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Kalendertage

Der Tag, an ...
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8 - Der Tag, an dem ich übers Wasser lief

Der August hatte sommerlich warm geendet. Es war zwar milder als in den letzten Jahren, aber tagsüber immer noch heiß genug, dass leichte Kleidung genügte und man auch in den Abend- und Nachtstunden nicht unbedingt auf eine dünne Jacke angewiesen war. Diese herrliche Wetterfront hielt sich noch bis in den September hinein und es war zu hoffen, dass es noch eine ganze Weile so bleiben würde. Generell hatte Konoha ein weit aus milderes Klima als das Erdreich. Hier konnte man noch lange auf Winterkleidung verzichten. Der Kälteeinbruch erfolgte meist erst zum Ende des Jahres und erstreckte sich über das erste Quartal. Dann aber fielen die Temperaturen schlagartig weit unter den Gefrierpunkt und es schneite heftig und viel. Der Ort versankt unter einer dicken Pulverschneeschicht. Die Häuser sahen aus, als trügen sie Zuckergusshauben. Eine eisige Romantik, die nur den heftigen Schneestürmen wich, welche dann unerbittlich alles Leben aus den frostigen Straßen in die warmen Stuben trieb.

Doch soweit voraus wollte ich, jetzt die letzten Strahlen des Sommers genießend, nicht denken. Es war Mitte September und die Sonne lachte von einem knallblauen Himmel herunter. Trotzdem spürte man die ersten Anzeichen der kommenden Jahreszeit. Die ersten Bäume hatten in ihrem grünen Laub vereinzelte gelbe und rote Tupfer. Die Tage wurde wieder kürzer. Das Licht war nun häufig abends orange. Konoha leuchtete golden.

Nachdem sich unser werter ANBU mal wieder zwei volle Wochen nicht hatte blicken lassen, aber wenigstens die Güte besaß mitzuteilen, dass alles in Ordnung wäre, stand nun heute ein allerletztes Training auf dem Plan. Ich glaubte zwar nicht so recht daran, dass es auch wirklich nun zu einem Abschluss kommen sollte, aber Inu war davon überzeugt. Er war der Fachmann. Also musste ich diesem Urteil vertrauen.

„Wenn er kein Shinobi werden soll, dann reicht das Erlernte aus. Und das macht er wirklich gut. Sehr beeindruckend.“, hatte er mir seine Entscheidung kurz und knapp mitgeteilt.

Per DropIn, nicht mündlich. Wäre ja sonst auch zuviel des Umstandes und überhaupt zuviel des sozialen Kontaktes gewesen. Ninjas waren halt so. Immer auf kurioser Distanz. Da konnte man nichts machen.

Um Yuuki nicht allzu traurig zu machen, hatten wir beide beschlossen, ihm davon noch nichts zu sagen. Das könnte man auch nach dem Training machen. Yuuki wunderte sich sehr, dass ich ihn zum Trainingsplatz begleitete, da ich sonst immer daheim geblieben war. Doch er glaubte mir sofort, als ich ihm sagte, dass ich nach den letzten Wochen der Abwesenheit gerne einmal zuschauen würde, wie die Früchte des Trainings aussahen. Und es war nicht gelogen, dass ich vor skeptischer Neugier platzte. Außerdem raste eine Unruhe in mir, wie Inu mir nach unserem Händchenhalten begegnen würde. Ich hatte schon die böse Vorahnung, er würde mich stumpf ignorieren. Und das wiederum machte mich unzufrieden und traurig. Ich mochte keine Ungewissheit und brauchte klare Fakten.

Nun saßen mein Kind und ich hier zu zweit im Gras, ließen uns die Abendsonne auf den Bauch scheinen und warteten auf den, der es irgendwie nie so recht mit den Zeitangaben genau nahm und deshalb auch schon gar keine mehr machte. Inu teilte immer nur als Termin „vormittags“ oder „gegen Abend“ oder so etwas ähnliches mit. Das war für mich, die streng nach einem gut getakteten Terminkalender lebte, eine echte Qual, aber für Inu wohl eine super Ausrede, dass man ganz grob den Zeitrahmen hielt ohne diskutieren zu müssen, warum man häufig später aufkreuzte. Eigentlich total clever, aber für mich echt die Hölle. Diese ganze Warterei war Mist. Mich machte sowas kribbelig, nervös und unruhig, zumal ich mir immer ausmalte, was ich anstelle von Zeitverschwendung lieber tun hätte können. Aber so war Inu nunmal und da ließ er sich auch garantiert nicht ändern.

