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Die Prinzessinnen von New York

Another romantic version
von

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Drei

Rastlos lief er in seinem Zimmer hin und her. Setzte sich kurz in den Sessel, um wenig später wieder aufzuspringen. Er fühlte sich wie ein hungriger Tiger in einem Käfig. Es war bereits eine Woche her, seit Emma ihm ihre Liebe gestanden hatte. Und den ganzen restlichen Tag hatte sie ihn gebeten, nicht zu antworten. Er hatte bereits mehrere Nachrichten verfasst, sie aber nie abgeschickt. Ebenso wenig wie den Brief, der in der Schublade seines Schreibtisches lag und in dem er sich alles von der Seele geschrieben hatte. Diesen öffentlichen Kuss hatte niemand gesehen, sodass Emma nicht als “schlecht erzogen” in die Klatschspalten gelangte. Aber dass sie so viel für ihn riskierte, machte ihn rasend. Ihre Familie war noch nicht lange hier und sie setzte alles aufs Spiel, ausgerechnet für ihn. Henry Schoonmaker, den Schürzenjäger New Yorks. Es war zwecklos, sich etwas vorzumachen. Er würde niemals eine Zukunft mit ihr haben können, dafür hatte er in seiner Vergangenheit zu viel falsch gemacht. Und er würde sie dafür gewiss nicht leiden lassen.

 

Ich werde heute Nacht an dein Fenster kommen.

Bitte, hör mich an.

- H.S. -

 

An ihr Fenster? Ihr Zimmer lag im zweiten Stock. Wie stellte er sich das vor? Sicher, die Hausseite, an welcher ihr Fenster lag, zeigte nicht zur Straße, sodass die Laternen es nicht beleuchteten. Und einen kleinen Balkon hatte sie auch, aber wollte er sich darunter stellen? Er würde zu viel Aufmerksamkeit erregen. Ganz zu schweigen davon, dass ihre Eltern ihn hören würden, wenn er von dort aus mit ihr reden wollte. Und wenn er vorhatte heraufzukommen? Nein, das war absurd. Diese Höhe könnte er nicht aus dem Sprung erreichen und einen Baum oder Ähnliches gab es hier auch nicht, den er zu Hilfe nehmen konnte. Ihr Herz hämmerte in ihrer Brust. Sie war ganz aufgeregt und gleichzeitig wollte sie ihn nicht sehen. Emma konnte den Gedanken daran, wie sie ihn einfach in aller Öffentlichkeit geküsst und ihm dann ihre Liebe gestanden hatte, nicht ertragen. Es war die reine Wahrheit gewesen, denn sie liebte ihn. Aber sie hatte damit alles verändert. Sie hatte sich mit den kurzen Momenten, den Gesprächen und den leichten Berührungen zufrieden geben wollen, doch dann hatte sie seinen Blick bemerkt. Den ganzen Tag war er in Gedanken gewesen, beteiligte sich nicht sonderlich an den Gesprächen mit Diana und Edward, doch immer hatte er sie im Blick. Sie hatte sich nie zuvor sicherer in der Gegenwart eines anderen Menschen gefühlt. Und er hatte sie durchschaut. Voll und ganz. Doch wenn sie ganz ehrlich zu sich selbst war, so hatte sie von Anfang an gewusst, dass es ein großes Risiko barg, sich mit Henry Schoonmaker einzulassen. Er war ein Mann, der frei sein wollte. Ungebunden, nicht an ‘die Ketten der Ehe’ gefesselt. Und dennoch war es einfach so aus ihr herausgeplatzt. „Ich liebe dich!“ Sie hörte es immer wieder in ihren Gedanken und wünschte sich, es rückgängig machen zu können. Emma hatte natürlich sein überraschtes Gesicht bemerkt, wie auch nicht?! Er war ihr so nah gewesen und doch waren sie weit voneinander entfernt. Sie löschte das Licht und warf einen letzten Blick aus dem hohen Fenster, das auf ihren Balkon führte. Während sie ein paar Schatten beobachtete, griffen ihre Finger automatisch an den kleinen Verschluss, den Haken, der die Fensterflügel verschloss, und ließ ihn zurückklicken. Ihr kam dieses sonst so leise Geräusch, wie ein ohrenbetäubender Knall vor. Fast erwartete sie, dass ihre Eltern in ihr Zimmer kamen und sie dafür zurechtwiesen. Sie konnte förmlich den tadelnden Blick ihrer Mutter vor sich sehen, als plötzlich eine schwarze Gestalt über die Brüstung des Balkons kletterte und sich dem Fenster näherte. Er war in einen schwarzen Mantel gehüllt, blickte sie aus ruhelosen Augen an. Angsterfüllt kniff sie die Augen zusammen und presste ihre Hände gegen das weiße Holz des Rahmens, sodass sie ihn daran hindern konnte, die Fensterflügel zu öffnen. Er trat noch näher an das Glas heran und wisperte: „Bitte, Emma. Lass mich rein.“ Ihr Herz raste vor Panik und sie schüttelte vehement den Kopf, die Augen noch immer geschlossen. Sie würde seinen Blick nicht ertragen können. Wie viel würde sie daraus lesen können? „Ich flehe dich an“, fuhr er fort und alles in ihr schrie auf vor Schmerz. Ihm so nah zu sein und ihn dennoch von sich stoßen zu müssen, verursachte eine solche Qual, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Die Kraft in ihren Händen ließ nach und die Sehnsucht, sich in seine Arme zu schmiegen, siegte. Sie zitterte und ehe sie zu Boden sinken konnte, schlang Henry seine starken Arme um sie und hielt sie einfach fest. Emma nahm den Duft wahr, der ihn umgab. Pomade, Zigarettenrauch und der herbe Geruch von Scotch. „Du hättest nicht kommen sollen“, flüsterte sie. „Ich musste es einfach tun.“ „Nein, nicht um meinetwillen.“ „Wir müssen darüber reden“, widersprach er und Emma bedeckte schnell ihre Ohren mit den Händen. „Kein Wort. Ich ertrage das nicht. Nicht von dir, bitte.“ Er umfasste ihre Handgelenke und führte ihre Hände an seine Brust. „Willst du dich den Rest deines Lebens vor mir verstecken, nur um nicht zu hören, was ich vor einer Woche hätte antworten wollen?“ „Henry, nicht, ich flehe dich an. Quäl mich nicht!“ Sie versuchte alles, um sich aus seinem festen Griff zu lösen, doch es gelang ihr nicht. Natürlich war er stärker als sie. „Warum hast du solche Angst vor mir?“ „Nicht vor dir… Ich weiß, wie unmöglich es von mir war, dich einfach in aller Öffentlichkeit zu küssen und so etwas zu sagen. Ich wünschte, ich könnte es rückgängig machen. Aber eine solche Kraft besitze ich nicht.“ „Das heißt, es ist dir peinlich?“ „Nein, es war schließlich die Wahrheit, ist es noch immer. Aber wir kennen uns noch nicht lange. Ich hätte das einfach nicht sagen dürfen. Nicht so, nicht an diesem Ort und nicht dir.“ Er blickte sie wie betäubt an. „Nicht mir?“, brachte er mühevoll hervor. Sie nutzte seine derzeitige Schwäche, um sich von ihm zu lösen und ein paar Schritte vor ihm zurückzuweichen, sodass sie hinter einem Stuhl vor ihrem Kamin stand. „Du bist ein Mensch, der die Freiheit liebt. Jemand, der sein Leben lang ungebunden sein möchte. Mein Geständnis hat dich in eine unmögliche Lage gebracht. Es ist nur verständlich, wenn du jetzt… Ich möchte nur einfach nicht… Nicht von dir…“ Emma weinte und schlug ihre Hände vor den Mund, um nicht aufzuschluchzen. Tränen rannen über ihre Wangen. Er wollte nicht, dass sie litt. Doch seine bloße Anwesenheit schien ihr solche Qualen zu bereiten, dass es sein Herz fest zusammenzog und kurz erstarren ließ. „Ich möchte nicht… Nicht… Sag es nicht!“, flüsterte sie und sank auf ihre Knie.

