnung, wer sich so was ausdenkt, aber in der Realität sieht es doch meistens ganz anders aus. Diese Filme sind eben absolute Fiktion. Im wahren Leben hat Liebe doch meistens keine Chance, weil sie nur einseitig ist oder man aus irgendwelchen anderen Gründen nicht zusammen sein kann.“

Dann sah sie mich unsicher an. „Warum bist du so traurig, dass Mimi weggezogen ist?“

Ich biss mir auf die Lippe. „Das kannst du dir doch eh schon denken. Aber es ist egal. Es spielt keine Rolle mehr. Hat es nie. Und wird es auch nie.“ Eine bittere Erkenntnis.

„Spielt es nicht immer eine Rolle, wenn man verliebt ist?“, entgegnete Sora nachdenklich.

„Nein, tut es nicht“, sagte ich verbittert. „Sie hat sich ja nicht mal verabschiedet.“

Ich war so sauer darüber, dass sie einfach gegangen war. Sie war ohne ein Wort der Erklärung abgehauen, einfach verschwunden, als hätte es sie nie gegeben und als würden wir ihr alle nichts bedeuten. Am besten wäre wirklich, wenn sie dablieb, wo sie jetzt war.

Sora seufzte. „Oh, man. Denkst du, es wäre besser, sie einfach zu vergessen?“

Ich fuhr mit dem Finger über den Rand meines Bierglases und presste die Lippen aufeinander. Ich hatte keine Ahnung.

„Bist du denn nicht auch sauer auf sie? Du bist ihre beste Freundin und bei dir hat sie sich doch auch nicht verabschiedet?“, fragte ich Sora.

„Sie wird ihre Gründe haben“, zuckte sie lediglich mit den Schultern, als wäre es nicht weiter von Belangen. Ich wünschte, ich könnte diese Einstellung teilen.

„Da hilft nur eins“, verkündete Sora auf einmal ganz euphorisch. „Tequila!“

Tequila?

Ehe ich mich versah, hatte sie für jeden von uns drei Runden bestellt und wir kippten uns das brennende Zeug einfach hinter. Und plötzlich war ich so betrunken, dass der Schmerz fast schon wie betäubt war. Mir war alles recht, um auf andere Gedanken zu kommen.

„Noch eine Runde?“

„Noch eine Runde!“, jubelte ich und hielt dem Bar Ceaper mein Glas hin, damit er direkt nachfüllen konnte.

„Danke, Sora“, sagte ich eine Stunde später, während auch ihr Blick immer schleierhafter wurde. Sie grinste jedoch und wank kichernd ab. „Ach, kein Ding, Tai. Ich bin gerne für dich da.“ Traurig senkte sie den Blick. „Außerdem weiß ich sehr gut, wie es sich anfühlt, wenn man unglücklich verliebt ist.“

Plötzlich blendete ich alles andere aus, weil ich wusste, dass es egal war und weil ich wusste, dass es ihr wohl genauso ging wie mir. Ich beugte mich zu ihr und küsste sie.
 

Es hatte uns völlig unvorbereitet getroffen, und für den Moment hatte es sich sogar gut angefühlt. Doch danach kam die Ernüchterung. Der Alkohol wich der Vernunft und mir wurde klar, was wir getan hatten.

„Es tut mir so leid, Sora“, sagte ich immer wieder, während sie wie wild ihre Sachen vom Boden meines Zimmers aufsammelte.

„Hör verdammt noch mal auf das immer wieder zu sagen“, schimpfte sie und Tränen glitzerten in ihren Augen. „Du kapierst wohl überhaupt nichts.“

Richtig, ich stand total auf den Schlauch. Was zum Teufel ging hier ab? Ja, wir hatten miteinander geschlafen und es war nicht geplant gewesen. Aber ich dachte, sie wüsste, dass das eine einmalige Sache und ein großer Fehler war, der niemals hätte passieren dürfen.

„Du bist meine beste Freundin, Sora. Nicht mehr…“

Abrupt blieb sie stehen und funkelte mich böse an. „Du bringst es ziemlich genau auf den Punkt, Tai. Aber was ist, wenn ich mehr für dich empfinde?“

„Mehr? Wie meinst du das: du empfindest mehr?“

„Ich habe mich in dich verliebt, du Vollidiot!“, schrie sie mich nun an, was mich augenblicklich erstarren ließ. Völlig Perplex von dieser Offenbarung starrte ich sie mit offenem Mund an. Das durfte einfach nicht wahr sein! Das war der absolute Alptraum – und ich habe ihn wahrwerden lassen.

„Was… Aber… Seit wann?“, stammelte ich, während sie sich weiter ihre Sachen anzog.

„Jedenfalls länger als du in Mimi verliebt bist. Na ja, angeblich verliebt bist.“

Sie zog sich ihre Schuhe an und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr, während ich mich vor ihr aufbaute, sie mich jedoch keines Blickes mehr würdigte.

„Angeblich? Was soll das heißen?“, fragte ich nun ungehalten. Aus ihrem Mund klang es, als wäre das ein Witz.

Sie stellte sich aufrecht hin und sah mich mit festem Blick an. „Ach, komm schon, Tai. Mach dir doch nichts vor. Du liebst sie doch nicht wirklich. Das kann überhaupt nicht sein. Ihr seid euch niemals nähergekommen, du und sie. Ihr habt absolut nichts gemeinsam. Ich bin der Mensch, der immer für dich da war, jederzeit“, sagte sie und zeigte auf sich selbst. „Und dann schläfst du mit mir und behauptest immer noch steif und fest, du wärst in sie verliebt und ich wäre nur deine beste Freundin, mehr nicht? Du belügst dich doch nur selbst.“

Fassungslos sah ich sie an. Wie konnte sie nur so die Tatsachen verdrehen?

„Sora, ich glaube, du bringst da gehörig was durcheinander.“

„Tzz“, machte sie nur beleidigt. Ich war so ziemlich geschockt von diesem Verhalten. So kannte ich sie nicht. Ich hatte ja mit vielem gerechnet, aber damit, dass Sora in mich verliebt war… War ich denn so blind gewesen?

„Es ist auch egal“, sagte sie schließlich und wischte sich eine letzte Träne aus dem Gesicht. „Wenn du nicht so empfindest wie ich, muss ich damit leben. Aber kannst du auch damit leben, unsere Freundschaft so beendet zu haben?“
 

„Und mit diesen Worten hatte sie mich allein gelassen. Mit meinem schlechten Gewissen und der Tatsache, dass ich offensichtlich meine beste Freundin verloren hatte. Wir hatten dann länger keinen Kontakt zueinander. Doch dann kam sie ganz unerwartet mit Yamato zusammen und die beiden schienen so glücklich, dass sich alles wieder von alleine eingerenkt hatte. Sora und ich konnten wieder normal miteinander umgehen, und darüber war ich sehr froh. Dass sie die Sache nie abgehakt hatte, erfuhr ich erst viel später“, beendete Tai seine Erzählung.

Ich konnte es einfach nicht fassen. Es war für mich absolut nicht begreifbar, dass meine beste Freundin so etwas getan und dann auch noch Tais Liebe zu mir derart in Frage gestellt hatte. Auch, wenn wir damals noch nicht zusammen waren. Sie muss mehr als nur eifersüchtig gewesen sein. Geschockt saß ich da und versuchte die vielen Gedanken in meinem Kopf zu ordnen.

„Jetzt sag doch was, Mimi“, forderte Tai mich auf und wollte nach meiner Hand greifen, doch ich entzog sie ihm.

„Ich muss dich noch was fragen“, sagte ich entschlossen. „Und ich werde dich das nur ein einziges Mal fragen: hast du danach noch mal mit Sora geschlafen?“

Entsetzt sah er mich an. „Was? Nein!“

„Und an dem Abend nach eurer Prüfung? Als ihr allein unterwegs wart? Lief da was?“

Tai musste nicht lang überlegen. „Um Gottes Willen, Mimi – nein!“, sprudelte es aus ihm heraus und er rutschte näher an mich ran. „Das hätte ich dir niemals angetan, glaub mir. Es gab zwar an dem Abend einen kurzen Moment, aber… Aber ich habe ihr unmissverständlich klargemacht, dass da nie wieder etwas zwischen uns laufen wird und ich…“

„Wie, es gab einen Moment?“, fiel ich ihm ins Wort. „Was soll das heißen? Lief da nun etwas oder nicht?“

Ich konnte mich noch gut an die Nacht erinnern, als Tai nach Hause kam und mir versicherte, dass da absolut nichts war zwischen Sora und ihm. Im Grunde hatte er mich für dumm verkauft. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl gehabt, dass das nicht die ganze Wahrheit war und ja – vielleicht war an DIESEM Abend nichts zwischen ihnen gelaufen und auch an keinem anderen, während wir zusammen waren. Doch er hatte mich trotzdem angelogen. Und dieses Misstrauen stand einfach immer noch zwischen uns.

„Nein, es lief nichts“, seufzte Tai. „Sie hat versucht, mir näher zu kommen. Aber sie war total betrunken. Und dann habe ich ihr klargemacht, dass ich dich liebe und sie das nie wieder tun soll. Und dass sie es sagen kann, wenn ihr meine Nähe zu viel wird.“

Ich dachte nach. Dann fiel es mir ein. „Suhsi. Euer Codewort.“ Also hatte ich doch recht.

„Ja, sozusagen“, sagte er beschämt. „Wir hatten an dem Abend Sushi gegessen und… ach, keine Ahnung. Es war nur so eine Idee. Ich hatte wirklich das Gefühl, dass sie sich danach gefangen hatte. Vor allem als sie dann von Hope erfahren hat. Versteh doch Mimi, ich habe keinen Grund gesehen, dich unnötig zu verletzen und auch noch eure Freundschaft zu gefährden.“

Schmerzhaft biss ich mir auf die Lippe. War das sein Ernst?

„Und was ist mit Matt?“, drängte ich ihn in die Enge. „Hast du nie daran gedacht, dass du es ihm hättest sagen müssen?“

Betrübt ließ er den Kopf hängen. „Doch. Ich wollte es ihm oft sagen. Doch er war so unglaublich verliebt in Sora. Ich wollte einfach niemanden unglücklich machen.“

Ich sprang vom Sofa auf. Ich konnte mir das einfach nicht mehr anhören.

„Das ist wieder so typisch, Tai. Nie willst jemanden verletzen und immer sollen alle glücklich und zufrieden sein. Das funktioniert aber nicht, indem du sie anlügst, kapier das doch endlich mal! Wir leben nun mal nicht in dieser rosa Traumwelt, die du gern um uns alle erschaffen würdest“, schrie ich ihn an. Verstand er denn wirklich gar nichts? Dachte er denn immer noch, alle mit einer Lüge beschützen zu können?

„Das mit Sora war bevor wir zusammengekommen sind, Mimi. Es spielte überhaupt keine Rolle. Es hatte nichts zu bedeuten!“

„Deswegen tut es nicht weniger weh, Tai. Sora ist meine beste Freundin. Zumindest war sie es. Und du… du warst… einfach alles für mich, Tai.“

„Meinst du, ich weiß nicht, dass das falsch war?“, entgegnete er bitter. „Es war ein fataler Fehler mit Sora zu schlafen und es war noch schlimmer, es vor dir und Matt geheim zu halten, aber mal ehrlich: du bist auch nicht ganz unschuldig daran.“

Völlig verständnislos fixierte ich ihn mit meinen Blicken. „Bitte, was?“

Nun sprang auch Tai auf und trat mir entgegen. „Wärst du nicht einfach so ohne ein Wort abgehauen, hätte ich mich an dem Abend doch nie auf Sora eingelassen.“

Ich zuckte zurück. Was er mir hier entgegen schleuderte war absolut unfair. „Das ist nicht fair, Tai. Ich wusste doch überhaupt nichts von deinen Gefühlen für mich.“

„Nein, schon klar. Und du hättest auch nie etwas davon gewusst, wenn ich mich nicht die ganze Zeit um dich und Hope gekümmert hätte. Nur deswegen hast du dich doch in mich verliebt. Wärst du damals nicht schwanger gewesen, wäre doch alles so weiter gegangen wie bisher. Du hättest dich nie für mich interessiert. Nicht auf diese Weise.“

Mir klappte der Mund auf und ich war völlig sprachlos. Warf er mir etwa gerade vor, dass ich mich nur in ihn verliebt hatte, weil er gerade ganz gelegen für mich kam? Diese Behauptung schmerzte so sehr – fast noch mehr als die Tatsache, dass er mit Sora geschlafen hatte.

„Yamato hat sich wohl doch geirrt“, stellte ich ernüchternd fest, als ich endlich meine Sprache wiederfand.

„Was meinst du damit?“, hakte Tai sauer nach. „Was hat er denn zu dir gesagt, als er letzte Nacht bei dir war?“

Was? Woher wusste Tai, dass Yamato bei mir war?

„Oder seid ihr nicht viel zum Reden gekommen?“

Also, das war doch…

„Du bist ja wohl der Letzte, der mir irgendetwas vorzuwerfen hat!“, platzte es aus mir heraus. „Außerdem war es nur ein Kuss, nichts weiter.“

Tais Augen weiteten sich. „Was?“ Er kam einen Schritt auf mich zu und sah bedrohlich von oben auf mich hinab. „Ihr habt euch geküsst?“

Ich stemmte beide Hände an die Hüfte und reckte mich ihm entgegen. Na und, dann wusste er es eben. Ich war gerade so verdammt sauer auf ihn, dass es mir einfach völlig egal war, was er von mir dachte.

„Oh, sag bloß, das stört dich jetzt, nachdem du mit Sora in der Kiste warst“, provozierte ich ihn weiter, ehe sich eine fiese Zornesfalte auf seiner Stirn bildete.

„Ich sagte dir bereits, dass es rein gar nichts zu bedeuten hatte.“

„Na, und?“, entgegnete ich provokant. „Mir hat es auch nichts bedeutet. Dann sind wir doch jetzt wohl quitt.“

Tai presste die Zähne aufeinander und ballte beide Hände zu Fäusten, bevor er sich abwand und zur Tür ging.

„Schön!“

„Schön!“, rief ich ihm hinterher und ließ mich beleidigt aufs Sofa plumpsen. Ich verschränkte die Arme vor der Brust, als er noch „Wenn etwas mit Hope ist, ruf mich an“ sagte, ich diesen letzten Kommentar jedoch nur mit einer abwertenden Handbewegung nach hinten quittierte und die Tür schließlich ins Schloss fiel.

Augenblicklich sackte ich in mir zusammen.

Was war da nur wieder in uns gefahren? Ich wollte doch für Hope erwachsen und verantwortungsbewusst sein. Und jetzt war alles nur noch verfahrener als zuvor. Wie Tai mir die Wahrheit erzählte tat weh, aber noch schlimmer war für mich, dass er mir vorwarf, ihn nur zu lieben, weil er sich um mich gekümmert hatte. Hatte er etwa recht? Waren meine Gefühle so berechenbar?

Ich schloss die Augen und ging in mich. Während mein Herz vor Aufregung noch ganz wild gegen meine Brust schlug, formte sich in meinem Kopf ein Bild und ich versuchte mir den Abend vom letzten Hanami Fest ins Gedächtnis zu rufen. Der Abend, an dem Tai sich in mich verliebt hatte…

Flashback III - Mimi


 

„So much more was said in the unsaid.“

Bridgett Devoue
 

Rückblick
 

„Oh mein Gott, das ist unglaublich“, schwärmte ich, als ich mir ein Fleischbällchen von Kari in den Mund steckte und genüsslich darauf rum kaute. „Mmh und das!“ Eine frittierte Sushi-Rolle von Yamato fand den Weg in meinen Mund. „Oh man und das erst!“ Und selbstgemachte Pralinen von Sora.

„Gott, das ist alles so köstlich. Wenn heute mein letzter Tag wäre, wäre das die perfekte Henkersmahlzeit.“ Verzückt über die ganzen Leckereien, die meine Freunde zum Fest mitgebracht hatten, rieb ich mir den Bauch. Wir hatten es uns unter den wunderschön blühenden Kirschbäumen im Park auf einigen Decken gemütlich gemacht und genossen das schöne Wetter, ehe wir am Abend auf das Fest gehen wollten.

Tai musterte mich angewidert.

„Du stopfst ganz schön viel in dich rein. Man, da würde selbst mir schlecht werden“, bemerkte er abschätzig und ich warf ihm einen bösen Blick zu.

„Meinst du, du bist der Einzige, der die Berechtigung hat sich hemmungslos voll zu fressen?“, konterte ich, denn Tai war normalerweise derjenige, der sich bei allen anderen durchfutterte. „Oder hast du Angst, dass für dich nichts übrig bleibt?“

„Pah“, machte er und sah mich schief von der Seite her an. „Irre ich mich, oder hat sie etwas zugenommen?“

Empört verzog ich das Gesicht, als Kari ihm auch schon gegen den Arm schlug. „Halt die Klappe, Tai!“

„Genau! Halt die Klappe, Tai“, meckerte ich ihn ebenfalls an und streckte ihm die Zunge raus. Er drehte sich beleidigt weg.

„Mimi, wolltest du heute nicht eigentlich auch einen Kimono tragen?“, fragte Sora und ich war dankbar, dass sie so vom Thema „Essen“ und „zugenommen“ ablenkte.

Ich zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Keine Ahnung, ich habe keine Lust mich in so ein enges Ding zu quetschen.“

„Ich sag doch, sie hat zugenommen“, gab Tai belustigt zu bedenken, woraufhin er sich gleich noch einen Schlag von seiner Schwester einfing. Ich warf ihm einen bösen Blick zu.

„Außerdem bin ich was Mode angeht eher westlich eingestellt“, fügte ich noch ergänzend hinzu.

Sora hatte leicht reden. Sie sah in ihrem gelb orangen Kimono mit dem roten Blumenmuster auch umwerfend aus. Ich hingegen war momentan froh, wenn ich so oft es ging legere Kleidung tragen konnte. Vor drei Wochen hatte ich erfahren, dass ich schwanger war und seitdem zierte ich mich irgendwie davor, enge Kleidung zu tragen. Wahrscheinlich aus Angst, man könnte es jetzt schon bemerken, was natürlich völliger Schwachsinn war.

„Ich finde auch, dass dir ein Kimono sehr gut stehen würde“, mischte sich nun auch Takeru ein, der bis eben noch mit Izzy und Joe in ein Gespräch vertieft war.

Ich runzelte die Stirn. „Findest du? Na, ich weiß nicht.“

Er nickte bestätigend. „Also ich finde“, sagte Tai und hob das Kinn an. „Dass der klassische Kimono viel besser zu so einem Fest passt, als …“, er beäugte mich kritisch, „… als Minirock mit Strumpfhose und Sweatshirt.“

Ich presste die Zähne aufeinander und lehnte mich ihm entgegen. „Dich hat aber keiner nach deiner Meinung gefragt!“

Vor lauter Frust über seinen Kommentar stopfte ich gleich noch mehr von dem leckeren Essen in mich rein. Mein Appetit war seit meiner Schwangerschaft einfach unstillbar. Ich musste wirklich lernen mich zu zügeln. Ich wollte schließlich nicht fett wie eine Tonne werden.

Gerade, als ich mir die letzte frittierte Sushi-Rolle in den Mund schob, lehnte Sora sich nach vorn und lächelte mich an.

„Was hältst du davon, wenn wir uns schon mal die Stände angucken, Mimi?“

„Ja, oh mein Gott, nimm sie bloß mit“, grinste Tai schief. „Sie frisst uns alles weg, wie die Raupe Nimmersatt.“

„Duuh …“, sagte ich drohend und wollte ihn gerade boxen, als Sora mein Handgelenk umschloss und mich auf die Beine zog.

„Komm, Mimi. Das wird lustig!“

„Na gut, ich komme mit“, stöhnte ich, während Tai mir die Zunge rausstreckte, froh darüber, noch mal davon gekommen zu sein. Ich funkelte ihn böse an und hakte mich bei Sora unter. Wir reihten uns in die Menschenmenge ein und schlenderten durch die Reihen, an denen links und rechts Stände waren, die noch mehr leckeres Essen und Getränke anboten.

„Was suchst du denn?“, fragte ich Sora, als ich mich umgesehen hatte.

„Um ehrlich zu sein, wollte ich nur mal allein mit dir reden“, gab sie zu und ein verlegenes Lächeln schlich sich auf ihre Lippen. „Wenn wir heute Abend alle zusammen hier sind, werden wir keine Zeit haben, um ungestört zu reden.“

„Aha“, machte ich und legte eine interessierte Miene auf. „Um was geht es denn?“

Sora errötete leicht.

„Ich habe so die leise Ahnung, dass es um einen Jungen geht“, mutmaßte ich schief grinsend.

„Ach, was soll’s“, erwiderte sie und legte verlegen eine Hand an ihre gerötete Wange. „Ich glaube, ich habe mich verknallt, Mimi. So richtig, meine ich.“

Ich begann zu strahlen. „Was, wirklich? Das ist ja toll! Wer ist denn der Glückliche?“

Sie sah zur Seite. „Das kann ich nicht sagen.“

„So so“, entgegnete ich spitzfindig. „Dann kenne ich ihn also.“

Sora wurde noch roter um die Nase. „Ja, kann sein.“

„Jetzt mach’s nicht so spannend“, drängte ich sie weiter. „Geht er auf unsere Schule? Ist er älter als wir oder gleichalt? Ist er Sportler?“ Gedanklich ging ich bereits alle Möglichkeiten durch, die mir einfielen, doch ich kam einfach nicht darauf, wer es sein könnte. Sora redete nicht besonders viel über Jungs.

„Ich kann’s wirklich nicht sagen, Mimi“, meinte Sora und berührte verlegen ihre Wange. „Das würde er mir nicht verzeihen, wenn das die Runde machen würde.“

„Was? Also hast du es ihm schon gesagt?“, staunte ich.

Sora schüttelte den Kopf. „Nein, noch nicht. Aber das habe ich vor. Bald.“ Sie wirkte ziemlich zuversichtlich und ich bewunderte ihren Mut. Sie war noch so wunderbar naiv, weil sie noch keine Ahnung hatte, was die Liebe mit einem anstellen konnte. Ich dachte an Hayato und daran, wie er vor ein paar Wochen unsere Beziehung beendet hatte. Einfach so. Dabei hatte ich mich immer an alle Regeln gehalten, die er während wir heimlich zusammen waren aufgestellt hatte. Es tat weh, dass er erst vorschlug, dass wir nach meinem Abschluss zusammen ziehen und unsere Beziehung öffentlich machen könnten und sie im nächsten Moment leichtfertig beendete. Ich biss mir schmerzlich auf die Unterlippe. Mein Herz flatterte immer noch wie wild, wenn ich an ihn dachte, doch dass er mich so eiskalt im Regen stehen ließ, tat verdammt weh. Ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen sollte.

„Mimi? Bist du noch da?“, fragte Sora und riss mich somit aus meinen Gedanken. Sie hatte anscheinend die ganze Zeit weitergeredet und ich hatte null Ahnung, um was es gerade ging.

„Meinst du, ich soll es heute Abend tun?“ Ihre Augen strahlten förmlich.

„Äh … was genau tun?“, hakte ich unwissend nach.

„Es ihm sagen? Du weißt schon … dass ich mich in ihn verliebt habe.“

Achso. Wir waren also immer noch bei dem ominösen Typen. Ich zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht. Wird er denn heute Abend auch auf dem Fest sein?“

Sie nickte.

„Dann solltest du es tun“, ermutigte ich sie. „Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und wer weiß, vielleicht mag er dich ja auch.“ Ich zwinkerte ihr zu und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Du hast recht. Ich muss einfach mutig sein und mich trauen.“

Wenigstens eine, die noch voller Zuversicht in ihr zukünftiges Liebesleben blickte. Unwillkürlich entwich mir ein tiefer Seufzer, doch im nächsten Moment packte Sora mich auch schon am Handgelenk und zog mich mit sich.

„Hey, was hast du denn vor?“, fragte ich sie, während sie mich unaufhaltsam durch die Menschenmenge drängte.

„Danke für deinen Rat, Mimi. Ich weiß nicht, ob ich es mich getraut hätte, wenn du mich nicht ermutigen würdest.“ Sie grinste verheißungsvoll. „Ich weiß, du wirst mich jetzt vermutlich hassen, aber Tai hat recht.“

Perplex starrte ich sie an.

„Ein Kimono passt viel besser zu so einem schönen Fest“, redete sie weiter.

„Was denn? Willst du jetzt etwa auch, dass ich mich in so ein Ding quetsche?“, entgegnete ich panisch, da ich jetzt schon wusste, dass es keinen Sinn machte, mich gegen meine beste Freundin zu wehren.

„Ja, das finde ich. Und zufälligerweise habe ich zu Hause genau den passenden für dich im Schrank. Der liegt schon viel zu lang dort rum“, verkündete sie freudig.

Ich verengte meine Augen zu Schlitzen, gab es jedoch auf, sie davon abbringen zu wollen. Klasse. Mir blieb auch wirklich gar nichts erspart.
 

Eine Stunde später waren wir zurück auf dem Fest und die Sonne war bereits dabei unterzugehen. Unsicher zupfte ich an mir herum.

„Ich komme mir total albern vor“, murrte ich und hoffte inständig, dass ich in diesem komischen Ding überhaupt laufen konnte.

„Kannst du das jetzt endlich mal lassen? Du siehst fantastisch aus!“, bestärkte Sora mich jedoch grinsend und begutachtete zufrieden ihr Werk. Sie hatte mir allen Ernstes einen Kimono von sich aufgezwängt, den sie letztes Jahr von ihrer Tante geschenkt bekommen, aber nie getragen hatte, da er ihr nach eigener Aussage nicht so gut stand. Sie hatte sich unglaublich Mühe gegeben, mir die Haare wunderschön hochgesteckt und sogar ein leichtes Make Up aufgetragen, doch ich fühlte mich trotzdem sichtlich unwohl. Ich hatte momentan wirklich andere Sorgen, als mich für so ein Frühlingsfest herauszuputzen. Obwohl der Kimono eigentlich ganz schön war. Oben war er fast weiß und ging dann in ein zartes rosa über, während er zu meinen Füßen ein sattes pink annahm. Weiße, beige und rosa Blumenmuster zierten den Stoff und ich musste mir insgeheim eingestehen, dass er genau meinen Geschmack traf. Wenn Hayato mich doch nur so sehen könnte …

„Sora! Mimi! Da seid ihr ja endlich“, rief eine mir vertraute Stimme von weitem und ich wandte mich um. Yamato, Tai und die anderen hatten uns in der Menge ausfindig gemacht und Sora wank sie zu uns rüber. Ich ging einen Schritt zurück, um mich hinter Sora klein zu machen. Mein Rock und der Sweater wären mir deutlich lieber gewesen.

„Man, wir haben euch eine halbe Ewigkeit hier gesucht“, nörgelte Yamato, als sie bei uns ankamen.

„Mmh? Hast du meine SMS nicht bekommen?“, entgegnete Sora fragend.

„SMS? Nein, nicht wirklich. Ist wohl schlechter Empfang hier.“ Die beiden glichen ihre Handys ab, während ich etwas unsicher rumstand und Kari, Takeru und Tai dabei beobachtete, wie sie sich einen der Stände näher betrachteten.

„Guck mal Tai, da hinten kann man was gewinnen“, rief Kari plötzlich begeistert und zeigte mit dem Finger in eine Richtung. „Lass uns dahin gehen, ja?“

„Au ja, da bin ich dabei“, meinte Takeru begeistert und schnappte sich Karis Hand, um sie mit sich zu ziehen.

Tai schlenderte ihnen mehr oder weniger gelangweilt hinterher. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt und ich senkte den Blick, als er an mir vorbei ging.

Plötzlich blieb er stehen und sah ungläubig zur Seite.

„Mimi?“

Oh je. Ich wollte doch nicht, dass er mich so sah …

Ich drehte den Kopf noch etwas mehr zur Seite und tat so, als würde irgendetwas meine Aufmerksamkeit erregen. Doch er machte einen Schritt zurück und neigte sich mir entgegen, um mir ins Gesicht sehen zu können.

„Du bist es ja wirklich“, sagte er erstaunt. Ich kniff die Lippen zusammen. Wahrscheinlich konnte ich mir gleich wieder irgendeinen bescheuerten Spruch anhören. Erwartungsvoll hob ich den Kopf, um ihn anzusehen und wollte mich schon meinem Schicksal ergeben, als sich Überraschung auf sein Gesicht legte. Mit großen Augen sah er mich an, ließ seinen Blick an mir hinab wandern und trat sogar noch einen Schritt näher, als müsse er sich vergewissern, dass ich es auch wirklich war.

„Was ist?“, fauchte ich ihn an und ich spürte, wie ich leicht rot wurde. „Na mach schon. Wo bleibt der dämliche Spruch?“

Er blinzelte ein paar Mal. „Welcher Spruch?“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Du kannst mir ruhig sagen, wie albern ich aussehe“, meinte ich und zog eine Schnute.

Seine Mundwinkel zuckten und ein leichtes Grinsen zierte seine Lippen.

„Wieso albern?“

Ungläubig sah ich ihn an.

„Ich finde, du siehst wunderschön aus in dem Kimono“, sagte er sanftmütig. Dabei sah er mir direkt in die Augen. Und ich konnte nicht anders, als in seine zu sehen. Mir war noch nie aufgefallen, was für ein warmes braun sie hatten.

Hatte er gerade wirklich wunderschön gesagt?

„Ich … äh“, begann ich zu stammeln. Wieso machte mich dieser Kommentar von ihm so nervös? Oder war es die Art, wie er mich ansah? Weil er mich so noch nie angesehen hatte.

„Tai, komm schon!“, rief Kari zwei Stände weiter und wank ihn zu sich rüber.

„Jaha“, lachte dieser und nahm plötzlich meine Hand.

„Komm mit“, sagte er lächelnd. Ich war so perplex über diese Geste, dass ich gar nicht anders konnte als zu nicken und ihm zu folgen. Erst, als wir bei Kari und Takeru angelangt waren, ließ er meine Hand wieder los. Ein merkwürdiges Kribbeln zog sich über meine Haut.
 

„Wollen wir noch was essen?“, fragte ich in die Runde, als wir uns später wieder alle zusammengefunden hatten.

„Du willst noch was essen? Dein Ernst?“, meinte Izzy ungläubig. „Also ich für meinen Teil platze bald, aber tu dir keinen Zwang an.“ Sogar Yamato rieb sich bestätigend über den Bauch.

Ich rollte mit den Augen. Als ob ich hier als Verfressene abgestempelt werden wollte. Doch ich konnte nichts tun, mein Magen knurrte schon wieder. In der Hoffnung, dass das eben niemand gehört hatte, drückte ich mir auf den Bauch.

„Also ich könnte noch was vertragen“, verkündete Tai und zwinkerte mir zu. „Wir können uns ja eine Portion Sakura Mochi teilen, was hältst du davon?“

Was ich davon hielt? War das sein Ernst?

„Na, da haben sich ja zwei gefunden“, lachte Yamato auf. „Geht ihr mal essen. Wir suchen uns schon mal einen guten Platz, um nachher das Feuerwerk anzuschauen.“

„Ist gut“, rief Tai und nahm mich mit.

Widerstrebend ließ ich mich von ihm durch die Menge schieben.

Er bestellte uns eine Portion Mochi und hielt mir das Schälchen hin, damit ich mich bedienen konnte.

„Äh … danke“, sagte ich und schob mir das kleine Reisgebäck in den Mund.

Er lächelte und aß ebenfalls eins.

Ich wusste nicht so recht, was ich mit ihm reden sollte. Wir waren nicht sehr häufig allein und wenn wir es waren, zickten wir uns die meiste Zeit nur an oder ärgerten uns gegenseitig. Also stellte ich die einzige Frage, die mir momentan auf der Zunge brannte.

„Wieso bist du so nett?“

Schief grinsend zog er eine Augenbraue in die Höhe. „Ich bin immer nett.“

„Ach Quatsch.“

„Wenn ich’s dir doch sage. Du hast das nur noch nicht bemerkt.“

Selbstbewusst sah er mir in die Augen, was mich irgendwie verunsicherte. Ich wollte es dabei beruhen lassen, als es plötzlich eng um uns wurde. Irgendjemand stieß unabsichtlich gegen meinen Rücken, sodass ich nach vorne stolperte.

„Huch“, machte Tai und fing mich auf. „Alles in Ordnung?“

Ich nickte, doch anstatt mich wieder loszulassen, legte er einen Arm um meine Schulter und drückte mich nur noch enger an sich.

Die Hitze stieg mir ins Gesicht, als ich seinen Duft einatmete. Warum war mir vorher noch nie aufgefallen, wie gut er roch?

„Tai, kann ich mal kurz mit dir sprechen?“, sagte Sora freundlich, die urplötzlich neben uns aufgetaucht war.

Sofort ließ er mich los und auch ich suchte Abstand, indem ich einen großen Schritt zurück machte.

„Was? Äh … ja, klar“, antwortete er irritiert und drückte mir die restliche Portion Mochi in die Hand. „Hier, iss ruhig auf. Ich bin gleich wieder da.“

Verdattert blieb ich stehen und blickte den beiden hinterher. Was war das denn eben? Hatte ich mir das nur eingebildet oder hatte er mich tatsächlich eben bewusst an sich gezogen.

Sie gingen nicht weit weg und ich sah, wie Sora vor ihm stehen blieb und irgendetwas zu ihm sagte. Als ich aufgegessen hatte, wollte ich zurück zu den anderen gehen. Nur komisch, dass die vielen Lichter sich auf einmal alle bewegten. Sie flackerten vor meinen Augen hin und her und auch die Menschen um mich drum rum, wurden zunehmend verschwommener. Benommen griff ich mir an die Stirn. Was war denn das? Bekam ich etwa Fieber?

Ich wankte zur Seite und wäre beinahe hingefallen, hätte mich nicht im letzten Moment jemand am Arm gepackt und wieder auf die Beine gezogen.

Mit verschleiertem Blick sah ich in die besorgten Augen von Taichi, der mich festhielt.

„Hey, was machst du denn für Sachen? Geht’s dir nicht gut?“, fragte er, doch ich wusste gar nicht, wo mir der Kopf stand.

„Ich … Ich glaube, ich muss mich einfach mal hinsetzen“, wisperte ich und ließ mir von Tai unter die Arme greifen.

„Was hat sie denn?“, hörte ich Soras besorgte Stimme fragen.

„Keine Ahnung, ich glaube, ihr ist schwindlig“, meinte Tai daraufhin. „Ich werd mit ihr zu einer Bank gehen, damit sie sich etwas ausruhen kann.“

„Soll ich dir helfen?“

„Nein, nein, ich schaff das schon. Wir sehen uns nachher“, entgegnete Tai und führte mich durch die Menge. Tatsächlich fanden wir eine Bank, die sich direkt unter einem Kirschbaum befand und die frei war. Behutsam setzte er mich ab und ich seufzte erleichtert auf. Schon viel besser.

„Geht’s dir besser?“, fragte Tai und ließ sich neben mir nieder. Ich nickte. „Ja, danke.“

„Was ist denn los mit dir? Hast du Kopfschmerzen? Ist dir übel?“

Seine besorgten Augen fixierten mich, was mir sichtlich unangenehm war. Ich konnte ihm ja schlecht sagen, dass mir schon seit Tagen immer mal wieder schwindlig wurde.

„Nein, alles gut“, log ich. „Der Tag war heute nur irgendwie anstrengend. Zu viele Menschen auf einen Haufen.“

Ich faltete die Hände in meinem Schoß und ließ mich etwas an der Bank hinabrutschen.

„Mmh, kann ich verstehen. Mir ist es auch zu viel Trubel“, gab Tai zurück und machte es sich ebenfalls bequem. Zusammen blickten wir in die Blüten des Kirschbaums, der durch die vielen Lichter wunderschön funkelte.

Nach einer Weile des Schweigens sagte er: „Du kannst dich gerne bei mir anlehnen, wenn dir noch etwas schwindlig ist.“

Überrascht sah ich ihn an, doch dann nahm ich das Angebot dankend an, rutschte ein wenig näher an ihn heran und legte meinen Kopf an seine Schulter.

Er duftete wirklich gut.

Wir schwiegen weiter, was aber nicht schlimm war. Ich genoss es, dass ich einfach nur mal sitzen und das Treiben der Menschen von weitem beobachten konnte. Und ich genoss es sogar, dass Tai da war. Er drängte mir nicht irgendein Gespräch auf oder erzählte mir von seinem Liebesleben. Und wenn er nicht gerade dabei war mich zu ärgern, konnte er offensichtlich sogar ganz nett sein.

„Was machst du nur mit mir?“, unterbrach er plötzlich die Stille. Seine Stimme war ganz leise und wurde im nächsten Moment von einem lauten Knall übertönt. Das Feuerwerk begann und erstrahlte bunt am Himmel. Von dem Knall aufgeschreckt zuckte ich zusammen, doch im selben Moment griff Tai nach meiner Hand und hielt sie ganz fest. Irritiert blickte ich auf unserer beider Hände hinab. Wie seine meine umschloss und wie gut sich das anfühlte.

Anstatt sie ihm zu entziehen, ließ ich es zu und lehnte mich wieder gegen seine Schulter. Stillschweigend betrachteten wir gemeinsam das Feuerwerk und immer wieder gingen erstaunte Laute durch die Menge.

Ich genoss diesen zwanglosen Moment irgendwie. Plötzlich wirkten meine Probleme gar nicht mehr so groß. Als würden sie mit jeder Rakete, die gen Himmel schoss, in der Luft zerspringen und nichts als bunte Farben zurücklassen.

Zufrieden schloss ich die Augen.

„Mimi?“, ertönte Tais Stimme. Sie war so beruhigend.

„Mmh?“

„Kann ich dich mal was fragen?“

„Mmh.“

„Aber nimm es nicht persönlich, ja?“

„Mmh.“

„Hast du … hast du jemanden, den du besonders gerne magst? Ich meine, so richtig? Also, versteh das nicht falsch. Es ist nur, dass ich mich gefragt habe, ob du vielleicht …“

Ich schoss hoch und saß mit einem Mal kerzengerade da. Meine Augen weiteten sich und ich schlug mir die Hand vor den Mund.

Oh, nein. Bitte nicht jetzt.

„Was ist denn?“, fragte Tai irritiert.

Ich wandte den Kopf in seine Richtung.

„Ich glaub, ich muss mich übergeben“, brachte ich gerade noch hervor, ehe ich aufsprang und um die Bank hinter den Baum rannte. Ich musste mich so heftig übergeben, dass mein Magen sich schmerzhaft zusammenkrampfte.

Ich spürte, wie mir jemand die Haare zurückhielt. Oh, nein. Ich wollte auf keinen Fall, dass Tai mich so sah.

Als ich das gesamte Essen wieder hochgebracht hatte, was ich vorher verdrückt hatte, lehnte ich mich erschöpft gegen den Baum.

„Warum isst du auch so viel durcheinander?“, schimpfte Tai ungehalten drauf los. „War ja klar, dass das nicht gut geht. Wenn ich dran denke, was du heute alles in dich reingestopft hast …“

Am liebsten hätte ich mit den Augen gerollt, doch dazu fehlte mir die Kraft. Verfluchte Schwangerschaft.

„Ich habe gerade echt keinen Nerv für deine Standpauke“, brachte ich geschwächt hervor und wollte Tai einen giftigen Blick zuwerfen, doch er hielt mir ein Taschentuch vor die Nase.

„Hier, nimm das“, meinte er. Verwundert über diese nette Geste nahm ich es entgegen und wischte mir über den Mund. Es war mir total unangenehm, dass er mich beim Kotzen gesehen hatte, doch genau genommen hatte er richtig zuvorkommend reagiert. Er hatte mir sogar die Haare gehalten. Welcher Junge würde so was schon tun?

„Komm, ich bring dich nach Hause“, meinte Tai bestimmend und griff nach meiner Hand.

„Was …? Aber das Fest“, wollte ich widersprechen, doch er sah mich eindringlich an.

„Ich habe wirklich keine Lust, dass du uns alle mit deiner Magen Darm Grippe oder was auch immer du da hast, ansteckst. Es ist besser, wenn du dich zu Hause hinlegst und dich ausruhst.“

Überrascht sah ich ihn an. Er war ja richtig fürsorglich. Kam wahrscheinlich daher, dass er großer Bruder einer kleinen Schwester war.

„Du kannst ja richtig nett sein“, stellte ich erstaunt fest und folgte ihm widerstandslos.

„Ich sagte dir doch: ich bin immer nett.“ Sein schiefes Grinsen ging mir an diesem Abend nicht mehr aus dem Kopf.
 

Seufzend ließ ich mich zurück in die Sofakissen fallen.

Ich glaube, er hätte mir gerne noch was gesagt. Etwas, dass er letztendlich nicht ausgesprochen hatte.

Plötzlich konnte ich verstehen, warum er mir all die Dinge vorhin an den Kopf geworfen hatte. Wie konnte ich nur so blind sein? Ich war gedanklich so sehr mit Hayato und meinen eigenen Problemen beschäftigt, dass ich gar nicht wahrnahm, was sich um mich drum rum entwickelte. Ich hatte weder bemerkt, dass Sora schon längst in Tai verliebt war, als ich ging, noch hatte ich kommen sehen, was sich zwischen Tai und mir anbahnte. Oder ich wollte es nicht sehen?

Das schlechte Gewissen nagte an mir. Er hatte recht. Ich hätte nicht einfach so gehen dürfen. Ich hätte mir anhören sollen, was er mir zu sagen hatte. Doch ich hatte es nicht bemerkt. Aber was wäre, wenn es Hayato nicht gegeben hätte? Wäre mein Herz dann frei gewesen? Hätte ich mich in Tai verlieben können? Oder war es, wie er sagte? Dass ich mich niemals in ihn verliebt hätte, wäre alles normal für mich weitergegangen. Ich bin mir sicher, dass ich mich früher oder später zu ihn hingezogen gefühlt hätte. Tai war wundervoll. Das war er schon immer gewesen. Nur konnte ich ihn damals einfach noch nicht in mein Herz lassen.

Ausflug

Die kommenden Tage vergingen eher schleichend und während ich Tai größtenteils aus dem Weg ging, kam Kari das ein oder andere Mal zu mir rüber, um Hope mitzunehmen. Ich hatte eingesehen, dass ich sie nicht einfach von Tai fernhalten konnte und ihn nicht von ihr. Also erlaubte ich, dass sie täglich für ein paar Stunden zu den Yagamis durfte, damit die zwei ein wenig Zeit miteinander verbringen konnten. Tai allerdings hatte ich seit unserem letzten Zusammenprall nicht mehr gesehen – und das war auch besser so. Ich konnte die Zeit nutzen, um zu verarbeiten, was geschehen war. Dass es ausgerechnet Sora war, mit der Tai etwas hatte, wollte einfach nicht in meinen Kopf. Und mir vorzuwerfen, ich wäre nicht ganz unschuldig daran gewesen, dass es überhaupt passiert war, war die absolute Krönung. Und je mehr ich darüber nachdachte, umso wütender wurde ich. Wie konnte Tai es wagen mir derartige Vorwürfe an den Kopf zu knallen? Ich wusste, wir mussten früher oder später versuchen, ernsthaft über diese Sache zu reden, aber momentan zog ich es vor, dies zu vermeiden. Ich war einfach zu wütend auf ihn, um ein anständiges Gespräch mit ihm führen zu können.

Allerdings sah Tai das etwas anders …

Ich stand gerade unter der Dusche, als es an der Tür klingelte. Ich dachte, es wäre Kari, die mir Hope wiederbringen wollte, deswegen wickelte ich mir nur schnell ein Handtuch um meinen nassen Körper und eilte zur Tür. Es klingelte noch mal.

„Ich komme schon“, rief ich und öffnete erwartungsvoll die Tür, um meine Tochter zu empfangen. Mein Lachen erstarb, als Tai mir entgegenblickte.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich schnippisch und zog mein Handtusch ein Stück höher.

Sein Blick war geradezu unverschämt – er wanderte meinen Körper hinab und wieder zurück, ehe sich ein verschmitztes Grinsen auf seine Lippen legte.

„Netter Aufzug“, bemerkte er. „Nicht unbedingt das perfekte Reiseoutfit, aber na ja …“

Ich verzog die Lippen zu einer schmalen Linie. „Was soll das? Was machst du hier? Und wo ist Hope?“

Ich reckte meinen Kopf und schielte an ihm vorbei. Hinter ihm standen zwei große Reisekoffer, ein schwarzer und ein roter. Ich wusste gar nicht, dass Tai denselben Koffer wie ich hatte, aber … Moment mal. Das war mein Koffer!

„Hast du es schon vergessen?“, fragte Tai mich schief grinsend. „Wir sind für dieses Wochenende verabredet. Ich hatte dich auf einen Ausflug eingeladen.“

Ich hob den Kopf und funkelte ihn böse an.

„Denkst du ernsthaft, ich fahre mit dir in den Urlaub, nach allem was passiert ist? Momentan würde ich mit dir noch nicht mal den Müll runterbringen.“ Provokant hielt ich seinem Blick stand.

„Du wirst keine andere Wahl haben“, zuckte Tai mit den Schultern. „Dein Koffer ist gepackt und Hope ist gerade mit Frau Hanada auf einen Spaziergang. Sie wird das Wochenende über bei ihr bleiben. Du musst dir also keine Sorgen machen.“

„Sorgen?“, fuhr ich ihn an. „Ich hab Sorge, dass du nicht mehr alle Tassen im Schrank hast. Wie kommst du überhaupt an meine Sachen?“

Er zog eine Augenbraue nach oben, als müsste ich die Antwort darauf selbst kennen.

„Du lässt Kari ziemlich oft auf Hope aufpassen. Ich habe immer noch einen Schlüssel. Es war nicht schwer, deinen Koffer zu nehmen und ein paar Sachen für dich zu packen.“

Verdammt! Warum hatte ich das nicht bemerkt? Und Kari steckte auch noch mit diesem Verräter unter einer Decke.

Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust. „Na, dann wünsche ich dir viel Spaß auf deinem Ausflug. Ich komm nicht mit.“

Tais Mundwinkel zuckten.

„Bist du sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?“, fragte er herausfordernd und wedelte mit meinem Schlüsselbund vor meiner Nase rum.

Perplex sah ich ihn an. „Wie bist du da rangekommen?“, empörte ich mich.

Er legte den Kopf schief und sein Mund verzog sich zu einem triumphierenden Lächeln. „Du hast eben sehr lange geduscht, Mimi.“

Ich presste die Zähne aufeinander. Schnappte er jetzt völlig über? Nicht mit mir. „Na, und? Ich lasse mich doch nicht von dir erpressen, was denkst du dir denn? Dann hast du eben meine Schlüssel. Ich muss übers Wochenende nicht rausgehen. Es gibt schließlich Lieferdienste“, sagte ich überlegen.

Tai nickte, als hätte er es geahnt. „Ich konnte mir denken, dass es nicht so leicht sein würde, dich zu überzeugen, also …“

Seine Hand glitt in seine Hosentasche und mein Handy kam zum Vorschein.

„Und du willst nicht wissen, was ich noch alles von dir habe“, grinste er schief und herausfordernd, während ich immer wütender wurde.

Dieser Mistkerl! Ich musste unbedingt das Schloss austauschen lassen.

„Du hinterlistiger … Was willst du überhaupt von mir? Du bist doch neulich abgehauen, nachdem du mir an den Kopf geworfen hast, ich hätte mich nie wirklich in dich verliebt“, sagte ich spitz.

Seine Miene wurde ernster. „Falsch. Ich bin gegangen, nachdem du mir gesagt hast, dass du meinen besten Freund geküsst hast.“

Allein bei der Erinnerung wurde mir schlecht. Es war mir immer noch unangenehm. Doch das wollte ich vor Tai nicht zeigen.

„Lass uns dieses Wochenende nutzen, um zu reden. In Ruhe“, schlug er nun etwas sanfter vor, doch ich verzog nur das Gesicht zur Antwort.

„Mach doch deinen doofen Ausflug alleine“, brummte ich. Erst wirkte er etwas vor den Kopf gestoßen, doch dann lockerte sich seine Miene und er zuckte mit den Schultern, ehe er mein Handy zurück in seine Tasche gleiten ließ.

„Gut, wenn du es nicht anders willst.“ Er schnappte sich beide Koffer und schlenderte damit den Flur entlang. „Ach, und falls du deinen roten Spitzen BH suchst und … all deine andere Unterwäsche … du weißt ja, wo du sie findest“, flötete er. Wie vom Blitz getroffen sprang ich hinaus auf den Flur und rannte ihm hinterher.

„Du Idiot“, schrie ich ihm nach. „Gib mir sofort meine Sachen zurück, du hinterhältiger Unterwäschedieb … oh, verdammt!“ Ich wirbelte herum und eilte zurück zur Wohnung, weil just in diesem Moment einer unserer Nachbarn die Tür öffnete und ich immer noch halb nackt und nur in ein Handtuch gewickelt auf dem Flur herumspazierte.

„Ich warte dann unten auf dich“, rief Tai mir über die Schulter hinweg zu, wofür ich lediglich ein Knurren übrighatte. Aufgebracht schlug ich die Tür hinter mir zu. So ein verdammter … Argh! Verflucht – was sollte ich denn jetzt nur tun? Ich war absolut noch nicht bereit, mit ihm zu reden, geschweige denn ein ganzes Wochenende mit ihm zu verbringen. Aber … vielleicht musste ich das ja auch gar nicht.
 

Eine halbe Stunde später stapfte ich angesäuert die Treppen unseres Wohnblocks hinab, wo Tai vor dem Eingang bereits auf mich wartete. Er hatte mir tatsächlich fast all meine Sachen gestohlen. Gerade noch so fand ich einen BH, ein Höschen, ein schwarzes Shirt und eine blaue Jeans. Tai lehnte an dem Wagen seines Vaters, den er sich offensichtlich ausgeliehen hatte und grinste mir entgegen. Er trug eine Jeans, ein weißes Shirt und eine Lederjacke, worin er unglaublich gut aussah – aber das zählte in diesem Moment nicht.

„Du hast es dir anders überlegt“, stellte er fest, woraufhin ich verächtlich zischte.

„Meinst du, ich lasse zu, dass du mit all meinen Sachen verschwindest?“, entgegnete ich trocken. „Dir ist wohl jedes Mittel recht.“

Ich wollte an ihm vorbei um den Wagen drum rum gehen, doch er hielt mich am Handgelenk fest und zog mich zurück.

„Um mit dir zu reden? Ja.“

„Du hast sie doch nicht mehr alle! Ich habe überhaupt keine Lust mit dir zu verreisen. Also lass mich gefälligst los, du blöder Idiot“, giftete ich ihn an und entzog mich seiner Hand. Das Kribbeln, was seine Finger auf meiner Haut hinterließen, ignorierte ich.

„Wie wär’s, wenn du mir einfach meine Sachen zurückgibst und wir uns diese Farce ersparen?“

„Du bist wirklich süß, wenn du zornig bist“, grinste er jedoch nur schief, was mich nur noch mehr in Rage versetzte.

„Sag mal, willst du mich verarschen? Nimm mich gefälligst ernst“, forderte ich bissig. Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass er auf einmal so dicht an mich herantrat, dass ich mich mit dem Rücken gegen das Auto gelehnt wiederfand. Er kerkerte mich ein, indem er seine Hände links und rechts neben mir abstützte und mich eindringlich ansah.

„Ich nehme dich ernst – sehr sogar“, sagte er mit rauer Stimme. „Deswegen tue ich das hier. Es tut mir leid, was ich neulich zu dir gesagt habe. Und ich kann nicht mehr länger mit ansehen, wie du zwanghaft versuchst dich von mir fernzuhalten. Du weißt, dass das nicht geht. Du gehörst zu mir und ich gehöre zu dir. Also, bitte … steig endlich in diesen verdammten Wagen.“

Seine Stimme war so liebevoll, wie fordernd, was mich nur noch mehr dazu anstachelte, seiner Bitte nicht nachzukommen. Ich schluckte schwer, bevor ich ihm fest in die Augen sah und mich ihm entgegen reckte.

„Nein“, sagte ich bestimmt.

Tai zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe und ein Blick in seine Augen verriet mir, dass er sich nicht so einfach geschlagen geben würde.

„Du hast es nicht anders gewollt“, sagte er verheißungsvoll. Plötzlich packte er mich und hob mich auf seinen Armen hoch.

„Hey, was soll das?“, fing ich sofort an zu protestieren, nicht ohne mit den Füßen wild in der Luft zu strampeln. Doch natürlich war er stärker als ich.

Er trug mich auf die andere Seite des Wagens, bei der die Tür bereits offenstand. Dann setzte er mich auf dem Beifahrersitz ab, ignorierte meine wüsten Beschimpfungen und Proteste und schnallte mich an.

„Man, sag mal, spinnst du? Das ist Entführung!“, schrie ich ihn aufgebracht an.

Seufzend stützte er sich am Sitz ab, als er mich angeschnallt hatte und sah mich durchdringend an, mit einem wild entschlossenen Blick, der mich augenblicklich verstummen ließ. Ich kannte diesen Blick nur all zu gut.

„Nenn es, wie du willst. Von mir aus beschimpfe mich solange wie du möchtest – das ist mir egal. Aber wenn du dann mit meckern fertig bist, reden wir.“

Er erhob sich, trat einen Schritt zurück und schloss die Tür neben mir, bevor er selbst zur Fahrerseite ging und sich anschnallte. Diesmal widersetzte ich mich ihm nicht mehr.
 

Was mich jedoch nicht davon abhielt, die ganze Fahrt über trotzig aus dem Fenster zu starren und ihn keines Blickes mehr zu würdigen. Wir waren mehrere Stunden unterwegs, doch das war mir so ziemlich egal. Er hatte es geschafft, dass ich in diesem Auto saß – mehr konnte er erst mal nicht erwarten.

Zum Glück schien er das zu wissen und ließ mich vorerst in Ruhe. Als wir am Hotel ankamen, staunte ich jedoch nicht schlecht über die schöne Landschaft und das Hotel war auch nicht zu verachten. Gott, er musste unglaublich viel dafür springen gelassen haben.

„Stürzt dich dieses Wochenende nicht in den Ruin?“, fragte ich zweifelnd, als ein Portier unsere Koffer auslud und reinbrachte.

„Nicht wirklich. Ich habe ein wenig gespart. Außerdem ist es mir die Sache wert“, antwortete mit einem zuversichtlichen Blick in meine Richtung. Ich wich seinem Blick aus und ging vor ihm rein zum Empfang.

„Hallo“, begrüßte Tai die Empfangsdame. „Taichi Yagami. Wir haben ein Doppelzimmer für dieses Wochenende gebucht.“

„Herzlichen Willkommen, Herr und Frau Yagami“, erwiderte die Empfangsdame überfreundlich. Ich runzelte die Stirn. Herr und Frau Yagami? Na, da hatte wohl jemand bei der Anmeldung etwas geflunkert.

„Wir haben für Sie ein sehr schönes Doppelzimmer im obersten Stockwerk reserviert, mit einer grandiosen Aussicht auf den Fuji. Frühstück ist ab 07:00 Uhr und wenn Sie möchten, können Sie …“

„Ich habe da eine Frage“, unterbrach ich die nette Dame in ihrem Vortrag, die mich nun fragend ansah. Überrascht wandte Tai den Kopf.

„Wäre es möglich, dass ich ein Einzelzimmer bekomme?“

Tai zuckte zurück. „Was?“

Ich ignorierte ihn und sah einfach weiterhin die Empfangsdame an. „Also, wie ist das jetzt mit dem Zimmer? Sie müssen wissen, Herr Yagami und ich haben ein paar Differenzen und ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn ich deshalb ein Einzelzimmer bekommen könnte.“

Völlig perplex sahen mich beide an. Tai hatte es die Sprache verschlagen und auch die Empfangsdame wirkte etwas irritiert.

„Nun … ehm. Ja, wenn das ihr Wunsch ist“, stammelte sie und tippte etwas in ihrem Computer ein. Unterdessen spürte ich Tais Blicke auf mir haften und ich glaube, er wäre mir am liebsten an die Gurgel gesprungen. Doch was hatte er erwartet? Dass er meine Unterwäsche als Druckmittel benutzen, mich hierher verschleppen konnte und ich mit ihm in einem Bett schlief? Das konnte er vergessen. So weit war ich noch lange nicht.

„Ja, da ist tatsächlich noch ein Zimmer frei. Leider …“, sie stockte und sah mich entschuldigend an. „Leider ist es direkt nebenan. Ich hoffe, das ist okay für Sie?“

Ich nickte einverstanden. „Das ist es.“

„Gut, dann werde ich Ihnen jetzt ihre Zimmerkarten aushändigen“, sagte sie leicht verunsichert und reichte uns statt nur einer Karte zwei.

„Danke“, sagte ich und ging. Tai folgte mir zum Fahrstuhl.

„Ist das dein Ernst?“, knurrte er hinter zusammengebissenen Zähnen.

„Wieso?“, entgegnete ich trocken. „Ich weiß überhaupt nicht, was du hast. Ist doch genau wie zu Hause.“
 

Die nächsten Stunden schaffte ich es meinen Zimmernachbarn zu ignorieren. Tai schien es mir wirklich übel zu nehmen, dass ich seinen Plan vereitelt und mir ein eigenes Zimmer genommen hatte, denn er ließ mich in Ruhe. Wahrscheinlich schmollte er gerade allein in seinem viel zu großen Doppelzimmer, doch das war mir relativ egal. Wenn ich schon mal hier war, konnte ich die Zeit wenigstens sinnvoll nutzen. Nämlich mit einem Nachmittag im Spa. Tai hatte wirklich ein schönes Hotel ausgesucht, das musste man ihm lassen. Außerdem hatte ich mich schon viel zu lange nicht mehr entspannt, also hatte ich auch kein schlechtes Gewissen, als ich mir eine mehrstündige Massage gönnte.

Zutiefst erholt schlenderte ich danach auf mein Zimmer zurück und seufzte entspannt auf, als ich die Tür hinter mir schloss und ins Bad ging. Da es ein Einzelzimmer war, war es mit Sicherheit kleiner als Tais Bad, doch das war nicht schlimm. Ich hatte trotzdem eine Badewanne und gegen ein entspannendes Bad nach der Massage hatte ich nichts einzuwenden. Ich ließ mir die Wanne voll laufen und stieg in das warme Wasser. Es fühlte sich so gut an, endlich mal wieder etwas für mich selbst zu tun. Das war viel zu lange zu kurz gekommen. Es war so schön, dass mir sogar kurz die Augen zufielen. Als ich wieder aufwachte, war das Wasser bereits ausgekühlt, also stieg ich aus der Wanne und trocknete mich ab. Ich ging zurück in mein Zimmer und wollte mir frische Sachen anziehen.

„Oh, nein“, stöhnte ich und schlug mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. Verdammt. Mein Koffer wurde ja mit auf Tais Zimmer gebracht. Ich kaute auf meiner Unterlippe und überlegte.

„Scheiß drauf“, meinte ich schließlich schulterzuckend zu mir selbst und warf mir einen weißen, flauschigen Bademantel über. Ich trat vor die Tür und vergewisserte mich zunächst, ob sich auch kein anderer Gast auf dem Flur befand, bevor ich mich nach nebenan schlich und an die Tür klopfte.

„Ist offen“, kam es von drinnen und ich drückte die Klinke, um schnell rein zu huschen. Ich staunte nicht schlecht über das geräumige Zimmer, was tatsächlich viel größer war als meines. Um nicht zu sagen: luxuriöser. Tai lag auf dem Rücken in der Mitte seines Bettes und tippte auf seinem Handy rum. Er hatte einen Arm hinter den Kopf gelegt und war ganz vertieft. Ich durchquerte das Zimmer und trat vor ihn.

„Wo sind meine Sachen?“, fragte ich ohne Umschweife.

Er hob den Kopf und sah mich an. Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen, bei dem Anblick meines Aufzugs.

„Soll das etwa ein Versöhnungsangebot sein?“, fragte er und legte das Handy zur Seite, um beide Arme hinter dem Kopf zu verschränken.

Ich schnaubte und stemmte die Hände gegen die Hüfte. „Hättest du wohl gern.“

Die Antwort war ein eindeutiges Grinsen.

„Ich brauche meine Sachen, Tai“, sagte ich noch ein Mal und versuchte Ruhe zu bewahren.

„Ich weiß nicht, was du meinst. Ich hab deine Sachen nicht“, antwortete er leichtfertig und griff wieder nach seinem Handy.

Ich funkelte ihn böse an. Wollte er mich verarschen?

„Ich weiß genau, dass du meinen Koffer hier hast“, entgegnete ich wissend, woraufhin Tai leicht seufzte.

„Ich habe ihn nicht. Wieso ist er nicht auf deinem Zimmer?“

„Weil du nun mal dieses Zimmer für uns gebucht hast und unsere beiden Koffer hierhergebracht wurden.“

Ich ging zu seinem Kleiderschrank und öffnete ihn. Nichts zu sehen von meinen Sachen.

Dann kniete ich mich hin und lugte unter sein Bett. Irgendwo musste er ihn doch versteckt haben.

„Kann ich dir irgendwie helfen?“, fragte Tai grinsend, der sich inzwischen auf den Bauch gedreht hatte und von der anderen Seite aus ebenfalls unters Bett sah.

Ich verzog meine Lippen zu einem schmalen Strich und stand auf.

„Na, schön. Wenn du sie mir nicht geben willst, werde ich eben das ganze Wochenende im Bademantel verbringen“, drohte ich an, doch das schien ihn nicht zu stören.

„Ich denke, es gibt schlimmere Anblicke“, konterte er. Ha, ha. Er hielt sich wohl für sehr gewitzt. Stinkesauer wandte ich mich ab und stapfte aus dem Zimmer. Ich schloss die Tür hinter mir und stieß einen Wutschrei aus. Die anderen Gäste auf dem Flur sahen mich irritiert an, weswegen ich schnell nach nebenan flüchtete. Frustriert schmiss ich mich aufs Bett und schaltete den Fernseher ein.

Warum machte es ihm nur so viel Spaß mich vorzuführen? Meinte er ernsthaft, damit erreichte er irgendwas?

Ich zappte mich durch das Programm, ohne wirklich hinzugucken. Es ärgerte mich ja selbst, dass ich immer noch nicht über meinen Schatten springen und mit Tai reden konnte. Und es tat mir auch leid. Immerhin hatte er den ersten Schritt getan und war auf mich zugegangen – wenn auch etwas unverfroren. Aber war ich dann nicht an der Reihe, den nächsten Schritt zu tun?

Ich schaltete den Fernseher aus und ging auf den Balkon. Inzwischen war es dunkel geworden und wir hatten den ersten Tag dieses schönen Wochenendes komplett vertan. Gefrustet über mich selbst lehnte ich mich gegen die Brüstung und betrachtete das wunderschöne Bild, dass sich mir bot. Man hatte von hier aus tatsächlich einen grandiosen Blick auf den Fuji, der bei Nacht noch viel geheimnisvoller wirkte als am Tag. Ich seufzte in mich hinein.

„Es ist schön hier, nicht?“, hörte ich jemanden neben mir sagen. Ich hob überrascht den Kopf und sah Tai direkt neben mir stehen. Ach ja, auch unsere Balkone grenzten natürlich aneinander. Auch er hatte den Blick verträumt in die Ferne gerichtet.

Ich nickte. „Ja, das ist es.“

Wir schwiegen eine Weile, was in Ordnung war. Doch irgendwie überkam mich plötzlich das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen.

„Es tut mir leid“, wisperte ich. Tai wandte den Kopf zu mir.

„Was denn?“

„Dass ich uns den ersten Tag schon jetzt verdorben habe. Du hast dir solche Mühe gegeben mit der Reise und ich verhalte mich total kindisch und bringe es einfach nicht fertig mit dir zu reden. Über uns. Über Hope. Über Sora …“

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Tai sich auf die Lippe biss, als ihr Name fiel und er den Blick von mir abwandte.

„Es muss dir nicht leidtun“, sagte er schließlich ruhig. „Ich verstehe, dass du mir ausweichst. Aber wir müssen darüber reden, wie es weitergehen soll, vor allem wegen Hope. Es tut mir leid, dass ich dir vorgeworfen habe, du hättest dich nur in mich verliebt, weil ich mich um euch gekümmert habe. Ich glaube, da hat die Verzweiflung aus mir gesprochen.“

Ich spürte, wie ehrlich er es meinte und wenn Tai es schaffte, sich aufrichtig zu entschuldigen, dann konnte ich das doch auch, oder?

„Ich entschuldige mich auch bei dir. Es tut mir leid, dass ich Matt geküsst und es dir dann unter die Nase gerieben habe.“

Tai grinste leicht und schüttelte den Kopf. „Ist schon gut. Ich denke, das hab ich verdient, was?“

Irritiert sah ich ihn an. „Du bist nicht sauer auf Matt?“

Tai lehnte sich nach vorn auf die Brüstung des Balkons und lächelte in die Nacht hinein. „Wie könnte ich sauer auf ihn sein? Was ich gemacht habe, ist doch viel schlimmer.“

Er drehte sich zu mir und zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe. „Was nicht heißt, dass er dich jetzt ständig küssen darf. Das kann er vergessen“, sagte er und ich musste lachen.

„Tut er sicher nicht“, warf ich seine Bedenken über Bord. „Es war ihm genauso unangenehm wie mir, das kannst du mir glauben.“

„Na, da bin ich ja beruhigt“, gab Tai grinsend zurück.

Irgendwie tat es gut, dass wir plötzlich so ungezwungen darüber sprechen konnten. Das war tatsächlich das erste anständige Gespräch, dass wir seit unseres Streits zustande brachten und es fühlte sich jetzt schon erleichternd an.

„Ich möchte dir gerne einen Vorschlag machen, Mimi“, durchbrach Tai die Stille und ich sah ihn interessiert an.

„Du weißt, ich hab dich hierher verschleppt, damit wir über alles reden können. Aber bevor wir das tun, würde ich gerne morgen den Tag mit dir verbringen“, sagte er, was mich aufhorchen ließ.

„Wieso? Was hast du vor?“, fragte ich.

Tai zuckte mit den Schultern, doch seine Augen verrieten etwas anderes. „Na ja, wir sind immerhin hier, oder? Wir sollten wenigstens ein bisschen Spaß haben, wenn ich schon so viel Geld hierfür ausgebe. Und außerdem …“ Seine Stimme brach und ich konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, die nächsten Worte auszusprechen. „Wenn du nach unserem Gespräch entscheidest, dass du nicht mehr mit mir zusammen sein möchtest, wäre es schön, wenigstens einen letzten Tag mit dir verbringen zu dürfen.“

Ich schluckte schwer. Darum ging es ihm also. Ich biss mir auf die Unterlippe, denn der Gedanke daran war durchaus ein wenig beängstigend – auch für mich.

Also nickte ich einverstanden. „Ich würde mich freuen, wenn wir den morgigen Tag zusammen verbringen.“

Tai lächelte zufrieden. „Das finde ich gut.“

Auch ich schenkte ihm ein letztes Lächeln und zog dann den Saum des Bademantels enger an meinen Körper, da ich immer noch nichts anderes anhatte und es allmählich kalt draußen wurde. „Ich werd dann mal reingehen“, sagte ich leicht fröstelnd und wandte mich ab.

„Mimi, warte“, sagte Tai und ich drehte mich zu ihm um. „Ich hab noch was für dich.“

Er ging zurück in sein Zimmer und kam wenige Sekunden später wieder heraus. Mit meinem Koffer in der Hand.

„Was … Wo?“, stammelte ich perplex, als er ihn mir über die Brüstung auf meine Seite reichte.

„Du hast nicht im Badezimmer nachgesehen“, grinste er triumphierend und hielt mir dann auch noch mein vermisstes Handy entgegen. So ein hinterlistiger …

Ich streckte ihm die Zunge raus, konnte mir jedoch ein Grinsen nicht verkneifen.

„Ich wusste gar nicht, dass du so gerissen sein kannst, Taichi Yagami.“

„Man tut, was man kann. Also, bis morgen?“

„Bis morgen“, verabschiedete ich mich lächelnd und zog meinen Koffer hinter mir her in mein Zimmer.

Augenblick

„Werd ich zum Augenblicke sagen:

Verweile doch! du bist so schön!

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,

Dann will ich gern zugrunde gehn!“

Faust I (Faust)


 

Am nächsten Morgen wachte ich zu meiner Überraschung extrem erholt auf. Ich hatte wirklich sehr gut geschlafen. Das Einzige, was mir nicht gefallen hatte war, dass ich alleine schlafen musste. Ob ich es wollte oder nicht, aber nachts sehnte ich mich doch sehr nach Tai. Ich war es inzwischen gewohnt, dass er neben mir schlief. Aber auch hier im Hotel war es dann doch wie zu Hause – er war so nah, und doch so weit weg.

Mit dem Gedanken an ihn stand ich auf, schnappte als erstes mein Handy, um bei Frau Hanada anzurufen und um zu fragen, ob mit Hope alles in Ordnung war. Ihr ging es bestens und nach einem kurzen Gespräch legte ich auf und ging ins Bad, um zu duschen und mich anzusehen. Ich hatte keine Ahnung, was Tai vorhatte. Deswegen wusste ich auch nicht, welche Klamotten ich anziehen sollte. Doch ich vermutete mal, dass wir einen Ausflug machen würden, also entschied ich mich für eine kurze Jeans, Turnschuhe und ein blau weiß gestreiftes Shirt. Die Haare band ich mir zu einem hohen Zopf zurück. Als ich einen letzten Blick in den Spiegel warf, klopfte es auch schon an meinem Zimmer.

„Ich komme“, rief ich und schlenderte zur Tür – nicht ohne pochendem Herzen. Tai stand sportlich gekleidet vor mir, in Shorts und Shirt, über die Schulter einen Rucksack geworfen. Eine Hand vergrub er in der Hosentasche und seine Haare standen gewohnt wuschelig in alle Richtungen ab.

„Hi“, begrüßte er mich lächelnd. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss.

„Hi“, gab ich zurück. Warum war ich so aufgeregt? Das war doch schließlich nicht unser erstes Date.

„Bist du bereit?“, fragte er, als ich vor die Tür trat und diese hinter mir schloss.

„Wenn du mir sagst, wofür.“

„Was denn? Das weißt du nicht?“, entgegnete er, während wir zum Fahrstuhl gingen. Ich betätigte den Knopf, sah ihn dabei fragend an.

„Wir gehen natürlich zum Fuji“, verkündete Tai schließlich.

Natürlich. Der Fuji war wunderschön anzusehen von unserem Hotel aus. Es lag nahe, dass sich ein Ausflug dahin lohnen würde. Dennoch bedachte ich ihn mit skeptischen Blicken.