Es war idyllisch am Fluss. Die Vögel zwitscherten. Eine leichte Brise wog die Grashalme hin und her. Yuuki erklärte mir, dass Inu ihn zwar immer warten ließ, aber es wäre nur ein kurzer Moment. Na, da blieb zu hoffen, dass es auch heute so wäre. Ich hatte schon wieder Hummeln im Poscher, wackelte nervös mit den Fußspitzen und verrenkte meine Finger ineinander.

Leider tauchte Inu nicht als erster auf, sondern drei Rotzbengel. Sie trugen Ninjakleidung, sprachen frech und beanspruchten den Trainingslatz für sich. Wir hätten doch bitte zu gehen, denn sie wollten hier in Ruhe etwas für den morgigen Schultag üben. Ich musterte die drei Jungen und schätzte sie auf Yuukis Alter. Natürlich versuchte ich, ruhig zu bleiben und wollte klar machen, dass wir hier ebenfalls auf ein Training warteten. Allerdings war das ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen mit den drei Kindern zu reden. Das Trio lachte laut auf und fragten spöttisch, was das denn für ein Training werden sollte und zu welchem Team Yuuki denn gehören würde. Die Arroganz floss nur so verbal aus ihren Mündern. Sie fühlten sich überlegen und im Recht. Der Platz war alleinig für das Shinobi-Training reserviert. Und da die drei Jungen meinen Sohn noch nie hatten in der Akademie sitzen sehen, schlussfolgerten sie logischerweise, dass dieser deshalb garantiert auch kein Ninja-Anwärter wäre. Demnach hätten wir auch kein Aufenthaltsrecht auf diesen Platz. Nun war für mich guter Rat teuer. Zwar fürchtete ich mich nicht vor diesen Rotzlöffeln, waren es doch noch Kinder, aber sie waren uns definitiv an Kampfkraft überlegen und sowieso nicht bereit, Argumente zu akzeptieren. Da blieb eigentlich nur noch als einzige Lösung, auf Inus Auftauchen zu warten. Denn eines hatte ich schon lange bei der Ninja-Bande beobachten können: Sobald auch nur ein einziger Ranghöherer aufkreuzte, zogen die Rangniederen meist, wenn auch widerwillig, die Köpfe ein und gaben klein bei. Und nach meiner Unkenntnis ergab es sich, dass ein ANBU garantiert als ranghoch anerkannt wurde.

Doch mir blieb nicht die Gelegenheit, auf unseren persönlichen Haus- und Hof-ANBU zu warten. Mein Sohn tat etwas völlig Unvorhersehbares. Er stand ruhig auf und bot den dreien an, um die Platznutzung zu kämpfen. Entsetzt blickte ich ihn an, denn das Verhalten war mir bis dato noch nicht untergekommen. Aus dem kleinen unscheinbaren Kind, war ein selbstbewusster Junge geworden. Auch wenn ich ihm ansah, wie ihm unter seiner Haut die Düse vor Angst ging. Aber er versuchte seine Angst zu meistern, verhielt sich ruhig und wartete auf eine Antwort. Erst erstaunt, dann hochmotiviert, schlug die Dreierbande in das Angebot ein. Man machte sich kampfbereit.

Mich hielt nichts mehr auf dem Rasensitzplatz. Wie von einer Tarantel gestochen sprang ich auf und konnte nicht fassen, was sich hier vor meinen Augen gleich abspielen würde. Ganz schwarze Horrorbilder spielten in meinem Kopfkino. Drei Genin-Anwärter gegen Yuuki ohne Rang und Namen. Ich sah in einer Vision, wie Yuuki in wenigen Sekunden von allen dreien gleichzeitig in der Luft zerfetzt und anschließend blutüberströmt in einzelne Gliedmaßen zerstückelt auf dem Boden liegen würde. Und die Krähen kreisten schon über dem Aas. Oh nein, oh nein! Konnte man das hier nicht irgendwie stoppen? Ich war verzweifelt. Inu, du Flachpfeife, wo bist du, wenn man dich mal wirklich braucht?

