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(A)I complicate

von

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Hide & Seek

» Kens View «
 

„Wollen wir eine Pause machen?“ Onkel Rey hatte es zwar wie eine Frage formuliert, aber ich wusste beim Klang seiner Stimme, dass es eher eine Aufforderung war, als alles andere und nickte somit sofort.
 

Heute war nicht mein bester Tag gewesen. Ich hatte in der vergangenen Nacht sehr schlecht geschlafen und es fiel mir schwer mich zu konzentrieren. So war es kein Wunder, dass sich die Aufnahme des Songs , dessen Melodien und Harmonien Akira geschrieben hatte, unnötig in die Länge zogen.
 

Onkel Rey nickte mir zu und schaltete das Mikro mit dem es ihm möglich war, mit mir in der Aufnahmekabine zu kommunizieren, wieder aus. Akira, der neben ihm am Mischpult saß, musterte mich neugierig, wurde aber dann durch eine Geste von meinem Onkel abgelenkt. Er schien ihm etwas zu erklären und deutet auf die unterschiedlichen Schalter vor ihnen. Akira nickte immer wieder. Der Junge Chinese war sehr wissbegierig und abgesehen von seinem unfassbarem Talent, lernte er wirklich schnell. Ich konnte nur zu gut verstehen, warum mein Onkel jegliche Energie, Hoffnung und Zeit in den so viel jüngeren Mann mit den schönen blauen Augen setzte.
 

Ich fuhr mir durch die Haare, als ich aus der Aufnahmekabine trat und streckte mich erstmal seufzend.
 

„Wasser?“ Onkel Rey sah mich nun mit einem sanften Lächeln an und reichte mir eine kleine Flasche mit klarer Flüssigkeit.
 

Ich nahm die Flasche dankbar entgegen, aber konnte den mitleidigen Ausdruck, den seine Augen nun bekamen, nicht ertragen. Gab es einen Grund mich zu bemitleiden?

Vermutlich. Mit genug Abstand würde man sehen, dass ich seit Tagen kaum schlafen oder essen konnte. Mit genug Abstand.
 

„Ich gehe etwas frische Luft schnappen.“ murmelte ich, ehe ich das Studio verlies mit den besorgten Augen meines Oji-Sans im Rücken.
 

Als ich in den Flur trat, zog ich sofort mein Handy aus der Hosentasche, während ich den langen Korridor entlang ging. Die einzige Nachricht die ich erhalten hatte, war von meiner Mutter, die es nicht erwarten konnte, dass Oji-san und ich sie bald in Chiba besuchen würden. Ich liebe meine Mutter, aber dass ich Enttäuscht war, wäre eine Untertreibung gewesen.
 

Natürlich hatte ich darauf gehofft, eine Nachricht von IHM zu erhalten.
 

Einige Auszeichnungen und Poster pflasterten die Wände an denen ich nun, meinen wirren Gedanken nachhängend, vorbei schritt. Auf einigen war ich sogar selbst zu sehen, was mir auch nach zwei Jahren noch oft sehr peinlich war.
 

Fey, Onkel Reys Assistentin stand am Empfang neben der Rezeptionistin, als ich im Foyer angekommen war und wank mir mit einem fröhlichen Lächeln zu. „Ah Ken-Kun... ich wollte gerade bei euch anrufen lassen. Hier ist jemand, der dich unbedingt sprechen möchte und der arme Kerl wartet schon seit über einer Stunde... wir dachten die Aufnahmen sind früher zu Ende und wollten euch nicht stören.“
 

Für einen Moment hatte ich die Hoffnung dass ER es war. Dass der Grund für meine letzte schlaflose Nacht es war, der auf mich wartete.
 

„Wir hätten ihn weggeschickt. Aber er ist sehr stur und hat uns Fotos gezeigt auf denen er mit dir, Rey -san, Liam - san und Yu-Chan zu sehen ist. Deshalb haben wir ihm geglaubt, dass er dich persönlich kennt.“ sie klang etwas besorgt und fast entschuldigend.
 

Als Fey zur Seite trat und auf den Wartebereich deutete, setzte mein Herzschlag für einen Moment aus.

Es waren nicht die wunderschönen Schokoladen braunen Tiefen, meines besten Freundes die mir begegneten.

Es war auch nicht seine braune Mähne die gerade nach hinten gestrichen wurde.

Stattdessen, blickten mich müde dunkel blaue Seen an und funkelten voller Hoffnug als sie meine Anwesenheit realisierten.
 