„Ich hoffe, du erwartest nicht von mir, dass ich die Spitze des Berges zu Fuß erklimme.“

Tai entfuhr ein Lachen, als die Fahrstuhltüren sich öffneten und wir eintraten. „Keine Sorge“, sagte er. „Das würde ich doch von meiner Prinzessin niemals verlangen.“

Hörte ich da einen Hauch Ironie in seiner Stimme?
 

Mein Gefühl hatte mich nicht getäuscht, denn tatsächlich steuerte Tai, am Fuji angekommen, direkt den Wanderweg an – wofür ich ihn am liebsten bestraft hätte.

Sprachlos sah ich in den Reiseführer, den Tai uns vorher noch gekauft hatte. „Was?“, entfuhr es mir entsetzt. „Wusstest du, dass man bis zu acht Stunden für den Aufstieg benötigt? Und noch mal zwei bis vier Stunden für den Abstieg?“

Ich bekam Schnappatmung. Doch Tai ließ sich davon nicht beirren und ging schnellen Schrittes weiter voran.

„Passt doch super“, meinte er zuversichtlich. „Dann schaffen wir es bis zum Sonnenuntergang oben zu sein.“

Sonnenuntergang? Ich sah auf meine Uhr. War das sein Ernst? Zweifelnd sah ich mich um. Einige Touristen gingen an uns vorbei, die ebenfalls vorhatten, sich diese Wanderung anzutun. Waren die denn alle verrückt? Sehnsüchtig blickte ich in die Richtung der Busse, die ebenfalls nach oben fuhren.

„Wieso können wir nicht mit dem Bus fahren?“

„Wir sind weder alt noch gebrechlich, also komm“, sagte Tai lachend und griff nach meiner Hand, um mich weiterzuziehen. Na, klasse. Es gab also kein Zurück. Und genaugenommen war ich es Tai auch irgendwie schuldig. Ich hatte ihm diesen Tag versprochen und wenn er nun mal – warum auch immer – auf den Fuji wandern wollte, dann musste ich das auch. Mein Blick glitt wieder auf den Reiseführer in meiner Hand. Acht Stunden? Das hieß, acht Stunden alleine mit ihm. Acht Stunden Zeit zum Reden. Mein Herz schlug unruhig in meiner Brust und das war sicher nicht der Anstrengung des Aufstiegs geschuldet. Wie sollte man in acht Stunden vermeiden über Dinge zu sprechen, über die ich nicht sprechen wollte?
 

Irgendwie schaffte ich es, dass wir die ersten Kilometer wortlos nebeneinander hergingen. Tai ließ mich in Ruhe und gab mir Freiraum. Manchmal ging er sogar mehrere Schritte voraus oder ließ sich absichtlich zurückfallen, was mich mehr als wunderte. Doch ich war ihm auch dankbar dafür. Ich war ihm in letzter Zeit so oft es ging aus dem Weg gegangen und es war nicht einfach für mich, ihm jetzt plötzlich wieder so nah zu sein. Ich versuchte mich auf die einzigartige Landschaft und den Ausblick zu konzentrieren, aber meine Gedanken schweiften immer wieder ab. Hin zu Sora, zu Tai, zu Yamato. Zu Hope. Was sollte nur aus uns allen werden? Wie sollte es weitergehen? So oder so – am Ende des Tages würde ich meine Antwort haben.
 

„Ich kann nicht mehr.“ Schwer atmend stützte ich mich auf meine Knie ab. Meine Füße taten weh und ich hatte das Gefühl zu verdursten. Mit dem Handrücken wischte ich mir einige Schweißperlen von der Stirn und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass wir noch nicht sehr weit gekommen sein mussten. Gerade mal Eineinhalb Stunden. Das war doch ein Scherz.

„Hier, trink was“, meinte Tai und hielt mir eine geöffnete Flasche Wasser hin, die ich in einem Zug leerte.

„Ich habe einen Vorschlag für dich – oder besser zwei“, verkündete ich, woraufhin Tai mich neugierig ansah.

„Entweder du trägst mich den Rest des Weges oder wir machen hier kehrt und gönnen uns eine entspannende Massage im Spa. Meine Füße könnten wirklich eine Massage vertragen.“

Tai stemmte die Hände in die Hüften und lachte laut auf.

„Ich würde mal sagen … nein und nein. Keine Chance, Mimi.“

Ich zog eine Schnute.

„Du hast versprochen, mir diesen Tag zu schenken. Es gibt also kein Entkommen.“ Seine Mundwinkel wanderten triumphierend nach oben.

„Hach, das befürchte ich auch“, gab ich mich seufzend geschlagen. Zu meiner Überraschung verschränkte Tai plötzlich seine Finger mit meinen, doch ich zog meine Hand nicht zurück.

„Es ist nicht mehr weit, bis wir eine Pause machen können“, lächelte er mich an. Ich nickte und folgte ihm weiter.

Tatsächlich kamen wir bald bei einem Rastplatz an, wo sich gefühlt alle Touristen auf einen Haufen versammelt hatten.

„Willst du was essen?“, fragte mich Tai. Meine Laune besserte sich schlagartig. „Klar, ich habe Hunger wie ein Bär. Endlich mal ein guter Vorschlag“, antwortete ich vergnügt.

Wir wollten uns einen Weg durch die Menge bahnen, als plötzlich ein kleiner Junge in unsere Richtung gerannt kam, über einen Stein stolperte und der Nase lang hinfiel. Er schrie sofort auf, setzte sich hin und begutachtete sein blutendes Knie.

Wir blieben stehen und ich sah mich nach seinen Eltern um, die leider nirgends zu sehen waren. Ob er sich wohl in der Menge verlaufen hatte?

Tai ließ meine Hand los und ging auf den Jungen zu, um sich vor ihm hinzuknien. Überrascht sah ich dabei zu, wie er mit dem Jungen redete und versuchte, ihn zu beruhigen.

„Na, hast du dich verletzt?“, sagte er freundlich. „Zeig mal her.“

Der Junge hörte auf zu schreien und sah Tai verweint an. „Ich … ich darf nicht mit fremden reden.“

Tai lächelte verständnisvoll. „Da hast du recht“, sagte er dann, während der Junge immer noch sein blutendes Knie umklammert hielt und Tai mit großen Augen musterte.

„Ich heiße Tai. Und das da“, er deutete auf mich. „Das ist meine Freundin Mimi.“

Der kleine Junge sah zwischen uns beiden hin und her, blieb dann jedoch an mir hängen und betrachtete mich eingehender. Fast so als würde er abwägen, ob er uns vertrauen könnte oder nicht.

„Sie ist hübsch“, schniefte der Junge schließlich und sah nun wieder zu Tai auf. Dieser lachte. „Da hast du recht.“

„Meine Teacup Schweinchen heißt auch Mimi.“

Es dauerte keine Sekunde, bis Tai losprustete. Er hielt sich den Bauch vor Lachen, während ich beleidigt die Hände in die Hüften stemmte.

„Ein Teacup Schwein, ja?“, sagte ich an Tai gewandt. „Du vergleichst mich nicht wirklich gerade in deinem Kopf mit einem kleinen Schweinchen.“

Tais herzhaftes Lachen war Antwort genug. „Mimi das kleine Teacup Schweinchen“, wiederholte er unter Tränen. „Das passt doch irgendwie.“

„Bitte?“, entrüstete ich mich, was nicht nur Tai, sondern auch den kleinen Jungen zum Lachen brachte.

„Ihr seid ja komisch“, kicherte er und hatte den Schmerz des Sturzes schon wieder völlig vergessen.

„Weißt du was?“, sagte Tai schließlich, als er sich endlich beruhigt hatte. „Wenn du möchtest, kann ich dir ein Pflaster geben.“

Der kleine Junge nickte, also stellte Tai seinen Rucksack ab und kramte ein Heftpflaster daraus hervor. Er machte die Schutzfolie ab und klebte es dem Jungen auf seine kaum noch blutende Wunde.

„Danke“, sagte dieser und wischte sich die letzten Tränen aus dem Gesicht.

„Takeo? Takeo!“, hörte ich jemanden rufen. Der Junge wandte den Kopf und sprang auf.

„Mama, ich bin hier“, rief er seiner Mutter winkend zu und lief los. Ein paar Meter weiter blieb er noch mal stehen und drehte sich um. „Danke Tai. Ich werde meinem Schweinchen von dir erzählen, Mimi.“

Dann sprang er in die Arme seiner Mutter und zeigte ihr sein Pflaster und dann mit dem Finger auf uns. Sie nickte uns dankend zu, nahm Takeo dann bei der Hand und sie gingen weiter.

Tai verstaute alles wieder in seinem Rucksack und warf ihn über die Schulter.

„Du kannst wirklich gut mit Kindern umgehen, Tai“, grinste ich unwillkürlich und sah ihn anerkennend an. Tai zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. „Ich hatte schließlich schon genug Übung.“ Wir lächelten und ich wusste, dass wir eben beide an Hope dachten.

Tai war wirklich alles, was ich mir für Hope je wünschen konnte. War ich wirklich bereit, das alles schon aufzugeben? Ihn aufzugeben?
 

Ein paar Stunden und Kilometer später waren wir dort angekommen, wo wir hinwollten.

Nach dem Vorfall mit dem kleinen Jungen schafften wir es, uns endlich ein Stück weit anzunähern. Wir sprachen über alles Mögliche, nur nicht über unsere Probleme – und das tat richtig gut. Es war fast wie früher, als wir einfach nur Mimi und Tai waren. Wir scherzten, Tai zog mich mit seinen Sprüchen auf und ich ärgerte ihn, indem ich vorgab ein oder zwei Mal öfter Pause machen zu müssen als nötig. Bis jetzt war es ein wunderschöner Tag gewesen. Dass er bald schon enden sollte, gefiel mir eher weniger.

Tai sah prüfend auf seine Armbanduhr.

„Perfekt“, sagte er. „Ich hab schon heute Morgen gecheckt, wann die Sonne untergehen soll und zwar genau in 20 Minuten. Hätte nicht gedacht, dass wir es tatsächlich noch schaffen.“

Kichernd stieß ich ihm in die Seite. „Jetzt tu mal nicht so, als wärst du ohne mich schneller gewesen.“

„Nein“, meinte er grinsend und suchte uns ein freies Plätzchen auf einem Felsvorsprung, auf dem wir uns niederlassen konnten. „Natürlich wäre es ohne die zahlreichen Pinkelpausen, Verschnaufpausen und den Ich-geh-keinen-einzigen-Schritt-mehr-weiter-Diskussionen nicht schneller gegangen. Du hast recht. Von uns beiden war ich die lahme Ente.“

„Lahme Ente?“, wiederholte ich gespielt empört. „Ich dachte, ich wäre ein Schweinchen.“

Tai lachte. „Ja, das auch.“ Dann legte er seine Jacke auf den Felsen und deutete mir, mich neben ihn zu setzen. Er reichte mir eine Taschenlampe aus seinem Rucksack.

„Wofür ist die?“

„Nun ja, wir müssen nachher auch irgendwie wieder runter kommen und Sonnenuntergang bedeutet allgemein, dass es danach dunkel ist.“

„Ha ha, danke für die Erklärung, Herr Lehrer“, scherzte ich, doch insgeheim war mir etwas mulmig zumute. Wir sollten echt im Dunklen diesen ganzen furchtbaren Weg wieder nach unten steigen? Das gefiel mir gar nicht.

Ich ließ den Blick schweifen und musste zugeben, dass das Bild, was sich uns bot beeindruckend war. Man konnte die Stadt am Fuße des Berges kaum noch sehen, weil der Himmel wolkenverhangen war und es aussah, als könnte man vom Berg aus in ein Meer aus Zuckerwatte springen. Der Wind pfiff mir um die Ohren, doch das störte mich nicht. Als ich mich umwandte fiel mir erst jetzt auf, dass deutlich weniger Leute hier waren als ich erwartet hatte. Beim genaueren Betrachten wurden es sogar immer weniger, je höher wir gestiegen waren. Dass viele kapituliert hatten und vermutlich umgekehrt waren, konnte ich ihnen nicht verübeln. Ich selbst hätte mehr als nur ein Mal den Weg zurück ins Hotel angesteuert, wenn Tai nicht so versessen darauf gewesen wäre, nach ganz oben zu gelangen. Die wenigen, die es bis hierher geschafft hatten, taten es uns gleich und suchten sich ebenfalls einen guten Platz, um gleich die untergehende Sonne zu beobachten.

„Du wirst beeindruckt sein“, durchbrach Tai plötzlich die Stille. Ich sah ihn von der Seite her an, doch er hatte die Beine angezogen und seine Arme lässig auf seine Knie abgelegt, während seine Augen verträumt das Weite suchten.

„Diese Unendlichkeit ist einfach einzigartig. Ich wünschte, es könnte auch dort unten so unendlich sein.“

Er sprach diesen Gedanken auf eine Art und Weise aus, als würde es ihm irgendwie wehtun, dass es nicht so war.

„Es ist eben nichts unendlich“, erwiderte ich und setzte mich bequem im Schneidersitz hin, die Taschenlampe in meinen Schoß gelegt. Tai antwortete nicht, denn er wusste, dass ich recht hatte. Auch wenn wir jetzt hier waren und der Horizont uns unendlich erschien, so wussten wir doch, dass es ein Trugbild war. Denn auch dieser Moment würde irgendwann der Realität weichen – spätestens, wenn die Sonne endgültig verschwand und die Nacht über uns hereinbrach.

„Warst du früher schon mal hier?“, fragte ich ihn schließlich neugierig, während man schon mitverfolgen konnte, wie die Sonne sich langsam senkte.

Tai nickte. „Früher mal, ja. Mit meinen Eltern und Kari.“ Dann lachte er plötzlich leise auf. „Du wirst mich jetzt sicher auslachen, aber damals war ich derjenige, der überhaupt keine Lust hatte, hierher zu kommen. Meine Eltern mussten mich förmlich hier hoch schleifen. Ich hab überhaupt keinen Sinn darin gesehen, auf einen uralten Berg zu steigen und mir den Sonnenuntergang anzusehen, den ich hätte auch von der Erde aus sehen können.“

„Mein Reden“, grinste ich breit, doch hörte ihm gespannt weiter zu.

„Doch als wir dann hier oben waren und die Sonne zu Boden zu fallen schien, so wie jetzt gerade, und alles in ein rotes, warmes Licht tauchte, war das ein unbeschreibliches Gefühl. Alle meine Probleme schienen plötzlich so klein und … unwichtig. Manchmal tut es gut, die Dinge von oben zu betrachten, bevor man auf den Boden der Tatsachen zurückkehrt.“

Ich schluckte schwer. War das der Grund, warum wir hier waren? Um für einen Moment unsere Probleme zu vergessen?

„Schau“, sagte Tai und deutete mit dem Finger nach vorn. Ich wandte mein Gesicht von ihm ab und der Sonne entgegen. Sie war wie ein riesiger, glühender Ball, der die Wolken zu verbrennen drohte. Doch sie wurde von ihnen verschluckt, sank immer tiefer und tauchte dabei alles in warmes Licht. Es war so schön, dass ich am liebsten die Zeit angehalten hätte. Plötzlich hörte ich neben mir ein Klickgeräusch.

Ich sah zur Seite und blickte in die Linse einer schwarzen Kamera.

„Hey, was soll das?“, fragte ich Tai empört, weil er mich einfach so fotografiert hatte.

„Schöne Momente soll man festhalten“, grinste er und zuckte mit den Schultern. Ich lächelte und beließ es dabei. Als ich mich wieder nach vorn drehte, war die Sonne schon fast unter den Wolken verschwunden. Es war eben doch alles vergänglich und gleich würde dieser wunderschöne Moment vorbei sein. Ich versuchte, dieses Bild in mir aufzunehmen, es tief in meinen Erinnerungen zu verankern.

„Ich bin froh, dass du mich überredet hast, mit hier hoch zu kommen“, gestand ich verträumt.

Ich spürte, wie er schief grinste. „Hab ich doch gern gemacht.“

Nur wenige Minuten später verschwand das helle Licht am Himmel und mit ihm seine Wärme. Der Moment war vergangen. Und doch war ich froh, ihn erlebt zu haben.

„Ich denke, mir ist heute etwas klargeworden“, sprach ich meine Gedanken laut aus.

„Und das wäre?“, fragte Tai und wandte mir den Kopf zu, während ich weiter den Blick in die Ferne gerichtet hatte.

„Vielleicht sollte man viel mehr im hier und jetzt leben. Man sollte Momente in sich aufsaugen, die einem gut tun. Kurz innehalten und sie genießen … und weniger darüber nachdenken, was der nächste Tag für neue Hürden und Probleme bringt. Augenblicke vergehen, doch wenn man genau in diesem Moment wahrhaftig glücklich war … kann man aus ihm ein Leben lang zehren.“

Ich suchte Tais Blick und sah in seine warmen, braunen Augen. „Ich kann gut verstehen, dass du hierherkommen wolltest.“

Tai sah mich unverwandt an und ich schaffte es nicht, mich von ihm abzuwenden. Ich schaffte es auch nicht, mich dagegen zu wehren, als er sich schließlich nach vorn beugte und mich küsste. Ein weiterer Moment, den ich nur all zu gern festgehalten hätte.

Wir

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Bereuen

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Unterbrechung

Zwischen Tai und mir herrschte erneut Eiszeit. Seit unserem gemeinsamen Wochenende hatten wir uns nicht mehr gesehen und das war inzwischen eine ganze Woche her. Kari nahm Hope ab und zu mit zu den Yagamis, damit sie Tai weiterhin sehen konnte – doch so hatte ich mir das alles nicht vorgestellt. Das war nicht die Lösung und so konnte es unmöglich weitergehen. Hope brauchte ein stabiles Umfeld und ich brauchte Tai an meiner Seite. Ich vermisste ihn, doch ich konnte auch verstehen, dass er sauer war. Ich hatte völlig grundlos überreagiert. Und wofür? Für nichts, wie sich am Ende herausstellte.

„Hast du dich denn mal bei ihm entschuldigt?“, fragte Kari mich, während sie mit Hope auf dem Sofa spielte und ich die frischgewaschene Wäsche zusammenlegte.

„Nein.“ Ich vermied es sie anzusehen. Die Schuld nagte an mir.

„Warum nicht?“, hakte Kari weiter nach. „Vielleicht wartet er nur darauf.“

„Das denke ich nicht“, gab ich geknickt zurück und legte ein paar von Hopes Söckchen auf einen Haufen. „Er ist immer noch böse auf mich und geht mir aus dem Weg.“

„Na ja“, meinte Kari und wandte sich wieder der lachenden Hope zu, die vergnügt an der Puppe rumzerrte, die Kari ihr hinhielt. „Du bist diesmal auch ganz schön übers Ziel hinausgeschossen.“

Ich seufzte und setzte mich zu ihr. „Denkst du, das weiß ich nicht? Ich würde es gern rückgängig machen, aber das geht nicht. Und Tai hat gesagt, solang ich ihm nicht vertrauen kann, hat das alles keinen Sinn mit uns.“

Es war, als würde jemand nach meinem Herz greifen und es auspressen wie eine Frucht, die schon längst leer war. Doch es tat trotzdem weh.

„Irgendwie hat er ja recht“, gab Kari zu bedenken. „In einer Beziehung muss man sich vertrauen. Sonst wird diese eine Sache ewig zwischen euch stehen. Du solltest wissen, dass Tai keine Geheimnisse vor dir hat – nicht mehr.“

Ich fuhr mir gestresst über die Augenpartie. Die letzten Nächte hatte ich nicht besonders gut geschlafen.

„Ich weiß. Aber wo wir gerade von Geheimnissen sprechen …“ Ich warf Kari einen bedeutungsschweren Blick zu. „Was ist eigentlich mit deinem Geheimnis?“

Kari sah betrübt zu Boden. „Um ehrlich zu sein, bin ich noch kein Stück weiter gekommen. Allerdings habe ich einen Entschluss gefasst.“

„Und der wäre?“

„Ich werde mich von Takeru trennen.“

Mit großen Augen sah ich sie an. „Wirklich? Ich meine … das … würde einiges verändern.“

„Ja, ich weiß“, entgegnete Kari traurig lächelnd. „Aber er hat es verdient glücklich zu werden – mit seiner Freundin. Ihre Beziehung leidet stark unter unserer Schein-Verlobung. Seine Freundin hat dem Ganzen nur zugestimmt, weil sie auf eine andere Schule geht und von der ganzen Sache nicht all zu viel mitbekommt. Aber ein paar Mädchen aus meiner Klasse haben die beiden schon öfters zusammen gesehen und es kamen immer wieder Gerüchte auf. Takeru hat sie natürlich im Keim erstickt, indem er seine Freundin verleugnet hat. Aber … ich kann den beiden das nicht länger antun. Soll ich glücklich sein, wenn jemand anders dafür unglücklich ist? Das ist nicht fair.“

Sie meinte es wirklich ernst. Wenn ich ihr jetzt so in die Augen sah, wirkte sie weniger wie das kleine verletzliche Mädchen, dass sich eine Scheinwelt erschaffen hatte, um sich zu schützen. Irgendwie wirkte sie jetzt viel entschlossener.

„Du willst also echt reinen Tisch machen?“

Kari hob den Kopf und sah mich zuversichtlich an. „Ja, das will ich.“

„Wow. Ich bin beeindruckt“, gestand ich ihr anerkennend. „Und wirst du es auch Tai und den anderen sagen?“

„Ich weiß nicht.“ Kari zuckte mit den Schultern. „Immer eins nach dem anderen. Erst mal muss ich tun, was eine beste Freundin für ihren Freund tut. Ihn in den Wind schießen.“

Wir mussten beide lachen. „Ich bin wirklich stolz auf dich, Kari.“

„Danke.“ Sie nahm Hope auf ihren Schoß, die plötzlich anfing zu gähnen und sich an Karis Brust schmiegte.

„Du solltest auch reinen Tisch machen, Mimi. Mit Tai meine ich.“

Oh, man. Da war es wieder. Das Thema, welchem ich nicht aus dem Weg gehen konnte.

„Und wie soll ich das anstellen? Ich habe das Gefühl, dass ich diesmal ganz schön ins Fettnäpfchen getreten bin.“

„Bist du. Und Tai wird dir vielleicht nicht sofort verzeihen. Aber irgendwie musst du ihm klarmachen, dass du bereit bist, das Vergangene ruhen zu lassen. Und damit meine ich, wirklich ruhen zu lassen. Ich weiß, dass du ihm vertrauen kannst und er weiß das auch. Nur du musst es auch wissen. Und dann musst du es ihm zeigen.“

Klang einfacher als es war. Ich seufzte. Würde ich das wirklich hinbekommen?

„Vielleicht solltest du auch einen Schritt nach dem anderen machen, wie ich. Wie wäre es für den Anfang mit einer Entschuldigung?“, schlug Kari grinsend vor.

Ich schielte sie skeptisch von der Seite her an. „So, wie du grinst, wirst du mir auch gleich sagen, wie ich das am besten anstellen kann.“

Kari nickte eifrig zur Antwort. „Du weißt, ich hab in zwei Tagen Geburtstag.“

Richtig. Das hatte ich nicht vergessen. Ich hatte Karis Geschenk schon vor Wochen besorgt – einen Kinogutschein für sie und na ja … eigentlich Takeru. Vielleicht sollte ich dieses Geschenk noch einmal überdenken …

„Ich wollte in einem kleinen Club feiern, in dem Yamato an dem Abend einen Auftritt hat. Und ich möchte, dass du auch kommst.“

„Yamato wird auch da sein?“, hakte ich nach. „Das ist sicher keine gute Idee.“ Ich begann nervös auf meiner Unterlippe rumzukauen. Kari wusste nichts davon, was zwischen Yamato und mir passiert war, dass wir uns geküsst hatten. Sicher, wir hatten das geklärt. Doch die Vorstellung, dass er, Tai und ich zusammen in einem Raum waren, fühlte sich irgendwie nicht richtig an.

„Wieso nicht? Sora wird nicht kommen, falls du Bedenken wegen ihr hast. Ich wollte sie einladen, aber dann wärst du sicher nicht gekommen und Tai auch nicht und ich hätte mir einen anderen Club aussuchen müssen, weil Matt dann sicher von der Bühne geflüchtet wäre, also …“

Ich musste schmunzeln. „Also hast du sie nicht eingeladen? Meinst du, das ist richtig?“

Kari runzelte die Stirn. „Nein, keine Ahnung. Es fühlt sich nicht richtig an, wenn die Gruppe nicht komplett ist. Aber leider ist zu viel passiert und … ich hätte dich wirklich gern dabei.“

„Ich weiß nicht.“ Unruhig nestelte ich am Saum meines Shirts rum.

„Ach, Mimi. Gib dir einen Ruck. Tai würde sich sicher freuen, wenn du auch kommst.“

Ich verdrehte die Augen gen Decke. „Na, gut. Wenn du das sagst.“

„Yeah!“, rief Kari erfreut, woraufhin Hope aus ihrem Sekundenschlaf hochschrak.

Ich kicherte und nahm sie ihr ab. „Ich bring sie mal ins Bett. Und dann muss ich noch mit Frau Hanada reden, ob sie an dem Abend auf Hope aufpassen kann.“

„Schon erledigt“, grinste Kari breit. Fragend sah ich sie an.

„Wie jetzt?“

„Ich hab mit meiner Mutter gesprochen. Sie wird auf Hope aufpassen.“

Ich grinste vielsagend und zog eine Augenbraue nach oben.

„Na, du hast ja wirklich an alles gedacht.“ Dieses gerissene kleine Ding. Irgendwie süß, dass sie sich so ins Zeug legte, nur damit ich mich endlich wieder mit Tai versöhnte. Was alles andere als einfach werden würde. Doch ich war fest entschlossen, dass Karis Bemühungen nicht umsonst gewesen sein sollten.
 

Am Tag von Karis Geburtstag war ich ziemlich nervös. Das schicke Kleid, was ich mir angezogen hatte sollte die Nervosität zwar kaschieren, doch es half einfach nichts. Ich stand vor dem Spiegel, trug ein kurzes Kleid mit Spitze, dessen Oberteil weiß und dessen Faltenrock ein schönes altrosa hatte. Meine Haare trug ich offen und in Locken. Doch ich fummelte immer wieder an ihnen rum, zog Strähne für Strähne noch mal nach, was ja am Endergebnis doch nichts änderte.

„Was meinst du, Hope?“, fragte ich und sah durch den Spiegel meine Tochter an, die vergnügt auf meinem Bett saß und mit ihrem Plüschteddy spielte. „Ist es zu übertrieben, noch etwas Lipgloss aufzutragen?“

Hope lachte, zupfte an ihrem Teddy und beachtete mich natürlich nicht.

Ich grinste. „Du hast recht. Ein wenig Lipgloss schadet nie.“ Ich fummelte in meiner Handtasche danach und trug einen zart rosa schimmernden Ton auf. Dann schlüpfte ich in meine High Heels und strich mir zum x-ten Mal den Rock glatt.

„So, fertig“, sagte ich zu mir selbst, während mein Herz immer höherschlug. Ich wäre gerne noch etwas vor dem Spiegel rumgestanden, nur um Zeit zu schinden, doch ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich bereits ein paar Minuten zu spät dran war.

„Na, dann wollen wir mal“, sagte ich, hing mir meine Tasche um und nahm Hope mit ihrem Teddy auf den Arm. „Wir können ja deinen Daddy und Kari nicht so lange warten lassen, nicht?“

Hope quiekte, als würde sie wissen, wo es jetzt hingeht, als ich die Tür öffnete und nach nebenan spazierte.

Ich klingelte an der Tür und atmete noch einmal tief durch. „Ganz cool bleiben, Mimi. Bleib einfach ganz cool“, flüsterte ich mir mein Mantra vor. Hope begann mit meinen Locken zu spielen und lächelte mich an, als würde sie mich beruhigen wollen. Ich schenkte ihr ein Lächeln und küsste sie auf die Stirn. Sie war so süß.

Als die Tür sich öffnete und Tai vor mir stand, rutschte mir trotzdem das Herz in die Hose. Er sah unglaublich gut aus, obwohl er nur eine Jeans, ein weißes Shirt und ein schwarzes Hemd darüber angezogen hatte, welches er offen trug. Ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht schoss.

„Ähm … Hi“, begrüßte ich ihn etwas stümperhaft.

„Hallo. Soll ich sie dir abnehmen?“ Irgendwie nicht die Begrüßung, die ich mir erhofft hatte. Sie klang so kühl …

„Mimi?“

Ich schüttelte den Kopf und warf meine Bedenken über Bord. Was hatte ich auch erwartet? Ich musste jetzt mein Augenmerk auf diesen Abend lenken und alles wieder einrenken, was ich verbockt hatte.

„Äh ja, danke“, sagte ich und reichte ihm Hope, die schon vergnügt ihre Ärmchen nach ihm ausstreckte. Augenblicklich hellte sich seine Miene auf und Tai schien wie ausgewechselt.

„Hallo, meine kleine Prinzessin. Na, wie geht’s dir?“

Hope lachte zur Antwort und auch auf meine Lippen schlich sich unwillkürlich ein Lächeln. Es war immer wieder erstaunlich, die beiden miteinander zu sehen – so vertraut.

„Na, dann bringen wir dich mal zu Oma, was?“, meinte Tai und wandte sich um.

„Oh, warte Tai.“ Ich machte einen Schritt nach vorn. „Ihr Teddy. Ohne den geht’s gar nicht.“

Ich lächelte unsicher und hielt ihm das Plüschtier hin.

„Ja, stimmt“, sagte Tai, runzelte die Stirn und kam zurück. Er nahm den Teddy an sich und für den Bruchteil einer Sekunde sahen wir beide auf und einander an, da unsere Hände sich berührt hatten. Kurz war ich der Meinung eine Gefühlsregung in seinen Augen zu sehen. Das Gefühl, wie er mich sonst immer ansah, wenn er mich vermisste. Doch dann war dieser Moment auch schon wieder vorbei und er wandte sich ab.

„Danke, bis gleich.“

Geknickt blieb ich stehen und sah zu Boden. Verdammt. Er war wirklich sauer auf mich. Ich seufzte schwer, als Kari plötzlich in der Tür stand.

„Hi, Mimi“, begrüßte sie mich freudig und viel mir um den Hals.

„Hey, Kari. Alles Gute zum Geburtstag. Oh, warte … Hier, dein Geschenk.“

Ich löste mich von ihr und kramte in meiner Tasche nach dem rosa Buch, was ich gegen den Kinogutschein eingetauscht hatte. Eine große gelbe Schleife zierte den Einband.

„Es ist ein Tagebuch. Vielleicht bist du schon etwas zu alt dafür. Falls ja, nimm es einfach als Notizbuch. Aber ich dachte mir … na ja, dass es vielleicht gar keine schlechte Idee wäre, wenn du einige Gedanken aufschreiben könntest.“

Kari betrachtete das Geschenk und lächelte mich dann an. „Das ist eine tolle Idee. Danke, Mimi.“

„Gerne.“ Ich lächelte, doch mein Lächeln erstarb, als Tai hinter seiner Schwester auftauchte.

„Können wir dann?“, fragte er deutlich gelangweilt. Meine Güte. Seine Schwester hatte Geburtstag, er hätte wenigstens so tun können, als würde er sich auf den Abend freuen.

„Sei nicht so ein Miesepeter, sonst bleibst du zu Hause“, schnaubte Kari und zog die Tür hinter uns zu. Tai verdrehte nur die Augen und machte keinen Hehl aus seiner Abneigung. Ich wusste nur nicht, ob es die Abneigung gegen diese Party oder gegen mich war. Gerade fühlte es sich eher wie letzteres an. Na, das konnte ja heiter werden.
 

Auf dem Weg zum Club übernahm Kari die Gesprächsführung. Sie redete wie ein Wasserfall. Wahrscheinlich war sie genauso nervös wie ich – wenn auch aus einem anderen Grund.

„ … und dann musste Tai sich fast übergeben, weil er den ganzen Eimer Pudding aufgegessen hatte. Ist das zu fassen?“, lachte Kari laut auf, als sie mal wieder eine ihrer Familiengeschichten zum Besten gab. Ihr Bruder rollte mit den Augen. Ich grinste unsicher.

„Ehrlichgesagt schon“, antwortete ich Kari. „Wie sieht’s eigentlich aus, Tai? Hast du inzwischen einen Studienplatz gefunden?“, wandte ich mich nun mutig an Tai.

„Ja, vielleicht“, zuckte er mit den Schultern. Er sah mich nicht mal an. Wow. Dieses divenhafte Verhalten kannte ich sonst gar nicht von ihm.

„Er möchte Sport studieren und Mathematik“, ergänzte Kari stolz.

Tai sah sie genervt an. „Das steht doch noch gar nicht fest.“

„Mathematik also, hm?“, entgegnete ich so freundlich wie möglich. „Das passt doch zu dir. Du bist super in Mathe und ich muss mir keine Sorgen um meine Abschlussprüfung machen.“ Ich begann unsicher zu lachen. Tai sah mich nur stirnrunzelnd an. Oh man, kam ich mir blöd vor. Wenn das so weiter ging standen die Chancen auf eine Versöhnung nicht besonders gut.

„Wir sind da“, verkündete Kari, als wir vor dem Eingang des Clubs stehen blieben. Bedächtig zog ich eine Augenbraue in die Höhe.

„Ist das hier nicht etwas zu nobel für Matt’s Band?“ Und zu teuer für meinen Geldbeutel?

Kari zuckte die Schultern. „Heute treten verschiedene Künstler auf. Ich glaube, er hat nur ein oder zwei Songs. Aber dank ihn dürfen wir in den VIP Bereich.“

Na, hoffentlich verschaffte uns sein Bekanntheitsgrad auch Preisnachlass bei den Getränken.

Wir gingen an den Türstehern vorbei und steuerten direkt den VIP Bereich an, wo die anderen schon auf uns warteten. Takeru begrüßte seine noch-Verlobte mit einer innigen Umarmung und auch Yamato und Izzy beglückwünschten Kari zu ihrem Ehrentag.

Ich umarmte Izzy und Takeru und stand etwas irritiert vor Yamato. Wir wollten uns erst die Hand geben, grinsten uns dann jedoch unsicher an und nahmen uns dann doch ein bisschen unbeholfen in die Arme. Es war unangenehm.

Ich spürte Tais argwöhnische Blicke auf meinen Rücken.

„Hallo“, grinste Yamato in seine Richtung, als er mich wieder los ließ.

Ein unterkühltes „Hi“ verließ Tais Lippen, dann wandte er sich ab. „Ich gehe mir was zu trinken holen.“

Ich warf Matt einen entschuldigenden Blick zu. Es war nicht schön mit ansehen zu müssen, wie sehr ihre Freundschaft doch unter alldem gelitten hatte. Tai meinte zwar, er hätte uns den Kuss verziehen … allerdings war das vor meiner Behauptung, er hätte eine Affäre mit Sora.

Yamato beugte sich zu mir und flüsterte mir etwas ins Ohr. „Hast du ihm von uns erzählt oder warum verhält er sich so …“

„So kalt?“, beendete ich seinen Satz seufzend. „Ja, tut mir leid. Es ist mir rausgerutscht.“

„Mmh, schon gut“, meinte Yamato zwar, aber ich wusste, dass es das eigentlich nicht war.

„Leute, ich muss wieder hinter die Bühne. Macht’s euch bequem“, sagte er in die Runde. „Ach, und für das Geburtstagskind sind alle Drinks gratis.“ Er zwinkerte Kari zu, die begeistert die Faust in die Luft hob.

„Yeah. Danke!“

„Sieh es als mein Geburtstagsgeschenk an dich. Ich bin im Geschenke aussuchen immer ganz schlecht.“

„Das kann ich bestätigen“, warf Takeru ein und fing sich sofort einen Schlag gegen den Arm von seinem großen Bruder ein.

Yamato verschwand und ich setzte mich auf das schwarze Ledersofa. „Und, was machen wir jetzt?“ Hilflos sah ich mich um. Tai hatte sich direkt verkrümelt, Matt war hinter der Bühne und ich fühlte mich völlig fehl am Platze. Kari ließ sich neben mir nieder und sah mich mitfühlend an.

„Ach Mimi, das wird schon. Gib ihm noch etwas Zeit.“

Ich grinste unsicher, als Kari auch schon wieder aufstand und sich Takerus Arm schnappte. „Kommt ihr mit vor die Bühne?“

Izzy zuckte mit den Schultern. „Klar, warum nicht.“

„Und du Mimi?“

„Nein, ich denke, ich gehe erst mal an die Bar. Ich komme dann nach.“

„Ist gut, dann bis später“, zwinkerte Takeru mir zu und Kari warf mir ein aufmunterndes Lächeln zu.

Ich schnaufte, sah mich um und lies die Atmosphäre des Clubs kurz auf mich wirken. Laute Musik, viele Menschen – genügend Platz, um sich den ganzen Abend lang aus dem Weg zu gehen. Ich sah meine Fälle bereits davonschwimmen, als ich nach unten an die Bar ging und Tai einfach nirgendwo entdecken konnte.

Genervt wandte ich mich dem Barkeeper zu. „Einen Martini, bitte.“

Als ich das Glas bekam, nippte ich kurz daran und lies dann meinen Blick über die Menge schweifen. Seine braunen, wuscheligen Haare stachen unter allen anderen hervor. Tai stand am anderen Ende des Raumes und lehnte mit einer Flasche Bier in der Hand an einer Wand. Ich wollte ihn nicht anstarren, doch dann drehte er den Kopf in meine Richtung und unsere Blicke trafen sich. Ich lächelte ihm zu und hoffte, dass er zu mir rüber kommen würde … aber Tai nickte mir nur kurz zu, als wären wir flüchtige Bekannte und sah dann wieder zur Bühne.

Also … das war ja wohl … wie unverschämt! Empört drehte ich mich um und leerte das Glas in einem Zug, bevor ich gleich noch eins bestellte. Offenbar war er nicht bereit mit mir zu reden und dass ich ihm wie ein kleines Hündchen nachlief, konnte er vergessen. Er würde sich schon melden, wenn er bereit war dieses Missverständnis zu klären. Ich hatte ihm genug Signale gesendet. Wenn er auf keines davon reagierte, bitte. Dann herrschte eben weiter Eiszeit zwischen uns.
 

Yamatos Auftritt sah ich mir von der Ferne aus an, genauso wie Tai, während Kari, Takeru und Izzy sich vor der Bühne tummelten und sich dann wieder in den VIP Bereich begaben. Irgendwie kam ich mir mies vor, weil ich Karis Geburtstag nicht richtig genießen konnte, aber Tais Gesichtsausdruck konnte einem einfach alles verderben. Nach meinem vierten Cocktail wagte ich noch einen Blick in seine Richtung, in der Hoffnung, dass sein Bier ihn etwas entspannt hatte. Und das hatte es. Nur nicht so, wie ich gehofft hatte.

„Das ist nicht sein Ernst?!“ Mit offenem Mund starrte ich ihn an. Wie er da stand. Lachte. Und mit irgendeiner Tussi redete. Blond, schlank und gutaussehend. Eben eher der westliche Typ. Bitch. Was bildete sie sich ein, sich an meinen Freund ranzumachen? Halt, warte. War er überhaupt noch mein Freund? Hatten wir uns getrennt? Waren wir noch zusammen? Tja, das kam davon, wenn man sich wie ein sturer Hornochse weigerte, über seine Probleme zu sprechen.

Ich leerte mein fünftes Glas in einem Zug und knallte es auf den Tresen. Dann straffte ich mein Dekolleté, warf meine lockigen Haare nach hinten und stolzierte zu den beiden hinüber. Ein Mal knickte ich um und wäre beinahe hingefallen, doch in letzter Sekunde fing ich mich wieder.

Bei den beiden angekommen blieb ich stehen und zog die Schultern nach oben. Doch sie redeten einfach weiter. Als wäre ich überhaupt nicht anwesend. Bemerkten sie mich denn gar nicht?

„Oh ja, der war super oder?“, lachte Tai und die blonde Tussi stimmte kichernd in sein Lachen ein, als hätte er den Witz des Jahrhunderts gerissen.

„Ja, und dann der Prof. so: Hey, wenn Sie meinen, Sie haben es nicht nötig in meinem Kurs anwesend zu sein, dann gehen Sie doch raus auf den Campus und starten gleich dort Ihre Hot-Dog-Verkäufer-Karriere.“

Tai prustete los und verschluckte sich dabei fast an seinem Bier. Ich warf erst der Tussi und dann ihm einen sehr fragwürdigen Blick zu. War er betrunken?

Ich stemmte die Hände in die Hüfte und räusperte mich auffällig.

Das Lachen erstarb und beide sahen mich fragend an.

„Mimi?“

Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Jaah, stell dir vor, mich gibt’s auch noch.“ Ups, das kam etwas lallender rüber als ich es eigentlich wollte.

„Oh, hi“, flötete die blonde Tussi und hielt mir ihre Hand hin. „Ich bin Stacy. Ich bin eine Freundin von Tai.“

Ich musterte sie von oben bis unten. Sie trug ein pinkes, extrem knappes Kleid. Ein viel zu enges Kleid, was ihre viel zu weiblichen Kurven viel zu gut zur Geltung brachte.

„Oh, hi“, äffte ich sie übertrieben freundlich nach. „Ich bin Mimi. Ich bin auch eine Freundin von Tai. Um genau zu sein – SEINE Freundin.“ Mein Unterton war nicht zu überhören und Stacy lies irritiert ihre Hand sinken.

„Also, Macy … wo kommst du her?“, fragte ich sie.

„Ich heiße Stacy.“

„Amerika? England? Oh mein Gott, bist du Russin?“

„Ich, äh …“

Stacy sah hilfesuchend zu Tai, der mich sogleich am Arm packte. „Ok, das reicht. Kommst du mal mit?“

„Aber gerne doch Liebster. War nett dich kennengelernt zu haben, Macy“, rief ich seiner Bekanntschaft winkend zu.

„Ich heiße Stacy …“

Tai zog mich mit sich, ein mal quer durch den Club, bis vor die Toiletten, wo wir relativ ungestört waren.

„Sag mal, bist du betrunken? Was sollte das denn?“, stellte er mich zur Rede. Er war deutlich angesäuert.

„Ob ich betrunken bin? Frag dich lieber, ob du an Geschmacksverirrung leidest“, lachte ich spitz auf und sah ihn herausfordernd an.

„Mimi, das war nur eine Freundin. Ich kenne sie aus einen der Vorbereitungskurse am College. Wir haben uns zufällig hier getroffen.“

Ich schnaubte und verschränkte beleidigt die Arme vor der Brust.

„Mir ist das so ziemlich egal, woher du sie kennst. Nur, dass du’s weißt.“

„Ja, das hat man gesehen …“

„Du bist nicht der Nabel der Welt, Tai“, fuhr ich ihn an und wollte gehen, doch er hielt mich am Arm fest und zog mich zurück.

„Können wir das nicht endlich hinter uns lassen?“

„Was?“

„Diese Eifersucht. Siehst du nicht, dass das alles kaputt macht?“

Ich schlug seine Hand von mir und funkelte ihn böse an. „Du bist doch derjenige, der nicht bereit ist mit mir zu reden. Vielleicht hörst du endlich mal auf, dich wie eine prämenstruelle Diva zu verhalten und gibst mir eine Chance, das wieder in Ordnung zu bringen.“

„Na, so bringst du es ganz sicher nicht in Ordnung.“

Ich biss mir auf die Unterlippe. Er war so ein Idiot.

„Außerdem ist das der Geburtstag meiner Schwester. Ich denke nicht, dass wir unsere Probleme hier austragen sollten.“

Ich blinzelte die Tränen weg, die sich wie aus dem Nichts einen Weg nach oben bahnten und schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter.

„Gut. Wenn du meinst“, sagte ich und drückte ihn zur Seite. Ich wollte einfach nur noch hier weg. Ich hatte so auf diesen Abend gehofft und nun machte er mit ein paar Sätzen alles zu Nichte. Gut, vielleicht hatte ich mich nicht unbedingt reif aufgeführt und sicher war es berechtigt zu behaupten, ich wäre eifersüchtig. Aber musste er mich so abweisen? Konnte er denn nicht erkennen, wie sehr mir das alles leidtat und wie sehr er mir fehlte?

Ich drängte mich an den Gästen vorbei nach draußen. Ich brauchte dringend frische Luft. Vor der Tür atmete ich tief die kühle Nachtluft ein, was meinen Kopf zum schwirren brachte. Wahrscheinlich hatte ich doch etwas zu viel getrunken. Ich ließ mich auf die Treppe vor dem Club sinken und ignorierte die Leute, die mit fragenden Blicken an mir vorbei gingen. Irgendwie fühlte ich mich in diesem Moment völlig ausgelaugt. Kraftlos vom ständigen Kämpfen. Inzwischen war ich an einem Punkt angelangt, wo ich nicht mehr wusste, ob es noch Sinn machte weiterzukämpfen oder ob es besser wäre einfach aufzugeben. Ich war müde – der ständigen Enttäuschungen, Kämpfe und andauernden Probleme einfach müde. Erneut bahnten sich Tränen an, doch ich fuhr mir schnell mit dem Handrücken über die feuchten Augenpartien. Ich seufzte schwer und stemmte meinen vom Alkohol schweren Kopf in meine Hand. Fast bemerkte ich nicht, wie jemand etwas vor meine Nase hielt, doch als mich das kalte Teil an der Wange berührte, schreckte ich hoch.

„Hey!“, beschwerte ich mich und blickte nach oben.

Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich in Augen blickte, von denen ich gehofft hatte, sie nicht wiedersehen zu müssen. Doch da stand er tatsächlich – mit seinem schiefen Grinsen, gutaussehend wie eh und je – und hielt mir ein eiskaltes Glas Wasser hin.

„Tut mir leid“, entschuldigte er sich grinsend dafür, dass er mich so erschreckt hatte. „Aber du siehst aus, als könntest du es gebrauchen.“

Sprachlos und mit offenem Mund starrte ich ihn an. Was zum Teufel machte er hier?

„Ha-Hayato?“

Flashback IV – Sora

„Was machst du hier?“, blaffte ich Hayato an, der immer noch vor mir stand und ein Glas Wasser vor meine Nase hielt.

„Was für eine nette Begrüßung“, erwiderte er wenig beeindruckt und zog eine Augenbraue nach oben. „Ich hab dich hier sitzen sehen und dachte, wir könnten reden.“

Ich musste blinzeln, um diese Worte kurz auf mich wirken zu lassen. Reden? War das sein Ernst?

„Reden? Du spinnst doch!“ Ich fuhr hoch und kam sofort ins Straucheln. Mir schwirrte der Kopf und ich drohte das Gleichgewicht zu verlieren.

„Hey, was machst du denn? Bleib lieber sitzen“, meinte Hayato und war mit einem Satz bei mir, um mich zu stützen. Wiederwillig ließ ich mich von ihm wieder zurück auf die Treppenstufe drücken. Ich funkelte ihn böse an, woraufhin er sofort die Hände von meinen Schultern nahm. Dann atmete ich schwer aus und griff mir an die Stirn. Verdammt. Warum musste ich auch so viel trinken?

„Geht’s dir nicht gut?“ Hayato setzte sich unaufgefordert neben mich und sah mich besorgniserregend an. Ich erwiderte seinen Blick abschätzig.

„Alles gut, ich bin nur zu schnell aufgestanden.“ Seine Miene wirkte zweifelnd.

„Hier. Trink das“, befahl er und hielt mir erneut das Glas hin. Na toll. Das fehlte mir noch. Seit wann war er denn so fürsorglich?

Ich schlug die Hände vors Gesicht und stöhnte in sie hinein. „Kannst du nicht bitte einfach wieder gehen und mich in Ruhe lassen?“

„Und kannst du nicht bitte einfach dieses Wasser trinken?“

„Tu nicht so, als würdest du dir Sorgen machen.“

„Mach ich nicht. Trink!“

Ich verdrehte genervt die Augen und riss ihm das Glas aus der Hand. Ein bisschen Flüssigkeit konnte schließlich nicht schaden. Außerdem, je eher es mir wieder besser ging, desto eher kam ich von hier weg. Denn ich verspürte keine gesteigerte Lust darauf, hier mit meinem Verflossenem auf der Treppe eines Clubs festzusitzen. Und so wie er aussah, hatte er nicht vor so schnell wieder abzuhauen.

Ich leerte das Glas in einem Zug und stellte es neben mir auf der Treppe ab.

„Besser?“, fragte Hayato.

„Mmh, vielleicht“, murrte ich. „Aber du sollst das lassen.“

„Was lassen?“

„So zu tun, als würdest du dir Sorgen machen oder … als würde dir … irgendwas an mir liegen. Wir wissen beide, dass das nur Theater ist.“ Diese Worte klangen so verflucht absurd aus meinem Mund, dass ich sie selbst kaum glauben konnte.

Ich spürte, wie er grinste und mich musterte. „Immer noch du allein gegen den Rest der Welt, was? Kannst du es nicht aushalten, wenn dir jemand einfach mal was Gutes tun will?“

Nein. Und schon gar nicht du.

Ich holte tief Luft und zwang mich dazu meinen Kopf zu drehen und ihn anzusehen. „Also, was willst du?“

Seine Augen fixierten mich – fast so wie sie es früher immer getan hatten. Vor nicht allzu langer Zeit hätte mich dieser Blick in seinen Bann gezogen und nicht wieder losgelassen. Jetzt wünschte ich mir einfach nur noch, dass er mich nicht so ansehen würde.

Als hätte er meine Gedanken gelesen, wandte er den Blick von mir ab, stützte sich auf seine Knie ab und sah nach vorn.

„Nur mit dir reden, sagte ich doch schon. Hast du dich mit deinem Freund gestritten oder warum betrinkst du dich so hemmungslos?“

„Das geht dich nichts an“, erwiderte ich knapp.

Er nickte. „Ja, da hast du wahrscheinlich recht. Trotzdem solltest du dich nicht so gehen lassen. Du bist schließlich Mutter.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten und eine tiefe Zornesfalte bildete sich auf meiner Stirn. Wie konnte er es wagen, vor mir über Hope zu sprechen?

„Ich wüsste nicht, was es dich angeht. Du hast kein recht darüber zu urteilen“, fuhr ich ihn an und es war die Wahrheit. Er war nie ein Vater für Hope gewesen. Er war vielleicht ihr Erzeuger, aber mehr auch nicht. Dass er über mein Leben urteilte stand ihm schlichtweg nicht zu.

Ich wollte aufstehen und gehen, doch er fasste mein Handgelenk und zog mich zurück. „Lass mich los, verdammt.“

„Ist ja schon gut.“ Hayato hob abwehrend die Hände. „Tut mir leid, war nicht so gemeint. Bitte bleib noch.“

Irritiert sah ich ihn an. „Was willst du denn von mir?“ Konnte er mich nicht einfach in Ruhe lassen? Außerdem passte es nicht zu ihm, sich einfach so Sorgen um mich zu machen. Da steckte mehr dahinter, das spürte ich. Hayato tat nie etwas ohne Grund.

Er seufzte. „Okay …“ Er griff nach seiner Bierflasche, die er vorhin neben sich abgestellt hatte und nahm einen großen Schluck daraus, ehe er mich ernst ansah.

„Ich … Ich wollte dich fragen, wie es unserer Tochter geht?“

Perplex starrte ich ihn an. „Du willst … was?“ Das konnte nicht sein Ernst sein.

„Du hast richtig gehört“, erwiderte er und wirkte tatsächlich leicht geknickt. Er wich sogar meinem Blick aus und fummelte am Etikett seiner Flasche rum. Was war das denn? War er etwa nervös?

„Ich habe mir in letzter Zeit viele Gedanken gemacht, Mimi“, fuhr er fort.

„Kaum vorstellbar.“

Er ignorierte meinen Kommentar und redete weiter. „In meinem Leben hat sich einiges verändert und ich … ich habe … also, es ist vielleicht schwer vorstellbar für dich, aber … ich habe ein schlechtes Gewissen wegen unserer Tochter. Und auch wegen dir.“

Ich zog die Schultern hoch und wich ein Stück vor ihm zurück.

„Das ist nicht möglich. Du hast kein Gewissen.“ Das war geradezu unheimlich. Was war das wieder für ein krankes Spiel, was er hier versuchte zu spielen? Ich traute ihm nicht von der Tapete bis zur Wand.

Hayato lachte gequält auf. „Okay, das habe ich wohl verdient. Es ist nicht verwunderlich, dass du so von mir denkst.“

Ich atmete tief ein. „Weißt du was? Ich glaube dir kein Wort. Also tu bitte einfach das, was du die letzten Monate auch getan hast – geh mir aus dem Weg.“

Ich sammelte meine Kräfte und stand auf, diesmal hielt er mich nicht davon ab. „Ach, und noch was“, sagte ich und drehte mich zu ihm um. „Wenn du einen Vorwand brauchst, um an mich ran zu kommen, lass wenigstens unsere Tochter aus dem Spiel. So viel Anstand solltest selbst du haben.“

Hayato presste die Lippen aufeinander, erwiderte jedoch nichts darauf. Aber das war auch nicht nötig. Ich hatte sein Spiel durchschaut. Er würde es nicht mehr schaffen, mich wie früher zu manipulieren, die Zeiten waren vorbei. Ich wandte mich von ihm ab und wollte gehen. Doch abrupt blieb ich stehen, denn ich lief direkt der nächsten Person in die Arme, die ich nicht sehen wollte.

„Sora?“, platzte es aus mir heraus, als meine ehemals beste Freundin vor mir stand und mich ebenso überrascht ansah. Gott, dieser Abend war einfach verflucht.

„Was machst du denn hier?“, fragte ich deutlich unfreundlich.

„Ich … äh … ich wollte“, stammelte sie. „Ich wollte zu Matt. Ich muss mit ihm reden.“

Bedächtig zog ich eine Augenbraue nach oben und verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich denke nicht, dass er dich sehen will.“

Sora biss sich auf die Unterlippe. „Ich weiß. Er reagiert auf keinen meiner Anrufe, aber … ich muss einfach …“

„Das hast du dir selbst zuzuschreiben“, unterbrach ich sie. Erwartete sie etwa Mitleid?

„Wer ist das? Eine Freundin von dir?“ Hayato stand neben mir und musterte Sora eingehend. Ich warf ihm einen warnenden Seitenblick zu, sah es jedoch nicht ein, seine Frage zu beantworten. Sora bedachte ihn mit fragenden Blicken. Na, super. Das hatte mir gerade noch gefehlt, dass Hayato und mein Leben sich vermischten. Das war wirklich das Letzte, was ich gebrauchen konnte.

Zum Glück ignorierte Sora ihn und sah nun wieder mich an. „Bevor ich zu Matt gehe … Können wir beide vielleicht reden, Mimi?“

Auch das noch. Hayato grinste. „Du bist heute ziemlich gefragt, was?“

Meine Antwort war ein Grummeln und ich packte Sora kurzentschlossen am Handgelenk und zog sie hinter mir her. In einer Ecke hinter dem Club kamen wir zum Stehen.

„Was willst du?“ Herausfordernd sah ich sie an. Alles, was ich heute Abend wollte, war mich mit Tai zu versöhnen. Und jetzt stand ich hier – erst mit Hayato, der mir irgendwas von wegen Schuldgefühlen einreden wollte – und nun auch noch mit Sora.

„Bist du wegen Tai hier? Nur das eins klar ist, du brauchst überhaupt nicht denken, dass du hier einfach auftauchen und …“, fuhr ich sie an, doch Sora schüttelte den Kopf.

„Nein, so ist das gar nicht. Ich wollte nur Matt sehen, sonst nichts.“

Das besänftigte mein Misstrauen jedoch in keinster Weise.

„Oh, und dann tauchst du ausgerechnet hier auf. Wie praktisch für dich, wieder ein wenig Unruhe zu stiften und einen Keil zwischen mir und Tai zu treiben.“

„Was? Nein! Mimi, ich wollte nie einen Keil zwischen dir und Tai treiben“, beharrte sie, doch ich blieb hart.

„Ich glaub dir kein Wort“, entgegnete ich und wollte sie stehen lassen. Ich traute ihr genauso wenig wie Hayato. Schon merkwürdig was für eine schlechte Menschenkenntnis ich anscheinend besaß. Hintergangen von den beiden Menschen, die mir einst alles bedeutet hatten.

„Warte, Mimi. Bitte, lass uns endlich miteinander reden“, sagte Sora und hielt mich an der Schulter fest.

„Ich wüsste nicht, was es da noch zu reden gibt.“

„Ich würde es dir gern erklären …“

„Was erklären?“

„Einfach alles.“

Alles? Die ganze Sache mit Tai und wie es dazu gekommen war? Wollte ich das wirklich hören?

„Okay …“, sagte ich schließlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber nur unter einer Bedingung.“

Irritiert sah sie mich an. „Und die wäre?“

„Halt dich von Yamato fern“, forderte ich von ihr. „Denn glaub mir, er will dich nicht sehen. Nicht jetzt. Hör auf ihm nachzulaufen. Wenn er bereit ist, wieder mit dir zu reden, wird er auf dich zu kommen. Und bis dahin gehst du ihm aus dem Weg. Das bist du ihm schuldig.“

Sora sah mich mit großen Augen an. „Mimi, ist das dein Ernst? Weißt du, was du da verlangst?“

Und ob das mein Ernst war. Sie hatte hier und jetzt die Gelegenheit einiges klar zu stellen – aber eben nur unter dieser Bedingung. Yamato war auch mein Freund und mir sehr wichtig. Ich wollte nicht, dass sie ihn noch mehr verletzte, bevor nicht alle seine Wunden verheilt waren. Das konnte er jetzt nicht gebrauchen.

Sora zögerte und ich erwartete schon, dass sie nicht auf meine Forderung eingehen würde. Doch dann nickte sie kurz mit dem Kopf.

„Einverstanden“, sagte sie. „Ich lasse ihn in Ruhe. Vielleicht … vielleicht ist es so auch besser.“

„Das denke ich auch“, stimmte ich ihr zu. „Also? Du hast zehn Minuten. Sag, was du zu sagen hast.“

Ich wusste, ich setzte sie gerade enorm unter Druck, aber das war mir egal. Ich hatte bereits was ich wollte. Und nun würde ich mir ihre Geschichte anhören – die ohnehin nichts mehr an unserer entzweiten Freundschaft ändern würde.

Sora seufzte und lehnte sich gegen die Hauswand des Clubs, während ich darauf wartete, dass wir es endlich hinter uns brachten.

„Es ist nicht einfach. Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll und ich will dir auf keinen Fall weh tun – das wollte ich nie. Aber ich denke, du solltest die Wahrheit erfahren. Und vielleicht … vielleicht verstehst du mich ja.“

Ich konnte mir ein leises Zischen nicht verkneifen, ließ sie jedoch weiterreden.

„Es fällt mir nicht leicht, dass vor dir zuzugeben, aber … ich war schon immer in Tai verliebt. Schon seit ich denken kann …“
 

Rückblick
 

„Für wen backst du denn den Kuchen?“, fragte meine Mutter mich an einem Samstagnachmittag, als ich in der Küche stand und gerade einen hellen Teig in eine Form füllte. Ich wurde rot, doch sie konnte es nicht sehen.

„Für niemand bestimmten“, log ich einfach. Es war schwierig genug gewesen, es mir selbst einzugestehen, da konnte ich es unmöglich vor meiner Mutter zugeben. Erst sollte er es erfahren. Ich hatte so viele Gelegenheiten gehabt, wie die neulich auf dem Hanamifest, aber immer kam irgendetwas dazwischen. Und mit jedem Augenblick, der verstrich, wich meine Zuversicht. Ich wollte ihm ja meine Gefühle gestehen, schon lange, aber es hatte sich einfach nie der passende Moment ergeben. Doch das sollte sich heute ändern. Es waren endlich Sommerferien und ich wusste, er war heute zu Hause, weil wir heute Morgen schon telefoniert hatten. Ich wollte später mit ihm zusammen in den Park gehen. Er stimmte zu, weil er eh nichts Besseres vorhatte.

Aber vorher würde ich ihn mit diesem Kuchen überraschen.

„So? Und warum nimmst du dann ausgerechnet die Herzform für den Kuchen?“, hakte meine Mutter weiter nach und schielte mir über die Schulter. Ich rümpfte die Nase. „Das geht dich nichts an, Mama.“

Sie grinste breit und ging aus der Küche.

Ungeduldig wartete ich in meinem Zimmer darauf, dass der Kuchen endlich fertig war, während ich ein paar meiner schönsten Kleider aufs Bett gelegt hatte.

„Hmm, das Gelbe oder doch lieber das Blaue? Oh, ich kann mich nicht entscheiden.“

Der Timer klingelte, also eilte ich in die Küche, um den Kuchen aus dem Ofen zu holen. Perfekt. Er war genauso, wie er ihn mochte. Wenn er abgekühlt war, würde ich ihn noch mit frischen Erdbeeren und Sahne verzieren. Ich grinste in mich hinein, bei der Vorstellung, ihm den Kuchen endlich zu übergeben.

Als der Kuchen ganz und gar fertig war, entschied ich mich schließlich für das blaue Kleid, da ich wusste, es war eine seiner Lieblingsfarben. Überhaupt kannte ich ihn ziemlich gut – eigentlich mit am besten. Ich wusste, was er mochte und was er nicht mochte, was ihn ärgerte und was ihn freute, kannte all seine Macken und er kannte meine. Wir waren eben beste Freunde und das schon immer. Doch in den letzten Monaten wurde mir klar, dass da schon immer mehr war als nur gute Freundschaft. Ich hegte tiefe Gefühle für Tai und ich war nun endlich bereit, sie zuzulassen. Wie sehr ich doch hoffte, dass es ihm genauso ging …
 

Mit zitternden Knien stand ich vor seiner Tür. Ich hatte die Klingel schon hunderte Male betätigt, doch noch nie spielte mein Magen dabei so verrückt wie heute. Es war, als würden tausend Schmetterlinge darin tanzen. Ich atmete noch einmal tief durch und klingelte schließlich.

Es dauerte nicht lang bis er mir die Tür aufmachte. Ich strahlte ihn an.

„Hallo, Tai.“

Er wirkte irgendwie verdattert. „Ach, du bist es Sora. Komm rein. Sorry, ich hatte ganz vergessen, dass wir verabredet waren.“

Er schlürfte zurück ins Wohnzimmer und ließ sich auf die Couch fallen. Etwas geknickt folgte ich ihm. Es schien niemand zu Hause zu sein, außer ihm.

„Du hast vergessen, dass wir verabredet sind? Aber wir haben doch heute Morgen erst telefoniert.“

„Jaah“, schnaufte er nur und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Tut mir leid, ich bin etwas durch den Wind.“

Ich runzelte die Stirn und ging zu ihm. „Hier, ich hab dir was mitgebracht“, sagte ich lächelnd und hielt ihm den Kuchen hin.

„Oh“, machte Tai erstaunt und nahm ihn entgegen. „Kuchen? Für mich? Danke“, sagte er, betrachtete das liebevoll verzierte Gebäck kurz und stellte es dann vor sich auf dem Tisch ab. Dann lehnte er sich wieder zurück und starrte gen Decke. Gefrustet warf ich einen Blick auf den Kuchen. Er hatte ihn sich gar nicht genau angeschaut. Er hatte noch nicht mal bemerkt, dass er in Herzform gebacken war.

Ich setzte mich neben ihn. „Was ist denn passiert?“, fragte ich besorgt. „Stimmt etwas nicht?“

„Weißt du es denn noch nicht?“, entgegnete er tonlos.

Ich schüttelte den Kopf. „Was denn?“

„Sie ist weg.“

Irritiert sah ich ihn an. „Was? Von wem sprichst du? Wer ist weg?“

Tai blickte weiterhin die Decke an. Er schien völlig in Gedanken versunken zu sein.

„Na, Mimi“, sagte er. „Sie ist weg. Einfach so.“

„Was meinst du damit, sie ist weg?“, hakte ich überrascht nach.

Plötzlich sprang Tai auf. „Ich meine das so, wie ich es sage. Sie ist weg, hörst du? Einfach abgehauen“, fuhr er mich an und ich zuckte zurück. Warum war er denn so aufgebracht?

„Ich habe heute Morgen versucht sie zu erreichen“, erklärte er mir angesäuert und ging unruhig im Wohnzimmer umher. „Weißt du, was passiert ist? Ihre Handynummer existiert nicht mehr. Ihre Festnetznummer ist nicht mehr vergeben. Auf meine Mails reagiert sie nicht und an ihrem Briefkasten steht „Unbekannt verzogen“. Nach was sieht das für dich aus, frag ich dich?“

Ich schluckte schwer und versuchte meine schwitzenden Hände zu ignorieren. „Ich … ich weiß es nicht. Vielleicht ist sie verreist. Es sind Sommerferien und …“

„Sie ist weggezogen, Sora!“, unterbrach er mich forsch. Ich erschrak beinahe davor, wie sehr ihn diese Tatsache zu treffen schien.

„Sie ist einfach abgehauen, ohne sich zu verabschieden“, sagte Tai nun etwas ruhiger und sah traurig aus dem Fenster. „Welche Freundin tut so etwas? Ohne ein Wort einfach verschwinden? Das passt überhaupt nicht zu ihr.“

Betrübt betrachtete ich den Kuchen, der vor mir auf dem Tisch stand, während Tai mir den Rücken zugewandt hatte. Warum schmerzte mein Herz plötzlich so sehr?

„Bist du … bist du sauer deswegen?“, fragte ich zaghaft nach.

„Du etwa nicht?“, erwiderte Tai. „Sie ist deine beste Freundin und hat selbst dir nichts davon gesagt, dass sie vorhat, wegzuziehen. Ich weiß überhaupt nicht, was ich davon halten soll. Ich dachte, wir wären …“

Ich schluckte. „Du dachtest, ihr wärt was …?“ Die ersten Tränen bahnten sich einen Weg an die Oberfläche, während ich den Blick einfach nicht von diesem verfluchten Kuchen abwenden konnte.

Tai seufzte und fuhr sich gestresst durchs Haar. „Ach, nicht so wichtig.“

Und in dem Moment zersprang mein Herz in tausend Teile. Wieso hatte ich es nie sehen wollen? War ich denn so blind gewesen?

„Bist du böse, wenn wir unsere Verabredung verschieben? Irgendwie ist mir heute nicht nach Gesellschaft“, sagte Tai nun ruhiger und wandte sich mir zu.

Ich wischte mir schnell die Tränen aus den Augen und versuchte, mir nichts anmerken zu lassen. „Nein … Nein, ist schon gut. Ich verstehe das.“

Dann stand ich auf und ging in Richtung Flur. Ich wollte einfach nur noch hier weg.

„Ach, Sora?“

Ich blieb stehen. „Was denn?“

„Was ist mit dem Kuchen? Willst du den nicht wieder mitnehmen? Den schaffe ich doch niemals alleine“, lachte er zaghaft.

„Nein, den kannst du behalten“, sagte ich schweren Herzens. „Wenn du ihn nicht möchtest, gib ihn Kari oder so. Wir sehen uns.“

Er hatte einfach gar nichts verstanden. Dafür ich umso mehr.

Ich schloss die Tür hinter mir und atmete aus. Tränen rollten über meine Wange. Warum nur? Warum hatte ich in all der Zeit nicht mitbekommen, was sich direkt vor meiner Nase abgespielt hatte? War ich so blind vor Liebe gewesen, dass ich nicht bemerkt hatte, dass Tais Herz längst einer anderen gehörte? Auch wenn er es nicht gesagt hatte, so wusste ich es doch – es war ganz offensichtlich.

Je weniger ich die Wahrheit vorher sehen konnte, umso heftiger sprang sie mir jetzt ins Gesicht.

Tai liebte Mimi, nicht mich.
 

Sora lehnte noch immer an der Wand und ich spürte, dass sie sehr damit gerungen hatte, mir das zu offenbaren. Während ich mit meiner Fassung zu ringen hatte …

„Sora? Warum erzählst du mir das alles?“, fragte ich sie unmissverständlich. „Für mich klingt das so, als hättest du die Gelegenheit damals einfach ergriffen und bist mit Tai ins Bett gestiegen, damit er mich vergisst.“

Eine Träne rollte über ihre Wange und sie wischte sie weg, doch ich konnte einfach kein Mitleid mit ihr haben. Auch wenn es nicht schön ist, Liebeskummer zu haben … sie hätte es nicht tun dürfen. Nicht wegen mir, aber es war Tai gegenüber nicht fair, da sie sehr wohl von seinen Gefühlen wusste.

„Mimi, was hättest du an meiner Stelle getan? Einfach dabei zugesehen, wie dein bester Freund an seinem Liebeskummer zugrunde geht?“

Ich gab einen zischenden Laut von mir. „Also ganz sicher wäre ich nicht mit ihm ins Bett gestiegen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen.“

„So war das doch gar nicht. Ich wollte nicht, dass er sich schlecht fühlt deswegen. Ich habe es getan, weil ich ihn geliebt habe“, wisperte Sora.

„Er hat dich aber nicht geliebt, sondern mich. Und es war dir egal!“, fuhr ich sie an und sie zuckte zusammen.

Sora vergrub das Gesicht in ihren Händen, als schämte sie sich so sehr, dass sie mich nicht einmal mehr ansehen konnte.

„Ich weiß. Ich weiß das jetzt alles. Aber damals … ich habe einfach nicht darüber nachgedacht. Ich habe nur darauf gehört, was mein Herz mir gesagt hat. Ich wollte ihn so sehr, Mimi … es tut mir leid.“

Ich presste die Lippen aufeinander und hatte mit meiner Fassung zu kämpfen. „Selbst wenn es so ist und es dir leid tut … warum hast du die ganze Zeit versucht, einen Keil zwischen uns zu treiben, als ich wieder da war? Und das Schlimmste daran: warum hast du Yamato in diese Sache mit reingezogen?“

„Ich habe doch nicht versucht einen Keil zwischen euch zu treiben, das musste du mir glauben“, fuhr Sora aufgebracht hoch. „Aber du musst auch mich verstehen. Es war nicht leicht für mich, euch die ganze Zeit über so zu sehen – so vertraut. Ihr wart plötzlich wie eine richtige Familie und … Tai hätte alles für dich getan. Weißt du, wie weh so etwas tut? Und was Yamato angeht … er hat mir einfach unglaublich gutgetan und ich wollte ihn nie verletzen. Ich war glücklich mit ihm. Ich hatte mich damit abgefunden, bis …“

„Ja, verstehe schon“, unterbrach ich sie. „Bis ich wieder aufgetaucht bin.“

Sora atmete schwer aus. „Ich habe wirklich versucht meinen Gefühlen für Tai weiterhin aus dem Weg zu gehen und dir gleichzeitig eine gute Freundin zu sein. Aber es ging einfach nicht. Ich konnte es nicht ertragen, euch so zu sehen, schon gar nicht, nach unserer gemeinsamen Nacht. Ich habe versucht mit Tai darüber zu reden, doch er wollte das Thema totschweigen. Wie es mir dabei ging, war ihm völlig egal.“

Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Ich konnte mir das alles nicht mehr anhören. Und ich wollte es auch nicht. Es war, als würde jemand ein Messer in meine Brust rammen. Als müsste ich alles noch mal durchleben.