Und dann ging es auch schon los. Shuriken flogen auf Yuuki zu, der erstaunlich geschickt auswich und dem Trio ein Staunen auf die Gesichter zauberte. Sie hatten wohl nicht damit gerechnet, dass Yuuki wirklich Plan hatte, von dem, was er hier tat. Also schmissen sie frustriert ein paar Kunai hinterher, und einer der Dreien verschwendete sogar Chakra und schickte ein Feuerkugel über die Wiese, die selbst auf einen Laien wie ich es war äußerst mickrig wirkte. Nach wenigen Metern verpuffte sie von ganz allein in der Luft, was dem Feuerspucker eine gehörige Portion Schimpfe durch seine beiden Teamfreunde einhandelte. Während die Drei sich stritten, wie sie weiter vorzugehen hätten, beobachtete ich voller Verwunderung, wie Yuuki tatsächlich zum Gegenschlag ausholte. Für mein Kind standen das Trio strategisch günstig am Fluss. Also machte er noch etwas unbeholfene Fingerzeichen und verharrte dann in einer hochkonzentrierten Haltung. Plötzlich wallte das Wasser im Fluss. Es schoss meterhoch, wie die Welle eines Tsunami und duschte die Bengel total überraschend eiskalt ab. Ziemlich verdattert blickten diese nun klitschnass drein, hatten nun aber wohl beschlossen, dass dieses hier ein sehr ernster Kampf werden würde. Sie nahmen sich nun wirklich die Mühe, etwas über den Gegner, den sie in allen Maßen unterschätzt hatten, herauszufinden.

„Du bist nicht bei uns auf der Akademie. Ich hab dich da noch nie gesehen. Wer hat dir das gezeigt?“, fragte einer der Bengel gereizt und ein andere ergänzte: „Das war mindestens ein C-, wenn nicht sogar ein B-Rang-Jutsu!“

C? B? War das gut oder schlecht?

„Mein Sensei!“, konterte Yuuki klug ohne auch nur ein Sterbenswörtchen über Inu zu verraten.

Ich war von meinem Kind geplättet. Als Yuuki geboren wurde, da fiel in Konoha der allererste Schnee. Er war als Baby so blass. Also dachte ich, dass Yuki doch ein schöner Name wäre. Yuki, der Schnee. Aber ich war noch nicht so mächtig der fremden Sprache, wie ich es heute bin und sprach Yuki mit einem langen U aus, so dass die Hebamme Yuuki mit Doppel-U notierte. Das hieß Mut. Und nun stand ich hier auf einem Trainingsplatz, sah unfreiwillig dem ersten Kampf meines Sohne zu und wusste: Mein Versprecher war kein Fehler, sondern ein Zeichen der Zukunft.

„Und wer ist dein Sensei?“, hakte einer der Dreien noch nach.

Dabei zog er das Wort Sensei so verstellt in die Länge, dass es nach großem Hohn und Spott klang. Man konnte sich also nicht vorstellen, dass es tatsächlich Kinder gab, die nicht auf der Akademie waren und demnach Privatunterricht bekamen.

„Ein ANBU!“, ließ sich Yuuki die Butter nicht vom Brot nehmen.

Erst herrschte kurze Stille, dann brach ein schallendes Gelächter los. Das Trio hatte die Weisheit mit Löffeln gefressen und war sich absolut sicher, dass ANBUs alles möglich trieben, aber sicherlich keine Zeit hätten, Kinder zu unterrichten. Und schon gar keine Kinder, die noch nicht mal auf der Akademie wären. Da hätte ein armer Irrer Yuuki aber so ziemlich an der Nase herumgeführt, wurde uns da ganz unverblümt aus naiven Kehlen an den Kopf geworfen. Ich spürte, wie sich Yuukis Fäuste ballten und er den Kopf senkte. Da lastete nun ein sehr hoher Druck auf seinem jungen Haupt. Er drohte, unter den blöden Sprüchen einzuknicken und die Konzentration zu verlieren. Und so übersah er auch, dass eines der anderen Kinder mit einem Erdjutsu die Erde zum holprigen Beben und Yuuki somit zu Fall brachte. Als er sich dann wieder auf die Füße rappelte, sah ich einen Blick, den ich so noch nie bei ihm gesehen hatte. Seine Augen waren hart und kalt geworden. Es war der Blick eines Menschen, der sich persönlich gekränkt fühlt und bereit war, nun eine große Dummheit zu begehen. Er war stolz auf sich und was er gemeistert hatte. Und Inu war für ihn sowieso der Allergrößte und Allercoolste. Häufig hatte er zuahsue geschwärmt, was er wieder alles gelernt hätte. Über Inu wurden durch andere also schonmal gar keine Witze gerissen. In meinem Magen zog sich alles zusammen. Hier würde gleich ein großes Unglück passieren. Konnte denn keiner diesen Wahnsinn beenden? Ich fühlte mich hier gerade so hilflos, nutzlos und überflüssig. Mir drehte sich der Boden unter den Füßen. Ich brauchte was zum Festhalten. Reflexartig griff ich neben mich, aber anstelle die Baumrinde das nahen Baumes an meinen Fingern zu spüren, ertastete ich einen Arm. Ohne zu Fragen umklammerte ich Inus Arm wie einen Schraubstock. Meine Finger bohrten sich so tief in sein Fleisch, dass es bis zum Knochen nicht mehr weit sein konnte.

