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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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19 - Der Tag, an dem die grüne Rettung nahte

In meiner Heimat hatte der November immer ein mystische Facette. Lange, dunkle Nächte. Weißer, dicker Nebel. Graue, verblühte Natur. Nasskalte Temperaturen. Und wenn eben dieser Nebel die Hochebenen wie in einer Decke einbettete oder durch die Täler langsam wallte, so erzählte er in der Fantasie schaurig schöne Sagengeschichten und täuschte das menschliche Augen mit Märchengestalten. Eine pure Symbolkraft von Traurigkeit und Vergänglichkeit.

Obgleich das Klima in Konoha milder war und die Vegetation weitgehendst ganzjährig grün blieb, so überbrachten die einsetzenden Tage voller Dauerregen und die vielen kahl gewehten Bäume zwischen den wenigen grün gebliebenen Laubtupfern eine ähnliche Stimmung. Und ebenso gleich spiegelte sich dieser Monat in unserem Leben wider. Es herrschte eine traurige Aufbruchstimmung und tagtäglicher Familienstreit.

Natürlich hatte Yuuki den von mir vernichteten PostIt-Zettel vom Kühlschrank nicht vergessen und war überpünktlich zum vereinbarten Treffpunkt zu Kakashi marschiert. Ich kam nicht umhin, es Kakashi hoch anzurechnen, dass er die Missstimmung zwischen uns nicht in einen Topf mit Yuukis Ausbildung warf und ihn stattdessen so weiterbehandelte wie eh und je. Trotzdem kam mein Sohn geknickt heim, denn ich wusste ja bereits im Vorfeld, was Kakashi ihm mitteilen würde: So viele Trainingseinheiten wie bisher würde es in Zukunft nicht mehr im gewohnten Maße geben. Die Stimmung kippte dann gänzlich, als ich meinem Sohn dann auch noch die Kontorschließung beichten musste und dass es sehr ungewiss wäre, wie es mit uns weitergehen würde. Ich erzählte ihm auch von dem Termin im Erd-Reich, an dem sich alles entscheiden würde. Das war eine tränenreiche Enttäuschung und eine geknallte Kinderzimmertür. Endlich hatte sich sein Wunsch erfüllt, ein Shinobi werden zu können und nun musste er vielleicht die Koffer packen. Niemals würde ich zustimmen, dass er allein hier in Konoha bleiben dürfte. Die darauffolgenden Tage schleppte wir beide uns mit blanken Nerven durch den Alltag. Erstaunlicher Weise hatte es wenigstens meine Belegschaft nach außen hin mit Fassung getragen, dass sie zum Jahresende bald allesamt auf der Straße stehen würden. Trotzdem war die Luft raus. Zwar erledigten sie nach wie vor vorbildlich ihre Aufgaben, aber der frühere Elan, das Lachen und der Eifer waren wie weggeblasen.

Um endlich meine berufliche Zukunft wieder ins Lot zu bringen, hatte ich den Termin aus dem offiziellen Schreiben meines Arbeitgebers wahrgenommen und war eine Woche später Anfang November zusammen mit Yuuki ins Erd-Reich gereist. Seine Großeltern strahlten überglücklich, als sie ihn nach so langer Zeit wiedersahen, konnten aber sofort spüren, dass ihr Lieblingsenkel nicht der aufgeweckte Sonnenschein war, wie sie ihn zuletzt in Erinnerung hatten. Durch nichts, was ihn früher erheitert oder worauf er sich im Hause seiner Großeltern gefreut hatte, konnte seinen fast schon als depressiv zu bezeichnenden Gemütszustand ändern. Sorgenvoll und fragend blickten mich meine Eltern an. Schon am ersten Abend, nachdem ich Yuuki nach dem Essen zu Bett geschickt hatte, wurde es Zeit, die Fakten auf den Tisch zu legen.