Seiji erhob sich sofort und kam schnellen Schrittes auf mich zu. „Ken.“
 

Unzählige Szenarien spielten sich in den wenigen Sekunden, die er brauchte, um auf mich zu zukommen vor meinem geistigen Auge, ab. Würde er mich anschreien? In Tränen ausbrechen? Aber die Frage die mir am meisten auf der Seele brannte war: Weiß er es?
 

„Hey.“ er kam vor mir zum Stehen und musterte mich.
 

Ich schluckte und versuchte mir den Schock über seine Anwesenheit nicht ansehen zu lassen.
 

„Ich will dich nicht lange aufhalten... aber ich bin an einem Punkt, wo ich nicht mehr weiß, was ich tun soll...“ seine Stimme klang verzweifelt und frustriert. Er sah so aus der Nähe noch erschöpfter aus und es war deutlich, dass er in den letzten Nächten wohl auch nicht genug Schlaf gekriegt hatte.
 

Schuldgefühle überkamen mich.
 

„Ihr könnt in Rey-Sans Büro gehen...“ murmelte Fey und blickte etwas unbeholfen, abwechselnd von Seiji zu mir.
 

Ich nickte und wand mich um, während ich überlegte ob es eine gute Idee war, mit ihm alleine zu sein.
 

Onkel Reys Büro befand sich hinter der ersten Tür auf der rechten Seite des Korridors. Es war sehr geräumig, mit einer fantastischen Aussicht auf Shibuya. Alle Möbel waren sowie die Wände und die gesamte Einrichtung im ganzen Studio in weiß gehalten und man sah Ihnen an, dass ihr Erwerb mit hohen Kosten verbunden war. Dieses Studio war das Lebenswerk meines Onkels und er hatte jeden Cent rein gesteckt, als er es vor neun Jahren gekauft hatte. Nach der Oberstufe war er nach Tokio gegangen um dort Musik und Ton Technik zu studieren. Obwohl kaum einer an ihn geglaubt hatte und ihn die meisten für verrückt hielten, hatte er gleich nach dem Studium dieses Studio gegründet. Musik war schon immer seine Leidenschaft gewesen. Auch wenn weder mein Vater, noch meine Großeltern es jemals ernst genommen hatten. Er konnte so gut wie jedes Instrument spielen und war ein herausragender Komponist.
 

Kujiro Yamamoto war vor 8 Jahren Onkel Reys erster Künstler mit einem Nummer eins Hit in den Charts gewesen. Ich konnte mich gut daran erinnern, wie ungläubig mein Vater in den Fernsehr gestarrt hatte, als er seinen Bruder mit dem dunkelhaarigen Sänger in einem Interview gesehen hatte.
 

» Wenn ich gute Artists will, muss ich dafür sorgen dass sie sich in diesem Studio wohl fühlen... es ist wie meine Visitenkarte. Wer vertraut einem Produzenten, dass er gute Songs produzierst, wenn er ein geschmacklos eingerichtetes Studio hat?« hatte Onkel Rey mal lachend gesagt und es lag so viel Wahrheit dadrin.
 

„Es geht um Yuji...“ Seiji nahm Platz auf einem der Stühle vor dem großen Schreibtisch am Ende des Raums und fuhr sich fahrig übers Gesicht.
 

„Hab ich mir gedacht.“ kam es überraschend gleichgültig über meine Lippen.
 

Seiji musterte mich. „Er geht mir seit Tagen aus dem Weg... er spricht kaum mit mir oder Suri... Yaten sagte mir, dass er die letzten Tage nur einmal zu Hause geschlafen hat.“
 

Wieder rutschte mir mein Herz in die Hose. In Seijis Augen lag eine unausgesprochene Frage.
 

„Wir beide hatten keinen guten Start... aber ich weiß, dass er dir sehr viel bedeutet.“ er räusperte sich. „Ich will ihn nicht verlieren und mache mir sorgen.“ seine Stimme war gebrochen und ich spürte, wie mich die Schuldgefühle gerade zu auffrassen. „Hast du in letzter Zeit mit ihm gesprochen?“
 

Ich stand immernoch verloren im Raum herum und starrte meinen sitzenden Gegenüber an.

Ich brauchte einen Moment um die gesagten Worte zu verarbeiten. „Warum bist du wirklich hier?“ kam es überraschend gefasst über meine Lippen.
 

„Schlaft ihr miteinander?“ Es war irritierend wie er zugleich verzweifelt, wütend und besorgt klang. Und doch war da diese pure Ehrlichkeit in seiner Stimme und verstärkte die Scham in meinem Inneren.
 