„Ich liebe dich!“ „Was?“ „Ich liebe dich! Und ich sage das nicht, um dich vom Weinen abzuhalten. Auch wenn ich gestehen muss, dass ich mit so etwas wirklich nicht umgehen kann. Ich liebe einfach alles an dir. Außerdem würde ich jede Chance auf ein ‘freies‘ Leben aufgeben, wenn ich dafür nur mit dir zusammen sein könnte. Also zieh dich nicht vor mir zurück, stoß mich nicht weg. Und, bitte, hör auf zu weinen.“ Er ließ sich vor ihr auf die Knie fallen, wischte die Tränen von ihrem Gesicht und küsste sie dann auf die Lippen. Henry war dabei nicht so vorsichtig, wie er es eigentlich beabsichtigt hatte. Zudem war er auch mit einem anderen Ziel hergekommen. Er hatte sie schützen und sich von ihr verabschieden wollen. Doch wie sollte er eine solche Frau auch einfach ziehen lassen, wenn sie ihn so sehr liebte und brauchte? Sie hätte all ihre Gefühle zurückgestellt, nur um ihm seine Freiheit zu lassen. Nachdem sie ihre Lippen geöffnet hatte und seine Zunge die ihre berührte, umschloss er sie noch fester mit seinen Armen. Er drückte sie rücklings zu Boden und küsste sie weiter fordernd. „Henry“, keuchte sie, als sie ihre Lippen kurz voneinander lösten, „das kann ich nicht tun.“ Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell. Von ihm unbemerkt hatte er eine seiner Hände auf ihren Schenkel gelegt und dabei ihr Nachthemd ein Stück herauf geschoben. „Ich,…verzeih mir…das wollte ich nicht… Wirklich!“ Er wollte aufspringen, ihr ein wenig Raum geben, doch Emma hinderte ihn daran. „Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest. Es ist alles in Ordnung, Henry. Nur,… kannst du mich einfach noch ein wenig in deinen Armen halten?“ Er atmete erleichtert aus und lächelte sie an. „Gern.“ „Solange es geht?!“ „Ja.“ „Sagst du es noch einmal?“, fragte sie leise und eine einzelne Träne rann ihre Wange hinab. Er fing sie mit seinen Lippen auf und hauchte dann, sein Mund ganz nah an ihrem Ohr: „Ich liebe dich.“

 

Er hatte nicht eine Minute geschlafen. Wie sollte er auch? Neben ihm lag das schönste Mädchen, das er je gesehen hatte und er hatte sich nie wohler in seiner eigenen Haut gefühlt. Auch wenn er die Probleme eigentlich nur für ein paar Stunden ausblenden konnte, die jetzt noch auf sie zukommen würden. Henry hatte sie in den Armen gehalten und bevor sie einschlief in ihr Bett getragen. Er wollte dann auf demselben Weg verschwinden, wie er gekommen war, doch Emma hatte ihn aufgehalten und gebeten zu bleiben. Das war nicht zweimal nötig gewesen. Jetzt blickte er in ihr schlafendes, friedliches Gesicht und strich ihr eine Strähne des kastanienbraunen Haares aus der Stirn. Die Sonne ging langsam auf und ein paar Strahlen brachen durch das Fenster, das er am gestrigen Abend durchschritten hatte. „Du bist noch hier“, meinte Emma plötzlich verschlafen und lächelte ihn sanft an. „Ich konnte mich einfach nicht von dir trennen“, antwortete er und beugte sich zu ihr hinunter, um sie zu küssen. „Ich habe von dir geträumt. Es war schön.“ „Ich habe dich angesehen, das war auch schön.“ Ihre Wangen erröteten. „Du meinst die ganze Nacht?“ „Ja.“ „Hast du gar nicht geschlafen?“ „Nein. Das hole ich heute Nachmittag nach.“ „Ich hätte dich nicht bitten sollen, zu bleiben. Du siehst müde aus.“ Ihre Finger strichen sanft über sein Gesicht und er schloss sie wieder in seine Arme. „Doch, das war gut. Du kannst das gerne öfter tun.“ Er spürte ihren warmen Atem an seinem Hals, als sie lautlos lachte. Dann seufzte sie und fragte wispernd: „Was sollen wir jetzt tun?“ „Mein Vater bat mich, mich öfter um dich zu kümmern, aber ich denke nicht, dass es einfach für uns wird. Sobald dein Vater all die Dinge über mich hört…“ „Um ehrlich zu sein, macht mir der nicht so viele Sorgen. Meine Mutter ist in diesen Angelegenheiten viel schlimmer.“ „Wirklich?“ „Ja, ich genieße das Vertrauen meines Vaters, aber meine Mutter,… nun… sie hält mich für ein ungehorsames und undankbares Mädchen. Und wenn ich dann auch noch sage, dass ich dich in die engere Wahl ziehe und mein Vater einverstanden ist, wird sie noch mehr dagegen sein. Und hier in New York ist sie noch strenger als damals in Chicago. Dort hat sie sich immer zurückgehalten, wenn ich wieder einen Junggesellen abgelehnt habe.“ „Dann müssen wir eben dafür sorgen, dass sie glaubt, sie hätte diese Wahl für dich getroffen…“ Emma blickte verwirrt zu ihm auf. „Lass mich nur machen“, erklärte er und schlug dann die Decke zurück, um aus dem Bett zu klettern. „Ich muss jetzt zurück, sonst erkennt man mich noch oder ich werde von deiner Zofe erwischt. Das riskieren wir lieber nicht!“ „Sehen wir uns bald wieder?“, fragte sie und schlang schützend die Decke um ihren Körper, weil er bereits das Fenster geöffnet hatte und ein frischer Morgenwind ins Zimmer wehte. Ein paar braune Locken rahmten ihr helles Gesicht und sie wirkte so unschuldig in den weißen Laken, dass er kaum glauben konnte, was er plötzlich tat. Er nahm die paar Schritte zurück zum Bett, schloss ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie leidenschaftlich. „So schnell wie möglich“, meinte er mit rauchiger Stimme und blickte dann in ihre großen Augen. „Unbedingt“, antwortete sie und wandte sich zu ihrem Nachttischchen um. Dann kramte sie in der Schublade und zog eine kleine Schere hervor. Mit einem kurzen metallnen Geräusch schnitt sie sich ein Stück einer Locke ab und reichte es ihm. „Damit dich etwas an mich erinnert.“ Sofort griff er in seine Brusttasche und förderte sowohl seine Taschenuhr, die er einst von seinem geliebten aber leider verstorbenen Großvater geschenkt bekommen hatte, als auch ein seidenes weißes Taschentuch zu Tage. Letzteres reichte er ihr. „Ich wünschte, ich hätte etwas Persönlicheres, aber…“ „Es ist perfekt, wirklich!“ Sie führte es an ihre Lippen und lächelte dann kurz. „Es riecht nach dir… Geh jetzt, sonst wird es nur noch schwerer für mich dich zu verabschieden.“ Er verwahrte die Locke in der anderen Seite der Taschenuhr, in die man eigentlich ein Foto hineintat. Noch ein letztes Mal berührten sich ihre Lippen, dann ging er auf den Balkon, vergewisserte sich, dass niemand ihn sah und kletterte das Rosengitter neben ihrem Fenster hinab, um im morgendlichen Nebel New Yorks zu verschwinden.

