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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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6 – Der Tag, an dem ich eine Erinnerung teilte

Wie schnell Dinge zur Gewohnheit werden konnten, war doch sehr erstaunlich. Noch erstaunlicher war es dann, wie sehr man gewohnte Dinge dann plötzlich vermisste, wenn sie wieder fehlten. Es waren noch keine zwei Monate vorübergezogen, dass sich ein ANBU in unser Leben eingenistet hatte, doch der Zeitraum kam mir schon weit aus länger vor. Und noch immer hatte ich keinen blassen Schimmer, wie der unter seiner Maskerade überhaupt aussah. Neulich hatte ich mal Yuuki beim Frühstück ausquetschen wollen:

„Hast du Inu eigentlich mal zu Gesicht bekommen?“, fragte ich da ganz unverblümt.

Wir hatten uns mal irgendwann zwischendurch darauf geeinigt, ihn tatsächlich Inu zu nennen, wie man eben seinem Haustier auch einen Namen geben würde.

„Nö.“

„Und wie er heißt?“

Dennoch wäre es mir lieber, ich hätte mal einen richtigen Namen. Oder wenigstens seinen ANBU-Namen.

„Mann, Mama! Nerv` nich`! Frag ihn doch selber!“

Mein werter Sohn, der gerade mal vor seinem neunten Geburtstag stand, ging direkt von der frühkindlichen Trotzphase in die Pubertät über. Das fand ich zwar alles etwas verfrüht, aber solche Wortausbrüche mussten wohl oder übel die finsteren Vorboten sein, was mich in seiner späteren Teenagerzeit alles noch erwarten würde. Das würde kein einfacher Ritt werden, wenn er jetzt manchmal schon so zur Pampigkeit tendierte.

Die bereits erwähnte Gewohnheit brachte es mit sich, dass ich nun schon den Tisch für drei Leute deckte und nicht mehr für zwei. Inu tauchte immer irgendwie, irgendwann, irgendwo auf. Immer sehr unregelmäßig zu den schrägsten Tageszeiten, doch dann immer so, dass er grundsätzlich die Mahlzeit abpasste. Ich flachste schon, ob er denn daheim nichts anständig zu essen bekäme. Er entgegnete nur, dass es in Gesellschaft besser schmecken würde, woraus ich schloss, dass er wohl keine Familie hätte. Ob es wirklich so war, stand natürlich in den Sternen. Es lag aber nahe, dass er alleine war, denn er klebte wie Kleister an uns. Das hatte zwar einerseits etwas für sich, andererseits konnte ich mir solch ein aneinander kletten gar nicht erklären.

Er könne halt nicht ständig und regelmäßig bei uns aufkreuzen, er müsste ja auch mal richtig arbeiten, kommentierte er nur schulterzuckend seine zwischenzeitige Abwesenheit, wenn er sich wieder für ein paar Tage entschuldigte, an denen er uns nicht besuchte und das Training ausfiel. Er sprach es zwar relativ emotionslos aus, doch es war ihm nicht entgangen, dass es uns beide traurig machte. Dann suchte er tröstende Worte besonders für Yuuki, der selbst noch gar nicht gemerkt hatte, wie er Inu längst als Ersatzvater in Beschlag genommen hatte. Und als Inu dann mal für gute zwei Wochen komplett fernblieb, da zog sich schon etwas in meinem Innersten zusammen. Ja, ich gestehe, er fehlte mir ein wenig. Seine Art bereicherte unser Leben und ich vermisste schon lange jemanden an meiner Seite, obgleich eine Beziehung zu ihm wohl komplett aussichtslos wäre. Aber ein kleiner Flirt in Gedanken machte mich schon froh und damit begnügte ich mich. Nie wieder mit einem Ninja zusammen, nie wieder! Das war ein mir selbst auferlegtes Dogma, seit es mit Yuukis Vater so schief gegangen war.