„Was?!“ ich spürte wie mir sämtliche Gesichtszüge bei der Frage entglichen. „Wovon redest du?!“
 

Seiji senkte den Blick sofort und ein trauriges Grinsen zierte seine Lippen. „Entschuldige... ich bin verzweifelt.“ einen Moment starrte er auf seine Hände, ehe er wieder den Blick hob und mich musterte. „Aber ist es so abwegig...? Du und er - ihr steht euch so verdammt nah.“
 

Ich wand unweigerlich den Blick ab, um mich zum einen abzulenken und zum Anderen jeglichen Augenkontakt zum Anderen zu vermeiden und starrte auf die Fotos in Onkel Reys Büro. Es waren Fotos von uns - mir, Onkel Rey und meinem Vater. Onkel Rey und mein Vater waren sich optisch schon immer sehr ähnlich gewesen. Lediglich das Alter und die Länge ihrer Haare machten den deutlichen Unterschied aus... das und ihre Persönlichkeiten. Mein Vater war ein Anwalt... durch und durch. Logisch und Prakmatisch. Während Onkel Rey Künstler war. Mit Leib und Seele. Spontan und Kreativ. Aber egal wie oft sie stritten, wusste ich, dass sie sich liebten.
 

Dann war da auch ein Foto von Liam und ihm. In diesem sah er wohl am glücklichsten aus.

Die wahre Liebe zu finden, sollte nicht so schmerzen, wie ich es gerade in Seijis Augen sah.
 

„Ich bin kein Idiot...“ er lachte verzweifelt. „Seit DEM Vorfall habe ich das Gefühl, dass er sich immer weiter von mir entfernt.“
 

Ein panisches Räuspern entfloh meiner Kehle und ich versuchte nicht so schuldig zu wirken, wie ich mich fühlte. Er musste es nicht genauer beschreiben, damit ich verstand, von welchem Vorfall er sprach. Seine Augen hatten nun einen verrätereischen Glanz und ich wusste, dass er vermutlich keinen anderen Ausweg mehr gesehen hatte, als ausgerechnet zu mir zu kommen. Gott... das war die pure Verzweiflung die da vor mir stand.
 

Ich zog eine Augenbraue in die Höhe und wand den Blick ab. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Fühlte mich elendig.
 

„Du hast mir nie auf einer meiner Fragen geantwortet Ken.“ er hielt inne. „Nie... weder als ich dich damals fragte, ob du ihn liebst. Noch als ich dich vorhin fragte, ob ihr miteinander Schlaft. Und doch war mir das immer Antwort genug.“
 

Stille umgab uns und ich starrte meinen Gegenüber überrascht an. Überrascht war vermutlich der völlig falsche Ausdruck. Eher schockiert und fassungslos - Ertappt.
 

Seiji lachte leise und egal wieviel Mühe er sich gab, es klang aufgesetzt. Er fuhr sich durch die dunklen Haare, ohne seinen Blick von mir abzuwenden. Es schien, als ob er mit einem bestimmten Plan hergekommen war. Mit einem bestimmten Wissen - eigentlich nur Bestätigung suchend.
 

Ein leises Klopfen unterbrach uns und Feys dunkle Mähne schob sich durch die Tür. „Ken-Ken... Yu-Chan ist hier. Soll ich ihn nach Hause schicken?“
 

Mein Herz schlug so heftig gegen meinen Brustkorb, dass mir etwas schwindelig wurde.
 

Seiji erhob sich sofort. „Nein. Schicken Sie ihn herein...“
 

Fey musterte ihn irritiert für einen Augenblick und sah dann wieder, mit einem Fragenden Ausdruck in den Augen, zu mir.
 

Mein Kopf war wie leer gefegt... Es gab vermutlich nichts, was ich lieber tun wollte, als Yuji in meine Arme zu schließen. Und gleichzeitig hatte ich panische Angst davor, ihn wieder zu sehen. Angst vor dem was er mir vielleicht zu sagen hatte... oder was Seiji ihm sagen würde.
 

„Ken-Ken?“ Fey hob ungeduldig eine Augenbraue.
 

„Ok…“ ich seufzte. „Schick ihn rein.“ Dieser Tag würde so oder so eines Tages kommen. Der Tag der Konfrontation und der Wahrheit.
 

„Ok.“ Fey nickte und verschwand aus der Tür.
 

Ich bemerkte nicht, wie die Person neben mir scheinbar den Atem anhielt und seine Augen sich verdunkelten.

War viel zu sehr mit meinen Gedanken und der Frage, wie ausgerechnet ich in eine solche Situation hatte kommen können, beschäftigt.
 

Erst als seine braune Mähne durch die Tür trat und seine schokoladenfarbenen Tiefen sich überrascht weiteten wurde ich in die Realität zurück geholt. Eine gefühlte Ewigkeit herrschte eine bedrückende Stille in dem Büro meines Onkels. Ich starrte Yuji gerade zu an und versuchte die aufkommende Nervosität herunter zu schlucken.
 