 

Wenige Abende später war sie zur Metropolitan Oper am Broadway eingeladen, in die Loge der Schoonmakers. Ihre Mutter war sogar einigermaßen zufrieden mit dieser Wendung gewesen. Zumindest wenn man ein kurzes Nicken in ihre Richtung so deuten konnte. Sie war sich nicht ganz sicher, ob Henry seinen Vater auf diese Idee gebracht hatte, aber sie freute sich auf Sohn und Vater. Auch wenn sie schon von der Machtbesessenheit des Seniors gehört hatte, unterhielt sie sich immer sehr gern mit ihm. Er hatte eine beachtliche Kunstsammlung und sie fachsimpelte, wann immer es möglich war, mit ihm über die verschiedensten Künstler. Und sie hatte bemerkt, dass er gelegentlich eines seiner seltenen Lächeln offenbarte, wenn sie leidenschaftlicher über ihre liebsten Bilder sprach. Emma hatte das Kleid angezogen, das ihr besonders am Herzen lag, und konnte es kaum erwarten, dass Henry sie darin sah. Es war ein bordeauxfarbenes, eng tailliertes Kleid mit V-Ausschnitt und angesetztem Rock. Am Saum war es mit schwarzer Spitze besetzt. Sie wirke darin besonders schlank, hatte ihr Vater einmal gesagt. Und in der Tat. Als sie es in Chicago angehabt hatte, bei Bällen oder Abendgesellschaften, war ihr die Aufmerksamkeit der Männer immer gewiss gewesen, obwohl sie es dort nie darauf angelegt hatte. Charlotte hatte auf ihren Vorschlag hin, ihr Deckhaar zurückgebunden und das Haar ansonsten in weichen Wellen, über ihren Rücken hinweg, offen fließen lassen. Emma fühlte sich stark und glücklich als sie aus der Kutsche stieg und die Familie Schoonmaker sie am Eingang des Opernhauses begrüßte. Ihre Eltern waren nicht mitgekommen, sodass sie sich zwar nicht so sehr anstrengen musste, aber dennoch dachte sie an den Anstand, der ihr seit frühester Kindheit eingebläut worden war. „Miss Thompson, wie schön, dass Sie es einrichten konnten“, meinte William, nachdem sie kurz geknickst und einen schönen Abend gewünscht hatte. „Ich habe mich sehr über Ihre Einladung gefreut. Es ist lange her, dass ich eine Oper besuchen konnte“, antwortete sie, „und ich fühle mich sehr geehrt, dass ich sie aus Ihrer Loge ansehen darf.“ „Aber nicht doch. Ich bin mir sicher, Ihr Vater wird bald seine Eigene erhalten. Dann können Sie so oft herkommen, wie Sie möchten. Zumindest, wenn es Ihre Zeit erlaubt. Aber ich gestehe, eine weitere Dame in der Loge sitzen zu haben, freut mich sehr.“ Emma lächelte höflich und ließ sich dann von Henry, der still vor sich hin schmunzelnd dagestanden hatte, in das große Theater führen. Am Empfang half er ihr aus ihrem Mantel und es blieb von ihr nicht unbemerkt, dass er sie dabei mehr berührte als es nötig gewesen wäre. Sie fuhr kurz über ihr Haar, um es zu überprüfen und wandte sich dann dankend zu ihm um. Er trug eine schwarze Weste, darunter ein weißes Hemd und einen schwarzen Schlips, dazu passend eine schwarze Hose. Aus der Brusttasche blitzte die Kette ein kleines Stück hervor, an der seine Taschenuhr befestigt war. Ein kurzes Lächeln huschte über ihre Lippen, weil sie daran dachte, was ebenfalls darin verwahrt war. Dann erst fiel ihr sein Blick auf. „Sie sehen wunderschön aus, Miss Emma“, keuchte er und schluckte einmal schwer. „Vielen Dank.“

Ihm war ganz schwindlig. Er hatte bereits den Saum ihres Rockes gesehen, als sie aus der Kutsche gestiegen war, aber dass darunter ein solches Kleid steckte, das ihre Schönheit so stark erstrahlen ließ, hatte er sich nicht träumen lassen. Sie atmete aufgeregt, was dafür sorgte, dass sich ihr Brustkorb schnell hob und senkte. Das Rot leuchtete in der Eingangshalle und ließ sie stark und noch schlanker aussehen. Dann erst bemerkte er die Blicke der umstehenden Männer. Alle hatten nur Augen für Emma. Und es war ihm das reinste Vergnügen, ihr den Arm anzubieten und damit allen Männern hier zu signalisieren, dass sie ihm gehörte. Wenn sie sich auch nicht denken konnten, wie sehr er das wirklich wollte. Und dennoch war es als würde sich ein wütender Tiger in seiner Brust regen, der ihnen zubrüllen wollte, dass sie sich von ihr abwenden sollten. Keiner hier sollte das Recht besitzen, sie so anzusehen. „Ich wünschte, wir könnten irgendwo allein sein“, wisperte sie ihm leise zu, sodass nur er es hören konnte und die Eifersucht legte sich schlagartig. Sie fühlte also dasselbe. Oder hatte sie etwa seine Gedanken aus seinem Gesicht ablesen können? Er musste wirklich vorsichtiger sein.