„Mach was!“, zischte ich verzweifelt.

Ich sah ihn von der Seite an. Im Gegensatz zu mir war Inu mal wieder Mister Tiefenentspannt. Ich bewunderte es im Geheimen jedes Mal, wie jemand zwar mit kerzengeradem Rücken aufrecht stehen konnte, aber schier Null Körperspannung hatte. Jemand, der so lax herumstünde, müsste eigentlich zusammensacken wie ein Fragezeichen, doch Inus Kreuz war der Traum aller Orthopäden. Auch wenn er insgesamt recht schmal im Vergleich zu vieler seiner Kollegen war. Einer vom Typ Bohnenstange, aber nicht minder durchtrainiert. Das war mir neulich kurz aufgefallen, als er beim Pott Kaffee trinken seine Weste über die Stuhllehne gehangen hatte. Der Körperbau versteckte sich gut unter der Ninjakluft. Besonders die Westen mit ihren Polstern und Protektoren trugen dick auf und machten die Gesamterscheinung wuchtiger. Und was solch eine Weste wog... Ich kam nicht um einen Spruch umhin zu fragen, ob da Backsteine eingenäht wäre, weil sie so schwer war. Inu verneinte lachend und meinte augenzwinkernd, es wäre bloß ein halber Hausstand in den Taschen verstaut. Haha, wer's glaubt! Zumindest hatten wir da noch unseren Spaß. Aber das hier vor meinen Augen war überhaupt kein Spaß. Ich hatte Angst und zupfte nervös an seinem Arm, auf dass er doch endlich etwas unternehmen würde.

„Bis jetzt hat er die Oberhand.“, war seine kennerische Aussage und die Antwort darauf, warum er in den Kampf nicht eingriff und ergänzte frech: „Außerdem hab ich gleich einen gebrochenen Arm.“

Hmpf, mach dich nicht wieder lustig über mich. Du verlierst eben wieder Sympathiepunkte bei mir, Inu! Ich ließ ihn angesäuert wieder los und wandte mich wieder dem Kampf zu. Es war unfassbar, was Yuuki zustande brachte.

„Ranton Rêzâbîmu!“ hallte über den Platz und ich sah, wie Yuuki eine orangene Energiekugel in einer Hand formte und mit einen Hechtsprung von sich schmiss, wie Handballer es zu tun pflegten, wenn sie auf das gegnerische Tor warfen.

Das Ergebnis war, dass dort, wo eben noch das Trio gestanden hatte, ein riesiger Krater aufriss. Und die drei Jungen? Die blickten völlig entgeistert aus dem Krater heraus und bekamen nun zum zweiten Mal eine nasse Dusche, denn der Krater war nahe des Flussufers und lief sofort voll Wasser. Das alles hatte Yuuki in der kurzen Zeit gelernt? Ich war sprachlos. Und nun bildete mein Sohn noch einen weiteren Laserstrahl. Er war völlig weggetreten in einer ganz anderen Welt.

„Ok, jetzt übertreibt er!“, kommentierte Inu die Sachlage trocken, machte einen Satz vorwärts und war im nächsten Moment direkt an Yuukis Seite.