Seine Augen ruhten auf dem dunkelhaarigen neben mir, der ihn ebenfalls anstarrte und es lag ein Ausdruck in seinen Augen, den ich nicht wirklich deuten konnte.
 

„Ich versuche dich seit Tagen zu erreichen Yu...“ Seijis Stimme durchbrach schließlich die Stille und er ging einige Schritte auf den Kleineren zu.
 

„Sei...“ seine Stimme war so leise, dass es kaum hörbar war und er senkte nun den Blick, der ein verräterisches Glänzen aufwies.
 

„Was ist los?“ Seiji schien ebenfalls mit den Tränen zu kämpfen und ballte seine Hände zu Fäusten. „Was habe ich getan, dass du mich so behandelst...? Dass du mich völlig ignorierst, als wäre ich ein Fremder.“
 

Falsch. Das war alles so falsch.
 

Die unendliche Trauer und Verzweiflung in der Stimme des Schwarzhaarigen und die Scham und Verwirrung in Yujis gesamter Körpersprache. Auch das war etwas, was Liebe nicht hervorrufen sollte... ich fuhr mir frustriert durch die Haare und wusste, dass es vermutlich ein Moment war, den ich nicht mit Ihnen teilen sollte. Hatte ich mich doch schließlich schon genug in diese Beziehung gedrängt.
 

Gerade hatte ich mich in Bewegung gesetzt und wollte an Yuji vorbei, den Raum verlassen, da erhob sich wieder Seijis Stimme. „Wo willst du hin?“
 

Ich hielt überrascht inne, aber wagte es nicht mich zu ihm umzudrehen. Yuji war nun neben mir und ich hätte bloß meine Hand einige Zentimenter nach Links bewegen müssen, um ihn zu berühren. Gott... wie sehr ich ihn berrühren wollte.
 

„Verdammt...“ er lachte dunkel. Wütend. „ Ich bin kein Idiot Ken... Ihr BEIDE seid es mir verdammt nochmal schuldig, es mir ins Gesicht zu sagen.“
 

» Es? « » Es? «
 

Ich schluckte und wusste genau, was dieses kleine Wort zu bedeuten hatte. Er wusste es... es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich wohl soetwas wie einen Funken Erleichterung empfand. Erleichterung und gleichzeitig fühlte ich mich schrecklich.
 

Aus den Augenwinkeln, sah ich wie Yuji überrascht den Kopf hob und Seiji nun traurig anstarrte. Er öffnete kurz den Mund, um etwas zu sagen, schien sich dann aber doch dagegen zu entscheiden und senkte wieder den Blick, woraufhin ihm einzelne braune Strähnen ins Gesicht fielen.
 

„Bitte lüg mich nicht an Yu...“ seine Stimme zitterte vor Wut. „Es ist kein Zufall, dass ich erst zu ihm kommen musste um dich endlich zu sehen oder?“
 

Yuji zögerte wieder einen Moment. Erst nach einer ganzen Weilen kamen leise Worte über seine zitternden Lippen. „Es - es Tut mir leid....“
 

„Ich wusste es... Fuck! Ich wusste es.“ er klang frustriert und unendlich verletzt. „ Und wie lange-?!“
 

„Bitte verzeih mir...“ Yujis schöne Augen waren in Tränen gesenkt und alles in mir verlangte danach, ihn in meine Arme zu schließen.
 

Ich vernahm schnelle Schritte und ehe ich mich versah, stand Seiji plötzlich vor Yuji und griff so schnell nach seinen Handgelenken, dass ich so wie Yuji selbst, etwas erschrack. Seiji würde Yuji nicht weh tun... richtig?
 

„Wie konntest du mir das antun?“ der Wut war pure Verzweiflung gewichen und Tränen bahnten sich seine Wangen herunter, während er Yuji näher an sich zog. Ich kannte Seiji nicht sehr gut, aber ich wusste, dass er gerade nicht Herr seiner Sinne war. Der sonst so kontrollierte und kühl wirkende Cyborg, war nun menschlicher den je.
 

Yuji zitterte am ganzen Körper und ein Ausdruck von Schmerz durchfuhr seine Gesichtszüge. Seine Augenwinkel verließen nun heiße Tränen und er schluchzte leise. Es zerriss mir das Herz ihn so zu sehen.
 

Seiji hingegen schien so in seiner Wut und Verzweiflung gefangen zu sein, dass er nicht mal bemerkte, wie Yuji immer kleiner wurde und ängstlich einige Schritte zurück setzte. Stattdessen hielt er seine Handgelenke weiterhin so fest zwischen seinen Händen, als würde sein Leben davon abhängen.
 