„Ich befürchte, dieses Kleid war doch eine schlechte Wahl“, meinte sie dann und spürte, wie er seinen Arm fester an den Körper zog, um wenigstens ihren Handrücken tröstend an sich zu ziehen. „Wieso?“, fragte er leise und sie schritten gemeinsam die Stufen zu den Logen hinauf. „Es erregt zu viel Aufmerksamkeit. Dabei hatte ich es nur angezogen, um mich stärker zu fühlen“, flüsterte sie und fügte dann noch leiser hinzu: „Und für dich.“ Schon wieder wurde sie rot im Gesicht und versuchte es zu verheimlichen, indem sie einen Blick in die Logen warf, an denen sie vorbeikamen.

 

„Wieso nur ist dir ein solcher Grund unangenehm?“ „Weil es sich nicht ziemt“, erinnerte sie ihn zischend, doch er lachte nur kurz auf. „Ich fühle mich geschmeichelt, weil du dir solche Gedanken darüber machst, noch schöner aussehen zu wollen. Und das für mich. Obwohl es mir nicht egal ist, wie die anderen Männer dich ansehen. …Aber du gehörst mir nicht und daher sage ich, dass du wunderschön aussiehst.“ „Doch, voll und ganz“, antwortete sie und beide sahen sich gleichzeitig an. Ihre Augen blitzten ihm entgegen. Am liebsten hätte er sie jetzt an sich gezogen und geküsst, aber das wäre wohl ein fataler Fehler. So begnügte er sich damit, sie länger anzusehen als es sich gehörte und warm auf sie herab zu lächeln.

 

Der gestrige Opernbesuch unseres Kolumnisten sorgte für einige Erkenntnisse und wundersame Beobachtungen.

Bisher hatten Gerüchte über eine bevorstehende Verlobung von Henry Schoonmaker mit der jungen Miss Penelope Hayes die Presse in Atem gehalten, doch nun scheinen einige Veränderungen anzustehen. Die junge Miss Emma Thompson, ebenso atemberaubend schön wie wohlerzogen, war Gast in der Loge der Familie Schoonmaker. Sie und der Sohn der Familie gaben ein wundervolles Paar ab und nun wird natürlich gemunkelt, was für eine Bewandtnis dahinter steckt. Schon der Tanz der beiden beim Sommerball der Familie Cutting hatte einiges Aufsehen erregt und für viel Gesprächsstoff in den Kreisen der höheren Gesellschaft gesorgt.

Man sollte anmerken, dass der Presse bisher keinerlei Ankündigungen über eine Hayes/ Schoonmaker Verlobung zugegangen sind, sodass in diesem Fall noch alles offen erscheint. Wir zumindest, möchten nicht an der Stelle William Schoonmakers stehen, der sich zwischen zwei jungen Damen entscheiden muss - eine schöner als die andere -, damit eine von diesen seinem Sohn als nächste Mrs. Schoonmaker zur Seite stehen kann. Denn die Rachsucht einer verschmähten Frau sollte nie unterschätzt werden.

 

- Gesellschaftskolumne der New York News Of The World Gazette,

Montag, den 20. August 1899

 

Penelope rauchte vor Wut. Wäre jemand vom Personal in der Nähe gewesen, hätte sie ihn angeschrien und wegen Belanglosigkeiten herumgescheucht. Doch sie war allein, abgesehen von Robber, ihrem Boston Terrier. Im Salon schritt sie, rasend vor Zorn, auf und ab, sodass ihr Kleid laut zu rascheln begann. Ihr war natürlich aufgefallen, dass Henry in letzter Zeit oft bei all den Veranstaltungen zugegen war, sich jedoch von ihr weit möglichst fernhielt. Und ihr war auch der Verdacht gekommen, dass er sich einen anderen Zeitvertreib gesucht hatte, aber ausgerechnet diese…?! Ihre sonntäglichen Stelldicheins mit dem jungen und gut aussehenden Schoonmaker hatten abrupt geendet. Ein oder zwei Mal hatte sie es verkraftet, aber dass er dann gar nicht mehr auftauchte und es nicht einmal für nötig hielt, ihr bescheid zu geben, beschämte sie zutiefst. Und jetzt lief er diesem Ding hinterher, das erst wenige Wochen zuvor aus Chicago gekommen war und sich für etwas Besseres hielt. Aber sie war Penelope Hayes und ließ sich äußerlich nichts davon anmerken. Innerlich aber schmiedete sie Rachepläne und nun hatte dieser Zeitungsartikel alles für sie entschieden. Der war es gewesen, der das Fass zum Überlaufen hatte bringen lassen. Henry gab sie keine Schuld. Diese Göre aus Illinois war dafür verantwortlich und das würde sie noch zu spüren bekommen. Niemand legte sich ungestraft mit ihr an. Sie rief nach einem Boten und schickte ihn mit einer Nachricht los. ‘Warte es nur ab, Emma’, dachte sie, ‘niemand sollte mir in die Quere kommen.’

 