Man merkte, dass sich der August langsam davonstahl. Die Nächte wurden allmählich wieder länger. Die Hitzeperiode war längst abgeflaut und so war es tags wie nachts angenehm warm, aber nicht mehr so schwül und stickig, wie es für den Juli typisch war. Da wurde nun endlich die Dachterrasse unser zweites Wohnzimmer. Unter dem Sonnensegel stand eine Sitzgruppe, wo wir unsere Mahlzeiten einnahmen, Yuuki seine Hausaufgaben erledigte und ich nebenbei meist ein Buch las oder einfach nur ruhte. Ich mochte diesen Ort, denn von hier blickte man über die Klippen des Hokagefelsen hinweg auf Alt-Konoha. Es war nur etwas schade, dass die Terrasse genau nach Süden ausgerichtet war. Für die Beobachtung der wirklich schönen Sonnenuntergänge musste man an die Brüstung gehen und zur westlichen Seite blicken. Aber auch von dort war es schön anzusehen und die warmen langen Sonnenstrahlen schafften es dennoch über das Dach.

Dafür konnte man das einmal jährliche Feuerwerk von meiner Terrasse um so besser verfolgen. Das wurde nämlich zwischen den östlichen Klippenwänden abgeschossen. Die Pyrotechniker gaben sich da jedes Mal große Mühe, so dass ich in der Heimat immer von dem schönen Feuerwerk allen Freunden und Verwandten vorschwärmte. Hana-Bi, das war doch jetzt Ende August auch wieder? Ich notierte mir den Termin ganz dick im Kalender, wollte ich ihn auf gar keinen Fall verpassen. Natürlich konnte man ein Feuerwerk kaum überhören, geschweige denn übersehen, aber vielleicht könnte man wieder eine nette Runde mit Freunden organisieren. Es war ein recht einfaches Fest ohne viele Rituale oder Umzüge durch Konoha, was wohl gerade deshalb Jung und Alt von nah und fern anzog. Man trug Yukata, traf sich mit Freunden zum Essen und versank hinterher im Alkohol. Es gab in de Parks und Gassen viele Prügeleien im Suff. Besonders die Männer nahmen meist nichts mehr vom Feuerwerk wahr, weil sie schon besoffen in irgendwelchen Ecken lagen und ihren Rausch ausschliefen oder sich erinnerungslos in die Arme eines leichten Mädchens verirrten. Am nächsten Tage gab es dann viel heimischen Stress mit der Ehefrau im ach so trauten Heim. Die Rate an Scheidungen stieg pünktlich zum Hana-Bi gravierend an. Wie viele Frauen aber mochten die Fehltritte ihrer Männer verziehen haben? Für mich käme so etwas nie in Frage.

Das Plätschern des Kaffeewassers versiegte und ein herrlich aromatischer Duft stieg mir in die Nase. Ich füllte den Kaffee in eine große Kanne um und nahm gleich zwei Bechertassen mit. Es war wieder einer dieser warmen Abende im Sonnenlicht. Die Schulferien hatten gerade begonnen und so störte es mich diesmal weniger, dass mein Kind noch zu so später Stunde eine Trainingseinheit hatte. Es konnte nicht mehr lange dauern und er würde zusammen mit Inu wieder auftauchen. Und garantiert würde sich Inu wieder für eine Weile auf einem der Terrassenstühle bequem machen, weil man ihn gut mit Kaffee ködern konnte. Bei mir gab es nämlich nicht die Durchschnittsbohne aus dem Supermarkt, sondern hochwertige Qualität aus der Heimat. Unser Kaffee war mit der schwarzen Standard-Plörre überhaupt nicht zu vergleichen, sondern schmeckte aromatischer, erdiger, vollmundiger, aber nie bitter. Das hatte unser Haus- und Hofshinobi fix herausgeschmeckt, weshalb man ihn ohne seine Portion Belohnungskaffee gar nicht mehr loswurde. Mit den Tassen und der Kanne in der Hand schlenderte ich durch das Wohnzimmer hinaus. Wie erwartet kamen die Zwei gerade über die Dächer gesprungen. Treppenhäuser und Haustüren waren total out. Ich seufzte. Mein Kind entglitt mir in eine Shinobiwelt ab, die ich immer verhindern wollte, aber nicht konnte. Neulich kam mir sogar der Gedanke, ich sollte ihn doch auf der Akademie anmelden. Mich schüttelte es bei solch einer Idee, weshalb ich sie sofort wieder verwarf. Ich würde über kurz oder lang nicht um das Thema herum kommen und würde Inu um Rat fragen. Da er bis jetzt keinerlei Anstalten gemacht hatte, uns in diesem Punkt zu irgendetwas zu drängen, hegte ich da ein gewisses Vertrauen, eine ehrliche Meinung zu erhalten. Erfreut über deren Rückkehr, begrüßte ich beide und sah dann noch Yuuki hinterher, wie er in sein Zimmer sauste. Mit den neusten Jutsus im Gepäck musste im Freundeskreis gleich mal per Messengerchat angegeben werden. Schweigend goss ich den frischen Kaffee in die Becher und nahm auf meinem Lieblingsstuhl platz.