Die Unterredung bei meinen Vorgesetzten am vorherigen Tage war kurz ausgefallen und hatte mir nur zwei Optionen gelassen, die ich als Wahl zwischen Sodom oder Gomorrha bezeichnen würde. Überschwänglich wurde ich während des Gesprächs mit Lob überschüttet, wie vorbildlich ich das Kontor in Konohagakure in der Vergangenheit geleitet hatte und nach wie vor wirtschaftliche Gewinne einheimsen würde. Umso bedauerlicher wären da doch die unüberbrückbaren Differenzen zwischen der Kontorleitung und dem Feudalherren. Daher würde man mich nun gerne in der Chefetage im Hauptsitz oder aber als Haupteinkäuferin sehen wollen. Letzteres setzte hohe Reisebereitschaft auf allen Erdteilen voraus. Wäre ich kinderlos, ich hätte sofort die firmenfinanzierte Weltreise genommen. Doch mit Yuuki war es mir nicht möglich, alle Herren Länder abzuklappern. Heute hier und morgen dort. Ein schöner Traum, den ich sofort begrub. Wenn ich also nicht arbeitslos werden wollte, so müsste ich in den sauren Apfel beißen und Konoha für eine unbestimmte Zeit den Rücken kehren.

Übel gesagt musste ich sogar gestehen, dass es mir zum damaligen Zeitpunkt so rein gar nichts ausmachte, müsste ich nun hier alle Zelte abbrechen. Nach dem großen Knall mit Kakashi fürchtete ich jede Sekunde, er könnte mir über den Weg laufen. Wie hätte ich ihm begegnen sollen? Die viele Aufregung um das Kontor hatte mich gehindert, mir über Kakashi und seine plötzliche 180-Grad-Wendung Gedanken zu machen. Sonst wäre mir wohl aufgefallen, dass da etwas nicht ganz stimmig war. Immerhin hatte er mir schonungslos eine Seite präsentiert, die ich von ihm nicht kannte. So unerwartet und so verwirrend. Doch ich war viel zu aufgewühlt und mit mir selbst unrein, in den nächsten Tagen die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Ich konnte und wollte Kakashi nicht sehen, geschweige denn einen Gedanken über ihn oder unser letzte Aufeinandertreffen verschwenden. Es gebot meine persönliche Situation, es mir übertrieben einfach zu machen und ihn als Idioten zu deklarieren, als mir die näheren Hintergründe anzueignen. Also ging ich nur noch die notwendigsten Wege zur Post, zur Bank oder zum Einkauf, um bloß jeglichen Kontakt zu vermeiden. Man könnte auch glatt sagen, ich würde mich vor ihm verstecken. Und er machte es mir leicht, hatte er doch den Kontakt vollends zu mir abgebrochen. Im Nachhinein total bescheuert, wie es so schlagartig explodiert war, doch es war damals mein Bauchgefühl gewesen, welchem ich blind folgte. Kein Funke in mir, dass es auch meine Schuld gewesen sein könnte, warum es war, wie es war. Da war ich damals einfach zu egozentrisch gepolt gewesen. Ein Schock allerdings war es für Yuuki gewesen, als ich ihm die frustrierende Botschaft überbrachte, wir müssten Konoha vielleicht sogar für immer verlassen. Und so folgte, was folgen musste. Wieder einmal mehr war ich die bescheuertste Mutter auf der ganzen Welt, Türen wurden geknallt und meine Person mit Missachtung gestraft.