„Er ist ein reicher Junge aus gutem Hause”, meinte Dorothea und ihr Mann faltete die Zeitung zusammen, aus der er seinen zwei Frauen eben vorgelesen hatte. Emma saß stillschweigend in ihrem Sessel und trank dann einen Schluck Tee. „War er nett zu dir?“, fragte er und blickte sie durchdringend an. „Er war sehr zuvorkommend und er wusste sich gewählt auszudrücken“, antwortete sie ruhig und faltete ihre Hände in ihrem Schoß. „Also ist er kein Dummkopf und hat Manieren. Nun, es gibt also doch noch wahre Männer in New York.“ „Sein Vater möchte in die Politik, soweit ich weiß. Emma könnte also in eine einflussreiche Familie einheiraten. Wir sollten ihn in Betracht ziehen“, erwiderte Dorothea und erhoffte sich regen Zuspruch ihres Mannes. Doch der schwieg eine Weile und betrachtete nochmals seine Tochter. Sie kannte dieses Verhalten nur zur Genüge. Er wollte sehen, was Emma davon hielt, doch die hielt sich wie immer zurück und ihr war es unmöglich ihre Reaktionen zu deuten. Nicht so Matthew. Selbst, wenn sie nur kurz blinzelte, wusste er genau, was mit ihr los war. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass ihre Meinung nur halb so viel für ihn zählte, wie die seiner Tochter. „Ebenso“, meinte er nun, „sind mir ein paar Dinge über den jungen Schoonmaker zu Ohren gekommen, die nicht gerade für ihn sprechen.“  „Wovon sprichst du, Matthew?“ „Er soll eine Schwäche für schöne Frauen haben, milde ausgedrückt. Zudem hält er nicht allzu viel von den gesellschaftlichen Verpflichtungen. Obwohl das nicht zu stimmen scheint, schließlich war er bisher immer anwesend. Und er soll ein Genießer von Alkohol und Zigaretten sein.“ Emma zuckte nicht einmal mit der Wimper, als er sein Wissen preisgab. Dorothea hingegen machte ihrem Unmut Luft. „Ein Frauenheld? Welch furchtbarer Gedanke. Wenn das so ist, sollte er nicht als Kandidat in Betracht kommen. Auch wenn die Familie Einfluss besitzt. Solche Schlagzeilen dürfen nicht mit uns in Verbindung gebracht werden.“ Emma trank noch einen Schluck Tee. „Dorothy, das sind Gerüchte, die mir da zu Ohren gekommen sind. Niemand konnte es je beweisen. Und wie heißt es noch? Unschuldig bis zum Beweis der Schuld. Nicht wahr?“ Er blickte zu seiner Tochter, die ihren Kopf schräg legte und dann sagte: „Er hat mich in keinster Weise schlecht behandelt, und ich konnte auch nichts erkennen, was auf solche Gerüchte schließen lässt. Aber ich kenne ihn natürlich noch nicht lange.“ Matthew liebte diese Art an ihr sehr. Sie wagte es nie ein vorschnelles Urteil zu fällen, egal, wie schlimm die Gerüchte waren, die über eine Person kursierten. Doch ebenso wenig ließ sie sich anmerken, wie sehr sie diesem Menschen vertraute und wie stark sie für ihn eintreten würde, wenn es zum Äußersten käme. Aber ihm war bereits jetzt bewusst, dass sie Henry sehr mochte und es keinen Sinn hatte, ihr diesen auszureden. Und das wollte er auch nicht. Für ihn war es am Ende nur wichtig, dass sie aus den richtigen Gründen heiratete. Selbst, wenn das bedeuten sollte, dass sie einen Bettler zum Mann nehmen könnte. Matthew wollte vor allem, dass sie ihre Entscheidung nicht bereuen muss und glücklich wird. Es klopfte leise an der Tür und eine der Bediensteten des Hauses schlüpfte hinein und reichte Emma eine Karte. „Von Penelope Hayes“, erklärte diese und öffnete dann den Umschlag.

 

Miss Emma,

Ich bin untröstlich, dass ich erst jetzt dazu komme, mich Ihnen vorzustellen. Ich hoffe, Sie können mir mein unmögliches Verhalten verzeihen und folgen meiner Einladung zum Tee am morgigen Nachmittag. Auch wenn es kurzfristig ist. Es wäre mir eine Freude, wenn Sie erscheinen und ich Sie als Gast im Hause meiner Eltern begrüßen dürfte.

Hoffnungsvoll

P. Hayes

 

„Sie lädt mich zum Tee in das Haus der Hayes ein“, teilte Emma mit und ihre Mutter ließ sich zufrieden in den Sessel sinken. „Wie es scheint, sind wir sehr beliebt. Geh dort hin. Je mehr Freunde du hast, umso besser ist es“, meinte sie. „Natürlich, Mutter. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen. Ich möchte noch ein wenig studieren“, verkündete Emma und verschwand aus dem Salon. Sie befürchtete das Schlimmste und musste unbedingt mit Henry darüber reden.

 

„Es ist wirklich ungewöhnlich, dass eine solche Bitte von dir kommt“, sagte er, als er im Dunkeln das Rosengitter heraufgeklettert war und vor ihr auf dem Balkon stand. „Ich hatte doch geschrieben, dass es auch auf schriftlichem Wege genügen würde“, verteidigte sie sich, doch Henry schüttelte verschmitzt lächelnd den Kopf. „Sei nicht albern. Ich habe dich seit gestern Abend nicht gesehen. Da werde ich mich doch wohl nicht fernhalten, wenn du mich um Hilfe bittest.“ Und ehe sie zu einer Antwort ansetzen konnte, hatte er bereits seine Arme um ihre Hüfte geschlungen und sie für einen langen Kuss an sich gezogen. „Es sind eher Antworten, die ich benötige“, begann sie und reichte ihm die Karte, die sie am Nachmittag erhalten hatte, „Ich dachte vielleicht, du wüsstest, was das bedeutet.“ Während er weiter ins Zimmer ging, schloss sie die Flügel ihres Fensters. Nachdem Henry die Einladung gelesen hatte, blickte er sie besorgt mit zusammengezogenen Augenbrauen an. „Also doch… Wie ich befürchtet hatte…“, seufzte sie und ging weiter, um sich aufs Bett zu setzen. „Penelope plant sicher nichts Gutes, aber vielleicht ist es auch harmloser als wir im Moment glauben. Manchmal ist sie schwer zu durchschauen“, meinte er. „Hast du den heutigen Artikel gelesen?“ „Ja. Nicht nur einmal.“ Sie lächelte kurz, doch dann wurde sie wieder ernst. „Sie ist sicher wütend. …Aber ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich liebe dich und wenn sie mich direkt danach fragt, werde ich ihr das auch sagen. Und mit ihr will ich nun wirklich nicht befreundet sein. Diana hat mir erzählt, was für eine Intrigantin sie ist. Und schon wie sie mich immer bei den Veranstaltungen angesehen hat… Feindselig. So jemanden braucht niemand zur Freundin.“ „Da hast du deine Antwort ja ganz allein gefunden.“ „Dann bist du ganz umsonst gekommen…“ „So würde ich das nicht unbedingt sehen.“ Er beugte sich weit über sie, sodass sie rücklings auf das Bett sank und er sich über sie legen konnte. Ihr Haar lag wie ein Fächer um ihren Kopf und ihre Wangen waren vor Aufregung gerötet. „Allein für einen solchen Anblick hat sich das Hinaufklettern schon gelohnt“, flüsterte er und strich mit seinen Lippen ganz leicht über ihre. „Mein Vater hätte nichts gegen eine Verbindung zwischen uns“, hauchte sie und küsste ihn dann. Sie wollte seinen Gesichtsausdruck nach dieser Bemerkung nicht sehen, aus Angst, dass ihm das alles zu schnell ging. „Was sagst du da?“ „Er denkt darüber nach…“ „Wirklich?“ „Ja. Und er hat die Gerüchte über dich bereits gehört. Da aber keine Beweise vorliegen…“, sie zuckte kurz mit den Schultern und tat so als wäre nichts Wichtiges vorgefallen. Aber in Wahrheit schlug ihr das Herz bis zum Hals und sie hätte ihn am liebsten voller Freude umarmt. Doch noch war nichts entschieden und sie wollte nicht enttäuscht werden, wenn es doch nicht dazu kommen sollte. Henry rollte sie plötzlich herum, sodass sie auf seinem Schoß saß und er stattdessen auf dem Bett lag. Fast hätte sie dabei vor Schreck aufgeschrien, konnte es jedoch im letzten Moment verhindern. Er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf wie ein Kissen und sah sie ernst an. „Ich werde ein Mann der Tugend sein bis alles vollkommen entschieden ist.“ „Mann der Tugend?“, hakte sie nach und stützte sich mit den Händen leicht auf seinem Bauch ab. Sie kam nicht umhin seine Muskeln zu bemerken und versuchte sich nicht anmerken zu lassen, welch unmögliche Gedanken sich in ihrem Kopf Bahn brachen. „Ich werde nichts mehr tun, was deinen Vater von seinem jetzigen Urteil abbringen könnte. Zuvorkommend, selbstbeherrscht und in keinem Fall negativ auffallend.“ „Egal wo?“ „Nirgendwo!“ „Ach so“, sagte sie und nahm ihre Hände von seinem Bauch. „Was ist?“ „Gar nichts.“ Emma stand von seinem Schoß auf und er bekam gerade noch ihr Handgelenk zu fassen, ehe sie sich auf den Sessel zurückziehen konnte. „Lass es mich genauer erklären: Nirgendwo an öffentlichen Orten!“ „Du Schuft“, meinte sie und verpasste ihm einen leichten Klaps auf die Schulter, „das hättest du auch gleich sagen können.“ „Du meinst also, du würdest mich vermissen?“ „Vielleicht ein bisschen.“ Er küsste sanft ihren Hals und strich ihr Haar aus dem Nacken. „Na gut, nicht nur vielleicht“, keuchte sie und er wanderte weiter zu ihrem Ohr hinauf: „Sag die Wahrheit!“ „Fein,…sehr sogar?!“ „Schon besser“, lachte er und führte dann ihr Gesicht zu seinem.