„Was machst du an Hana-Bi?“, fragte ich direkt drauf zu.

Mir ging die Stille zwischen uns auf die Nerven. Die Frage überraschte ihn wohl sehr, denn es kam nicht sofort eine Antwort.

„Arbeiten?“, gab er dann doch von sich.

Ja, das war schlüssig. Die ANBUS mussten beim Hana -Bi immer durch die Straßen und Gassen ziehen und Konoha sichern. Da würde Inu sich wohl auch mit Sake-Leichen und Hobby-Karate-Kids herumschlagen dürfen.

„Armer Kerl!“, versuchte ich lachend etwas Trost zu spenden.

„Und was machst du?“, spielte er unverblümt den Ball zurück.

„Ich?“

Ich hatte tatsächlich noch nicht darüber nachgedacht. Normalerweise waren wir stets nur zum Abendessen bei Freunden gewesen, aber nachts daheim geblieben. Yuuki war früher immer schon lange vor dem Feuerwerk eingeschlafen. Erst seit den letzten zwei oder drei Jahren gelang es ihm, die Augen bis zum großen Abbrennen offen zu halten. Also saß ich allein auf der Dachterrasse, kippte mir eine Flasche Alkohol hinter die Binde und hatte dann einen sehr kurzen Weg ins Bett.

„Keinen Ahnung“, gab ich schulterzuckend zu. „Vermutlich sind wir wie jedes Jahr daheim. Ist halt blöde, so alleine ...“

„Ist vielleicht besser so. Sonst macht ihr beide wieder so einen Blödsinn wie auf dem Marktplatz“, unkte er.

Er stellte seine Tasse auf dem kleinen Tisch zwischen uns ab und beobachtete genau meine Reaktion. Es war neben dem Kaffeetrinken ein übliches Ritual geworden, dass wir uns einen albernen Schlagabtausch lieferten. Den konnte ich zwar oft nicht gewinnen, aber ich mochte einfach seine Stimme hören. Und ich mochte diese schlagfertige und zugleich freche Art gerne leiden.

„Blödsinn? Hm, was könnte man dagegen tun?“ überlegte ich laut und machte eine übertriebene Denkerpose, indem ich eine Hand an mein Kinn legte. Dann präsentierte ich grinsend die Lösung:

„Ich hab`s! Ich buche dich einfach für die Dauer des Festes als Begleitung.“

„Begleitung? Liebste Nina-chan, da hast du etwas falsch verstanden. Ich bin Shinobi und kein Callboy“, grinste es ebenso zurück.

„Ach, das ist im Preis nicht mit drin? Das ist aber schade!“, zwitscherte ich zuckersüß. „Aber nun Mal im ernst: Was kostet denn so ein Shinobi für eine Nacht?“

Ich wollte diesen herrlich dümmlichen Callboy-Witz, dessen Vorlage er selbst geliefert hatte, einfach noch etwas ausreizen, und da Hana-Bi sowieso eine Nachtaktion war, passte es zu allem Überfluss auch noch wie die Faust aufs Auge.