Bevor ich aus meinem Elternhaus wieder abreiste, zog es mich noch einmal auf einem Spaziergang durch die Straßen meiner Heimatstadt. Ich kannte hier jeden Winkel, doch in meinen Erinnerungen war hier vor vielen Jahren die Zeit stehengeblieben. In der Realität aber war die Zeit weiter verstrichen. Zum ersten Mal verspürte ich so etwas wie ein Fremdeln meiner selbst. Auch wenn es noch kein vollständiges Jahrzehnt her war, als ich diesen Ort verlassen hatte, so kam er mir plötzlich ganz anders vor. Der Blumenladen an der Ecke war verschwunden. Die alte Frau aus dem dritten Stock war verstorben und würde nun nie wieder in den Hof hinab keifen. Einige Familien aus der Straße waren weggezogen. Nun wohnten dort neue Gesichter. Das Reihenhaus am Ende der Straße war abgerissen und durch ein moderneres Gebäude ersetzt worden. Ja, der Ort war topographisch gesehen der Ort geblieben, aber seine Bewohner und seine Geschichten hatten sich verändert. Die alte Stimmung, die mir dieser Ort durch schönen Erinnerungen erhielt, war nicht mehr. Ich kam mir ebenso fremd vor wie Yuuki sich fühlen müsste, würde er nun hier leben müssen, hatte er doch so rein gar keinen Bezug hierher. Heftige Zweifel nagten an mir, ob ich wirklich Konoha verlassen sollte. Das war auch der erste Moment, indem sich meine Gedanken langsam begannen, in Bahnen zu ordnen. In welchem viele Erinnerungsfetzen und vergilbte Traumbilder durch meinen Kopf jagten. Da waren viele liebgewonnene Dinge zu sehen, die aus der Vergangenheit nie wieder zurückkommen würden. Sie waren für immer verschwunden und hatten mich allein zurückgelassen. Man wäre fremd in der eigenen Stadt. Melancholisch stellte ich fest, die Rückkehr ins Erd-Reich nur eine Notlösung, aber nichts Zufriedenstellendes wäre. Dennoch fiel mir das Fällen einer Entscheidung unendlich schwer. Ich hing an diesem verdammten Ninjadorf, an dem angenehmen Klima und an den vielen, lieben Menschen dort. Und ja verdammt, besonders an einem ...

Zurück in unserem Kontor angekommen, wurde es die kommenden Wochen immer bedrückender. Die Mitarbeiter hatten gute Arbeit geleistet, als sie die Ware umetikettierten. Der Ausverkauf hatte begonnen. Die Regale leerten sich schnell. Bald waren nur noch wenige Stoffe im Angebot. Da ich meinem Team die noch offenen Urlaubstage genehmigt hatte, verbrachte ich nun viel Zeit allein in den gähnend leeren Lagern und kramte hier und da noch die eine oder andere Stoffrolle hervor. Irgendwann später hatte ich alle Rollen unten in der Empfangshalle ordentlich aufgebahrt und in Szene gesetzt. Neue Preise wurden von mir über alte Schilder geklebt, denn ich hatte einen zusätzlichen Preissturz einkalkuliert. Und dann gab es nur noch das große Warten, wann ein Kunde sich noch das letzte Schnäppchen sichern würde. Viele aus dem alten Stammkundenkreis erwähnten bei jedem Besuch, wie sehr sie die Schließung bedauern würden. Es war kaum möglich, die Träne im Knopfloch zu verstecken. Aber auch in unserer Wohnung verschwanden immer mehr persönliche Dinge in großen, braunen Umzugskartons. Dabei war noch immer nicht geklärt, wohin unser Lebensweg führen würde. Weder hatte ich einem Angebot meines Arbeitgebers zugestimmt, noch abgesagt. Stattdessen ertappte ich mich immer öfters dabei, wie ich die Angebote an den Schwarzen Brettern in der Innenstadt filzte. Mein Bauchgefühl wollte mir unbedingt eine neue Bleibe in Konoha beschaffen. Also las ich höchst interessiert die Wohnungsanzeigen. Teilweise wurde mir schlecht. Ohne Einkommen würden wir vom Ersparten leben müssen. Bei den himmelhohen Mietpreisen kämen wir nicht einmal ein gutes Jahr über die Runden.

Auch heute war so ein nasskalter Novembertag, an dem ich mich zur Mittagszeit in ein Kaffeehaus zurückgezogen hatte und die Anzeigen im örtlichen Tagesblatt filzte. Es war nicht so, dass es keine Wohnungen auf dem Markt gab, aber es war noch nicht das richtige dabei. Zu teuer, zu klein, zu schlechte Lage. Schnell wurde mir klar, warum Wohnungssuche sehr stressig sein konnte. Kurzum, ich würde zu einer eventuellen Besichtigung Yuuki mitnehmen wollen. Immerhin wohnten wir logischerweise unter ein und demselben Dach. Dann wäre er wohl auch nicht mehr so traurig, sondern hätte tröstende Hoffnung, dass wir beide Konoha erhalten blieben.