„Weißt du was? Ich will nichts mehr davon hören. Nie wieder“, sagte ich bitter und wandte mich von ihr ab. Ich konnte ihr nicht mehr in die Augen sehen.

Ich hörte, wie Sora hinter mir schniefte, doch ich wollte einfach nur noch weg. Ich ging ein paar Schritte und blieb dann doch noch einmal stehen.

„Warum konntest du es nicht, Sora?“, fragte ich sie, mit dem Rücken zu ihr gewandt. „Warum konntest du ihn nicht einfach aufgeben? Hasst du mich so sehr dafür, dass er mich liebt und nicht dich?“

Sie antwortete nicht und das genügte. Mehr musste ich nicht wissen. Ich wollte weitergehen, doch plötzlich erklang Soras leise Stimme von hinten.

„Könntest du es denn? Könntest du denjenigen, der dein Erster war, jemals vergessen?“

Ich blieb stehen. Mein Herz setzte einen Schlag aus. Das … das war nicht wahr. Das durfte nicht wahr sein. Langsam drehte ich mich zu ihr um und sah ihr in die Augen.

„Er … er war dein …?“ Mir blieben die Worte im Halse stecken. Ich hätte sie hochwürgen und ihr vor die Füße spucken können, als mir klarwurde, was das zu bedeuten hatte. Sora war nicht nur in Tai verliebt … es war viel mehr, weswegen sie sich zu ihm hingezogen fühlte.

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und ging langsam auf sie zu. Tränen rollten ihr über die Wange, doch sie machte keine Regung. Dicht vor ihr blieb ich stehen und sah ihr direkt in die Augen. Vorsichtig hob ich eine Hand und legte sie behutsam auf ihre tränennasse Wange. Sie zuckte leicht zurück, unternahm jedoch nichts dagegen.

Ich holte tief Luft, um die Worte zu formen, die mir nun über die Lippen kamen.

„Du bist echt das Letzte.“

Dann holte ich aus und meine flache Hand landete mit einem lauten Knall direkt in ihrem Gesicht.

Outing

Sora taumelte zurück und sah mich mit offenen Augen an, während sie sich die Wange hielt. Doch ich schenkte ihr keine weitere Beachtung. Ich ließ sie einfach stehen und ging. Ohne sie noch eines Blickes zu würdigen.

Ich trat aus der Gasse hinter dem Club hervor und befand mich sofort wieder im Getümmel der Leute.

Kurz blieb ich stehen, um Luft zu holen. Ich betrachtete meine zitternde Handfläche und spürte, wie sie schmerzte. Eine Träne tropfte auf die Innenseite meiner Hand, dann noch eine. Mein Körper begann zu beben, doch ich konnte den Blick einfach nicht von meiner Hand abwenden. Wieso nur? Wieso war das alles nur passiert? Warum holte mich die Vergangenheit nur immer wieder ein?

Das Zittern wollte einfach nicht aufhören und ich fühlte mich so verloren, wie schon lange nicht mehr.

Plötzlich legte sich eine Hand in meine und hielt sie fest, brachte sie zum Stillstand. Überrascht sah ich auf und blickte in Hayatos Gesicht.

Ich wollte nicht, dass ausgerechnet er mich so sah, doch ich ließ es zu, denn ich spürte, wie fest er meine Hand drückte und das war gerade das Einzige, was mich davon abhielt, komplett auszuflippen.

Ich legte meine freie Hand auf meine Augen, um meine Tränen zu verbergen. Hayato drückte meine Hand noch fester und zog mich unvermittelt an sich. Ich drückte meine Stirn gegen seine Brust und fing an zu schluchzen.

„Es ist okay, Mimi“, sagte er leise und strich mir mit der freien Hand über den Kopf, so wie er es früher manchmal getan hatte. Plötzlich fühlte sich diese Berührung nicht mehr beängstigend an, sondern befreiend. Auf eine merkwürdige Art und Weise tat es sogar gut, sich von jemanden trösten zu lassen, der mit all dem nichts zu tun hatte. Der nicht wusste, was geschehen war oder was ich getan hatte. Der nichts mit meinen Gefühlen zu Tai oder zu Sora zu tun hatte und der einfach nur da war – warum auch immer. Ich wusste nicht, warum er das tat, doch ich war nicht im Stande mir Gedanken darüber zu machen. Er war einfach nur da und hielt mich fest, und das war gerade alles was ich brauchte.

Hayato strich mir immer wieder beruhigend über den Kopf, sagte jedoch nichts. Erst als ich mich etwas beruhigt hatte, löste ich mich wieder von ihm und er ließ meine Hand los.

„Es geht schon wieder“, meinte ich und wischte mir mit dem Handrücken über die feuchten Augenpartien.

Er trat einen Schritt zurück, um wieder den nötigen Abstand zwischen uns zu schaffen.

„Was hast du jetzt vor?“, fragte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen. „Möchtest du nach Hause?“

Ich warf einen kurzen Blick über die Schulter zum Eingang des Clubs. Dann schüttelte ich den Kopf.

„Nein, ich muss da noch was klären.“

Er nickte und ich wandte mich ab, drehte mich jedoch noch ein Mal um, traute mich kaum ihn anzusehen, als ich die Worte aussprach.

„Danke, Hayato.“

Er antwortete nichts, lediglich ein leichtes Lächeln huschte über seine Lippen, was mir verriet, dass es okay war. Vermutlich würde ich mich morgen dafür hassen, dass ich ihn einen kleinen Teil meiner zerbrochenen Seele hatte sehen lassen. Doch für den Moment zählte das nicht. Ich musste dringend noch was erledigen, bevor ich endgültig von hier verschwand.

Ich drängte mich an den Leuten zurück in den Club und steuerte geradewegs auf die Tanzfläche zu. Meine Augen suchten nach ihm, doch ich konnte ihn nirgends entdecken. Erst, als ich einen Blick nach oben warf, sah ich ihn. Er gestikulierte wild mit seinen Händen in der Luft herum. Mein Blick verfinsterte sich und ich sammelte all den verbliebenen Mut, den ich noch besaß, um die Stufen zum VIP-Bereich hochzusteigen.

„Ich weiß überhaupt nicht, was es da zu erklären gibt“, hörte ich Tai schreien. Offenbar hatte er mit irgendjemanden Streit angefangen. Wunderbar. Denn ich hatte ihm auch einiges zu sagen und konnte die vorhandene Wut direkt in Energie umwandeln. Ich stapfte auf ihn zu und drängte mich zwischen ihn und seinen Gesprächspartner, von dem ich keinerlei Notiz nahm.

Perplex sah er mich an, als ich mich vor ihm aufbaute und ihn böse anfunkelte.

„Mimi, es passt gerade gar nicht“, wollte er mich direkt abwimmeln, bevor ich auch nur ein Wort sagen konnte.

„Oh, doch. Ich finde, es passt gerade sehr gut. Ich hatte nämlich gerade eine sehr interessante Unterhaltung. Willst du wissen mit wem?“

„Später“, erwiderte Tai knapp und wollte mich beiseiteschieben. Doch ich ließ mich nicht einfach so abservieren und blieb hartnäckig.

„Du hörst mir jetzt verdammt noch mal zu!“, forderte ich ein.

Tai stöhnte laut auf. „Ich sagte doch, wir reden später.“

„Tai, vielleicht solltest du lieber erst einmal mit Mimi gehen und dich beruhigen“, drang Karis Stimme von hinten an mein Ohr. Ich drehte mich um und blickte ihr überrascht entgegen.

Kari war es, mit der Tai gerade eine Diskussion hatte? Das hatte ich gar nicht mitbekommen.

Erst jetzt nahm ich auch die anderen wahr, die sich etwas weiter hinten befanden und das Geschehen gespannt beobachteten. Sorge lag in ihren Blicken. Was war hier los?

Ich ließ mich unsanft von Tai zur Seite schieben, bevor er einen drohenden Schritt auf seine Schwester zumachte. Sein Gesichtsausdruck ließ keinen Zweifel daran, dass er sehr wütend war.

„Oh nein, ich werde mich nicht beruhigen! Wie kannst du dich von ihm so behandeln lassen?“, fuhr er sie an.

„Ich … lass es mich doch endlich erklären“, flehte Kari.

„Was gibt’s da zu erklären?“ Tai wurde immer rasender. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und er hatte damit zu kämpfen sich selbst im Zaum zu halten. So hatte ich ihn noch nie erlebt …

Unruhig ging mein Blick zwischen den beiden hin und her, während ich versuchte zu begreifen, was geschehen war.

„Für mich ist die Sache klar“, wütete Tai weiter und zeigte anklagend mit dem Finger auf Takeru, der hinter Kari auf dem Sofa saß und sich ein blutgedrängtes weißes Tuch gegen die Nase drückte. Yamato saß neben ihm und hatte ihm beruhigend einen Arm um die Schulter gelegt.

„Hör einfach auf, dich da einzumischen“, fuhr Yamato ihn an. Er warf Tai einen bösen Blick zu. „Lass die beiden das verdammt noch mal unter sich klären. Das Ganze geht dich nichts an.“

„Was?“, schrie Tai zurück. „Es geht mich nichts an? Wenn dein Bruder meine Schwester betrügt, geht mich das sehr wohl was an.“

Entsetzt sah ich ihn an. Darum ging es hier also?

„Ich sagte dir doch schon: er hat mich nicht betrogen!“, redete Kari weiter auf ihren Bruder ein, der nun verächtlich eine Augenbraue nach oben zog.

„Ich habe keine Ahnung, wie man so was sonst nennt, wenn er heimlich auf dem Klo mit einer anderen rumknutscht. Du verdammter, kleiner …“ Tai machte einen Satz nach vorne und wollte anscheinend erneut auf Takeru losgehen, der bereits instinktiv zurückwich. Doch Kari war schneller und stellte sich zwischen die beiden, um Tai zurückzudrängen.

„Was ist nur mit dir los?“, empörte sich Tai. Die pure Verständnislosigkeit stand ihm ins Gesicht geschrieben. Hilflos stand ich da, beobachtete das Geschehen vor mir und wusste nicht, was ich tun sollte. Kari hatte ihm anscheinend noch nicht die Wahrheit gesagt. Und offensichtlich war die ganze Sache früher aufgeflogen, als sie geplant hatte. Und endete mit Tais Faust in Takerus Gesicht.

Kari seufzte schwer und warf mir einen kurzen hilfesuchenden Blick zu.

„Tai …“, versuchte ich es zaghaft und legte ihm eine Hand auf den Arm. „Wollen wir nicht …?“

Doch weiter kam ich nicht, denn Tai schüttelte meine Hand ab. „Ich will jetzt verdammt noch mal wissen, was hier los ist, Kari. Warum nimmst du ihn in Schutz?“

Kari hielt für einen Moment seinem Blick stand. Ich konnte sehen, wie sehr sie mit sich selbst kämpfte. Doch letztendlich wandte sie sich schweren Herzens ab und drehte sich zu Takeru um.

Sie ging auf ihn zu, blieb vor ihm stehen und zog sich den Verlobungsring vom Finger. Sie hielt ihm den Ring entgegen, doch Takeru schüttelte nur den Kopf.

„Du musst das nicht tun …“

„Doch, ich muss“, entgegnete Kari, legte ihm den Ring in die offene Hand und ging zurück zu Tai, der die Welt nicht mehr verstand. Ungläubig sah er zwischen Kari und Takeru hin und her.

„Du fragst, warum ich ihn in Schutz nehme?“, sagte Kari geknickt. „Weil er dasselbe für mich getan hat.“

Tai runzelte die Stirn. „Was?“

„Wir sind kein Paar, Tai. Und wir sind auch nicht verlobt. Das war alles nur Theater.“

Tai trat einen Schritt zurück. „Theater? Was … was meinst du damit?“ Plötzlich veränderte sich sein vorerst wütender Gesichtsausdruck und wich stattdessen der Angst. Vermutlich ahnte er bereits …

„Wir sind kein Paar, weil ich auf Mädchen stehe, Tai.“
 

„Du … was …?“ In Tais Gesicht spiegelten sich mit einem Mal so viele unterschiedliche Emotionen wieder, dass es beinahe schien, als würde er den Verstand verlieren. Er versuchte zu begreifen, was seine Schwester ihm eben offenbart hatte. Selbst mir war das Herz in die Hose gerutscht. Takeru und Yamato saßen mit offenen Mündern da und starrten Kari an, die plötzlich am ganzen Leib zitterte. Wahrscheinlich wäre mir auch der Mund aufgeklappt, wenn ich es nicht schon lang vor ihnen gewusst hätte. Ich hätte nicht gedacht, dass sie es wirklich durchziehen würde – hier und jetzt. Und anscheinend hatte Takeru genauso wenig damit gerechnet, denn er sprang urplötzlich auf und legte Kari eine Hand auf die Schulter.

„Kari, was machst du denn da?“, flüsterte er ihr zu.

„Das, was ich schon längst hätte tun sollen“, brachte Kari gerade noch hervor, bevor ihre Lippen zu beben begannen. „Ja, Tai. Es stimmt.“

Tai sah sie mit großen Augen an. Es hatte ihm wortwörtlich die Sprache verschlagen.

„Es stimmt. Takeru und ich sind kein Paar. Das war alles nur gespielt, um zu vertuschen, dass ich mich in ein Mädchen verliebt habe. Ich sag ja, er hat mich nicht betrogen. Und hättest du einfach mit mir darüber gesprochen, anstatt wie ein wilder um dich zu schlagen, hätte ich es dir in Ruhe erklären können. Aber so … Du hast alles nur noch viel schlimmer gemacht, Tai.“

Tränen stiegen ihr in die Augen und rollten ungehemmt über ihre Wange. „Ich hoffe, du bist jetzt zufrieden.“ Schniefend lief sie an uns allen vorbei und ließ ihren Bruder stehen. Geschockt sah ich ihr hinterher. Takeru wollte ihr nachlaufen, doch Yamato hielt ihn am Arm fest. „Lass sie lieber.“

Gequält blickte Takeru in die Richtung, in die Kari verschwunden war, während Tai sich immer noch in einer Art Schockstarre befand.

Seufzend stieß ich endlich die Luft aus meinen Lungen. Mir war gar nicht aufgefallen, dass ich sie vor lauter Anspannung die ganze Zeit angehalten hatte.

„Tut mir leid, dass du es so erfahren musstest“, sagte ich leise an Tai gewandt. Dieser starrte immer noch Takeru an. Was musste wohl gerade in ihm vorgehen?

„Du wusstest es?“ Sein Kopf drehte sich langsam zu mir. „Du wusstest das alles, Mimi?“

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also nickte ich lediglich. Auch mir tat es leid, dass er es so erfahren musste.

Plötzlich machte Tai einen Schritt auf mich zu und packte mich an den Armen. „Du wusstest es und hältst es nicht für nötig, mir das zu erzählen?“ Wut schwang erneut in seiner Stimme mit. Ich funkelte ihn böse an. Dass er jetzt auf mich losging, war mehr als unfair. Doch noch ehe ich etwas sagen konnte, war Yamato zwischen uns gegangen und schob Tai von mir weg.

„Lass sie in Ruhe, hörst du?“, fauchte er ihn an und stellte sich schützend vor mich.

„Was soll das? Tu nicht so, als müsstest du sie vor mir beschützen.“

„Du hast dich nicht unter Kontrolle, Tai.“

„Ach und du spielst dich jetzt als Ritter auf, der alles voll im Griff hat? Ich wusste gar nicht, dass ihr beiden euch wieder so nah steht?“

„Oh, bitte“, zischte Matt. „Ich hatte ja keine Ahnung, dass dieser eine Kuss so an deinem Ego kratzt. Schließlich warst du doch mit meiner Freundin im Bett.“

Oh Gott. Die Situation hatte sich hochgeschaukelt und schien nun vollends aus dem Ruder zu laufen. Die beiden warfen sich giftige Blicke zu. Sie wirkten wie zwei Raubkatzen beim Revierkampf und ich befürchtete fast, dass sie jeden Moment die Beherrschung verlieren könnten.

„Schluss damit!“, schrie ich und ging zwischen die beiden, bevor noch Schlimmeres geschah. „Es geht hier nicht um uns! Ihr benehmt euch wie kleine Kinder und keiner von euch denkt dabei auch nur eine Sekunde an Kari.“

Ich wandte mich ab und wollte gehen.

„Halt mal, wo willst du hin?“, rief Tai mir hinterher, doch ich hatte die Nase voll. Ich ließ sie stehen, ohne ihm eine Antwort zu geben. Wie konnte man sich nur so aufführen?

Stattdessen lief ich aus dem Club raus und suchte nach Kari. Das war ja ein schöner Geburtstag. Sie musste fix und fertig sein, die Arme. Für einen Moment konnte ich sogar meinen Ärger über Sora und Tai vergessen, während ich alles nach ihr absuchte. Doch sie war nicht mehr da. Ich beschloss nach Hause zu gehen und dort nach ihr zu sehen. Wahrscheinlich hatte sie genauso wenig Lust mehr auf diesen Abend wie ich.

Zu Hause angekommen, wollte ich jedoch nicht mehr bei ihr klingeln. Ich wusste nicht, ob ihre Eltern und Hope schon schliefen und wollte sie lieber nicht wecken. Also schrieb ich ihr eine SMS.
 

Wenn du mich brauchst, du weißt, wo du mich findest.

– Mimi
 

Seufzend steckte ich das Handy wieder ein und ging in meine Wohnung. Dieser Abend war die reinste Katastrophe und verlief überhaupt nicht so, wie ich es mir ausgemalt hatte. Alles ging einfach nur noch furchtbar schief. Und warum das alles? Weil niemand von uns wirklich aus seiner Haut konnte?

Missmutig zog ich mich aus und warf mein schönes Kleid achtlos zu Boden.

Irgendwo waren wir alle Gefangene unseres eigenen Selbst. Kari konnte nicht ändern wer sie war. Sora konnte nicht aufhören Tai zu lieben. Matt und Tai konnten nicht über ihren Schatten springen und sich gegenseitig verzeihen. Ich konnte nicht vertrauen, so sehr ich es auch wollte. Und Hayato … selbst er würde sich niemals ändern, egal, wie sehr er versuchte dies andere glauben zu lassen.

Frustriert ließ ich mich auf mein Bett fallen und stöhnte in mein Kissen hinein. Wenn wir es schaffen würden, alle nur ein klein wenig mehr aufeinander zuzugehen und ehrlicher zu uns selbst zu sein, wäre vielleicht vieles anders. Vielleicht nicht so kompliziert. Aber das war leichter gesagt als getan. Wir alle konnten nicht ändern, wer wir waren oder wie wir waren. Und noch weniger konnten wir über unseren eigenen Schatten springen …
 

Nachdem ich mit diesen quälenden Gedanken eingeschlafen war, wachte ich am nächsten Morgen leicht verkatert auf. Mein Kopf dröhnte. Es war, als würde etwas in meinem Kopf Sturm klingeln. Was für ein furchtbares Geräusch.

Ich drehte mich auf den Rücken und schlug die Hände über den Kopf zusammen, damit es aufhörte. Doch es hörte nicht auf. Es klingelte einfach immer weiter.

Gott, ich würde nie wieder so viel trinken.

„Mimi? Verdammt, jetzt mach schon auf!“

Was? Hörte ich jetzt schon Stimmen?

Stirnrunzelnd setzte ich mich auf, bis ich realisierte, dass dieses Klingeln nicht aus meinem Kopf kam.

„Mimi!“

Ich grummelte in mich hinein. Was um alles in der Welt wollte er so früh bei mir? Es war ja quasi noch mitten in der Nacht.

Wiederwillig schmiss ich die Decke zur Seite und quälte mich aus dem Bett. Er würde ja doch nicht aufhören. Ich schlurfte zur Tür, damit dieses elende Klingeln endlich ein Ende hatte. Dass ich dabei nur in Unterwäsche war, war mir herzlich egal.

„Jaah doch!“, schrie ich ihn an, als ich die Tür aufriss.

Tai drückte mir Hope in die Arme und stürmte an mir vorbei in meine Wohnung.

„Hey, sag mal geht’s noch?“, blaffte ich ihn an, während Hope sich quiekend an meinen Hals klammerte. Da sie die Nacht bei den Yagamis verbracht und von dem ganzen Drama zum Glück nichts mitbekommen hatte, war sie ausgeschlafen und strahlte mich an.

„Hallo, mein kleiner Schatz“, begrüßte ich sie liebevoll und gab ihr einen Kuss. Die Kopfschmerzen waren wie weggeblasen.

„Ist sie hier?“, fragte Tai, während er meine Wohnung durchsuchte.

„Ist wer hier?“, entgegnete ich genervt und schloss die Tür hinter mir. Aufgebracht blieb er vor mir stehen.

„Kari. Ob Kari hier ist?“

„Wieso sollte sie hier sein?“ Verständnislos sah ich ihn an.

„Keine Ahnung“, meinte er gestresst und fuhr sich durchs Haar. Er sah aus, als hätte er kein Auge zugetan. „Du bist gestern kurz nach ihr gegangen, also dachte ich, sie wäre vielleicht bei dir.“

„Nein, ist sie nicht.“ So langsam bekam ich Panik. Was war hier los?

„Ich dachte, sie wäre nach Hause gegangen.“ Ich setzte Hope auf ihre Spieldecke ab und wandte mich Tai zu, der inzwischen ziemlich verzweifelt wirkte.

„Ja, das war sie wohl auch. Aber nur, um ein paar Sachen zu packen. Sie hat uns einen Zettel hinterlassen, dass sie bei einer Freundin übernachtet.“

Ich zuckte leicht mit den Schultern. „Und warum regst du dich dann so auf? Dann ist doch alles in Ordnung.“

„Sie ist nie bei dieser Freundin angekommen, Mimi“, sagte Tai. „Ich wollte sie vorhin dort abholen, um noch mal mit ihr zu reden. Aber ihre Freundin sagte, sie hätte nicht bei ihr übernachtet.“

Oh … mein Bauchgefühl sagte mir, dass das kein gutes Zeichen war. Jetzt konnte ich verstehen, warum Tai sich so aufregte.

„Hast du Takeru gefragt? Vielleicht ist sie bei ihm“, schlussfolgerte ich, doch Tai schüttelte energisch den Kopf.

„Nein, dort habe ich es gleich im Anschluss versucht. Aber T.K. hat bei Matt geschlafen und dort ist sie auch nicht. Du warst die Einzige, die mir noch in den Sinn kam.“

Frustriert ließ er sich auf mein Sofa nieder und stützte den Kopf in die Hände.

„Wo kann sie nur sein, Mimi?“ Verzweiflung schwang in seiner Stimme mit und auch mir wurde langsam flau und das lag nicht am Kater.

„Wissen deine Eltern schon, dass sie verschwunden ist?“, hakte ich vorsichtig nach.

„Nein. Die sind heute Morgen für ein paar Tage zu meiner Großmutter gefahren. Gott, Mimi … ich schwöre, wenn ihr was passiert ist … ich mache mir solche Vorwürfe. Ich hätte sie nicht einfach allein gehen lassen sollen.“

Tai vergrub seine Finger in seinem Haar. So hatte ich ihn noch nie gesehen. Und es machte mir Sorgen. Große Sorgen.

„Daran darfst du nicht mal denken, hörst du?“, sagte ich jedoch und setzte mich neben ihm. Ich griff nach seiner Hand und zog sie zu mir auf meinen Schoß, um sie ganz fest zu drücken.

„Wir finden sie, das verspreche ich dir. Und ich bin mir sicher, dass es ihr gut geht.“ Eindringlich sah ich ihn an, doch glaubte ich selbst meinen Worten? Kari war gestern sichtlich aufgebracht gewesen, als sie den Club verlassen hatte. Auch in mir machte sich der Gedanke breit, dass ihr vielleicht etwas zugestoßen sein könnte. Doch das wollte ich Tai nicht merken lassen. Er brauchte mich jetzt.

„Wir finden sie?“, fragte er zaghaft nach.

Ich nickte. „Natürlich. Kari ist nicht nur deine Schwester, sondern auch meine Freundin. Ich werde dir helfen, sie zu suchen.“

Entschlossen stand ich auf und schnappte mir Hope.

„Aber … du musst dich um Hope kümmern. Du hast …“

„Ich habe vor allem eine sehr nette Nachbarin“, unterbrach ich ihn. „Ich werde Frau Hanada erklären, dass es ein Notfall ist. Sie wird es verstehen.“

Hope hatte zum Glück einen guten Tag und lachte vergnügt vor sich hin. „Ich bin bald wieder da, mein Schatz“, versprach ich ihr und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Hope klatschte in die Hände, und sah abwechselnd zwischen Tai und mir hin und her, als würde sie uns anfeuern wollen.

„Keine Sorge, wir finden deine Tante Kari“, lächelte ich zuversichtlich.

„Mimi?“

Tai stand vor mir. Ich sah zu ihm auf. Seine Augen waren ganz weich. Jegliche Wut, die gestern Abend noch in ihnen mitschwang, war verschwunden.

„Danke.“

Meine Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. Es war ein schönes Gefühl zu wissen, dass wir immer noch füreinander da waren, wenn es hart auf hart kam – ganz gleich, was vorher geschehen war. Wir waren immer noch miteinander verbunden. Seine Schmerzen waren auch meine. Und in Tais Augen konnte ich lesen, dass er das ganz genau wusste.

Flashback V – Takeru

Kari zu finden war schwieriger als gedacht. Wir wussten nicht mal, wo wir anfangen sollten. Tai fiel es schwer, aber er telefonierte zunächst sämtliche Krankenhäuser ab.

Nichts.

Dann all ihre Klassenkameraden.

Keine Spur von ihr.

Als ich dann noch die örtliche Polizei übernahm und sie dort auch nicht bekannt war, schwand jegliche Hoffnung. Kari blieb verschwunden.

Aber wo konnte sie nur sein? Sie konnte sich doch nicht einfach in Luft auflösen. Die verrücktesten Szenarien spielten sich in meinem Kopf ab. Dinge, die ich nicht einmal wagte zu denken, geschweige denn sie laut auszusprechen.

„Was machen wir nun?“, meinte ich deutlich verzweifelt, nachdem wir noch mal den Weg vom Club zu den Yagamis abgefahren waren und sie auch dort nirgends finden konnten.

Nun saßen wir beide in Taichis Wagen und hatten keine Ahnung, wo wir weitermachen sollten.

„Ich weiß es nicht.“ Tai ließ den Kopf hängen. Sie konnte überall sein. Und wir hatten nicht die geringste Spur oder auch nur den kleinsten Hinweis.

„Meinst du … meinst du, sie ist abgehauen?“, wagte ich zu fragen, woraufhin Tais Miene sich verfinsterte.

„Ich hoffe es für sie. Denn dann werde ich sie irgendwann finden und ihr die Standpauke ihres Lebens halten, dass sie …“

„Taichi!“, ermahnte ich ihn.

„Ja, ja, ich weiß. Ich mache mir doch nur Sorgen“, sagte er deutlich ruhiger. Frustriert schlug er auf das Lenkrad vor sich. „Verdammt, wo kann sie nur sein?“

Plötzlich öffnete sich eine der Hintertüren und jemand stieg zu uns ins Auto. Erschrocken drehte Tai sich um und sah direkt in das Gesicht von Takeru.

Seine Nase hatte eindeutig schon bessere Tage gesehen.

„Was machst du denn hier?“, motzte Tai direkt drauf los. Takeru warf mir einen kurzen Blick zu.

Tai sah mich wissend an.

„Sei jetzt bitte nicht sauer“, sagte ich und faltete betend die Hände. „Ich habe ihn angerufen.“

„Du hast WAS?“, empörte sich Tai und wäre mir beinahe an die Gurgel gegangen. „Wie kommst du dazu ausgerechnet IHN anzurufen? Er ist doch überhaupt erst schuld an diesem ganzen Theater hier.“

Ich hörte Takeru von hinten verächtlich schnaufen, doch ehe er was erwidern konnte, ergriff ich das Wort.

„Jetzt komm mal runter, ja? Ich habe ihn angerufen, weil er Karis bester Freund ist. Und auch wenn du das nicht wahrhaben willst … er hat mehr für Kari getan als wir alle zusammen. Wenn jemand weiß, wo sie ist, dann er.“

Tai warf erst mir, dann Takeru einen bösen Blick zu, verschränkte jedoch die Arme vor der Brust und ließ sich zurück in seinen Sitz fallen.

„Tai, ich will wirklich nur helfen. Auch mir tut es leid, was gestern passiert ist“, sagte Takeru versöhnlich. Er klang aufrichtig und ich glaubte ihm. Auch wenn das wohl nicht für Tai galt.

„Das kannst du laut sagen“, schnaubte dieser und blickte verbissen in den Rückspiegel.

„Und? Hast du eine Idee?“

Takeru lehnte sich zurück und überlegte. „Habt ihr schon bei ihren Klassenkameraden nachgefragt, ob sie jemand gesehen hat?“

„Das haben wir als Erstes gemacht, Schlaumeier“, antwortete Tai und verdrehte die Augen, wofür er einen Schlag gegen den Oberarm von mir kassierte.

„Also, wenn sie weder dort ist, noch von der Polizei aufgegriffen wurde und auch nicht im Krankenhaus ist, dann …“, überlegte Takeru laut. Er hatte eine Denkermiene aufgelegt und ich hing gespannt an seinen Lippen.

„Dann fällt mir eigentlich nur ein Ort ein, wo sie noch sein könnte.“

Tai wirbelte herum. „Was? Wo? Sag schon!“

„Okay“, sagte Takeru und sah uns bedeutungsvoll an. „Aber bitte lacht nicht. Als das mit unserer „Schein-Verlobung“ noch ganz frisch war, haben wir mal rumgesponnen, wo wir im Fall der Fälle heiraten würden – sozusagen ein Plan C. Natürlich war das nur Spaß, aber …
 

Rückblick
 

„Na, wie war dein Tag?“

Ich brauchte nicht mal von meinem Buch aufsehen, um zu wissen, dass meine beste Freundin gerade durch meine Zimmertür gekommen war, denn sie flog mit einem lauten Knall hinter ihr zu.

Ich lag bäuchlings auf dem Bett und blätterte die Seite meines Buches um, als sie ihre Schultasche in die Ecke pfefferte und sich neben mich schmiss.

„Er war furchtbar. Großes F, großes URCHTBAR!“

Gequält lächelte ich und schlug das Buch zu. Dann sah ich sie an. „Sag schon, was ist passiert? Haben sie dich wieder gemobbt?“

Kari drückte ihr Gesicht ins Kissen und stöhnte hinein. „Nein, viel schlimmer.“

Bedächtig zog ich eine Augenbraue nach oben. Ich bohrte meinen Blick in sie, bis sie sich auf die Seite rollte und mich endlich ansah.

„Sie wollen alle kommen“, sagte Kari kleinlaut.

„Wohin?“

Verstohlen nestelte sie an der Bettwäsche herum.

„Zu unserer Hochzeit.“

Fast musste ich losprusten vor Lachen. „Und das war so furchtbar?“

Kari stöhnte erneut auf und drehte sich auf den Rücken, um an die Decke zu starren. Vielleicht war es ihr aber auch peinlich, mich weiterhin anzusehen. Das verrieten mir zumindest ihre leicht geröteten Wangen.

„Nein, das ist es nicht“, sagte sie geknickt. „Die Mädchen nerven zwar, aber … vorher haben sie mich aufgezogen, weil ich auf ein Mädchen stand und seitdem du mein Freund, na ja, beziehungsweise mein offizieller Verlobter bist, sind sie noch viel schlimmer geworden. Sie lassen mir keine ruhige Minute und quetschen mich in jeder Pause aus – über dich, über unsere Pläne, wann wir heiraten, wo wir heiraten …“ Kari seufzte und griff sich gestresst an die Stirn. „Das ist so anstrengend.“

„Wieso machst du dir darüber überhaupt Gedanken?“, erwiderte ich schulterzuckend. „Wir gehen schließlich erst mal noch ein paar Jahre zur Schule und dann … Ich meine, es wird nie zu dieser Hochzeit kommen.“

„Genau das ist es ja“, antwortete Kari und rieb sich über die Augen. „Wenn sie sich jetzt schon so aufführen, stell dir ihre Reaktionen vor, sobald wir unsere Trennung verkündet haben. Sie werden mir ihr gesamtes Mitleid entgegenschleudern und mich bedauern. Das ertrag ich nicht. Diese Mädchen sind einfach so was von drüber.“

Ich musste grinsen, aber ich konnte auch verstehen, warum Kari so genervt war. Dass diese Schnepfen ihr aber auch ständig auf den Leim gehen mussten.

„Hör auf zu grinsen!“, ermahnte sie mich und schlug mir gegen die Schulter.

„Tut mir leid“, flötete ich unschuldig. „Für dein Problem gibt’s eigentlich nur eine Lösung.“

Plötzlich hatte ich ihr Interesse geweckt.

„Und die wäre?“

„Wir müssen wirklich heiraten“, verkündete ich und sprang über sie hinweg aus dem Bett. Ihre überraschten und zweifelnden Blicke folgten mir, während ich zum Schreibtisch ging.

„Was zum Teufel redest du da, T.K.? Wirklich heiraten? Du kannst mich nicht heiraten. Du hast eine Freundin.“

„Jaah, aber das wissen sie ja nicht.“

Ich schnappte mir meinen Laptop und setzte mich im Schneidersitz vors Bett. Ich musste sie unbedingt auf andere Gedanken bringen. Diese Mädchen waren wirklich schrecklich. Dass sie das jeden einzelnen Tag ertrug, bewies wie stark sie war. Kari hatte nicht verdient, sich so viele Gedanken um die Meinungen der anderen machen zu müssen. Sie musste endlich mal wieder an sich denken. Sollten diese Kühe doch reden, was sie wollten.

Ich öffnete den Internetexplorer und gab etwas in die Suchleiste ein.

„Was hast du vor?“ Kari richtete sich auf und lehnte sich etwas nach vorn, um mir über die Schulter zu gucken.

„Wo willst du heiraten?“

„Was?“

„Wo willst du heiraten?“, fragte ich erneut. Ich spürte ihre fragenden Blicke in meinem Rücken.

„Ach, komm schon. Jedes Mädchen hat doch eine Vorstellung von ihrer Hochzeit. Gib den Gänsen Futter und sie lassen dich in Ruhe“, witzelte ich.

Kari lachte. Und das war alles, was ich wollte.

„Also, was ist?“, hakte ich weiter nach und rief ein paar klassische Hochzeitsseiten auf. Sofort sprangen mir Tüll und rosa Torten ins Gesicht.

Urgs. Standen Mädchen wirklich auf diesen ganzen Kitsch?

„Igitt“, sprach Kari meinen Gedanken aus, als sie mir über die Schulter sah. „Das ist wirklich zu viel des Guten.“

„Allerdings“, bemerkte ich zweifelnd. „Eine riesen Feier, alles ist perfekt dekoriert … ich dachte immer, ihr Mädels steht auf so was.“

„Ich nicht“, widersprach Kari und legte ihren Arm über meine Schulter, um selbst etwas in die Suchleiste einzugeben. Ein neues Fenster öffnete sich.

„Hier, darauf steh ich“, verkündete sie. Als ich das Bild sah, welches sie geöffnet hatte, wusste ich nicht, ob ich lachen sollte. War das ihr Ernst?

„Das … äh … das sieht so gar nicht nach Hochzeit aus“, meinte ich zaghaft.

„Ich weiß.“

Ich betrachtete die Bilder genauer. „Das ist eine winzige Kapelle, irgendwo im Nirgendwo, Kari.“

„Ich weiß. Und sie ist perfekt.“

Zweifelnd warf ich einen Blick über die Schulter. Ich wusste ja, dass sie nicht die Romantikerin vor dem Herrn war, sie war eben nicht wie andere Mädchen. Aber das konnte nicht ihr Ernst sein … Doch Kari ließ sich nicht beirren.

„Und Flitterwochen machen wir hier“, sagte sie bestimmt und öffnete ein weiteres Fenster. Ein altes, fast schon ranziges Motel kam zum Vorschein. Nun war es endgültig um meine Selbstbeherrschung geschehen und ich prustete los.

„Hey, hör auf zu lachen“, entrüstete sie sich.

„Sorry, aber … du willst mich doch auf den Arm nehmen.“

Kari warf mir ein neckisches Grinsen zu. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht.“

„Wie kommt man überhaupt auf so einen Ort?“, fragte ich neugierig, denn ich hatte noch nie davon gehört. „Das sieht ja fast aus wie eine Geisterstadt.“

Kari ließ sich zurück aufs Bett fallen. „Wir waren dort früher mal wandern. Es ist eigentlich ganz schön dort, auch wenn es nicht besonders modern ist. Eigentlich wirkt dieser Ort eher, als wäre er in der Zeit stecken geblieben. Aber weißt du, was ich am meisten dort genossen habe? Die Ruhe.“

Mein Interesse war geweckt und ich klappte den Laptop zu, um mich zu ihr umzudrehen. Sehnsüchtig blickte sie an die Decke. Als könnte sie es vor ihrem geistigen Auge sehen.

„Wenn man einfach mal allein sein und nicht gefunden werden möchte, dann ist das genau der richtige Ort dafür“, seufzte sie. „Ich würde sofort mit dir dorthin durchbrennen. Nur wir beide.“

Ich schwieg, doch ein leichtes Lächeln umspielte meine Lippen. Wäre nicht die allerschlimmste Vorstellung.

„Ich meine … WENN wir wirklich vorhätten zu heiraten“, korrigierte sie sich schnell.

„Schon okay“, meinte ich und legte mich wieder zu ihr aufs Bett. „Jetzt hast du wenigstens etwas, dass du diesen Tussis erzählen kannst. Wobei du es vielleicht noch ein bisschen mehr ausschmücken solltest.“

Kari lachte und ich auch. Es tat gut, sie zur Abwechslung mal fröhlich zu sehen.

Wir hatten es zwar durch unsere Lüge geschafft, dass sie wieder ein einigermaßen ruhiges Leben in ihrer Klasse führen konnte, doch einer Lüge folgte immer eine Weitere. Die Frage war nur: was war das kleinere Übel? Wir entschieden uns beide für die Lüge. Denn die Wahrheit zu sagen, war definitiv keine Option mehr gewesen …
 

Ein Grinsen huschte über meine Lippen, als Takeru zu Ende erzählt hatte. „Von wegen nicht romantisch.“

Auch Takeru musste bei diesen Erinnerungen lächeln. „Ich habe das damals natürlich nicht so ernst genommen. Aber, wenn ich jetzt so über ihre Worte nachdenke … Sie ist meine beste Freundin und bedeutet mir alles. Wenn es auch nur den Hauch einer Chance gibt, dass wir sie finden, dann dort.“

Wow. Und ich fragte mich, wie Kari sich in Takeru verlieben konnte? Die beiden waren perfekt zusammen. Unfassbar, dass er das nicht sehen konnte.

Tai runzelte skeptisch die Stirn. „Und du denkst jetzt, sie wäre in dieser kleinen Kapelle?“

Hmm, wirklich ein etwas absurder Gedanke, da hatte Tai recht.

Takeru schüttelte den Kopf. „Nein, nein. Aber Fakt ist, wenn jemand durchbrennen und nicht gefunden werden will, dann wäre dieses alte Motel genau der richtige Ort dafür. Oder eher: es wäre der richtige Ort für Kari.“

Fragend sah ich zu Tai. Es wäre ein Versuch wert. Und es war der einzige Anhaltspunkt, den wir hatten.

Tai überlegte kurz und nickte dann, ehe er den Motor startete. „Okay, dann bring uns dort hin.“
 

Die Fahrt dauerte fast zwei Stunden. Irgendwann befanden wir uns in einem kleinen Dörfchen nordwestlich von Tokyo, was ich noch nie zuvor gesehen hatte.

„Wow“, meinte ich, als wir die wenig bewohnten Straßen entlangfuhren. Nirgendwo war auch nur eine Menschenseele zu sehen. „Ich hätte nicht gedacht, dass es in der heutigen Zeit noch solche Dörfer gibt. Das ist geradezu mittelalterlich.“

„Nun übertreib mal nicht“, entgegnete Tai knapp und wies auf ein paar Strommäste. „Immerhin haben sie hier Elektrizität.“

„Jaah, welch ein Wunder.“ Ich drehte mich zu Takeru um. „Und hier wolltet ihr heiraten? Ernsthaft?“

Takeru zuckte grinsend mit den Schultern. „Es war nur Spaß, Mimi.“

„Na, hoffentlich sind wir jetzt nicht nur zum Spaß hier rausgefahren“, murrte Tai. Irgendwie konnte ich seine Skepsis verstehen. Dass Kari sich ausgerechnet hier aufhalten sollte, war fast schon unvorstellbar. Doch ich vertraute T.K. und seiner Intuition. Verstohlen warf ich Tai einen Seitenblick zu. Ob ich ihn auch finden würde? Kannte ich ihn so gut wie T.K. Kari kannte?

Tai warf mir einen kurzen, misstrauischen Blick zu, als er bemerkte, wie ich ihn beobachtete. „Was ist?“

Schnell drehte ich mich weg und sah wieder aus dem Fenster. „Ach, nichts.“

„Da vorne ist es.“ Takeru lehnte sich nach vorn und deutete mit dem Finger auf ein paar alte Häuser. Wobei alt noch gelinde ausgedrückt war. Kaum vorstellbar, dass in diesem Motel überhaupt noch irgendjemand übernachten wollte.

„Und du bist dir auch ganz sicher, dass es das ist?“, fragte ich zweifelnd nach.

T.K. nickte. „Ganz sicher. Ich erkenne es wieder.“

Ich bekam eine Gänsehaut, als Tai abbog und auf den Parkplatz fuhr. Tatsächlich befanden sich außer uns auch noch zwei andere Autos dort.

„Die Rezeption scheint besetzt zu sein. Kommt, wir fragen nach, ob Kari hier eingecheckt hat“, sagte Takeru und sprang voller Tatendrang aus dem Wagen.

Tai wollte ihm folgen, doch ich griff nach seinem Jackenärmel und hielt ihn zurück.

„Was ist denn?“

„Geh da nicht rein“, flehte ich und legte eine sorgenschwere Miene auf. „Bitte. Hier ist es unheimlich.“

Ich war mir nicht sicher, ob Tai lachen oder genervt die Augen verdrehen wollte. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem. Doch stattdessen sah er mich nur komisch an und riss sich dann von mir los.

„Sei nicht albern, Mimi. Warte einfach hier, ich bin gleich wieder da.“

Und noch bevor ich irgendwie protestieren konnte, war er aus dem Auto gestiegen und hatte die Tür hinter sich zugeschlagen. Missmutig blickte ich ihm hinterher, während er über den Parkplatz zur Rezeption spazierte.

Warte einfach hier? Ja, klar. Was sonst? Dieser Ort war ja auch nur minimal gespenstisch. Dass das Wetter sich trübte und dunkle Wolken am Himmel aufzogen machte es nicht besser.

Je länger es dauerte, umso unruhiger wurde ich. Wie kam Takeru nur darauf, dass Kari an so einem Ort sein könnte? Ich würde nicht mal in meinen Albträumen hierher flüchten. Um mich abzulenken, scrollte ich durch mein Handy.

Na, klasse. Keinen Empfang.

Ich steckte es wieder in meine Hosentasche. Im nächsten Moment flog die Tür zum Fahrzeug auf und ich zuckte zusammen.

„So eine Kuh!“, fluchte Tai laut, ließ sich auf den Fahrersitz fallen und knallte die Tür zu.

Takeru schlüpfte wieder auf den Rücksitz.

Abwechselnd sah ich beide erwartungsvoll an. „Und?“

„Sie ist nicht da“, maulte Tai und verschränkte verärgert die Arme vor der Brust.

„Also, sie ist schon da“, berichtigte Takeru ihn. „Nur nicht im Moment.“

Verwirrt zog ich die Stirn kraus. „Und … das heißt?“

„Sie ist vor ein paar Stunden wandern gegangen und hat ihren Schlüssel vorne an der Rezeption abgegeben. Ich wollte den Schlüssel zu ihrem Zimmer haben, damit sie mir gar nicht erst wieder entwischen kann. Falls sie überhaupt noch mal hierher zurückkommt. Aber diese dämliche Tante weigert sich, ihn mir zu geben. Diese dumme, alte KUH“, schrie Tai nun sein Seitenfenster an, als würde seine Stimme ernsthaft nach draußen und bis zur Rezeption dringen.

Seufzend ließ sich Takeru zurück in seinen Sitz fallen. „Uns bleibt wohl nichts anderes übrig als abzuwarten.“

„Das bringt doch nichts“, regte sich Tai weiter auf. Sein Kiefer malmte vor Wut. „Ich bin ihr Bruder. Versteht diese Schrulle denn nicht, dass ich mir nur Sorgen mache?“

Ich legte den Kopf schief und überlegte. Ich konnte seine Wut nur all zu gut verstehen. Wir waren den ganzen weiten Weg hier rausgefahren, um Kari zu finden. Und jetzt war sie nicht da und keiner wusste, ob sie überhaupt vorhatte wiederzukommen. Wir konnten uns hier die Nacht um die Ohren schlagen. Ob sie wieder auftauchen würde, wusste keiner.

„Und ihr habt euch einfach so abwimmeln lassen?“

Verständnislos wandte Tai mir den Kopf zu. „Was hätten wir denn tun sollen? Sie verprügeln, bis sie den Schlüssel rausrückt?“

„Oh, man“, stöhnte ich. „Du hast ehrlich zu viele Filme gesehen. Gib mal deine Kreditkarte.“ Fordernd hielt ich die Hand auf, während Tai mich ansah, als ob ich nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte.

„Jetzt ist wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um shoppen zu gehen, Mimi. Und außerdem, ich bezweifle, dass es hier überhaupt …“

„Halt den Mund, Tai“, schnauzte ich ihn an, beleidigt darüber, dass er so etwas von mir dachte. „Shoppen? Dein Ernst? Hier würde ich nicht mal ein paar Socken kaufen. Und nun gib endlich her.“

Unruhig wackelte ich mit den Fingern. Tai musterte mich zwar immer noch zweifelnd, tat dann jedoch, worum ich ihn gebeten hatte.

„Fein“, meinte ich, als ich seine Kreditkarte genauer betrachtete. „Damit müsste es gehen. Welches Zimmer hat sie?“

„103“, antwortete Takeru.

Ich sah mich kurz auf dem Parkplatz um. Niemand zu sehen. Dann schlüpfte ich aus dem Auto und ging geradewegs auf eines der Häuser am anderen Ende des Parkplatzes zu.

„Warte mal“, rief Tai mir hinterher. Ich hörte zwei Autotüren zuschlagen. „Was hast du denn vor?“

Ich vergeudete keine Zeit damit, ihm eine Antwort zu geben, sondern suchte stattdessen nach Zimmernummer 103. Als ich sie fand, blieb ich direkt davor stehen, sah mich noch ein mal um und machte mich dann daran, die Karte durch die Türöffnung zu schieben.

„Oh man, Mimi. Was machst du denn da?“, flüsterte Takeru leicht aufgebracht, als sie bei mir ankamen. „Das kannst du doch nicht machen. Das ist Einbruch.“

Ja, höchstwahrscheinlich war es das. Doch hatte ich deswegen ein schlechtes Gewissen?

„Halt mir keine Moralpredigt, okay? Steht lieber Schmiere.“

Ich beachtete die beiden nicht weiter, sondern konzentrierte mich stattdessen darauf, die Karte so zu postieren, dass sie im Türschloss griff. Wenige Sekunden später hatte ich es. Das Schloss klackte und sprang auf.

„Et voilà“, flötete ich und trat ein, um Tai und Takeru die Tür aufzuhalten.

T.K. klappte der Mund auf und er sah sich ängstlich um, ehe er schnell ins Zimmer huschte. Tai folgte ihm und warf mir einen anerkennenden Blick zu. „Wer hat hier zu viele Filme gesehen?“

Ich grinste ihn breit an. Dann schloss ich leise hinter uns die Tür.

„Ihre Sachen scheinen noch da zu sein“, stellte Takeru sofort fest, während ich mich suchend im Raum umsah. Neben ihrem Bett stand ein Rucksack, gefüllt mit Klamotten. Das Bett sah nicht benutz aus, doch auf dem Nachttisch lag die Verpackung eines Sandwiches und ein paar Müsliriegel. Oh man, Kari. Wenn man vorhatte zu türmen, sollte man definitiv bessere Verpflegung mitnehmen.

„Es ist ein gutes Zeichen, dass ihre Sachen noch da sind. Das heißt, sie wird hierher zurückkommen“, schlussfolgerte Tai. Ich nickte zustimmend. Jetzt mussten wir wirklich nur noch warten.

Und das taten wir.

Eine Stunde …

Zwei Stunden …

Drei Stunden …

Beinahe wäre ich auf dem Bett weggedöst, während Tai vorne auf der Bettkante saß und durch das Fernsehprogramm zappte. Takeru saß im Schneidersitz neben mir und legte eine ernste Miene auf.

„Leute, ich habe eine Bitte an euch“, meinte er plötzlich. Ich sah zu ihm auf. Tai warf einen Blick über die Schulter.

„Wenn Kari nachher kommt …“, setzte Takeru an.

„Wann auch immer das sein möge“, ergänzte ich gähnend und rieb mir die müden Augen.

„Dann möchte ich zuerst mit ihr sprechen.“

„Was?“, platzte es aus Tai heraus. „Was ist das wieder für eine bescheuerte Idee? Wie kommst du dazu, zuerst mit ihr sprechen zu wollen? Sie ist schließlich meine Schwester und ich …“

Oh, bitte. Nicht schon wieder dieses Platzgehabe. Genervt verdrehte ich die Augen.

„Aber ich denke doch nur …“

„Nichts da“, maulte Tai weiter. „Ich bin ihr Bruder und wenn jemand zuerst mit ihr redet, dann ja wohl ich. Und außerdem hast du …“

„TAI“, fuhr ich dazwischen. Mit einem Mal saß ich kerzengerade im Bett. „Du lässt ihn ja überhaupt nicht zu Wort kommen.“ Tai presste die Lippen aufeinander, während ich ihn fordernd ansah.

„Hör endlich auf, dich hier so aufzuspielen. Wir alle wissen, dass du wütend und enttäuscht bist, weil Kari einfach abgehauen ist, anstatt noch mal mit dir zu reden“, sagte ich. „Aber vielleicht ist genau das der Punkt. Hätte sie mit dir reden wollen, wäre sie nicht weggelaufen.“

„Ja, aber …“

„Nichts aber! Nur dank T.K. sind wir jetzt hier. Also zeig gefälligst mal ein bisschen Dankbarkeit und lass ihn zuerst mit Kari sprechen. Ich denke, das ist eine gute Idee. Schließlich sind die Zwei beste Freunde.“

Tai wollte ansetzen, um zu wiedersprechen, doch mein mahnender Blick ließ ihn verstummen. Wenn ich noch ein Mal die Worte „Aber“ oder „Ich bin ihr Bruder“ zu hören bekam, wäre ich ihm an den Hals gesprungen. Auch wenn er sauer auf Takeru war und auch allen Grund dazu hatte, konnte er ihm ein wenig entgegenkommen. Zumal es hier nicht um die beiden ging, sondern um Kari. Ich hielt es ebenso wie Takeru für das Beste, wenn er zuerst mit ihr sprach.

„Danke, Mimi.“ Takeru warf mir einen erleichterten Blick zu. Ich lächelte zurück, während Tai in sich rein grummelte. Sollte er doch, dieser alte Miesepeter.

Im nächsten Moment zuckten wir jedoch alle zusammen und sahen uns überrascht an, denn vor der Tür waren Schritte zu vernehmen. Das musste sie sein!

Liebe

Ich sprang vom Bett auf. „Mist! Und was jetzt?“

Takeru sah sich hektisch im Zimmer um. Sein Blick blieb am Kleiderschrank hängen. Seine Augen huschten kurz zu mir, doch er deutete meinen Blick genau richtig.

„Vergiss es!“

„Dann geht ins Badezimmer“, flüsterte er, packte mich an den Schultern und schob mich in Richtung Bad.

Tai stand auf und stemmte die Hände in die Hüfte. „Was? Wir sollen uns da drin verstecken? Du hast sie doch nicht mehr alle.“

Ich stöhnte und machte auf dem Absatz kehrt, um ihm am Ärmel zu packen.

„Stell dich nicht so an. Wir haben versprochen, dass T.K. zuerst mit ihr sprechen darf.“

„Wir? Du vielleicht. Ich habe gar nichts versprochen.“ Tai blieb eisern und ich wollte ihm gerade eine Standpauke halten, als von draußen ein Schlüssel ins Schlüsselloch gesteckt wurde. Ich hielt die Luft an. Na, toll. Wenn Kari uns drei hier drin zu sehen bekam, machte sie doch direkt auf dem Absatz kehrt.

Die Tür öffnete sich langsam, doch dann hielt sie inne. Eine weibliche Stimme sprach sie an und hielt sie somit davon ab, das Zimmer zu betreten. Wahrscheinlich war es eines der Zimmermädchen, denn sie entschuldigte sich dafür, dass sie noch nicht dazu gekommen sei, Karis Zimmer zu säubern.

Erleichtert atmete ich aus.

„Man, Tai. Jetzt komm schon!“ Ich zerrte weiter an seinem Ärmel und betete, dass er wenigstens ein Mal nicht seinen Dickkopf durchsetzen würde. Nur ein einziges Mal.

Nach kurzem hin und her, rollte er mit den Augen und ließ sich schließlich von mir ins Badezimmer schleifen, als sich auch schon die Tür zum Zimmer öffnete.

„T.K. … was machst du denn hier?“, hörte ich Kari noch sagen, doch dann verstummten ihre Stimmen, als ich die Badezimmertür ganz schloss. So war es richtig. Die beiden hatten noch gar keine Gelegenheit dazu gehabt, über alles zu sprechen. Außerdem war da ja noch eine weitere Sache, die Kari vor ihrem besten Freund geheim hielt.

Innerlich drückte ich den beiden die Daumen, während Tai sich stöhnend auf den Fußboden sinken ließ und gegen die Badewanne lehnte.

Irritiert wandte ich meinen Kopf in seine Richtung. „Was machst du da?“

„Na, was wohl“, antwortete er deutlich schlecht gelaunt. „Das wird sicher ein längeres Gespräch. Also mache ich es mir gemütlich. Komm, setz dich zu mir, Prinzessin.“ Er klopfte mit der flachen Hand neben sich auf den Boden.

Ich musterte die Fliesen, auf denen Tai es sich „gemütlich“ gemacht hatte und verzog angewidert das Gesicht.

„Auf keinen Fall.“

Er zuckte mit den Schultern. „Dachte ich mir.“

Ich ging zur Toilette, die ihm gegenüber stand und wollte mich auf den Klodeckel setzen. Dieser fing jedoch gefährlich an zu knirschen, als ich mich auf ihm niederließ, weswegen ich schnell wieder aufsprang.

Verärgert verschränkte ich die Arme vor der Brust. Was war das hier nur für eine Bruchbude? Der Kleiderschrank erschien mir im Nachhinein doch die bessere Wahl gewesen zu sein.

Tai sah zu mir auf. „Willst du jetzt die ganze Zeit da rum stehen?“

„Na, und wenn schon“, erwiderte ich und biss mir auf die Unterlippe. Ich schielte in die Wanne hinter Tai und befand sie als annehmbar. Kurzerhand stieg ich über ihn hinweg und setzte mich hinein. Na ja, bequem war sie nicht. Aber es war immerhin besser, als sich die Beine in den Bauch zu stehen oder sich auf die Fliesen zu setzen, die definitiv schon bessere Tage gesehen hatten.

„Willst du jetzt ein Bad nehmen?“, fragte Tai und warf einen skeptischen Blick über die Schulter.

„Ja, natürlich, Taichi“, antwortete ich trotzig. „Ich möchte jetzt gerne ein heißes Bad nehmen. Hast du vielleicht irgendwas dagegen?“

„Tu dir keinen Zwang an.“ Ich sah aus dem Seitenwinkel, wie ein freches Grinsen seine Lippen umspielte, ehe er sich wieder nach vorne wandte.

Wir schwiegen eine ganze Weile. Wahrscheinlich war Tai so verärgert über diese ganze Situation, dass er keine Lust hatte zu reden. Oder aber keiner von uns beiden wusste, was er sagen sollte. Wir hatten uns immer noch nicht ausgesprochen. Weder über unser gemeinsames Wochenende, das im Drama endete, noch über Sora, die am vergangenen Abend einfach so vor dem Club aufgetaucht war und mir erzählt hatte, dass Tai ihr …

„An was denkst du gerade?“, durchbrach Tai plötzlich die Stille und riss mich somit aus meinen Gedanken.

Geknickt ließ ich den Kopf hängen und nestelte am Saum meines Pullovers herum.

„Das willst du nicht wissen.“

Ein leises Lachen drang aus Tais Kehle. Dann verstummte er wieder.

Ich schluckte schwer. Früher oder später musste ich ihm sagen, was ich erfahren hatte. Denn es wurde alles immer schlimmer. Ich hatte das Gefühl, als würden wir uns immer weiter voneinander entfernen. Je mehr ich über die Vergangenheit erfuhr, umso schmerzlicher wurde mir bewusst, dass wir vielleicht keine Zukunft mehr hatten.

„Tai?“, fragte ich schließlich zaghaft.

„Mmh?“

„Du hast mir noch gar nicht gesagt, was du darüber denkst.“

„Worüber?“

„Über Kari und …“

Tai schnaufte. „Es ist doch völlig egal, was ich darüber denke“, sagte er ruhig. „Ich will nur, dass sie glücklich ist, mehr nicht.“

Erleichtert atmete ich aus. Das war er – der Tai, den ich kannte und liebte.

„Ich bin trotzdem sauer auf sie“, ergänzte er mit fester Stimme. „Sie hätte eher mit mir reden sollen. Sie hätte sich mir anvertrauen sollen, nicht diesem … Und überhaupt ist doch Takeru an allem schuld. Wieso hat er da überhaupt mitgemacht? Er hätte sie davon abhalten müssen. Und sie hätte zu mir kommen und mit mir darüber reden sollen.“

Fast musste ich grinsen. Irgendwie war es ja auch süß, dass er seine kleine Schwester beschützen wollte und ganz natürlich. Trotzdem musste er einsehen, dass er in ihrem Leben nun mal nicht immer die erste Geige spielte. Und es eben manchmal auch Dinge gab, die man dem großen Bruder nicht auf die Nase band. Kari war stärker als er dachte. Denn sie hatte Takeru an ihrer Seite.

„Ich kann verstehen, dass du sauer bist“, sagte ich. „Trotzdem hättest du ihn nicht schlagen dürfen. Meinst du, Kari hätte das gewollt? Du musst einsehen, dass sie kein kleines Kind mehr ist und ihre eigenen Entscheidungen trifft. Auch wenn es nicht immer die Richtigen sind.“

Tais Antwort war lediglich ein Grummeln, denn er wusste, dass ich recht hatte. Trotzdem musste ich auflachen.

„Ist das denn so schwer? Wieso kannst du nicht einfach über deinen Schatten springen, Tai?“

Im nächsten Moment sprang Tai auf und schwang sich über den Badewannenrand zu mir in die Wanne. Leicht erschrocken fuhr ich zusammen und zog instinktiv die Beine an, während er sich vor mich hinhockte und mich ernst dreinblickend ansah.

„Und du? Wieso kannst du nicht über deinen Schatten springen?“, entgegnete er verbissen.

„Hör auf, darum geht es hier nicht.“ Ich wich seinem Blick aus.

„Und um was geht es dann?“ Seine Augen bohrten sich förmlich in mich und ich hatte keine Chance zu entkommen.

„Du wolltest gestern mit mir reden“, sagte Tai ruhig, aber bestimmt. „Und ich denke, wir sollten es endlich hinter uns bringen.“

Überrascht sah ich ihn an. „Hinter uns bringen?“

Tai seufzte und ließ leicht den Kopf hängen. „Mimi, wenn du das mit uns beenden willst, dann tu’s einfach.“

„Was?“ Erschrocken fuhr ich hoch. „Wie kommst du denn darauf?“

„Wie ich darauf komme?“, entgegnete Tai leicht gereizt. „Na ja, anscheinend vertraust du mir nicht und wirst es in naher Zukunft auch nicht tun. Was meinst du, warum ich dir die letzten Tage aus dem Weg gegangen bin? Ich hatte einfach Angst vor der Wahrheit. Ich wollte sie nicht hören. Aber je länger ich es hinauszögere, umso schmerzhafter wird es, also … bring es hinter dich und sag mir, was du denkst.“

Sein Blick war so fordernd und doch gleichzeitig so schmerzerfüllt. Als würde er nach Erlösung schreien. Deswegen war er mir also ausgewichen? Weil er befürchtete, ich wollte ihn nicht mehr an meiner Seite haben?

„Was redest du da für einen Unsinn, Tai?“ Ich schnellte nach vorne und griff nach seiner Hand. „Ich will das mit uns nicht beenden. Nein, das will ich nicht!“

„Und was willst du dann?“

Diese Frage traf mich eiskalt. Ich schluckte schwer und ließ mich wieder an die Rückwand der Badewanne fallen. Seine Hand entglitt mir. „Ich weiß es nicht.“

Ich wusste nur, dass allein der Gedanke daran, ihn nicht mehr in meinem Leben zu haben unerträglich war.

„Hmm“, machte Tai und lehnte sich nun ebenfalls zurück. Er zog wie ich die Beine an und kaute unruhig auf seiner Unterlippe herum. Diese Situation zerfraß uns allmählich von innen heraus. Und ich wusste nicht, wie lang wir das noch so machen konnten. Tai hatte recht. Wir mussten der Wahrheit endlich ins Gesicht blicken.

„Ich habe gestern Sora getroffen“, sagte ich schließlich mit schwerem Herzen, wobei mir die Worte fast im Halse stecken blieben.

Gefasst, aber deutlich beunruhigt blickte Tai auf. „Du hast Sora getroffen?“

Ich nickte. „Sie hat mich vor dem Club abgefangen. Sie wollte eigentlich zu Matt, aber ich konnte sie davon abhalten. Er hat es verdient, dass sie ihn eine Weile in Ruhe lässt.“

Mir entging nicht, wie Tais Miene sich schlagartig veränderte, als ich seinen Namen erwähnte. Er sagte zwar, er hätte uns verziehen, aber nach dem gestrigen Abend war ich mir da nicht mehr so sicher, dass dieser Kuss nicht doch mehr an Tai nagte als er zugeben wollte.

„Na ja, jedenfalls …“, fuhr ich fort. Es war Zeit, es hinter mich zu bringen. „Sie hat mir erzählt, was sie damals für dich empfunden hat oder … immer noch empfindet. Wie du reagiert hast, als du von meinem Umzug erfahren hast. Wie ihr bewusst wurde, dass du in mich verliebt bist und nicht in sie. Und wie es letztendlich dazu kam, dass ihr …“

Ich hätte ihm die Worte vor die Füße spucken können, deswegen sprach ich sie am besten gar nicht erst aus. Allein daran zu denken, versetzte mir jedes Mal wieder einen Stich ins Herz.

„Und das hat dich verunsichert?“, fragte Tai geduldig nach und hörte dabei nicht auf, mich anzusehen, was es nur noch schlimmer machte. „Das sind alles Dinge, die du schon wusstest.“

Ja, da hatte er recht. Dieses Geheimnis war längst kein Geheimnis mehr, sondern eine offene Tatsache. Die beiden hatten eine Nacht miteinander und mehr war da nicht – dachte ich, bis gestern.

Mein Herz begann, wie wild gegen meine Brust zu schlagen. Ich zog die Beine noch etwas enger an meinen Körper, als könnten sie mir irgendeinen Schutz bieten. Doch diesen Schutz, nach dem ich mich sehnte, gab es nicht. Denn die Wahrheit hatte sich schon längst wie eine ätzende Krankheit in mein Herz gefressen.

„Ja, du hast recht. Das alles wusste ich“, sagte ich schließlich mit gesenkter Stimme. „Was ich nicht wusste ist, dass du ihr Erster warst.“

Ich kniff die Augen zusammen, um die Tränen irgendwie zurückzuhalten. Den dicken Kloß in meinem Hals irgendwie hinunter zu schlucken. Doch, dass Tai nichts darauf antwortete, machte es mir nur umso schwerer.

„Was soll das heißen?“, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit des Schweigens.

Ich schlug die Augen auf und sah ihn fassungslos an. „Was das heißen soll?“, platzte es viel zu laut aus mir heraus. „Fragst du mich das ernsthaft?“, entgegnete ich nun etwas leiser, doch nicht weniger entsetzt. „Es soll genau das heißen, was ich gesagt habe: du warst ihr Erster. Gott verdammt noch mal.“

Darüber zu fluchen machte es auch nicht besser. Und, dass Tai so gelassen blieb ebenso wenig.

Nachdenklich legte er den Kopf schief. „Das wusste ich nicht“, gestand er. „Und diese Tatsache wühlt dich so auf?“

Wären wir nicht zusammen in diesem Badezimmer eingesperrt, wäre mir auf der Stelle der Kragen geplatzt. Wie konnte er nur so gleichgültig darauf reagieren?

„Sag mal, willst du mich verarschen?“

Ich spürte, wie die Enttäuschung von Wut überschwemmt wurde und mir die Hitze ins Gesicht trieb.

Tai hingegen setzte ein leichtes Grinsen auf und beugte sich zu mir nach vorne, so weit, damit er mein Gesicht berühren konnte. Sanft strich er mir eine Haarsträhne hinters Ohr, während ich ihn unverwandt wütend ansah. Meine Atmung ging viel zu schnell und ich glaubte, dass sogar meine Nasenflügel vor Zorn bebten.

„Was habt ihr Mädchen nur immer damit?“, fragte Tai leise.

„Womit?“, presste ich unter zusammengebissenen Zähnen hervor.

„Weißt du, Mimi … ich finde das alles nicht so wichtig. Für mich zählt es nicht, wer dein Erster war oder wer Soras Erster war. Würde das etwas bedeuten, hieße es, die Vergangenheit würde etwas bedeuten. Doch das tut sie nicht. Wobei …“, sein Grinsen wurde breiter „ich schon gerne dein Erster gewesen wäre.“

Ich spürte, wie meine Wangen rot anliefen – doch diesmal nicht vor Wut. Sondern vor Verlegenheit.

„Spielt das denn wirklich eine Rolle für dich? Für mich tut es das nicht. Es hat keine Rolle für mich gespielt, wer der Vater deines Kindes ist und es wird auch keine Rolle für mich spielen, an wen Sora ihr erstes Mal verschwendet hat. Denn glaub mir, das hat sie.“

Ich konnte nicht anders, als leise aufzulachen. So wie er es sagte, klang es plötzlich viel weniger schlimm. Eigentlich klang es total lächerlich, denn aus der Perspektive hatte ich es noch gar nicht betrachtet. Tai vergrub seine Fingerspitzen in meinen Haaren und sein Blick suchte meinen.

„Lass die Vergangenheit nicht länger unsere Gegenwart bestimmen, Mimi. Wenn du das zulässt, werden wir nie glücklich sein. Und noch etwas: mir ist es auch völlig egal, wer meine Erste war. Das hat überhaupt keine Bedeutung. Nicht mehr. Aber wir – wir bedeuten etwas. Du wirst zwar nicht mehr meine Erste sein können, aber ich will, dass du meine Letzte bist. Ich liebe dich, Mimi. Und das ist alles was zählt.“

Und mit diesen Worten brach er sämtliches Eis und die Mauer, die wir um uns errichtet hatten. Nahezu gleichzeitig kamen wir aufeinander zu und unsere Lippen verschmolzen zu einem innigen Kuss. Einen Kuss, der mir zeigte, dass er recht hatte. Dass alle Worte wahr waren, die er gesagt hatte. Denn genau so sollte es sein – die Vergangenheit durfte keine Rolle mehr spielen. Nicht, wenn wir beide miteinander glücklich werden wollten. Tai brachte mein Herz immer noch zum höherschlagen und ich wollte dieses Gefühl für nichts in der Welt aufgeben. Nicht für die Vergangenheit, nicht für die Fehler, die wir begangen hatten und schon gar nicht für Sora.

Tränen bahnten sich ihren Weg meinem Gesicht entlang, woraufhin Tai im Kuss innehielt. „Du sollst doch nicht weinen“, sagte er und strich mir liebevoll über die Wange.

„Tut mir leid“, wisperte ich lächelnd und versuchte mir die Tränen wegzuwischen, doch sie rannen unaufhaltsam weiter.

„Komm her.“ Tai zog mich fest an sich und umschloss mich mit seinen Armen. Wie hatte ich ihn vermisst … und das alles hätte ich fast aufgegeben. Wegen eines weiteren dummen Geheimnisses, dass mich nicht betraf. Ich durfte Soras Probleme nicht zu meinen werden lassen und schon gar nicht durfte ich von ihnen unsere Beziehung bestimmen lassen.

Wir mussten endlich nach vorne blicken und nicht zurück.

Beruhigend streichelte Tai mir übers Haar, während ich mich an ihn klammerte und seinen unvergleichlichen Duft einatmete, der mir so sehr gefehlt hatte.

„Geht’s wieder?“

Ich nickte und löste mich langsam von ihm. „Es tut mir leid.“

Tai grinste. „Was denn?“

Ich zuckte mit den Schultern. „Alles?“

„Muss es nicht, ist schon gut“, lachte er leise auf. „Ich war an unserem Streit ja auch nicht ganz unschuldig. Es tut mir leid, dass sie unser Wochenende kaputt gemacht hat.“

Ich rollte mit den Augen. Ich wollte nicht mehr daran denken, nie wieder. Zumindest nicht an den Streit. An alles andere schon.

„Wir könnten das ja irgendwann wiederholen“, säuselte ich und fuhr mir durchs Haar, während ich ihm einen verführerischen Blick zuwarf.

„Hört sich nicht schlecht an“, erwiderte Tai amüsiert und beugte sich nach vorn, um mich erneut zu küssen. Seine Lippen endlich wieder auf meinen zu spüren, war definitiv das Beste in den letzten Tagen. Er zog mich noch enger an sich, während unser Kuss immer inniger und verlangender wurde. Mein Unterleib zeigte mir deutlich, wie sehr ich mich nach ihm gesehnt hatte. Doch als seine Hand unter meinen Pullover glitt, schob ich ihn sachte von mir.