„Der kostet soviel, dass jemand wie du ihn dir gar nicht leisten kannst.“

Er lehnte sich wieder zurück an die Stuhllehne, streckte die Beine lang aus und hatte sichtlichen Spaß an der Blödelei. Deshalb fuhr er unbeirrt fort:

„Da man ja nicht dich vor der Welt, sondern die Welt vor dir beschützen muss, wird der Hokage mindestens einen S-Mission veranschlagen müssen.“

„Pff“, pfiff ich durch die Zähne. „Was soll das heißen, die Welt vor mir beschützen? Und dein Chef wird froh sein, dass der so einen wie dich überhaupt mal irgendwo einteilen kann. Und einen Becher Kaffee finde ich mehr als angemessen als Bezahlung. Ich kann ja noch eine Becher Reis dazu packen.“

Ha, diesmal würde ich den Schlagabtausch gewinnen. Ich war mir so was von sicher. Leider hatte ich eine Stolperfalle übersehen. Und Inu besaß das rednerische Talent, die Vorlagen meinerseits komplett zu ignorieren, aber dann an ganz anderen Stellen anzusetzen.

„Eine Tasse Reis? Sorry, aber probier das mal eher bei den Samurais aus.“, lachte Inu laut los und mir wurde das Fettnäpfchen umgehend bewusst. Samurais bezahlte man mit Reistassen. Ninjas nicht. Mal wieder einen Wortduell verloren. Ich zog eine Schnute und tat so, als würde ich tödlichst beleidigt schmollen. Dann schenkte ich noch einmal Kaffee nach, den wir ohne ein weiteres Wort zu wechseln austranken.

„Darf ich etwas persönliches fragen?“, fragte er mich.

„Klar, ich muss ja nicht antworten.“

Die Verwunderung in meiner Stimme war nicht zu überhören. Inu hatte noch nie etwas gefragt. Und schon gar nicht etwas persönliches. Man musste neidvoll anerkenne, dass er sehr viel über Yuuki und mich durch blanke Beobachtung herausgefunden hatte. Man könnte sogar sagen, er würde uns stalken.

„Warum hegst du so eine Hasskappe gegen meinen Berufsstand?“

Puh, das war direkt und durchbohrte mich wie ein Pfeil. Das Thema hasste ich wie die Pest. Es riss alte Wunden auf und brachte mir Heulkrämpfe. Ja, was genau war eigentlich mein Problem? Es war ein Problem, das einst mal aus lauter Trauer und Enttäuschung entbrannt war und mich rasend vor Wut machte. Dann konnte ich mich hineinsteigern und Dinge tun, die mir hinterher mächtig leid taten. Ich ordnete meine Gedanken in meinem Kopf, damit ich nicht gleich mit einer zittrigen Stimme beginnen und in einer Brülltirade enden würde.

„Hm, Kurzversion.“

Ich überlegte, wie ich mein innerstes Geheimnis am Neutralsten verpacken konnte.

„Yuukis Vater war auch so einer wie du. So ein ANBU. Aber der kam aus dem Blitzreich. Auf einer seiner Missionen ins Erdreich zog er auch durch meine Heimatdorf. Allerdings auf der Flucht und stark verwundet. So habe ich ihn im Stofflager aufgegriffen. Naja, und dann folgte das übliche Märchen: Ich pflegte den gesund, verknallte mich und wurde schwanger. Wir haben uns oft gesehen, allerdings ist er seit Ende des großen Krieges verschollen. Ich habe keine Ahnung, ob er sich verpisst hat oder ob er irgendwo tot im Wald liegt. Ich habe versucht, etwas herauszubekommen, aber man ließ mich immer nur abblitzen.“

Eine kurze Pause gönnte ich mir, um mich wieder zu beruhigen. Längst hatte ich die Hände zu Fäusten geballt. Die Fingernägel schnitten ins Fleisch, dass es weiß wurde. Er fehlte mir so und ich war oft gewiss, dass ich ihn vergessen und aus meinem Herzen gestrichen hatte. Aber wenn ich an ihn dachte, so tat es wieder weh. Was habe ich diesen Kerl geliebt.