Die Tür des Cafés wurde hastig aufgestoßen. Und zwar so hastig, dass sie bis zum Anschlag aufschwang und durch den eigenen Rückstoß an der Türangel sofort zurückgeworfen wurde. Sie klatschte gegen das Rad eines Rollstuhls, dass es metallisch schepperte. Die kleinen Schellen über der Tür bimmelten aufgeregt. Mit ihrem schrillen Läuten zusammen wehten Shinobis hinein, die unter langen hellgrauen Ponchos steckten. Ihre Kapuzen hatten sie tief ins Gesicht gezogen. Man musste zugeben, dass es draußen vor der Tür wettertechnisch sehr ungemütlich war. Es mochte diesen stürmischen Auftritt entschuldigen. Sie waren zwei an der Zahl und wären es sicherlich nicht wert gewesen, sie länger zu betrachten, hätten sie nicht ein so auffälliges Benehmen. Einer der beiden saß wie schon erwähnt im Rollstuhl, und als er seine Kapuze herunterzog, erschrak ich schon ein wenig. Den Typen hatte ich doch schon mal im Hokageturm gesehen: Der grüne Clown mit der Pilzkopffrisur und der blendend weißen Kauleiste. Und als er mich dann auch noch erblickte und mit einem Strahlen wie tausend Sonnenblumen laut ausrief „Da ist sie!“, bekam ich es doch glatt mit der Angst zu tun. Der meinte doch wohl nicht wirklich mich? Nervös blickte ich mich um, hoffte, dass der Kelch an mir vorübergehen würde, und suchte den rettenden Ausweg aus diesem Cafè.

„Mann, du nervst! Aller Tarnung zum Trotz ...“ maulte es unter einer weiteren Kapuze, die sofort gelüftet wurde.

Genervter Gesichtsausdruck, schwarzer Pferdeschwanz. Ja, dem war ich auch schon begegnet, als er mich ins Büro zur Anhörung vorgeladen und dafür später eine Rüge von Kakashi erhalten hatte. Wie hießen die beiden doch gleich? Ich suchte das Bild in meinem Kopf, welches das Namensschild an der Bürotür gespeichert hatte: Maito Gai und Nara Shikamaru. Wer von den beiden welcher war, wollte ich schon gar nicht mehr wissen. Ich wollte bloß weg! Denn meine innere Stimme sagte mir, dass das hier für mich sehr brenzelig werden könnte. Mit einem Auge erspähte ich die nächste freie Bedienung zum Bezahlen meines Heißgetränks, mit dem anderen hatte ich schon den Winkel zur Tür abgemessen. Ha, ich könnte es schaffen, redete ich mir unentwegt ein, obwohl die Flucht als Zivilist mit zwei Ninjas als Verfolger schon von Vornherein zum Scheitern verurteilt war.

Ich war schon auf dem Sprung, als ich plötzlich wie gelähmt war. Nichts zu machen! Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Es war ein sehr unangenehmes Gefühl, Herr seiner Sinne, aber nicht Herr seines Körpers zu sein. Als wäre man in seinem eigenen Leibe gefangen wie in einem Gefängnis. Was zum Henker war das? Nur mit Mühe konnte ich die Augäpfel bewegen und sah zu meinen Füßen einen Schatten, den es so nicht geben dürfte, weil die Deckenlampe mich frontal anleuchtete. Demnach hätte es nur einen Schatten hinter mir, aber nicht in einer geschwungen Linie neben mir geben dürfen. Der Schatten führte direkt zu Shikamaru, der seine Hände zu einem Viereck geformt hatte. Wir waren über den Schatten miteinander verbunden, und durch sein Jutsu wurde ich von ihm ferngesteuert. Irre! Trotzdem war und blieb es ein beschissenes Gefühl. Ich war so abgelenkt durch Shikamaru, dass ich gar nicht bemerkt hatte, wie Gai herbeigerollert und sich unaufgefordert an meinen Tisch platziert hatte.

„Guten Tag, es freut mich sehr die Dame kennenzulernen, über die schon das halbe Dorf redet!“

Das halbe Dorf redete über mich?! Hätte ich mich bewegen können, ich hätte wohl verwunderte Augen so groß wie Kuchenteller gemacht. Gai strahlte nach wie vor, bestellte mit einer Handbewegung über die Köpfe aller Gäste hinweg etwas, was ich aus seiner Armfuchtelei nicht im mindestens deuten konnte und fuhr unbeirrt fort, noch ehe ich irgendwelche Einwände hegen konnte. Mir war immer noch unwohl. Immerhin hielt mich ein Schatten fest und ich wusste nicht, was die beiden von mir wollten. Mir schwante es ganz dunkel im Hinterstübchen, dass sie doch wohl nicht wegen Kakashi hier wären. Das fand ich dann doch zu weit hergeholt und absurd. Wie schnell man doch eines besseren belehrt werden konnte.