„Du vergisst wohl, wo wir sind?“

Er grinste. „Ach, das dauert sicher noch Stunden da draußen.“

Plötzlich musste ich kichern, als mir wieder bewusst wurde, an welchem Ort wir uns hier befanden und warum wir eigentlich hier waren.

„Wie kann man eigentlich hier landen?“

Tai zog eine Augenbraue nach oben. „Was meinst du?“

„Na ich meine Kari … wie ist sie überhaupt hierhergekommen? Mit dem Zug? Haben die hier überhaupt einen Bahnhof?“

Tai zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung, aber wahrscheinlich hat sie ihr Sparschwein geplündert, um hierherzukommen.“

„Daran bist nur du schuld!“, meinte ich und zeigte anklagend mit dem Finger auf seine Brust.

„Wie bitte?“

„Hättest du nicht so furchtbar kindisch und unreif reagiert, säßen wir jetzt nicht hier.“

„Du meinst hier, in dieser wunderbar gemütlichen Badewanne?“ Tai verschränkte die Arme hinter dem Kopf und lehnte sich gemütlich zurück, als wäre das hier gerade der reinste Luxusurlaub.

Ich grinste breit. „Du Spinner.“ Dann sprang ich aus der Badewanne und schlich zur Tür, um sie leise zu öffnen.

„Was hast du vor?“, fragte Tai.

„Vor allem habe ich vor, heute noch zurück nach Hause zu meiner Tochter zu kommen. Und natürlich möchte ich unsere Versöhnung feiern.“ Ich warf ihm einen vielsagenden Blick über die Schulter zu, den Tai nur allzu gern erwiderte.

Langsam öffnete ich die Tür einen Spalt breit und versuchte ein paar Worte zu erhaschen.

„Lauschen gehört sich nicht, Mimi“, tadelte mich Tai von hinten, doch das quittierte ich nur mit einem Zischen. „Ssscht!“

Kurentschlossen stieg Tai aus der Wanne und kam zu mir rüber geschlichen, um ebenfalls ein Ohr an die Tür zu legen.

„Wie war das? Lauschen gehört sich nicht?“

„Ssscht!“, kam es diesmal von ihm und ich musste grinsen. Natürlich war er genauso neugierig wie ich, was sich da draußen ohne uns abspielte.
 

„Was willst du jetzt machen?“, hörte ich Takeru sagen.

Ich warf einen Blick durch den Türspalt und konnte sehen, wie beide auf dem Bett saßen und er ihre Hand hielt.

„Ich weiß nicht so recht“, gestand Kari ihm schulterzuckend und blickte traurig zu Boden. „Ich denke, ich muss mich so langsam dem allen stellen. Das bin ich mir selbst schuldig. Und dir. Und allen, die ich angelogen habe. Oh, und deiner Freundin natürlich. Ich wollte nie, dass das zu so einer großen Nummer wird.“ Karis Stimme klang so aufrichtig und in dem Moment war ich unheimlich stolz auf sie.

„Jaah, was das angeht …“ Takeru kratzte sich verlegen am Hinterkopf.

„Das hat sich erledigt.“

Erschrocken sah Kari auf. „Was meinst du damit, das hat sich erledigt?“

„Na ja“, sagte Takeru „sie hat gestern noch mit mir Schluss gemacht.“

„Was? Oh mein Gott.“ Kari schlug entsetzt die Hände vor den Mund. „Das wollte ich nicht. Es tut mir so leid, das ist alles meine Schuld! Ich werde mit ihr reden und ihr sagen, dass das alles vorbei ist und …“

„Kari, komm mal runter“, unterbrach Takeru sie und versuchte sie zu beruhigen. „Die Sache ist endgültig, glaub mir. Und wahrscheinlich ist es sogar besser so. Auch unsere Beziehung hat von Anfang an auf einer Lüge beruht. So was hat nun mal keine Zukunft – selbst wenn wir jetzt noch mal von vorne anfangen würden. Ich wusste schon lang, dass es irgendwann so enden würde, also … habe ich mich bereits damit abgefunden. Und für sie ist es das Beste, wenn wir uns erst mal nicht sehen.“
 

„Oh, dieser Samariter“, nuschelte Tai genervt hinter mir, woraufhin er einen leichten Tritt gegen sein Schienenbein kassierte.
 

Kari antwortete nicht, starrte ihren besten Freund nur weiter fassungslos an. Ich konnte sehen, wie sie schlucken musste.

„Das … okay … das war mir nicht bewusst. Ich fühle mich trotzdem irgendwie schuldig.“

Takeru schüttelte bedacht den Kopf. „Muss es nicht. Ich alleine bin daran schuld. Es war meine Idee und ich habe diese Lüge immer vorn angestellt, weil ich wollte, dass es dir gut geht. Das war mir immer wichtiger als alles andere. Dich trifft also keine Schuld, Kari.“

Oh, mein Herz ging bei diesen Worten auf. Ich konnte sehen, wie Kari ihn ansah. Welche Blicke sie ihm zuwarf …

War das etwa der Moment, in dem sie ihm endlich alles gestehen würde?

„T.K., hör mal, ich muss dir noch etwas sagen“, begann sie zaghaft und ich drückte innerlich schon die Daumen.
 

„Was? Was sagt sie? Was machen sie da?“, fuhr Tai leise dazwischen und presste sein Ohr noch enger an die Tür.

„Ssscht!“
 

„Na ja, eigentlich ist es eher eine Beichte …“, fuhr Kari fort. Oh, mein Gott, wurde sie da etwa gerade rot?
 

„Was ist denn da draußen los? Verdammt, ich höre überhaupt nichts mehr“, fluchte Tai weiter vor sich hin.

„Ssscht!“

„Jetzt sag schon, Mimi. Was machen die da?“

„Verflucht noch mal, jetzt sei endlich ruhig“, motzte ich ihn an und trat erneut gegen sein Schienenbein.

„AUA“, jaulte Tai plötzlich auf und krümmte sich.
 

Kari sah erschrocken auf und in unsere Richtung. „Was war das?“

Oh je. Erwischt.

Takeru begann nervös zu lachen und sprang vom Bett auf. „Ehm … das war … sei jetzt bitte nicht böse, aber ich …“

Tai drückte die Tür zum Badezimmer auf. „Hallo, Schwesterchen“, sagte er, während ich neben ihm verlegen grinste.

„Ich bin nicht allein gekommen“, beendete Takeru unnötigerweise seinen Satz, als Kari auch schon aufsprang.

„Was macht ihr denn hier?“ Dann wurde sie rot. „Habt ihr etwa die ganze Zeit gelauscht?“

„Nicht die ganze Zeit“, gestand ich nervös kichernd. Oh man, wie peinlich …

Kari verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte ihren Bruder wütend an, als der einige Schritte auf sie zukam.

„Ich will jetzt nicht mit dir reden.“

„Und wann dann?“, entgegnete Tai zum Glück recht gelassen und versteckte die Hände in den Hosentaschen. „Willst du für immer hier in dieser Einöde bleiben und dich in diesem Motel verstecken?“

„Ja, vielleicht“, sagte Kari ein wenig trotzig. „Ich habe gehört, dass ein paar Kilometer weiter eine Schule ist. Ich müsste zwar dort hinlaufen, weil kein Bus von hier fährt, aber denkbar wäre es. Ist zumindest alles besser als deine Reaktion von gestern. Wobei, warte … im Grunde war ja die einzige Reaktion, dass du T.K. eine verpasst hast.“

Wow. Kari war wirklich wütend auf Tai. Konnte man ihr nicht verdenken. Tai hatte komplett überreagiert und dann auf ihr Geständnis noch nicht mal das Geringste geantwortet. Ich konnte verstehen, wie verunsichert sie sich ihm gegenüber fühlen musste.

Tai stöhnte kurz auf und fuhr sich gestresst durchs Haar. „Okay, das habe ich wohl verdient“, sagte er einsichtig. „Aber irgendwann musst du mit mir reden. Das bist du mir schuldig. Und ich verspreche dir, du darfst reden, solange du willst – und ich höre einfach nur zu. Ich werde dich nicht unterbrechen, bis du alles gesagt hast, was du zu sagen hast.“

Kari blieb jedoch versteinert, während Tai noch einen Schritt auf sie zuging.

„Bitte, Kari. Ich möchte einfach nur meine kleine Schwester zurück. Mehr nicht.“

In dem Moment wäre ich fast geplatzt vor Stolz. Dieser Holzklotz konnte ja doch auch anders, wenn er wollte.

Schließlich ließ Kari die Schultern sinken und löste sich aus ihrer Starre. „Na, gut“, sagte sie versöhnlich und warf mir und Takeru einen kurzen Blick zu. „Wir machen einen Spaziergang. Ist das in Ordnung?“

Ich nickte eifrig. „Aber natürlich.“

Kari verzog die Lippen zu einem zuversichtlichen Lächeln. Tai zwinkerte mir zu, während ich ihm zum Abschied ein „Viel Glück“ zu murmelte, als beide schließlich das Zimmer verließen.

Hoffentlich konnten sie endlich über all das reden, was schon längst überfällig war.

Etwas ratlos sah Takeru sich erst im Zimmer um und dann mich an. „Und … was machen wir jetzt?“

Ich legte den Kopf schief und überlegte. Gute Frage. Was zur Hölle macht man an so einem Ort? Vieles fiel mir nicht ein, aber …

„Eigentlich kann man hier nur eins machen“, flötete ich und sprang aufs Bett, um das Telefon vom Nachttisch zu nehmen.
 

Zwei Stunden später schmiss ich das letzte Stück Pizzarand in die leere Schachtel und rieb mir den prall gefüllten Bauch.

„Puh, ich platze gleich“, sagte ich und stieß schwer die Luft aus. So viel hatte ich lange nicht gegessen.

Takeru saß mit ausgestreckten Beinen neben mir auf dem Bett und aß immer noch an seinem letzten Stück Käsepizza. „Ich wusste nicht, dass du überhaupt so viel essen kannst“, grinste er anerkennend.

„Ich auch nicht“, gestand ich und rutschte weiter am Rückenteil des Bettes hinab, während ich im TV irgendeine Reality Show verfolgte.

„Ist das nicht unfassbar? Die haben nicht mal eine Schule hier, aber einen Pizzaservice und Kabel TV“, überlegte ich laut.

„Stimmt, das wundert mich auch“, lachte Takeru. „Die zwei sind schon ziemlich lange weg, was?“

„Ja, schon. Sie haben sicher viel zu reden.“ Ich rutschte noch etwas tiefer in die Kissen.

„Meinst du, Tai hat Verständnis für Karis Situation?“

„Ich denke schon“, sagte ich gähnend. „Er ist schließlich ihr Bruder.“

Takeru lachte leicht. „Stimmt. Meiner hatte es jedenfalls.“

„Hmm …“

„Du, Mimi?“

„Mmh?“

„Meinst du, sie vertragen sich wieder?“

„Wer?“

„Na, Tai und Matt.“

„Mmh, aber klar doch.“ Ein weiteres Gähnen verließ meine Kehle. Gott, machte diese riesen Pizza müde.

„Mimi?“, fragte Takeru erneut.

„Mmh?“

„Schläfst du?“

„…“

Ich hörte nur noch, wie er leise lachte und mich dann zudeckte.
 

Das Nächste, was ich wahrnahm war Tais Stimme, die dumpf an mein Ohr drang. Träumte ich gerade?

„Was? Ihr habt das alles aufgegessen?“ Irgendwie klang er entsetzt.

„Na ja, was heißt ihr? Mimi hat das Meiste davon verputzt“, meinte Takeru.

„Wow“, sagte Tai und ich spürte, wie zwei Arme sich unter mich schoben. „Kein Wunder, dass sie schläft wie ein Stein.“

Ich driftete wieder ab, doch sein Duft und die kühle Luft von draußen weckten mich wieder auf. Seufzend kuschelte ich mich an ihn.

„Was ist passiert?“, fragte ich zutiefst entspannt und zufrieden, während Tai mich auf seinen Armen über den Parkplatz trug.

„Was passiert ist?“, hakte er amüsiert nach. „Du hast dich ins Koma gefressen, das ist passiert.“

Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen, als er seinen Griff verstärkte und ich mich so noch enger an ihn schmiegen konnte.

„Wo gehen wir hin?“, fragte ich noch ganz verschlafen.

„Wir fahren nach Hause.“

„Jetzt schon?“

Tai lachte und stellte mich auf die Beine, als er vor dem Auto stehen blieb. Dann öffnete er die Tür und ich setzte mich auf den Beifahrersitz. Als er die Tür zuschlug fröstelte ich leicht. In seinen Armen hatte ich mich deutlich wohler gefühlt.

„Was ist mit Kari und T.K.? Kommen sie nicht mit?“, fragte ich, als Tai sich auf den Fahrersitz niederließ.

Er schüttelte den Kopf. „Unsere Eltern sind noch zwei Tage weg und sie wollte gerne mit T.K. noch etwas hierbleiben und wandern gehen. Ich hole sie dann wieder ab.“

Wandern gehen, so so. Ich konnte mir das Grinsen nicht verkneifen.

„Habt ihr euch ausgesprochen?“

„Haben wir. Und es war wirklich … aufschlussreich.“ Tai lächelte zaghaft, legte die Hände ans Lenkrad und startete den Motor. Wir fuhren vom Parkplatz des Motels und ich war froh, von hier wegzukommen.

„Ich hoffe, du hast dich bei ihr entschuldigt“, meinte ich und sah ihn neugierig an, während Tai den Weg nach Hause ansteuerte.

„Natürlich. Für gestern und auch dafür, dass ich nicht schon eher bemerkt habe, dass etwas mit ihr nicht stimmt.“

„Mmh, Kari kann so was gut verstecken. Aber ich denke, sie musste sich erst mal selbst einiges bewusst werden, bevor sie dazu stehen konnte.“, pflichtete ich ihm bei.

„Ja, das denke ich auch. Egal, was sie jetzt machen wird, ich werde auf jeden Fall hinter ihr stehen“, sagte Tai entschlossen. Genau so kannte ich ihn und so gefiel er mir am besten.

Ich war so froh, dass endlich alles zwischen den beiden geklärt war und es nun auch zwischen ihnen keine Geheimnisse mehr gab.

Zufrieden seufzte ich und warf ihm einen verliebten Blick zu, während ich mich in den Sitz sinken ließ und den Kopf zurücklehnte.

„Was hast du?“, fragte Tai grinsend, der natürlich mitbekam, wie ich ihn ansah.

„Das ist Liebe … Ich meine, bedingungslos an der Seite eines anderen stehen. Das ist Liebe, Tai.“ Mein ganzes Herz war so sehr davon erfüllt, dass es schon fast unheimlich war. Hätte mir gestern jemand gesagt, dass ich mich heute so fühlen würde, hätte ich es nicht geglaubt. Doch unsere Liebe war stärker als ich bis zu diesem Tag gedacht hatte. Sie war so mächtig und konnte so hell leuchten, wenn wir sie nur ließen. Sie konnte alle Probleme in den Schatten stellen. Denn was wirklich wichtig war, war nicht unsere Vergangenheit oder was andere Leute über uns dachten. Was wichtig war hatten wir genau hier und jetzt. Und zwar uns.

Tai lächelte und griff nach meiner Hand, um unsere Finger miteinander zu verflechten. „Ja, das ist Liebe.“
 

„How do you spell love?“ – Piglet

„You don’t spell it. You feel it.“ – Pooh

Winnie the Pooh

Zukunftspläne

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Albträume

Ich verzog grimmig das Gesicht.

„Was? Darf man nicht mal einkaufen gehen?“, entgegnete Hayato schulterzuckend, als wäre es keine große Sache, dass wir uns in einem Supermarkt begegneten. Ausgerechnet in dem Supermarkt, wo ich immer meine Einkäufe erledigte.

„Hast du dafür nicht irgendwelche Angestellten, die du herumschubsen kannst?“, erwiderte ich schroff. Hayato antwortete nicht, sondern verzog seine Mundwinkel stattdessen zu einem leichten Grinsen, ehe er einen Blick auf Hope warf.

„Das ist sie also? Unsere Tochter?“

Ich hätte auf der Stelle brechen können und ich wusste nicht, ob das an seinen Worten oder an meiner ekelhaften Erkältung lag.

„Falsch. Das ist meine Tochter. Ich muss jetzt weiter.“

Ich drängelte mich an ihm vorbei, in Richtung Kasse. Ich wollte nur noch von hier weg. Tai war gerade mal seit ein paar Stunden fort und schon lief ich meinem schlimmsten Feind über den Weg. Wie viel Pech konnte man eigentlich haben?

„Du siehst nicht sonderlich gut aus“, hörte ich Hayatos Stimme immer noch hinter mir.

Ich grummelte. „Danke für das Kompliment. Verfolgst du mich eigentlich?“

Ich drängte mich an ein paar anderen Leuten vorbei als wäre ich auf der Flucht. Was ich ja auch irgendwie war. Warum rückte mir dieser Typ so sehr auf die Pelle? Ich hörte seine Schritte hinter mir, die mir weiterhin zu folgen schienen.

„Würde ich nein sagen, würdest du mir das glauben?“, entgegnete er trocken und ein bisschen arrogant auf meine Frage.

Okay. Das reichte.

Abrupt blieb ich stehen und wirbelte so schnell zu ihm herum, dass er fast gegen mich stieß.

„Jetzt hör mir mal zu“, forderte ich und sah ihm eindringlich in die Augen, während irgendetwas immer dumpfer gegen meine Stirn hämmerte. Oh, verdammte Erkältung.

„Hör endlich auf mir nachzulaufen und lass uns in Ruhe! Erst die Sache neulich vor dem Club und jetzt tauchst du rein zufällig in meinem Supermarkt auf? Erzähl das jemand anderem, aber nicht mir. Ich kenne dich Hayato – leider zu gut. Du tust nie etwas ohne Grund.“

Seine Lippen zuckten als hätte ich mitten ins Schwarze getroffen. Er nahm eine entspannte Haltung an, steckte die Hände in seine Hosentaschen und ließ die Schultern leicht hängen. Ansonsten zeigte sein Gesicht keinerlei Regung. Natürlich blieb er von meiner Ansage unbeeindruckt. Was hatte ich auch erwartet?

„Du hast recht“, sagte er plötzlich.

Überrascht blinzelte ich. „Wie bitte?“

„Du hast recht“, wiederholte er seelenruhig. „Ich bin nicht zufällig hier. Ich weiß seit Wochen schon, wo du wohnst. Ich wollte nur nicht so unverfroren sein und einfach vor deiner Tür stehen.“

Was? Er hatte mich beobachtet? Seit Wochen?

In mir kroch Wut hoch und ich ballte die Hände zu Fäusten, was meine Kopfschmerzen nur noch verschlimmerte. Wusste ich’s doch, dass das alles kein Zufall sein konnte.

„Ach, soll ich mich jetzt bei dir bedanken, dass du nicht einfach wie ein alter Freund bei mir geklingelt hast?“ Ich baute mich noch etwas weiter vor ihm auf. „Und jetzt lass uns in Ruhe. Oder ich rufe die Polizei.“

Ohne ihn weiter zu beachten, machte ich kehrt und wollte ihn hinter mir lassen, ein für alle Mal. Doch da hatte ich die Rechnung ohne ihn gemacht.

„Und was willst du denen sagen, mmh? Dass der Vater deines Kindes gerne seine Tochter sehen würde? Was für ein Verbrechen soll das sein?“

Erneut blieb ich stehen und presste die Lippen aufeinander. Seine Stimme strotzte nur so vor Arroganz.

Ich zwang mich, mich umzudrehen und zu ihm zurückzugehen.

„Tu gefälligst nicht so, als würde es hier um Hope gehen“, giftete ich zurück. Dann senkte ich meine Stimme etwas. „Falls du es vergessen haben solltest – ich habe den Vater nach der Geburt als unbekannt angegeben. Also wird dir niemand glauben.“

Dass er überhaupt die Dreistigkeit besaß, mir mit so einer Drohung zu kommen – absolut lächerlich. Er hatte schließlich damals von mir verlangt, dass ich seine Vaterschaft geheim hielt.

Ich wollte mich umdrehen und diese sinnlose Diskussion endlich beenden, doch Hayato griff plötzlich nach meiner Hand und hielt sie fest.

Unwillkürlich blickte ich auf seine Hand, die meine berührte und ein merkwürdiges Gefühl flutete meinen Körper.

„Und wenn es mir leidtut?“

Kurz musste ich die Worte sacken lassen, die er eben ausgesprochen hatte. Dann lachte ich ungläubig auf.

„Was?“

Sein Blick suchte meinen und während ich ihn mehr oder weniger fast schon belustigt ansah, wurden seine Augen weich. Weicher als ich sie je zuvor gesehen hatte. Als würden sie wahrhaftig Reue wiederspiegeln. Reue … ich wusste nicht einmal, dass er überhaupt zu so einem Gefühl fähig war. Oder war das auch nur wieder eine seiner zahllosen Masken?

„Das kann nicht dein Ernst sein“, sagte ich ungläubig.

„Aber so ist es. Es tut mir leid.“ Hayato schluckte und ließ meine Hand los. „Ich kann verstehen, dass du mir nicht glaubst. Aber bitte, gib mir die Chance, dich vom Gegenteil zu überzeugen. Gib uns eine Chance.“

Sämtliche Arroganz war aus seinem Gesicht verschwunden. Als wäre er plötzlich ein anderer.

Seine Augen huschten zu Hope, die eingeschlafen war und keinen Mucks von sich gab.

Dieser Blick …

Wie konnte er es wagen, sie mit diesem Blick anzusehen?

Uns? Es gab niemals ein „uns“, vor allem nicht, wenn er damit sich und Hope meinte.

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Vergiss es“, zischte ich hinter zusammengepressten Zähnen und ließ ihn endgültig stehen.

Ich ging weiter zur Kasse und knallte voller Wut meine Einkäufe aufs Band.

Was bildete er sich ein?

Fast ein Jahr war vergangen und plötzlich, nach all den Monaten, dachte er ernsthaft, dass er so was wie eine Beziehung zu uns aufbauen könnte? Dass er Reue zeigen könnte?

Nein. Hayato war das Wort ‚Reue‘ genauso fremd wie seine eigene Tochter. Er hatte uns im Stich gelassen. Schlimmer noch – er wollte, dass ich mich für ihn und gegen Hope entscheiden sollte.

Allein der Gedanke daran, wo ich heute stehen würde, wenn ich es getan hätte … unvorstellbar. Sicher wäre ich wie ein normales Mädchen weiter zur Schule gegangen, hätte mein Leben ungestört weiterleben können. Vielleicht wären Hayato und ich sogar noch zusammen, weil ich viel zu geblendet von seiner Erscheinung war. Ich würde noch bei meinen Eltern wohnen. Ich hätte eine Familie.

Doch all das würde ich jederzeit wieder aufgeben, wenn ich dafür Hopes Mutter sein durfte. Und ganz sicher würde er nicht noch einmal die Gelegenheit bekommen, mir das kaputt zu machen.

Ich bezahlte meine Einkäufe und trat hinaus in die Kälte. Der Himmel verdunkelte sich langsam und es zog wohl ein Gewitter auf. Der Wind kitzelte in meiner eh schon gereizten Nase und brachte mich zum Niesen. Der Sommer neigte sich nun endgültig dem Ende entgegen und begrüßte mich mit einer saftigen Erkältung.

Ich fühlte mich schrecklich elend. Doch erst, als ich mir an die Stirn fasste, merkte ich, dass meine Kopfhaut bereits zu glühen begann. Ich hatte eindeutig Fieber. Etwas, dass ich nun gar nicht gebrauchen konnte. Vor allem nicht, weil morgen dieser wichtige Termin anstand.

Nur schwerfällig schleppte ich mich die Straßen entlang. Ich zog meine Jacke noch ein wenig enger und wollte nur noch ins Bett. Oh, wenn doch wenigstens Kari da gewesen wäre.

Als wäre das alles nicht schon schlimm genug gewesen, fing es gerade jetzt auch noch an zu regnen. Da ich nicht mal einen Schirm dabei hatte, musste ich mich nun wirklich beeilen nach Hause zu kommen.

Ich begann zu rennen, so schnell wie es die Einkäufe und Hope, die ich auf meinem Rücken trug, zuließen. Der Regen wurde immer heftiger und das Einzige, woran ich dachte war, dass nicht auch noch Hope eine Erkältung bekommen sollte. Es war unfassbar. Kaum war Tai aus der Stadt, schien alles einfach nur noch furchtbar schief zu laufen. Ich kam mir vor, als würde ich nicht mal einen einzigen Tag ohne seine Hilfe überstehen.

Nach ein paar Metern begann ich bereits zu keuchen, da das Fieber mir sämtliche Kräfte zu rauben schien. Ich schwitzte und fror gleichzeitig, während langsam aber sicher die Gegend vor meinen Augen verschwamm. Noch ehe ich reagieren konnte, rutschte ich in einer Pfütze aus und fiel der Länge nach hin. Meine Jacke wurde sofort von der Nässe durchdrängt. Alle Einkäufe fielen zu Boden und verteilten sich quer über die Straße.

Hope begann zu schreien. Ich richtete mich auf, um nach ihr zu sehen. Doch es ging ihr gut. Erleichtert atmete ich aus, obwohl ich am liebsten in Tränen ausgebrochen wäre.

Warum musste er ausgerechnet jetzt wieder meinen Weg kreuzen? Jetzt, wo ich endlich die Chance hatte mit Tai glücklich zu werden?

Eine leise Träne rollte mir über die Wange, während ich immer noch auf dem eiskalten, nassen Asphalt saß und versuchte, die weinende Hope zu beruhigen.

„Ist ja gut, meine Kleine. Wir sind bald zu Hause, es ist nicht mehr weit.“

Ich spürte, wie der Regen auf mein Gesicht fiel, spürte die Nässe. Doch im nächsten Moment war dieses Gefühl verschwunden.

Verwundert blickte ich nach oben und das Erste, was ich sah, war ein grauer Regenschirm, der sich direkt über unseren Köpfen befand. Dann sah ich Hayatos Gesicht.

Mein Herz zog sich zusammen, während ich Hope unwillkürlich enger an mich presste.

Ohne auch nur ein Wort zu sagen, beugte er sich zu mir hinunter und drückte mir den Schirm in die Hand. Dann begann er die Einkäufe, die sich um uns herum verteilt hatten, wieder einzusammeln. Dass er dabei selbst nass wurde, störte ihn anscheinend nicht.

Irritiert und mit hämmerndem Herzen beobachtete ich ihn dabei, bis er alles aufgesammelt hatte. Er kam zu uns zurück und hielt mir seine Hand hin.

Kurz dachte ich darüber nach, seine Hilfe einfach abzulehnen, doch dann ergriff ich seine Hand und ließ mir von ihm hochhelfen.

Ich wollte gerade den Mund öffnen, als er ernst mit dem Kopf schüttelte.

„Denk nicht mal daran.“

Er wandte sich von uns ab und ging mit meinen Einkaufstüten in der Hand einfach weiter, durch den strömenden Regen.

Immer noch seinen Schirm fest umklammert, sah ich ihm verblüfft hinterher. Ich biss mir auf die Unterlippe und verzog das Gesicht. Doch schließlich setzte auch ich mich in Bewegung und folgte ihm.

Da er ja bereits wusste, wo wir wohnten, fiel es ihm nicht schwer, den Weg zu finden. Meine Augen waren starr auf seinen Rücken gerichtet. Auch seine Jacke war inzwischen vom Regen durchdrängt, genau wie seine Haare.

Während ich mich immer noch fragte, was er eigentlich mit dieser Rettungsaktion im Schilde führte, bemerkte ich gar nicht, wie er vor unserem Wohnblock Halt machte.

Ich trat neben ihn, vermied es jedoch, ihm in die Augen zu blicken.

„Danke“, meinte ich knapp, gefolgt von einem Nieser und mächtigem Kopfschwirren. „Aber den Rest schaffe ich alleine.“

Ein kurzer Blick in seine Richtung verriet mir, dass er mir kein Wort glaubte. Konnte ich ihm nicht verdenken – ich nämlich auch nicht, wenn ich an die vielen Treppen dachte.

„Sei nicht albern“, antwortete er lediglich und rührte sich keinen Zentimeter von der Stelle. Ich seufzte.

Dann steckte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch und öffnete die Tür. Wir sprachen kein einziges Wort, während ich voraus ging und er mir nach oben folgte. Ich gab mir alle Mühe, nicht zu schnaufen, doch mein brennender Hals schien sich immer weiter zuzuschnüren und mir sämtliche Luft zu rauben.

Endlich oben angekommen, ging ich geradewegs zu unserer Wohnung. Mir schwirrte der Kopf. Außerdem war mir speiübel, vom vielen Treppen steigen.

Ohne weiter darüber nachzudenken, dass Hayato mir immer noch folgte, stieß ich mit einem Ruck die Tür auf. Hope setzte ich schnell auf ihre Spieldecke ab, danach stürmte ich ins Badezimmer, um mich zu übergeben.

Es fühlte sich schrecklich an, genauso wie das Hämmern in meinem Kopf. Doch ich konnte es mir nicht leisten, lange vor der Toilette auf dem Boden zu hocken. Mit zittrigen Knien zwang ich mich dazu aufzustehen, spülte meinen Mund kurz mit etwas Wasser aus und ging zurück ins Wohnzimmer. Hayato stand in der Küche und war gerade dabei, die Einkäufe dort abzulegen.

Ich trat zu ihm. Mit einem fast schon sorgenvollen Blick musterte er mich.

„Du solltest definitiv ins Bett gehen.“

„Ich weiß“, sagte ich lediglich, wobei mir nicht entging, wie Hayato sich in meinem bescheidenem zu Hause umsah.

Als sein Blick erst an dem Chaos, den Hope und ich vorhin veranstaltet hatten und dann an den zahllosen Briefen, die immer noch auf der Küchentheke lagen hängenblieb, räusperte ich mich laut.

„Danke, dass du uns nach Hause gebracht hast. Du weißt, das hättest du nicht tun müssen.“

„Schon klar“, antwortete er und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Und ich weiß auch, dass du mich nicht darum gebeten hast.“

Ich verkniff mir den Kommentar, der mir auf der Zunge lag und nickte stattdessen. Unter anderen Umständen hätte ich mich wahnsinnig darüber gefreut, wenn jemand so hilfsbereit gewesen wäre. Aber leider passte es nicht in das Bild, welches ich immer noch von Hayato hatte. Ob es nun vorgetäuschte Fürsorge war oder nicht – wir waren beide heil zu Hause angekommen und das war das Wichtigste – was mir dieses penetrante Stechen im Kopf nur allzu schmerzlich vor Augen führte.

Leicht fröstelnd rieb ich mir die Arme. Ich war immer noch klitschnass.

„Ich wäre dir dankbar, wenn du jetzt gehen würdest“, sagte ich knapp. Ohne ein Wort der Widerrede, machte Hayato kehrt und ging in Richtung Flur.

„Also, dann …“, sagte er und öffnete die Tür.

„Oh, warte“, entgegnete ich und griff nach dem Schirm, den ich eben aus lauter Eile einfach auf den Boden geschmissen hatte.

„Hier, dein Schirm.“

Er nahm ihn entgegen, wobei sich unsere Finger streiften und ein ungewolltes Kribbeln auf meiner Haut hinterließen. Genauso wie der Blick, mit dem er mich jetzt ansah. Als wollte er noch irgendetwas sagen.

Doch, was immer es auch war, er unterdrückte es und verließ stattdessen meine Wohnung. Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, stieß ich erleichtert die Luft aus, die ich unbemerkt, die ganze Zeit angehalten hatte.

Was zum Teufel war hier gerade geschehen?

Ich verwarf die vielen Gedanken, die sich durch meinen Kopf fressen wollten, als ich Hopes Schrei hinter mir vernahm.

Sofort ging ich zu ihr, nahm sie mit ins Bad und befreite uns zwei aus den nassen Sachen. Ich ließ uns eine warme Wanne ein und als wir fertig waren, aßen wir gemeinsam und ich brachte sie ins Bett. Nach so einem aufregenden Tag war sie fix und fertig und schlief sofort ein, genau wie ich, als ich todmüde ins Bett fiel.

Doch dieser Blick, mit dem Hayato mich angesehen hatte und die Worte, von denen ich dachte, sie niemals aus seinem Mund zu hören, verfolgten mich bis in den Schlaf …

„Es tut mir leid.“
 

Als ich am nächsten Tag aufwachte, fühlte ich mich zwar schon etwas besser, doch mir brummte immer noch der Schädel. Murrend wälzte ich mich von der einen auf die andere Seite, als mir plötzlich eine Hand liebevoll das Haar aus dem Gesicht strich.

Ich erschrak so heftig, dass ich die Augen aufriss und mir das Herz beinahe aus der Brust sprang.

„Sssch, ich bin’s nur“, sagte eine vertraute Stimme, die mir sofort unter die Haut ging und mich mit Wärme erfüllte.

Verwundert blickte ich in Tais Augen, der am Rande meines Bettes saß. Der Geruch von frisch aufgebrühtem Kräutertee stieg mir in die Nase.

„Ist das ein Fiebertraum?“, fragte ich und griff mir unsicher an die Stirn, die jedoch zum Glück aufgehört hatte, zu glühen.

Tai schmunzelte und strich mir eine weitere Haarsträhne hinters Ohr. Gott, wie ich diese kleinen, liebevollen Gesten liebte.

„Nein“, sagte er leise. „Aber du hast geschlafen wie ein Stein. Ich wollte dich nicht aufwecken.“

„Was machst du denn schon hier?“, fragte ich stirnrunzelnd. „Es ist doch noch viel zu früh.“

„Ich bin schon seit Stunden hier. Habe einen Flieger eher genommen.“

Ich schielte auf den Wecker, der neben meinem Bett stand. Fast zehn Uhr. Erschrocken schlug ich mir die Hand vor den Mund.

„Oh nein, ich habe total verschlafen. Wieso hat dieser dämliche Wecker nicht geklingelt? Ich hatte ihn mir extra auf sieben Uhr gestellt.“, rief ich und wollte aufstehen, doch Tai drückte mich zurück in die Kissen.

„Bleib liegen. Ich habe Hope heute Morgen schon aus dem Bett geholt und mit ihr gefrühstückt. Du kannst dich ruhig noch etwas ausruhen.“

Erleichtert fiel ich zurück ins Bett. Tai erhob sich und griff nach einem braunen Fläschchen, welches neben mir auf dem Nachttisch stand.

„Mal ganz davon abgesehen, hättest du den Wecker sowieso nicht gehört. Hat dir nie jemand gesagt, dass man eine ganze Flasche Erkältungssaft nicht auf einmal trinkt?“

Mir fiel es wieder ein, als er mit der leeren Flasche vor meiner Nase rumwedelte.

Ach, ja. Ich hatte mir tatsächlich vor dem Zubettgehen ein paar Schmerztabletten und eine ganze Flasche Erkältungssaft eingeflößt. Oh, man. Kein Wunder, dass ich so merkwürdige Träume hatte.

„Tut mir leid“, sagte ich seufzend.

„Kann es auch, vor allem, weil du mir nicht mal bescheid gesagt hast, dass du krank bist“, tadelte Tai mich, doch ich zuckte mit den Schultern. „Ich wollte nicht, dass du meinetwegen zurückkommst.“

Tai verdrehte demonstrativ die Augen, doch auch ein leichtes Schmunzeln schlich sich auf seine Lippen.

„Dafür liebe ich dich“, sagte er und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn. Mein Herz ging auf und am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen. So mies dieser Tag auch gewesen sein mochte, alles Schlechte schien sich augenblicklich zu verflüchtigen, wenn Tai in meiner Nähe war.

„Wie war’s in Osaka? Hat es dir gefallen?“

„Darüber können wir später noch reden. Du solltest noch etwas schlafen.“

Gerade, als er das sagte, merkte ich, wie meine Augen erneut schwer wurden, deswegen protestierte ich gar nicht, sondern nickte stattdessen und drehte mich wieder rum.

Ich hörte noch, wie Tai das Zimmer verließ, während ich erneut abdriftete.
 

Als ich wieder aufwachte, waren noch mal zwei Stunden vergangen und ich fühlte mich nun deutlich besser. Das Fieber war eindeutig zurückgegangen und auch die Kopfschmerzen ließen nun nach.

Ich stieg aus dem Bett und ging ins Wohnzimmer, wo mir fast die Augen aus dem Kopf fielen.

Alles war pikobello aufgeräumt. Keine Spur mehr von dem Farbschlachtfeld, was ich mit Hope hinterlassen hatte.

„Wow“, sagte ich anerkennend an Tai gerichtet, der mit Hope auf dem Sofa saß und spielte. „Hast du eine Putzkolonne geordert oder kannst du neuerdings zaubern?“

Tai warf mir ein Grinsen zu. „Mach dich nur lustig! Dafür habe ich definitiv was gut bei dir. Oder besser gesagt, bei euch beiden. Keine Ahnung, wie ihr es geschafft habt, an einem Tag so viel Chaos anzurichten.“

Ich grinste breit und streckte ihm die Zunge raus. Dann ging ich ins Bad, um mich zu duschen und anzuziehen. Als ich fertig war, sah ich endlich wieder vorzeigefähig aus. Genau zum richtigen Zeitpunkt, denn jeden Moment müsste die Frau vom Jugendamt vor der Tür stehen.

Ich ging zu Tai und legte ihm beide Arme um den Hals.

„Danke, dass du wieder da bist“, säuselte ich und gab ihm einen Kuss. „Du glaubst gar nicht, wie sehr ich dich vermisst habe.“

Tai lachte leicht auf. „Dabei waren es doch nur ein paar Stunden.“

„Jaah“, meinte ich und dachte unwillkürlich an gestern. „Ein paar Stunden zu viel.“

Tai erwiderte meinen Kuss und gerne hätte ich unser Wiedersehen woanders fortgesetzt, wenn es nicht genau in diesem Moment an der Tür geklingelt hätte.

Ich warf Tai einen nervösen Blick zu.

„Keine Sorge, es wird alles gut. Du machst das toll“, sagte er aufmunternd und löste sich von mir.

Ich lächelte zuversichtlich. „Wir machen das toll.“

Er hatte recht. Es gab nichts, was uns jetzt noch im Weg stand.

Tai zwinkerte mir zu und ging zur Tür, um sie zu öffnen, während ich noch einmal tief durchatmete und meine Bluse richtete.

„Und Sie sind …?“, hörte ich Tais Stimme sagen und runzelte die Stirn. War heute etwa eine andere Betreuerin gekommen?

Ich ging in den Flur, um nachzusehen, blieb jedoch abrupt stehen, als ich erkannte, wer da eben geklingelt hatte.

In mir zog sich etwas zusammen.

Meine Hände begannen zu schwitzen und mein Herz machte einen Satz.

Hayato warf mir über Tais Schulter hinweg ein Grinsen zu, als er mich hinter ihm erblickte.

Nein. Nein. Nein!

Was zum Teufel machte er hier?

Gerade, als ich einen Schritt nach vorn tat, um ihn irgendwie von hier weg zu kriegen, erschien eine weitere Person im Türrahmen.

„Ah, Fräulein Tachikawa. Herr Yagami. Ich wollte gerade zu Ihnen.“ Das freundliche Lächeln der Betreuerin schlug uns entgegen und mir wie eine Faust ins Gesicht. Jegliches Blut schien aus meinem Gesicht zu weichen und meine Füße wurden betonschwer. Unfähig, auch nur irgendetwas zu erwidern, beobachtete ich wie in Trance, welcher Albtraum sich da gerade vor meinen Augen abspielte.

Tai warf mir einen verwirrten Blick über die Schulter zu, doch ich war außer Stande, darauf zu reagieren.

„Oh, na da komme ich ja gerade richtig“, hörte ich Hayato sagen und sah, wie er der offensichtlich irritierten Frau die Hand reichte.

„Entschuldigung? Gehören Sie auch zur Familie?“

Es war wie ein Film, in den ich nicht eingreifen konnte. Und doch wusste ich, was gleich geschehen würde, als Hayatos Mundwinkel sich zu einem Lächeln verzogen.

„Kann man so sagen“, antwortete er und sein Blick heftete sich an Tai. „Ich bin Hopes Vater.“

Absichten

Wahrscheinlich setzte mein Herz gleich für mehrere Sekunden aus, denn mir stockte der Atem. Ich konnte nicht fassen, was er gesagt hatte.

Was tat er da?

Mein Puls beschleunigte sich, während meine Gedanken sich überschlugen.

Warum?

Warum tat er das? Wieso jetzt?

Ich kam mir vor wie in einem schlechten Traum und am liebsten hätte ich mich gekniffen, um aufzuwachen. Doch es war kein Traum. So sehr ich mir das auch gewünscht hätte. Hayato hatte soeben die eine Sache getan, von der ich nicht einmal wusste, dass ich mich vor ihr am meisten fürchtete.

Die Frau vom Jugendamt schien völlig perplex und sah verwirrt zwischen Hayato und mir hin und her. Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte. Was ich tun konnte.

Tai war der Erste, der seine Sprache wiederfand. Zum Glück stand er mit dem Rücken zu mir, denn sonst wäre ich wahrscheinlich unter seinen Blicken im Erdboden versunken.

„Was?“, platzte es ungläubig aus ihm heraus, doch in seiner Stimme schwang auch eine gewisse Unsicherheit mit. „Das ist völlig absurd. Hopes Vater ist …“

„Als unbekannt angegeben wurden, ich weiß. Und ich weiß auch, dass du es nicht bist“, sagte Hayato und die Art, wie er dies betonte, wie er Tai mit seinem wissenden Blick bedachte, ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht zu 100% sicher war.

Tais Antwort war ein Schnaufen. Dem hatte er nichts entgegenzusetzen.

„Also … das verstehe ich jetzt nicht“, meinte die Frau skeptisch und warf mir einen misstrauischen Blick zu.

Sicher war mir gerade einfach alles aus dem Gesicht gefallen, doch ich zwang mich dazu, mich aus meiner Starre zu lösen und ein einigermaßen freundliches Lächeln aufzusetzen. Auch wenn ich am liebsten mit der Hand ausgeholt hätte. Doch ich durfte jetzt auf keinen Fall die Fassung verlieren.

„Ehm, diese Verwirrung tut mir sehr leid“, versuchte ich schleunigst abzuwimmeln. „Das lässt sich sicher gleich aufklären. Kommen Sie doch erst mal rein.“

Sie nickte und Tai trat zur Seite, um sie durchzulassen. Ich wies ihr an, schon vor ins Wohnzimmer zu gehen und sich zu setzen. Jetzt musste ich mich erst einmal um Hayato kümmern.

Als ich sicher war, dass sie außer Hörweite war, machte ich einige große Schritte nach vorne und trat so nah an Hayato heran, dass ich ihn an seinem schicken, dunkelblauen Anzugkragen hätte packen können. Und ich musste mich arg zurückhalten, dies nicht wirklich zu tun.

„Sag mal, was fällt dir ein, hier einfach aufzutauchen? Hast du völlig den Verstand verloren?“, fuhr ich ihn an.

Dieser jedoch wirkte relativ gelassen und legte nur stirnrunzelnd den Kopf schief.

„Ich finde, ich habe jedes Recht dabei zu sein, wenn es um Hopes Zukunft geht.“

„Du hast überhaupt kein Recht! Dieses Recht hast du verloren, als du dich verweigert hast, ein Vater für sie zu sein.“

Ich war rasend vor Wut und musste geradezu an mich halten, ihm nicht an die Kehle zu springen. Mein Herz hämmerte wie wild gegen meine Brust. Vor allem, weil Hayato das alles nicht im Geringsten zu beeindrucken schien. War das wieder nur eines seiner Spielchen?

„Sie ist auch meine Tochter, Mimi“, beharrte er, als würde dies irgendetwas zur Sache tun und legte eine ernste Miene auf.

Ich war sprachlos. Was erdreistete er sich?

„Kann mir mal jemand erklären, was hier los ist?“, flüsterte Tai und warf einen unsicheren Blick nach hinten, um sicher zu gehen, dass uns niemand hören konnte.

„Mimi?“

Seine Augen durchbohrten mich, das spürte ich. Denn sie brannten auf meiner Haut wie die Scham, die ich gerade empfand. Ich wollte ihn ja ansehen – aber ich konnte nicht. Zu viel Angst hatte ich vor seiner Reaktion. Es war das erste Mal, dass er und Hayato sich gegenüberstanden. Eigentlich hatte ich dafür gebetet, dass dieser Tag nie kommen möge.

Und hätte Hayato sich einfach an unserer Abmachung gehalten, wäre es auch nie so weit gekommen.

„Ah, verstehe“, sagte Hayato und grinste mich an. „Du hast ihm noch nichts von unseren kürzlichen Treffen erzählt.“

Mir klappte der Mund auf, während ich Tais geschockten Blick auf mir ruhen spürte.

„Treffen? Du bist mir gefolgt!“, versuchte ich klarzustellen, doch es war zu spät.

„Mimi, ist das dein Ernst?“, fragte Tai anklagend und eine Mischung aus Wut und Entsetzen schwang in seiner Stimme mit. „Ihr habt euch getroffen?“

Ich drehte den Kopf in seine Richtung. „Nein! Nein, so war das gar nicht. Hör nicht auf ihn.“

Hayato seufzte auf. „Na, wie auch immer. Das können wir später noch ausdiskutieren.“ Er drängelte sich an mir vorbei, geradewegs in meine Wohnung.

„Hey!“, rief ich ihm hinterher. „Was meinst du, was du da tust?“

„Na, was wohl?“, antwortete er.

„Oh, nein“, sagte ich und machte einen großen Schritt auf ihn zu. „Du wirst ganz sicher nicht an diesem Termin teilnehmen.“

Hilfesuchend sah ich mich nach Tai um, dessen Miene sich jedoch versteinert hatte. Hätten Blicke töten können, wäre Hayato auf der Stelle tot umgefallen. Ich sah, wie er seine Hände zu Fäusten ballte und doch wusste ich, dass er ihm kein Haar krümmen würde. Er konnte ihn nicht rausschmeißen. Genauso wenig wie ich. Nicht, nachdem die Frau vom Jugendamt ihn bereits gesehen und er sich als Hopes Vater vorgestellt hatte.

Hayato legte den Kopf schief und bedachte mich mit einem wissenden Blick. „Versuch mich davon abzuhalten. Ich möchte nur allzu gerne wissen, wie du dich dann aus dieser Nummer wieder rausreden willst.“

Eine tiefe Zornesfalte bildete sich auf meiner Stirn.

Möge er an seiner Arroganz ersticken!

„Sag, was du willst, Mimi“, entgegnete Hayato nun eine Spur ernster und kam auf mich zu. Kurz vor mir blieb er stehen und senkte die Stimme. „Ich habe nicht gelogen, als ich sagte, es tut mir leid.“

Ich biss mir auf die Unterlippe, den Tränen nahe. Wie konnte er mir das nur antun?

„Wenn es dir wirklich leidtut“, erwiderte ich und zwang mich dazu, ihn direkt anzusehen, „dann gehst du jetzt, auf der Stelle.“

Ich blickte in seine dunklen Augen. In die Augen, denen ich früher einst so verfallen war. Ich kannte sie in und auswendig. Daher wusste ich auch, wie seine Antwort lautete, noch bevor er sie aussprach.

„Nein. Tut mir leid, Mimi, aber das werde ich nicht tun.“

Ich sackte förmlich in mir zusammen, als er sich von mir abwandte und geradewegs ins Wohnzimmer ging. Wie versteinert stand ich da und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Doch noch ehe das passieren konnte, spürte ich, wie zwei Hände mich zu sich herumwirbelten und mein Gesicht umfassten.

„Mimi, hör mir zu“, verlangte Tai von mir, doch mein Blick war leer.

Warum?

Warum nur machte er alles kaputt? Alles, wofür ich gekämpft hatte? Warum jetzt?

„Mimi, verdammt!“ Tais Stimme wurde drängender. „Du musst dich jetzt zusammenreißen, hörst du?“

Ich sah ihm in die Augen. Wie gerne hätte ich mich jetzt in seine Arme fallen und trösten lassen.

„Ich habe keine Ahnung, was dieser Kerl hier macht oder was zwischen euch vorgefallen ist und das ist im Moment auch nicht wichtig. Denn so wie es aussieht, ist er Hopes leiblicher Vater und somit kannst du ihn unmöglich von hier fernhalten. Ich weiß, er ist ein Arschloch und ich weiß, er hat keinen Anspruch auf sie, doch damit das auch so bleibt, musst du dich jetzt zusammenreißen. Uns darf jetzt kein Fehler passieren, hörst du?“

Ich schluckte schwer und unterdrückte zwanghaft ein Wimmern. Auf diese Situation war ich nicht vorbereitet – nicht im Geringsten.

„Was macht er hier?“, fragte ich Tai verzweifelt. „Meinst du, er will …“

Oh, nein – ich konnte diesen Gedanken nicht mal laut aussprechen.

Tai presste die Lippen aufeinander. „Ich habe keine Ahnung. Aber wir müssen jetzt da durch. Wir beide zusammen. Wir schaffen das!“

Wenig überzeugt nickte ich, als Tai von meinem Gesicht abließ und stattdessen seine Finger mit meinen verschränkte.

„Wir schaffen das“, wisperte ich mir selbst zu, als würde das irgendetwas ändern. Als wäre nicht gerade mein schlimmster Albtraum wahrgeworden. Als hätte ich tatsächlich eine Chance …
 

Es war eine absolute Farce. Die Frau vom Jugendamt, Tai, ich UND Hayato saßen allen Ernstes gemeinsam an einem Tisch und tranken Tee, der sich auf meiner Zunge wie bittere Galle anfühlte.

Ich hätte brechen können.

Immer wieder kam ich mir vor, als würde ich selbst in der anderen Ecke des Raumes stehen, uns vier beobachten und auslachen. In meiner Kehle hatte sich ein dicker Kloß gebildet und es fiel mir deutlich schwer, mich zu konzentrieren und auf die vielen Fragen, die auf mich niederprasselten einzugehen.

Zum Glück war Tai an meiner Seite und reagierte so viel souveräner als ich. Ab und zu drückte er meine Hand unter dem Tisch, was mich dann wieder wachrüttelte. Doch Hayatos Blicke auf mir und sein überlegenes Grinsen machten es mir schwer, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Bis jetzt war er relativ ruhig gewesen und wohnte der Unterhaltung als stiller Zuschauer bei. Was es umso schlimmer machte – denn ich wusste, sein großer Auftritt würde noch kommen.

Nachdem die Frau vom Jugendamt sich in der Wohnung umgesehen hatte, kam sie zurück an unseren Tisch, machte sich einige Notizen und lächelte mich dann zuversichtlich an.

„Das sieht alles sehr gut aus, Fräulein Tachikawa. Es macht den Eindruck, als hätten sie sich in ihrer Rolle als alleinstehende Mutter gut eingefunden.“

Ich schluckte und nickte. „J-ja, das habe ich. Aber ich habe ja auch Tai, der mich unterstützt. Ohne ihn hätte ich das alles nicht geschafft. Er ist wunderbar zu unserer Tochter.“

Ich sagte bewusst unsere Tochter. Ich musste ihr einfach verdeutlichen, dass, egal ob Hayato nun hier war oder nicht, Tai ein viel besserer Vater für Hope war als er es jemals sein könnte.

Die Frau räusperte sich und setzte sich die Lesebrille ab, die sie eben zum Schreiben verwendet hatte.

„Wo wir beim Thema wären …“ Sie warf Hayato einen kurzen Blick zu, der sich jedoch immer noch nicht rührte und ganz geschäftlich wirkte. Er passte überhaupt nichts ins Bild – mit seinem schicken Anzug, seiner perfekten Frisur und dem gebügelten Hemd. Neben ihm kam ich mir absolut lächerlich und irgendwie … unfähig vor. Wie das kleine Schulmädchen, das ich in Wirklichkeit war.

„Wie stellen Sie sich das vor? Ich meine, wie wird es weitergehen? Wie ich weiß, wird Herr Yagami schon bald volljährig. Haben Sie immer noch vor, die kleine Hope zu adoptieren und wie sieht ihre berufliche Zukunft aus?“ Sie richtete ihre Frage direkt an Tai, während sich auf meiner Stirn die Schweißperlen bildeten.

„Ja, das habe ich“, sagte Tai jedoch ganz selbstbewusst und straffte die Schultern. „Sie ist schon jetzt wie eine Tochter für mich und ich würde mich geehrt fühlen, ihr Vater sein zu dürfen. Außerdem habe ich gute Aussichten, an einer Uni in Osaka aufgenommen zu werden. Wenn alles gut geht, kommen Mimi und Hope mit mir und Mimi hätte die Chance, dort ihren Abschluss zu machen.“

Mein Herz machte einen Satz, als er diese Worte aussprach und auch die Beamtin legte eine befriedigte Miene auf.

Doch im nächsten Moment stürzte alles wieder in sich zusammen, als Hayato schmunzelnd schnaubte.

„Nun, das denke ich nicht.“

Tais und meine Blicke verfinsterten sich gleichzeitig, während die Beamtin sich ihm fragend zuwandte.

„Wie meinen Sie das?“

Hayato faltete die Hände auf dem Tisch und wirkte dabei, als wäre er kurz vor Abschluss eines Geschäftsvertrages, was mich nur noch wütender machte. War ihm denn gar nicht bewusst, dass er gerade meine ganze Zukunft gefährdete?

„Ich denke nicht, dass … dieser Typ“, sagte er abwertend und bedachte Tai mit einem eindeutigen Blick, „in der Lage ist, meine Tochter zu erziehen. Geschweige denn für Mimi und Hope zu sorgen.“

Ich biss die Zähne zusammen, um nicht über den Tisch zu springen, während mein Puls in die Höhe schoss. Wie konnte er es wagen?

Die Frau vom Jugendamt schien sichtlich verwirrt. „Entschuldigen Sie, aber Sie sagten vorhin, dass Sie Hopes Vater wären. Wie kommen sie darauf? Fräulein Tachikawa hat den Vater nach der Geburt als unbekannt angegeben.“

„Das ist mir bewusst“, erwiderte Hayato gelassen. „Ich weiß, dass sie das getan hat, doch das ändert nichts daran, dass ich Hopes leiblicher Vater bin.“

„Und wie kommt es, dass wir dann erst jetzt von Ihnen erfahren?“

„Das liegt daran, dass ich lange versucht habe, mich aus der Verantwortung zu ziehen“, gestand Hayato zu meinem Entsetzen. Beinahe wäre mir der Mund aufgeklappt.

„Doch ich möchte das wieder gut machen. Ich dachte, Mimi würde nicht wollen, dass ich Kontakt zu meiner Tochter aufnehme. Ich habe ihr bereits gesagt, wie leid es mir tut, nicht für sie da gewesen zu sein. Aber inzwischen hat sich einiges geändert. Ich kann und werde mich nicht länger von ihr fernhalten. Du fehlst mir einfach, Mimi.“ Jetzt wandte er sich direkt an mich. „Du warst das einzig Ehrliche in meinem Leben.“

Ich erstarrte für einen Augenblick. Meine Stimme zitterte und trotzdem schleuderte ich ihm die einzigen Worte entgegen, die ich für ihn übrighatte. „Du … Lügner.“

„Moment, Moment“, mischte die Beamtin sich ein. „Soll das bedeuten, Fräulein Tachikawa, Sie wussten, wer der leibliche Vater ist und haben den Kontakt absichtlich unterbunden?“

Ich biss mir auf die Unterlippe. Wie sollte ich da nur wieder rauskommen? Es lief doch so gut und jetzt schlug dieses Gespräch eine Richtung ein, die mich eindeutig schlecht dastehen ließ.

„Das ist so nicht richtig“, mischte sich nun auch Tai ein. „Er hat Mimi dazu gezwungen, ihn nicht als Vater anzugeben. Er hat sie unter Druck gesetzt. Er wollte sogar, dass sie das Kind abtreiben lässt, nur damit seine berufliche Zukunft gesichert ist.“

Tai machte sich keine Mühe, die Verachtung zu verbergen, die er für Hayato empfand. Er versuchte es, nicht all zu sehr zu zeigen, doch er hasste ihn schon jetzt mit jeder Faser seines Körpers, das konnte ich spüren.

Die Beamtin wartete auf eine Antwort von ihm. Hayato seufzte.

„Ich kann nicht leugnen, dass es so war, was ich mittlerweile zutiefst bereue. Mimi war … ist so jung und ich war kurz davor als stellvertretender Geschäftsführer in der Firma meines Vaters eingesetzt zu werden. Ein uneheliches Kind mit einer Minderjährigen wäre … wäre ein Skandal gewesen. Heute weiß ich, dass ich es hätte besser machen müssen. Dass ich zu meiner Tochter hätte stehen müssen und zu Mimi. Ich bin schließlich der Ältere von uns beiden und ich schäme mich dafür, dass Mimi alles alleine durchstehen musste.“

„Ich war nicht allein“, fuhr ich ihm über den Mund. „Ich hatte Tai.“

„Und trotzdem“, meinte Hayato unbeeindruckt, „möchte ich dies wieder gut machen. Ich möchte mich um meine Tochter kümmern und für Mimi und sie da sein, so gut es geht. Meine Lebensumstände wären ideal dafür. Ich habe eine sehr gute Arbeit und ein gesichertes Einkommen. Hope würde es an nichts fehlen.“

Nun platzte mir endgültig der Kragen. Das war zu viel.

Ich sprang von meinem Stuhl auf und knallte die Hände auf den Tisch, sodass alle mich erschrocken ansahen. Mein wütender Blick bohrte sich in Hayato und ich wünschte ihm die Pest an den Hals, während mir Tränen der Verzweiflung in die Augen schossen.

„Was bildest du dir eigentlich ein? Meinst du, du kannst nach Monaten hier auftauchen und von heute auf morgen Papa spielen? Was hättest du ihr schon groß zu bieten, außer Geld? Deine Liebe und Fürsorge? Pah, dass ich nicht lache! Du sorgst dich doch um niemanden, außer um dich selbst und um deine beschissene Firma.“

„Mimi, sei doch vernünftig“, antwortete er trotz meiner Ansprache seelenruhig und hielt meinem Blick stand. „Wie willst du es schaffen, dir mit ihr ein Leben aufzubauen, wenn du noch zur Schule gehst? Wie willst du sie versorgen? Etwa mit Hilfe eines dahergelaufenen fast achtzehn Jährigen, der nicht mal einen Job hat?“

Abwertend machte er eine Kopfbewegung in Richtung Tai, der augenblicklich die Fäuste ballte.

„Wir sind bisher auch sehr gut ohne dich klargekommen, Hayato“, platzte es aus mir heraus. „Hope braucht mich und sie braucht Tai und du kannst dahin gehen, wo du hergekommen bist und dein Leben ohne uns weiterleben – das wolltest du doch immer.“

„Okay, okay, das reicht“, versuchte die Beamtin uns zu beschwichtigen, da sie offensichtlich genug gehört hatte. „Setzen Sie sich bitte wieder hin, Fräulein Tachikawa, damit wir in Ruhe darüber reden können.“

Doch anstatt ihrer Aufforderung nachzukommen, klebte mein Blick immer noch voller Zorn an Hayato. Mein Brustkorb hob und senkte sich viel zu schnell, während das Blut in meinen Ohren rauschte.

„Bitte setzen Sie sich!“ Ihre Stimme war nun deutlich bestimmter.

Tai ergriff meinen Arm. „Mimi“, ermahnte er mich zur Vernunft und zog mich zurück auf den Stuhl.

„Bitte, lassen wir uns die Sache in Hopes Interesse ganz in Ruhe klären“, fuhr die Beamtin nun fort. „Es gibt hier ganz offensichtlich Interessenunterschiede, was das Beste für Sie und Ihre Tochter ist und ich finde, wir sollten das besprechen. Als erstes werden wir einen Vaterschaftstest veranlassen.“

Sie kramte in ihren Unterlagen und schob Hayato ein Formular rüber. „Reine Formalität. Ich denke nicht, dass sie sich als Vater ausgeben würden, wenn Sie es nicht sind. Doch wir müssen es schriftlich haben und Fräulein Tachikawa wird Sie nachträglich als leiblichen Vater eintragen lassen müssen. Bitte füllen Sie das aus und machen Sie alle Angaben zu Ihrer Person, die wir benötigen, um mit Ihnen in Kontakt zu bleiben, Herr …“

„Kido. Hayato Kido.“ Hayato lächelte zufrieden und zückte einen Stift aus seiner Brusttasche.

Währenddessen saß ich wie gelähmt auf meinem Stuhl und versuchte zu verstehen, was hier gerade geschah. Das hier … war der absolute Albtraum! Eine Mischung aus Angst und Entsetzen machte sich in mir breit. Meine ganze Welt schien mit einem Mal komplett in sich zusammenzufallen. Es riss mir den Boden unter den Füßen weg. In meinem Kopf spielten sich tausend Szenarien ab, wie es nun weitergehen konnte, für mich und Tai. Und das Schlimmste von allen, bahnte sich soeben seinen Weg an die Oberfläche.

„Eine Frage hätte ich da noch“, sagte Hayato und hob den Kopf, als er mit seinem Formular fertig war. „Wer hat das Sorgerecht für Hope?“

„Nun“, entgegnete die Beamtin, nahm Hayatos Formular entgegen, um es mit einem kurzen Blick zu prüfen und sah ihn dann an. „Da Fräulein Tachikawa noch minderjährig ist, obliegt das Sorgerecht momentan noch den Eltern.“

Ein kaum merkliches Lächeln legte sich auf Hayatos Lippen. Er musste nicht einmal aussprechen, was ihm gerade durch den Kopf ging.

„Verstehe“, antwortete er lediglich, während die Frau sich erhob und mir die Hand über den Tisch reichte.

Wie in Trance ergriff ich sie.

„Ich denke, wir werden uns bald wiedersehen, Fräulein Tachikawa. Und beim nächsten Termin wäre es sicher hilfreich, ihre Eltern ebenfalls dazu einzuladen, um zu besprechen, wie es weitergeht.“

Mit einem Lächeln wandte Sie sich Tai zu. „Es hat mich gefreut, Herr Yagami. Es wäre schön, Sie beim nächsten Treffen ebenfalls wieder begrüßen zu dürfen.“

„Ich werde da sein“, entgegnete Tai prompt, woraufhin Hayato den Kopf leicht schief legte und grinsend eine Augenbraue in die Höhe zog.

Die Beamtin verabschiedete sich von Hayato mit den Worten, dass sie sich mit ihm in Verbindung setzen würde. Wie selbstverständlich erhob sich Tai von seinem Stuhl und bot an, sie zur Tür zu begleiten.

Sie verließen das Wohnzimmer und zurück blieb lediglich die bedrückende Stille, die sich zwischen uns gelegt hatte und das Ticken der Uhr an der Wand, welches unnatürlich laut in meinen Ohren hallte.

Meine Kehle war staubtrocken geworden und meine Finger hatten sich unter dem Tisch verkrampft. Ich war kurz davor jegliche Restbeherrschung zu verlieren, die mir noch blieb.

Hayato lehnte sich leicht nach vorne und sah mich eindringlich an.

„Du bist jetzt sicher sauer auf mich, was?“

Ich hob den Blick, der eben noch starr auf die Tischplatte gerichtet war.

„Sauer?“, wiederholte ich fast schon geistesabwesend. „Du hast gerade alles zerstört, was ich mir aufgebaut habe.“

„Glaub mir, Mimi“, antwortete Hayato ruhig. „Ich bin nicht hier, um irgendetwas zu zerstören.“

Wie konnte er das nicht sehen? Wie konnte er allen Ernstes glauben, er wäre im Recht?

„Wir hatten einen Deal, Hayato“, brachte ich mit gebrochener Stimme hervor, als Tai zurück ins Wohnzimmer kam.

„Dieser Deal ist hinfällig“, entgegnete Hayato eiskalt und erhob sich. Offensichtlich wollte er gehen, doch Tai versperrte ihm den weg. Er stemmte die Hände in die Hüften und stellte sich Hayato entgegen. Obwohl Tai deutlich jünger wa, befanden sich die beiden nun endlich auf Augenhöhe.

„So, und jetzt zu dir.“ Er funkelte ihn böse an, während Hayato nur wissend grinste.

„Ach, wirklich?“

„Ich habe keine Ahnung, was du dir einbildest, wer du bist. Aber Hopes Vater bist du auf keinen Fall. Wenn du es wärst, hättest du es nie so weit kommen lassen, dass Mimi mit ihr alleine dastand.“

Hayato steckte beide Hände in die Hosentaschen und nahm eine entspannte Haltung ein. Es war nicht zu übersehen, dass er sich von Tai kein Stück beeindrucken ließ.

„Und du denkst, weil du die letzten Monate für sie da warst und Ersatz-Papa gespielt hast, könntest du mir diesen Rang streitig machen? Da habe ich eine interessante Neuigkeit für dich – Blut ist dicker als Wasser. Und das wird das Jugendamt sicher auch so sehen.“

Er drängte sich an Tai vorbei, der ihm nur hasserfüllt hinterherblickte, als ich von meinem Stuhl aufsprang.

„Hayato, bitte“, rief ich und mir war mehr als bewusst, wie verzweifelt ich klingen musste. Er drehte sich zu mir um. Flehend und eindringlich zugleich sah ich ihm in die Augen. „Bitte, versuch nicht, sie mir wegzunehmen.“

Für einen kurzen Moment herrschte Stille zwischen uns. Stille, in der wir uns einfach nur ansahen und ich versuchte, in seinen Augen irgendetwas zu finden, was mir die Angst nahm. Irgendetwas, das mir sagte, dass er das niemals tun würde, weil auch er irgendwo tief in sich drin ein Herz besaß.

Schließlich regte er sich und kam zurück und um den Tisch herum auf mich zu. Direkt vor mir blieb er stehen. Ich schluckte schwer und sah zu ihm auf.

„Wie kommst du darauf, dass ich sie dir wegnehmen will, Mimi?“, sagte er, was mich ungläubig zusammenzucken ließ.

„Ich habe nie vorgehabt, sie dir zu entreißen, oder was immer du jetzt auch von mir denken magst. Du bist ihre Mutter und sie braucht dich. Das weiß selbst ich.“

Bei diesen Worten keimte ein winziges Fünkchen Hoffnung in mir auf, doch die Frage, warum er das dann alles getan hatte, blieb bestehen. Ich verstand das alles nicht. Warum kam er hierher und machte alles so furchtbar kompliziert für mich und Hope? Warum jetzt?

Doch der kleine Funken Hoffnung, den ich für den Bruchteil einer Sekunde hatte, verschwand mit einem Mal, als sein Blick sich veränderte, dunkel wurde, und er nun Tai ansah.

„Aber ihn braucht sie nicht.“

Mein Herz zersprang in tausend Teile. Darum ging es ihm die ganze Zeit? Um Tai?

Ich biss die Zähne zusammen und eine tiefe Zornesfalte legte sich auf meine Stirn.

„Du kennst ihn nicht. Er ist gut für sie.“

Hayato zischte. „Das könnte ich auch sein, wenn du mich nur lassen würdest.“

Er wandte sich von mir ab. „Aber da ich wusste, das würdest du niemals tun, musste ich zu anderen Mitteln greifen. Ich werde nicht zulassen, dass meine Tochter von irgendeinem Fremden großgezogen wird.“

Aus Tais Kehle drang ein Brummen, während Hayato an ihm vorbei ging.

„Hayato, sie ist nicht deine Tochter!“, rief ich ihm aufgebracht hinterher, in der Hoffnung, dass ihn die Worte irgendwie erreichten. Dass sie ihn zu Vernunft brachten und er einsah, wie falsch er lag.

Er mochte Hopes leiblicher Vater sein, aber sie war nicht seine Tochter. Tai war ihr Vater und wenn er auch nur eine Sekunde an sie gedacht hätte als nur an sich selbst, hätte er es verstanden.

„Doch, Mimi, das ist sie“, sagte er jedoch nur noch im Gehen. „Und egal, was du dagegen tun willst – so wird es immer bleiben.“

Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss und ich mit ihr auf meinen Stuhl zurück. Ich schlug die Hände vors Gesicht und begann augenblicklich bitterlich zu schluchzen.

Keine Sekunde später fühlte ich Tais Finger, die sich um meine Hände legten.

„Sieh mich an.“

Ich schüttelte den Kopf.

Er nahm sie mir trotzdem vom Gesicht, über das mir unaufhaltsam Tränen flossen.

„Sieh mich an, Mimi.“

Er kniete vor mir und als ich ihm in die Augen sah, war jegliche Wut aus seinem Blick verschwunden. Stattdessen fragte ich mich, wie sie noch so voller Hoffnung sein konnten? Es war Hayato nie darum gegangen, mir Hope wegzunehmen, das war mir jetzt klargeworden. Was er wollte war, sie Tai wegzunehmen. Und trotzdem empfand ich beide Möglichkeiten als gleichschlimm. Er wollte sich zwischen uns drängen und den ersten Schritt hatte er gerade getan.

„Wir schaffen das schon, hörst du“, sagte Tai sanft und sah mich dabei eindringlich an.

„Und wie?“, zischte ich ungläubig. „Was meinst du, können wir jetzt noch tun? Hayato ist Hopes leiblicher Vater und es gibt rein gar nichts, was wir dagegen tun könnten. Du wirst sie niemals adoptieren können.“

Tai biss sich auf die Lippe, als die Wahrheit auf ihn einschlug. Denn genau so war es. Wenn Hayato entschlossen hatte, Tai loszuwerden und stattdessen seinen Platz einzunehmen, dann gab es nichts, was ihn davon abbringen konnte.

Er hatte recht.