„Ihr seid doch irgendwie alle gleich. Wenn man da als Normalsterblicher auftaucht, dann guckt ihr von oben herab auf uns Chakralosen. Als wären wir Menschen zweiter Klasse. Und dann immer diese bescheuerten Missionen. Tagelang, wochenlang seid ihr unterwegs. Und zuhause steht man tausend Tode aus, ob ihr überhaupt wiederkommt. Die ganze Zeit hat man diese furchtbare Angst. Total sinnlos. Ständig geht es nur darum, wer wem die Butter vom Brot klaut und dabei geht es immer über Leichen hinweg. Eigentlich seit ihr doch allesamt bezahlte Massenmörder. Was soll das? Macht doch einfach mal was Vernünftiges!“

Verdammt, nun hatte ich mich doch wieder in Rage geredet. Das wollte ich gar nicht. Da zitterten wieder meine Hände und meine Stimme. Die Lippen hatten ich fest aufeinander gepresst. Es waren sicherlich böse und verletzende Worte in Inus Ohren, der vermutlich für seinen Job brannte. Doch für mich war es exakt die Wahrheit, die meinem Leben eine böse Kehrtwende gegeben hatten und es seit dem bestimmte. Es waren meine Demütigungen und Erfahrungen, die ich ertragen musste.

„Und willst du es herausfinden?“, fragte Inu ruhig.

Verwundert blickte ich von meiner Kaffeetasse auf. Ich hatte erwartet, dass er vielleicht sauer sein würde. Oder gar beleidigt. Aber das schien er nicht im Mindesten und fragte mich sogar noch, ob ich etwas über meine verflossene Liebe wissen wollte. Ernsthaft dachte ich darüber nach. Ja, ich wollte immer wissen, was passiert war. Warum er einfach nicht mehr bei uns war. Er wusste ja von der Schwangerschaft und hatte sich so sehr gefreut, dass er tatsächlich drüber nachgedacht hatte, seinen Beruf an den Nagel zu hängen. Aber wollte ich wirklich alles wissen? Oder war es besser, die Geschichte auf sich beruhen zu lassen. Ich konnte es nicht mit mir selber klären, ob mir die Wahrheit innere Ruhe oder nur neue Traurigkeit bringen würde. Wäre es ein Abschluss des Themas? Wenn er auf einer Mission umgekommen wäre, so könnte ich damit leben, dass er Yuuki und mich nicht versetzt hätte. Es wäre ein ganz normaler Arbeitsunfall mit Todesfolge. Was auch immer daran „normal“ wäre. Man müsste nicht mehr warten, hoffen und bangen, dass er vielleicht doch eines Tages vor der Tür stehen würde. Wenn er sich aber irgendwo ein neues Leben aufgebaut hätte, würde ich mich verraten und verkauft fühlen. Mein Schmerz wäre dann wohl unendlich.

„Ich weiß es nicht ...“, murmelte ich unentschlossen, klammerte mich an meine Tasse und sah geistig abwesend in den Abendhimmel. Wir schwiegen uns eine längere Weile an, was doch recht ungewöhnlich war. Irgendetwas lag in der Luft.

„Yuuki kann sich nun so gut kontrollieren, dass er keinen Schaden mehr macht.“

Ah, das Thema hatten wir neulich schon einmal. Aber was genau lag da zwischen den Zeilen?

„Es gibt noch vieles, was er lernen könnte, aber ...“

Aber was?