Ich hörte, wie Inu ihn einerseits lobte, wie präzise er seine Technik eingesetzt hatte. Andererseits gab es aber auch eine Rüge. Denn sein Ranton wäre immerhin ein A-Jutsu. Das schmisse man nicht einfach so durch die Gegend. Und schon gar nicht in Abwesenheit des Senseis und ohne Ninja-Ausbildung. Basta!

Das streitbare Trio war längst aus seinem Wasserloch geklettert und hatte sich im wahrsten Sinne des Wortes vom Acker gemacht. Ziemlich bedröppelt und mit hängendem Kopf stand da nun Yuuki neben seinem Sensei und stammelt eine wüste Ansammlung an Entschuldigungen von sich, bis Inu ihm schmunzelnd als Geste der Versöhnung kurz durch seine schwarzen Haar strich. Da verstanden sich Zwei sehr gut. Ich beobachtete sie beide aus der nahen Entfernung und fühlte mich überflüssig. Und als sie sich dann auch noch zum Gehen wandten, war ich anscheinend restlos vergessen und abgestempelt worden. Ich lief ein paar Schritte, um sie einzuholen, blieb aber dann frustriert auf halbem Wege stehen. Luftlinie war dieses vor mir der direkte Weg nach Hause. Genau über den Fluss hinweg, durch die Baumwipfel und dann über die Dächer. Nur für Menschen mit Chakra. Ninjas können das. Ich nicht. Meine Angst war längst verschwunden, als ich sah, dass mein Sohn vorlief und mitten auf der Wasseroberfläche zum Stehen kam. Er stand auf dem Wasser, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. Ja, in seiner Welt. Nicht in meiner. Und schon war ich wieder bei dieser Frustration, dass ich niemals zu dieser Welt gehören würde. Yuuki und Inu lebten in anderen Dimensionen. Weit weg von so einer wie mir, die sich zwar ein Leben lang den Buckel krumm gemacht hatte, um sich und ein Kind durchzubringen, aber nun wieder an ihrer Grenze stand. Ich war wütend und traurig zugleich, kaute wieder auf meiner Unterlippe und starrte auf den Fußboden, nur um nicht einem der beiden ins Gesicht blicken zu müssen.

Der Fluss lag so ruhig da. Die Abendhimmel spiegelte sich auf der feinen Strömung. Dort, wo Yuuki auf das Wasser trat, bildeten sich Wasserkreise, die immer größer wurden, bis sie auf dem Fluss ausliefen. Wie das wohl wäre, wenn man da so stehen könnte? So mitten auf dem Wasser? Ich würde es niemals erfahren.

Plötzlich rissen mich Stimmen aus den Gedanken. Ich blickte auf und stellte fest, dass Inu am Uferrand stand und auf mich wartete, während Yuuki dort auf dem Fluss mir Mut zurief und ungeduldig winkte.

„Na los, Mama! Das ist total einfach!“

Und schon sprang er weiter und gelangte sicher ans andere Ufer. Pff, total einfach. Sehr witzig! Ich zog einmal tief die Luft in meine Lungenflügel ein und atmete hörbar wieder aus. Erst jetzt sah ich, wie Inu mir seine ausgestreckte Hand entgegenhielt. Das musste er wohl schon eine ganze Weile tun. Was sollte das denn werden?

„Augen zu!“, befahl er leise.

Knurrend und angesäuert tat ich, wie er mir geheißen. Dann wurden meine Hände sanft gegriffen und eine Hitzeschauer durchzog mich. Es war nicht so ein warmes Kribbeln, wie man es verspürte, wenn man frisch verliebt war und bei seinem Liebsten zum ersten Mal in den Armen lag. Und es war auch nicht dieses elektrisierende Knistern, wie neulich beim Feuerwerk. Nein, das hier fühlte sich ganz anders an, wie ein angenehm brennender Strom unter der Haut. Er floss durch meine Hände und Arme, durch meinen Rumpf und hinab durch meine Beine. Es sammelte sich in meinen Fußsohlen. Und noch ehe ich das Ganze überhaupt verstehen konnte, wurde ich an meinen Händen mitgezogen. Schritt für Schritt, ganz langsam voraus. Weiter immer und weiter. Ich kniff die Augen zusammen und überlegte, was mir gleich wohl noch blühen würde, als sich schlagartig die Bodenbeschaffenheit unter meinen Füßen änderte. Ich zuckte zusammen, spürte aber, wie Inu meine Hände fester hielt und mir Sicherheit gab. Noch ein paar Schritte ging es weiter. Der Boden war komisch.