Unser Deal war hinfällig …

18

„Ich fühle mich mies.“

„Oh, Mimi“, stöhnte Kari laut auf, während wir uns durch die vielen hübschen Kleider auf der Stange wühlten. „Ich sage es dir zwar schon die ganze Zeit, aber ich tue es gerne noch mal: Tai freut sich wirklich sehr auf heute Abend. Es ist alles gut so wie es ist.“

„Wie kann er sich freuen?“, entgegnete ich stark zweifelnd und zog ein knielanges Kleid, in einem grellen Gelbton von der Stange. Nach einem kurzen Blick hängte ich es angewidert zurück und schüttelte den Kopf. „Tai hat heute Geburtstag und es ist das erste Mal, dass sein bester Freund nicht dabei sein wird. Matt war immer dabei und heute Abend wird er es das erste Mal nicht sein und na ja, irgendwie … fühle ich mich schuldig.“

Geknickt ließ ich den Kopf hängen. Tai wurde heute endlich achtzehn und weder Yamato, noch Sora würden mit ihm feiern. Alles hatte sich so rasend schnell verändert. Nichts war mehr so wie es mal war und es war ganz sicher nicht so, wie Tai sich seinen Geburtstag vorgestellt hatte. Daher wollte Tai auch nur mit Kari, Takeru und mir essen gehen, anstatt standesgemäß zu feiern. Er beteuerte mir zwar immer wieder, dass das vollkommen in Ordnung sei, doch ich war da anderer Meinung. Ein Geburtstag sollte mehr als nur in Ordnung sein …

Frustriert seufzte ich auf. „Und dann noch die Sache mit Hayato und dem Jugendamt. Es ist gerade alles nicht einfach …“

Das Gespräch mit Hayato und der Frau vom Jugendamt war inzwischen über zwei Wochen her und vor ein paar Tagen kam der verhasste Brief ins Haus geflattert, dass der Vaterschaftstest abgeschlossen sei und Hayato offiziell Hopes Erzeuger war. Keine Ahnung, was ich erwartet hatte. Ich kannte schließlich das Ergebnis seines Auftretens vorher und dennoch regte mich dieser Brief so sehr auf, dass ich deswegen tagelang nicht schlafen konnte. In meinem Bauch hatte sich so viel Wut angestaut, über Hayato und diese ganze Situation, die er uns eingebrockt hatte. Wo es endlich so gut zwischen Tai und mir lief. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich mit all dem umgehen sollte.

Tai versuchte zwar, sich nichts anmerken zu lassen, aber ich konnte spüren, wie auch seine Sorge von Tag zu Tag wuchs. Wie würde es jetzt weitergehen mit uns dreien? Was sollte aus Hope werden? Würde Hayato tatsächlich so weit gehen, und das Sorgerecht an sich reißen, nur um Tai loszuwerden? Wenn das der Fall sein sollte, wäre es mir unmöglich mit Tai die Stadt zu verlassen und nach Osaka zu ziehen.

Um ehrlich zu sein, hatte ich kaum noch Hoffnung, dass wir das Blatt noch irgendwie zum Guten für uns wenden konnten. Alles, was wir tun konnten, war dastehen und dabei zusehen, wie die Flut über uns hereinbrach. Ich ertrank förmlich in ihr und ich riss Hope und Tai mit mir, was ich niemals wollte.

„Das kann ich verstehen“, sagte Kari verständnisvoll und legte ebenfalls ein grünes Shirt zurück, was ihr nicht gefiel. Wir hatten uns zum Shoppen verabredet, weil es ein besonderer Tag war und ich hübsch aussehen wollte, für Tai. Ich glaube, im Grunde sollte es mich nur etwas ablenken – was bisher nicht sehr gut funktionierte.

„Gibt’s denn inzwischen schon etwas Neues, wegen Ha … na ja, wegen Hopes Erzeuger?“, hakte Kari vorsichtig nach.

Ich schmunzelte. „Kari, du kannst seinen Namen ruhig aussprechen. Er ist ja nicht Du-weißt-schon-Wer.“

Kari lachte kurz auf, während wir das Geschäft verließen und in den nächsten Laden schlenderten.

„Um ehrlich zu sein, ist es gerade sehr ruhig geworden“, erzählte ich ihr. „Bis auf den Vaterschaftstest haben wir nichts mehr von ihm oder dem Jugendamt gehört und er ist mir auch nirgendwo mehr ‚rein zufällig‘ über den Weg gelaufen. Aber wenn du mich fragst, ist das nur die Ruhe vor dem Sturm. Und das macht mir noch mehr Angst als das Offensichtliche. Aber Hayato spielt nicht mit offenen Karten. Das hat er noch nie.“

„Mhm“, machte Kari, griff nach einem roten Top und hielt es mir nachdenklich vor die Brust, ehe sie es kopfschüttelnd wieder weglegte. „Hast du schon mal daran gedacht, dass es einen Grund für sein plötzliches Auftauchen geben könnte?“

Zischend verdrehte ich die Augen. „Natürlich gibt es den. Hayato tut nie etwas ohne Grund.“

„Und was denkst du, wäre das?“

„Das ist mir so ziemlich egal. Ich habe seine Spielchen echt satt.“

Wir gingen weiter zu den Schuhen. Gott, bis jetzt war wirklich noch nicht ein brauchbares Teil dabei gewesen.

„Vielleicht baut er genau darauf“, gab Kari schließlich zu bedenken. Skeptisch sah ich sie an.

„Was meinst du damit?“

Kari zuckte mit den Schultern. „Na ja, du hast selbst gesagt, es macht dir Angst, dass du seinen nächsten Schritt nicht kennst und nicht weißt, was dich erwartet. Das wäre eine ziemlich schlaue Taktik von ihm, wenn du mich fragst. Erst sorgt er dafür, dass er dir über den Weg läuft, zwei Mal. Er verwirrt dich mit seinen Schuldbekenntnissen und taucht bei deinem Termin mit dem Jugendamt auf, um genau dort die Bombe platzen zu lassen, was dich nur noch mehr durcheinanderbringt. Und jetzt? Nichts. Kein Lebenszeichen von ihm, keine Forderungen, gar nichts. Und das macht dir Angst. Du musst es so sehen: Angst ist wie ein schlechter Zauberkünstler. Wenn man sich den Trick mehrmals anschaut, erkennt man die Schwachstellen und weiß, wie der Zauberer das Publikum täuscht. Aber beim ersten Mal scheint der Trick magisch zu sein. Wenn wir Angst haben, durchdenken wir die Dinge nicht. Wir reagieren nur. Das liegt in der menschlichen Natur. Angst lässt uns die falschen Entscheidungen für richtig halten. Und dann ist es oft zu spät. Vielleicht wartet er nur darauf, dass ihr aus Angst einen Fehler macht.“

Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch alles, was ich tat, war den Kopf schief zu legen und die Arme vor der Brust zu verschränken. War das möglich?

Gott, allein, dass ich diese Theorie in Frage stellte … natürlich war es möglich! Wenn jemand so berechnend sein konnte, dann war es Hayato. Dass ich darauf noch nicht selbst gekommen war … aber wie sollte ich auch? Ich war so sehr damit beschäftigt, tagelang wach zu liegen und darüber nachzudenken, was wir tun konnten und was Hayatos nächste Schritte sein könnten, dass mir gar nicht in den Sinn kam, dass das genau sein Plan war und er mich damit nur verunsichern wollte. Und zwar so sehr, dass wir früher oder später irgendeinen Fehler machen würden. Dann hätte er freie Bahn.

„Kari, das ist … genial“, sagte ich anerkennend, als mir endlich ein Licht aufging. Das Einzige, was wir tun mussten und was wir tun konnten, war weiterzumachen wie bisher. Nicht mehr und nicht weniger. Denn, wie sollte das Jugendamt glauben, dass Tai und ich das Beste für Hope waren, wenn wir selbst an uns zweifelten?

Hayato hatte es nur geschafft, die Situation unter seine Kontrolle zu bringen, weil er sie durch seine Überraschungsmomente an sich gerissen hatte. Er hatte uns eiskalt erwischt. Und wir waren ihm voll auf den Leim gegangen.

Wieso war mir das nicht schon viel eher aufgefallen?

Mit seinem Auftauchen hatte er uns so sehr überrumpelt, dass ich voll aus der Haut gefahren war. Er ließ mich schwach erscheinen, während für ihn alles zu seinen Gunsten verlief.

Arschloch!

Aber das würde sich von nun an ändern. Hayato würde keine Gelegenheit mehr dazu bekommen, uns so sehr vom Spielfeld zu verdrängen.

Ich konnte nicht mehr an mich halten und fiel Kari stürmisch um den Hals. „Du bist echt spitze, Kari. Ich danke dir!“

„Was … ich … Mimi, du erdrückst mich ja“, stammelte Kari erstickend, woraufhin ich sie losließ. Strahlend sah ich sie an.

„Trotzdem, danke. Du glaubst gar nicht, wie sehr du mir eben geholfen hast.“

Kari lächelte verlegen. „Gern geschehen. Aber ich versuche nur die Situation von allen möglichen Seiten aus zu betrachten. Es ist eben alles nur eine Frage des Blickwinkels.“

Ich nickte anerkennend. Wann zum Teufel war die kleine Kari so erwachsen geworden? Sie hatte selbst mehr als genug durchgemacht und ausgerechnet sie war es, die mir weise Ratschläge erteilte. Oder, vielleicht war genau das der Grund. Sie hatte recht – es war eben alles eine Frage des Blickwinkels. Vielleicht sollte ich mehr wie Hayato denken, um ihn zu durchschauen. Ich kannte ihn schließlich lang genug. Dass ich nicht schon eher darauf gekommen war, ärgerte mich. Aber noch mal würde ich mich nicht von ihm ins Box Horn jagen lasse, ganz sicher nicht!

„Oh, man“, seufzte Kari plötzlich auf und ließ die Schultern hängen, als sie ein paar Schuhe zurück ins Regal stellte. „Ich glaube, wir können wieder nach Hause gehen. Wir finden hier ohnehin nichts. Außerdem ist es ja nur ein Essen, also …“

Ich zog die Stirn kraus. Nur ein Essen? Ja, das war es wirklich. Und es war definitiv nicht das, was Tai verdient hatte. Allerdings waren wir auf unserer Shopping Tour bis jetzt wirklich nicht sehr erfolgreich gewesen. Dabei wollte ich Tai überraschen und nicht in denselben ausgeblichenen Jeans vor ihm sitzen, in denen er mich ohnehin jeden Tag sah.

Moment mal … überraschen?

Natürlich!

Ich riss meine Augen auf, während Kari mich fragend musterte. „Du siehst aus, als hättest du gerade eine Eingebung.“

Ich klatschte in die Hände und begann übers ganze Gesicht zu strahlen.

„Ich denke, ich habe genau das richtige Outfit für uns heute Abend.“

Ich packte Kari an der Hand und zog sie hinter mir her – in die Bademodenabteilung.

Es dauerte keine drei Sekunden, bis ich fündig wurde und gierig einen Zweiteiler von der Stange zog. Begeistert hielt ich ihn Kari vor die Brust.

„Perfekt!“

Es war ein pinker Bikini. „Du wirst so was von heiß in dem Teil aussehen. Takeru werden die Augen rausfallen.“

Kari schien jedoch mehr als verwirrt und beäugte erst das Teil kritisch und dann mich.

„Äh … Mimi? Hast du vergessen, dass wir zum Essen verabredet sind? Wenn das kein neuer Trend ist, habe ich noch niemanden halb nackt in einem Restaurant sitzen sehen.“

Ich ignorierte ihren Protest und drückte ihr den Bikini dennoch in die Hand.

„Wir gehen ja auch nicht essen. Hier, anprobieren!“

„Was hast du vor?“, hakte Kari verunsichert nach.

Mein Mund verzog sich zu einem heimtückischen Grinsen, als ich das Handy aus meiner Tasche zog und eilig eine Nachricht tippte. „Wirst du schon sehen.“
 

Ein paar Stunden später am Abend befanden Tai und ich uns auch schon auf den Weg zum vereinbarten Treffpunkt.

„Also, Mimi, das finde ich jetzt echt albern“, beschwerte er sich, während ihm nichts anderes übrigblieb, als weiter meine Hand festzuhalten und mir blind zu vertrauen – denn ich hatte ihm die Augen verbunden.

„Was soll das ganze Theater mit der Augenbinde? Ich kenne das Restaurant schließlich, in das wir gehen – ich habe es selbst ausgesucht.“

Ich verkniff mir ein Kichern und drückte ihn unterdessen nach links, um die nächste Ecke. „Denkst du etwa immer noch, wir würden essen gehen?“, neckte ich ihn, als wir am Zielort ankamen.

Tai stöhnte genervt auf. „Ich habe dir doch gesagt, es reicht mir völlig, den Abend mit euch zu verbringen. Mehr brauche ich gar nicht. Also, jetzt nimm mir endlich dieses blöde Ding ab und lass uns …“

„Hey!“, unterbrach ich ihn, als er an seiner Augenbinde rumzerrte. „Lass sie dran!“, befahl ich, nahm ihm unter Protest die Hand von den Augen und führte ihn weiter in Richtung Treppe. „Vorsicht Stufe. Sind gleich da, keine Sorge.“

Nachdem ich mit Kari shoppen war, hatte ich alles in kürzester Zeit in die Wege geleitet. Und ich muss gestehen, vermutlich war ich gerade aufgeregter als das Geburtstagskind selbst. Tai schien einfach nur genervt davon zu sein, dass ich ihn verschleppt hatte. Er war nicht in Feierlaune – eindeutig. Aber er hatte es verdammt noch mal verdient, seinen 18. Geburtstag gebührend zu feiern. Und ob er wollte oder nicht, ich würde das jetzt durchziehen. Er würde mir noch dankbar sein.

Ich öffnete eine große Tür, sah mich jedoch sicherheitshalber noch mal zu allen Seiten um, bevor wir sie durchquerten. Man, es war verflucht dunkel hier drin. Irgendwie gruslig, wenn so gar niemand hier war. Unsere Schritte hallten von den Wänden wieder und ich hoffte, dass Tai keinen Verdacht schöpfen würde, wo wir uns befanden.

„Mimi?“, erklang Tais unsichere Stimme neben mir.

„Ja?“

„Muss ich Angst haben?“

Kurz musste ich auflachen. „Wieso solltest du Angst haben müssen?“

Er zuckte mit den Schultern, während ich ihn durch eine weitere Tür führte. „Keine Ahnung. Vielleicht willst du mich ja entführen und in irgendeiner dunklen Ecke … woah, was wird das?“

Erschrocken hob er die Hände hoch, als ich ihn mit dem Rücken hart gegen etwas Kalten stieß und meine Finger sich an seinem Hosenbund zu schaffen machten.

Mit wenigen Handgriffen hatte ich seinen Gürtel und die Hose geöffnet und zog sie ihm runter.

Tai wirkte wie versteinert.

„Mimi … d-das i-ist … ja mal eine tolle Geburtstagsüberraschung. Also damit hab ich jetzt nicht gerechnet.“ Die Überraschung in seinem Gesicht wich einem schelmischen Grinsen. Kaum zu übersehen, was er dachte, was ihn gleich erwarten würde.

Ich zog ihm Schuhe und Hose aus und kam breit grinsend wieder auf die Beine.

„Jaah“, säuselte ich an seinem Ohr und fuhr mit den Fingerspitzen langsam über seinen Hals. „Und sie wird noch viel besser.“

Tai biss sich genüsslich auf die Unterlippe, während meine Hände unter seinen Pullover glitten und ihm ebenfalls davon befreiten.

„Wow“, stöhnte er leise auf, als ich mich erneut vor ihn kniete und ihm auch noch die Boxer Short auszog. „Das hätte ich dir echt nicht zugetraut, Mimi Tachikawa. Aber … ich muss gestehen, es gefällt mir.“

Ich lachte leise, kickte seine Sachen von uns weg und kramte in der Sporttasche herum, die ich mitgebracht hatte und die hinter mir auf der Bank stand. Dass wir uns gerade in der Umkleidekabine der Schule befanden, war Tai überhaupt nicht bewusst und ich glaube, es war ihm in dem Moment auch relativ egal.

„So, pass auf“, sagte ich verheißungsvoll. „Jetzt geht’s richtig los.“

Tai nickte und sein Grinsen wurde immer breiter. „Oh ja … Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal sage, aber …“ Er stockte. „Ähm, Mimi? Was machst du da?“

Trotz, dass es dunkel war, konnte ich sehen, wie er stutzte. Kein Wunder. Ich hatte ihn auch soeben wieder angezogen. Na ja, zumindest untenherum.

„Okaaay, was wird das jetzt? Sind wir schon fertig?“, hakte er verwirrt nach, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.

„Brav stehen bleiben“, grinste ich und machte mich daran, mich ebenfalls umzuziehen. Schnell fielen meine Klamotten neben seinen auf den Boden und ich zog den Bikini an, den ich am Nachmittag mit Kari gekauft hatte.

„Und jetzt spielen wir ein Spiel.“

„Jaah“, meinte Tai deutlich zweifelnd. „Ein ziemlich schräges Spiel, wenn du mich fragst. Ich dachte, wir würden …“

„Was? Es hier treiben wie die Tiere?“

Enttäuscht zuckte Tai mit den Schultern. „Ja, irgendwie schon.“

Ich konnte mein Lachen nicht unterdrücken. Wie er da stand – halbnackt, in seiner Badehose, die Augen immer noch verbunden und sichtlich enttäuscht, dass ich ihm um sein Liebesspiel gebracht hatte. „Vielleicht später. Aber erst musst du mich finden.“

„Was?“

„Zähle bis Zehn“, befahl ich und schlich mich davon.

„Ich soll was? Nein. Nein, Mimi, das mache ich nicht. Das ist doch total bescheuert. Warum sollte ich … hallo?“

Schnell versteckte ich mich hinter der nächsten Ecke und lugte heimlich hinter ihr hervor. Tai stand immer noch völlig verwirrt und verloren vor den Spinten der dunklen Umkleidekabine und wusste nicht, wie ihm geschah.

„Mimi? Hallo?“

Ich hielt mir die Hand vor den Mund und kicherte leise, als Tai sich endlich die Augenbinde abnahm. Ich konnte sehen, wie er ein paar Mal blinzelte und sich über die Augen rieb, ehe sein Blick auf die Fliesen fiel, wo unsere Klamotten verstreut lagen.

„Was zum Teufel …?“ Suchend sah er sich um. „Mimi?“

Inzwischen müsste auch er erkannt haben, dass wir uns in der Umkleidekabine der Schwimmmannschaft unserer Schule befanden.

Barfuß machte Tai ein paar Schritte durch den Raum. „Mimi? Was soll das? Ich habe keine Lust auf Versteckspielen.“

Ich musste lachen, was Tai aufsehen ließ. Doch ich ließ ihm keine Zeit, mich ausfindig zu machen und verschwand schnell um die nächste Ecke.

„Du willst also spielen?“, hörte ich ihn hohl durch die leere Umkleidekabine rufen. „Okay, dann spielen wir eben.“

In seiner Stimme schwang etwas Siegessicheres mit, weshalb ich wusste, dass er endlich angebissen hatte. Auf leisen Sohlen schlich ich durch den Raum, huschte von Spint zu Spint und schaute vorsichtig an ihnen vorbei, um nicht entdeckt zu werden.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich längst keine Schritte mehr hörte. Was …? Wohin war er so plötzlich verschwunden? Dieser Kerl war anscheinend leise wie eine Katze in der Nacht. Und nach mehreren Minuten, in denen sich nichts tat, wurde selbst mir die Sache langsam unheimlich.

Vorsichtig spähte ich um eine Ecke. „Tai?“, rief ich leise in die Dunkelheit. Keine Reaktion.

Plötzlich packten mich zwei Arme von hinten und schlossen sich fest um meinen Oberkörper.

„Hab dich!“

Mir entfuhr ein schriller Schrei, als mich die Arme erst von den Füßen hoben und mich dann zu sich rumwirbelten.

„Oh. Mein. Gott“, schnaufte ich und rang nach Luft. „Tu das nie wieder! Ich habe mich zu Tode erschreckt.“

Tais Gesicht umspielte ein schelmisches Grinsen. „Das war die Rache dafür, dass du mich eben hast stehen lassen. Außerdem wolltest du doch spielen.“

Ich verdrehte die Augen und legte die Arme um seinen Hals.

„Bekomme ich jetzt meine Belohnung?“, fragte er, legte eine Hand in meinen Rücken und die andere auf meinen Po, um mich noch enger an sich zu ziehen.

„Du bist ziemlich gierig“, säuselte ich amüsiert, konnte jedoch nicht vermeiden, dass sich in meinem Unterleib ein angenehmes Ziehen ausbreitete.

„Was hast du erwartet, wenn du hier halb nackt vor mir stehst?“ Tais Blicke wanderten über mein Dekolleté nach unten zu meinen Brüsten, die von einem roten Bikini verdeckt wurden.

„Mmh, na gut. Überredet“, sagte ich und legte den Kopf schief. Dann nahm ich sein Gesicht in meine Hände und hauchte ihm einen innigen Kuss auf die Lippen. Tai erwiderte den Kuss mit voller Leidenschaft, während ich ihn unauffällig nach hinten drängte.

„Wow, das ist schon jetzt der beste Geburtstag aller Zeiten“, meinte er, als wir uns kurz voneinander lösten. Ich grinste in mich rein. Na, hoffentlich sah er das gleich immer noch so.

Nachdem ich ihn weiter dort hingeschoben hatte, wo ich ihn haben wollte, öffnete ich hinter ihm eine Tür, ohne von seinem Mund abzulassen.

Sanft schob ich ihn hindurch und sofort stieg mir der Duft von Chlor in die Nase. Ich öffnete die Augen und konnte sehen, wie das Wasser des Pools sich in Wellen an der Decke spiegelte, während es um uns drum rum mucksmäuschenstill war. Perfekt.

Ich drückte Tai von mir und suchte seinen Blick. Mein Herz schlug mir bis zum Hals.

„Gehen wir jetzt schwimmen?“, fragte er und seine Mundwinkel zuckten ein wenig. „Ich habe es noch nie in einem Pool getan.“

Leider konnte ich nicht verhindern, dass mir die Hitze ins Gesicht stieg und meine Wangen vermutlich puterrot färbte. Doch davon bekam Tai nichts mit. Er wollte mich erneut an sich ziehen und küssen, aber ich legte eine Hand auf seine Brust.

„Oh Gott, ich hoffe, du hasst mich jetzt nicht dafür“, sagte ich unsicher grinsend und trat einen Schritt zurück.

Tai stutzte. „Wofür?“

„ÜBERRASCHUNG!“

Erschrocken fuhr er herum, als plötzlich das Bodenlicht der Halle anging und eine Scharr von Leuten aus den verschiedenen Kabinen strömte.

„Was zur Hölle …“, brachte Tai lediglich hervor, als auch schon Kari auf ihn zukam, einen Geburtstagskuchen mit 18 Kerzen in den Händen haltend und hinter ihr die gefühlt halbe High School – die ich eingeladen hatte. Natürlich nur Leute, die Tai auch kannte. Sein ehemaliger Jahrgang, seine Fußballmannschaft, meiner und Izzys Jahrgang und so ziemlich jede Sportmannschaft der Schule. Obwohl dies hier alles recht kurzfristig organisiert wurde, hatten alle sofort zugesagt. Alle liebten Tai, und es wurde Zeit, dass er das auch merkte. Er hatte es einfach verdient, sich heute mal so richtig feiern zu lassen. Dass wir dabei gegen so ziemlich jede der Schulregeln verstießen, war uns allen egal. Zum Glück hatte ich einen guten Draht zum Kapitän der Schwimmmannschaft, der in meine Klasse ging. Nur er besaß den Schlüssel zur Schwimmhalle – natürlich ausschließlich, um außerhalb der Schulzeiten trainieren zu können. Doch zum Glück war er ein Freund von guten Partys und der Idee für eine nächtliche Poolparty gegenüber nicht abgeneigt.

„Happy Birthday, Bruderherz“, flötete Kari, während Tai überhaupt nicht wusste, wie ihm geschah.

„Das … wäre doch nicht nötig gewesen“, meinte Tai sichtlich überfordert und nahm den Kuchen entgegen.

„Willst du uns verarschen, Alter“, johlte Takashi, ein Kollege seiner ehemaligen Fußballmannschaft. Er stürmte an den anderen vorbei auf Tai zu, legte schwungvoll einen Arm um seine Schultern und wuschelte ihm grob durch das braune Haar. „Unser Kapitän wird 18 und du willst das klammheimlich alleine feiern? Das kannst du so was von vergessen.“

Tai zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe. „Aber ich bin doch gar nicht mehr euer Kapitän. Die Schule ist vorbei, habt ihr das vergessen?“

Seine ganze Mannschaft verfiel in lautes Gelächter, als hätte Tai eben den Witz des Jahrhunderts gerissen.

„Sehr witzig, Kumpel. Du wirst immer unser Kapitän bleiben“, sagte Takashi und ich konnte sehen, wie gerührt Tai von diesen Worten war – auch wenn er es nicht zeigen wollte.

„Was ist nun?“, fragte Kari ungeduldig nach. „Pustest du jetzt oder nicht?“

Tai nickte lächelnd und begutachtete den Kuchen in seinen Händen.

„Aber vergiss nicht, dir was zu wünschen“, erinnerte ihn Kari schnell noch.

Tai suchte meinen Blick. Ich stand ein paar Meter weiter weg von ihm, vermischt mit der Menschenmenge und doch war es so, als gäbe es für einen Augenblick nur uns beide in dieser riesigen Halle.

Ein Grinsen umspielte seine Lippen, ehe er tief Luft holte und alle Kerzen auf einmal ausblies. Die anderen jubelten und klatschten in die Hände und fast im selben Moment startete jemand über die Lautsprecher der Halle die Musik. Alle feierten Tai und riefen ihm Glückwünsche zu, ein paar von ihnen fielen ihm stürmisch um den Hals, während andere bereits mit vollem Anlauf in den Pool sprangen. Ich hielt mich zunächst im Hintergrund und beobachtete Tai bei seinem großen Moment. Er lachte herzhaft und all die Anspannung der letzten Tage schien mit einem Mal von ihm abzufallen. Mein Herz weitete sich bei dem Anblick. Zu sehen, wie er sich über das alles hier freute, machte mich sehr glücklich. Es war bitter nötig den ganzen Stress wenigstens für einen Abend lang zu vergessen.

Ich wartete, bis sich die Aufregung etwas gelegt und Tai seinen Kuchen zur Seite gestellt hatte. Dann schlenderte ich mit auf dem Rücken verschränkten Armen auf ihn zu.

„Ehrlichgesagt habe ich kurz gezweifelt, ob du mir nicht doch den Kopf hierfür abreißen würdest“, scherzte ich.

Tai lachte, legte seine Arme um meine Taille und zog mich eng an sich.

„Als könnte ich dir jemals böse sein. Außerdem muss ich zugeben, dass dir diese Überraschung ziemlich gelungen ist. Es ist schön, sie alle noch mal zu sehen, auch wenn …“

Tai stockte. Sein Blick trübte sich, genau wie meiner. Er musste gar nicht weiterreden. Ich wusste genau, was er sagen wollte. So viele Leute auch hier waren, konnten sie doch nicht die eine Person ersetzen, die fehlte.

„Tai?“

Verwundert sahen wir beide gleichzeitig zur Seite. Takeru stand vor uns und grinste breit.

„Hier ist noch jemand, der dir gratulieren möchte.“

Er trat zur Seite und beinahe wäre mir der Mund aufgeklappt. Ich musste ein paar Mal blinzeln, um zu realisieren, wer vor uns stand.

„Ya-Yamato …“

Tai ließ von mir ab und trat seinem Freund gegenüber, der sichtlich überfordert war mit der Situation. Allein die Tatsache, dass er hier war, war mehr als überraschend.

Takeru stellte sich neben mich.

„Hast du ihn eingeladen?“, fragte ich ihn.

Er zog unschuldig die Schultern hoch und schmunzelte. „Er war mir noch was schuldig.“

Ich musste lächeln. Takeru war der Wahnsinn. „Gut gemacht, T.K.“

„Ehm … hi“, begrüßte Yamato Tai zaghaft und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

„Hallo“, antwortete Tai lediglich, als wären sie nicht seit einer Ewigkeit beste Freunde.

„Also, ich“, begann Matt verlegen, kratzte sich am Hinterkopf und schielte dabei gen Decke. „Ich wollte dir zum Geburtstag gratulieren.“

„Danke“, lächelte Tai vorsichtig. „Schön, dass du gekommen bist.“

So war es gut, Tai. Ich faltete die Hände vor der Brust und drückte den beiden innerlich die Daumen. Es war höchste Zeit, dass die beiden wieder aufeinander zugingen.

„Machst du Witze?“, lachte Yamato auf und sah seinem Freund das erste Mal direkt in die Augen. „Meinst du ernsthaft, ich verpasse den 18. Geburtstag meines besten Freundes?“

Tais Lächeln wurde noch breiter. Als hätte er nur auf diese Worte gewartet.

„Na ja, jedenfalls bist du nicht sonderlich gut vorbereitet. Dein Dresscode stimmt nicht ganz.“ Er deutete mit dem Finger an Yamatos Klamotten hinab, der ebenfalls einen Blick an sich hinunterwarf.

„Jaah, auf eine Poolparty war ich nicht wirklich vorbereitet. Ehrlichgesagt komme ich gerade von der Bandprobe.“

Tai stemmte die Hände in die Hüfte und legte den Kopf leicht schief. „Tja, dann muss ich dich eben so untertauchen.“ Im nächsten Moment packte er Yamato von hinten an Armen und Schulter und drängte ihn in Richtung Wasser.

„Hey, man, bist du bescheuert? So kann ich doch nicht schwimmen gehen. Der Pullover ist aus Kaschmir“, protestierte dieser sofort lautstark, was Tai nur noch mehr anstachelte.

„Kaschmir? Noch ein Grund mehr, dich ins Wasser zu schubsen.“

Ich prustete los, während die beiden weiterhin ihr spielerisches Wortgefecht austrugen. Die zwei waren einfach zu göttlich zusammen – fast so wie früher.

„Tja, es stimmt eben doch“, meinte Takeru neben mir schulterzuckend. „Was sich liebt, das neckt sich.“

„Kann man so sagen“, bestätigte ich grinsend. Wie gern ich diese Überraschungsparty für Tai auch organisiert hatte, ich wusste jetzt schon, dass all das nur halb so schön gewesen wäre, wäre Matt nicht aufgetaucht. „Danke, dass du das gemacht hast“, sagte ich an Takeru gewandt.

„Gern geschehen. Das konnte ja nicht ewig so weiter gehen. Und manche Leute muss man eben wirklich zu ihrem Glück zwingen.“

Ich warf ihm einen vielsagenden Blick zu und verschränkte die Arme vor der Brust. „Was du nicht sagst. Übrigens, hast du Karis neuen Bikini schon gesehen? Sieht sie nicht verdammt sexy darin aus?“

Ich deutete unauffällig mit dem Finger auf Tais kleine Schwester, die gerade mit ein paar anderen Mädchen zusammen am Pool saß und die Füße ins Wasser baumeln ließ.

Takeru folgte meinem Blick und ich konnte eindeutig sehen, wie seine Augen einen Moment zu lang an ihr kleben blieben. Dann lachte er. „Ich soll meine beste Freundin als sexy bezeichnen?“

Ich zog eine Augenbraue in die Höhe. „Mmh, ich weiß nicht. Ist sie denn deine beste Freundin? Oder … ist sie vielleicht sogar ein bisschen mehr?“

Takeru stutzte und sah mich fragend an. Sein Blick ging erneut zu Kari, als würde er gerade ernsthaft überlegen.

„Du stellst wirklich merkwürdige Fragen, Mimi“, entgegnete er schließlich zweifelnd. „Ich gehe mich mal umsehen, ob ich Izzy irgendwo finde.“

Frustriert ließ ich den Kopf hängen, als er mich stehen ließ – einfach so. Er war dem Gespräch aus dem Weg gegangen, eindeutig. Aber warum? Was war zwischen den beiden vorgefallen, als sie alleine in den Bergen waren?

Blickwinkel

Bisher hatte ich leider keine Gelegenheit gehabt, Kari genauer auszuquetschen. Doch das würde sich jetzt definitiv ändern.

Ich schlenderte zu ihr herüber und nutzte die Gunst der Stunde, da die anderen Mädchen gerade etwas zu trinken holten und sie alleine am Beckenrand saß.

„Sind sie nicht süß?“, fragte ich sie grinsend, während ich mich neben sie setzte und meine Beine ins kühle Nass baumeln ließ.

Mit einem Kopfnicken deutete ich auf Tai und Yamato, die gerade dabei waren, sich gegenseitig die Köpfe unter Wasser zu tauchen. Anscheinend hatte Matt inzwischen von irgendwem eine Badehose geliehen bekommen.

Kari lächelte. „Ja, allerdings. Es tut gut, Tai wieder so glücklich zu sehen.“

Ich nickte. „Finde ich auch. Allerdings würde ich dich gerne genauso glücklich sehen.“

„Es ist alles gut. Ich bin zufrieden, Mimi.“

„Ja, ich weiß. Aber bist du auch glücklich?“

Schweigen.

Dabei konnte ich ihr ganz genau ansehen, dass sie schon wieder einen Teil ihrer wahren Gefühle zurückhielt.

„Was ist zwischen euch vorgefallen?“, fragte ich schließlich. Ich musste nicht mal seinen Namen erwähnen, da seufzte Kari schon.

„Zwischen T.K. und mir meinst du? Nichts.“

„Nichts?“, fragte ich sichtlich entsetzt. Meine Blicke durchbohrten sie förmlich. „Was soll das heißen, nichts? Ihr wart fast drei Tage alleine. Irgendetwas muss passiert sein.“

„Na ja“, meinte Kari endlich und baumelte mit den Beinen vor und zurück. Ihre Augen waren starr aufs Wasser gerichtet. „Es gab da so einen Moment zwischen uns. Aber ich denke, ich habe ihn kaputt gemacht.“

„Kaputt? Was meinst du damit?“

Ein weiteres tiefes Seufzen entfuhr ihrer Kehle. Oh nein, hier war irgendetwas ganz und gar nicht in Ordnung.

„Ich habe mich irgendwie nicht getraut, mit ihm darüber zu sprechen. Über meine Gefühle, meine ich. Es war so entspannt zwischen uns und seine Nähe hat mir wirklich gutgetan und eigentlich war ich auch fest entschlossen, es ihm zu sagen, aber …“

„Aber?“

Kari schloss betrübt die Augen. „Aber dann habe ich ihn geküsst. Einfach so. Ohne jede Vorwarnung, weil es mich einfach überkam. Und das hat alles kaputt gemacht.“

Meine Augen weiteten sich und ich schlug mir die Hand vor den Mund. „Du hast ihn geküsst? Wow, das ist … oh, mein Gott! Wie hat er reagiert?“

Über Karis Lippen huschte ein bittersüßes Lächeln. „Wie wohl? Er war total geschockt. Er sagte, es würde ihm alles zu schnell gehen und er wäre noch nicht über seine Freundin hinweg. Es war einfach taktlos von mir. Oh Gott, was habe ich mir nur dabei gedacht?“ Vor lauter Schamgefühl vergrub sie das Gesicht in ihren Händen, als hätte sie die Erinnerung an den Kuss eben wieder eiskalt erwischt.

„Hey, lass das. Hör sofort auf damit!“, ermahnte ich sie und griff nach ihren Händen.

„Womit soll ich aufhören?“

„Damit, dich für deine Gefühle zu schämen. Dafür gibt es absolut keinen Grund. Liebe ist etwas Schönes und jeder, der sie empfindet, kann froh darüber sein.“ Ich warf einen kurzen Blick rüber zu Tai. „Du hast recht, vielleicht hättest du es ihm etwas … schonender beibringen können, aber … deine Gefühle haben dich eben übermannt und das ist absolut nichts, wofür man sich schämen müsste.“

Trotz meiner aufmunternden Worte ließ Kari den Kopf hängen. „Und was, wenn ich damit unsere Freundschaft zerstört habe?“

Beruhigend legte ich ihr eine Hand auf die Schulter. „Hast du nicht. Takeru würde dich niemals fallen lassen. Das müsstest du inzwischen besser wissen als jeder andere.“

Ein kleines Lächeln huschte über ihre Lippen.

„Gib Takeru einfach ein bisschen Zeit. Wenn er soweit ist, wird er schon auf dich zukommen. Und bis dahin …“, fuhr ich fort. „Schwimmen auch noch andere Fische im Teich.“

Kari stieß einen belustigenden Laut aus, während sie mich zweifelnd ansah. „Was meinst du denn damit?“

Mit einer leichten Kopfbewegung deutete ich an den Beckenrand gegenüber. Dort stand ein Mädchen, knapp bekleidet in einem lilafarbenen Bikini, mit langen braunen Haaren – und sah immer wieder zu uns herüber, während sie sich mit ihren Freundinnen unterhielt.

Ich kannte sie vom Sehen her. Mir war sie vorhin schon aufgefallen, doch vor allem, weil sie ihre Augen nicht von Kari lassen konnte.

Kari schüttelte den Kopf, lachte jedoch gleichzeitig. „Ja, vielleicht hast du recht.“

Ich straffte die Schultern und drückte meinen Rücken durch, um meine Nase wissend in die Luft zu strecken. „Nicht vielleicht. Ich habe recht!“

Das Mädchen schenkte Kari ein verwegenes Lächeln und strich sich eine ihrer langen Strähnen hinters Ohr.

Einen Moment später stand Kari auf. „Danke, Mimi, für deine aufmunternden Worte. Das hat wirklich gutgetan.“

Ich nickte zufrieden. „Gerne. Und jetzt, geh endlich zu ihr rüber, sonst schubs ich dich ins Wasser.“

„Schon gut“, lachte Kari. „Bis später.“

Ich sah dabei zu, wie sie auf die andere Seite des Pools schlenderte und das Mädchen ansprach. Die Fremde war ihr eindeutig zugewandt und so, wie es aussah, verstanden sie sich auf Anhieb ziemlich gut.

Ich lächelte zufrieden. Was für ein Tag. Ich hatte Tai die Geburtstagsparty verschafft, die er verdient hatte, hatte zwei verlorene Herzen wieder zusammengeführt – damit meine ich Tai und Yamato – die sich eindeutig vermisst hatten. Und ich habe Kari aufgeheitert und erfolgreich von ihren Sorgen abgelenkt.

Musste ich nur noch meine eigenen in den Griff kriegen.

Ich seufzte leise, während mein Blick durch das hellblaue Wasser glitt. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wie es weitergehen sollte, aber … das durfte mir heute nicht die Stimmung verderben. Es war Tais Geburtstag und wir alle hatten es verdient, einen Abend lang unbeschwert und frei zu sein – eben einfach wir.

Es fiel mir erstaunlich leicht, die bitteren Gedanken aus meinem Kopf zu verbannen. Ich rutschte etwas am Beckenrand nach vorne und ließ mich ganz ins Wasser gleiten. Zeit, ein bisschen Spaß zu haben.

Ich grinste und sah mich suchend nach Tai um, während ich ein paar Züge nach vorn schwamm. Leider konnte ich ihn nirgendwo entdecken. Nun gut, dann würde ich mir eben vorerst ein anderes Opfer suchen. Izzy erschien mir der perfekte Kandidat dafür zu sein. Ich entdeckte ihn ein paar Meter weiter vor mir. Sein Rücken war mir zugewandt. Perfekt für eine heimtückische Unter-Wasser-tauch-Attacke.

Gerade, als ich mich in Bewegung setzen wollte, schlossen sich zwei Hände von hinten um meine Taille und zogen mich dicht an sich.

„Eigentlich hatte ich gerade andere Pläne“, protestierte ich, lächelte jedoch und ließ es zu. Seine Hand fuhr meinen Rücken hinauf, bis zu meinem Hals, wo er meine Haare zur Seite schob und mir einen leichten Kuss gab.

Seine andere Hand packte mich noch etwas fester an der Taille, während seine Lippen geradezu zaghaft über meinen Hals strichen. Ein angenehmes Prickeln machte sich auf meiner Haut breit, was mir ein leises, aber genüssliches Seufzen entlockte.

Ich konnte spüren, wie er an meiner Halsbeuge grinste. „Ich wusste, dass dir das gefällt.“

Augenblicklich erstarrte ich.

Mein ganzer Körper verkrampfte sich so sehr, dass ich außer Stande war, mich zu rühren. Stattdessen riss ich nur weit die Augen auf. Das war nicht Tai …

Als er jedoch erneut einen Kuss auf meinen Hals hauchte, erschauderte es mich so schnell, dass ich mich aus meiner Starre löste und mich von ihm losriss.

Ich wirbelte herum und das Erste, was ich sah, war sein schiefes, zutiefst zufriedenes Grinsen.

Mein Blick verdunkelte sich. „Was machst du hier, Hayato?“ Sofort suchten meine Augen nach Tai.

„Überrascht?“ Ohne Skrupel schwamm Hayato weiter auf mich zu, doch ich wich zurück. „Wag es nicht!“, drohte ich ihm, bereit laut aufzuschreien, wenn er mir auch nur einen Zentimeter näherkam.

Zu meiner Überraschung hielt er tatsächlich inne, aber dieser gierige Blick, mit dem er mich bedachte, ließ mich erneut erschaudern. War es plötzlich zehn Grad kälter in diesem Pool geworden?

„Was zum Teufel suchst du hier? Woher wusstest du, dass ich hier bin?“

Fast schon amüsiert zuckte er mit den Schultern. „Ich wusste es eben. Ist diese Party von der Schule genehmigt?“

„Das geht dich nichts an.“

Suchend sah sich Hayato um. „Und wo ist dein Freund? Ich kann ihn nirgendwo entdecken. Findest du es gut, unsere Tochter allein zu lassen, während du dich hier mit deinen Freunden vergnügst?“

Mein Puls schoss in die Höhe, wie jedes Mal, wenn er Hope ins Spiel brachte. Ich war schon wieder kurz davor, die Beherrschung zu verlieren und am liebsten hätte ich mich auf ihn gestürzt. Doch wie auf Kommando rief ich mir Karis Worte ins Gedächtnis.

Ich wusste genau, warum er hier war.

Wie auch immer er herausgefunden hatte, dass wir hier waren, er tauchte nur aus einem einzigen Grund auf – um uns zu verunsichern. Um uns aus der Reserve zu locken. Sein ganzes Auftreten zielte nur darauf ab, dass wir endlich einen Fehler machten. Doch eine nicht erlaubte Poolparty in der Schule würde ihm nicht den gewünschten Erfolg bringen. Dafür würde ich sorgen.

„Verschwinde einfach von hier, Hayato“, sagte ich verbissen und hielt seinem Blick stand. „Du hast fünf Minuten, um dich von hier zu entfernen. Ansonsten lasse ich dich entfernen.“

Ich schwamm an ihm vorbei zum Beckenrand und hievte mich hoch. Doch wenn ich glaubte, ihn damit vertrieben zu haben, dann hatte ich anscheinend vergessen, wie hartnäckig dieser Kerl sein konnte.

„Schon gut, Mimi. Du musst nicht gleich die Krallen ausfahren.“ Er folgte mir und stieg ebenfalls aus dem Poll. Ich beschloss jedoch ihn einfach links liegen zu lassen und ihm den Rücken zuzuwenden.

„Dann solltest du vielleicht damit aufhören mich zu provozieren. Übrigens hast du jetzt nur noch vier Minuten. Also, mach’s gut.“

Ich wollte ihn stehen lassen, aber er packte mein Handgelenk und zog mich zu sich herum.

„Provokation nennst du das?“ Ein Grinsen umspielte seine Lippen, während er mir näherkam – viel zu nahe. „Ich würde es eher als eine Erinnerung an alte Zeiten betrachten. Oder habe ich mir dieses leidenschaftliche Seufzen nur eingebildet, als ich dich geküsst habe?“

Ich biss die Zähne zusammen und mein Kiefer verkrampfte sich, genauso wie mein Körper. Dieser Mistkerl! Er wusste genau, dass meine Reaktion auf diesen Kuss nur deshalb so war, weil ich dachte, er wäre Tai.

Mit Mühe schluckte ich meinen Ärger hinunter und anstatt ihm die passende Antwort auf seine Unverfrorenheit zu geben, befreite ich mich aus seiner Umklammerung und funkelte ihn böse an.

„Drei Minuten.“

Hayato grinste und richtete sich auf. Ich wollte ihn stehen lassen und war gleichzeitig wild entschlossen meine Androhung wahr zu machen, wenn er sich nicht sofort von hier verziehen würde, allerdings kam mir da jemand zuvor. Eine Hand packte ihn von hinten und wirbelte ihn zu sich herum.

„Was machst du hier?“, hörte ich Tais wütende Stimme.

Shit. Er hatte uns gesehen – genau das, was ich eigentlich vermeiden wollte.

Ich sah an Hayato vorbei in Tais Gesicht, was keinen Zweifel daran zuließ, dass er kurz vorm Ausrasten war. Sicher hatte er mitbekommen, wie nahe Hayato mir eben gekommen war.

„Wieso? Störe ich etwa?“, konterte Hayato nur gelassen.

„Allerdings“, erwiderte Tai unter zusammengebissenen Zähnen und ich konnte sehen, wie er seine Hände zu Fäusten ballte.

Oh, nein. Das war gar nicht gut.

„Ich wollte mich nur kurz mit deiner Freundin unterhalten“, entgegnete Hayato provokant. „Die Mutter meines Kindes. Du erinnerst dich?“

Tai machte einen bedrohlichen Schritt nach vorne, doch noch bevor er antworten konnte, ging ich dazwischen.

„Er wollte gerade gehen, Tai.“ Beharrlich legte ich die Hände auf seine Brust, um ihn zurückzuhalten, von was auch immer er gerade vorhatte.

„Hat er dich angefasst?“

„Was?“

„Ob er dich angefasst hat?“, wiederholte er eine Spur härter.

„Was? Nein!“, wiedersprach ich, hörte jedoch fast zeitgleich Hayatos Zischen hinter mir.

Tai wollte noch einen Schritt auf ihn zu machen. Warum ließ er sich von Hayato plötzlich so aus der Fassung bringen? Genau das wollte dieser Typ doch mit seiner Provokation erreichen. Allmählich zogen wir sogar schon die Blicke der anderen auf uns, denen nicht entging, dass dieses Gespräch kurz davorstand, zu eskalieren. Die Blitze, die zwischen Tai und Hayato hin und herflogen, waren nicht zu übersehen. Doch irgendwie musste ich ihn davon abbringen, ausgerechnet jetzt die Beherrschung zu verlieren. Wenn wir jetzt einknickten, war alles umsonst.

„Tai“, sagte ich sanft und versuchte eine ruhige Stimme aufzulegen. „Ich denke, du hast etwas viel getrunken. Es ist nichts passiert. Und Hayato wollte ohnehin gerade gehen.“

Über die Schulter hinweg warf ich ihm einen mahnenden Blick zu. Konnte er nicht einfach verschwinden und uns in Ruhe lassen?

Hayato hob beschwichtigend die Hände, jedoch nicht ohne sein schiefes Grinsen dabei abzulegen.

„Schon gut, ich gehe. Bevor das hier aus dem Ruder läuft. Das will ja schließlich niemand.“

Innerlich rollte ich mit den Augen – als wäre nicht genau das seine Absicht gewesen. Aber anscheinend ließ selbst er für einen Moment Vernunft walten, denn er wandte sich von uns ab. Erleichtert atmete ich aus und unter meinen Händen konnte ich spüren, wie auch Tais Muskeln sich langsam wieder entspannten.

Gott, das wäre beinahe schief gegangen. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn …

„Ach, und Mimi?“

Hayato warf einen Blick zurück und mein Herz rutschte in den Keller. „Das im Pool war eben ziemlich heiß. Lass uns das bald mal wiederholen.“

Mir stockte der Atem, doch noch ehe ich auch nur ansatzweise etwas sagen oder geschweige denn reagieren konnte, schob Tai mich unsanft zur Seite und machte einen Satz auf Hayato zu. Er stürzte sich regelrecht auf ihn und ich sah, wie seine Faust direkt in seinem Gesicht landete. Der Schlag war so heftig, dass es Hayato von den Füßen riss und er mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landete. Um uns herum hörte ich erstickte Schreie. Die Leute wichen entsetzt zurück, während Tai sich längst über Hayato gekniet hatte und ihm voller Wut noch eine verpasste.

„Du mieses Arschloch!“, schrie er ihn an und hob erneut die Faust, während Hayato nicht mal versuchte, sich zur Wehr zu setzen.

Ich rief laut Tais Namen, doch auch das hielt ihn nicht davon ab, Hayato noch mal zu schlagen, dem inzwischen Blut aus der Nase lief. Erst, als Yamato und zwei andere Jungs aus Tais Fußballmannschaft auf ihn zustürzten und ihn von Hayato runterrissen, war er gezwungen, von ihm abzulassen.

Dieser erhob sich langsam, während Tai immer noch wütete und um sich schlug. Die Jungs hatten alle Hände voll zu tun, ihn im Zaum zu halten. Er war völlig außer Kontrolle.

Hayato stützte sich auf seinem Knie ab und ein paar Tropfen Blut fielen zu Boden. Entsetzt schlug ich mir die Hand vor den Mund und fühlte mich gleichzeitig außer Stande, mich zu bewegen.

Dann hob Hayato den Kopf – und ich erstarrte. Er grinste. Dann lachte er auf. Erst leise, dann immer lauter.

Was war hier los? Hatte dieser Typ nun völlig den Verstand verloren? Das wäre mir jedenfalls deutlich lieber gewesen, als diese böse Vorahnung, die ich hatte und die sich schon in der nächsten Sekunde bestätigte.

„Das war ein Fehler, Yagami.“ Hayato grinste Tai frech ins Gesicht, der immer noch an sich halten musste, um sich nicht direkt wieder auf sein Gegenüber zu stürzen. „Das war ein Fehler“, wiederholte Hayato viel zu ruhig, dafür, dass er gerade fast bewusstlos geprügelt wurde. Dann sah er an Tai vorbei und warf mir einen kurzen Blick zu. Das, und seine Worte genügten für mich, um zu wissen, dass er recht hatte. Es war genau das eingetreten, was ich befürchtet hatte und was ich unter allen Umständen vermeiden wollte.

Wir hatten einen Fehler gemacht.

Und wir würden dafür büßen müssen.

Hayato wandte sich ab und verschwand in eine der Umkleidekabinen. Ohne darüber nachzudenken, setzte ich mich in Bewegung, lief an Tai und den anderen vorbei, die immer noch viel zu geschockt wirkten, um irgendetwas zu unternehmen. Ich schlug die Tür der Umkleidekabine hinter mir zu und suchte die Reihen nach Hayato ab. Als ich ihn schließlich fand, war er gerade dabei sich umzuziehen. Mit klopfendem Herzen stapfte ich auf ihn zu. Als er mich bemerkte, drehte er sich mit nacktem Oberkörper zu mir um. Er schloss den Knopf seiner Hose und grinste mich von oben herab an.

„Du kannst es wohl gar nicht abwarten, was? Möchtest du unsere Unterhaltung aus dem Pool fortsetzen?“ Eine seiner Augenbrauen wanderte in die Höhe und mir entging nicht, wie er seinen Blick an mir hinab gleiten ließ. Unfassbar. Dieser Typ hatte vielleicht Nerven. Er genoss das hier alles viel zu sehr. Doch das war mir gerade völlig egal, auch wenn ich ihm am liebsten noch eine verpasst hätte. Seine Nase war immer noch blutverschmiert und sein Auge schwellte bereits etwas an, was ihn allerdings nicht sonderlich zu interessieren schien.

„Red keinen Scheiß!“, giftete ich ihn an. Hayato zuckte mit den Schultern.

„Gut, dann eben nicht.“ Er nahm ein weißes Shirt aus seinem Spint und zog es sich über.

Meine Hände ballten sich zu Fäusten, während das Blut in meinen Ohren rauschte. Noch nie musste ich so sehr an mich halten.

„Was sollte das eben?“

„Ich weiß nicht, was du meinst.“

„Tu nicht so scheinheilig“, schrie ich fast schon. „Du hast Tai bewusst provoziert und das weißt du genau.“

Hayato zog sich ein schwarzes Hemd über und knöpfte es seelenruhig zu. Er besaß nicht mal den Anstand, mir in die Augen zu sehen.

„Ich kann nichts dafür, dass dein gewalttätiger Freund so leicht aus der Haut fährt.“

Mir klappte der Mund auf. „Mein gewalttätiger … was? Du hast sie doch nicht mehr alle. Tai ist nicht so!“

„Ach, nicht? Also hat er sich nicht eben wie ein blutrünstiges Tier auf mich gestürzt?“ Ich schluckte schwer, während Hayato sich auf die Bank setzte und sich daran machte, seine Schuhe anzuziehen und zuzubinden.

„Du weißt genau, dass du zu weit gegangen bist, Hayato. Tai würde sonst niemals jemanden schlagen“, versuchte ich es weiter, doch Hayato hob nur den Kopf und sah mich unmissverständlich an.

„Ich denke, das werden viele der hier Anwesenden anders sehen. Du weißt doch, es ist alles nur eine Frage des Blickwinkels.“

Schmerzhaft biss ich mir auf die Unterlippe. Verdammt. Er musste es nicht mal aussprechen, um mir zu verdeutlichen, was er mir damit sagen wollte. Er hatte verflucht noch mal recht. Es spielte überhaupt keine Rolle, ob Tai jemals schon jemanden geschlagen hatte. Heute jedenfalls gab es genug Zeugen, die gesehen hatten, dass er es getan hatte. Und den Beweis dafür, trug Hayato mitten im Gesicht.

Hayato erhob sich und nahm seine schwarze Jacke aus dem Spint. Er warf sie sich über und wandte sich mir dann erneut zu.

„Ich denke nicht, dass er der passende Umgang für dich und unsere Tochter ist, Mimi.“

„Du weißt gar nichts“, presste ich hinter zusammengebissenen Zähnen hervor, während mir die Tränen in die Augen schossen.

„Ich weiß, dass du nicht mit ihm zusammen sein solltest. Und, dass ich es nicht zulassen werde, dass so jemand meine Tochter großzieht.“

„Sie ist nicht deine Tochter!“, platzte es voller Wut aus mir heraus. Was bildete er sich eigentlich ein, wer er war? Hayato schnaufte verächtlich und ging in Richtung Ausgang. Sofort heftete ich mich an seine Fersen, als er die Umkleidekabine verließ. Ich musste fast schon rennen, um mit ihm Schritt zu halten.

„Halt, warte“, rief ich ihm nach. „Was hast du jetzt vor?“

Ich folgte ihm bis auf die Straße. Dass ich immer noch halb nackt, im Bikini und barfuß war und nun fröstelnd auf dem kalten Asphalt stand, interessierte mich nicht.

Hayato drehte sich zu mir um und anstatt mir eine Antwort zu geben, sah er mich nur unverwandt an. Keine Regung war in seinem Gesicht zu erkennen. Und ich wusste haargenau, was das zu bedeuten hatte.

Krampfhaft versuchte ich die Tränen und das Zittern zurückzuhalten. Flehend sah ich ihn an.

„Tu das bitte nicht, Hayato. Lass uns … lass uns einfach versuchen, für alle eine Lösung zu finden.“ Der letzte Versuch an seine Vernunft zu appellieren, auch wenn ich wusste, dass der Kampf längst verloren war – und zwar genau in dem Moment, als Tai auf ihn losgegangen war.

Ich konnte sehen, wie Hayato tief einatmete. Dennoch bewahrte er die Haltung. Während ich zitternd und am Boden zerstört vor ihm stand, schien er wie der Fels zu sein, der ich gerne gewesen wäre. Ich wünschte, ich wäre stärker gewesen. Klüger. Vorausschauender. Vielleicht hätte ich dann etwas tun können, es verhindern können. Doch alles, was ich getan hatte, war hilflos dazustehen und zuzusehen, wie meine ganze Welt den Bach runterging. Und das alles nur wegen eines einzigen, dummen Fehlers …

Hayato schloss kurz die Augen und für einen Moment machte es den Anschein, als würde er ernsthaft mit sich kämpfen. Als würde doch noch ein kleiner Funken Menschlichkeit in ihm stecken, der nicht zuließ, dass er mit so unfairen Mitteln spielte. Das naive Kind in mir reckte seinen Kopf, verspürte für eine Sekunde die Hoffnung, dass sich doch noch alles zum Guten für uns wenden könnte. Er müsste nur …

Hayato öffnete seine Augen und ich erkannte, dass seine Entscheidung unumstößlich war. Natürlich war sie das. Er hatte sich vorgenommen, uns Hope zu entreißen – koste es was es wolle. Wie konnte ich nur ernsthaft glauben, er würde diesmal nicht das bekommen, was er wollte? Wie konnte ich nur denken, je den Hauch einer Chance gegen ihn gehabt zu haben?

„Du solltest wieder rein gehen“, sagte er mit fester Stimme. „Du erkältest dich sonst noch.“

Und mit diesen Worten ließ er mich stehen, einfach so. In meiner ganzen Verzweiflung. Mit allem, was er angerichtet hatte. Er war dabei, mein komplettes Leben zu zerstören – zum zweiten Mal. Und es ließ ihn völlig kalt.

Meine Knie drohten unter mir nachzugeben. Doch bevor ich zusammenbrechen konnte, setzte ich mich in Bewegung und eilte zurück in die Schule. Ich steuerte geradewegs die Umkleidekabine an und begann hektisch, mich meines noch nassen Bikinis zu entledigen.

Ich zog mir Unterwäsche an, schlüpfte in meine Jeans, während ich immer noch versuchte, die Tränen zurückzuhalten, die drohten aus mir auszubrechen.

Gerade, als ich mir meinen Pullover über den Kopf zog, hörte ich, wie die Tür zur Schwimmhalle auf ging. Kurze Zeit später stand Tai neben mir.

Ich konnte ihn nicht ansehen. Stattdessen knüllte ich all meine Sachen zusammen und schmiss sie in die Sporttasche.

„Mimi, was …“, stammelte Tai und ging auf mich zu. „Oh Gott, mir tut das so leid, was da eben draußen passiert ist. Was … was hat er gesagt? Was hat er jetzt vor?“

Ich wollte es nicht, doch es kam ein zischender Laut über meine Lippen. Ich strich mir eine nasse Haarsträhne hinters Ohr und richtete mich auf.

„Was meinst du wohl, was er jetzt tun wird?“

„Das war keine Absicht“, beteuerte Tai aufgebracht. „Er hat mich provoziert.“

„Meinst du, das interessiert irgendjemanden, Tai? Glaubst du das ernsthaft?“, fuhr ich ihn an. Ich war so wütend auf Hayato und ich konnte nicht verhindern, dass sich meine Wut nun auch gegen Tai richtete. Er war derjenige, der sich nicht unter Kontrolle gehabt hatte. Hätte er Hayato einfach ignoriert, ihn einfach gehen lassen …

„Wir … wir kriegen das wieder hin“, sagte Tai.

Ich gab einen herablassenden Laut von mir, schulterte meine Tasche und drehte mich zum Gehen um, bevor ich noch völlig aus der Haut fahren würde.

„Ich verspreche es, Mimi. Ich lasse mir was einfallen.“

Ich wirbelte zu ihm herum. „Und was?“, schrie ich ihn an. Mit meiner Selbstbeherrschung war es nun endgültig vorbei. Meine Augen brannten und warme Tränen rannen mir über die Wange. „Was willst du tun, wenn er dich anzeigt? Wenn er dich als Schlägertypen hinstellt? Was willst du dann tun? Sag’s mir, Tai!“

„Das ist nicht wahr und das weißt du. So bin ich nicht.“

Ich warf theatralisch die Arme in die Luft. Wieso wollte er es einfach nicht verstehen? „Oh, Gott. Natürlich weiß ich das. Aber das Jugendamt weiß es nicht.“

„Aber alle können bezeugen, dass ich kein Schlägertyp bin. Alle, die hier waren.“

„Tai, das Einzige, was sie bezeugen können ist, dass du urplötzlich auf ihn losgegangen bist. Du hast da draußen völlig die Beherrschung verloren. Ich meine … was ist denn nur in dich gefahren? Du hast ihn blutig geschlagen, während du keinen einzigen Kratzer davongetragen hast. Und jetzt hat er genau das, was er wollte. Wir haben einen Fehler gemacht … DU hast einen Fehler gemacht. Und wenn du glaubst, er würde das nicht sofort gegen uns verwenden, dann kennst du ihn leider noch nicht gut genug. Aber ich schon. Ich kenne Hayato und ich weiß, dass er nur einen Schritt davon entfernt ist, uns Hope wegzunehmen. Also, sag mir, Tai – wie genau willst du das wiedergutmachen?“

Tief in mir wusste ich, dass diese Worte nicht fair waren und der Ausdruck, der sich nun auf Tais Gesicht legte, ließ mein Herz bluten. Ich gab ihm die alleinige Schuld an dem, was passiert war. Tai hatte recht – Hayato hatte ihn provoziert. Doch das wollte ich nicht hören. Alles, an was ich denken konnte, war Hope. Er wollte mich und vor allem Tai schlecht dastehen lassen und das hatte er geschafft. Dass er wieder einmal mit unfairen Mitteln spielte und somit auch noch an sein Ziel kam, kümmerte ihn nicht.

Tai stand einfach nur da und sah mich an, den Blick voller Schuldgefühle.

„Ich lasse nicht zu, dass er sie uns wegnimmt.“

Ja, er klang aufrichtig. Doch das allererste Mal konnte ich ihm nicht glauben.

Nur zu gerne hätte ich ihm irgendwas gesagt oder Irgendetwas getan, dass es besser gemacht hätte. Aber das konnte ich nicht. Und Tai konnte es auch nicht. Es war zu spät. Wir hatten verspielt. Es war vorbei. Und es gab nichts mehr, was ich hätte tun können – was wir hätten tun können. Gar nichts.

Macht


 

„Es gibt diejenigen, die glauben Macht zu haben und die, die sie tatsächlich haben.“

Reign
 

Eine ganze Woche verging, ohne dass irgendetwas geschah. Was mich nur noch nervöser machte. Von Hayato gab es bis jetzt kein Lebenszeichen und fast glaubte ich schon, er hätte aufgegeben. Dass er vielleicht doch noch zur Besinnung gekommen wäre. Doch insgeheim wusste ich natürlich, dass das nur Wunschdenken war. Dass ich nichts von ihm hörte, war nur ein weiterer Beweis dafür, dass ich mich nicht in ihn getäuscht hatte. Er wollte uns hinhalten. Am langen Arm verhungern lassen und uns mürbe machen – und es funktionierte. Tai und ich wussten beide, dass das nur die Ruhe vor dem Sturm war. Der Gedanke daran, was uns womöglich bevorstand, zerfraß mich innerlich. Weder auf die Schule, noch auf irgendetwas anderes konnte ich mich konzentrieren. Seit Tais Geburtstag wollte ich so viel Zeit wie möglich mit Hope verbringen. Am liebsten hätte ich sie für keine Sekunde mehr aus den Augen gelassen.

Von Tai hingegen hatte ich mich größtenteils distanziert. Ich wusste genau, wie weh ihm dieser Abstand tat. Und auch für mich war es nicht einfach. Doch ich schaffte es einfach nicht, ihm gegenüberzutreten. Zu groß war die Enttäuschung, die ich in seiner Gegenwart verspürte.

Ich wusste, ihm ging es genauso. Nur leider änderte das nichts an der Tatsache, dass er zu einem großen Teil die Schuld an dem trug, was geschehen war. Auch wenn er es nie wollte.

Und so war die Woche vergangen, ohne, dass wir viel Kontakt zueinander hatten. Was nicht hieß, dass Tai es nicht versucht hätte. Mein Handy zeigte mehr als genug verpasste Anrufe und unbeantwortete Nachrichten an.

Ich lag gerade mit Hope auf dem Sofa, als mein Display erneut aufleuchtete. Hope lag auf meinem Bauch, während ich irgendein sinnloses TV Programm auf mich niederprasseln ließ und das Piepen meines Handys gekonnt ignorierte.

Es tat mir leid, dass ich so abweisend zu ihm war. Aber … vielleicht war es sogar besser so. Natürlich war ich in den letzten Tagen immer und immer wieder meine Optionen durchgegangen. Doch, egal, wie ich es drehte und wendete – wir konnten die nahende Katastrophe nicht mehr abwenden. Hayato hatte Tai wahrscheinlich schon angezeigt. Schlimm genug, dass es Tais ganze Zukunft aufs Spiel setzen könnte, doch was sollte nun aus uns werden? Kaum vorstellbar, dass das Jugendamt jetzt noch einer Adoption zustimmen würde. Egal, wie das hier ausging, Tai wäre vorbestraft und selbst ich würde als Außenstehende denken, dass Hope bei ihrem leiblichen Vater vermutlich besser aufgehoben war als bei einer minderjährigen Schülerin und ihrem „gewalttätigen“ Freund – wie Hayato es so schön nannte.

Als das Piepen verstummte und eine weitere Nachricht auf meiner Mailbox aufleuchtete, atmete ich frustriert aus.

Vielleicht drückte ich mich auch deshalb davor, Tai gegenüberzutreten, weil ich genau wusste, worauf das hier alles hinauslaufen würde. Mir blutete das Herz, bei dem Gedanken daran, was uns bevorstand. Jeden Abend, wenn ich im Bett lag, stellte ich mir die bittere Frage, ob es das endgültige Aus für Tai und mich bedeutete?

Egal. Ich musste endlich mit ihm reden. Wir mussten uns endlich den Tatsachen stellen und uns Gedanken machen, wie es weitergehen würde, sollte der schlimmste Fall eintreten. Tai war Hopes Vater und wir waren eine Familie. Ob Hayato das wollte oder nicht. Wir durften uns nicht von ihm auseinanderdrängen lassen – niemals.

Ich drückte Hope noch etwas fester an mich und richtete mich auf. „Wir sollten Papa endlich besuchen gehen, findest du nicht auch?“

Als würde sie wissen, was ich vorhatte, fing sie freudig an zu lachen, als ich aufstand und mit ihr zur Tür ging. Ich öffnete sie und trat hinaus in den Hausflur, wo ich augenblicklich zusammenzuckte. Eine dunkle Gestalt befand sich rechts von mir und lehnte lässig mit dem Rücken an der Wand, die Arme vor der Brust verschränkt.

Im nächsten Moment atmete ich erleichtert auf.

„Musst du mich so erschrecken?“

Tai runzelte die Stirn und sah mich fragend an.

„Ach, schon gut“, sagte ich und winkte ab. „Wahrscheinlich hab ich schon Paranoia.“

„Kein Wunder“, entgegnete Tai kopfnickend und stieß sich mit einem Ruck von der Wand ab. „Die hätte ich an deiner Stelle auch.“

Recht hatte er. Hätte uns wohl beide nicht gewundert, wenn Hayato mir direkt vor meiner eigenen Tür aufgelauert hätte.

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter, als Tai auf mich zukam. Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und sah mich unverwandt an.

„Was tust du hier?“, fragte ich ihn.

„Auf dich warten“, antwortete er tonlos. „Du gehst ja nicht an dein Telefon. Und früher oder später musst du ja mal deine Wohnung verlassen.“

Ich biss mir auf die Unterlippe, weil sich sofort mein schlechtes Gewissen zu Wort meldete, da ich ihn die letzten Tage so auf Abstand gehalten hatte. Das hatte er wirklich nicht verdient.

„Du weißt, du hast einen Schlüssel. Du hättest jederzeit einfach rüberkommen können.“

„Hättest du das denn gewollt?“

Ich zuckte mit den Schultern und sah betreten zu Boden.

„Dachte ich mir.“ Tai wandte den Kopf nach rechts und fuhr sich gestresst durch die Haare, ehe er wieder mich ansah.

„Hör zu, Mimi. Es tut mir wirklich leid, was da passiert ist. Aber du darfst mir deshalb nicht aus dem Weg gehen. Denn das ist genau das, was er will. Gerade jetzt müssen wir mehr denn je zusammenhalten.“

Zaghaft nickte ich, wusste jedoch nicht, was ich darauf antworten sollte. Ich wusste, dass er mit seinen Worten recht hatte. Würden wir uns entzweien, hätte Hayato genau das erreicht, was er die ganze Zeit über wollte. Doch, wie um alles in der Welt sollten wir das nur wieder hinkriegen?

„Möchtest du …“ Ich räusperte mich kurz. „Möchtest du vielleicht reinkommen? Damit wir über alles reden können, meine ich.“

Noch ehe Tai antworten konnte, streckte Hope ihre Ärmchen nach ihm aus. Tais Mundwinkel wanderten nach oben und bereitwillig überreichte ich sie ihm. Tai schloss sie in seine Arme und drückte sie fest an sich. Mein Herz weitete sich bei diesem Anblick. Die zwei gehörten einfach zusammen. Genauso wie ich zu Tai gehörte und Hope zu mir. Wir waren eine Familie. Und je mehr Hayato versuchte, uns auseinanderzubringen, desto mehr wurde mir das bewusst. Schmerzlich bewusst. Denn wenn ich die beiden so ansah, wie viel Liebe zwischen ihnen existierte, wollte ich keinen von beiden verlieren. Ich wollte die kleine, heile Welt, die wir uns so lange erkämpft hatten, nicht aufgeben. Niemals.

Tai folgte mir in die Wohnung, doch anstatt direkt über unser Problem zu sprechen, machte ich mich erst mal daran das Essen vorzubereiten. Tai blieb zum Abendessen und während ich die Küche aufräumte, brachte er unsere kleine Tochter ins Bett.

Leise schloss er die Tür hinter sich und setzte sich neben mich aufs Sofa. Er zog ein Bein an, legte seinen Arm auf der Lehne ab und wandte sich mir zu.

„Ich habe gute Neuigkeiten“, verkündete er plötzlich und ein breites Lächeln zog sich über sein ganzes Gesicht. Überrascht sah ich ihn an.

„Was denn?“

„Die Uni in Osaka hat sich erneut bei mir gemeldet. Ich habe wohl bei meinem Besuch neulich eine ziemlich gute Figur gemacht. Ein paar Studenten hatten gehört, dass ich an meiner alten High School Kapitän der Fußballmannschaft war und wollten wissen, was ich so auf den Kasten habe. Wir haben ein kleines Spiel gemacht, eigentlich nur so zum Spaß, aber einigen Dozenten muss das wohl ziemlich gut gefallen haben, was sie gesehen haben. Sie bieten mir ein Sportstipendium an, wenn ich zusage.“

Ich begann zu strahlen, weil das einfach grandiose Neuigkeiten waren. „Das ist unfassbar Tai, herzlichen Glückwunsch!“

Tai grinste stolz. „Ist es. Uuund … da ist noch was.“ Geheimnisvoll zog Tai einen Briefumschlag aus seiner Gesäßtasche. „Der hier ist für dich.“

Stutzig betrachtete ich den Briefumschlag, als ich ihn entgegennahm und den Absender sah.

„Der … der ist ja von der High School in Osaka.“

Mir kribbelte es in den Fingern, während ich ihn öffnete und die ersten Zeilen des Briefes laut vorlas.

„Sehr geehrtes Fräulein Tachikawa, mit Freuden können wir Ihnen mitteilen, dass sie an unserer Schule angenommen wurden. Ihre bisherigen schulischen Leistungen sprechen für sich und wir würden uns freuen, sie demnächst an unserer High School in Osaka begrüßen zu dürfen.“

Ich schnappte nach Luft.

„Ernsthaft?“

Völlig perplex und überrumpelt starrte ich Tai an, der einfach nur dasaß, eifrig nickte und grinste wie ein Honigkuchenpferd.

