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Kalendertage

Der Tag, an ...
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40 - Der Tag, an dem ich in ein Loch fiel

Autsch, das hatte fürchterlich wehgetan! Wie ein Maikäfer auf dem Rücken lag ich hilflos in dem aufgeschütteten Schneehaufen und strampelte verzweifelt mit den Beinen in der Luft. Nach einigen ungelenken Versuchen hatte ich es geschafft, mich wieder zurück in die Freiheit zu kämpfen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte ich zur Hauswand und rieb mir den Knöchel, als könnte man den messerscharfen Schmerz einfach abwichen. Leider tat er mir den Gefallen überhaupt nicht. Es zwiebelte und zog im Fuß, dass mir bunte Sterne vor den Augen tanzten. Musste das denn nun ausgerechnet jetzt passieren? Mitten in der Nacht? Und inmitten einer wildfremden Stadt weit weg von Zuhause?

Es war schon ein wenig meine Schuld gewesen, dass ich hier auf dem vereisten Fußweg ausrutschte und mich lang legte. Winterstiefel mit solch einem hohen Absatz waren für die hiesigen Witterungsverhältnisse einfach unpassend. Doch es war meines Erachtens das einzige Paar Schuhe, welches mit meinem dunklen Hosenanzug am Allerbesten harmonierte. Optik war zwar nicht alles, macht aber bei geschäftlichen Treffen die Pluspunkte beim Ersteindruck aus. Also quälte ich mich mit Blasen an den Füßen auf einem viel zu steilgestellten Fußbett stöckelnd voran, welches Orthopäden die Augen tränen ließen. Beim Abschied hatte mein Freund zwar einen Kommentar über mein Schuhwerk bei sich belassen, aber die hochgezogene Augenbraue und das verständnislose Kopfschütteln über meinen Gang wie beim Eiertanz sprach Bände. Aber mal ehrlich, wer konnte bei Schuhen schon mitreden, der selbst nur drei Paar verschiedene Schuhe besaß? Von den Dreien trug er auch hauptsächlich nur ein einziges Paar bis es abgelatscht war und ersetzte es aus pragmatischen Gründen durch das exakt selbe Modell. Nein, so jemand hatte bei der Schuhauswahl nichts zu melden.

Ich ärgerte mich über meinen Sturz genauso sehr, wie mich die ganze Veranstaltung ärgerte, zu der ich zwangsverpflichtet worden war. Das Einladungsschreiben, welches ich von meiner Chefin im Dezember erhalten hatte, hatte mich schnurstracks zu einem gutbetuchten Geschäftsessen in einem Luxusrestaurant in der Hauptstadt des Eisen-Reiches geführt. Dabei gab es einen rein taktischen Hintergrund, weshalb meine Chefin auf meine Anwesenheit pochte. Sie erhoffte sich nämlich durch meine familiären Beziehungen einen besonders positiven Geschäftsabschluss. Das Eisen-Reich war das Hauptgebiet, aus welchem die Stahlhütten meines Vaters ihre Eisenerze bezogen, jedoch waren die vielen Transportunternehmen entweder vollkommen überlastet oder unzuverlässig. Es hatte Phasen gegeben, da hatte tagelang die Produktion stillgestanden, weil kein Erznachschub geliefert worden war. Und nun wollte meine Chefin das lukrative Angebot für sich ergattern, bei welchem ihr Unternehmen für die nächsten zehn Jahre Logistikpartner Nummer Eins werden würde. Leider musste ich auf der Hinfahrt im Zug meiner Chefin stecken, dass ich mich vor ein paar Monaten mit meiner Familie völlig überworfen hatte. Da wäre kein Vitamin B mehr an die Familie zu bringen. Dennoch versprach ich, mein Bestes zu geben und gute Verhandlungen zu führen. Es war bereits die zweite verschwiegene Überraschung für meine Chefin, denn erst am Bahnhof stellte ich sie vor vollendete Tatsachen, dass ich die Kinder mitzunehmen hätte. Die Stimmung war demnach die halbe Fahrt über so frostig wie das Wetter im Eisen-Reich.