 

Schon als sie zur Tür hereinkam, drang fröhliches Geplapper an ihre Ohren. Sie erkannte Penelope sofort, die mit ihrem roten Kleid so völlig aus der Gruppe Mädchen heraus stach. „Wie schön, dass Sie es geschafft haben, Miss Thompson“, verkündete sie und hastete auf sie zu, als würden sie sich seit Jahren kennen und seit langer Zeit mal wiedersehen. „Eine solche Einladung konnte ich doch nicht ausschlagen“, antwortete sie höflich und ließ sich dann von Penelope am Arm in die Mitte des Raumes führen. Wie auch die anderen Damen hatte sie ein Kleid aus hellem Stoff gewählt, wie es der Etikette entsprach. Eine Etikette, die Penelope definitiv kannte, aber bei solchen Gelegenheiten wohl gerne missachtete, um aufzufallen. So wirkte sie wie ein Blutstropfen in einem Meer aus weißen Blumen.

Neben der Gastgeberin war Agnes Jones die Einzige, die ihr hier bekannt vorkam. Diana war unter den Anwesenden nicht auszumachen. All die anderen Mädchen sagten ihr rein vom Aussehen her nichts, aber sie wurde jeder von ihnen vorgestellt und Emma versuchte sich alle Namen gut einzuprägen. Nachdem sie dann in Gespräche verwickelt worden war, mit Penelope über Chicago gesprochen hatte und gerade Agnes lauschte, als diese von einem Dinner bei den Havertons schwärmte, meldete eine Zofe Besuch. Penelope reichte sie die Karte, die derjenige hinterlassen hatte und schlagartig veränderte sich der Gesichtsausdruck der 18-jährigen. Sie schaute kurz zu ihr hinüber und begann dann zu lächeln. „Bitte sie herein“, säuselte sie, „wir können sie doch nicht so lange warten lassen.“ Zwei in Anzüge gekleidete Männer traten in den Salon und alle anwesenden Mädchen holten gleichzeitig erschrocken Luft. Sie alle wussten natürlich, wer sie waren und dass Penelope sicher öfter von ihnen Besuch bekam, aber das hautnah mitzuerleben, schien sie alle völlig erstarren zu lassen. Emma jedoch hielt Augenkontakt zu Penelope. Diesen Triumph würde sie ihr nicht gönnen.

 

„Herrje, mit solch geballter Kraft junger, hübscher Damen hatten wir nicht gerechnet“, waren seine ersten Worte und sein Freund pflichtete ihm nickend bei. Die Mädchen seufzten oder kicherten und er erhaschte einen kurzen Blick auf Emma, die sich einen wortlosen Kampf mit Penelope zu liefern schien. Zumindest sahen sie einander an und es wirkte, als hätte diejenige verloren, die als Erste ihren Blick abwandte. „Wir wollten nicht so einfach in einen Nachmittagstee platzen. Wenn wir das gewusst hätten…“, meinte nun Teddy und klopfte ihm auf die Schulter. „Aber nicht doch, meine Herren. Es ist mir natürlich eine Freude, Sie hier begrüßen zu dürfen. Sie werden doch sicher ein paar Minuten für uns erübrigen können…“, schaltete sich Penelope ein und schwebte zu ihnen herüber. Er war sich sicher, dass sie es tat um Emma eine Reaktion zu entlocken, die sie verriet, doch diese ließ sich auf einem Sessel nieder und lauschte wieder Agnes, die ihr Gesellschaft leistete. Und der zweite Grund war, dass die anderen Mädchen sie natürlich noch mehr bewundern sollten. Sie spielte ihnen das ach so wunderbare Verhältnis zu zwei Junggesellen New Yorks vor. Dass ihm früher nie aufgefallen war, wie sehr sie vor anderen brillieren wollte, erschreckte ihn sehr. „Nicht, wenn wir stören“, sagte Teddy und begrüßte nun auch Agnes und Emma. „Sie doch nicht. Und damit meine ich beide.“ „Wie nett. Dann werden wir natürlich ein paar Momente bleiben“, meinte Henry und riss sich zusammen, ihr keinen angewiderten Blick zuzuwerfen.