„Aber … wie? Ich habe mich doch gar nicht dort angemeldet.“

Tai zuckte mit den Schultern und nahm mir den Brief aus der Hand, um selbst noch mal einen stolzen Blick darauf zu werfen.

„Als klar war, dass ich ein Sportstipendium in Osaka erhalten würde, dachte ich mir, dass du um nichts in der Welt zulassen würdest, dass ich mir diese Chance entgehen lasse. Also habe ich kurzerhand deine Unterlagen an die örtliche High School geschickt. Und das Beste kommt erst noch: du musst nicht mal warten, bis du dieses Jahr hier beendet hast. Ich habe mir die Lehrpläne angesehen. Du bist jetzt schon viel weiter im Stoff als die Schüler in Osaka. Der Direktor meinte, es wäre kein Problem für dich, sofort mitten ins Schuljahr einzusteigen.“

Mir klappte die Kinnlade nach unten. Ich wusste überhaupt nicht, was ich zuerst fühlen sollte. Dankbarkeit? Erleichterung? Freude?

Was es auch war, es wurde definitiv im Keim erstickt, als mir klar wurde, dass dieser Traum gerade wie eine Seifenblase zerplatzt war.

Ich schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte hinunter und räusperte mich. Tai bemerkte den plötzlichen Stimmungswandel und sein Lächeln erstarb.

„Du willst nicht mitkommen, stimmt’s?“, schlussfolgerte er geknickt.

Frustriert blies ich die Luft aus und griff nach seiner Hand. „Du weißt genau, wie gerne ich mitkommen würde. Wenn ich könnte, würde ich heute noch meine und Hopes Sachen packen und morgen wären wir bereits in Osaka.“

Tai verzog das Gesicht. „Aber du kannst nicht? Ist es das, was du mir sagen willst?“

Ich drückte seine Hand noch etwas fester. „Es steht momentan zu viel auf dem Spiel, Tai. Ich kann nicht einfach in eine andere Stadt ziehen, bevor hier nicht alles geklärt ist.“

Tai entriss mir seine Hand und schmiss den Brief auf den Tisch. Aufgebracht tigerte er im Raum umher.

„Du willst ernsthaft unseren Traum aufgeben, nur weil dein Ex uns gerade das Leben schwer macht? Das kann nicht dein Ernst sein. Es lief so gut mit uns dreien! Sogar das Jugendamt hat das gesehen.“

„Da gebe ich dir ja recht“, sagte ich eindringlich. „Aber überleg doch mal, wie das gerade jetzt aussehen würde. Erst prügelst du auf Hayato ein und dann nehme ich meine Tochter und ziehe mit meinem ‚Schlägerfreund‘ in eine weit entfernte Stadt? Gerade jetzt, wo es offiziell ist, dass er ihr Vater ist?“

Abrupt blieb Tai stehen und sah mich erbost an. „Hör endlich auf, dieses Wort in den Mund zu nehmen. Ich bin kein Schläger und das weißt du!“

Jetzt sprang ich ebenfalls vom Sofa aus. „Ja, aber genau so wird er es hinstellen und ehe du dich versiehst, wäre ich wieder allein in Tokio, Hope wäre bei ihm und du hättest eine Klage am Hals.“

Tai zischte verächtlich und verschränkte die Arme vor der Brust. „Die habe ich wahrscheinlich ohnehin schon. Ein Wunder, dass die Polizei noch nicht vor meiner Tür stand und mich in Handschellen abgeführt hat. Ich bin schließlich eine Bedrohung für die Allgemeinheit.“

Die Verachtung in seiner Stimme war nicht zu überhören. Und ich konnte ihn verstehen. Auch ich hatte nichts weiter als Verachtung für diesen Menschen und seine Spielchen übrig. Das Problem war nur, wenn wir jetzt nicht anfingen mitzuspielen, hatten wir verloren, ehe es überhaupt richtig begonnen hatte.

Ich trat einen Schritt auf Tai zu und versuchte ihn zu berühren, doch er entzog sich mir und wandte sich von mir ab wie ein trotziges Kind.

„Tai, bitte versteh mich doch“, sagte ich ruhig. „Ich würde nichts lieber tun, als sofort mit dir von hier fortzugehen. Aber es geht einfach nicht. Jedenfalls jetzt nicht. Du weißt, ich bräuchte die Zustimmung meiner Eltern, da sie noch das vorläufige Sorgerecht für Hope haben. Sie irgendwie davon zu überzeugen, wäre uns vielleicht noch gelungen. Ehrlichgesagt glaube ich, mein Vater ist froh, wenn er ein Problem weniger hat. Aber Hayato, er …“

Die Hoffnungslosigkeit, die gerade über uns schwebte, war zum Greifen nahe. Und es tat unheimlich weh, sich dies alles einzugestehen.

Eine ganze Weile wurde es still zwischen uns. Vermutlich gaben wir uns beide unseren schweren, kläglichen Gedanken hin. Plötzlich drehte Tai sich zu mir um. Die Traurigkeit in seinen Augen brach mir beinahe das Herz.

„Ich verstehe es nicht.“

„Was verstehst du nicht?“, fragte ich.

„Warum gibst du uns auf?“

Ich sog scharf die Luft ein. „Oh Gott, Tai. Ich gebe uns nicht auf! Niemals!“

„Doch, Mimi, genau das tust du“, erwiderte Tai hart. „Du gibst auf, ehe du es überhaupt versucht hast. Ich dachte, wir wären ein Team und würden für dieselbe Sache kämpfen. Aber du kämpfst nicht – du gibst auf. Du tust genau das, was er von dir will und du verlangst von mir, dass ich das auch tue. Das enttäuscht mich. Ich dachte, wir wären stärker.“

Diese Worte trafen mich so hart als hätte man mir ein Messer ins Herz gerammt. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte und das war auch gar nicht nötig. Tai warf einen letzten Blick auf den Brief, der immer noch auf den Tisch lag – vollgeschrieben mit Worten, die unsere Träume hätten wahrmachen können. Dann ging er an mir vorbei. Ich hörte nur noch, wie die Tür ins Schloss fiel. Die Stille die sich nun ausbreitete, war kaum auszuhalten. Tai sagte, er wäre enttäuscht von uns. Und um ehrlich zu sein, war ich das auch. Diese Tatsache trieb mir die Tränen in die Augen. War es wirklich so wie er sagte? Hatte ich uns aufgegeben?
 

Obwohl Samstag war, fiel es mir am nächsten Tag schwer aus dem Bett zu kommen. Das Gespräch mit Tai hatte mir ziemlich zugesetzt. Allerdings musste ich mir eingestehen, dass an seinen Worten auch ein Funke Wahrheit dran war. Tatsächlich spielte ich Hayato gerade in die Hände, indem ich mich fügte und einfach … nichts tat. Und mit sehr großer Wahrscheinlichkeit war es genau das, was er wollte. Allein die Tatsache, dass er sich seit dem Vorfall mit Tai noch nicht gemeldet hatte zeigte, dass er versuchte mich mürbe zu machen. Mich wie einen Fisch am Haken zappeln zu lassen. Und es gelang ihm leider zu gut. Das und die Tatsache, dass Tai irgendwie recht hatte, machte mich so wütend, dass ich hätte laut aufschreien könnte, als ich unter der Dusche stand. Doch meine Wut führte nicht nur zu Frustration, sondern auch dazu, dass ich das Gefühl hatte, endlich was unternehmen zu müssen – gegen Hayato und gegen die Fesseln, die meine Eltern immer noch um mich legten. Ich fühlte mich wie ein Vogel, gefangen in einem Käfig. Doch ich wollte endlich fliegen und frei sein. Frei von all den Leuten, die glaubten, sie könnten über meine und Hopes Zukunft bestimmen.

Und genau das würde ich Tai jetzt gleich sagen. Nämlich, dass ich nicht aufgab – dass ich UNS nicht aufgab. Dass ich immer noch dafür kämpfen wollte, was wir hatten und haben könnten. Und nicht einmal Hayato würde mich davon abhalten.

Nach dem Duschen föhnte ich meine Haare und zog mich an. Ich wollte rüber zu Tai gehen. Noch mal mit ihm reden, mich mit ihm versöhnen, um dann gemeinsam einen Schlachtplan zu entwickeln.

Voller Euphorie öffnete ich die Tür und wollte hinausstürmen, als ich fast gegen etwas prallte – oder eher gegen Jemanden.

„Oh, Entschuldigung“, sagte ich und wich einen Schritt zurück.

„Hast du’s eilig?“

Hayatos Stimme lies mir förmlich das Blut in den Adern gefrieren. Meine Hände wurden eiskalt, während sie sich angespannt zu Fäusten ballten und ich zu ihm aufsah.

„Was willst du hier?“

Er hatte die Hand zum Anklopfen gehoben, lies sie jedoch mit einem Grinsen im Gesicht sinken. Fast hätte ich über diese Ironie lachen können, dass er einfach dort stand, wie eine Mauer und mir den Weg nach draußen versperrte.

„Nette Begrüßung. Schön, dass du zu Hause bist. Ich wollte gerade zu dir“, sagte Hayato und drückte sich wie selbstverständlich an mir vorbei in meine Wohnung.

„Hey!“, rief ich ihm wütend hinterher und knallte die Tür mit voller Wucht zu, um ihm hinterher zu stapfen. „Erstens: was fällt dir ein, hier einfach reinzuplatzen? Und zweitens: hör verdammt noch mal auf, einfach unangemeldet hier aufzutauchen. Hast du keinen Anstand?“

Dieser Kerl machte mich rasend! Was bildete er sich ein, wer er war? Meinte er ernsthaft, er konnte sich alles erlauben?

Mit verschränkten Armen blieb ich vor ihm stehen, während Hayato sich gelassen zu mir umwandte. Er hatte die Hände in die Hosentaschen gesteckt und sah mit seiner adretten Kleidung und dem schicken, schwarzen Mantel, der vermutlich ein Vermögen gekostet hatte, mal wieder so aus, als würde er gerade von einem Geschäftstermin kommen. Ich zwang mich dazu von seinen Klamotten abzulassen und ihm stattdessen direkt in die Augen zu sehen. Er wirkte zufrieden.

„Ich habe dir was mitgebracht“, eröffnete er mir und griff in die Innenseite seines Mantels. „Ich dachte mir, es wäre angebracht, ihn dir persönlich zu überreichen.“

Er zog einen Briefumschlag aus seiner Manteltasche und hielt ihn mir entgegen.

„Was soll das sein?“, fragte ich verbissen.

„Sieh doch nach.“

Am liebsten hätte ich ihm sein selbstgefälliges Grinsen aus dem Gesicht gewischt. Stattdessen nahm ich den Umschlag entgegen, den er mir reichte.

Bei dem Absender geriet ich kurz ins Stocken. Ein Brief von der Polizei.

Und er war an Tai Yagami adressiert.

Ich schluckte hart.

„Ich nehme an, du kannst dir denken, was darinsteht“, sagte Hayato, während ich krampfhaft versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten.

„Und dafür bist du extra vorbei gekommen?“, erwiderte ich und versuchte dabei die Fassung zu wahren. „Wir wussten beide, dass du Anzeige erstatten würdest. Das ist also weniger überraschend für mich als viel mehr das, was ich ohnehin von dir erwartet habe. Wenn du also gedacht hast, du könntest mir dabei zusehen, wie ich vor dir auf die Knie falle, hast du leider Pech. Dann hast du den Weg umsonst gemacht.“

Sein Grinsen geriet ins Wanken. Ganz kurz wirkte es tatsächlich so, als hätte Hayato nicht mit dieser Antwort gerechnet und für einen Moment fühlte ich mich ihm sogar überlegen. Angriff war eben doch noch die beste Verteidigung.

Doch leider fand er viel zu schnell zu seiner alten Form zurück. Seine Mundwinkel wanderten nach oben.

„Ich hätte wirklich gedacht, dir liegt mehr an deinem Freund. Du weißt genau, was diese Anzeige für ihn bedeutet“, sagte er selbstgefällig und zeigte mit dem Finger auf den Brief in seiner Hand. „Das war’s vorerst mit seinem Studium. Oder meinst du ernsthaft, irgendeine Uni wird ihn bei sich aufnehmen, wenn das rauskommt? Und was das Jugendamt davon halten wird, muss ich dir ja wohl nicht sagen. Sicher werden sie nicht begeistert davon sein, dass du unsere Tochter mit jemanden großziehen willst, dem gerne mal die Hand ausrutscht.“

Ich biss die Zähne aufeinander und knurrte wie ein bissiger Hund. „Du weißt genau, dass das nicht stimmt. Du hast Tai provoziert. Das war der einzige Grund, warum er auf dich losgegangen ist. Und ganz ehrlich: du hast es mehr als verdient.“ Mehr denn je konnte ich verstehen, warum Tai so urplötzlich auf Hayato losgegangen war. Hätte ich nicht einen letzten Funken Vernunft in mir, hätte ich mich spätestens jetzt auch auf ihn gestürzt.

Das beeindruckte Hayato jedoch wenig. Er zuckte gelassen mit den Schultern und ging an mir vorbei, um sich gegen die Küchentheke zu lehnen.

„Mag sein, dass ich es verdient habe. Ich gebe zu, es war sicher kein Kavaliersdelikt, einfach so auf der Party oder bei dem Termin mit dem Jugendamt aufzutauchen. Oder dir im Pool so nahe zu kommen.“ Etwas blitzte in seinen Augen auf … und lies mich erschaudern. „Aber auch ich bin kein Unmensch, Mimi. Auch wenn es dir schwerfällt, das zu glauben … auch ich habe ein Herz.“

Ich lachte laut auf. Das konnte er ja wohl nicht wirklich von sich behaupten.

„Und du bist extra hergekommen, um mir das zu sagen? Wenn das alles war, dann kannst du gleich wieder gehen.“ Ich konnte und wollte diese Person einfach keine Sekunde länger ertragen.

„Nein, deswegen bin ich nicht hier“, erwiderte Hayato und kam endlich zur Sache. Mir schwante schon, dass er nicht allein deswegen hergekommen war, um Postbote zu spielen.

„Also, was willst du dann hier?“, fragte ich ungeduldig nach.

„Ich bin hier, um dir einen Deal vorzuschlagen.“ Seine Augen wanderten zu Hopes Zimmertür, dann zurück zu mir.

„Ich möchte, dass du und Hope bei mir einzieht.“

Mein ganzer Körper erstarrte zu Stein. Und beinahe wäre mir die Kinnlade runtergeklappt. Hatte ich mich da eben verhört oder hatte er das gerade wirklich gesagt?

„Das … das meinst du nicht ernst!“, mutmaßte ich perplex, doch die Miene, die Hayato aufgelegt hatte, schien genau das Gegenteil zu bedeuten. Jegliches Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen sah er mich unverwandt an – was nur eine Schlussfolgerung zuließ.

„Du … meinst es ernst“, sagte ich völlig benommen und kam mir dabei vor wie im falschen Film.

Hayato verschränkte die Finger ineinander und wirkte ganz geschäftig. „Natürlich meine ich es ernst. Oder denkst du, ich sage so etwas zum Spaß? Dafür kennst du mich zu gut, Mimi.“

Richtig. Dafür kannte ich ihn zu gut. Er hatte eben gesagt, dass er wollte, dass Hope und ich bei ihm einzogen – und es war sein verdammter Ernst.

„Du bist verrückt“, war das Einzige, was ich dazu sagen konnte. Alles andere entzog sich meiner Vorstellungskraft. Wie kam er dazu, mir so einen Vorschlag zu unterbreiten? Er musste komplett den Verstand verloren haben, wenn er dachte, ich würde so was auch nur annähernd in Erwägung ziehen.

„Jetzt sei mal eine Minute ernst und denk darüber nach“, forderte Hayato, woraufhin ich nur zischte.

„Da gibt es nichts nachzudenken. Die Antwort lautet nein.“

„Und ich denke, dass das die beste Lösung für alle wäre. Ich hätte meine Tochter in meiner Nähe und könnte sie besser kennenlernen. Ich bin schließlich ihr Vater. Du wärst finanziell abgesichert und müsstest dir keine Gedanken mehr um Geld oder um die Zukunft machen. Bei mir hättet ihr alles, was ihr braucht.“

Bis auf Liebe, meinte er?

„Ich sage ja nicht, dass wir wieder ein Paar werden sollen, wobei …“ Er warf mir ein schelmisches Grinsen zu und ich hätte mich auf der Stelle übergeben können. „Aber Hope hätte ihre Eltern um sich. Ihre leiblichen Eltern. Ihre gesamte Zukunft wäre bestens abgesichert und sie müsste nicht irgendwann fragen, wer ihr richtiger Vater ist und warum sie ihn nie kennengelernt hat. Meinst du nicht, dass sie irgendwann von selbst darauf kommen wird, mich aufzusuchen, um mich kennenzulernen? Willst du ihr das wirklich antun?“

Ich griff mir an die Stirn. Mir schwirrte der Kopf. Gedankenverloren ließ ich mich auf die Rücklehne des Sofas sinken.

„Du hast völlig den Verstand verloren, Hayato“, sagte ich und schüttelte zweifelnd den Kopf. Geschah das hier gerade wirklich? Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Der Schock über dieses Gespräch musste mir ins Gesicht geschrieben stehen. „Und hör auf damit, Hope als deinen größten Trumps auszuspielen. Das ist einfach nur lächerlich. Du weißt, dass du nur ihr Erzeuger bist und im besten Falle auch immer nur das sein wirst.“

Ich konnte einfach nicht fassen, dass er mir diesen Vorschlag unterbreitete. Als wäre es eine ernsthafte Option. Doch ich kannte Hayato zu gut und wusste, dass er niemals so ein Angebot machen würde, ohne dabei etwas in der Hinterhand zu haben. Und genau dieser Verdacht bestätigte sich im nächsten Moment.

Hayato suchte meinen Blick und ich konnte sehen, wie seine Mundwinkel zuckten.

„Sie ist nicht mein größter Trumpf. Dein Freund ist mein größter Trumpf. Und diese Anzeige, die du gerade in den Händen hältst.“

Ich warf einen Blick auf den Brief, den er mir gegeben hatte – und der unser Schicksal besiegelte. Plötzlich fühlte es sich an, als würde jemand mein Herz mit bloßen Händen herausreißen. Ja, ich wusste nur zu gut, wie schwer dieser Brief wiegte. Was er für eine Welle an Kettenreaktionen auslösen könnte. Angefangen bei Tai. Seinem Studium. Seine Pläne. Unsere gemeinsame Zukunft. Hope. Die Adoption. Einfach alles.

Alles hing am seidenen Faden. Wir tanzten bereits viel zu lange auf dünnem Eis, seit Hayato wieder in unser Leben geplatzt war. Und Hayato würde nicht nur damit drohen, es zum Einsturz zu bringen – er würde es auch tun, bei der nächsten Gelegenheit, die sich ihm bot. Es sei denn …

„Du möchtest, dass Hope und ich bei dir einziehen. Und im Gegenzug ziehst du die Anzeige gegen Tai zurück?“, konfrontierte ich ihn.

Hayato nickte. „Im Grunde ist das die Zusammenfassung des Ganzen. Also, was sagst du?“

Ich sackte in mich zusammen und ließ die Schultern hängen, während ich versuchte, gegen die Wut und die Tränen anzukämpfen.

Was sollte ich jetzt nur tun? Was konnte ich überhaupt noch tun? Hayato stellte mich vor eine unmögliche Entscheidung. Ich sollte wählen zwischen Tais Zukunft und die meiner Tochter und meiner.

In Sekundenschnelle ging ich seine Worte immer und immer wieder im Kopf durch, in der Hoffnung, mir würde irgendeine Lösung einfallen. Irgendeine Lösung, unter der weder Tai, noch ich leiden mussten. Doch egal wie ich es auch drehte und wendete – es lief immer auf’s selbe hinaus: Hayato würde gewinnen. So oder so.

Ich hatte genau zwei Möglichkeiten: entweder ich spielte dieses Spiel mit und bewahrte Tai somit vor einer Strafanzeige, die definitiv seine gesamte Zukunft gefährdet hätte oder ich weigerte mich und würde mit Tai gemeinsam untergehen. Hayato würde es schaffen, sie mir wegzunehmen. Er würde es so darstellen, dass ich nicht reif genug sei, zu entscheiden, was gut für meine Tochter war. Dass Tai kein geeigneter Umgang für sie war. Hayato war in einem guten Alter, konnte ein gesichertes Einkommen vorweisen und zeigte offenkundig Interesse daran, sich um seine Tochter zu kümmern. In den Augen der Beamten wäre er definitiv die bessere Wahl. Und ich? Mit Glück würde ich Hope alle zwei Wochenenden zu Gesicht bekommen. Allein der Gedanke daran, zerriss mir förmlich das Herz.

„Also?“, fragte Hayato erneut, da ich ihm bis jetzt keine Antwort gegeben hatte. „Wie entscheidest du dich?“

Fassungslos sah ich ihn an. „Ich … ich weiß es nicht.“

Ich biss mir schmerzhaft auf die Unterlippe. Was sollte ich nur tun?

„Na, schön“, meinte Hayato und stieß sich von der Küchentheke ab. „Überleg es dir bis morgen. Den da lasse ich dir erst mal da. Vielleicht fällt dir die Entscheidung dann leichter.“ Er deutete auf den Brief in meiner Hand und machte sich schließlich zum Gehen auf, während mir einfach jegliche Worte fehlten.

Kurz vor der Tür wandte er sich noch mal um und sah mir direkt in die Augen – voller Entschlossenheit. „Ich hoffe, du weißt, dass ich das nicht tue, um dir zu schaden. Ich möchte einfach nur das Beste für meine Tochter. Und ich würde alles tun, um sie bei mir zu haben. Dafür wär mir jedes Mittel recht. Bedenke das, wenn du deine Entscheidung fällst. Es gibt diejenigen, die glauben Macht zu haben und die, die sie tatsächlich haben.“

Als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, war es vorbei mit meiner Selbstbeherrschung und ich brach in Tränen aus. Ich vergrub das Gesicht in meinen Händen und wünschte mir, dass sich der Boden unter meinen Füßen auftun und mich verschlucken würde.

Wie konnte das nur passieren? Wie konnte es passieren, dass Hayato mich ein zweites Mal in so eine Lage brachte? In eine Situation, in der ich so eine schwierige Wahl treffen sollte? Damals war es mir allerdings leichter gefallen, denn es kam für mich nie in Frage, Hope nicht zu bekommen. Sie jetzt ihm zu überlassen, kam ebenfalls nicht in Frage – niemals. Aber wie sollte ich mich für sie entscheiden und gleichzeitig gegen Tai und unsere Beziehung? Wenn ich jetzt einknickte und Hayato genau das gab, was er wollte, würde Tai mir das nie verzeihen. Er hatte mir vorgeworfen, aufgegeben zu haben. Und um ehrlich zu sein, war ich so kurz davor, dies wirklich zu tun.

Mit dem Ärmel meines Pullovers wischte ich mir die Tränen aus den Augen, ehe ich mit zittrigen Fingern den Brief öffnete, den ich immer noch verschlossen in den Händen hielt.

Ich las die Zeilen durch, die über Tais komplette Zukunft entscheiden könnten. Immer wieder las ich sie, als könnten sie mir die Entscheidung abnehmen, die ich zu fällen hatte. Und tatsächlich taten sie das auch. Je öfter ich diesen verfluchten Brief las, desto mehr wurde mir bewusst, was ich zu tun hatte.

Die Traurigkeit verwandelte sich mit jedem weiteren Wort in Wut. Langsam kroch sie in mir hoch, bis sie jede einzelne Pore meines Körpers ausgefüllt und zum Glühen gebracht hatte.

Ich ging in die Küche und stellte mich vor die Spüle. Aus dem Schubfach darunter holte ich ein Feuerzeug heraus. Ohne weiter darüber nachzudenken, hielt ich den Brief über das Spülbecken. Ich zündete ihn an und während ich den Flammen dabei zusah, wie sie ihn verschluckten und die Worte in Staub auflösten, half mir meine Wut dabei einen Entschluss zu fassen.

Der Entschluss darüber, dass ich nicht aufgeben würde – weder Hope, noch Tai, noch mich selbst.
 

Es klingelte an der Tür.

Erst wollte ich es ignorieren und stopfte stattdessen ein paar weitere Klamotten in meinen Koffer. Ich wusste genau, wer vor der Tür stand, doch ich wusste nicht, ob ich für dieses Gespräch schon bereit war.

Ein weiteres Mal klingelte es. Seufzend schloss ich meinen Koffer, der mehr als lieblos gepackt war und atmete schwerfällig aus. Wie um alles in der Welt sollte ich ihm das nur erklären?

Ich ließ mir mehr Zeit als nötig, um zur Tür zu gehen. Bevor ich sie öffnete, straffte ich meine Schultern und versuchte mich innerlich gegen das zu wappnen, was mich erwartete.

„Hey“, sagte ich geknickt, als ich Tai vor mir stand. Auch er wirkte nicht weniger frustriert, was jedoch vermutlich immer noch am gestrigen Streit lag.

„Hey“, sagte er und vergrub die Hände in den Hosentaschen, so wie er es immer tat, wenn ihm etwas unangenehm war. „Darf ich reinkommen?“

„Natürlich.“ Ich trat einen Schritt zur Seite und schloss die Tür hinter ihm. Wir gingen ins Wohnzimmer, wo Hope auf ihrer Spieldecke saß und von all den Schwierigkeiten, die in der Luft hingen, nichts mitbekam. Wie gern hätte ich mir ein Stück ihrer Sorglosigkeit angenommen.

„Ich wollte mit dir reden“, verkündete Tai. „Wegen gestern.“ Verlegen kratzte er sich am Hinterkopf und sah betreten zur Seite. Sein Blick fiel auf meinen gepackten Koffer, der direkt neben Hopes vor meiner Schlafzimmertür stand.

„Verreist du?“, fragte Tai stutzig.

Ich räusperte mich und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Am liebsten hätte ich ihm nicht mal in die Augen gesehen. Diese Entscheidung würde er nie verstehen – ganz gleich, was ich jetzt sagte.

„Ehm … sozusagen“, stammelte ich, weil ich einfach nicht die richtigen Worte fand.

„Ausgerechnet jetzt?“ Tai sah mich zweifelnd und mit gerunzelter Stirn an.

Ich wollte ihm antworten, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Ich wusste, dass es schwer werden würde. Aber nicht, dass es SO schwer werden würde.

„Oh, Mimi“, sagte Tai und ging auf mich zu, was mich unweigerlich einen Schritt zurückweichen ließ. Wenn er mich jetzt umarmte, würde ich vermutlich weich werden und einen Rückzieher machen.

Tai bemerkte mein Zögern und hielt in seiner Bewegung inne. Traurig sah er auf mich hinab. „Du musst doch nicht verschwinden. Nicht meinetwegen. Es tut mir leid, was ich gestern zu dir gesagt habe. Ich habe das nicht so gemeint, ich war nur … nur so wütend.“

Ich konnte ihm ansehen, wie sehr es ihn ärgerte, dass die Situation gestern so eskaliert war. Aber letztendlich fanden wir doch immer wieder zueinander, egal wie schlimm der Streit auch war. Nur war ich mir nicht sicher, ob das diesmal genauso sein würde.

Ich atmete tief ein und hielt die Luft an, bevor ich sie mit einem Seufzen wieder ausstieß. „Tai, hör zu … ich muss dir was sagen“, verkündete ich schweren Herzens und ging zur Küchentheke, um mich dort abzustützen. Ich brauchte jetzt definitiv etwas, woran ich mich festhalten konnte.

Erwartungsvoll und zugleich ängstlich sah Tai mich an. Ihn so zu sehen, brach mir das Herz.

„Gott, wie soll ich dir das nur erklären?“, sagte ich zu mir selbst und vergrub das Gesicht in meinen Händen, um noch ein mal tief durchzuatmen.

„Gut“, sagte ich schließlich und zwang mich dazu, ihm direkt in die Augen zu sehen. Das hatte er verdient. „Ich verreise nicht. Ich … Ich ziehe zu Hayato.“

Für einen Moment schien die Zeit stehen geblieben zu sein, in der Tai mich einfach nur anstarrte. Ich konnte das Herz, das nur so wie wild gegen meine Brust schlug, förmlich hören.

Nach einer schier endlos langen Minute, in der keiner von uns etwas sagte, verfinsterte sich Tais Blick schließlich.

„Was?“, platzte es aus ihm heraus. „Kannst du das bitte wiederholen? Ich glaube, ich hab mich verhört.“

„Ich ziehe zu Hayato“, wiederholte ich so ruhig es ging, auch wenn das nicht nötig gewesen wäre.

Tai fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Mimi … bist du verrückt geworden?“

Unwillkürlich musste ich auflachen. „Ja, wahrscheinlich“, erwiderte ich und ließ die Schultern hängen.

„Was um alles in der Welt ist denn seit gestern passiert?“, sagte Tai und wirkte mehr als aufgebracht. „Kannst du mir das erklären? Was ist in dich gefahren? Gibt es auch nur eine einzige vernünftige Erklärung dafür, dass du zu ihm ziehen willst? Ich meine … was ist los? Liebst du ihn etwa noch?“

Meine Augen weiteten sich. „Was? Nein! Wie kannst du das auch nur denken? “

„Was ist es dann, Mimi? Erklärs mir! Was hat er getan, um dich zu diesem Schritt zu bewegen? Erpresst er dich mit irgendwas?“

Ich schluckte schwer und biss mir auf die Lippe. Ich konnte ihm unmöglich sagen, warum ich das tat. Wenn Tai erfuhr, dass er der Grund dafür war, würde er sich nicht nur die schlimmsten Vorwürfe machen, sondern auch von mir verlangen, es nicht zu tun. Dafür kannte ich ihn zu gut. Er würde lieber seinen eigenen Kopf hinhalten als zuzulassen, dass Hope und ich gingen.

„Das ist völlig unwichtig. Alles, was du wissen musst ist, dass ich das für uns tue.“

Tai entfuhr ein Zischen. „Ist das dein Ernst?“

Ich wollte etwas antworten, doch ich konnte nicht, sonst wäre ich vermutlich in Tränen ausgebrochen. Trotzdem war meine Entscheidung unumstößlich.

„Und was ist mit Hope?“, fragte Tai, als würde er die Antwort nicht schon längst kennen.

„Sie kommt mit mir“, sagte ich und brach damit ein weiteres Mal unserer beider Herzen.

Ich sah, wie Tai mit sich kämpfte. Wie er verbissen zu Boden blickte und die Hände zu Fäusten ballte, als würde er gleich auf irgendetwas einschlagen müssen.

„Und du willst mir wirklich nicht sagen, warum du das tust?“, fragte er noch ein mal, hinter zusammengebissenen Zähnen.

Ich schüttelte entschlossen den Kopf. „Das geht nicht. Bitte, Tai, vertrau mir einfach. Ich tue alles dafür, damit wir zusammenbleiben können, das verspreche ich dir.“

Seine Mundwinkel zuckten ungläubig. „Indem du gehst?“

Ich schwieg. So schwer es mir auch fiel, ich musste standhaft bleiben.

Tai ging auf mich zu und blieb direkt neben mir stehen, ohne mich anzusehen. „Und ich kann dich nicht davon abhalten, egal, was ich auch tue?“

Die Bitterkeit in seiner Stimme zerriss mir das Herz. Wir wussten beide, dass meine Entscheidung endgültig war, auch wenn er sie nicht verstand.

„Nein“, sagte ich lediglich mit erstickter Stimme, weil ich nicht mehr hervorbrachte. Dann hörte ich nur noch, wie die Tür ins Schloss fiel.
 

Eine Stunde später stand ich vor dem Haus, was ich nur allzu gut von innen kannte und doch gehofft hatte, es nie wieder sehen zu müssen. Wie mechanisch betätigte ich den Knopf der Klingel und wartete darauf, dass mir aufgemacht wurde. Es dauerte keine zehn Sekunden, da stand Hayato in der Tür. Zunächst wirkte er überrascht, doch das legte sich schnell.

„Sieh einer an.“ Ein triumphierendes Grinsen stahl sich auf seine Lippen und er verschränkte die Arme vor der Brust.

„Die verlorene Prinzessin kehrt zurück.“

Ich ignorierte diesen Kommentar. „Was ist? Lässt du uns jetzt rein oder was?“

Er zog eine Augenbraue in die Höhe und ging zur Seite. Es sah alles so aus wie früher, als ich mit Hope und meinem Gepäck eintrat. Viel zu schnell drohten die Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit mich einzuholen. Kurz huschte mein Blick zu der Wand, an der wir uns damals geliebt hatten, an dem Abend, als wir uns kennenlernten. Hayato trat neben mich und grinste wissend.

„Ich wusste, du kommst wieder.“

Ich antwortete nicht, sondern biss mir stattdessen auf die Unterlippe.

Seine rechte Hand wanderte in seine Hosentasche, während er mit der anderen bestätigend meine Schulter drückte.

„Das war die richtige Entscheidung, Mimi.“

Ich nickte, ohne ihn anzusehen. „Ich weiß.“

„Na, dann“, entgegnete Hayato und ließ von mir ab. „Kommt, ich zeig euch eure Zimmer.“ Er ging den Flur voraus zu den vielen Zimmern, die dieses Haus besaß, doch ich folgte ihm nicht sofort. Stattdessen blieb ich noch einen Moment lang stehen, um mich zu sammeln und mich zu besinnen, warum ich hier war.

Ja, Hayato hatte recht. Ich hatte die richtige Entscheidung getroffen. Doch wenn er dachte, es wäre die Entscheidung aufzugeben, dann irrte er sich gewaltig. Nein – ich hatte die Entscheidung getroffen zu kämpfen. Tai hatte mir vorgeworfen kampflos aufzugeben. Aber genau das tat ich nicht.

Wie hieß es so schön? Sei deinen Freunden nahe, aber deinen Feinden noch näher.

Ich kannte Hayato gut. Aber anscheinend noch nicht gut genug, um ihn genauso in Bedrängnis zu bringen wie er mich. Allerdings hatte ich viel von ihm gelernt. Jeder hatte seine Leichen im Keller und ich war mir sicher, dass es bei Hayato so einige gab. Denn, wenn mich die letzte Zeit eins gelehrt hatte, dann dass jeder von uns ein Geheimnis hat. Und seins würde ich ausgraben und ihn wie eine Klinge an die Kehle halten – genauso wie er es bei mir getan hatte.

Entschlossen ballte ich meine Hand zur Faust, ehe ich Hayato endlich folgte.

Er hatte recht gehabt, mit dem, was er sagte:

Es gibt diejenigen, die glauben Macht zu haben und die, die sie tatsächlich haben.

Scherben

Die erste Nacht in Hayatos Haus war die Hölle. Ich tat kein Auge zu. Zum Glück schien Hope der Tapetenwechsel nicht all zu viel auszumachen. Schade eigentlich. Insgeheim hatte ich ja darauf gehofft, dass sie etwas unausstehlicher sein würde, so dass Hayato schnell die Lust am Vater sein verlieren und sich besinnen würde, dass er doch eigentlich gar kein Kind wollte.

Als ich am Morgen völlig übermüdet die Augen aufschlug, schlief sie noch seelenruhig.

Ich hätte mich ruhig noch mal umdrehen können, doch ich wollte die Gelegenheit nutzen. Hayato war sicher schon aus dem Haus und ich alleine hier – meine Chance ein bisschen rumzuschnüffeln.

Daher verzichtete ich aufs Duschen und sprang direkt so wie ich war, in kurzen Shorts und Top, aus dem Bett. Leise schloss ich die Tür hinter mir, um Hope nicht aufzuwecken. Barfuß ging ich die kalte Marmortreppe hinunter. Sein Büro befand sich im Erdgeschoss. Es erschien mir am Schlausten dort anzufangen. Wenn es irgendetwas gab, was Hayato unter Verschluss halten wollte, dann hatte es sicher mit seiner Arbeit zu tun. Wie gesagt: jeder hatte Leichen im Keller und ich hoffte, seine so schnell wie möglich zu finden.

Ich steuerte geradewegs auf die Tür seines Büros zu, zuckte jedoch heftig zusammen, als ich an der Küche vorbei ging und jemand mich ansprach.

„Guten Morgen.“

Shit! Was zum Teufel machte er hier?

Ich wirbelte herum und raufte mir die Haare, weil ich kurz nicht so recht wusste, wohin mit mir. Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und ging, anstatt in sein Büro, in die Küche, wo Hayato stand und sich gerade einen Kaffee gönnte.

„Morgen“, sagte ich mürrisch und streckte mich ausgiebig, damit er keinen Verdacht schöpfte.

„Wo wolltest du denn eben hin?“, fragte er jedoch direkt und sah mich zweifelnd an. Ich hielt die Luft an. Schöpfte er etwa Verdacht?

Dann grinste er leicht. „Hast du etwa vergessen, wo die Küche ist?“

Erleichtert atmete ich auf, bevor ich demonstrativ die Augen verdrehte. „Ich war schließlich eine Weile nicht hier. Da kann man schon mal …“ Mein Blick blieb an seinen Augen hängen, die mich von oben bis unten, in meinem knappen Schlafoutfit, zu mustern schienen.

„Hey!“, fuhr ich ihn an und schnipste mit dem Finger vor seinem Gesicht rum. „Könntest du das vielleicht lassen?“

Sein Blick fand meinen wieder und er grinste noch breiter. „Sorry.“

Ich biss die Zähne zusammen und verschränkte die Arme vor der Brust. Wahrscheinlich erfreute ihn dieser Anblick zu sehr – ich in seinem Haus und dann auch noch halb nackt. Gerade wollte ich ihm die Meinung geigen, doch dann wandte er mir den Rücken zu.

„Kaffee?“, fragte er und griff wie selbstverständlich nach einem zweiten Kaffeebecher.

Ich beschloss, es auf sich beruhen zu lassen und setzte mich stattdessen ihm gegenüber an die Theke. Sicherlich würde ich noch genug Gelegenheiten bekommen, ihn anzuschnauzen. Mal im Ernst … Hayato und ich unter einem Dach? Das konnte nur schief gehen.

Er reichte mir die heiße Tasse und ich trank ein paar Schlucke. Direkt fühlte ich mich etwas weniger müde.

„Musst du heute nicht arbeiten?“, fragte ich ihn, um herauszufinden, wann ich die nächste Gelegenheit bekommen würde in sein Büro zu gehen.

Auch er nahm einen großen Schluck aus seiner Tasse, während er die Tageszeitung online auf seinem Tablet studierte.

„Nein, ich habe mir frei genommen.“

Ich schluckte schwer. „Nur heute … oder?“

„Die ganze Woche.“

Meine Schultern sackten nach unten. Ich hatte es befürchtet. Aber gut, immerhin blieb mir noch die Nacht. Da würde er ja wohl hoffentlich schlafen, was mir eine Chance verschaffte.

„Warum?“, fragte ich dennoch verblüfft. „Wirst du dort nicht mehr gebraucht als hier?“

„Momentan nicht. Meine Familie ist wichtiger“, antwortete er, ohne von seinem Tablet aufzusehen.

Statt einer Antwort schnaubte ich nur verächtlich. Diese Woche würde wohl die Längste meines Lebens werden. Etwas geknickt ließ ich den Kopf hängen und fuhr mit dem Finger den glatten Rand meines Kaffeebechers entlang.

Plötzlich legte Hayato mir ein Stück Papier vor die Nase.

„Hier. Nur, falls du immer noch Zweifel hast.“

Verwundert nahm ich es in die Hand. „Was ist das?“

Hayato stützte sich mit beiden Armen an der Theke ab und beugte sich etwas in meine Richtung. „Ein schriftliches Statement von mir, dass ich die Anzeige gegen deinen Freund zurückziehe. Eine Kopie davon liegt bereits der Polizei vor.“

Ich las die wenigen Zeilen, die Tai vor einer Verhandlung bewahrten und war erleichtert, dass Hayato tatsächlich sein Wort gehalten hatte.

„Tai Yagami hat nichts mehr zu befürchten. Jetzt ist es nur noch an dir, den Teil unserer Abmachung zu erfüllen.“

Stirnrunzelnd hob ich den Kopf und sah ihn an. „Was meinst du? Hope und ich sind hier. Wir sind bei dir eingezogen. Das war der Deal.“

Hayatos Mundwinkel wanderte leicht nach oben und der Anflug eines Lächelns schlich sich auf seine Lippen, was beinahe sogar aufrichtig wirkte.

„Das stimmt. Ihr seid hier. Aber ich habe euch nicht nur hier einziehen lassen, damit ihr in einem großen, schönen Haus wohnt. Ich möchte, dass wir uns hier näherkommen. Ich möchte Hopes Vater sein. Ich möchte, dass wir eine Familie sind, Mimi.“

Hätte ich nicht schon meinen ersten Kaffee getrunken, wäre ich prompt vom Stuhl gekippt. Beinahe hätte es mir die Sprache verschlagen. Doch dieses Mädchen war ich nicht mehr. Ich wusste, was ich wollte – und was ich nicht wollte.

„Ein neues zu Hause macht noch lange keine neue Familie aus uns, Hayato. Und wenn ich ehrlich bin, möchte ich in deinem Haus noch nicht mal tot über dem Geländer hängen. Ich möchte überhaupt nicht hier sein. So sehr du dich auch anstrengst, du kannst nicht ungeschehen machen, was passiert ist.“

Ich sah, wie Hayato seine Kiefer aufeinanderpresste und sein Körper sich anspannte. Endlich. Endlich nahm er mich ernst. Ich glaube, dies war das erste Mal, dass er mich als ebenbürtig betrachtete. Dass er nicht mehr nur das kleine Schulmädchen in mir sah, dass nach seiner Pfeife tanzte. Ich war gewachsen – gewachsen an den Aufgaben, die mir das Leben auferlegt hatte und endlich konnte ich Hayato als die Frau gegenübertreten, die ich immer gern sein wollte. Unsere Blicke hefteten sich aneinander, doch diesmal war ich nicht gewillt den Kürzeren zu ziehen.

Schließlich stieß Hayato einen leisen Seufzer aus. Seine Schultern erschlafften. „Wahrscheinlich hast du recht.“

Verdutzt blinzelte ich. „Was?“

Okay, das war nicht unbedingt die Reaktion, mit der ich gerechnet hatte.

„Wahrscheinlich kann ich wirklich nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Ich schätze mal, niemand kann das.“

Er wandte sich ab, stellte seine leere Kaffeetasse in das Spülbecken und verließ ohne ein weiteres Wort die Küche.

Ich hingegen blieb wie festgenagelt sitzen.

Was. War. Das?
 

Die nächsten Tage verliefen relativ unspektakulär. Um genau zu sein – sie zogen sich wie Kaugummi. Hayatos Urlaubswoche wollte einfach nicht vorbei gehen und was noch viel schlimmer war … es gab einfach keine Gelegenheit für mich, mich in sein Büro zu schleichen. Am Tag war er ständig präsent. Wo Hope und ich waren, dort hielt auch er sich auf. Und abends saß er oft bis spät in die Nacht hinein in seinem Büro und arbeitete. Meistens schlief er sogar dort auf dem Sofa ein, anstatt in sein Schlafzimmer zu gehen. Und sobald er duschen ging und sich was Frisches anzog, kam seine Haushaltshilfe, um zu putzen und die Einkäufe zu bringen. Wenn das so weiterging, würde ich nächstes Jahr noch gegen meinen Willen bei ihm wohnen. Doch was noch mehr in meinem Kopf war als die Tatsache, dass ich immer noch nichts gegen Hayato in der Hand hatte, war Tai.

Seit Hope und ich gegangen waren, hatte er sich nicht mehr bei mir gemeldet. Und auch auf keine meiner Anrufe reagiert.

Mit einem Seufzen legte ich mein Handy zur Seite, nachdem ich es das zehnte Mal an diesem Tag gecheckt hatte. Ich stützte mein Gesicht in meine Hände und lehnte mich auf meinem Stuhl nach vorne. Hayato spielte mit Hope im Garten. Ich beobachtete, wie er sie auf seinen Armen wie ein Flugzeug durch die Luft flog und wie Hope dabei lachte. Dieser Anblick machte mich noch trauriger. Hayato hatte sich Tais Vaterrolle durch eine Intrige erschlichen, hatte seinen Platz eingenommen … und zu meinem Bedauern stellte er sich dabei besser an als erwartet. Irgendwie hatte er es geschafft, einen Draht zu Hope zu finden. Er gab sich tatsächlich Mühe mit ihr, obwohl er trotz seines Urlaubs so viel arbeitete. Wer hätte gedacht, dass jemand wie Hayato sogar recht kinderlieb sein konnte?

Hope lachte, als Hayato sie in die Luft warf und wieder auffing. Und je länger ich den beiden dabei zusah, umso mehr Fragezeichen erschienen in meinem Kopf. Warum tat er das alles? Warum jetzt? Wenn er so gerne ein Vater sein wollte, wieso war er dann nicht von Anfang an für uns da gewesen? Woher rührte nur dieser Sinneswandel?

Ich schüttelte den Kopf. Es brachte rein gar nichts darüber nachzudenken. Wenn ich endlich etwas gegen Hayato in der Hand hatte, hatte diese Farce ohnehin ein Ende.

Etwas mürrisch erhob ich mich von meinem Stuhl.

„Ich bereite dann mal das Abendessen vor“, rief ich Hayato zu. Dieser nickte kurz in meine Richtung, ehe er sich wieder Hope widmete. Ich ging in die Küche, von wo aus ich die beiden, dank der riesigen Fensterfront gut beobachten konnte.

Lustlos holte ich einige Lebensmittel aus dem Kühlschrank. Meine Laune war am absoluten Tiefpunkt angekommen. Ich konnte Tai keinen Vorwurf machen, dass er sich nicht zurückmeldete. Nicht nach meinem Abgang. Doch je länger ich Zeit in diesem Haus verbrachte und mit Hayato zusammenlebte, umso weiter entfernten Tai und ich uns unweigerlich voneinander.

Ich hätte ihm so gerne alles erklärt. Dass ich das alles nur für uns tat und vor allem für ihn, damit seine Zukunft gesichert war. Doch ich kannte Tai. Er würde von mir verlangen, dass ich sofort meine Koffer packte. Und somit wäre der Deal mit Hayato hinfällig.

Ich holte mir ein Schneidbrett und ein Messer und begann, frisches Gemüse abzuwaschen und aufzuschneiden. Inzwischen kannte ich mich ziemlich gut in Hayatos Küche aus, da ich jeden Abend für uns kochte. Tatsächlich lief das Zusammenleben mit ihm besser als erwartet. Das hieß, wir redeten nur das Nötigste miteinander und er ließ mich größtenteils in Ruhe. Wir lebten nebeneinanderher, wie ein altes Ehepaar, das sich nichts mehr zu sagen hatte. Nach außen hin führten wir sicher das perfekte Leben – jung, wohlhabend, wir lebten mit unserer Tochter in einem großen Haus und es fehlte uns an nichts. Doch jeder, der hinter diese Fassade sah, dem wurde sofort bewusst, dass das alles nur Theater war. Wir waren keine junge, glückliche Familie, sondern vielmehr eine Zweckgemeinschaft.

Gerade, als ich die Tomaten schneiden wollte, klingelte es an der Tür. Und dann noch mal. Und noch mal.

Ich hob den Kopf und warf einen Blick hinaus in den Garten, wo Hayato ganz vertieft in ein Spiel mit Hope war. Ich wusch meine Hände und trocknete sie an einem Handtuch ab, ehe ich hinaus in den Flur ging.

Ein weiteres Mal klingelte es an der Tür, danach ein energisches Klopfen. Ich warf einen Blick auf die Überwachungskamera und erstarrte.

Ich öffnete die Tür. „Tai, was machst du denn hier?“

Tai stützte sich am Türrahmen ab und hielt den Kopf gesenkt. Als er den Blick hob, blickten mich zwei leere, verklärte Augen an. Der Geruch von Bier stieg mir in die Nase.

„Da bist du ja“, sagte er ein wenig lallend und drückte mich zur Seite. „Lass mich vorbei!“

Total schockiert über diesen Zustand, in dem er hier auftauchte, verschlug es mir die Sprache. Doch als ich Tai durchs Haus stolpern und Hayatos Namen rufen hörte, löste ich mich aus meiner Schockstarre und folgte ihm schnellen Schrittes.

„Wo bist du, du Feigling?“, rief er und wankte dabei.

„Tai, was soll das?“, fragte ich ihn mit gedämpfter Stimmung, in der Hoffnung, dass Hayato ihn noch nicht bemerkt hatte.

Tai drehte sich um und stolperte auf mich zu. „Mimi, pack deine Sachen. Wir gehen!“, sagte er, stieß dabei gegen eine Kommode und riss fast eine antike Vase mit sich, wäre ich nicht nach vorne geschnellt, um sie in allerletzter Sekunde noch aufzufangen. Ich stellte die Vase zurück an ihren Platz, als Tai mich auch schon am Handgelenk packte.

„Wo ist Hope? Hol sie und dann gehen wir.“ Ein bitterer Geruch von Alkohol schlug mir entgegen. Er wollte mich mit sich ziehen.

„Tai, hör auf! Lass mich los! Wir können jetzt nicht mit dir gehen“, wehrte ich mich, woraufhin Tai mich tatsächlich losließ und mich fragend ansah.

„Wieso nicht? Erpresst er dich, damit du bei ihm bleibst?“

Ich zuckte kaum merklich zusammen. Nagel auf den Kopf getroffen. Selbst im betrunkenen Zustand war Tai der klügste Mensch, den ich kannte. Ich antwortete ihm nicht.

„Du bist betrunken“, sagte ich stattdessen. „Du solltest wirklich nicht hier sein.“

„Jaah, schon klar“, murrte Tai lediglich in einem Ton, der mir verriet, dass er mich überhaupt nicht ernst nahm.

Sein Blick schweifte durch die Wohnung, blieb kurz an der Küche hängen und glitt dann weiter zu der großen Fensterfront, die hinaus in den Garten führte.

Oh nein.

Er sah, wie Hayato mit Hope im Gras saß und spielte, wie sie lachte, und seine Hände ballten sich zu Fäusten.

„Halt, nein! Tu das nicht …“, rief ich und wollte ihn aufhalten, doch er schüttelte mich ab und stapfte geradewegs hinaus in den Garten. Ich rannte ihm hinterher und versuchte, das Schlimmste zu verhindern. Aber es war zu spät.

„Hey, Arschloch“, rief Tai und weckte somit Hayatos Aufmerksamkeit. Dessen Blick verfinsterte sich.

„Was macht der denn hier?“, sagte er wütend in meine Richtung. „Hast du ihn reingelassen?“

„Ich …“, wollte ich zur Erklärung ansetzen, doch Tai verlor keine Zeit. Er blieb vor Hayato stehen, packte ihm am Kragen und zerrte ihn auf die Füße.

„Hatten wir das nicht schon?“, fragte Hayato gelangweilt. Er war zwar wütend, aber wenigstens behielt er die Beherrschung – ganz im Gegensatz zu Tai.

„Diesmal sollte ich dir so eine verpassen, dass du nicht mehr aufstehen und meine Freundin erpressen kannst.“

„Willst du dir ernsthaft noch mehr Ärger einhandeln? Mit solchen Anschuldigungen wäre ich vorsichtig. Niemand erpresst hier irgendwen. Mimi ist aus freien Stücken hier.“

„Bullshit!“

Hope, die von dem plötzlichen Stimmungswechsel ziemlich verwirrt schien, blickte aufgeregt zwischen den beiden hin und her.

„Tai, bitte“, versuchte ich als Stimme der Vernunft auf ihn einzuwirken. „Lass ihn los. Du machst alles nur noch schlimmer.“

Tai stieß Hayato von sich, so dass dieser einige Schritte rückwärts stolperte. Dann wirbelte er herum.

„ICH? Ich mache alles nur noch schlimmer?“, schrie er nun mich an, was mich zurückschrecken ließ. „DU bist doch abgehauen, ohne etwas zu erklären. DU hast uns aufgegeben.“

Ich begann zu zittern. Tränen schossen mir in die Augen. So hatte ich ihn noch nie erlebt. So völlig außer sich, so … unendlich verzweifelt.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein … nein, das stimmt so nicht, ich habe uns nie …“, doch mir versagte die Stimme. Ein dicker Kloß bildete sich in meinem Hals. Was hatte ich uns nur angetan? War es wirklich richtig, wie ich gehandelt hatte? Das erste Mal kamen mir ernsthafte Zweifel.

Tais Blick, der finster und voller Schuld auf mir ruhte, drohte mich zu brechen. Ich hätte ihm von Anfang an die Wahrheit sagen sollen, ihn in meinen Plan einweihen. Vielleicht hätte ich ihn irgendwie überzeugen können, dass das der einzige Weg war. Doch jetzt war es zu spät. Jetzt stand er hier vor mir – völlig außer sich. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und festigte meinen Stand, um nicht einzuknicken.

„Tai, ich kann … ich kann dir das erklären. Es ist …“, setzte ich an, doch Tai hob beide Hände in die Höhe.

„Weißt du was? Vergiss es. Gib dir keine Mühe.“

Er drehte sich um und hob Hope auf seinen Arm, die immer noch völlig perplex unten im Gras saß und zu uns aufsah.

„Hey, was soll das werden?“, blaffte Hayato von hinten und wollte Tai am Arm festhalten, doch dieser entzog sich und taumelte auf mich zu.

„Was ist? Kommst du jetzt mit oder nicht?“ Die Frage kam ihm lallend über die Lippen und dass er in diesem Zustand Hope mitnehmen wollte, machte es nur noch schlimmer.

Hope starrte ihren Papa fassungslos an, als würde sie ihn nicht wiedererkennen.

„Tai, ich sagte doch, wir können nicht mitkommen“, versuchte ich nochmals zu erklären, aber Tai schnaubte nur verächtlich, während Hope bereits ihre Mundwinkel nach unten verzog und anfing zu wimmern. Auch sie spürte, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte.

„Ich denke, du solltest dich erstmal ausschlafen und morgen reden wir dann über alles. Bitte gib mir Hope zurück.“ Ich machte einen Schritt auf Tai zu, streckte die Arme nach meiner Tochter aus. Tai wich zurück und funkelte mich nur wütend an.

„Schwachsinn“, sagte er nur. Er presste Hope noch fester an sich, die nun anfing bitterlich zu weinen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Was war nur los mit ihm? Ich erkannte ihn nicht wieder.

Ich ging weiter auf ihn zu, hob beschwichtigend die Hände. Im Moment hatte ich wirklich keine Ahnung, wer hier vor mir stand. Wie verzweifelt musste Tai sein, dass er so aus der Haut fuhr?

„Bitte, Tai. Ich verspreche es dir. Wir reden morgen.“ Ich versuchte meine Stimme unter Kontrolle zu halten, damit er das Zittern in ihr nicht bemerkte. In Wahrheit war ich den Tränen nahe. Das schlechte Gewissen nagte an mir und mir war nur all zu sehr bewusst, dass ich es war, die ihn bis hierhin getrieben hatte.

Tai lachte kurz auf, als würde er kein einziges Wort glauben, was ich sagte. Kein Wunder. Ich selbst würde mir kein einziges Wort mehr glauben.

Trotzdem versuchte ich es weiter. Streckte weiter meine Arme nach Hope aus, die immer weiter schrie und versuchte, sich aus seinen Armen zu winden.

„Ich kann dir alles erklären, Tai. Aber nicht heute. Nicht jetzt und hier. Es ist alles nicht so wie du denkst. Ich …“

„Du LÜGST!“, giftete er mich an und ich zuckte zusammen. Ich sah, wie sein Puls raste. Wie sein Blick immer feindseliger wurde. Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte man meinen können, sein ganzer Hass richtete sich nicht mehr nur gegen Hayato, sondern auch gegen mich. Er fühlte sich von mir verraten.

Tai taumelte einige Schritte zurück, stolperte dabei fast über seine eigenen Füße. Ich schnellte nach vorne, warf dabei Hayato, der immer noch hinter Tai stand, einen kurzen Blick zu und dieser verstand. Er fing Tai auf, hielt ihn an den Schultern fest, während ich ihm Hope aus den Armen nahm.

Kaum bei mir, drückte sie sich an mich und vergrub ihr Gesicht in meiner Halsbeuge.

„Lass mich los“, schrie Tai und befreite sich mehr schlecht als recht aus Hayatos Griff. Er stürzte nach vorn und fiel beinahe noch der Länge nach hin. Er ruderte mit den Armen und fing sich in letzter Sekunde wieder. Stinksauer drehte er sich zu uns um. Seine Augen funkelten uns beide an, während meine sich mit Tränen füllten.

Ich sah, wie Tais Kiefer malmten und sich seine Hände zu Fäusten ballten.

„Scheiß drauf“, presste er kaum hörbar, unter zusammengebissenen Zähnen hervor und wandte sich von uns ab. Schnell drückte ich Hayato Hope in die Hand und hechtete Tai hinterher, um ihm am Arm festzuhalten. Er wirbelte zu mir herum.

„Was?“, fuhr er mich an, woraufhin ich ihn sofort wieder losließ und einen Schritt zurückwich.

„I-ich … Es … Es tut mir so leid, Tai“, stammelte ich. Konnte er denn nicht sehen, dass ich es aufrichtig meinte? Ich habe nie gewollt, dass es so weit kam. Alles, was ich wollte, war ihn zu beschützen und unsere Familie zu retten.

„Lass es mich bitte erklären.“

„Ich will es nicht hören, Mimi. Nicht mehr“, sagte er plötzlich viel zu klar. Als würde er es ernst meinen. Seine Miene versteinerte sich und er sah von oben auf mich herab, dann zu Hayato.

„Ihr habt euch verdient.“ Ein letzter Blick, dann ging er. Einfach so, ohne sich umzudrehen. Es fühlte sich an, als wäre es das letzte Mal gewesen, dass wir uns sehen sollten.
 

Seit Tais Auftreten waren inzwischen mehrere Stunden vergangen. Für mich war es, als hätte er eben noch vor mir gestanden, so präsent war der Schmerz, der sich seitdem in meiner Brust ausgebreitet hatte. Ich fragte mich, wer heute wem das Herz gebrochen hatte. Ich ihm, weil ich nicht mit ihm gegangen war oder er mir, weil er uns offensichtlich endgültig aufgegeben hatte. Wie auch immer. Die Tatsache, dass ich an allem Schuld war, ließ mich nicht schlafen. Hope hatte ich beruhigen und ins Bett bringen können.

Danach rief ich sofort Yamato an, der versprach Tai zu Hause einen Besuch abzustatten. Nur, um zu sehen, ob alles in Ordnung war.

Ich selbst lag mittlerweile seit einer gefühlten Ewigkeit wach und starrte an die dunkle Decke in einem mir fremden Zimmer.

Ich sollte überhaupt nicht hier sein. Jetzt, in diesem Augenblick sollte ich bei Tai sein. In seinen Armen liegen. Seinen Duft einatmen. Ihm mit den Händen durch die braunen, zerstreuten Haare fahren. Mich von ihm küssen lassen …

Mein Herz verkrampfte sich. Ich krallte mich in mein Schlafshirt und unterdrückte ein Schluchzen.

Mit meinem Schweigen hatte ich alles zerstört. Es wäre ein Wunder, wenn er mir je wieder vertrauen würde.

Außerdem befand ich mich schon viel zu lange in diesem Haus und bis jetzt hatte ich nicht das Geringste gegen Hayato in der Hand.

Mit dem Handrücken wischte ich mir die aufkommenden Tränen aus den Augen, schmiss die Decke zur Seite und sprang auf. Es reichte. Das heute war lediglich die Spitze des Eisberges und wenn ich nicht endlich etwas unternahm, würde ich Tai vermutlich verlieren – für immer.

Kurzentschlossen schlich ich barfuß die Stufen des Anwesens hinunter. Es war dunkel und nichts wirkte so, als wäre Hayato noch wach. Doch als ich mich auf leisen Sohlen seinem Büro näherte, hörte ich Stimmen. Eine davon gehörte Hayato. Die andere gehörte einem Mann. Er klang ziemlich energisch. Irgendwie kam mir die Stimme bekannt vor. Ich konnte sehen, dass die Tür zu seinem Büro einen Spalt breit offenstand. Licht drang aus dem Raum. Ich runzelte die Stirn und trat näher an die Tür heran. Woher kannte ich diese Stimme nur?

„Nein, das kannst du vergessen. Das mache ich nicht, Vater.“

Ich zuckte zurück. Vater?

Bevor ich es mir anders überlegen konnte, trat ich leise noch näher, so dass ich durch den Spalt in der Tür sehen konnte.

Ein Schauer durchfuhr mich. Da stand Hayato, die Hände in den Hosentaschen. Er hatte seinem Vater den Rücken zugewandt. Bei dem Anblick dieses Mannes wurde mir schlagartig übel und mein Puls beschleunigte sich. Dieser Mann war nicht nur Hayatos Vater – mein Vater arbeitete für ihn und er war es auch, der meinen Vater damals so unter Druck gesetzt hatte.

„Hör endlich auf, dich wie ein kleines Kind zu verhalten, Hayato“, fuhr sein Vater ihn an und schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. In der anderen Hand hielt er ein Whiskey Glas, was er in einem Zug leerte. Hayato würdigte ihn keines Blickes. Offenbar hatten die beiden einen Streit.

„Ich habe es dir schon mal gesagt und ich sage es dir noch mal“, redete der Mann weiter auf Hayato ein und wurde dabei noch lauter. „Schmeiß diese kleine Schlampe und ihre Göre endlich raus. Und vielleicht – ganz vielleicht – gebe ich dir dann noch eine Chance, dich zu beweisen.“

Hayato wirbelte herum. Wut funkelte in seinen Augen auf. „Sie ist keine Schlampe! Und diese Göre, von der du da sprichst, ist meine Tochter.“

Hayatos Vater verzog die Mundwinkel und warf seinem Sohn einen abschätzigen Blick zu. „Du bist erbärmlich“, sagte er kopfschüttelnd, stellte sein Glas auf den Tisch und stand von dem Sofa auf, auf dem er saß. „Solche Frauen wollen doch nur dein Geld. Sieh dir deine Mutter an. Auf und davon, die kommt nicht wieder. Aber ihren Anteil vom Vermögen hat sie natürlich bereitwillig mitgenommen.“

Die Verbitterung in seiner eiskalten Stimme war nicht zu überhören. Hayato biss sich auf die Lippe und senkte den Blick.

„Nur, weil Mutter abgehauen ist, hättest du mich noch lange nicht aus der Firma schmeißen müssen. Ich habe hart gearbeitet, um so weit zu kommen.“

Meine Augen weiteten sich. Hayatos Mutter war abgehauen und er war aus der Firma seines Vaters geflogen? Davon wusste ich nichts …

Herr Kido schnaubte. „Ich habe dich nicht aus der Firma geschmissen, weil deine Mutter abgehauen ist. Ich habe dich rausgeschmissen, weil du nicht mein leiblicher Sohn bist.“

Mir stockte der Atem. Schweiß prickelte in meinem Nacken. Nicht sein Sohn? Was zur Hölle ging hier vor?

„Deine Mutter war so dreist, mich noch vor unserer Hochzeit zu betrügen und mir dann ein Kind unterzujubeln. Und wenn ich sehe, wie du den gleichen Fehler machst wie ich, enttäuscht mich das zutiefst“, setzte sein Vater seine Ausführungen fort, ohne jegliche Rücksicht auf die Gefühle seines Sohnes. „Diese Mimi ist jung. Zu jung. Sie würde alles sagen und tun, um dich an sie zu binden. Wer garantiert dir denn, dass dieses Kind überhaupt von dir ist?“

Bitte? Da hatte er wohl etwas gewaltig missverstanden. Das Letzte, was ich wollte, war Hayato in irgendeiner Weise an mich zu binden.

Ich konnte sehen, wie Hayato verkrampfte. Er sah seinen Vater immer noch nicht in die Augen. So hatte ich ihn noch nie zuvor gesehen, so … hilflos?

„Ich kenne Mimi“, sagte er schließlich voller Überzeugung und hob endlich seinen Kopf. „Ich weiß, dass ich der Einzige war. Sie ist mir nicht fremdgegangen. Hope IST meine Tochter!“

Mein Herz setzte für eine Sekunde aus und ein komisches Gefühl machte sich in meiner Brust breit. Würde ich nicht hier stehen, und es mit eigenen Augen sehen, hätte ich es nicht geglaubt. Hayato … verteidigte mich vor seinem Vater? Nach allem, was passiert war … nachdem sie beide mich und meine Familie erpresst hatten? Stets traten sie als unbesiegbare Einheit auf. Als ein Team, welches immer bekam, was es wollte. Sie nun hier zu sehen – entzweit – war eine Vorstellung, die ich bis jetzt nicht einmal zu träumen wagte.

Hayatos Vater schüttelte nur bedauernd den Kopf. Mit Daumen und Zeigefinger rieb er sich die Schläfen.

„Wie kann man nur so naiv sein? Es war wohl doch die richtige Entscheidung gewesen, dir den Posten in der Firma zu entziehen. Du bist einfach noch nicht reif genug, und wirst es nie sein. Weißt du, warum ich all die Jahre über so erfolgreich war? Weil ich Opfer gebracht habe. Ich bin weiß Gott über so einige Leichen gegangen und habe Menschen hinter mir gelassen, um mein Ziel zu erreichen. Weil wirklich nichts von echtem Wert erreicht werden kann, ohne dass man Opfer bringt. Und wahre Größe wird nur denjenigen zuteil, die bereit sind alles dafür zu tun – um jeden Preis.“

Das Blut wollte mir in den Adern gefrieren. Hayatos Vater schien noch skrupelloser zu sein als er. Doch wen wunderte es? Das erste Mal sah ich Hayato selbst in einem ganz anderen Licht. Wenn er der Teufel war – wer war dann sein Vater? Es war kein Wunder, dass Hayato so kalt und gefühllos geworden war. Er lernte schließlich vom Besten.

Herr Kido wandte sich ab, während Hayato einfach nur dastand und irgendwie … gebrochen wirkte. Dann drehte er sich ein letztes Mal zu ihm um und sprach die alles entscheidenden Worte. Worte, die niemals ein Vater zu seinem Kind sagen sollte.

„Mach mit dem Mädchen, was du willst. Ich gebe dich auf. Ab heute … bist du nicht mehr mein Sohn. Im Grunde … warst du es ja nie.“

Etwas funkelte in Hayatos Augen auf und für einen kurzen Moment dachte ich, seine Mauer würde bröckeln. Ich hielt den Atem an. Er wirkte, als würde gleich die ganze angestaute Wut explosionsartig aus ihm herausbrechen. Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen presste er die Lippen aufeinander, straffte die Schultern und schenkte seinem Vater einen letzten, verachtenden Blick. Keine Spur irgendeiner Gefühlsregung. Abgeklärt wie immer. Als hätte er kein Herz.

„Dann ist ja alles gesagt“, antwortete er und klang dabei so unglaublich gleichgültig, dass es ihm jeder sofort abgekauft hätte.

Ich hörte, wie Herr Kido leise knurrte. Sicher hatte er mit einer anderen Reaktion gerechnet.

„Ach, und ehe ich es vergesse …“, trat er dann noch mal gehörig nach. „Du hast vier Wochen, um deine Sachen zu packen und hier auszuziehen. Dieses Haus gehört der Firma, also mir, falls du es vergessen hast. Und ich will dich hier nicht mehr haben.“

Ich sprang zur Seite, ehe die Tür aufging und versteckte mich in der Küche. Ich sah Herrn Kido hinterher, wie er das Haus verließ und die Tür krachend ins Schloss fiel.

Meine Beine fühlten sich schwer wie Blei an und mein Kopf brummte unangenehm. Gestresst atmete ich aus und griff mir an die Stirn. Das war zu viel auf einmal. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit.

Was auch immer das eben war, es klang ziemlich eindeutig. Hayatos Vater hatte seinen Sohn verstoßen. Offenbar war er gar nicht sein Sohn. Seine Mutter war weg. Und er hatte seinen Job verloren. Er war ein uneheliches Kind und sein Vater ließ keinen Zweifel daran, dass Hayato nun niemals das Familienerbe antreten und die Firma übernehmen würde. Es war alles … eine große Lüge. Hayatos Leben wie es bisher war, war eine einzige Lüge.

Schließlich fiel der Groschen und vor lauter Aufregung sog ich scharf die Luft ein. Das war es. Endlich.

Endlich hatte ich etwas gegen ihn in der Hand. Er hatte gelogen. Hayato hatte verschwiegen, dass er sozusagen arbeitslos war – sogar aus seinem Haus ausziehen musste. Er stand quasi vor dem Nichts. Von alledem wusste das Jugendamt nichts und Hayato würde den Teufel tun und seine sichere Stellung aufgeben. Bis jetzt war er uns gegenüber im Vorteil und endlich verstand ich, was er getan hatte.

Er hatte geblufft.

Doch wenn ich eins gelernt hatte, dann dass jeder sein eigenes kleines Geheimnis hatte. Und seins war soeben aufgeflogen.

Beflügelt von dieser neuen Erkenntnis wollte ich zurück in mein Schlafzimmer gehen, doch ein lautes Klirren zog meine Aufmerksamkeit erneut in Richtung des Büros. Die Tür stand immer noch offen. Ich ging zurück und warf einen Blick ins Zimmer.

Eine bräunliche Flüssigkeit umringt von Glasscherben sammelte sich auf dem Boden. Offenbar war die Whiskeyflasche runtergefallen.

Hayato kniete davor und versuchte die Scherben aufzusammeln, während seine feine Anzughose sich mit Alkohol vollsog.

Als er nach einer Glasscherbe griff, schnitt er sich in die Hand. Er zuckte nicht einmal zurück, sondern hielt lediglich inne und betrachtete das dicke Blut, welches aus dem Schnitt trat, zu Boden fiel und sich Tropfen für Tropfen mit dem Whiskey mischte.

Ich stand vor der nun halbgeöffneten Tür und beobachtete ihn. Dieses triumphierende Gefühl, welches ich eben noch empfunden hatte, verschwand. An dessen Stelle trat ein anderes. Ein völlig unbekanntes Gefühl, das ich gegenüber Hayato bisher noch nie verspürt hatte – Mitleid.

Hayato ließ die restlichen Scherben am Boden liegen und richtete sich auf. Er griff nach dem Whiskeyglas seines Vaters, was immer noch auf dem Tisch stand und betrachtete es mit leerem Blick. Mal wieder verriet sein Gesicht nichts darüber, wie er sich fühlte, geschweige denn was in ihm vorging. Doch diesmal mischte sich eine Art Schwärze in seine Augen, die ich zuvor noch nie bei ihm gesehen hatte.

Er drehte das Glas in seiner Hand, bis sich schließlich sein Gesichtsausdruck veränderte. Die blanke Wut spiegelte sich darin wider.