„Augen auf! Aber nicht schreien!“, sagte er mir nun und ließ an seiner Stimmlage durchblicken, dass er eine gewisse schelmische Vorfreude auf meine kommende Reaktion hatte.

Was tat wohl ein Mensch, dem man sagte, er solle am Berghang nicht nach unten sehen? Natürlich sah er nach unten aus einem Affekt heraus. Hier war es ähnlich. Ich sollte nicht schreien, tat es aber. Und zwar einmal laut und schrill. Derart erschrocken, was sich hier abspielte, hatte ich Inu in den Klammergriff genommen, wie man sich als Nichtschwimmer auch an einen Rettungsring klammern würde. Man hätte auch sagen können, ich wäre ihm vor Panik auf den Arm gesprungen. Wir beide gerieten gefährlich ins Wanken.

„Hey, du darfst nicht loslassen...“

Das hätte er nicht zu sagen brauchen. Ich würde garantiert nicht loslassen. Immer noch im Schockzustand hörte ich Yuuki am anderen Ufer lachen und sich am Boden kugeln. Meine Klammeraffenhaltung musste zu komisch aussehen. Und ab da wurde mir auch erst bewusst, was ich hier gerade tat. Ich hatte meine beiden Arme fest um seinen Hals geschlungen, dass er unter seiner Holzmaske bestimmt schon Atemnot hatte und Blau anlief. Langsam kam ich wieder ein wenig zur Ruhe. Nein, nein. Totaler Blödsinn, Sherenina. Durch die Umklammerung schmiegte sich mein Körper an seinen. Sein Brustkorb hob und senkte sich ganz deutlich. Also lief mit der Sauerstoffzufuhr auch nichts schief.

„Du bist ja heute anhänglich“, neckte er mich leise.

Meine Gesichtsfarbe färbte sich dunkelrot, weil mir auch nun erst klar wurde, dass seine Arme an meiner Taille und seine Hände in meinem Rücken ruhten. Fast gleichzeitig lockerten wir unsere Haltung und nahmen wieder die Armlänge Abstand ein, wie wir sie hatten, bevor ich meine Augen öffnete.

Ich! Stand! Mitten! Auf! Dem! Wasser!

Fasziniert starrte ich zum Boden, der gar keiner war. Es war der glatte Wahnsinn und so unbeschreiblich schön. Unter meinen Füßen sah ich auf den Grund des Flusses. Einzelne Fische schwammen vorbei. Einige Wasserpflanzen wogen sich in der Strömung. Ich hätte noch stundenlang hier stehen und in das Wasser starren können, doch Inu führte mich weiter. Einen Fuß vor den anderen, und dabei sah ich zu, wie sich feine Kreise auf dem Wasser bildeten, wenn ich mit den Fußspitzen die Wasseroberfläche berührte. So schön!

Leider war ein Fluss kein Ozean und so kam das andere Ufer unaufhaltsam näher. Viel zu schnell war der Lauf über das Wasser zu ende. Kaum hatte ich wieder festen Boden unter den Füßen, ließ Inu meine Hände los und der heiße Strom durch meinen Körper endete.

„Sein Chakra!“, schoss es mir durch den Kopf.

Er hatte es durch meinen Körper fließen lassen, damit ich nicht unterging. Es war eine unglaubliche Erfahrung gewesen. Das schlechte Gewissen nagte an mir, da ich mich zu gern bedankt hätte. Doch mir kam nichts Passendes in den Sinn.

„Du bist unglaublich!“, murmelte ich vor mich her.

„Stimmt doch gar nicht“, winkte er schon fast ein wenig verlegen ab.

„Doch, doch. Auch, was du Yuuki in der kurzen Zeit beigebracht hast... Toll! Ich weiß gar nicht, wie ich das jemals gutmachen soll“, lobte ich, weil ich es einfach angebracht fand.

Zu meiner Überraschung kam Inu da aber gar nicht mit zurecht. Verlegen kratzte er sich am Kopf und erklärte, dass Yuuki doch alles schon vorher gekonnt hatte. Er hätte ihm doch nur gezeigt, wie man es optimieren könnte. Also alles gar nicht sein Werk. So toll wäre er gar nicht, stapelte er so tief, dass man einen Keller hätte ausheben können.