Die nördliche Lage und die Nähe zum Frost-Reich bescherten diesem Land einen langen Winter mit dunklen Nächten, dicken Schneeflocken und eisigen Winden. In so eine typische Nacht war ich nun hineingeraten. Mit einer großen Unaufmerksamkeit meinerseits ging es voran, eine hochwichtige Akte im Hotelzimmer zu vergessen. Da blieb mir nichts anderes übrig, als mich von dem Geschäftsessen kurz zu entschuldigen, um zum Hotelzimmer zu sprinten. Es war nicht weit, aber immerhin weit genug, um mich bei dem Glatteis auf den Gehwegen in Gefahr zu begeben. Nur ein schmaler Pfad war von den Anwohner freigeschaufelt worden, so dass man durch hohe Schneeberge wandelte. Insgeheim war ich froh gewesen, aus der Gesellschaft für einen Moment zu entkommen. Die Herrschaften am Verhandlungstisch kamen mir allesamt komisch vor. Mir kam keine einzige dieser Gestalten bekannt vor, was nicht zuletzt daran lag, dass ich keinen Kontakt mehr zur Firma meines Vaters hegte. Viel hatte ich durch die Buschtrommel gehört, mit welchen dunklen Machenschaften sich hochrangige Mitarbeiter hinter dem Rücken meines Vaters ihre eigenen Standbeine aufbauten. Ein Netz aus Lug, Trug und Sachverhalten, von denen mir schlecht wurde. Ich hatte nicht den Eindruck, dass es mit rechten Dingen und seriös zuging, sondern eine kriminelle Organisation dahinter steckte. Aber vielleicht hatte ich auch gerade nur eine hysterische Phase, weil mich die Kälte und die dicken Schneeflocken nervten. Zwar war ich aus dem Gebirge solch einen Winter gewohnt, doch in den Jahren, wo ich in Konoha lebte, hatte ich mich doch sehr an das neue Klima angepasst. Nun stand ich hier mit einem verstauchten Knöchel, suchte mit den Augen den Schnee ab, fand aber nur deshalb meine Akte, weil das Rascheln der Blätter im Winde das Versteck verrieten. Da lag bereits schon ein feines weißes Tuch auf einigen Seiten. Die Schneeflocken flogen bei jeder Böe auf und rieselten erneut nieder. Und natürlich lag die Akte auf der anderen Seite des Fußweges. Verflucht! Ich biss die Zähne zusammen und trat mit dem verletzten Fuß auf. Tränen traten mir in die Augen. Das war wirklich übel. Das war kein Fuß mehr, der Teil meines Körpers war, sondern ein bösartiger Fremdkörper, der mich quälte. Trotzdem kämpfte ich mich voran, klaubte nach der Akte und warf einen kurzen Blick hinein. Wenigsten schien keines der Dokumente beschädigt oder unvollständig zu sein. Und nun?

Ich dachte nach und beobachtete die weißen Atemwolken, die aus meinem Mund und meiner Nase entwichen und gen Himmel stoben. Nein, es machte keinen Sinn mehr, nun zum Restaurant zurückzukehren. Zum warmen Hotelbett war es um einiges näher. Und vielleicht ließ sich an der Rezeption eine Salbe bestellen. Also rief ich meine Chefin an, dass ich auf dem Rückweg verunglückt wäre und daher zurück auf das Zimmer gehen würde. Erschrocken erkundigte sie sich, ob wirklich alles in Ordnung wäre und wünschte gute Besserung. Es war schon eine sehr späte Stunde. Über Geschäftliches redete am Tisch nun eh keiner mehr. Ein feuchtfröhlicher Smalltalk, der aufgesetzt und gezwungen wäre, war alles, was es noch abzuhalten galt. Darauf hatte ich so oder so keine Lust. Alle wichtigen Informationen für den Deal hatte ich gehört, mein Bauch war gefüllt vom guten Essen, und Alkohol hatte ich auch genug intus. Mein Gesicht glühte vor Hitze und belog mich, der Alkohol würde wärmen. Tatsächlich kühlte er aber nur den Leib aus. Da zog ich jetzt ein kuscheliges Bett für meine unterkühlten Glieder und einen Eisbeutel für meinen Fuß vor, als dummes Gerede bei Tische hören zu müssen. Die Kinder schliefen schon längst. Ich hatte den Fernseher ausschalten müssen, als ich vorhin nach dem Rechten sah und mich dann mit der Akte auf den Weg machte.