„... ich werde in der nächsten Zeit kaum noch vorbei kommen können.“

Das hatte gesessen wie ein Faustschlag ins Gesicht. Völlig unvorbereitet. Es war klar, dass Yuukis Training irgendwann ein Ende haben würde, da er niemals eine komplette Ninjaausbildung absolvieren sollte. Und ich war Inu mehr als dankbar, dass er uns durch seine Hilfe mehr als gerettet hatte. Es war Ironie des Schicksals, dass ich schon oft darüber nachgedacht hatte, wie es weitergehen würde, wenn unser ANBU wieder das Weite suchend würde. Und da Inu eine alte Wunde aufgerissen hatte, fetzte sich in meinem Hirn eine Beleidigung über ihn mit der anderen. Dass Ninja eh alle gleich wären. Dass es kleine, blöde Arschlöcher wären, denen die Mission viel wichtiger als die Familie wären. Und so weiter.

Nun tat ich nicht nur schmollend, ich war wirklich traurig. Betrübt starrte ich in die Schwärze meiner Tasse und fand keinen tröstenden Gedanken. Obwohl wir keine Beziehung miteinander hegten und ich mein zartes Kribbeln im Bauch noch nicht einmal als Liebe bezeichnet hätte, kam es mir so vor, als hätte er eben mit mir Schluss gemacht. Klingt das nicht bescheuert? Inu musste meinen Schmerz bemerkt haben. Sichtlich getroffen, was seine Worte ausgelöst hatten, stammelte er eine Wiedergutmachung:

„Kaum-vorbeikommen ist nicht dasselbe wie nie-wieder-vorbeikommen...“

„Ach, ist doch alles in Ordnung!“, winkte ich hastig ab, sprang auf und griff nach seiner leeren Tasse. „Du hast ja auch noch anderes zu tun, als uns ständig zu bespaßen.“

Irgendwie musste ich ich raus aus dieser Situation, sonst wüsste ich nicht, was ich als nächstes täte. Da tobte plötzlich soviel in mir. Wut, dass ich am liebsten die Tasse auf den Boden geschmissen hätte. Traurigkeit, weil ich ihn wirklich gern mochte und keinen Freund verlieren wollte.

Inu war mit der Situation komplett überfordert. Er war aufgestanden, hatte wie immer die Hände in den Hosentaschen vergraben und starrte den Fußboden an. Natürlich besaß er keine Kristallkugel, die ihm meine Gefühlswelt offenbarte. Hatte er sich darüber überhaupt mal selber Gedanken gemacht? Garantiert nicht. Warum auch? Nun stand er da wie ein begossener Pudel und war sichtlich überfordert. Ja, der große Nachteil bei ANBUS: Sie haben es nicht so sehr mit den Gefühlen und zwischenmenschlichen Kompetenzen. Und als er mich nun auch noch ansprach, war es für ihn sicherlich nur ein Zeichen von Besorgnis, aber bei mir bohrte es tiefer.

„Kann ich dich jetzt allein lassen?“, fragte er verunsichert.

„Ja, alles super. Ich wollte eh gleich ins Bett gehen.“, murmelte ich mal wieder.

Er legte den Kopf schief und starrte mich durch seine Maske an. Nein, er glaubte mir kein Wort. Trotzdem hob er die Hand zum Abschied und verpuffte in einer Wolke. Arschloch, hatte ich nicht gesagt, dass ich keine Schattendoppelgänger in meinem Leben haben wollte? Wenigstens würde nun sein richtiges Ich den sentimentalen Schlag in die Fresse bekommen. Wo auch immer dieses richtige Ich auch war. Hoffentlich so, dass es viele Leute mitbekommen und es sehr peinlich für ihn werden würde. Ja, ich war schon wieder garstig, doch das war mir im Moment vollkommen egal. Ich stand verlassen auf meiner Terrasse mit zwei Kaffeetassen in der Hand, kaute auf der Unterlippe und spürte den riesigen Kloß in meinem Hals, der wuchs und wuchs. Ich wollte nicht heulen. Nein, ich würde nicht heulen. Ich war stark und würde mich nicht erschüttern lassen. Nein, nein, nein! Nicht für so einen Idioten. Einen Ninja, pffff!

Die erste Träne tropfte stumm auf die Fliesen.



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