Wir hatten den Fluss und den Hain hinter uns gelassen, streiften durch die Gassen von Alt-Konoha und kamen nun an die Straßenkreuzung, wo es die Serpentinen durch die Häuser am Berghang hinauf auf das Plateau ging. Yuuki war schon vorausgeeilt, denn seine Lieblingsserie im Fernsehen neigte sich heute dem Staffelfinale zu. Das durfte ja auf gar keinen Fall verpasst werden. Inu war in seiner üblichen Einschlafhaltung mit uns gegangen, und ich überlegte, wo er wohl wohnte. Bis jetzt teilten wir dem Anschein nach denselben Heimweg.

Unerwartet hielt dieser aber an, räusperte sich verlegen und suchte nach den passenden Worten. So hatte ich ihn noch nie erlebt.

„Ich...“, stotterte er los. „...hab da ein kleines Attentat auf dich vor.“

„Ein Attentat?“, fragte ich ungläubig. „Und das wäre?“

Seine Körperhaltung sprach Bände wie ein Hörbuch. Es war ihm sichtlich unangenehm. Beinah so, als fürchte er, abgelehnt zu werden oder ein sehr unmoralisches Anliegen unterbreiten zu müssen.

„Kann ich bis übermorgen bei dir unterkommen?“

Mein Gesicht musste ein reines Fragezeichen gewesen sein. Es ratterte in meinem Kopf, musste ich mir die Frage und deren Bedeutung erst mal klar machen. Hatte ich da eben richtig gehört? Meine Antwort ließ wohl zu lange auf sich warten, denn sofort entschuldigte er sich bei mir, mich mit seinem Problem belästigt zu haben. Es wäre eine total dumme Frage von ihm gewesen und ich sollte sie doch einfach wieder vergessen. So hatte ich ihn wirklich noch nie erlebt. Ich musste mir ein Lachen echt verkneifen, weil er eben noch so selbstbewusst tat und nun so hilflos herumstammelte. Es war fast schon süß.

Ich hatte den ganzen Rückweg über einen Dank an ihn nachgedacht. Da war es die optimale Gelegenheit, sich für seine Hilfe der letzten Wochen zu revanchieren.

„Klar, kannst du!“, erfüllte ich seinen Wunsch und man sah, wie sich unter der dicken Schutzweste ein großer Gesteinsbrocken von seinem Herzen löste und bildlich krachend auf dem Boden zerschellte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Black_Tenshi
2017-05-10T11:10:39+00:00 10.05.2017 13:10
Richtig süß die beiden.
Ich glaube er hat zwar nicht erwartet, dass sie sich ihm an den Hals wirft, als sie aufs Wasser sind, aber gefallen hat es ihm sicher auch. Und jetzt wohnt er auch noch bei ihr, wird ja immer besser. Ich bin schon richtig gespannt auf das nächste Kapitel!
Glg von Black_Tenshi.
Antwort von:  sakemaki
10.05.2017 20:38
Danke! Ja, das hat er alles geschickt eingefädelt. Und gefallen hat es ihm garantiert. ;-)

Soll ich nun jeden Tag ein Kapitel hochladen oder bei dem 3-4 Tage-Rhythmus bleiben? Von den geplanten 35 Kapiteln sind ja schon 29 fertig. Wie hättest du es lieber?
Antwort von:  Black_Tenshi
10.05.2017 22:02
Also da ich ja unglaublich gerne lese, würde ich natürlich am liebsten jeden Tag die Story lesen, aber da ich weiß, wie es ist, wenn eine Story schneller fertig ist alles geplant oder man mit dem Schreiben nicht hinterherkommt, kann ich dir nur raten das selbst zu entscheiden. Ich weiß ja nicht wie das bei dir läuft aber ich habe immoment viel zu tun und komme mit dem Schreiben nicht hinterher. Aber wenn du viel schreibst kannst du natürlich auch jeden Tag was hochladen.
Aus der Leser Sicht würde ich mich über jeden Tag ein Kapitel freuen, aber du solltest dann lieber selber entscheiden, wie du es machen willst. Ich freu mich und kann auch Mal länger warten😊
Ich sehe ja dann morgen, wie du dich entschieden hast.


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