Emma konnte sich nur schwer davon abhalten lauthals loszulachen. Man sah Henry förmlich an, wie schlecht ihm all diese liebreizenden Floskeln aufstiegen. Und gleichzeitig war sie unglaublich froh darüber, ihn in ihrer Nähe zu wissen. Selbst wenn sie sich jetzt nicht mit ihm unterhalten oder ihn berühren konnte, bedeutete es ihr sehr viel, dass er gekommen war, um nach dem rechten zu sehen. Sie vermied zu viel Augenkontakt und versuchte Agnes’ Worten zu folgen, doch das gestaltete sich schwierig, als Penelope das Gespräch mit den beiden Männern auf ein Thema lenkte, in das sie sie dann einband. „Das Rennen am Samstag wird das spannendste überhaupt, weil ein Favorit aus Virginia kommen soll. Apropos Rennen. Ich habe Sie beim letzten Mal dort vermisst, Miss Thompson. Sonst haben Sie Ihre Eltern doch immer begleitet.“ Aller Augen ruhten nun auf ihr, doch sie setzte ihr höflichstes Lächeln auf und wandte ihren Kopf zu Penelope um, deren Augen ihr entgegen funkelten. Sie sah aus wie eine Schlange kurz vor dem Zubeißen. „Das ist richtig. Ich war nicht da, weil ich Pferderennen nicht gutheiße.“ „Wieso das nicht?“, fragte nun Bernadette Kline, die Tochter eines Bankers. „Ich liebe Pferde. Die Art, wie sie frei und ungezügelt laufen können, fasziniert mich. Aber das sie so etwas auch für den Wettkampf und das Vergnügen der Leute tun sollen, sagt mir nicht zu.“ „Welch interessante Überzeugung…“, flötete Penelope und sie sah das hämische Lächeln. Emma war natürlich bewusst, dass Henry Pferderennen besuchte, darauf wettete und sie gern ansah. Penelope hielt diese Überzeugung wohl für einen Punkt, der ihn an ihr stören könnte. „Danke“, meinte sie jedoch höflich und wandte sich dann wieder Agnes zu. Diese fragte: „Ich hörte, dass Sie in Illinois auch ein Pferd besessen haben. Ist das wahr?“ „Ja. Einen schwarzen Hengst. Mein Vater bekam ihn von einem seiner Geschäftspartner geschenkt, weil dieser seine Stallungen aufgab. Als ich ihn zum ersten Mal sah, war ich sofort verliebt. …Also in den Hengst, natürlich“, lenkte sie ein und ein paar Mädchen lachten. „Das heißt Sie können richtig reiten?“, fragte nun wieder Bernadette und ließ sich auf dem Stuhl neben ihr nieder. Einige andere Mädchen kamen näher. „Ja. Chicago hat einige freie Felder und es ist ein wunderbares Gefühl entgegen des Windes zu reiten.“ „Ritten Sie im Damensitz?“ „Nur, wenn ich in Begleitung war. Allein habe ich es, wenn ich mich kurz von einigen Verpflichtungen entbinden konnte, muss ich gestehen, öfter gewagt auf die Art der Männer zu reiten. Aber verraten Sie das niemandem!“ „Unsere Lippen werden verschlossen sein“, kicherte Agnes. „Gibt es viele Unterschiede zwischen Chicago und New York?“ „Einige. In Chicago zum Beispiel stehen die Häuser nicht so nah beieinander. Manchmal sind minutenlang keine Nachbarhäuser zu sehen. Und die Straßen dort sind auch nicht so viel befahren.“ „Dann hat Sie dieser Kontrast sicher erschreckt?!“ „Nicht sehr. Ich habe viel über die Stadt gelesen und habe auch mit meinem Vater darüber gesprochen. Er war früher schon öfter für einige Geschäfte hier. Es ist natürlich eine Umgewöhnung, das möchte ich nicht leugnen, und ich habe mich anfangs sehr verloren gefühlt, aber… Es gibt Vieles, das ich auch sehr interessant finde. Und meine Großmutter sagte früher immer: Neue Eindrücke erweitern den Horizont. Daran halte ich mich. Und die Menschen hier haben mich sehr nett empfangen. Das erleichtert so Einiges.“

 

Penelope stand mit einem Schlag nicht mehr im Mittelpunkt und das schien ihr gar nicht zu gefallen. Auch Teddy und Henry hatten Emmas Worten gelauscht. Dass sie ein Pferd besaß, war ihm gar nicht bewusst gewesen. Und da erst wurde ihm klar, wie wenig er selbst von ihr wusste. Er nahm sich vor, das sobald wie möglich zu ändern. Sie würde ihm alles erzählen müssen. „Nun, wir haben sie alle genug aufgehalten“, meinte er nun, weil er sich sicher war, dass Emma auch ganz gut ohne ihn zu recht kam. Er hatte sich grundlos solch große Sorgen um sie gemacht. Teddy stand ebenfalls auf, richtete sein Jackett und reichte Penelope die Hand, um dann ihren Handrücken an seine Lippen zu führen. „Wie schade, dass Sie schon gehen wollen“, antwortete sie und fixierte Henry mit ihrem Blick, „Sie sollten öfter vorbeischauen. Es war uns eine Freude.“ „Beim nächsten Mal werden wir mehr Zeit für Sie erübrigen“, antwortete Teddy und deutete einen Diener zu den restlichen Damen an. „Meine Damen“, sagte auch Henry und neigte seinen Kopf in Emmas Richtung. Sie schenkte ihm einen kurzen Augenaufschlag, der bei ihr weitaus ehrlicher wirkte, als bei den anderen jungen Damen. Penelope beobachtete sie wieder, doch sie tat nicht mehr, als auch die restlichen Gäste.

 

Langsam verließen die jungen Damen das Haus der Hayes, nur der Kutscher von Emma schien irgendwie nicht kommen zu wollen. „Es ist wirklich eine Freude, Sie endlich kennen zu lernen“, heuchelte Penelope wieder und Emma war es langsam leid, ihr all diese gekünstelten Lächeln zuzuwerfen. „Wollen Sie mir nicht sagen, ob das der einzige Grund war, mich einzuladen?“, fragte sie nun, endgültig genervt von dem Gehabe. „Wie bitte?“ Die perfekte Maske ihrer Gastgeberin bröckelte nicht, doch sie ließ nicht locker. „Wir wissen beide, dass Sie mich nicht deswegen eingeladen haben. Sagen Sie mir, warum also dann?“ „Sie haben die Gesellschaftskolumne gestern auch gelesen, nicht wahr?“ „Ja, beziehungsweise mir wurde darüber berichtet. Wieso fragen Sie?“ „Ich denke, dass Sie eine ehrliche Person sind, daher werde ich Sie jetzt direkt fragen…“ Die Luft begann zu knistern und Emma spürte förmlich, den unterschwelligen Zorn in Penelope aufflackern. „Haben Sie irgendein Interesse an Henry Schoonmaker?“ „In welcher Art?“ „Das wissen Sie doch.“ „Ich habe mich bisher zwei bis drei Mal mit ihm unterhalten und sein Vater war es, der mich zu der Oper einlud. Welches Interesse vermuten Sie denn dahinter?“ „Sie sollten wissen, dass Einiges, was in der Zeitung steht, auch einen Funken Wahrheit enthält. Daher… Sollten Sie das Interesse an Henry haben, das ich vermute, weise ich Sie höflich darauf hin, dass ich ihn länger kenne und auch besser. Es hätte also keinen Zweck, sich irgendwelche Hoffnungen zu machen.“ Sie hatte Penelope die Wahrheit sagen wollen, wenn sie nach ihren Gefühlen für Henry fragte, doch das Verhalten dieser jungen Frau ließ sie ihre Meinung ändern. Diese verdiente einfach keine ehrliche Antwort. „Drohen Sie mir, Miss Hayes?“ „Nur, wenn Sie das für nötig halten, Miss Thompson!“ Beide lächelten einander an, als dann die Hausangestellte wieder eintrat und die Kutsche meldete, die Emma nach Hause bringen würde. „Ein wirklich interessanter Nachmittag, Miss Hayes. Vielen Dank.“ „Gern. Sie sind natürlich jederzeit willkommen.“