Ich wusste, dass er verzweifelt war.

Ich wusste, dass er jedes Recht hatte wütend zu sein. An seiner Stelle hätte ich mir selbst wahrscheinlich schon längst eine verpasst. Oder zwei... oder drei.

Was wir ihm angetan hatten, war unverzeihlich und auf so vielen Ebenen Falsch. Meinem Verstand war das bewusst. Aber mein Herz...? Mein Herz sah nur, dass es Yuji war, den er da gerade weh tat. Es war verdammt nochmal Yuji, der gerade vor Angst und Schmerzen wimmerte.
 

„Seiji.“ ehe ich wusste, was genau ich da tat, hatte ich mich zwischen die beiden gedrängt und Seiji etwas schroff von uns weg geschoben. „Das reicht.“
 

Ich hatte mich das letzte mal in der Oberstufe geprügelt. Damals waren wir auf einer Party gewesen und ein Kerl, dessen Namen ich nie erfahren hatte, hatte versucht Yuji zu küssen.
 

»Stell dich nicht so an mein Hübscher... dir fehlen zwar Möpse, aber dein Gesicht und dieser Hintern... mmmmhhh dieser Hintern, machen das definitiv wieder wett.« hatte er mit diesem frechen Grinsen gesagt, nach dem Yuji ihn weggestoßen hatte. Danach hatte ich rot gesehen und ihm so dermaßen meine Faust ins Gesicht gerammt, dass es das letzte Mal war, das irgendjemand gewagt hatte, Yuji auch nur schräg anzusehen.
 

Ich war kein gewalttätiger Mensch. Aber für Yuji habe und würde ich jeder Zeit wieder Grenzen überschreiten.
 

„Halt dich verdammt nochmals da raus!“ zischte er mich wütend an und griff nach meinem Kragen. „Hast du nicht genug angerichtet?!“ Dunkle, gerötet Augen musterten mich irritiert und ich hatte schon lange nicht mehr soviel Wut und Verachtung in den Augen eines anderen Menschen gesehen. Für eine Sekunde rang ich mit mir, mich tatsächlich zurück zu ziehen. Aber in seinem augenblicklichen Zustand hätte ich Yuji niemals alleine lassen können.
 

Nach wenigen Sekunden wanderte der Blick meines Gegenübers auf seine eigenen Hände, die gerötet waren und nur vermuten ließen, wie wohl Yujis Handgelenke aussahen. Realisation schien ihn zu treffen und er starrte an mir vorbei zu Yuji. „Yu...“
 

Er tat wieder einen Schritt in Yujis Richtung und ich spürte, wie sich der Brünette hinter mir, ängstlich an meinem Hemd festhielt und sein Gesicht in meinen Rücken drückte, um ihn wahrscheinlich nicht ansehen zu müssen. Konfrontation war nie Yujis Stärke gewesen. Yuji war eigentlich schon immer sehr schüchtern und unsicher gewesen. Ins Besondere vor Fremden. Aber sobald er einen Menschen ins Herz geschlossen hatte, war davon überhaupt nichts mehr zu merken. Dass er sich nun ausgerechnet Seiji - seinem Freund gegenüber - war untypisch für ihn.
 

Seiji registrierte sein Verhalten ebenfalls und weitete seine Augen. „Yuji...“ er sank auf die Knie und es schien als ob jeglicher Halt und Kontrolle nun verflogen war. Er schluchzte verzweifelt und starrte auf seine Hände. „Als ich dich das erste Mal sah... wusste ich, dass ich alles tun wollte, um dich Lächeln zu sehen. Aber ich habe es nie geschafft, dir nur annähernd das selbe Lächeln zu verleihen, wie er...“ er fuhr sich durch die Haare. „Ich dachte - ich habe gehofft - dass du mich irgendwann genauso ansiehst wie ihn.“
 

Ich spürte, dass Yujis Griff sich langsam von meinem Hemd löste und er trat einen Schritt zurück. Musterte nun den am Boden kauernden dunkelhaarigen mit einem Tränen überströmten Gesicht und sein Schluchzen schien etwas leiser zu werden.
 

„Es Tut mir leid, dass ich dir Angst gemacht habe... aber ich - ich bin am Ende Yu... ich weiß nicht weiter. Was kann ich tun?“ er hob den Blick. Seine dunkle Augen schienen Yuji gerade zu zu fixieren. „Ich will dich nicht verlieren.“
 

„Es Tut mir leid Seiji...“ flüsterte Yuji und trat einen Schritt auf ihn zu. „Es Tut mir so unendlich leid... ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Das hast du nicht verdient.“
 

Es versetzte mir einen Stich, diese Worte zu hören. Nicht die Entschuldigung. Das war das Mindeste was wir tun konnten. Aber die Reue... es war das erste Mal, dass ich in Bezug auf uns, Reue in Yujis Stimme hörte.
 