„Freut mich sehr, Ihr Bekanntschaft machen zu dürfen. Darf ich Sie duzen? Meine Name ist Gai!“, wurde mir eine Hand höflich, aber bestimmt entgegengestreckt.

Die Kauleiste blitzte so weiß, als hätte man sie frisch lackiert. Abgeschreckt, aber aus dieser Zwangslage entkommen wollend, hätte ich wohl seine Hand zum Grüße geschüttelt, doch der Schatten hielt mich nach wie vor in meiner Schockstarre. Doch von einer Sekunde auf die andere verschwand sie. Der Schatten hatte sich zurückgezogen. Shikamarus Hände steckten tief in seinen Hosentaschen. Nun konnte auch ich ihn näher mustern. Im Gegensatz zu einem vor Energie platzenden Gai hatte Shikamaru eine lässig Haltung angenommen und war peinlichst darin bemüht, sich im Hintergrund zu halten. Genervt rollte er mit den Augen, als Gai anfing, sich mir näher vorzustellen, um sein Anliegen im Anschluss zu erläutern. Ich hörte nur mit halben Ohre hin, wie Gai von einem ewigen Rivalen aus Kindheitstagen berichtet, und dass dieser derzeit sonderbare Anwandlungen hätte. Ich rallerte erst viele Sätze und Absätze später, dass der besagte Rivale aus dem Monolog Kakashi sein müsste.

„... wir kennen uns schon seit Ewigkeiten und liegen in einem stetigen Wettstreit.“, leierte Gai fröhlich wie eine Drehorgel seine Geschichte herunter. „Da fällt mir jede Veränderung an ihm auf.“

Ja, ja, sorry Gai, aber Kakashi hat mir den Laufpass gegeben. Oder so ähnlich. Ich war mir selbst gar nicht mal so sicher. Aber wenn du Probleme hast mit ihm, dann bin ich wohl der falsche Ansprechpartner. Aber wieso redet das halbe Dorf über mich? Und was willst du überhaupt von mir?

„Hör mal, Gai! Du hast sie gefunden, und ich hab noch zu tun. Wir sehen uns später?“, maulte Shikamaru entnervt in den Redefluss hinein.

Es war klar aus seinem Tonfall heraus zu hören, dass seine Frage an Gai rein rhetorisch war und er wohl Stoßgebete zum Himmel entsandte, dass er den grünen Clown heute nicht mehr ertragen müsste.

„Ha, erwischt! Du hast zu tun? Was denn? Kakashi nimmt uns ja jegliche Arbeit weg. Du willst nur bei unserem Plan nicht mitmachen!“, blaffte Gai in einer Lautstärke los, dass die Bedienung vor Schreck fast den Sake an unserem Tisch verschüttet hätte. Sake? Hatte Gai den bestellt? Um diese Uhrzeit? Es war gerade mal Mittag. Und wieso nahm Kakashi den beiden die Arbeit weg? Ich kapierte gar nichts mehr. Zu meinem Unwohlsein gesellte sich die pure Hilflosigkeit. Ich drehte meinen Kopf wieder von Shikamaru weg und zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen. Gai hatte sich vornüber gebeugt und starrte mich aus nächster Nähe direkt an. Argh, der ist nicht nur unheimlich, der ist auch irre!

„Du musst wissen...“, begann Gai analytisch, während ich mich nicht erinnern konnte, dass Duzen gestattet zu haben. „... Shikamaru ist der faulste Shinobi unter der Sonne Konohas. Darum sortiert der auch immer alles so fein säuberlich, damit der nie suchen muss. Der ist sogar zu faul zum Suchen!“

Echt? Shikamaru sortiert alles? Wenn ich an das Zimmer von Gai und Shikamaru zurückdenke, dann war Gais Schreibtisch tadellos aufgeräumt, während Shikamarus überquoll. Man könnte fast boshaft behaupten, Gais Schreibtisch hätte nie auch nur eine einzige Akte gesehen. Wie dem auch sei: Shikamaru kommentierte diesen Hieb auf sich mit einem abfälligen Pfiff durch die Zähne. Doch Gais Redeschwall versiegte es nicht.