 

„Ich mag ihre Art nicht“, flüsterte sie ihm zu und kuschelte sich noch näher an seine Brust, während er die Bettdecke höher über ihren Körper zog. Sie musste nicht einmal einen Namen erwähnen. „Sie ist Aufsehen erregend“, gab er zu und allein der Tonfall machte deutlich, dass er das nicht im positiven Sinne gemeint hatte. „Dass all die anderen Mädchen nicht merken, dass sie sie für minderwertig hält, macht mir am meisten zu schaffen. Schon die Art, wie sie mit ihnen spricht oder sich ihnen gegenüber verhält.“ „Ich befürchte, dass es ihnen vollkommen klar ist. Aber Penelope ist aufgrund ihres Aussehens, dem Einfluss und dem Geld ihrer Familie nun mal beliebt und sie alle wollen in der Presse neben ihr benannt werden, um in aller Munde zu sein.“ Emma schüttelte ihren Kopf. „Das kann ich einfach nicht nachvollziehen.“ „Ist danach noch etwas vorgefallen?“ „Nein, nicht wirklich.“ Sie fuhr mit ihren Fingerspitzen über sein Hemd und umrundete die Knöpfe. „Was verschweigst du mir?“ „Es ist gar nichts.“ „Ich soll ehrlich zu dir sein und du willst es nicht?“ Emma seufzte einsichtig. „Wir hatten die Möglichkeit unter vier Augen miteinander zu reden…“ „Und?“ „Sie hat mich nur darauf hingewiesen, dass sie dich länger und besser kennt als ich. Und ich mir daher keine Hoffnungen zu machen bräuchte.“ Er richtete sich auf. „Das hat sie nicht getan…“ „Doch, aber das interessiert mich nicht.“ Ihm blieb der kurze Augenaufschlag nicht verborgen, mit dem sie ihre Unsicherheit wegblinzeln wollte. Er nahm sie wieder fest und sicher in die Arme und wisperte: „Stell mir jede Frage, die du willst und ich werde absolut ehrlich darauf antworten!“ „Wäre das wirklich in Ordnung für dich?“ „Ja!“ „Na gut…“ Sie überlegte kurz und fragte dann: „Ist es dir egal gewesen, was die Frauen gefühlt haben, die du…?“ „Benutzt hast? Ja. Sie waren für mich nur eine Art Zeitvertreib. Das klingt jetzt so hart, aber ich habe bei ihnen nie etwas gefühlt. Darum war es mir auch völlig gleichgültig, wie sie sich gefühlt haben, wenn ich es leid war mit ihnen Zeit zu verbringen und sie nicht mehr beachtet habe.“ „Wie viele waren es?“ Zunächst blickte er sie an und sie war sich nicht sicher, ob er in Gedanken nachzählte oder ob er sich darüber ärgerte, ihr erlaubt zu haben jede Frage zu stellen. Dann jedoch meinte er: „Sieben.“ „Und die Letzte war Penelope?“ „Ja.“ „Bei ihr hast du auch nichts gefühlt?“ „Nein!“ „Warst du je zuvor verliebt?“ Er schloss die Augen und strich sich über die Stirn: „Verliebt nicht, aber es bestand ein einziges Mal ein stärkeres Interesse als bei anderen.“ „Wer war sie?“ „Paulette Riggs war ihr Mädchenname, aber als ich sie mit 18 kennen lernte, war sie bereits mit Lord Deerfield verheiratet. Sie müsste jetzt um die 30 sein.“ „Verheiratet? Und damals bereits Ende Zwanzig?“ Ein wehmütiges Lachen folgte und er nickte. „Na ja. Sie war ein wundervolles Wesen und ich glaube, sie fühlte sich sehr allein, weil ihr Mann oft Fischen oder Jagen ging. Und weitere Familienmitglieder gab es nicht.“ „Was ist passiert?“ „Sie verlor das Interesse. Eine Weile noch schrieb ich ihr, wie ein großer Dummkopf, Briefe und versuchte Treffen zu arrangieren, aber… Irgendwann gab ich es auf.“ „Hast du lange gebraucht, sie zu vergessen?“ „Es hat mich sehr getroffen, dass sie mich fallen ließ, aber… Es ist lange her und im Nachhinein gebe ich ihr Recht. Es wäre sowieso irgendwann schief gegangen.“ „Das war aber die einzige Verheiratete, oder?“ „Ja, absolut.“ „Hast du dich um mich gesorgt? Heute, meine ich.“ Er nickte nur, weil er einfach kein falsches Wort darüber verlieren wollte. Emma setzte sich auf seinen Schoß und bedeckte sowohl sich als auch ihn mit der Decke, sodass er sich wie unter einem Zelt fühlte. Er roch ihr Parfum, spürte einige ihrer Haarspitzen, die seinen Hals berührten, als sie sich zu ihm herunterbeugte und ihr Kinn auf seine Brust legte, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. „Würdest du je heiraten wollen?“ „Dich?“ „Egal, wen!“ Er spürte ihren heftigen Herzschlag und auch, dass sie zu zittern begann. Dann legte er eine Hand auf ihren Hinterkopf, während er mit der anderen über ihren Rücken strich. „Ich würde schon, aber ob ich es tun sollte, ist die eigentliche Frage.“ „Wieso?“ „Diese Frau müsste sich ständig mit all den Artikeln in der Zeitung auseinander setzen, von den Menschen hier in New York ganz zu schweigen. Wenn ich mal nicht da sein sollte, wird sie sich ständig Sorgen darüber machen, ob ich sie nicht gerade betrüge. Und wenn ich denke, dass mir ein solches Leben nicht ausreicht, könnte ich nicht einfach gehen. Es wäre nicht wie früher. Ich kann nicht einfach ihre Gefühle ignorieren und sie mit solch einem Schmerz zurücklassen.“ „Zu einer Ehe gehört Vertrauen, Henry. Wenn sie das nicht hat, weder in sich selbst noch in dich, dann wäre sie dir als Ehefrau auch nicht gewachsen.“ „Heißt das, du würdest mich heiraten?“ Er meinte es halb ernst und halb neckend, doch Emma hob ihren Kopf ein Stück an, sodass ihre Gesichter nur Millimeter voneinander entfernt waren und blickte ihm entschlossen in die Augen. „Ja. Ganz gleich, was andere darüber denken und sagen würden.“



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