Er sank ebenfalls auf die Knie und nahm Seijis zitternde Hände in seine. „Es Tut mir leid...“ flüsterte er immer wieder, während er nun seine Arme um seinen Nacken schlang und ihn schließlich in eine Umarmung zog.

Seijis Hände wanderten sofort um seine schmale Talije und er schluchzte nun etwas leiser in seine Halsbeuge.
 

„Ich liebe dich Yu... Fuck. Ich liebe dich so sehr, dass es mich in den Wahnsinn treibt.“ murmelte Seiji leise vor sich her. Es schien nur für Yujis Ohren bestimmt und dennoch war es laut genug, dass ich es wahrnehmen konnte. Vorsichtig und mit noch immer zitternden Händen strich er Yuji einige Strähnen aus dem Gesicht. „Lass uns all das vergessen und von vorne beginnen... ich bin bereit, all das zu vergessen.“
 

Yuji erstarrte daraufhin. Ich selbst wusste nicht was ich denken, fühlen oder machen sollte. Hatte mich noch nie so fehl am Platz gefühlt, wie in diesem Moment. Hatte das Gefühl ein Parasit zu sein, der sich in einen Lebensraum drängte, in dem er nichts verloren hatte.
 

„Sei...“ er schob ihn etwas von sich und nun fiel zum ersten Mal wieder sein Blick auf mich.
 

Für einen Moment starrte er mich wortlos an und ich glaubte soetwas wie Scham und Angst in den braunen Tiefen zu sehen, ehe er seinen Blick sofort wieder senkte und mich kurz darauf doch wieder mit einem undefinierbaren Blick zu mustern. „Ich - es tut mir leid, dass ich dir das angetan habe. Es ist unverzeihlich und ich verstehe sehr gut, wenn du mich jetzt hasst. Ab - Aber ich - Ich kann nicht...“
 

Seijis Augen weiteten sich und plötzlich starrten mich neben den braunen Tiefen auch dunkle blaue Seen an. „Hatte ich denn jemals eine Chance?“
 

Mein Herz schlug so schnell, dass ich fürchtete gerade einen Infarkt oder Schlaganfall zu erleiden.

Ich war nicht sicher, ob die Frage nun an mich oder den Kleineren gerichtet war.
 

Yuji senkte den Kopf. „Seiji... was ich dir nun sage, sage ich nicht um dich zu verletzen. Bitte glaube mir. Ich möchte - nein ich hoffe du verstehst mich dann etwas besser.“ er löste sich nun vollständig vom Anderen. Ich spürte Erleichterung aufkommen. Yuji in den Armen eines anderen zu sehen, war ein Anblick, an den ich mich niemals gewöhnen würde.

„Ich... ich bin so dankbar für alles was du für mich getan hast und all die Zeit, die wir zusammen verbringen konnten. Du bist unfassbar liebevoll, klug und talentiert... du bist einzigartig... Aber ich glaube , ich... ich habe mein Herz bereits vor 17 Jahren verloren...“ er stockte kurz und musterte sein Gegenüber. „Du bist ein wundervoller Mensch... du hast etwas - jemand besseres verdient als mich.“
 

Seiji starrte ihn eine Weile fassungslos an und auch mir entglitten sämtliche Gesichtszüge.

Egal wie ehrlich diese Worte gerade klangen... es klang auch nach einem Gott verdammten Klischee.
 

Yuji und ich waren uns vor 17 Jahren das erste mal begegnet....

damals hatte mich sein Heulen so genervt, dass ich ihm meine Freundschaft angeboten hatte.

Damals hatte mich sein niedliches Gesicht so irritiert, dass ich unendlich neugierig war, ihn besser kennenzulernen.

Damals hatte es mich irritiert, wenn ein anderer mit ihm spielen wollte.

Damals war ich unsicher, wenn die anderen Erwachsenen sagten, Yuji wäre zu klein, um mit uns im Wald zu spielen.
 

Und heute...?
 

„Etwas besseres verdient...?“ murmelte Seiji Gedankenverloren und mit einem verletztem Ausdruck in den Augen. „Dankbar..? Wem willst du es leichter machen? Dir oder mir?“

Es war deutlich rauszuhören, wie verletzt er war. „Wie kannst du so etwas sagen?“ der dunkelhaarige fuhr sich seufzend übers Gesicht und erhob sich schließlich.
 

Yuji blinzelte kurz, ehe er sich ebenfalls aufrichtete.
 