„Kakashi ist so ähnlich. Der tut immer nur so überperfekt und fleißig. Dabei ist das reinstes Kaküle. Der hat nämlich auch keinen Bock. Der erledigt immer alles schon beim ersten Mal, damit der eine Aufgabe nie nachbessern muss.“

Über meinem Kopf musste ein Fragezeichen so glühen, dass es den Stromverbrauch Konohas für ein halbes Jahr bedient hätte. Gai, was willst du von mir?! Mittlerweile stellte ich fest, dass ein volles Schälchen Sake vor mir auf dem Tisch stand. Was soll das? Na egal! Wohl bekommt's!

„Aber ich habe ihn mit der Kraft der Jugend aus seiner Reserve gelockt und ihn zu einem Wettbewerb aufgefordert, wer seinen Schreibtisch besser in Schuss hat. Er hat da noch ein bisschen Aufholbedarf, aber er wird es schon noch schaffen!“

Gais Augen funkelten nicht. Nein, sie brannten voller Kampfgeist. Sollte mir das nun Angst machen oder sollte mich diese Komödie erheitern? Ich seufzte und verabschiedete mich von dem Gedanken, heil und pünktlich von Gai wegzukommen. Also goss ich mein Schälchen wieder mit Sake voll. Anders war das hier wohl nicht zu ertragen. Kanpei!

Überrascht war ich, als Shikamaru mir von der Seite trocken zuflüsterte:

„Gai merkt seit Jahren nicht, dass Kakashi ihn komplett verarscht und deshalb immer alle Akten auf seinen Tisch schmeißt, weil er weiß, dass Gai die sofort ins Archiv ordnet. So muss Kakashi das nicht selber machen, wenn Kotetsu oder Izumo unterwegs sind.“

Ich konnte nicht anders, als laut loszuprusten. Ohja, DAS konnte ich mir bei Kakashi sehr gut vorstellen. Ich lächelte. Und es lag nicht am Alkohol. Ich dachte an Kakashi und lächelte, wie ich es seit Tagen nicht mehr getan hatte. Es war ein schöner Gedanke, der mich voller Wärme erfüllt und mich für einige Augenblicke vor Gai und seinen Erzählungen in eine Parallelwelt rettete. Ob er auch mal ein kleines bisschen an mich dachte?

„Das hab ich gehört, Shikamaru!“, beschwerte sich Gai und holte mich mit seinem lauten Organ wieder in die Realität und das Cafè zurück.

Und als Shikamaru mit einem „Du nervst!“ auf dem Absatz kehrt machte und davonging, fühlte ich mich schon fast ein wenig schutzlos dem grünen Clown ausgeliefert. Lass mich nicht allein, Shikamaru! Meine Blicke flehten ihm hinterher. Leider nicht stark genug. Noch einmal seufzte ich und beschloss, in die Offensive zu wechseln.

„So, nun aber mal Kurzfassung. Warum redet das halbe Dorf über mich? Und was hab ich mit deinem Job zu tun?“ sprach ich frei heraus.

Das kam für Gai so überraschend, dass er tatsächlich aus dem Konzept kam und kurz nachdenken musste. Er kam dann tatsächlich sehr fix mit der Wahrheit zur Sprache.

„Ach, man munkelte von einer Frau mit einer Chakraspur. Und zwar von Kakashi. Da haben sich viele gleich die Hälse verrenkt, wer denn nun seine angebliche Freundin sein könnte. Kommt ja so gut wie nie vor. Aber dich gibt es ja anscheinend wirklich. Wobei die Spur so gut wie verblasst ist. Das hält ja nicht ewig.“