„Verdammt!“, schrie er, holte aus und warf das Glas mit einem lauten Knall gegen die Wand hinter sich.

Ich erschrak so heftig, dass ich mir beide Hände auf den Mund presste, um einen Aufschrei zu unterdrücken.

Das Glas zerbrach in hundert kleine Stücke, wie das Herz, von dem ich nicht ein mal wusste, dass er es besaß. Sie fielen zu Boden, während Hayato die Fäuste geballt und schwer atmend davorstand. Dann sank er vor dem Scherbenhaufen auf die Knie. Seine Schultern bebten und seine Hände krallten sich an dem kalten Boden, der ihm nun auch keinen Halt mehr gab. Lautlos weinte er. Und ich … ich stand wie versteinert vor seiner Tür, tausend Fragen im Kopf und einem Herz, das wie wild gegen meine Brust schlug und voller Mitleid für diesen Mann war, der eindeutig gebrochen war. Gebrochen durch seine eigene Familie. Wie gut ich dieses Gefühl doch kannte …

Wen er in diesem Moment wohl mehr hasste? Seinen Vater oder sich selbst? Die Verzweiflung, die mit jedem weiteren Zittern seine Seele verließ, war zum Greifen nah. Und das erste Mal, seit ich Hayato kannte, stellte ich mir die Frage, wer er eigentlich war …
 

„Unter den Anzügen und Kostümen, hinter verschlossenen Türen, werden wir alle von denselben Wünschen beherrscht.

Und diese Wünsche können roh sein und finster und zutiefst beschämend.

Je länger man hinsieht umso deutlicher wird: wir sind nie diejenigen, die wir behaupten zu sein. Hinter der Fassade steckt immer ein Geheimnis.

Vielleicht sind wir eigentlich … jemand anderes.“

Gypsi

Vergebung


 

„Nicht jeder Fehler muss Konsequenzen nach sich ziehen. Manchmal muss er auch nur vergeben werden.“

Die tausend Teile meines Herzens – Colleen Hoover
 

Ich weiß nicht genau, was es war, das mich dazu veranlasst hat, mit Hayato zu sprechen. Vielleicht war es Mitleid, weil sein Vater ihm das Herz gebrochen hatte und ich nur all zu gut wusste, wie sich das anfühlte. Vielleicht war es aber auch die Tatsache, dass ich Hayato noch nie zuvor hatte weinen sehen. Nichts vergleichbares war je passiert. Nie hatte Hayato auch nur irgendeine Gefühlsregung gezeigt, mich nie in sein Innerstes blicken lassen. Unsere Beziehung war ganz anders als die, die ich zu Tai hatte. Bei Tai hatte ich das Gefühl, dass unsere Herzen eins waren und im selben Takt schlugen. Was ich fühlte, fühlte auch er und umgedreht. Tai hatte mir gezeigt, was es hieß, sich einem anderen Menschen voll und ganz zu öffnen und ihm zu vertrauen. So etwas hatte Hayato nie gelernt … und doch hatte ich heute Abend, wenn auch ungewollt, einen kleinen Einblick in seine Seele erfahren dürfen. Vor ein paar Stunden noch hätte ich mich selbst für verrückt erklärt, aber irgendetwas in mir wollte die Hoffnung nicht aufgeben, dass er vielleicht doch ein guter Mensch sein konnte.

Ich beobachtete ihn, wie er eine Stunde später am Pool saß, mit den Beinen im Wasser und einer nur noch halb vollen Flasche Scotch in der Hand. Seine Hose hatte er ausgezogen und sein Hemd war komplett aufgeknöpft, während die schwarze Krawatte ihm locker um den Hals baumelte. Seine Haare waren ziemlich durcheinander, so als hätte er sie sich gerauft.

Von seinem sonst so adretten Äußeren war nicht mehr viel übrig. Noch nie hatte ich ihn so gesehen. So verletzlich, so … menschlich.

Ich stand hinter der Glastür und seufzte.

Verdammt, Mimi, warum musst du es mit dem Gut-Mensch-sein immer so übertreiben?

Wahrscheinlich würde er mir gleich die nächste verbale Klatsche erteilen und mich endlich ein für alle mal wissen lassen, dass Menschen sich nun mal nicht änderten. Und trotzdem musste ich mit ihm reden. Ich musste wissen, ob mein Gefühl mich täuschte oder ob ich irgendetwas in ihm gesehen hatte, was eigentlich gar nicht da war.

Vorsichtig trat ich hinaus in den Garten und setzte mich wortlos neben ihn. Es war trotz des beginnenden Herbstes nicht kalt, also hielt ich meine Füße ebenfalls ins Wasser.

Kurz wagte ich es verstohlen zu ihm rüber zu blicken.

Es war bereits ziemlich dunkel, nur das Licht des Pools warf einen kleinen Schein auf sein Gesicht.

„Was willst du?“, fragte Hayato plötzlich, obwohl er mich bis eben gar nicht beachtet hatte. Ich zuckte leicht zurück. Na, das ging ja gut los.

„Mit dir reden?“, antwortete ich vorsichtig, woraufhin Hayato kaum merklich auflachte.

„Du hast die ganze Woche kein Wort mit mir gesprochen, wenn es nicht unbedingt sein musste und jetzt willst du reden? Mach dich nicht lächerlich.“

Halb belustigt sah er mich mit verklärtem Blick an. Ich biss mir auf die Unterlippe, weigerte mich jedoch einzuknicken. Ich durfte mich jetzt nicht von ihm provozieren lassen.

Hayato schüttelte ungläubig den Kopf, nahm einen weiteren großen Schluck von seinem Scotch und sah aufs Wasser.

„Bitte, dann rede. Aber hoffentlich nicht wieder über deinen Freund, diesen armseligen Möchtegern-Sportler. Ich habe wirklich kein Bedürfnis danach, über seinen mehr als peinlichen Auftritt heute Abend zu reden. Ehrlich Mimi, was willst du mit so einem?“

Ich ballte die Hand zur Faust. Super. Er machte sich über uns lustig. Das war ja nichts Neues. Ich schluckte den Kommentar hinunter, der mir auf der Zunge lag und zwang mich ruhig zu bleiben.

„Nein, ehrlich gesagt wollte ich über dich sprechen.“

Hayatos Blick traf meinen und eine Spur Überraschung lag darin, als würde er überlegen, ob ich Witze machte. Dann wandte er sich wieder ab und nahm noch einen Schluck.

„Tja, das ist jetzt ziemliches Pech. Ich habe nämlich keine Lust über mich zu reden.“

Er machte dicht. Okay, das war nicht anders zu erwarten.

„Solltest du aber. Ich denke, du wärst überrascht, wie gut ich zuhören kann.“

„Geh ins Bett, Mimi. Ich habe dir gesagt, ich will nicht reden. Also lass mich in Ruhe und geh endlich schlafen“, kommandierte er mich rum, doch so leicht ließ ich mich nicht mehr abwimmeln.

„Ich bin kein kleines Mädchen, dass du ins Bett schicken kannst, damit es seinen Mund hält“, konterte ich und Hayato sah mich verblüfft an. Dann grinste er.

„Ach, nicht?“

Ich verdrehte leicht die Augen und beschloss nicht weiter auf diese Neckerei einzugehen. Stattdessen fiel ich direkt mit der Tür ins Haus.

„Ich habe euch vorhin gesehen. Na ja, dich … und deinen Vater.“

Hayato, der gerade erneut die Flasche an seine Lippen gesetzt hatte, hielt mitten in der Bewegung inne. Langsam drehte er den Kopf in meine Richtung.

„Du hast … WAS?“

Dann schlug er ohne jede Vorwarnung mit der flachen Hand auf den Boden, was mich unwillkürlich zusammenfahren ließ. Urplötzlich brach es aus ihm heraus.

„Du hast uns belauscht? Ist das dein scheiß Ernst? Was bildest du dir eigentlich ein?“

Ich wich vor ihm zurück. Nicht nur Wut, sondern auch der bittere Duft des Alkohols schlug mir entgegen. Mir war bewusst, ich hatte eben eine Grenze überschritten.

„Ich habe euch gehört. Und zwar alles“, redete ich dennoch weiter. „Ich habe gehört, was dein Vater zu dir gesagt hat. Dass deine Mutter euch verlassen hat und dass du nicht sein rechtmäßiger Sohn bist und …“ Ich schluckte. „Ich habe gesehen, wie du …“

„Nein!“, entfuhr es Hayato wütend und sein Gesicht kam meinem bedrohlich nahe. „Du hast gar nichts gesehen, verstanden? Nichts! Da war nichts, zwischen mir und meinem Vater. Hast du das kapiert?“

Es sollte wie eine Drohung klingen, doch für mich klang es eher so, als würde Hayato sich selbst davon überzeugen wollen, dass nichts passiert sei. Dass sein Vater diese Worte niemals ausgesprochen hatte. Vermutlich wollte er einfach gerne der Lüge glauben.

„Es tut mir leid, aber ich habe euch gesehen. Und jedes Wort gehört, was gesagt wurde“, sagte ich entschlossen.

Einige Sekunden lang starrte er mich an, in denen ich versuchte vor Anspannung nicht zu atmen. Ich hatte keine Ahnung, was als Nächstes geschehen würde. Hayato versuchte standhaft zu bleiben und nicht einzuknicken, mich mit seinem bohrenden Blick weiter einzuschüchtern. Als er jedoch merkte, dass ich ihn durchschaut hatte, bröckelte seine Fassade. Verzweifelt stützte er den Kopf in die Hände und sank nach vorne.

„Verfluchte Scheiße“, jammerte er. Irritiert sah ich ihn an, als seine Schultern zu beben begannen. Weinte er etwa? Doch aus dem vermeintlichen Wimmern wurde ein Lachen, erst leise, dann immer lauter, bis er vollends in Gelächter ausbrach. Er warf den Kopf nach hinten und hielt sich den Bauch.

Ungläubig ruhten meine Augen auf ihm, während ich keine Miene verzog. Was zum Teufel war das denn jetzt für ein Gefühlsausbruch?

Hayato wollte sich gar nicht mehr einkriegen, lachte einfach immer weiter. Bis ich irgendwann den Kopf schief legte. „Äh … geht’s dir gut?“, wollte ich wissen, woraufhin sein Lachen etwas abebbte und er sich eine Träne auf dem Augenwinkel wischte.

„Tut mir leid“, stammelte er immer noch feixend. „Ich musste nur eben über die Ironie des Schicksals lachen. Jetzt komm ich mir ziemlich dumm vor.“

Ich runzelte die Stirn. „Wieso das?“

Hayato gönnte sich noch einen letzten Schluck. Dann schüttelte er die leere Flasche und sah durch sie hindurch, bevor er ausholte und sie in den Pool warf.

Wir blickten beide der Flasche hinterher, wie sie mit einem lauten Geräusch ins Wasser klatschte.

„Weil ich diesmal echt versagt habe. Und zwar auf ganzer Linie. Ich habe alles verloren, Mimi.“

Ich senkte den Kopf und wusste nicht so recht, was ich sagen sollte.

„Mein Vater ist nicht mein Vater, aus seiner Firma wurde ich entlassen, so wie es aussieht, bin ich bald obdachlos … oh, ach ja, und Gott weiß, wo meine Mutter steckt“, zählte er belustigt auf, obwohl es eigentlich eher traurig wäre.

„Was ist passiert? Mit deiner Mutter, meine ich“, wollte ich wissen.

„Sie hat sich feige aus dem Staub gemacht, als alles rauskam“, erzählte Hayato weiter. Es wunderte mich, dass er plötzlich so redselig war, aber vermutlich war das dem Alkohol geschuldet.

„Sie hat meinen Vater vor ihrer Hochzeit betrogen. Aber das weißt du ja schon … Jedenfalls hat sie nie einen Zweifel daran zugelassen, dass mein Vater nicht mein leiblicher Vater wäre. Sie hat nie ein Wort darüber verloren und wog sich wahrscheinlich in Sicherheit, dass ihre kleine Affäre niemals auffliegen würde – bis zu dem Tag, an dem der Brief kam.“

„Welcher Brief?“, fragte ich neugierig.

Nun verzogen sich Hayatos Lippen zu einem traurigen Lächeln.

„Ein Brief meines leiblichen Vaters.“

Ich sog scharf die Luft ein.

„Er war an meine Mutter gerichtet“, redete er weiter. „Dieser Mann schrieb, dass er erkrankt sei und sein letzter Wunsch wäre es, meine Mutter und mich noch ein mal zu sehen. Mein Vater rastete völlig aus, als er eins und eins zusammenzählte und sie ihm die Wahrheit beichtete. Mein Vater verlangte sofort die Scheidung. Meine Mutter packte von heute auf morgen ihre Sachen, räumte das Bankkonto zur Hälfte leer und verschwand auf nimmer Wiedersehen, ohne auch nur ein mal mit mir darüber zu sprechen.“ Hayato machte eine ausfallende Handbewegung, während ich versuchte zu begreifen, welches Drama sich innerhalb dieser Familie angespielt haben musste.

„Hast du Kontakt zu deinem richtigen Vater aufgenommen?“, wollte ich wissen, biss mir danach jedoch auf die Unterlippe. War es okay so etwas zu fragen?

Hayato schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, aber ich habe ein paar Nachforschungen angestellt. Er war wohl ein ziemlicher Weltenbummler ohne festen Wohnsitz. Jobbte mal hier, mal da und verzockte das meiste seines armseligen Vermögens. Kein Wunder, dass es für meine Mutter nur eine Affäre war. So ein Leben hätte sie nie führen wollen. Inzwischen ist er gestorben, soweit ich weiß. Seine Leber hat ihn dahingerafft.“ Er zuckte belanglos mit den Schultern, als hätte er nicht gerade das Leben und den Tod seines leiblichen Vaters in zwei Sätzen erzählt.

„Danach hat mein Vater mir meinen Posten in der Firma entzogen“, redete er weiter und ein gehässiges Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Dieser Heuchler. Sagt, ich wäre nicht sein Sohn und nicht geeignet, um seine Nachfolge anzutreten. Lächerlich! Dabei habe ich seit Jahren nichts anderes gemacht, als ihm nachzueifern. Ich habe hart dafür gearbeitet, habe stets jede Aufgabe, die er mir auftrug zu seiner Zufriedenheit erfüllt. Und er behauptet, ich würde als uneheliches Kind sein Erbe in den Dreck ziehen. Dieser Miese …“

Ich konnte deutlich sehen, wie sehr ihn dieses Thema aufwühlte. Seine Hand war verbunden, da er sich an den Scherben in seinem Büro geschnitten hatte, doch das hinderte ihn nicht daran, sie zur Faust zu ballen und hart auf den Boden aufzuschlagen. Sein Blick wurde finster.

„Ich bin für ihn nichts weiter, als ein Bastard.“

Ich musste schwer schlucken. Dabei hatte ich gar nicht bemerkt, wie sich der dicke Kloß in meinem Hals gebildet hatte. Diese Geschichte schien wirklich schwer auf Hayatos Schultern zu lasten.

Einige Minuten des Schweigens vergingen, in denen keiner von uns etwas sagte. Aber ich hätte auch nicht gewusst, was ich hätte sagen können. Dass es mir leid tat? Ja, das tat es wirklich. Kein Kind sollte von seinen Eltern im Stich gelassen werden. Das hatte ich selbst am eigenen Leib erfahren müssen. Aber das half Hayato nicht weiter.

„Du kannst nichts tun“, sagte ich schließlich, als ich meine Stimme wiederfand. „Und du hättest nie etwas tun können.“

Keine Ahnung, wieso ich das tat, doch ich legte eine Hand auf seine Schulter, während er mich überrascht ansah.

„Egal, wie sehr du es dir wünschst, du kannst nicht ungeschehen machen, was passiert ist. Das Einzige, was du wissen musst ist, dass es nicht deine Schuld ist! Es ist nicht deine Schuld, dass deine Mutter gegangen ist und es ist nicht deine Schuld, dass sie deinem Vater jahrelang die Wahrheit über dich verschwiegen hat. Es ist nicht deine Schuld, dass dein Vater dich nicht akzeptieren kann. Und es ist nicht deine Schuld, dass du verlierst, was du Dir aufgebaut hast. Manchmal geschehen einfach Dinge, auf die man keinen Einfluss hat und trotzdem verändern sie unser gesamtes Leben.“

Ein warmes Lächeln zeichnete mein Gesicht, als ich unweigerlich an Hope dachte. „Hayato, du kannst nicht davor weglaufen wer du bist oder woher du kommst. Aber du kannst selbst bestimmen, wohin du gehen willst und welche Person du in Zukunft sein möchtest.“

Fragend sah Hayato mich an. „Was meinst du damit?“

„Ich meine damit, dass du allein bestimmst, wie es jetzt weitergeht. Deine Mutter hat entschieden zu gehen. Diese Entscheidung hat sie allein getroffen. Dein Vater hat entschieden, dich nicht mehr als seinen Sohn zu wollen. Auch er hat diese Entscheidung allein getroffen. Nun triff du deine. Du bist nicht dumm, Hayato. Du brauchst keinen Big Boss oder einen reichen Daddy, um es zu etwas zu bringen. Alles, was du brauchst, ist Vertrauen in dich selbst. Und ein bisschen Mut.“

Mein Lächeln wurde noch breiter. Wären die Worte nicht soeben aus meinem Mund gekommen, hätte ich nicht geglaubt, dass sie von mir waren. Doch sie kamen direkt aus meinem Herzen. Tai hatte sie dort hinterlassen. Er war es, der mich so stark gemacht hatte. Er zeigte mir, dass es sich lohnte, an sich selbst zu glauben und dass man so einfach alles schaffen konnte. Er hat mir den Mut gegeben, für Hope und mich einzustehen.

„Wow“, hauchte Hayato und wirkte leicht ehrfürchtig. „Mit solchen Reden könntest du große Hallen füllen, das ist dir klar oder? Die Leute würden dir die Bude einrennen.“

Ich lachte auf. „Nein, das überlasse ich den Spezialisten.“

Hayatos Mundwinkel wanderten etwas nach oben und das erste Mal an diesem Abend sah ich, wie die Zuversicht in seine Augen zurückkehrte.

„Danke, Mimi“, sagte er aufrichtig.

Ich nickte zustimmend. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass sich gerade etwas zwischen uns verändert hatte.

Hayato war kein schlechter Mensch. Er war lediglich sein Leben lang von schlechten Menschen umgeben. Doch auch er konnte sich ändern und seinen eigenen Weg finden, da war ich mir sicher. Er musste es nur selbst wollen.

„Wo wir gerade bei unfreiwilligen Geständnissen wären“, meinte Hayato plötzlich, was mich überrascht aufsehen ließ. Dann stand er ohne Vorwarnung auf, ging zurück ins Haus und hinterließ dabei viele nasse Fußspuren auf dem Boden. Als er wiederkam, hatte er zwar immer noch keine Hose an, dafür aber ein Handy in der Hand. Er setzte sich diesmal im Schneidersitz neben mich und warf mir das Ding in den Schoß.

Irritiert drehte ich es in meiner Hand. Hatte ich dieses Telefon nicht schon mal irgendwo gesehen?

„Abgesehen von der roten Handyhülle, die so gar nicht zu dir passt, wusste ich nicht, dass du auf kleine rosa Häschen stehst.“ Ich ließ den Anhänger vor meiner Nase baumeln.

„Komm schon, du weißt genau, dass das Handy nicht mir gehört“, sagte Hayato grinsend und stützte sich nach hinten auf seinen Händen ab. „Ich wollte es lediglich seiner Besitzerin wiedergegeben.“

Ich betrachtete den Hasenanhänger genauer und mit einem Mal fiel es mir wie Schuppen von den Augen.

„Das ist Sora’s Telefon.“

Mit finsterem Blick wandte ich mich Hayato zu. „Kannst du mir mal erklären, warum du Soras Telefon bei dir hast?“

Mir schwante nichts Gutes. Tatsächlich konnte ich es mir schon denken, denn auf einmal ergab alles einen Sinn. Und sein Grinsen bestätigte meinen Verdacht.

„Sagen wir … sie hat es verloren und ich habe es für sie aufbewahrt.“

Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und ich schmiss ihm das Handy entgegen. „Du lügst. Denkst du, ich kann nicht eins und eins zusammenzählen? Als du sie damals vor dem Club gesehen hast, hast du es ihr geklaut. Gib es zu!“, forderte ich.

Hayato schnalzte mit der Zunge. „Klauen ist so ein böses Wort, so weit würde ich nicht gehen. Es ist ihr aus der Tasche gefallen und sie hat es nicht bemerkt. Sie schien mir ohnehin etwas aufgewühlt zu sein.“ Er zuckte mit den Schultern als würden solche Dinge eben passieren. Nur leider passierten sie immer rein zufällig in Hayatos Nähe.

„Jetzt wird mir einiges klar“, sagte ich aufgebracht und zeigte anklagend mit dem Finger auf ihn. „Daher wusstest du auch, wo ich wohne und von Tais Party.“

Hayatos Antwort war ein viel zu breites Grinsen. Er lehnte sich mir entgegen.

„Denkst du, ich habe es nötig, dich zu stalken, Mimi? Das wäre ein bisschen unter meiner Würde“, entgegnete er fast schon stolz über seine Raffinesse.

Ich zog eine Augenbraue nach oben. „Und das hier ist nicht unter deiner Würde?“

Er warf mir das Handy erneut in den Schoß. „Was kann ich dafür, wenn sie ihr Handy nicht anständig sichert, so dass jeder Idiot darauf zugreifen kann? Auf Kontakte, auf Facebook Profile … ehrlich, ihr jungen Leute seid viel zu gutgläubig und macht alles öffentlich.“

Ihr jungen Leute? Wie alt war er? 50? Ich grummelte über seine freche Antwort und knallte das Handy neben ihn auf den Boden.

„Und was soll ich jetzt mit dem blöden Teil? Warum gibst du es mir?“, fragte ich sauer.

„Na, du kannst es ihr wiedergeben. Ich brauche es nicht mehr“, sagte er mit einer Belanglosigkeit in der Stimme als wäre das selbstverständlich.

„Du hast sie wohl nicht alle“, giftete ich ihn an. „Schick es doch mit der Post oder schmeiß es in den Müll. Ich will damit nichts zu tun haben.“

Hayato musterte mich auffallend nachdenklich. „Warum nicht? Ist doch keine große Sache. Sie ist deine Freundin. Gib es ihr einfach zurück und sag, du hast es gefunden.“

Ich verschränkte die Arme vor der Brust und drückte den Rücken durch.

„Vergiss es! Das mach ich nicht!“

Natürlich durchschaute er sofort, was los war. Das war nicht schwer zu erraten, so wie ich eben reagiert hatte.

„Ihr habt euch verkracht?“, schlussfolgerte er. „Warum? Was ist passiert?“

„Das geht dich überhaupt nichts an.“

Doch er dachte nicht daran, aufzuhören. „Ach, komm schon. Ich habe dir gerade mein schlimmstes Familiengeheimnis anvertraut.“

„Hast du nicht wirklich. Ich habe dich belauscht“, widersprach ich ihm verbissen.

„Okay, du hast mich belauscht. Aber immerhin war ich ehrlich zu dir.“

Ich überlegte eine Weile und seufzte schließlich. Hayato hatte recht. Er hatte mir heute endlich einen kleinen Einblick in sein Innerstes gestattet. Und vielleicht half es ja, darüber zu reden, denn die Wahrheit war … die Enttäuschung über Soras Verrat saß mir immer noch im Nacken. Sie war schließlich Jahrelang meine beste Freundin gewesen. Was zwischen uns vorgefallen war, hatte einen tiefen Riss in unsere Freundschaft gerissen, der nicht wieder zu heilen war.

Ich gab mir einen Ruck und seufzte.

„Sie ist auch in Tai verliebt oder … sie war es. Ich weiß es nicht so genau“, offenbarte ich ihm schließlich. Die Worte auszusprechen tat mehr weh als ich erwartet hätte.

Hayato blinzelte verwundert. „Und … das ist so schlimm, dass ihr euch nicht mehr in die Augen sehen könnt? Wirklich?“

Ich schüttelte bedauernd den Kopf. „Nein, das ist nicht alles gewesen. Da war noch mehr, aber ich …“

Ich starrte auf meine Hände, die langsam kalt wurden. „Ich kann ihr einfach nicht mehr vertrauen. Nie wieder.“

Dafür war einfach zu viel geschehen. Zu viele Lügen wurden erzählt, zu viele Geheimnisse verschwiegen. Es war nun mal nicht mehr wie früher zwischen uns. Und das würde es auch nie wieder sein.

Ich spürte, wie Hayato seine Hand auf meine Schulter legen wollte. Im letzten Moment jedoch hielt er inne und zog sie weg.

„Vielleicht kannst du ihr nicht mehr vertrauen“, sagte er mit ruhiger Stimme. „Aber vielleicht kannst du ihr verzeihen.“

Ich fuhr zu ihm herum. „Ihr verzeihen? Dass sie mit meinem … dass sie mit Tai …“ Ich brachte es einfach nicht über die Lippen. Stattdessen schluckte ich den aufkeimenden Ärger hinunter und starrte zurück auf den Pool, als würde ich mit meinen Augen ein Loch ins Wasser brennen wollen.

„Das kann ich nicht. Ich kann ihr nicht verzeihen“, sagte ich schließlich.

„Dann wird es dich ewig verfolgen. Du wirst nie damit abschließen können.“

Seine Worte hatten etwas Wahres. Und doch konnte ich mich nicht nach ihnen richten, konnte nicht das tun, was gut für mich gewesen wäre.

„Ja, wahrscheinlich hast du recht.“ Und wahrscheinlich würde es immer die Beziehung zu Tai beeinflussen, solange ich keinen Schlussstrich zog.

Hayato stieß seufzend die Luft aus und ließ die Schultern sinken.

„Okay, deine Sache. Ich nehme an, du wirst morgen zum Jugendamt gehen und ihnen die ganze Wahrheit über mich erzählen“, sagte er.

Mit hochgezogener Augenbraue sah ich ihn an, während er mit den Schultern zuckte. „Ich denke, das hab ich verdient. Im Nachhinein tut es mir leid, dass ich dich erpresst habe mit Hope zu mir zu ziehen. Aber ich wusste mir nicht anders zu helfen – ich habe es nie anders gelernt. Du wolltest mir keine Chance mehr geben und ich wollte sie wirklich gerne kennenlernen … Eigentlich wollte ich das schon immer. Aber ich habe meinem Vater so blindlings vertraut, dass ich alles gemacht habe, was er gesagt hat. Dass ich am Ende sogar dich verraten habe, nur um meine Karriere nicht zu gefährden. Jetzt, da ich selbst meine Familie verloren habe, weiß ich, wie es sich anfühlt. Ich weiß, was ich dir damit angetan habe und ich will nicht, dass Hope das auch durchmachen muss. Sie soll sich nicht irgendwann fragen müssen, wer ihr leiblicher Vater ist, so wie ich.“

Hayato griff nach meiner Hand, was mich zusammenfahren ließ. Überrascht blickte ich in sein ernstes Gesicht.

„Wenn du morgen früh deine Sachen packen und gehen willst, verstehe ich das. Von deinem neuen Freund halte ich zwar immer noch nicht viel und ich denke, wir wissen beide, dass ich die bessere Wahl gewesen wäre …“, redete er weiter und grinste frech, und auch ich konnte ein Kichern nicht unterdrücken.

„Aber ich hatte meine Chance. Ich werde euch keine Schwierigkeiten mehr machen, Mimi.“

Ich schluckte den Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hatte hinunter und verdrückte mir eine Träne. Ein riesen Stein fiel mir vom Herzen. Wenn mir jemand noch vor einem Tag gesagt hätte, dass wir heute hier sitzen und dieses Gespräch führen würden, hätte ich ihn ausgelacht. Doch meine innere Stimme sagte mir, dass es endlich vorbei war. Kein Hass, keine Zwietracht, keine Intrigen – keine Geheimnisse mehr. Nichts stand uns jetzt noch im Weg. Und wenn mich diese ganze Sache eins gelehrt hatte, dann dass man nicht immer erst einen Krieg beginnen musste, um Frieden zu schließen.

Ich senkte den Kopf und atmete bewusst tief in meine Brust ein, die sich das erste Mal seit langem nicht anfühlte, als würden tausend Probleme auf ihr lasten.

„Ich danke dir“, sagte ich mit geschlossenen Augen, um nicht weinen zu müssen und legte eine Hand auf mein Herz, welches immer noch wie wild schlug.

„Hey, du wirst doch wohl nicht heulen“, warf Hayato scherzhaft ein und brachte mich zurück in die Realität. Ich schüttelte lächelnd den Kopf und sah ihm in die Augen. „Nein. Es sind genug Tränen geflossen.“

„Dann ist ja gut“, entgegnete er grinsend und wandte seinen Blick von mir ab. Auch er wirkte gerade so, als hätte er mit sich und der Vergangenheit seinen Frieden geschlossen.

Meine Füße baumelten immer noch im Wasser und ich konnte nicht anders als in das kühle Blau zu grinsen.

„Oh man“, entfuhr mir plötzlich ein Jubelschrei und ich warf die Arme in die Luft. „Tai wird ausrasten vor Freude, wenn wir morgen vor seiner Tür stehen.“

Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Hayato das Gesicht verzog.

„Hey!“, meinte ich und boxte ihm gegen den Arm. „Tai ist wirklich ein netter Kerl.“

„Mmh, kann sein“, grummelte Hayato jedoch nur und stützte den Kopf auf seine Handfläche ab.

„Außerdem solltest du dich wirklich langsam mit dem Gedanken anfreunden, dass Hope nun mal einfach zwei Väter haben wird“, räumte ich ein und erntete dafür einen ungläubigen Blick.

„Zwei Väter? Du meinst … ich darf sie wiedersehen?“, fragte Hayato. Die Überraschung stand ihm ins Gesicht geschrieben und er wirkte, als hätte er gerade ein Weihnachtsgeschenk ausgepackt, mit dem er nicht gerechnet hatte.

Ich nickte vorsichtig und schenkte ihm ein Lächeln. „Auch ich habe Augen im Kopf, Hayato. Auch wenn ich anfangs nicht sonderlich begeistert davon war … du scheinst einen guten Draht zu ihr zu haben. Ich möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass sie irgendwann keine Ahnung hat, wer ihr leiblicher Vater ist.“

Hayato öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch kein einziger Ton kam über seine Lippen. Stattdessen packte er mich an den Schultern und zog mich in so eine feste Umarmung, dass ich nach Luft schnappen musste.

Eine gefühlte Ewigkeit vergrub er das Gesicht an meiner Halsbeuge. „Danke“, murmelte er.

Das war das erste Mal, dass wir uns so nah waren. Auch wenn wir ein Kind zusammen hatten, so gab es doch niemals eine aufrichtige oder gar innige Umarmung zwischen uns. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es genau das war, was wir eigentlich die ganze Zeit über gebraucht hätten. Ich dachte an Tai und musste grinsen. „Nicht jeder Fehler muss Konsequenzen nach sich ziehen. Manchmal muss er auch nur vergeben werden“, sagte ich leise und hoffte inständig, dass auch Tai mir vergeben konnte.
 

Hayato stand wie immer zu seinem Wort und ließ mich am nächsten Tag gehen. Aber es sollte definitiv kein Abschied auf Dauer sein. Er würde Hope wiedersehen, das hatte ich ihm versprochen. Doch zunächst musste ich dringend mit Tai sprechen. Ihm alles erklären und mich vor allem entschuldigen. Ich hoffte, er würde meine Beweggründe verstehen und dass ich die ganze Zeit nur versucht hatte, ihn zu beschützen.

Zu Hause angekommen rutschte mir jedoch gewaltig das Herz in die Hose. Was, wenn er es endgültig und ein für alle mal satt hatte? Dieses ganze Drama, die Geheimnisse … mich? Allein bei dem Gedanken daran, dass es so sein könnte, wurde mir hundeelend. Nicht mal der Morgenkaffee schaffte es in meinen Magen, so nervös war ich. Und als ich endlich mit Hope vor Tais Tür stand, bekam ich es regelrecht mit der Angst zu tun. Meine Hände schwitzten und mein Puls schoss in die Höhe, als ich endlich all meinen Mut zusammennahm und die Klingel betätigte.

Bitte … Bitte hab uns noch nicht aufgegeben, Tai.

Es war Kari, die mir auf machte.

„Oh, ehm … hallo, Mimi“, begrüßte sie mich etwas irritiert. „Tai sagte, du würdest für eine Weile wegziehen.“

Ich schluckte und kratzte mich verlegen an der Stirn. „Ja, äh … so ähnlich. Lange Geschichte. Ist er da?“

„Wer?“, fragte Kari stutzig.

„Na, Tai.“

„Nein, du hast ihn verpasst, tut mir leid“, eröffnete sie mir und all mein gesammelter Mut verabschiedete sich.

„Wie schade“, meinte ich geknickt. „Weißt du, wann er wiederkommt?“

Kari’s Gesicht veränderte sich plötzlich. Unsicher sah sie zwischen Hope und mir hin und her.

„Hat er es dir denn gar nicht gesagt?“

Oh, nein. So wie sie die Frage aussprach, klang das gar nicht gut. Zweifel machten sich in mir breit und ich wurde nervöser.

„Nein? Was denn?“, hakte ich nach, obwohl ich mir nicht sicher war, ob ich die Antwort hören wollte.

„Er kommt nicht zurück.“

Neuanfang

„Until you face all the mistakes you’ve made,

you’ll never change.“

- One Tree Hill


 

Mein Herz setzte einen Schlag aus, während ich Kari anstarrte und zu verstehen versuchte, was sie soeben gesagt hatte.

„Du meinst … er kommt heute nicht zurück. Aber morgen ist er wieder da, richtig?“, fragte ich zweifelnd. Angespannt bissig ich mir auf die Unterlippe. Ich kannte doch die Antwort …

Traurig schüttelte Kari den Kopf. „Nein. Er kommt gar nicht wieder, Mimi. Was ist denn nur passiert? Warum hat er nicht mit dir darüber gesprochen?“

Plötzlich hatte ich das Gefühl nicht mehr atmen zu können. Warum er nicht mit mir geredet hatte? Weil ich es nicht mehr wert bin, deshalb. Weil ich genauso wenig mit ihm offen gesprochen habe. Weil ich ihn mit meinem Verhalten vertrieben habe …

„Ich … ich weiß nicht“, log ich stattdessen und versuchte die aufkommenden Tränen zu unterdrücken. Karis mitleidiger Blick brannte sich durch meine Haut und am liebsten wäre ich auf der Stelle im Erboden versunken. Wie, um alles in der Welt, sollte ich ihr gestehen, dass ich den einzigen Menschen, der mir je was bedeutet hatte, von mir gestoßen hatte?

„Ist er nach Osaka gezogen?“, schlussfolgerte ich und Kari nickte.

Ich wusste es. Er war weg. Er war allein gegangen, um das Leben zu führen, welches wir beide leben wollten – gemeinsam. Und jetzt lebte er es ohne mich weiter.

Es fühlte sich an, als würde jemand mein Herz packen, es quetschen und es ganz langsam ausbluten lassen.

Ohne Tai … wenn er jetzt fort war … dann war alles umsonst gewesen.

„Er sagte, er wolle vorher noch irgendwo hin“, räumte Kari plötzlich ein, was mich aufsehen ließ.

„Was meinst du?“

„Er sagte, Er habe sich vorläufig eine vorübergehende Unterkunft in Osaka gebucht, bis er eine Wohnung gefunden hat.“

Diese Aussage versetzte mir einen Stich ins Herz. Anscheinend konnte er es ja gar nicht abwarten, so schnell wie möglich von hier zu verschwinden.

„Aber er sagte, vorher müsse er noch woanders hin und über alles nachdenken.“ Kari setzte eine nachdenkliche Miene auf. Als könne sie sich selbst keinen Reim darauf machen. „Ja, er sagte, er muss da dringend noch was erledigen. Mehr war aus ihm nicht rauszukriegen. Ich weiß nicht, was er damit gemeint hat.“ Sie zuckte mit den Schultern und warf mir einen bedauernden Blick zu.

Ich dachte nach. Ein Ort, um über alles nachzudenken?

Das kam mir irgendwie bekannt vor …

„Ich denke, ich schon“, überlegte ich laut, war mir jedoch absolut nicht sicher, ob ich mit meiner Vermutung recht hatte.

„Kannst du auf Hope aufpassen?“, fragte ich Kari, während ich ihr gleichzeitig Hope in die Hand drückte.

„Äh … Mimi, ich“, stammelte diese sichtlich überfordert. „Ich wollte eigentlich lernen und nachher kommt T.K. noch vorbei.“

Ich warf ihr einen flehenden Blick zu und faltete die Hände vor der Brust.

„Ich bitte dich! Nimm sie über Nacht mit zu euch und morgen bin ich wieder da, ich verspreche es!“

Kari runzelte die Stirn. „Ich müsste erst Mama fragen …“

„Bitte, Kari. Wenn ich jetzt nicht gehe … wenn ich nicht noch mal mit Tai sprechen kann, bevor er nach Osaka geht, dann …“ Der Gedanke wollte nicht in meinen Kopf. Das konnte es einfach nicht gewesen sein. Nicht jetzt, wo endlich alles gut werden würde.

Karis Mundwinkel formten sich zu einem Lächeln. „Verstehe. Ich denke, ich kann bis morgen auf sie aufpassen.“

Mein Gesicht erhellte sich vor Freude und ich fiel Kari dankend um den Hals.

„Tausend Dank!“

Schnell ging ich zurück in meine Wohnung, um einen Rucksack mit Proviant zu packen und bequeme Schuhe anzuziehen.

Dann machte ich auf dem Absatz kehrt und sprintete in Richtung Treppenhaus. Es war noch früh am Morgen. Er konnte also nur einen kleinen Vorsprung haben. Wenn ich mich beeilen würde, konnte ich ihn noch einholen. Aber alleine würde ich das sicher nicht schaffen …

Ohne lange darüber nachzudenken holte ich mein Handy aus der Hosentasche, während ich gleich zwei Stufen mit ein mal nach unten nahm. Ich wählte Hayatos Nummer. Er hob ab.

„Hayato, ich brauche deine Hilfe. Um genauer zu sein, brauche ich dich und dein Auto“, redete ich ohne Umschweife drauf los und stürzte durch die Ausgangstür des Wohngebäudes.

„Ehm … was?“, kam es nur vom anderen Ende der Leitung.

„Keine Zeit für Erklärungen“, sagte ich schon ziemlich außer Atem, als ich die Straßen entlang rannte. Ich checkte die Uhrzeit. Die Straßenbahn würde erst in zwanzig Minuten kommen. Zu Fuß war ich schneller.

„Ich habe noch was gut bei dir.“

„Bitte? Wofür?“

Ich stöhnte ins Telefon. „Für so einiges. Ich bin in einer halben Stunde da. Und Hayato? Zieh dir was Bequemes an.“

Ohne eine Antwort abzuwarten, legte ich auf. Ich konnte Tai einholen. Ich MUSSTE ihn einholen. Tai hatte die ganze Zeit über für Hope und mich gekämpft, mich nie im Stich gelassen, egal wie aussichtslos die Situation auch war. Er war immer für mich da gewesen. Jetzt war es an der Zeit, dass ich um ihn kämpfte …
 

Früher als gedacht kam ich bei Hayatos Haus an. Ich war völlig aus der Puste, stützte mich auf meine Knie und musste erst ein mal Luft holen, als Hayato mit einem Coffee to go in der Hand aus seinem Haus schlenderte.

„Da bist du ja. Danke“, hechelte ich nach Luft ringend und nahm ihm das heiße Getränk ab, um einen Schluck davon zu nehmen. Wasser wäre mir zwar lieber gewesen, aber ich konnte jetzt nicht wählerisch sein.

Hayato musterte mich mit hochgezogener Augenbraue von oben bis unten. „Der war zwar nicht für dich, aber … bitte. Bist du etwa gerannt?“, fragte er völlig schockiert.

Ich konnte nur nicken. Zum Glück hatte ich mir am Morgen nur einen dünnen Pullover und eine locker sitzende Hose angezogen.

„Wir müssen uns beeilen“, sagte ich, während ich unterdessen Hayatos Outfit in Augenschein nahm. Skeptisch sah ich ihn an. „Was an ‚zieh dir was Bequemes an‘ hast du nicht verstanden?“

Verwirrt blickte Hayato an sich hinab. „Wieso? Das ist mein schlechtester Anzug. Bequemer geht’s ja wohl kaum.“

Ich schüttelte den Kopf. Egal, wir hatten keine Zeit für Modetips.

„Bist du bereit?“, fragte ich stattdessen und wir setzten uns in seinen Wagen. Den Rucksack schmiss ich auf die Rückbank.

„Ich habe zwar keine Ahnung wofür, aber ja. Wo soll es hingehen, Mylady?“

Ich schnallte mich an.

„Zum Fuji.“
 

Einige Stunden Fahrt vergingen, in denen ich wie auf heißen Kohlen saß. War meine Intuition richtig? Ich wusste jedenfalls keinen anderen Ort, an dem Tai sonst sein könnte. Dieser Ausflug zum Fuji, den er damals mit mir gemacht hatte, war ziemlich bedeutsam für uns gewesen und ich hatte viel über Tai erfahren. Jetzt fuhren wir allerdings schon seit Stunden durch die Pampa und mit jedem weiteren Kilometer, den wir hinter uns ließen, wuchsen meine Zweifel. Ich wusste nicht sicher, ob Tai dort sein würde. Sein Handy war jedenfalls abgeschaltet und nicht ein mal Kari wusste, wo er gerade war.

Unruhig kaute ich auf meinen Fingernägeln.

Ich musste ihn finden und mit ihm reden. Er durfte nicht so einfach ohne mich gehen, ohne dass ich ihm alles erzählt hatte.

„Könntest du das bitte lassen?“, unterbrach Hayato meine Gedanken. Fragend sah ich ihn an. Er deutete auf meine Finger. „Das ist wirklich nervtötend.“

„Oh, sorry“, meinte ich und ließ die Hand sinken.

„Verrätst du mir jetzt endlich, warum wir diese Tortour auf uns nehmen?“, hakte er nach, da ich ihn bis jetzt noch nicht eingeweiht hatte.

„Tai ist auf dem Fuji, denke ich … und ich will zu ihm“, sagte ich gerade heraus, woraufhin Hayato die Augen aufriss.

„Was? Ich fahre hier stundenlang durch die Gegend, weil du Sehnsucht nach diesem Möchtegern Sportler hast? Und du DENKST, dass er dort ist? Was soll das heißen?“ Panik, aber vor allem Verärgerung schwangen in seiner Stimme mit.

„Ich weiß nicht wirklich, ob er dort ist, ok?“, giftete ich zurück, weil es mich ärgerte, dass er so wütend reagierte. Natürlich konnte er Tai nicht leiden und genau deshalb hatte ich ihm auch nichts von meinem Plan erzählt, sondern ihn einfach gebeten, mich zum Fuji zu fahren.

„Und was, verdammt noch mal, ist jetzt so wichtig, dass wir zu diesem Berg fahren, obwohl du nicht mal weißt, ob er überhaupt da ist? Oh Gott, und sag nicht, dass du vorhast dieses Teil zu erklimmen.“

Hayato war fassungslos. So wie er das Lenkrad umklammerte, konnte ich froh sein, dass er keinen Unfall baute.

„Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst. Ich habe dich nur darum gebeten, mich hinzufahren. Nicht, dass du mit mir dort hoch wanderst. Du wärst dort ohnehin völlig Fehl am Platz“, entgegnete ich trotzig und verschränkte die Arme vor der Brust.

Ich blickte aus dem Fenster und sah, wie die Blätter der Bäume an uns vorbei rauschten.

Mir wurde das Herz schwer, wenn ich an Tai dachte und daran, was gerade für uns auf dem Spiel stand.

„Ich hatte noch keine Gelegenheit gehabt, mit ihm zu reden“, sagte ich traurig. „Und vielleicht bekomme ich die auch nicht mehr. Seine Schwester sagte, er wolle jetzt schon nach Osaka ziehen. Allein. Wie klingt das für dich?“

Ich wusste, wie es für mich klang, konnte es jedoch nicht aussprechen. Es klang nach dem Ende. Nach Abschied und Neuanfang – nur, dass Tai diesen offensichtlich alleine durchziehen wollte.

Eine Schwere legte sich auf meine Brust, die kaum zu beschreiben war. Als würde ich nicht mehr atmen können.

Würde es sich ab jetzt immer so anfühlen, wenn er nicht mehr da war?

Es wurde still im Auto.

„Und du meinst ernsthaft, dass du den Weg hier nicht gerade völlig umsonst machst?“, ergriff Hayato nachdenklich das Wort.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Ich hoffe jedenfalls, dass er da oben ist.“

„Und ich hoffe, du hast gute Wanderschuhe an“, lachte Hayato auf. Vermutlich ein kläglicher Versuch, die Stimmung etwas aufzulockern.

Ich zog eine Augenbraue nach oben und warf einen vielsagenden Blick in seine Richtung. „Mach dir mal keine Sorgen um mich. Es ist nicht das erste Mal, dass ich dort hoch gehe. Warst du denn schon mal auf dem Fuji, Hayato?“ Meine Mundwinkel zuckten verdächtig, bei dem Gedanken daran, dass Hayato derartigen Freizeitbeschäftigungen nachging. Mit Rucksack, einem Out-Door-Outfit und Wanderausrüstung konnte ich mir ihn beim besten Willen nicht vorstellen.

„Pfft, nein, bist du denn völlig verrückt?“, zischte Hayato, während ich mir das Kichern verkneifen musste. „Schreib es in dein Tagebuch, wenn du willst: Hayato Kido hat noch nie einen Berg erklommen und wird auch nie einen Berg erklimmen. Nein – niemals!“
 

„Ich hasse diesen verdammten Berg!“, dröhnte es von hinten, während ich mich stöhnend umdrehte.

„Bist du sicher, dass du dir das richtig überlegt hast?“, rief ich Hayato zu, der einige Meter zurück hing und seinen eigenen kleinen Krieg gegen den Berg führte, den er niemals erklimmen wollte. Keine Ahnung, was plötzlich in ihn gefahren war, aber als wir am Fuji ankamen, bestand er plötzlich darauf, doch mitzukommen.

Nun traf sein zorniger Blick meinen. „Ich habe mir das gar nicht überlegt!“, keifte er zurück und stützte sich hechelnd auf seinen Knien ab. „Du … du bist doch an allem Schuld! Was mussten wir auch hierherfahren? Wegen diesem dämlichen Idioten? Gott, ich komm mir selbst wie der letzte Idiot vor, dass ich mich überhaupt darauf eingelassen habe. Was wolltest du noch mal von dem Kerl?“

Ich brummte vor mich hin. Sein Gemecker nahm einfach kein Ende, während er weiter einen Fuß vor den anderen setzte. Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Das Sakko hatte er glücklicherweise im Auto gelassen. Seine Ärmel waren hochgekrempelt und ich bin mir sicher, spätestens nach den ersten hundert Metern hätte er seine Anzughose liebend gern gegen eine Jogginghose eingetauscht.

„Ich habe dir gesagt, du hättest nicht mitkommen müssen. Warum bist du überhaupt hier? Ich hätte es auch allein geschafft.“ Und das viel schneller. Wenn Hayato weiter so trödelte und mich aufhielt, verpasste ich Tai am Ende noch.

„Man lässt eine junge Frau nicht Mutter Seelen alleine auf einen gottverdammten Berg steigen. Das gehört sich nicht“, entgegnete er mürrisch und ging an mir vorbei.

Demonstrativ verzog ich das Gesicht. „Als ob du weißt, was sich gehört.“

Mit zusammengekniffenen Augen sah ich ihm hinterher.

„Außerdem bist du lahm wie eine Schnecke. Ich hatte ja keine Ahnung, dass du so unsportlich bist.“

Aufgebracht fuhr er herum. „Ich bin nicht unsportlich!“

Gekonnt verdrehte ich die Augen und hob abwehrend die Hände in die Höhe. „Ja ja, schon klar, tut mir leid. Aber könntest du dich trotzdem etwas beeilen? Ich möchte vor Sonnenuntergang oben sein.“

„Ich brauch eine Pause“, ignorierte er meine Bitte und steuerte eine Raststätte an, an der wir gerade vorbeikamen und bei der sich einige Leute tummelten. Die Erste, seit wir losgegangen waren. Es gab sogar eine kleine Hütte, die Essen und Trinken anbot.

„Hä? Ich habe doch eben gesagt, wir müssen uns beeilen“, protestierte ich, folgte Hayato jedoch, dessen Kräfte bei dem Gedanken an Essen und Trinken anscheinend wiederzukehren schienen. Kurz überlegte ich, ihn einfach zurückzulassen. Er war ohnehin nur Ballast. Aber nachdem er so nett zu mir gewesen und mich hierhergefahren hatte, wollte ich nicht so fies sein. Nicht, dass er sich das mit dem Frieden noch mal anders überlegte.

Wiederwillig ging ich hinter ihm her und wir drängten uns durch die vielen Menschen in diese kleine Hütte. An der Bar waren genau noch zwei Plätze frei. Mein Plan war, schnell etwas zu Trinken, vielleicht einen Happen zu essen, denn tatsächlich hatte ich seit meinem Frühstück nichts mehr im Magen gehabt. Und die Schokoriegel, die ich in meinen Rucksack geschmissen hatte, waren längst verbraucht. Danach wollte ich so schnell wie möglich weiter gehen. Ich war mir ziemlich sicher, dass, wenn Tai wirklich hier war, ich ihn nur abfangen konnte, wenn ich es bis zum Sonnenuntergang nach oben schaffte.

„Zwei Wasser“, bestellte Hayato am Tresen angekommen, als er sich erschöpft auf den Barhocker niederließ, der mit seinen tiefen Rissen im Lederbezug, eindeutig schon mal bessere Tage gesehen hatte. Das Holz der Theke war zerkratzt und auch so wirkte die ganze Hütte etwas staubig und runtergekommen. Dies schien auch Hayato zu bemerken, der sich dezent angewidert umsah. Und genauso begutachtete er die Gläser Wasser, welche der Kellner vor uns abstellte.

„Kann man das trinken oder muss ich mich vorher noch impfen lassen?“, nörgelte er und verzog das Gesicht.

Stöhnend griff ich nach meinem Glas. „Trink einfach!“, befahl ich genervt und leerte mein Glas in einem Zug. Das tat gut.

Als ich es abstellte, deutete Hayato mit hochgezogener Augenbraue darauf und sah sich wissend um.

„Ich bin mir sicher, dass dieses Glas im letzten Jahrzehnt nicht mehr abgewaschen worden ist. Was es zum saubersten Gegenstand in diesem Etablissement macht.“

Mein Kopf sank entkräftet nach vorn und meine Stirn landete auf meinen Armen, die ich auf dem Tresen abgelegt hatte.

„Und damit hast du die Jammerquote für heute erreicht. Glückwunsch – du bist offiziell das Allerletzte“, nuschelte ich. „Können wir jetzt gehen?“

„Ja, hier esse ich ganz bestimmt nichts“, sagte Hayato und stand auf. Gut, dann eben kein Essen. Ich kam auch noch etwas ohne aus und immerhin waren wir so schneller oben.

„Tut mir leid, euer Gnaden. Ich weiß, Ihr seid Besseres gewohnt“, zog ich ihn auf, woraufhin er nur schnaufte und den Blick gen Decke warf.

Draußen angekommen, steuerten wir wieder unseren Weg an. Es war gar nicht mehr so weit, stellte ich erfreut fest.

Doch plötzlich blieb ich stehen. Auf ein mal fühlte ich mich wie gelähmt, unfähig weiter zu gehen.

Fragend sah Hayato sich nach mir um. „Was ist?“

Schnell versuchte ich meine Gedanken zu ordnen, meine Gefühle beiseite zu schieben. Aber es gelang mir nicht. Der Zweifel packte mich und hielt mich fest.

„Was, wenn er nicht da ist?“, fragte ich mehr mich selbst als Hayato. „Was, wenn das hier alles gar keinen Sinn ergibt, ich mich getäuscht habe und Tai gar nicht dort oben ist?“

Das erste Mal dachte ich ernsthaft über diese Möglichkeit nach. Wie wahrscheinlich war es schon, dass er ausgerechnet dort oben auf dem Fuji rum saß und auf den Sonnenuntergang wartete?

Ja, war ich denn völlig verrückt geworden? Warum tat ich mir das eigentlich alles an, nur um am Ende bitter enttäuscht zu werden? Um am Ende festzustellen, dass es von Anfang an keine Chance für uns gab? Das wäre noch schlimmer, als jetzt einfach umzudrehen und es zu akzeptieren, dass es das war. Aber all das auf mich zu nehmen, zu hoffen, wo doch letztendlich nichts von der Hoffnung übrig blieb … das würde ich nicht ertragen.

Zwei Hände packten mich an den Schultern.

„Was redest du denn da für einen Schwachsinn?“, fuhr Hayato mich an und drückte fest zu. „Du willst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass wir ganz umsonst hierhergekommen sind. Das werde ich so nicht akzeptieren!“

Verblüfft sah ich in Hayatos entschiedenes Gesicht, dass er immer machte, wenn er etwas so verbissen wollte, dass man regelrecht Angst bekam.

„Mimi, ich schwöre dir bei Gott … wenn dieser Kerl nicht dort oben ist und auf dich wartet, steige ich diesen Berg hinab, fahre nach Osaka und zerre ihn höchstpersönlich hier hinauf. Aber auf keinen Fall hast du diesen Weg umsonst gemacht, das verspreche ich dir!“

Seine Entschlossenheit faszinierte mich und machte mir Mut. Er hatte recht. Wenn man etwas für den Menschen tut, der einem wirklich wichtig ist, dann ist dies niemals umsonst. Also nickte ich und Hayato grinste.

„Du hast recht. Danke.“

„Gut!“, sagte er und zerrte mich weiter. „Ich will diese verdammte Wanderung nämlich endlich hinter mich bringen.“
 

Ich wurde mit jedem Schritt nervöser, als wir unserem Ziel endlich näherkamen. Nur noch ein paar Meter und wir waren endlich da.

Hayato musste meine Nervosität wohl spüren, denn er griff auf einmal meine Hand und drückte sie fest.

„Keine Sorge, er ist ganz sicher da“, sagte er zuversichtlich. Ich nickte bestätigend. Vielleicht war ja doch noch nicht alles verloren.

Wir kamen oben an und ich sah mich direkt suchend nach Tai um. Ich suchte nach seinen unverkennbaren braunen Haaren, quetschte mich an Leuten vorbei und sah alle genau an, damit ich ihn nicht zufällig übersehen konnte.

Bis jetzt hatte ich ihn noch nicht finden können, also ging ich zu der Stelle, an der wir vor einiger Zeit gesessen und uns den Sonnenuntergang angesehen hatten.

Aber auch dort war keine Spur von ihm. Das Flattern meines Herzens ließ nach.

Ein letztes Mal blickte ich mich zu allen Seiten um.
 

Nichts.
 

Er war nicht hier.
 

Das Atmen fiel mir plötzlich schwer und diese drückende Leere setzte sich erneut auf meine Brust.

Wie konnte ich nur so naiv sein?

Wie hätte es anders sein können?

Hatte ich wirklich geglaubt, er hätte sich ausgerechnet heute auf den Weg gemacht, um den Fuji hochzusteigen, sich den Sonnenuntergang anzusehen und auf mich zu warten?

Ich kam mir so erbärmlich vor. Mit zitternden Fingern umklammerte ich meine Arme, weil ich irgendetwas brauchte, woran ich mich festhalten konnte.

Das hier war schließlich kein romantischer Liebesfilm, wo am Ende immer alles gut wird.

Dies hier war unsere Geschichte.

Und nun … war sie vorbei.

„Alles okay?“, fragte Hayato, der hinter mich getreten war, mit sorgenvoller Stimme. Auch er hatte bereits bemerkt, dass Tai nicht da war.

„Ja“, log ich und versuchte mir meine Enttäuschung vor ihm nicht anmerken zu lassen. „Ist schon okay. Ich habe sowieso nicht geglaubt, dass er wirklich hier ist.“ Auch das war gelogen.

Ich konnte Hayatos zweifelnden Blick im Rücken spüren.

„Kannst du mich kurz allein lassen?“

„Natürlich. Ich warte ein Stück weiter unten, wenn du dann soweit bist ...“ Er wandte sich um und ging.

Die Erkenntnis, dass ich ihn verloren hatte, traf mich so hart, dass ich in die Hocke gehen musste. Der Schmerz durchfuhr meinen ganzen Körper und Tränen schossen mir in die Augen, als die Sonne langsam vor mir unterging und alles in ein fabelhaftes Rot tauchte.

Während alle um mich herum staunten und die Schönheit des Augenblicks genossen, versuchte ich zu begreifen, dass ich Tai endgültig verloren hatte. Wahrscheinlich war er inzwischen so weit vor mir geflüchtet, dass ich ihn nie wieder sehen würde.

Wo auch immer er jetzt war, ich hoffte, er dachte gerade auch ein letztes Mal an mich, so wie ich an ihn.

Das Licht verging viel zu schnell und es wurde kühl. Mit dem verschwinden der Sonne brach die Nacht heran.

Ich wischte mir eine letzte Träne von der Wange und stand auf. Der Schmerz des Verlusts war immer noch allgegenwärtig, doch ich musste mich endlich umdrehen und es hinter mir lassen. Diesen Berg hinabsteigen und nach Hause fahren.

Ohne ihn.

Ein letztes Mal ließ ich die Luft tief in meine Lungen, bevor ich meine kaputten Glieder streckte.

„Mimi?“

Eine Hand berührte mich an der Schulter.

Ich wirbelte herum und sah in zwei mondblaue Augen.

„Matt?“

Was zum Teufel …?

Völlig verdattert standen wir voreinander und sahen uns ungläubig an.

„Was machst du hier?“, fragte Yamato mich, der leibhaftig hier war. Hier oben. Auf dem Fuji.

Ich zeigte mit dem Finger auf ihn. „Dasselbe könnte ich dich fragen.“

„Ich? Ich bin …“, begann Yamato zu erklären und warf einen Blick nach hinten, als seine Begleitung ihn lautstark über die ganze Aussichtsplattform beleidigte.

„Matt, du dämlicher Vollidiot“, ertönte Tais wütende Stimme. „Wegen dir sind wir zu spät!“ Tai stürmte in Rage auf seinen Freund zu und packte ihn am T-Shirt-Kragen. „So was Lahmes wie dich hat die Welt noch nicht gesehen. Ich brauche eine Pause“, äffte er ihn nach. „Man, ich habe dir doch gesagt, dass ich vor Sonnenuntergang hier oben sein will und was ist nun? Genau, richtig erkannt: tiefschwarze Nacht, du Esel. Vielen Dank auch!“

Yamato lachte auf, während ich nur stocksteif dastand und meinen Augen nicht traute.

Er war hier?
 

Er. War. Hier!
 

Tais Mundwinkel wanderten beleidigt nach unten und seine Augen verengten sich zu Schlitzen. „Das findest du wohl sehr komisch“, stellte er mürrisch fest.

„Eigentlich finde ich eher komisch, dass du und Mimi dieselbe Idee hattet“, grinste Yamato und trat einen Schritt zur Seite. Erst jetzt erblickte Tai mich, woraufhin sich sein Ärger sofort verflüchtigte. Stattdessen sah er mich wie vom Donner gerührt an.

„Mi-Mimi?“

Auch ich brachte kein Wort heraus, konnte nur nicken.

„Was … was machst du denn hier?“, fragte Tai und kam auf mich zu.

„Ich lass euch mal allein“, sagte Yamato beiläufig und gönnte uns etwas Freiraum.

Ich zuckte mit den Schultern und sah unschuldig zu Tai auf. „Ich habe dich gesucht.“

Irritiert blinzelte er. „Auf dem Fuji?“

Ich nickte wieder. Oh mein Gott, dass er wirklich hier war … endlich stand er vor mir und ich hatte die Gelegenheit alles zu erklären und trotzdem blieben mir die Worte im Hals stecken. Stattdessen liefen erneut Tränen über mein Gesicht.

„Ich hab dich so vermisst“, brach es aus mir raus und ich fiel ihm um den Hals.

Völlig überrumpelt stand Tai da und rührte sich nicht.

„Und es tut mir so leid … so, so leid“, weinte ich an seiner Brust. „Es war alles gar nicht so wie du denkst. A-aber … Hayato und ich … wir haben endlich alles geklärt und … Bitte, Tai, du musst mir glauben. Ich wollte das alles nicht, aber es war meine Schuld. Ich hätte mit dir offen reden sollen und dich …“

„Mimi? Mimi, hol mal Luft“, unterbrach mich Tai und drückte mich sanft von sich, um mich liebevoll anzusehen.

„Denkst du, das weiß ich nicht?“

Ich schniefte. „Was?“

Ein Grinsen umspielte seine Lippen. „Ich war zwar gestern ziemlich betrunken und habe Sachen gesagt, die … na ja, du weißt schon. Aber ich bin nicht blöd, Mimi. Ich wusste von Anfang an, dass da was faul ist und du mir was verheimlichst. Du hättest mich niemals einfach so verlassen.“

Meine Schultern sackten hinab. Und der Knoten, der sich um mein Herz gelegt und es zugeschnürt hatte, lockerte sich etwas.

„Wirklich?“

Tai lächelte. „Wirklich.“

„Oh, man“, stieß ich die Luft aus und lehnte meine Stirn gegen seine Brust, während ich mich in sein Hemd krallte. Dabei stieg mir sein unvergleichlicher Duft in die Nase, welcher instinktiv ein tiefes Gefühl von Geborgenheit in mir auslöste. Eine große Last schien von mir abzufallen.

„Und ich dachte schon, ich hätte dich für immer verloren. Dass du uns beide aufgegeben hättest.“

Tai hob mein Kinn an und sah mir tief in die Augen. „Ich würde uns niemals einfach so aufgeben.“

Das Herz, welches vorher zerbrochen war, setzte sich Stück für Stück wieder zusammen und erwärmte sich. Die ganzen Sorgen, die ich mir gemacht hatte … dass er für immer aus meinem Leben verschwinden könnte … waren völlig umsonst gewesen. Ich hätte mehr Vertrauen in ihn haben sollen – so wie er in mich.

„Aber was ist mit Osaka?“, fiel mir plötzlich wieder ein. „Kari sagte, du wärst morgen schon dort und würdest nicht mehr zurück kommen.“

Tai kratzte sich verlegen am Hinterkopf. „Jaah, das ging alles etwas schnell, ich weiß. Aber ich wollte es dir sagen. Spätestens morgen hätte ich dich angerufen. Ich wäre in das Haus von diesem Schnösel spaziert, hätte deine verdammten Koffer gepackt und hätte Hope und dich mit gezogen. Ob es euch gepasst hätte oder nicht.“ Sein Grinsen wurde immer breiter und ich musste lachen.

„Natürlich“, boxte ich ihm gegen den Oberarm. „Gib doch einfach zu, dass du dich nie wieder bei mir gemeldet hättest“, scherzte ich und streckte ihm die Zunge raus.

Tai lachte. „So ist das nicht. Ich wollte wirklich nach Osaka gehen – mit euch beiden. Aber vorher musste ich noch was ganz anderes gerade biegen“, sagte er plötzlich einen Ticken ernster und deutete hinter sich.

Ein paar Meter von uns entfernt stand Yamato und scrollte über sein Smartphone.

Erwartungsvoll blickte ich zu Tai auf. „Heißt das, ihr habt euch endlich ausgesprochen?“

Tai verdrehte die Augen und vergrub die Hände in den Hosentaschen als wäre es ihm peinlich.

„Männer sprechen sich nicht aus, Mimi. Sie trinken ein Bier zusammen und machen solange Witze, bis alles wieder normal ist. In unserem Fall war es eher: er hat sich gestern Abend um mich gekümmert, als ich total neben der Spur war und zum Dank, hab ich ihm heute diesen Ausflug spendiert. Also, wenn du es so willst – ja, okay, wir haben uns ausgesprochen.“

Mein Herz machte einen Hüpfer. „Das sind tolle Neuigkeiten, Tai.“

Tai nickte. „Jetzt zu deinen Neuigkeiten. Ich denke, du hast mir einiges zu erklären.“

Betreten sah ich zu Boden. Das stimmte. Ich hatte wirklich so einiges wieder gerade zu biegen.

Wir setzten uns an unseren Platz und redeten. Ich erzählte ihm alles, was geschehen war. Tai hörte zunächst einfach nur zu und ließ mich reden, wofür ich sehr dankbar war. Dabei verzog er keine Miene, was mich irgendwie verunsicherte.

„Und letztendlich hat das alles dazu geführt, dass wir uns versöhnt haben, auch Hope zuliebe“, endete ich und blickte erwartungsvoll zu Tai hinauf. Dieser zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Und du glaubst ihm? Dass er uns zukünftig in Ruhe lassen und sich nicht mehr einmischen wird?“

Natürlich hatte er allen Grund misstrauisch zu sein. Hayato hatte uns mehr als nur Probleme bereitet. Er hätte fast alles zerstört, was wir uns während der letzten Monate so hart erkämpft hatten.

„Ja, ich glaube ihm“, sagte ich entschlossen.

Tai legte eine ernste Miene auf, verschränkte die Arme vor der Brust und ließ den Blick in die Ferne schweifen.

„Ich weiß nicht, Mimi“, sagte er zweifelnd. „Hayato hat uns bis jetzt nichts als Ärger bereitet. Wieso sollte er sich plötzlich ändern wollen?“

„Hättest du gesehen, was ich gesehen habe … die Sache mit seinem Vater hat irgendwas in ihm bewegt. So was geht nicht spurlos an einem vorbei.“ Ich griff nach Tais Hand und drückte sie fest.

„Ich glaube, jeder Mensch kann sich ändern. Auch Hayato. Im Grunde ist auch er nur das Produkt seiner Vergangenheit. Ich weiß, was Familie mit einem machen kann. Sie kann dich entweder unterstützen oder dir das Herz brechen. Ich habe das selbst erlebt und ich weiß, was es mit einem macht. Ich habe den Wunsch es einmal besser zu machen – für Hope. Und den hat Hayato auch. Da bin ich mir sicher.“

Ich biss mir auf die Unterlippe und hoffte inständig, dass Tai mir Vertrauen schenkte. Es wäre nur verständlich, wenn er es nicht täte und auch Hayato keinen Zentimeter mehr über den Weg trauen würde. Im Grunde hatten wir bis jetzt nur all seine schlechten Facetten zu Gesicht bekommen. Aber ich glaubte daran, was ich eben zu Tai gesagt hatte.

Tai sah mich immer noch ernst an. Dann hellte sich seine Miene auf und der Anflug eines Lächelns umspielte seine Lippen.

„Du bist eindeutig zu gutmütig, weißt du das?“

Ich grinste. „Deswegen liebst du mich doch, oder?“

Tai nickte, griff nach meiner Hand und führte sie an seine Lippen.

„Das tue ich“, sagte er und hauchte einen Kuss auf meinen Handrücken. „Und ich vertraue dir. Er hat sich zwar nicht gerade mit Ruhm bekleckert … aber du hast recht. Jeder kann sich ändern. Und jeder hat eine zweite Chance verdient, nicht wahr? Das wissen wir beide besser als sonst jemand.“ Sein Blick flog erneut in Yamatos Richtung, der immer noch geduldig einige Meter entfernt auf uns wartete.

Erleichterung machte sich in mir breit.

„Ich danke dir“, flüsterte ich und fiel ihm um den Hals. „Für dein Vertrauen. Und auch sonst für alles. Manchmal denke ich, ich habe dich gar nicht verdient.“

Sanft schob Tai mich von sich und umfasste mein Gesicht mit seinen Händen. „Doch, das hast du. Wir haben UNS verdient.“

Dann küsste er mich. Seine Lippen endlich wieder auf meinen zu spüren, fühlte sich unglaublich gut an. So befreiend. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn dieser Moment niemals geendet hätte.

„Schade, dass wir nicht für ewig hier oben sitzen können“, sprach Tai meine Gedanken laut aus, als wir uns voneinander lösten. „Wir sollten langsam wieder umdrehen. Es wird ziemlich dunkel. Und kalt.“

Ich lächelte zufrieden und ließ mich von Tai auf die Beine ziehen. Wie auf Kommando tauchte Yamato vor uns auf.

„Habt ihr’s endlich?“, fragte er genervt. „Ich bin echt nicht den weiten Weg hier hochgestiegen, um euch beim Knutschen zuzusehen.“

Tai zog mich an der Taille noch enger an sich und baute sich wie ein stolzer Gockel vor seinem besten Freund auf.

„Du bist doch nur neidisch“, grinste er breit und streckte ihm die Zunge raus.

„Pfft, ja klar“, kommentierte Yamato gespielt beleidigt. „Ich hatte bereits das Vergnügen, falls du dich erinnerst.“ Er warf einen kurzen Blick zu mir und grinste frech, was Tai jedoch ganz und gar nicht lustig fand.

„Hey, vorsichtig, ja?“, entgegnete er leicht gereizt und machte einen Schritt nach vorn als müsste er mich vor irgendetwas beschützen.

Yamato hob beschwichtigend die Hände in die Höhe und lachte unsicher. „Sorry. Zu früh?“

Tai verengte die Augen zu Schlitzen. „Definitiv zu früh. Mach solche Witze in zehn Jahren noch mal, vielleicht lache ich dann darüber.“

Ich konnte nicht anders und prustete los. Auch wenn Tai im Moment noch so tat, als wäre er wütend auf Yamato, so waren es doch genau diese kleinen Neckereien, die den beiden gefehlt hatten. Und auch wenn sie es selbst noch nicht sahen – es war längst wieder alles beim Alten.

Mit einigen wenigen anderen, die um die Uhrzeit noch hier waren, machten wir uns auf den Weg nach unten. Wir sprachen über alles Mögliche … über Tais und meine Zukunft, dass wir zusammen nach Osaka ziehen wollten, über Yamato und seine Zukunftspläne mit seiner Band und sogar über Takeru und Kari. Von Yamato erfuhr ich einige spannende Neuigkeiten, die mir aufgrund der letzten turbulenten Tage glatt entgangen waren..

„Wirklich?“, grinste ich bis über beide Ohren. „Die beiden nähern sich also langsam wieder an, ja?“

Yamato nickte bestätigend. „Jaah, sie unternehmen gerade wirklich viel miteinander. Takeru ist längst über seine Freundin hinweg und ich glaube, so langsam fängt auch er an, Kari in einem anderen Licht zu sehen. Eben nicht nur als beste Freundin oder Schulkameradin.“

Meine Augen leuchteten vor Freude auf und mein Herz machte einen Hüpfer, während Tai nur mürrisch zur Seite sah. „Hey, das ist immer noch meine kleine Schwester, über die du da sprichst.“

„Glaub mir, Tai. Deine kleine Schwester ist gar nicht mehr so klein. Auch wenn du das nicht wahrhaben willst. T.K. hat mir da so einiges erzählt …“ Yamatos Grinsen war unverkennbar und es war nur all zu deutlich, dass er Tai ärgern wollte, der natürlich sofort darauf ansprang.