„Ich habe für dich gerade meinen Stolz und jede Würde über Board geworfen...“ flüsterte Seiji. „Und du - du willst mir sagen, ich hätte etwas Besseres verdient?“ er lachte verbittert. „So willst du mich vertrösten...?“
 

Yuji trat einen Schritt zurück und stand nun neben mir. Er blickte hilflos auf den Boden und schien nach den richtigen Worten zu suchen.
 

„Yuji...“ Seijis dunkle Augen ruhten auf dem Brünetten. „DU bist das Beste... du bist alles was ich wil. Ich würde um dich kämpfen... Verdammt. Ich würde hier und jetzt um dich kämpfen...aber-“er schluckte. „Ich weiß, wann etwas hoffnungslos ist... und trotzdem stehe ich hier und stelle dir diese Frage.“ seine Augen fixierten die tief traurige Schönheit neben mir. „Habe ich auch nur den Funken einer Chance?“ Eine irre Mischung aus Angst, Wut, Sehnsucht und Liebe lag in den blauen Seen vor mir.
 

Als ich Seiji Niwa das erste Mal begegnet war, hatte ich mir geschworen ihn mit jeder Faser meines Körpers zu hassen. Er war eine attraktive Erscheinung und trotzte nur so vor Selbstbewusstsein. Ganz anders, als die nun gebrochene Gestalt vor mir. Ich hatte gehofft, dass es mir nicht schwer fallen würde ihn abzulehnen. Aber wenn ich ehrlich war, war er wohl der einzige von uns dreien, der sich von Anfang an ehrlich und fair verhalten hatte. Was es mir schwer machte, ihn wirklich zu hassen. So sehr ich den gemeinsamen Anblick von Yuji und ihn hasste... Er war ein guter Mensch. Vielleicht hatte ich deshalb so große Angst vor Yujis Antwort auf seine Frage.
 

„Ich - ich liebe ihn...“ flüsterte Yuji dann aber ohne zu zögern und wieder bahnten sich Tränen ihren Weg über seine Wange.
 

„Du liebst ihn?“ Es klang eher wie eine Feststellung als eine Frage und Seiji fuhr sich mit einem düsteren Gesichtsausdruck durch die dunklen Haare. „Du liebst ihn...“ wiederholte er nun deutlich leiser und dennoch klar hörbar für mich. Kurz begegneten sich unsere Blicke.
 

Ich schluckte und desto realer diese Aussage für meinen Verstand wurde, desto mehr verschwamm alles um mich herum.
 

Yuji. Yuji. Yuji... alle meine Gedanken kreisten um dieses unfassbar schöne Gesicht. Das Gesicht meines besten Freundes, dass ich noch zu vor so verzweifelt gesehen hatte.
 

Die Stimme des Dunkelhaarigen erklang wieder, aber ich konnte seine Worte in keinen klaren Kontext bringen.

Seine Augen funkelten.
 

Wütend.
 

Verletzt.
 

Aber egal wie verletzt er war.... egal, wie sehr seine Stimme brach, sobald er versuchte einen klaren Satz zu formulieren, konnte ich meinen Blick nicht von dem Jungen neben mir abwenden.
 

Yuji war schon immer der Mittelpunkt meines Lebens gewesen. Seit dem ersten Tag unserer Begegnung.

Vermutlich hatte ich ebenfalls mein Herz vor 17 Jahren in Chiba vergeben.

Vermutlich - oder ganz bestimmt sogar - hatte ich diesem kleinen Jungen mit den schönen braunen Augen bereits vor 17 Jahren mein Herz geschenkt.
 

Erst als die Tür mit einem leisen Knarren ins Schloss fiel, schien ich aus einer Art Trance zu erwachen und realisierte dass Seiji den Raum verlassen hatte.

Yuji zitterte am ganzen Leib und und schluchzte leise, den Blick noch immer gegen Boden gesenkt, vor sich her.

Ich hatte schon immer eine Schwäche für die Tränen meines Gegenübers gehabt. Yujis Tränen hatten mich vom ersten Augenblick aus der Bahn geworfen... auch wenn ich mir damals noch nicht wirklich bewusst gewesen bin, warum eigentlich. Ohne meine Handlung zu Ende zu denken, zog ich Yuji wortlos in meine Arme.
 

„Was - was ich - was ich Sei-kun angetan habe...“ Yuji schluchzte in meinen Nacken. „Ich bin so ein furchtbarer Mensch.“
 

Ich war nicht fähig zu sprechen und empfand jedes Wort, als überflüssig.
 