Da fiel mir doch ein Stein vom Herzen, hatte ich schon fast befürchtet, ich müsste bis zum Ende meines Lebens diese Chakraspur wie ein hässlich gestochenes Tattoo mit mir herumschleppen. Hm, und wenn das mit den Beziehungskisten bei Kakashi nicht so häufig vorkam, dann verwunderte es mich doch sehr, wie eine Tochter entstehen konnte. Da spann sich aus einem Märchenwollknäul sofort wieder ein aberwitziger Faden. Leider konnte ich ihn nicht zu ende spinnen, denn Gai setzte unbeirrt fort:

„Ich weiß ja nicht, wie ihr zueinander steht, aber seit Tagen benimmt er sich komisch. Naja, er benimmt sich wie immer, aber irgendwie anders. Also … Er schlurft mit den Händen in den Taschen todmüde im Büro rum, macht aber die komplette Arbeit selber und ist die letzten Male sogar im Büro eingeschlafen. Der ging gar nicht mehr nach Hause und lässt sich gehen. Dafür arbeitet der alles ab, was so reinkommt. Für uns gibt es gar nichts mehr zu tun! Was immer du gemacht hast mit ihm, bring das wieder in Ordnung!“

Der Schlusssatz kam so energisch, aber auch so flehend, dass ich in schallendes Gelächter ausbrach. Daher wehte der Wind! Kakashi verarbeitet seinen Frust mit mir, indem er sich mit seinem Job ablenkte. Da blieb für den Rest der Bande wohl nichts übrig außer Däumchen drehen. Die Ärmsten! Da konnte doch alles nur ein Luxusproblem sein. Der Sake half mir sehr dabei, dass mein Dauergrinsen nicht verschwinden wollte. Und er half mir dabei, mir einzugestehen, dass sich meine Gefühl für Kakashi überhaupt nicht geändert hatten. Kakashi hatte Liebeskummer... Er vermisst mich! Ich glühte vor Freude und vor Alkohol im Blute.

Ich sprang auf, als hätte Gais jugendliche Energie auf mich abgefärbt. Dabei nahm ich einen großen Schluck Sake aus der Flasche und beschloss, sie am Halse zu packen und einfach mitzunehmen. Oh Mann, dabei war nicht mal die Mittagspause durch und man war schon total besoffen. Ich hätte vielleicht doch lieber das Thunfilet mit Reis, als nur einen kleinen Salat essen sollen. Das konnte doch nur ein Schuss in den Ofen werden. Gai jedoch freute sich über meinen neuen Elan wie der junge Tau in der Morgensonne. Er setzte wohl alle Hoffnungen in mich, bald wieder Bürowettkämpfe mit seinem Lieblingsrivalen ausfechten zu können, wenn der endlich wieder im Normalmodus wäre. Für uns gab es jetzt nur noch eines zu tun.

Mit der Kraft der Jugend stürzten wir beide die Straßen entlang zum Hokageturm.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Tenten04
2017-05-22T20:57:17+00:00 22.05.2017 22:57
Oh ja, ich würde mich auch wie wild vor Gai gruseln, wenn ich ihn nicht kennen würde! Seine Zähne sind aber auch wirklich seltsam... Kakashi tut mir richtig leid, er liebt sie doch so (hoffe/glaube ich) und sie weist ihn eiskalt ab (obwohl, ich rede auch immer schneller als ich denke, kann sein, dass ich genauso reagieren würde U_U) Aber sie kommen doch wieder zusammen... Oder? ODER?!?! Wenn es hier kein Happy End gibt, bin ich naivchen am Arsch, salopp gesagt. DAS LÄSST DU DOCH NICHT ZU! Oh, sorry, habe letzte Nacht so GAR NICHT geschlafen, bin also sehr aufgedreht.
totmüde Grüße von:
Tenten04
Antwort von:  sakemaki
22.05.2017 23:02
Keine Sorge, da Mr-Sporty-Green und Fettnäpfchentreter-Nina nun besoffen auf dem Weg zum Hokageturm sind, kann das doch nur "böse" enden. Kakashi "freut" sich bestimmt... XD XD XD
Von:  emymoritz
2017-05-22T11:23:07+00:00 22.05.2017 13:23
Ja der komische gai ich fand denn immer zum schießen komisch
Antwort von:  sakemaki
22.05.2017 22:14
*gg* Nina hat da noch so ein paar Berühungsängst. Mal schauen, ob sie die abbauen kann. ^^


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