„WAAAS?“, rief Tai völlig entsetzt und ich lachte laut auf, als sich urplötzlich eine dunkle Gestalt vor mich schob und ich ins Straucheln geriet.

„Ha-Hayato?“ Fast wäre ich in ihn hineingelaufen. Mit verschränkten Armen baute er sich vor mir auf.

„Sag mal, wolltest du da oben übernachten?“ Er war definitiv nicht erfreut. Wie lange hatte er inzwischen auf mich gewartet …?

Ich sollte ihm wohl lieber nicht sagen, dass ich völlig vergessen hatte, dass er noch da war.

Verlegen kratzte ich mich am Hinterkopf. „Oh, ähm … tut mir leid, dass es so lang gedauert hat.“

Die irritierten Blicke von Tai und Yamato entgingen mir nicht, wobei bei Tai eindeutig noch etwas anderes mitschwang.

„Was macht der hier?“, wollte er wissen und nahm Hayato prüfend unter die Lupe.

Huch, da hatte ich doch vor lauter Reden ganz vergessen, zu erwähnen, dass Hayato mich hierher begleitet hatte.

„Sei mal nicht so unfreundlich“, blaffte dieser gereizt zurück. „Nach der Aktion gestern Abend in meinem Garten, wäre ich mal ganz still, sonst …“

Gott! Konnten die beiden es denn einfach nicht gut sein lassen?

„Schluss jetzt“, fuhr ich dazwischen. „Hat das denn nie ein Ende? Ich dachte, wir hätten das geklärt.“

Doch offenbar verstand ich da was miss. Hayato und ich hatten das geklärt. Tai und ich hatten das geklärt. Aber Hayato und Tai? Die wurden wohl so schnell keine Freunde.

Seufzend stieß ich die Luft aus, während die beiden sich nur anfunkelten. Na ja, ein Schritt nach dem anderen. Was hatte ich auch erwartet? Dass sie sich um den Hals fielen und sich Freundschaftsarmbänder häkelten? Wohl kaum.

„Ist das dieser Hayato?“, fragte Yamato nun auch noch streitlustig. „Ich verpass dir so eine, dass du gestern Abend vergisst, Freundchen.“ Er krempelte bereits seine Ärmel hoch und machte einen Schritt nach vorn, woraufhin Tai und ich hochfuhren.

„Nein!“, riefen wir wie aus einem Munde.

„Hä? Aber wieso denn nicht?“, entgegnete Yamato, als wir beide vor ihn sprangen, um ihn aufzuhalten. „Ich dachte, das ist der Kerl, der euch die ganze Zeit Ärger bereitet.“

„Was für eine nette Beschreibung meiner Person“, kommentierte Hayato hinter uns, woraufhin Tai zischte.

„Ja, also nein … schon irgendwie, ja. Das ist er. Aber das ist alles etwas komplizierter“, sagte Tai.

„Wir haben das Kriegsbeil begraben und wollen uns zukünftig vertragen. Ist doch so, oder Tai?“ Ich grinste unsicher in seine Richtung. Tai verzog die Mundwinkel nach unten. „Jaah, kann schon sein“, brummte er bissig.

Yamato verstand gar nichts mehr. Ungläubig sah er uns an.

„Ihr beide habt sie nicht mehr alle, wisst ihr das?“

„Oh, man“, kam es von hinten. Ich wandte mich zu Hayato um, der sich leicht beschämt am Kinn kratzte. „Da hab ich ja ein ganz schönes Chaos angerichtet.“

Tai sackte in sich zusammen. „Auch schon bemerkt, ja?“

Ich sah zwischen den beiden hin und her.

Tai – völlig genervt von der Situation.

Und Hayato – verlegen grinsend – so ganz untypisch.

Ich konnte nicht anders und lachte. Dieses Szenario war doch einfach nur bescheuert. All der Ärger, nur um am Ende hier zu landen? Wir alle zusammen, streitend auf dem Fuji?

Yamato zog eine Augenbraue nach oben und musterte mich zweifelnd.

„Was ist denn jetzt los?“, sagte er, während ich mir den Bauch vor Lachen hielt und mir Tränen in die Augen stiegen. Leider verstand keiner der anderen, warum ich über diese ganz offensichtlich lächerliche Situation lachen musste.

Hayato verzog das Gesicht. „Das muss man nicht verstehen. Sag Bescheid, wenn du fertig bist. Ich warte solange unten.“ Er vergrub die Hände in den Hosentaschen und ging schon mal weiter bergab.

„Ähm, Mimi?“, warf Tai ein. „Geht’s dir nicht gut?“

Mein Bauch tat inzwischen weh und ich rang nach Luft. „Keine Sorge“, entgegnete ich keuchend und versuchte zwanghaft, mich wieder einzukriegen. „Es ging mir nie besser.“

Und das war nicht gelogen.
 

Tai passte es zwar nicht, aber den Rückweg fuhr ich mit Hayato gemeinsam. Ich hatte noch einiges mit ihm zu besprechen, wegen Hope und ich wollte, dass Yamato und Tai noch ein wenig ungestört reden konnten. Schließlich war dies für sie auch vorerst der letzte gemeinsame Tag gewesen. Wer weiß, wann sie sich das nächste Mal sehen würden. Osaka war nicht gerade ein Katzensprung und Tai würde vorerst voll mit seinem Studium beschäftigt sein, während Matt mit seinen Bandkollegen auf Tour ging, wie er uns vorhin erzählt hatte.

„Und du bist sicher, dass ich dich hier absetzen soll?“, fragte Hayato noch ein mal nach, als wir zurück in Tokyo waren und wir vor einem großen Wohnkomplex halt machten.

„Ja, danke“, sagte ich und schnallte mich ab.

„Kein Problem.“

„Bis bald, Hayato“, verabschiedete ich mich und wollte aussteigen.

„Mimi?“

„Mmh?“ Ich wandte mich um. Hayato lächelte zufrieden. Ein äußerst seltener Anblick, an den ich mich erst noch gewöhnen musste.

„Danke, dass du mir eine zweite Chance gibst. Ich weiß, ich hätte es eigentlich nicht verdient … Aber ich verspreche dir, dass ich immer für Hope da sein werde. Und für dich auch.“

Ich lächelte zurück, auch wenn ich immer noch nicht glauben konnte, diese Worte tatsächlich aus seinem Mund zu hören.

„Das wäre schön. Vielleicht können wir alle irgendwann so etwas wie eine Familie füreinander sein.“

Ich sah, wie Hayatos Augen aufblitzten. Er hätte es nie zugegeben, doch auch ihm gefiel diese Vorstellung von der Zukunft. Ich versprach, ihm zu mailen, sobald wir in Osaka angekommen waren und stieg aus. Er fuhr vom Parkplatz. Das, was ich noch zu erledigen hatte, musste ich alleine tun.

Ich betrachtete noch ein mal das Handy in meiner Hand. In den letzten Tagen war so viel passiert. Endlich konnte ich mit einigem abschließen und mich ganz auf die Zukunft mit Tai konzentrieren. Allerdings gab es da noch eine Sache, die mir immer noch nach hing und die mich bis nach Osaka verfolgen würde, wenn ich sie nicht endlich klärte.

Ich ging in das Gebäude und fuhr mit dem Aufzug nach oben. Wenige Minuten später stand ich vor ihrer Tür und scheute mich davor, zu klingeln. Ich war diesem Gespräch so lange aus dem Weg gegangen und je länger man etwas hinauszögert, umso schwieriger wird es. Meine Fingerspitzen kribbelten, als ich endlich den Knopf drückte.

Es dauerte eine Weile, bis sie öffnete.

Mit müden und zugleich verblüfften Augen sah sie mich durch einen Spalt in der Tür an, ehe sie sie ganz öffnete und einen Schritt raus trat.

„Mimi? Was machst du hier?“, fragte Sora. „Hast du eine Ahnung, wie spät es ist?“ Sie zog den Morgenmantel, den sie sich übergezogen hatte noch enger.

„Ich weiß, tut mir leid“, sagte ich, denn es war wirklich schon ziemlich spät. Die Fahrt vom Fuji zurück hatte lang gedauert.

„Ich hoffe, ich habe deine Mutter nicht aufgeweckt.“

Sora schüttelte den Kopf. „Die ist gar nicht da. Geschäftsreise“, erklärte sie kurz und sah mich immer noch unwissend an.

Es war komisch, ihr wieder gegenüber zu stehen. Es fühlte sich vertraut an. Und doch so fremd.

„Hier, das wollte ich dir wieder geben.“ Ich reichte ihr das Handy. „Hayato hat es … na ja sagen wir ‚gefunden‘, als wir damals vor diesem Club standen. Es war nicht richtig, dass er es so lang behalten hat und ich dachte, du solltest es wieder haben.“

Sora begutachtete das Handy, als müsste sie erst ein mal eins und eins zusammenzählen.

„Tut mir leid, dass ich um diese Uhrzeit noch bei dir auftauche, aber morgen hätte ich keine Gelegenheit mehr dazu gehabt.“

„Danke, aber du hättest es doch einfach in den Briefkasten werfen können“, entgegnete Sora irritiert.

„Ja“, sagte ich und vergrub meine Hände in den Taschen meiner Jacke. Jetzt kam der unangenehme Teil – der, wovor ich am meisten Angst hatte.

„Ich bin nicht nur wegen des Handys hier.“

„Weswegen denn dann?“ Ein Funken Hoffnung blitzte in ihren Augen auf.

Komm schon, Mimi. Schnell wie ein Pflaster, einfach abreißen. Sag es endlich.

„Ich werde mit Tai nach Osaka gehen. Unser Flug geht schon morgen.“

Enttäuschung. Eindeutig hatte sie mit etwas anderem gerechnet. Doch sie fing sich erstaunlich schnell wieder und lächelte mich aufrichtig an.

„Das ist toll. Ich gönne es euch beiden.“ Es hörte sich ehrlich an, so dass mir die nächsten Worte nicht ganz so schwer fielen.

„Eigentlich bin ich hergekommen, um dir zu sagen, dass ich dir vergebe.“

Sora blinzelte verwirrt.

„Ich vergebe dir, Sora. Alles!“, wiederholte ich und atmete danach kaum hörbar aus.

„Was meinst du damit?“, hakte Sora stutzig nach und legte den Kopf schief.

Ich holte noch ein Mal tief Luft und zwang mich, in ihre Augen zu sehen. „Ich meine damit, dass es mir um unsere Freundschaft leid tut, wirklich! Aber ich kann das nicht mehr … was zwischen uns Dreien passiert ist, hat mich die ganze Zeit nicht losgelassen und wahrscheinlich habe ich mich davor gescheut, es endlich laut auszusprechen. Aber es wird nie mehr so werden wie früher – egal, wie sehr ich es mir wünsche. Deswegen ist das Einzige, was ich jetzt noch tun kann, dir zu vergeben und von vorn anzufangen. Wir müssen endlich unseren Frieden damit machen, Sora.“

Eine Weile standen wir schweigend da, in denen jeder von uns verarbeiten musste, dass ich gerade den Schlussstrich gezogen hatte.

Ich konnte nicht unterdrücken, dass eine einzelne leise Träne über meine Wange rollte, die ich eilig wegwischte.

„Nun sag doch endlich was“, meinte ich ungeduldig und verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust.

Sora sah mich einfach nur an. Dann lächelte sie tatsächlich.

„Ich wünsche dir alles Gute, Mimi.“

Der letzte, seidene Faden, der mich noch an diese Freundschaft band, riss endgültig und befreite mich von der alten Last.

Endlich konnte ich gehen, ohne zurückzublicken.

„Danke. Das wünsche ich dir auch“, erwiderte ich lächelnd, wandte mich um und ging. Es fühlte sich an, als hätte ich die ganze Zeit über immer wieder dieselbe Seite in einem Buch gelesen und konnte nun endlich umblättern. Das Kapitel war beendet. Und ein Neues konnte beginnen. Zum ersten Mal fühlte es sich an als würde endlich alles gut werden …
 

„Wie fühlst du dich?“, fragte Tai und zog mich noch enger in seine starken Arme. Ich kuschelte mich an ihn und genoss die Wärme seiner nackten Haut. Es war mitten in der Nacht. Wir lagen im Bett, doch an Schlaf war nicht zu denken. Ich warf einen Blick auf die gepackten Koffer, die bereits fix und fertig in der anderen Ecke des Zimmers standen.

„Erleichtert“, gab ich seufzend zu und schloss die Augen. „Wir haben es geschafft. Morgen können wir endlich alles hinter uns lassen. Wir können neu anfangen.“

Tai drückte mich sanft von sich, zurück in die Kissen. Er beugte sich über mich und berührte meine Wange. Sein intensiver Blick traf mich und entflammte meine Liebe zu ihm erneut. Immer und immer wieder …

„Ich liebe es, wenn du das sagst.“

„Was denn?“, lächelte ich und legte meine Arme um seinen Hals.

Er grinste. „Wenn du wir sagst.“ Dann küsste er mich sanft.

„Versprich mir, dass es immer ein wir geben wird.“

Mein Herz weitete sich so sehr, dass ich nicht fassen konnte, wie viel Liebe durch Tai darin wohnte. Er war alles was ich je wollte. Ich wusste, ich würde ihn für immer lieben.

Ich lächelte in den Kuss hinein.

„Es wird immer ein wir geben!“, versprach ich ihm an diesem Abend und an jedem Weiteren, für den Rest meines Lebens.

Epilog

7 Jahre später - Heute
 

„Mama, Mama, sieh nur!“

Hope kommt über den Schulhof auf mich zu gerannt. Ihre langen schwarzen Haare wehen im Wind und sie sieht überglücklich aus. Ich gehe in die Hocke und fange sie auf.

„Was denn, mein Schatz?“

„Die Lehrerin hat mir ein großes rotes A auf mein Bild gemalt. Sie sagt, es ist ganz besonders schön geworden“, strahlt sie bis über beide Ohren und hält uns ihr buntes Kunstwerk vor die Nase.

Hayato steht neben mir und wirkt ziemlich stolz. „Das hast du wirklich schön gemalt, Hope“, lobt er sie, woraufhin sie die Schultern strafft und noch mal mindestens zehn Zentimeter wächst.

„Danke, Daddy“, lächelt sie und er drückt ihr einen Kuss auf die Wange, als ihr Blick an uns vorbei geht.

„Da kommt Papa!“, ruft sie lautstark und beginnt mit den Beinen zu strampeln, damit ich sie runterlasse. Kaum habe ich sie abgesetzt, läuft sie los und springt Tai in die offenen Arme, der gerade durchs Schultor gekommen ist.

Ich betrachte die beiden, wie sie sich liebevoll begrüßen und miteinander lachen. An diesen Anblick werde ich mich niemals satt sehen können. Tai hat sich in den letzten sieben Jahren kaum verändert. Er ist größer geworden, männlicher und noch attraktiver als er es ohnehin schon war. Was wahrscheinlich daran liegt, dass er Sportlehrer an einer Oberschule geworden ist und sich daher fit halten muss. Zu Hope ist er genauso zauberhaft wie eh und je. Er vergöttert seine kleine Tochter und wird nicht müde, es ihr jeden Tag auf’s Neue zu zeigen. Ich könnte ihn gar nicht noch mehr dafür lieben.

„Ist das okay für dich?“, höre ich Hayato neben mir sagen, was mich aus meinen Tagträumen weckt.

„Was?“, entgegne ich verwirrt und sehe ihn an. Hayato legt den Kopf schief.

„Hast du mir überhaupt zugehört?“

Ich grinse verlegen. „Nein, tut mir leid.“

„Typisch“, seufzt Hayato und verdreht die Augen. „Kaum kommt dein Mann um die Ecke, sind alle anderen Luft für dich. Meine Güte, ihr seid seit drei Jahren verheiratet. Solltest du nicht langsam mal aufhören, ihn so anzuhimmeln? Also echt, ihr seid doch keine Teenies mehr.“

Ich muss auflachen, denn ich weiß genau, worauf Hayato anspielt. Tai und ich sind verliebt wie am ersten Tag, obwohl wir schon so lang zusammen sind. Und gelegentlich bringen wir unser Umfeld mit unserer Turtelei dezent auf die Palme.

„Wie auch immer“, fährt er unbeirrt fort und vergräbt die Hände in seiner schwarzen Anzughose. „Ich hatte gefragt, ob es für dich okay ist, wenn ich Hope heute Abend gegen sieben abhole?“

Ach, stimmt ja. Hope wollte heute bei Hayato übernachten.

Ich nicke bestätigend. „Das ist in Ordnung. Sie freut sich schon seit Tagen darauf“, antworte ich, während wir zu Tai und Hope rüber gehen.

Als die beiden Männer sich sehen, nicken sie sich stillschweigend zu. Inzwischen habe ich mich an ihre unterkühlte Art gewöhnt. Zwar haben wir vor Jahren das Kriegsbeil begraben, doch man könnte sagen, dass die beiden nie so richtig warm miteinander geworden sind. Mittlerweile war es okay für mich, dass Tai und Hayato in diesem Leben wohl keine Freunde mehr werden würden, solange es keine Auswirkungen auf die Beziehung zu Hope hatte.

Für sie war es völlig normal geworden, zwei Papas zu haben und ich glaube, manchmal ist sie sogar ziemlich stolz darauf.

Sie weiß bereits um die Umstände, dass Hayato ihr leiblicher Vater ist, auch wenn Tai sie schon vor Jahren adoptiert hat, als sie noch ganz klein war.

Für Hope macht es keinen Unterschied. Sie liebt Tai wie eine Tochter ihren Vater nur lieben kann und auch zu Hayato, der uns vor vier Jahren mit seinem Start-Up Unternehmen nach Osaka gefolgt war, hat sie eine sehr enge Bindung aufbauen können. Was nicht zuletzt an Hayato selbst lag. Er hatte es wirklich geschafft, sich zu ändern – zumindest was Hope betraf. Man spürt einfach, wie sehr sie ihm ans Herz gewachsen ist.

„Ich habe jetzt leider noch ein paar Termine“, sagt Hayato an Hope gerichtet. „Aber heute Abend hole ich dich ab und wir machen uns Pizza und Popcorn und sehen uns deinen Lieblingsfilm an.“

Hope wirft die Arme in die Luft.

„Juhu! Ich freue mich!“

Hayato lächelt zufrieden. „Ich mich auch“, sagt er und winkt uns zum Abschied. „Bis später.“

„Ja, bis dann“, verabschiede ich mich und wende mich Tai zu.

„Hallo, Schatz.“ Ich gebe ihm einen Kuss, und sehe in seine Augen. „Wo hast du so lang gesteckt? Musstest du wieder Überstunden machen?“

Tai schüttelt den Kopf und grinst breit, als er Hope auf die Füße stellt.

„Nein, heute nicht. Ich war noch am Flughafen.“

Irritiert runzle ich die Stirn. „Was machst du am Flughafen?“

Die Antwort kommt prompt aus Hopes Mund.

„Onkel Matt“, ruft sie begeistert und rennt an uns vorbei, um Yamato in die Arme zu springen, der urplötzlich hinter Tai auftaucht.

„Überraschung! Hallo, mein kleines Lieblingspatenkind“, sagt er und wuschelt Hope zur Begrüßung durch ihr schwarzes Haar. Diese schlägt sofort seine Hand weg, weil sie das auf den Tod nicht leiden kann und Yamato das auch ganz genau weiß.

„Erstens bin ich gar nicht mehr so klein“, verkündet sie wissend und verschränkt die Arme vor der Brust, „und zweitens bin ich dein einziges Patenkind, also liegt es wohl auf der Hand, dass du mich von all deinen nicht vorhandenen Patenkindern am liebsten hast.“

Yamato verzieht das Gesicht. „Da hast du recht“, gibt er sich geschlagen. „Du bist viel zu schlau geworden. Warum bist du so schlau? Das hast du definitiv nicht von deinem Vater.“

Frech grinst er Tai entgegen, der ihm gegen den Oberarm boxt.

„Blödmann. Ich kann dich auch gerne wieder zum Flughafen zurückfahren.“

„Hey“, protestiert Yamato. „Ich bin extra hierhergekommen, um mir mal eine Auszeit von dem ganzen Tour Stress zu nehmen.“

„Jap, und wenn du nett bist, darfst du auch bleiben. Bescheidenheit und Demut sind die Zauberwörter, mein Freund.“

Yamatos Mundwinkel wandern nach unten. „Frechheit!“, kommentiert er trotzig.

„Keine Sorge, Onkel Matt“, flötet Hope und nimmt ihn an die Hand. „Von mir aus kannst du so lange bleiben wie du willst. Ich habe eine ziemlich gemütliche Luftmatratze in meinem Zimmer.“ Die zwei zwinkern sich verschwörerisch zu und geben sich die Ghetto-Faust. Wann hat sie das denn gelernt? Ich sollte wirklich mehr hinhören, wenn sie mit Yamato skyped.

„Ach, bevor ich es vergesse …“, sagt Yamato und greift in seine Jackentasche, um einen Schlüsselanhänger hervorzuzaubern. „Den soll ich dir von Tante Kari geben. Ist ein nachträgliches Geschenk zur Einschulung. Sie sagt, es tut ihr leid, dass sie nicht kommen konnte.“

Ich werfe einen Blick über Hopes Schulter.

„Ooh“, macht diese und staunt Bauklötze, als sie ihn betrachtet. Es ist ein silbernes Herz, mit einem Foto darin, das uns alle beim vergangenen Weihnachtsfest zeigt – eine wunderschöne Erinnerung.

„Wow, wie hübsch!“, meint Hope begeistert und sieht Yamato fragend an. „Können wir Tante Kari anrufen? Bitte! Ich möchte mich bei ihr bedanken.“

Yamato zuckt mit den Schultern. „Klar, warum nicht?“ Er zückt sein Handy und startet einen Videoanruf, ehe er es Hope überreicht.

Es dauert nur wenige Sekunden, bis Karis Bild aufspringt.

„Hallo, Tante Kari“, lächelt Hope fröhlich in die Kamera. „Danke, für dein Geschenk. Onkel Matt hat es mir gerade gegeben.“ Sie hält den Schlüsselanhänger hoch, damit Kari ihn sehen kann.

„Hallo, meine Kleine. Wie schön, dass er dir gefällt“, erwidert Kari herzlich. „Ich hätte ihn dir gerne persönlich gegeben, aber leider darf ich in meinem Zustand keine weiten Reisen mehr machen.“

Sie streicht sich demonstrativ über den kugelrunden Bauch, der inzwischen definitiv einen Großteil ihres Körpers einnimmt.

Tai geht neben Hope in die Hocke, um ebenfalls in die Kamera zu sehen.

„Hi, Schwesterherz. Was macht mein kleiner Neffe?“, grinst er breit und ich sehe ihm an, wie stolz er ist.

Kari kichert. „Na ja, momentan schläft er wohl. Aber ich denke, dass er bald …“

„Oh, ist das Tai?“, hört man im Hintergrund eine Stimme fragen und kurze Zeit später schiebt sich Takeru vor die Linse.

„Hi, Leute“, winkt er uns zu.

„Hallo, Onkel T.K.“, flötet Hope vergnügt.

„Hey, T.K.“, sage ich und beuge mich nun ebenfalls hinunter, damit wir alle aufs Bild passen. „Wie geht es euch?“

T.K. lächelt zufrieden und legt Kari eine Hand auf den Bauch. „Den Umständen entsprechend gut, würde ich mal meinen. Wir hoffen sehr, dass der kleine Mann uns nicht mehr all zu lang warten lässt.“

„Das glaube ich gern“, grinse ich. Die beiden sind wirklich süß. Nachdem es damals dieses ganze Drama zwischen ihnen gab – erst die Geschichte mit der Fake Beziehung, dann Karis Outing und zum Schluss auch noch die Tatsache, dass sie sich in ihren besten Freund verliebt hatte – stand ihre Freundschaft eine Weile auf dünnem Eis. Es hat lang gedauert, bis sich beide ihrer Gefühle bewusst waren und in der Zeit floss viel Wasser den Fluss entlang. Kari hatte noch eine etwas längere Beziehung zu einem Mädchen von einer anderen Schule und auch Takeru versuchte sich von seinen wahren Gefühlen abzulenken. Doch wie sagt man so schön? Am Ende kommt zusammen, was zusammengehört. Die beiden waren immer schon wie geschaffen füreinander. Zwei Seelen, die nicht ohneeinander konnten. Letztendlich sahen auch sie das ein und wurden nach langem hin und her endlich ein Paar. Und nun … war der Nachwuchs unterwegs.

„Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder“, sage ich in die Kamera und sehe, wie Kari zuversichtlich nickt.

„Auf jeden Fall musst du aufpassen, dass sie genug isst! Hörst du T.K.?“, klingt Tai sich plötzlich eine Spur zu Ernst ein. „Und dass sie genug schläft.“

Ich sehe ihn schief von der Seite her an. Da war er wieder – der überfürsorgliche Bruder.

Kari kichert. „Tai, ich bin kein kleines Kind mehr.“

Aber das überhört Tai mal wieder gekonnt.

„Und hilf ihr beim Treppen steigen, sie kann doch kaum noch ihre Füße sehen. Am Ende stolpert sie noch“, setzt dieser seine Anweisungen fort als hätte er das gar nicht gehört.

„Äh, okay“, meint Takeru und wirkt nun leicht verunsichert.

„Ach, und Füße sind ein gutes Stichwort …“

Jetzt sieht selbst Hope ihren Papa zweifelnd an.

„Mimi hat mir erzählt, dass die Füße bei Schwangeren manchmal anschwellen können. Ich habe etwas recherchiert und man sollte dann folgendes tun …“

„Ooookay“, haut Yamato dazwischen und greift nach seinem Handy. „An dieser Stelle unterbreche ich mal.“

„Hey, ich war noch nicht fertig“, protestiert Tai lautstark, was Yamato zum Glück nicht weiter interessiert. Beschwichtigend lege ich eine Hand auf die Schulter meines Mannes.

„Lass gut sein, Tai. Bevor es für uns alle zu peinlich wird.“

Hope beginnt zu kichern, während Tai die Arme vor der Brust verschränkt und sich irgendetwas zurecht grummelt. Nicht zu fassen, dass er sich immer noch so sehr für seine kleine Schwester verantwortlich fühlt, obwohl sie doch schon längst erwachsen ist. Aber wir wissen alle, dass das wohl immer so sein wird. Tai war eben immer für seine Familie da. Ganz im Gegensatz zu meiner. Nachdem ich nach Osaka gegangen war, hat mein Vater vollends mit mir gebrochen. Von meiner Mutter weiß ich, dass er sich danach weiter bei Hayatos Vater hochgearbeitet hat, bevor die Firma vor zwei Jahren wegen eines Skandals pleite ging.

Meine Eltern trennten sich daraufhin und beide leben nun in neuen Partnerschaften, was vermutlich für alle das Beste ist, nehme ich mal an. Ab und an kommt meiner Mutter uns sogar besuchen und auch ihr neuer Freund scheint ganz nett zu sein.

Ich gönne meiner Mutter ihr neues Glück, aber ich bin auch froh, dass ich jetzt meine eigene Familie habe. Das erfüllt mich wirklich. Hope und Tai machen mein Leben komplett.

„Gehen wir jetzt ein Eis essen?“, fragt Hope ihren Patenonkel, der sich soeben von Kari und Takeru verabschiedet und aufgelegt hat.

„Noch vor dem Abendessen, junge Dame?“ Ich stemme die Hände in die Hüften, während Hope Yamato weiter schöne Augen macht. Das mit dem um den kleinen Finger wickeln hat sie perfekt drauf.

Yamato kratzt sich verlegen am Hinterkopf. „Wie könnte ich zu diesen Augen nein sagen?“

Hope jubelt und springt ihm in die Arme. Yamato wirft mir ein entschuldigendes Grinsen zu, woraufhin ich lachen muss. Die zwei sind wirklich unverbesserlich.

„Also, erzähl mal … wie läuft es in der Schule? Passt du auch immer schön auf im Unterricht?“, beginnt er Hope auszufragen, während sie ihn an die Hand nimmt und die beiden schon mal vorgehen. Hope plaudert fröhlich drauf los und gestikuliert wild in der Luft herum. Ihre Begeisterung ist wirklich ansteckend. Ich sehe, wie Yamato bei ihren Erzählungen zu lachen beginnt und frage mich unwillkürlich, ob er inzwischen eigentlich eine feste Freundin hat.

Notiz an mich: muss ihn unbedingt beim Abendessen ausfragen!

Nachdem er damals mit Sora Schluss gemacht hat, gab es zwar die ein oder andere Frau in seinem Leben, aber leider nie etwas Festes. Dabei war er so ein toller Kerl. Trotz, dass er nun seit Jahren mit seiner Band durchs Land tourte und der Bekanntheitsgrad immer weiter stieg, war er gar nicht abgehoben. Er war immer noch der Alte. Wäre doch gelacht, wenn nicht irgendwo da draußen die perfekte Frau auf ihn wartete.

Ich spüre, wie Tai an mich ran tritt und von hinten die Arme um meine Taille schlingt.

„Na, was heckst du schon wieder aus?“

Ich lege den Kopf schief, während ich Hope und Yamato nachblicke.

„Ich denke darüber nach, Matt zu verkuppeln. Kennst du vielleicht nette Single Frauen?“

Tai lacht laut auf. „Natürlich. Einen ganzen Haufen.“

Erst nicke ich bestätigend, dann reiße ich die Augen auf. „WAS?“

Tai lacht noch herzhafter und dreht mich zu sich um. „Das war ein Spaß. Woher soll ich Single Frauen kennen, wenn ich doch nur Augen für dich habe?“

Er zieht mich noch enger an sich und grinst mich mit einem schiefen Lächeln an, was mein Herz zum Schmelzen bringt. Ich lege die Arme um ihn und grinse zurück.

„Schleimer.“

„Stimmt, du hast mich erwischt. Ich muss zugeben … da gibt es doch noch eine andere Frau in meinem Leben“, gesteht Tai schuldbewusst.

„Oh, und wer ist sie, wenn ich fragen darf?“

„Mmh. Sie hat lange, schwarze Haare und ist so ziemlich das süßeste Wesen, das ich kenne.“

„Aah!“, mache ich und lege eine Hand auf seine Brust. „Na, wenn das so ist … teile ich dich gerne mit ihr.“

Tai lacht und beugt sich zu mir hinunter, um mich zu küssen. Ich weiß bis heute nicht, wie er das macht, aber jedes Mal, wenn unsere Lippen aufeinandertreffen, ist es wie Magie. Als würden Funken sprühen und Schmetterlinge tanzen. Ich spüre, wie er all seine Liebe in den Kuss legt – so wie er es jedes Mal tut. Und wie jedes Mal, würde ich am liebsten die Zeit anhalten.

„Mama? Papa? Wo bleibt ihr denn?“, höre ich Hope aus einiger Entfernung rufen. Wir lösen uns voneinander und sehen uns an.

„Ich liebe dich“, haucht Tai mir entgegen.

„Ich liebe dich“, sage ich lächelnd.

„Papa, Mama, jetzt kommt endlich! Sonst gehen wir alleine Eis essen“, neckt Hope uns weiter. Wir lachen beide auf, während Tai sich an mir vorbei schiebt.

„Auf keinen Fall, ich will auch was abhaben!“

Ich betrachte noch ein Mal das Bild, dass Hope aus der Schule mitgebracht hat und welches ich immer noch in der Hand halte.

Es zeigt sie selbst an einem heißen Sommertag. Ich bin auch mit darauf und wir beide tragen ein geblümtes Kleid. Neben uns stehen zwei Männer. Einer mit braunen und einer mit schwarzen Haaren. Ihre Papas Tai und Hayato. Alle lächeln breit und halten ein großes Eis in der Hand. Sogar die große, dicke Sonne lacht, die sie in die rechte obere Ecke gemalt hat. Bei dem Anblick muss ich grinsen. Sie hat uns wirklich perfekt getroffen.

Wenn ich dieses Bild so betrachte, kann ich gar nicht glauben, was wir noch vor ein paar Jahren alles durchgemacht haben.

Die Erinnerung an diese Zeit erscheint mir heute wie ein lang geträumter Traum. Und trotzdem würde ich alles genau noch ein mal so machen. Jeden Augenblick, war er auch noch so hart, würde ich noch ein mal durchleben. Jeden Fehler noch ein mal begehen, wenn er mich am Ende genau hierherführen würde. Denn darum geht es doch schließlich, oder?

Wir sind alle nicht perfekt. Niemand ist das.

Wir sind Menschen.

Menschen mit Geheimnissen. Menschen mit Schwächen. Menschen, die Fehler machen. Menschen, die manchmal anderen weh tun, auch wenn sie es nicht wollen.

Doch es sind nicht diese Dinge, die uns definieren. Was uns wirklich ausmacht, ist, was wir bereit sind füreinander zu tun. Was wir bereit sind zu riskieren, um am Ende zu der Person zu werden, die wir gerne sein wollen.

Hätten wir all das nicht getan, wären wir heute nicht hier.

Auch die letzten Jahre über gab es nicht immer nur Sonnenschein in unserem Leben. Wir alle haben unsere Fehler gemacht, aber wir haben niemals aufgegeben.

Wir haben uns niemals aufgegeben. Von all den Entscheidungen, die wir getroffen haben – die Guten und die Schlechten – war das mit Abstand die Beste.

Und deshalb … würde ich nichts von alledem ändern wollen, was geschehen ist. Nicht eine Sekunde. Denn es machte uns zu den Menschen, die wir heute sind.

„Mama, kommst du?“

Ich hebe den Kopf und lasse das Bild sinken. Hope strahlt über beide Ohren und winkt mich zu sich, während sie Tais Hand hält. Sein Lächeln trifft mich und erfüllt mich mit Liebe.

„Ich komme“, rufe ich und gehe zu ihnen rüber.

Ja, ich würde alles noch ein mal ganz genau so machen. Unsere Liebe ist so stark, dass sie nichts auf dieser Welt mehr entzweien kann.

Und egal, was noch alles auf uns zu kommt …
 

Am Ende …

wird es immer ein wir geben.
 


 

„The important thing is not to be bitter over life’s disappointments.

Learn to let go of the past and realize that every day won’t be sunny.

And when you find yourself lost in the darkness of despair, remember:

It’s only in the black of night that you see the stars,

and those stars lead you back home.“

- One Tree Hill
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben, es ist mal wieder soweit :P Eigentlich wollte ich mit der Geschichte noch warten, aber ich habe schon einiges an daran geschrieben und wollte, bevor ich weiter mache, gerne eure Meinung dazu wissen. Wie ihr seht, hab ich diesmal einen etwas anderen Schreibstil ausgewählt, nämlich die Ich-Perspektive. Ich hatte richtig Bock die Story hochzuladen und hoffe, dass der neue Stil nicht "zu anders" oder "zu ungewohnt" oder "zu unpassend" oder was auch immer ist ;D Sicher kann man das jetzt nach dem kurzen Prolog noch nicht eindeutig sagen, aber ich würd mich freuen im Laufe der Geschichte eure Meinung dazu zu lesen, bevor ich weiter daran arbeite :)
Kleine Randnotiz: Wer meine letzte Geschichte gelesen hat, kann sich denken, dass euch hier wieder einiges an Drama erwarten wird ;D Also viel Spaß damit ;) <3
Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen :) Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und ein bisschen neugierig gemacht ;) Es deutet ja schon einiges darauf hin, dass Mimi nicht ganz ehrlich zu ihren Freunden ist, was ihren Umzug betrifft...
Im nächsten Kapitel gibt es eine Willkommensparty für Mimi und man erfährt einiges darüber, was in der Zwischenzeit im Leben der Anderen so passiert ist :)
Also bis dann <3
P.S.: Und jaaaah, ich habe es mal wieder getan und Mimi schlecht in Mathe gemacht xD verzeiht mir das Klischee :P Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heyho :) ich hab mich dazu entschieden, heute noch ein neues Kapitel für euch hochzuladen, da dass in der nächsten Woche eventuell ausfallen muss. Aber um euch schon mal ein bisschen die Nase lang zu machen, verrate ich euch schon mal, dass es im nächsten Kapitel einen weiteren Hinweis auf Mimis Geheimnis geben wird :P
Also bis dann <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hello again ;) ich hoffe, das neue Kapitel hat euch gefallen und ihr habt vielleicht sogar schon die ein oder andere Theorie, was mit Mimi los ist?!

Keine Sorge, ihr werdet es bald erfahren :P

Bis dann <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, letzte Chance eure Theorien kund zu tun :D
Ich habe mich bereits wahnsinnig darüber gefreut, dass ihr mir so eifrig eure Vermutungen mitgeteilt habt, das war wirklich interessant und das ein oder andere Mal hab ich sogar gedacht: hmm, keine schlechte Idee :D
Im nächsten Kapitel kommt es dann endlich ans Licht... Ich bin wahnsinnig gespannt darauf, wie ihr es findet. Vielleicht kommt ja der ein oder andere auch schon vorher dahinter...?! ;)
Bis dann <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Leute, ich bin echt begeistert von euch :D Einige haben ja den Nagel direkt auf den Kopf getroffen ;) Nicht schlecht.
Danke für eure zahlreichen Vermutungen, Spekulationen, Theorien... das war wirklich sehr interessant und ihr hattet tolle Ideen!
Gut, das ist also Mimis Geheimnis... aber es ist leider noch nicht das Ganze.
Ich kann es kaum erwarten das nächste Kapitel hochzuladen, denn ich habe so die leise Vorahnung, dass das wieder einiges an Fragen aufwerfen wird ;D
Also bis bald ;* <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben! Heute gab es mal ein kleines Zwischenkapitel, in dem es mal wieder zwischen Mimi und ihrem Vater gekracht hat. Das nächste Kapitel wird dann wieder länger und es wird den Titel "Rebellion" tragen. Außerdem werdet ihr dann dort erfahren, WER der mysteriöse Junge aus dem Einkaufszentrum war... also dann :P
Bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, ich hab euch jetzt nicht zu sehr mit der Tatsache geschockt, dass Takeru der mysteriöse Typ war... :D Aber bevor ihr sauer auf ihn oder sauer auf mich werdet, weil ich ihm so eine Rolle verpasst habe, denkt bei dieser Geschichte immer daran: oft ist es nicht so, wie es im ersten Moment scheint ;)
lovely greetings <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Was soll ich sagen... ich hab mit Mimi mitgelitten, als ich dieses Kapitel geschrieben habe </3 Aber ich denke, es war sehr aufschlussreich und ich hoffe, ihr seid schon gespannt darauf, wie es weitergeht.
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöle :) Das war doch mal ein Schritt in die richtige Richtung oder? Hätte Mimi lieber dicht halten und bei ihren Eltern bleiben sollen...?! Im nächsten Kapitel steht Mimi auch noch einem anderen Problem gegenüber... und das Problem heißt Takeru/Kari ;) Also, bis dann ;D Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oi :D Wenns euch jetzt auch so geht, wie Mimi und ihr viele Fragen im Kopf habt, dann tut's mir leid...
oder auch nicht xD Ich hoffe, ihr seid gespannt darauf, wie es weiter geht ;)
Bis bald :3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huhu :) Das war bis jetzt, glaube ich, wirklich das längste Kapitel dieser Geschichte. Ich hoffe, es hat euch nicht überfordert :D Aber ich konnte und wollte es nicht trennen/ kürzen... ist ja auch schließlich wieder einiges passiert ;) Ich möchte mich noch bei euch bedanken, für die vielen Favoriteneinträge und den entzwischen fünf Empfehlungen *_* DANKE <3
Habe auch zu diesem Kapitel ein kleines Liedchen, welches ich ganz inspirierend fand: Broken Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Oh man, ich bin so aufgeregt :D Was meint ihr, was Tai vor hat? Eigentlich war das Kapitel länger, doch ich dachte, ich lasse euch noch etwas schmoren :P Welchen "Ausweg" Tai hat oder auch nicht hat, erfahrt ihr dann im nächsten Kapitel ;) Bis dahin <3
Hier noch ein wunderschönes Lied, welches mich beim Schreiben inspiriert hat: Everglow Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hui... jetzt wisst ihr also, wie Mimi und Hayato sich kennegelernt haben. Mal sehen, was Tai dazu sagt...
Bis bald <3
Achso: "Secret" von The Pierces hat mich ein wenig beim Schreiben inspiriert. Kennt ihr sicher aus Pretty Little Liars ;) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hui...also ein bisschen hat mich das Kapitel selbst geschockt :'D ich bin tierisch gespannt darauf, was ihr dazu sagt... Aber Fakt ist doch: Mimi und Tai steht noch einiges an Ärger bevor...oder? >.< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
endlich schaffe ich es mal das neue Kapitel hochzuladen! Bei people always leave hinke ich ja auch schon mega hinterher >_< verzeiht mir! Ich hoffe, auch dort müsst ihr nicht mehr lang auf ein neues Kapitel warten. Aber dieses hier war einfach schon fertig, weswegen ich es jetzt schon eher hochladen konnte ;D
Was sagt ihr dazu?? :O Ging ja ganz schön rund, was?
Habe am Ende zwei Zitate eingebaut, die mich sehr inspiriert haben:
Der Satz, den Kari am Ende zu Mimi sagt ist aus der Serie "Skins" und das Zitat ganz unten aus "Revenge", wie dort ja schon steht :) Ich hoffe trotzdem, dass euch das Kapitel, trotz des Streits zwischen Mimi und Tai gefallen und neugierig auf mehr gemacht hat ;)

Bis ganz bald :-* Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi Leute :) Ich melde mich zurück mit einem leider etwas kürzerem Kapitel. Ich hoffe, es hat euch trotzdem gefallen :> Keine Sorge, das nächste wird dann wieder länger. Im nächsten wird es interessante Gespräche geben, wie ihr euch sicher schon denken könnt und trotz Tais Liebesgeständnis lässt Mimi diese Sache mit Sora keine Ruhe... also, es wird noch einiges passieren ;) Bis dahin eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Guten Abend :) Ich weiß, ihr hört in letzter Zeit nicht sonderlich viel von mir. Aber das liegt einfach daran, dass ich so viele Projekte gleichzeitig laufen habe :D Wie zum Beispiel das neue Drabble Projekt zur Koumi Woche, welches ich mit der lieben dattelpalme11 gestartet habe. Zu finden auf ihrem Account. Ich weiß, Michi Fans werden uns jetzt steinigen wollen, aber wer trotzdem über seinen Schatten springen und mal reinlesen mag, kann das gerne tun :) Uns hat es Spaß gemacht, es zu schreiben.
Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch gefallen :-*
Bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben ;)
Ich hoffe, das Kapitel hat euch gefallen und wieder etwas neugierig gemacht ;P
Für alle, die gespannt darauf warten, wann denn nun endlich die Geheimnisse gelüftet werden, habe ich eine tolle Ankündigung zu machen. Es dauert nicht mehr lang... um genau zu sein, noch ca. 2 weitere Kapitel.
Das Kapitel, welches ankündigt, dass die verzwickte Situation zwischen Mimi/Tai/Sora und auch Kari/T.K ihren Höhepunkt erreicht, werdet ihr an dem Titel "Sündenparty" erkennen. Wie ich auf den Titel gekommen bin und warum das Kapitel so heißt, erkläre ich euch dann, wenns soweit ist ;)
Bis dahin erst mal viel Spaß beim weiterlesen!
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallöchen Popöchen :D
Ich freue mich, endlich ein neues Kapitel hochladen zu können <3 Und wir kommen der "Sündenparty" ganz langsam näher und somit auch dem Drama ;) Bin selbst ein bisschen aufgeregt deswegen :D
Das nächste Kapitel wird "Rückzugskommando" heißen, also lest euch die letzten Zeilen lieber noch mal genau durch ;) Mehr verrate ich noch nicht.
Ich wollte auch hier noch mal auf mein Autoren Instagram Profil aufmerksam machen ( k.leesi.author.by.passion), weil die Meisten es sicher noch nicht wissen. Da ich vermehrt Anfragen bekommen habe, wann es bei meinen laufenden Geschichten weitergehen wird, hab ich mir vorgenommen, euch über Instagram ein bisschen auf dem Laufenden zu halten - über aktuelle Kapitel und kommende Projekte. Also, wer Lust hat, auf "Folgen" klicken und so immer up to date (vor der Veröffentlichung) sein :)
Danke, fürs Lesen. Ich hoffe, es hat euch Spaß gemacht und ihr seid neugierig, wie es weiter geht.

Fast vergessen: Barfuß Am Klavier - AnnenMayKantereit hat mich irgendwie voll beim Schreiben inspiriert. Finde den Song einfach soo schön <3

Liebste Grüße & bis bald
Eure Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, das war's. Ich bin gespannt, was ihr dazu sagt ;) Im nächsten Kapitel wird dann endlich die Sündenparty stattfinden. Wer sich jetzt schon fragt, was das eigentlich ist, kann gerne noch mal auf meinem Instagram Account vorbei schauen: k.leesi.author.by.passion. Dort habe ich schon mal einen kleinen Ausschnitt aus dem nächsten Kapitel gepostet, in dem erklärt wird, was eine Sündenparty überhaupt ist.
Jetzt noch mal kurz zu einem neuen Projekt von zwei sehr lieben Freundinnen und mir, das mir sehr am Herzen liegt. dattelpalme94, dattelpalme11 und ich haben uns ein kleines Weihnachts-Projekt überlegt. In der Woche vor Weihnachten, also vom 18.-24.12. werden wir jeden Tag ein kleines Digimon Weihnachts-Drabble veröffentlichen. Hierfür haben wir uns einen Gemeinschaftsaccount angelegt, wo wahrscheinlich in Zukunft auch noch meherer gemeinschaftliche Projekte von uns erscheinen werden. Also, wenn ihr Lust habt, euch ein wenig in Digimon Weihnachtsstimmung versetzen zu lassen, schaut einfach bei Tarima vorbei. ;)
So, das war's erst mal von mir. Wann das nächste Kapitel online kommen wird, werde ich dann auf Instagram ankündigen.
Bis dann, habt's fein, ihr Lieben <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
P.S.: Ein paar der Sünden haben keinen fiktiven Ursprung. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallooo ihr Lieben :D Ich melde mich zurück und konnte euch endlich das neue Kapitel hochladen :) Ich wollte mich nochmal für die zahlreichen Reviews zu den letzten beiden Kapiteln bedanken. Eure Meinung ist mir immer wichtig und es war total spannend für mich zu lesen, welche unterschiedlichen Gedanken und Gefühle ihr dabei hattet.
Ich hoffe, das neue Kapitel hat euch gefallen. Das Nächste wird diesmal sicher nicht soo lange auf sich warten lassen ;)
Bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben und einen schönen Sonntag euch allen :)
Es tut mir leid, dass ihr so lang auf dieses Kapitel warten musstet, obwohl es schon seit Wochen fertig ist. Aber irgendwie hatte mich ein wenig die Muse verlassen und ich hatte nicht so Lust weiterzuschreiben und habe mich stattdessen auf andere Dinge konzentriert - was auch mal gut war. Das nächste Kapitel ist schon in Arbeit, bzw. zur Hälfte fertig und ich hoffe, die Muse küsst mich bald wieder :'D
Ich bin gespannt, was ihr denkt, wie es weiter geht... ;P
Bis dann & liebe Grüße
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben :)
Ich freue mich, euch ein neues Kapitel zeigen zu können und habe noch einen kleinen Spoiler für euch: im nächsten Kapitel wird es einen Flashback zu Tai und Sora geben und wir erfahren endlich, wie es zu dem "Unglück" kam... :O
Also, bis dann :) Ich hoffe, ihr hattet Spaß beim Lesen.
Eure Khaleesi <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben, endlich wird der ominöse Abend um Tai und Sora gelüftet. Ich hoffe, ich konnte ein wenig Licht ins Dunkle bringen ;) Für mich war es ebenfalls sehr erleichternd, endlich Tais Rückblick schreiben zu können. Im nächsten Kapitel wird es noch einen Flashback geben. Vielleicht könnt ihr euch ja denken, um was oder wen es geht ;)
Genießt den schönen Sonntag :)
Bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen :)
Ich wollte noch mal auf meinen Post auf Instagram aufmerksam machen, bei dem ich geschrieben habe:
Ich habe mich gefragt, ob ihr vielleicht auch zu den anderen Charakteren gerne einen Rückblick lesen würdet? Dies war für die Geschichte eigentlich nicht geplant und wäre für den weiteren Verlauf auch nicht zwingend notwendig. Doch ich würde es von eurem Interesse abhängig machen, ob ihr eine kleine Rückblende zu Sora (most hated person No.1), Matt, (evtl. Hayato?) usw. lesen möchtet. Schreibt es mir, gerne auch in die Kommentare oder als PN.
Liebe Grüße
Khaleesi26 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben und einen schönen Sonntag euch allen :3
Ich melde mich mal mit einem neuen Kapitel zurück und hoffe, euch hat's gefallen.
Das Zitat ist mir spontan eingefallen und ich fand es irgendwie treffend ... vor allem, wenn ich an das nächste Kapitel denke ;D

Bis bald <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,

gerade habe ich ein paar gute Stunden und habe gedacht, ich nutze die Gelegenheit, um schnell das neue Kapitel hochzuladen. Ich hoffe, es hat euch gefallen, da ich ja eigentlich erst mal nicht hochladen wollte. Aber an guten Tagen kann man gutes tun :) Oder so ähnlich :D

Ich hoffe, ihr seid gespannt, wie es weitergeht ;P

Liebe Grüße
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben,
wie ihr euch sicher schon denken könnt, wird es im nächsten Kapitel hauptsächlich um Kari und T.K. gehen. Und da ist mir beim Schreiben aufgefallen, dass Takeru in dieser Geschichte viel zu wenig Raum bekommt. Obwohl er doch eigentlich so einen wichtigen Part hat. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, im nächsten Kapitel einen kleinen Rückblick zu ihm und Kari zu machen, damit ihre Beziehung den Raum bekommt, den sie verdient. Ich hoffe, ihr seid gespannt darauf :)
Bis bald <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hi, ihr Lieben! Ich hoffe, euch hat das Kapitel gefallen :) Kari hat Mimi hier ja ganz schön die Augen geöffnet, wobei ich gestehen muss, dass sich in ihrer Ansprache ein Zitat aus dem Buch "I knew U were trouble" befindet - wollte es nur erwähnt haben, falls es jemand wiedererkannt hat ;) Im Nächsten gehts dann ziemlich zur Sache, denn Hayato mischt mal wieder ordentlich mit.
Bis bald <3
Eure Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Huuui, ich hoffe, es hat euch gefallen... :'P im nächsten Kapitel wird Hayato Mimi ein ziemlich unmoralisches Angebot machen... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hallo ihr Lieben :)
Ich sitze jetzt schon ziemlich lange an dem letzten Kapitel, aber irgendwie scheue ich mich davor, es zu beenden. Denn dann ist es vorbei :( Aber so ist das nun mal - alles hat ein Ende :) ich hoffe, ihr seid gespannt, wie die Geschichte letztendlich enden wird :O
Also dann, wir lesen uns beim letzten Kapitel wieder!
Liebe Grüße
Khaleesi Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben,
ich hoffe, euch hat das Ende gefallen! Ich wünsche euch allen ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest, im Kreise eurer Lieben. Morgen werden wir Mimi und Tai im Epilog ein letztes Mal wiedersehen.
Merry Christmas
Eure Khaleesi Komplett anzeigen

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Von:  Linchen-86
2019-12-27T13:06:02+00:00 27.12.2019 14:06
Hallo meine Liebe,

Bei mir ist gerade wieder einiges los. Gutes und schlechtes. Schönes und Trauriges. Dennoch konnte ich heute deine Geschichte lesen und erst mal möchte ich mich bedanken. Ich glaube das ist die schönste Geschichte, die ich hier auf Animexx gelesen habe.
Sie hat mich oft so berührt, weil sie gefühlt oft so viele Parallelen zu meinem Leben hatte/hat.

Das Mimi mit ihrer kleinen Tochter plötzlich alleine da stand und sich alles hart erkämpfen musste. Dass Hayato ihr immer wieder Ärger und Stress gemacht hatte.
Dass Taichi ihr immer versucht hatte zur Seite zu stehen und sowohl für Mimi als auch für Taichi dagewesen ist.

Ich denke auch das es für Sora und Mimi keinen anderen Ausweg mehr gab. Nicht jede Freundschaft hat das Potenzial das sie ein Lebenlang hält. Dann ist es doch besser, sich zu vergeben und in Frieden zu gehen. Ein Schlussstrich ohne Groll.

Ich habe richtig mitgefiebert, als Mimi zum Fuji gehetzt ist, den Berg rauf mit Hayoto um Tai zu suchen. Ich hatte die Situation echt versucht selber vorzustellen und musste echt laut lachen. Nein, das wird es bei mir sicher nie geben :D

Über das Epilog habe ich mich sehr gefreut. Zu wissen, dass sich alle für Hope zusammenreißen ist toll. Das Wichtigste ist doch, dass es dem Kind gut geht...
Wer weiß ob ich mal so ein Bild von meiner Tochter sehen werde :D
Und es scheint als könnten alle gut mit der Situation leben und sind vor allem glücklich und ich kann Mimi voll verstehen. Wir sind alle nicht perfekt, machen Fehler und treffen mal dumme Entscheidungen, aber wichtig ist doch was ende dabei herauskommt.
Ich freue mich sehr über ihr persönliches Happy End.

Danke dir für die schöne Geschichte :)
Liebe Grüße und bis bald. :*

Von:  Hallostern2014
2019-12-25T22:15:34+00:00 25.12.2019 23:15
Huhu Liebes. 😘

Nun kann ich es auch endlich Kommentieren. Ich habe es heute auch wieder immer, immer wieder durch gelesen. Und es hat mir immer mehr so Lächeln ins Gesicht gezaubert.

Hope hat also schwarze Haare bekommen. Wie Hayato. Na etwas muss ja von ihn haben denn den Charakter hat sie eindeutig von Mimi. Und die Freche Sprüche von ihren anderen Papa. 😍

Hayato hat sich echt Mühe gegeben. Um einen guten Verhältnisse zu seiner Tochter zu haben. Das hat man richtig gemerkt. Auch das er sich geändert hat. Das wurde klar, als er die Erlaubnis für die Adoption gegeben hat.

Die kleine ist auch echt Zucker 😍. Man hat sich gleich in ihr Verliebt. Man merkt auch wie sie sich für ihren Alter der Situation 2 Papa's zu haben engagiert hat. Und das im Ihrem Alter. Aber das lag wohl auch an den 3 Erwachsende die gleich mit Offenen Karten gespielt haben.

Hehe, das Matt der Patenonkel ist finde ich wunderbar. Das zeigt auch wieder, dass die Freundschaft zu Tai und ihn sich verbessert hat.

Ich freue mich so sehr für Kari und T.K. Beide haben endlich zueinander gefunden. Und nicht nur das..Beide erwarten einen Sohn was schöneres gibt es nicht. Über Tai musste ich da auch wieder lachen 🤣. Er wird sich wohl nie ändern.

Das Tai und Mimi noch verliebt sind wir beim ersten Tag ist Traumhaft. 😍. Und seit 3 Jahren sind beide Verheiratet wie schön. 😍😍😍. Beide haben auch für das gekämpft damit sie jetzt da sind wo sie sind. Und was Mimi zum Schluss sagt. War einfach toll.

Am Schönsten fand ich auch das Bild was Hope gemalt hat..Ich konnte es mir Bildlich vorstellen.

Ein wunderschöner Abschluss von einer Geschichte wo du Stolz sein kannst. 😍😍

Und deine Andere wird genauso so sein da bin ich mir sicher.
Ich freue mich mega auf morgen und kann wohl jetzt schon vor Aufregung nicht schlafen 🙈.

Schlaf später gut.
Ganz liebe Grüße ❤😘😍
Antwort von:  Khaleesi26
26.12.2019 19:49
Hallo meine Liebe... ein letztes Mal (zumindest hier :D)

Hach, das freut mich aber sehr, dass ich dich mit dem Kapitel glücklich machen konnte :)) Ich habe es ehrlichgesagt auch öfters gelesen als nötig und es gefiel mir von mal zu mal besser. Schön, dass alle ihr Happy End gekriegt haben.

Haha das stimmt, die Kleine hat es eben faustdick hinter den Ohren, wie ihre Mama und ihr Papa :D Sie scheint sich in der ungewöhnlichen Familiensituation ja auch wohl zu fühlen. Und ja, Hayato hat natürlich seine Erlaubnis zur Adoption gegeben - ist eben auch das Beste für Hope und Tai hat es verdient ^^

Ich musste Matt einfach zum Patenonkel machen :D Das ging gar nicht anders! Ich wollte so gerne, dass er und Tai sich wieder nahe stehen - und das tun sie jetzt auch.
Und Kari + T.K. wollte ich ursprünglich nicht zusammenkommen lassen. Aber ehrlich gesagt hätte alles andere für mich auch keinen Sinn ergeben xD

Danke, für Mimis letzte Worte habe ich tatsächlich etwas länger gebraucht. Sie sollten etwas Besonderes sein.

Ich danke dir ganz ganz herzlich für dein stetiges Feedback und dass du die Geschichte mit deinen Kommentaren so lebendig gemacht hast :)

Bis bald & ganz liebe Grüße :*
Von:  Kleines-Engelschen
2019-12-25T19:44:58+00:00 25.12.2019 20:44
ein wundervoller epilog, ein echt toller abschluss für diese wahnsinns geschichte :)

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
25.12.2019 21:05
Vielen vielen Dank :) freue mich sehr, dass du die Geschichte bis zum Schluss verfolgt hast!
Danke für deine Kommentare!

Liebe Grüße
Von:  Kleines-Engelschen
2019-12-25T10:01:18+00:00 25.12.2019 11:01
ein wundervolles kapitel und ein schöner abschluss dieser geschichte. danke dafür!

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
25.12.2019 14:00
Hey :) freut mich, dass Dir der Abschluss gefallen hat! Habe ihn wirklich gerne geschrieben.

Liebe Grüße!
Von:  Hallostern2014
2019-12-24T21:07:20+00:00 24.12.2019 22:07
Huhu meine Liebe 😘😘😘

Nun komme ich dazu dein Wunderschönes Kapitel zu kommentieren.

Wie ich dir ja schon geschrieben habe. Hat dieses Kapitel mein Michi-Herz wieder repariert. 🙈

Ich konnte Mimi Angst gut verstehen..und ich habe mit ihr Mitgefiebert. Zum Glück hatte sie Hayato dazu angestiftet ihr dahin zu fahren.

Ich musste bei ihm ja schon Lachen. Man merkte das er anderes aufgewachsen ist als Mimi oder Tai. Dass er Mimi Mut gemacht hat fand ich toll von ihn. Und Natürlich wusste er, dass er Schuld an dem ganzen Stress war. Indirekt hatte er sich ja auch mit dem zu geben bei Tai entschuldigt.

Was Tai und Matt angeht. Ich bin so froh, dass beide wieder wie vorher mit einander umgehen. Der kleine Satz von Matt, hat es ja wieder nur gezeigt..und zum Glück war er an den Abend für Tai da. Ich schätze mal er hat ihn es gesagt. Dass da war anders ist und Mimi wohl nicht ganz Freiwillig da ist.

Die Aussprache mit Sora war gut. Endlich können beiden den Schlussstrich ziehen. Sora weiß jetzt, das keine Hoffnung mehr auf die Freundschaft gibt. Was ich verstehen kann. Aber sie weiß das Mimi ihr verziehen hat.

Ich bin gespannt was die beiden in Osaka erwarten werden. 😍😍 ich freue mich so sehr auf morgen 😍😍.

Ich hoffe du hattest noch einen entspanten Heiligen Abend.. 😊. Auf jedenfall Wünsche ich dir noch einen schönen restlichen Abend und bis morgen.

Gannnz liebe Grüße 😍😘❤
Antwort von:  Khaleesi26
25.12.2019 13:59
Hallo meine Liebe :*

Ich freue mich, dass ich dein Michi Herz heilen konnte :D das happy End haben sie sich aber auch wirklich verdient!!! Alles andere hätte ich auch nicht übers Herz gebracht.

Ja, ich musste auch etwas über Hayato schmunzeln. Er ist eben ein ganz anderer Typ als Mimi :D kein Wunder, dass Tai besser zu ihr passt ;) dennoch wollte ich gerne nicht nur ernste Szenen in dem Kapitel haben und Hayato hat mir etwas dabei geholfen :D

Und das mit Sora und Matt musste einfach noch geklärt werden, auf beiden Seiten. Auch wenn nicht alle Freundschaften diese Geschichte überstanden haben... aber wenigstens konnten Matt und Tai ihre Freundschaft retten. Wäre ja auch zu schade gewesen, wenn nicht!

Ich freue mich, gleich nachher noch den Epilog hochzuladen, den ich wirklich sehr gerne mag <3

Habt noch einen schönen Feiertag :))

Liebe Grüße!
Von:  Kleines-Engelschen
2019-09-24T11:36:27+00:00 24.09.2019 13:36
oh nein.. da ist es endlich soweit das nicht smehr zwischen ihnen steht und dann so was. ich hoffe es gibt noch ein happy end!

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
23.12.2019 14:57
Das wirst du morgen erfahren ;)
Liebe Grüße <3
Von:  Hallostern2014
2019-09-23T19:01:58+00:00 23.09.2019 21:01
Huhu ❤

Ich schreibe liebe auch gleich ein Kommentar bevor ich nicht dazu komme..😂🙈

Also ich fand das Gespräch zwischen Mimi und Hayato toll. Und Mimi hat vollkommen recht was sie gesagt hat. Er muss endlich lernen selbständig zu sein.. nicht auf andere hören eine eigene Meinung haben. Den wird er wohl auch etwas Menschlicher. Und wirklich nicht wie ein Hund das tut was man sagt. Den das war er. Weil er alles gemacht hatte was der Papa wollte. Nun sollte er seine Chance nutzen und ihn gleich zeigen das er es auch alleine schafft.
Dennoch kann ich den Typ nicht leiden. Nur weil er Angst hatte Hope zu verlieren macht er anderen das Leben zur Hölle. Mimi sowie Tai wären wohl damit einverstanden sie sehen zu können. Er hätte nur Erhlich sein müssen und nicht so wie er es getan hat.

Nun wissen wir jetzt endlich auch woher er alles wusste. Dieser Arsch hat das Handy geklaut. Aber Sora hat da den auch selber schuld sie hätte es speeren lassen können oder wie er sagte mit Passwörter versehen müssen. Man weiß ja nie. Das Mimi ihr verzeihen soll....Hmm ich würde da auch sagen Nein. Dafür hatte sie sich zu viel geleistet. Tai zwar auch aber er hatte Sora von Anfang nach dem es passiert war klar gemacht das es ein Fehler war. Dennoch würde ich es verstehen wenn Mimi mit Sora reden würdet. Sie müssen ja keine Freunde werden. Aber Hallo und Tschüss kann man ja sagen.

Das war jetzt gemein. Da einfach aufzuhören. Wo Tai jetzt ist wissen wir wohl jeder. Er ist nach Osaka wo er eigentlich mit seiner kleine Familie zusammen hin wollte. Er ist alleine gegangen weil er das Gefühl hat er habe Mimi und Hope verlornen. Ich hoffe nur,dass Mimi jetzt schnell Schalter Hope mit nimmt und Tai suchen geht. Ihn den in Ruhe alles nochmal erklären und dann hoffentlich eine Lösung finden.

Ich freue mich aufs letzte Kapitel. Auch wenn es mich immer mehr Traurig macht das es wirklich schon zu Ende ist.

Aber zum Glück hast du ja noch eine die offen steht. Und die mich immer noch neugierig macht. Aber das hat ja auch noch Zeit. Der kleine geht vor. 😁

Ich wünsche euch 3 eine hoffentlich erholsame Nacht.
Ganz liebe Grüße ❤😘😍🍀
Antwort von:  Khaleesi26
24.12.2019 12:06
Hallo meine Liebe,

frohe Weihnachten erst mal :) Ich hoffe, es geht euch allen gut.

Ja, da hast du wohl recht. Aber es ist eben im Leben nicht immer alles nur schwarz und weiß und jetzt hat Hayato die Chance zu beweisen, dass er es ehrlich meint. Und die sollte er auch nutzen...
Dass er das Handy für seine Zwecke geklaut hat, war natürlich nicht in Ordnung. Überhaupt dauert es sicher lange, diese schlechten Eigenschaften, die ihm über Jahre hinweg antrainiert wurden, abzugewöhnen :'D Und was aus Sora und Mimi wird, erfährst du natürlich noch ;)

Keine Sorge, Mimi wird das natürlich nicht einfach so hinnehmen, dass Tai einfach gegangen ist. Dann wäre ja wirklich alles umsonst gewesen...

Ich bin auch sehr traurig, dass die Geschichte nun vorbei ist... hat sie uns doch lange begleitet <3 Aber wie du weißt, es wird neuen Lesestoff geben ;)

Hab ein schönes Weihnachtsfest :*
Ganz liebe Grüße und viel Spaß beim Lesen des letzten Kapitels.
Von:  Kleines-Engelschen
2019-08-07T20:54:32+00:00 07.08.2019 22:54
ein tolles kapitel. ich bin positiv überrascht das hayato doch nicht ganz so ein blödmann ist ^^

greetz
Antwort von:  Khaleesi26
20.09.2019 16:23
haha :D ja, manchmal können einen auch die miesesten Typen noch überraschen!
Liebe Grüße
Khaleesi
Von:  Hallostern2014
2019-08-07T17:31:40+00:00 07.08.2019 19:31
Huhu 😍❤😋😘


Ich freue mich, dass du es geschafft hast ein Kapitel zu schreiben. Kann es aber auch verstehen wenn es mal wieder so lange dauert. 😁
Nun komme ich auch endlich dazu, was zu schreiben. Wie ich dir schon gesagt habe kamen mit beim Lesen schon die Tränen.


Das Kapitel ist die wieder so gelingen, dass man dachte man steht daneben.

Man kann zwar geht verstehen warum Hayato so ein Arsch ist bei so einen Vater, ich habe zwar ein Krümel Mirleid mit ihn, dennoch kann ich ihn nicht leiden. Was er alles getan hat, kann er nie gut machen und gerechtfertigen.

Ich hoffe das Mimi auf ihn keine Rücksicht nimmt und es durch zieht. Das wäre ihre Chance. Sie muss sie nutzen wenn die die Beziehung zur Tai retten will. Wenn sie ihre Richtige Familie zurück haben will.

Das mit Tai und Mimi tat mir so sehr weh. Man hat gemerkt wie beide darunter leiden. Und man sieht was da raus kommt wenn man alles alleine machen will. Ich kann beide zwar verstehen dennoch bin ich mehr auf Tais Seite. Er hat so sehr um Mimi gekämpft wollte nicht aufgeben und mit Sicherheit hätten beide selbst dafür eine Lösung gefunden. Dennoch war es von Tai ein Fehler besoffen zu Mimi zu gehen/fahren. Wer weiß wie er in seinen Zustand dahin gekommen ist. Und wenn alles noch vor Hope. Sie ist zwar klein bekommt aber immer mehr mit als man will. Und den Papa so zu sehen war bestimmt nicht leicht, auch weil sie es nicht verstehen kann. Ich hoffe nur das er wirklich Heil nach Hause kommt und keinen scheiß baut. Irgendwie macht mir der Satz ,, Es fühlte sich an, als wäre es das letzte Mal gewesen, dass wir uns sehen sollten. " bisschen Angst.

Also nur noch 2 Kapitel, ob es da wirklich gut aus geht 🙈. Ich hoffe es ja so sehr. Ich freue mich schon aufs neue Kapitel.

Ich wünsche euch 3 eine schöne rest Woche und ganz liebe Grüße ❤😍😘🌷


Antwort von:  Khaleesi26
23.09.2019 09:58
Hallo Liebes :*
Bevor ich das neue Kapitel hochlade, wollte ich dir unbedingt noch antworten. Man kommt echt gefühlt zu nichts mit Baby 😅

Danke, für dein Kompliment & ich freue mich, dass dir das Kapitel so gut gefallen hat!

Ohje Hayato hat es wohl echt versaut, was 😅 kann man ja auch verstehen, dass er als Charakter bei dir unten durch ist. Nur irgendwie muss ja für Hope eine Lösung her und das am Besten ohne Rosenkrieg. Es haben echt alle schon genug gelitten 🙈

Hmm, dass Dir der letzte Satz Angst macht, ist verständlich. Gerade hat sich ja auch alles so sehr zugespitzt, dass man schwer beurteilen kann, wie es für Mimi und Tai endet... gerade haben sich alle nicht mit Ruhm bekleckert. Mal sehen, ob sie das noch mal geradebiegen können... :/

Genau 😅 die Geschichte neigt sich dem Ende 😭 aber auch wenn jetzt nur noch so wenige Kapitel kommen... es passiert noch einiges.

Habt einen schönen Start in die Woche!
Liebe Grüße 😊
Von:  Desiree92
2019-08-07T16:01:58+00:00 07.08.2019 18:01
Auch hier freue ich mich über das neue Kapitel, was sehr toll geworden ist.

Nach diesem Kapitel kann man Hayato ein bisschen besser einschätzen. Kein Wunder das er teilweise ein echtes Arsch ist. Bei so einem Vater wundert mich das nicht. Glaube er hat noch eine ganz andere Seite in sich ... mal schauen ob wir diese zu Gesicht bekommen.

Das zwischen Mimi und Tai ist so schade ... kann die Reaktionen beider Seiten so gut verstehen 😓

Bin echt gespannt was noch so auf uns zukommt und freue mich sehr auf die neuen Kapitel.

Liebe Grüße ☺️
Antwort von:  Khaleesi26
20.09.2019 16:44
Huhu :) Schön, dass dir das Kapitel gefallen hat!

:D wen wundert das jetzt noch... wer mit so einem Vater aufwachsen muss, der kann im Prinzip nur selbst ein A*loch werden. Aber vielleicht meint er es ja auch wirklich ernst und will sich Hope zuliebe ändern ;)

Ob es für Mimi und Tai noch ein Happy End geben wird, bleibt abzuwarten. Momentan haben sie beide Mist gebaut... Mimi wohl etwas mehr als Tai *:D

Ich wünsch dir schon mal viel Spaß beim Weiterlesen. Das neue Kapitel wird jetzt irgendwann am Wochenende kommen, wenn ich es schaffe.

Liebe Grüße
Khaleesi


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