Natürlich hatte er recht. Was wir ihm angetan haben, war ohne Frage grausam. Aber Yuji war noch lange kein schlechter Mensch deshalb. Wenn überhaupt, war ich es. Weil ich noch immer keinen Funken Reue verspürte.

Ganz im Gegenteil... aber dafür andere dunkle Gefühle. Ich war verwirrt. Nicht gegenüber Yuji. Ich wusste seit einer ganzen Weile ganz genau, was ich für den Kleineren empfand. Es waren andere Fragen die mich quälten.
 

War es egoistig, dass ich pures Glück empfand?

War es egoistig, dass ich Yuji trotz der Umstände mit jeder Faser meines Körpers spüren wollte?

War es egoistig, dass ich so unfassbar glücklich war, dass ich es war der ihn nun in seinen Armen hielt?
 

Vermutlich.
 

Es war egoistig so zu fühlen und vermutlich noch mehr so zu handeln. Aber es gab in diesem Augenblick nicht mehr.
 

„Ken...“ er schob mich schließlich von sich. „Ich - ich muss mich auch bei dir entschuldigen. Es tut mir leid.“

Seine Augen hatten einen unsicheren und fast Furcht erfüllten Ausdruck. „Ich - ich will mich nicht länger verstecken... ich bin heute hergekommen, um dir das zu sagen. Ich liebe dich... habe dich wohl schon immer geliebt.“ er lächelte nun erschöpft. Warum sah es so verdammt erzwungen und gequält aus? „Aber ich - ich brauche Zeit... ich erkenne mich selbst nicht wieder...“
 

Ein tiefer Schmerz durchzog mein Herz und schoss mich sofort von der rosaroten Wolke auf der ich mich befunden hatte, auf den Boden der Tatsachen zurück. Mit einem harten Schlag, traf mich die Realität.
 

„Das - das was ich Sei angetan habe... das war furchtbar.“ er presste seine Lippen zusammen und wand den Blick von mir ab. „So ein Mensch wollte ich nie sein...Ich - ich kann nicht so tun, als wäre nichts gewesen und mich in die nächste Beziehung stürtzen. Das wäre falsch... und auch dir gegenüber ungerecht.“
 

„Es ist mir egal!“ schoss es aus mir heraus und ich fixierte ihn. „Yu... bitte tu mir das nicht an. Ich habe dir damals versprochen dein Freund zu sein. Und war ich das nicht all die Jahre? War ich dir nicht immer ein guter Freund gewesen?“
 

„Der Beste sogar...“ er lachte leise.
 

„Und heute verspreche ich dir, dass ich dich immer lieben werde. Egal was passiert... es ist mir bewusst, was wir getan haben. Ich weiß, dass du das nicht bist... aber das sind wir. Du und ich... es ist passiert, weil WIR es sind. Yuji und Ken... wir beide. Nur deshalb. Lass uns dieses elende Versteckspiel beenden Yu-Chan.“
 

„Ken...“ ich war nicht bereit ihn gehen zu lassen. Nicht nach all dem, was wir beide erlebt hatten.
 

„Gib uns eine echte Chance...“
 

Er lächelte traurig - irgendwie gebrochen.... und doch lag da so etwas wie Zuversicht und Hoffnung in den wunderschönen dunklen braunen Seen meines Gegenüber. „Eine Chance...?“ er lächelte schüchtern. „Das bin ich dir wohl schuldig...“
 

Vielleicht war das nun endlich unsere Chance.

Vielleicht könnten wir nun endlich zusammen sein. Ganz ohne das Versteckspiel, all die Lügen und das Wegrennen.

Vielleicht konnten wir nun wirklich zusammen sein.
 

„Nein, das bist du UNS schuldig Yu-Chan.“ flüsterte ich und versiegelte seine Lippen mit den meinen.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jo88
2019-08-07T18:36:06+00:00 07.08.2019 20:36
Happy End für Yuji und Ken 👍
Aber schade, dass es schon abgeschlossen ist, denn mir fehlt hier irgendwie der Abschluss 😥

Was ist mit Seiji, Seija und Akira? Wie läuft das Treffen mit Kens Eltern für Rey, Liam, Yuji und Ken?
Was sagt Rey zu Liam‘s Zukunftsplanung?

Oh je... so viele offene Fragen...
Hast du da noch etwas vor?

LG
Antwort von:  Naoi-chan
08.08.2019 03:39
Huhu! Ich denke immer wieder darüber nach, dass der "saubere" Abschluss fehlt und es lässt mich auch nicht richtig los. Du bist nicht die erste, die diese Fragen stellt. Es gibt da definitiv noch etwas zu erzählen und ich bin auch gewillt es noch in diesem Jahr in die Tasten zu hauen, um die letzten offenen Fragen zu beantworten. 🤣


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