Leise fluchend humpelte ich voran. Wenn man es nicht besser wüsste, so könnten man diesen Ort für eine Geisterstadt halten. So bedrückend wirkten die hohen, grauen Steinmauer auf mich. Ich wusste gar nichts über das Eisen-Reich. Es war nur so viel, dass es hier immer schneite, immer dunkel und immer kalt war. Unterwegs hatte der Zug oft pausieren müssen, weil der Schnee zu hoch auf die Gleise geweht worden oder Weichen eingefroren waren. Aus dem Abteilfenster hatten wir dann den Berg bewundern können, dessen Form drei zu Eis erstarrten Wölfen glich. Das war sehr beeindruckend, doch sonst gab es hier nichts außer verschneite Nadelbaumwälder, hohe Berge und vereinzelte Gehöfte in traditioneller Holzbauweise. Da sah das Stadtbild schon ganz anders aus. Prägend waren endlos lange und eintönige Steinmauern, welche die Gassen mannshoch zäumten und die Außenwelt von den Wohnhäusern abschirmten. Die Eingänge durch die Mauern zu diesen besagten Häusern hingegen waren imposant und erinnerten an kleine Palasttore. Rechts und links an den Säulen prangte in goldenen Zeichen der Familienname der Hausbesitzer. Obig auf den Säulen ruhte ein viel zu schwer wirkendes Ziegeldach. Verschlossen wurde das Tor durch schwere Holztüren. Hinter diesen Mauern verbargen sich wahre Paradiese mit einem kleinen Garten, einem Hofplatz und einem eingeschossigem Wohnhaus. Aber vor der Tür hätte man sich in den vielen rechtwinklig verlaufenden Gassen verirren können, weil jede Straße wirklich gleich aussah. Was gab es hier sonst noch? Anstelle von Ninjas gab es hier als militärische Streitmacht ein Heer aus Samurai und man täte wohl gut daran, diese nicht zu verärgern. Dennoch lag in diesem Samurailand der Sitz der Shinobi-Union. Vermutlich, weil das Eisen-Reich als neutrales Land galt.

Langsamer und immer langsamer humpelte ich voran. Der Schmerz war für eine Sofakartoffel wie mich wirklich höllisch. Profis trainierten, um diesen Schmerz zu ignorieren. Ich war aber kein Profi und hatte auch keine Ambitionen, mich zusammenzureißen. Also hielt ich auch die einzelnen Tränen nicht zurück, sondern kämpfte nur gegen das Schwarzwerden vor den Augen an. Nach jedem Schritt hielt ich inne und hob den Fuß in die Höhe wie ein Flamingo im Wasser. So kam ich kaum voran. Einbeinig wartete ich ungeduldig, bis der Schmerz wieder abgeklungen war. Dann ging es mit einem halben Hopserschritt voran, nur um wieder die Flamingoposition einzunehmen. Ich blickte um mich, verfolgte mit den Blicken meine Atemwolke in die finstere Nacht und klopfte mir eine erste feine Schneehaube vom Mantel. In dem Tempo würde ich das Hotel niemals erreichen, denn vorher wäre ich dem Kältetod erlegen. Das sähe am nächsten Morgen bestimmt ziemlich bescheuert aus, wenn ich hier wie eine vereiste Flamingoskulptur stehen würde. Kunst im öffentlichen Raum. Vielleicht sollte ich vorher eine coolere Pose einnehmen und die Arme wie Flügel ausbreiten? Ach, verdammt! Ich fluchte und hopste weiter.

Keine Menschenseele war um diese Uhrzeit bei diesem Schneetreiben unterwegs. Wirklich niemand? Ich stockte. Obwohl sich mein Körper dem Winterklima entwöhnt hatte, so hatten meine Sinne all die Jahre dies nicht getan. Mein Gespür für Schnee war geblieben. In meiner Heimatsprache gab es weit über fünfzig Begriffe für Schnee, je nach dem wie die Schneekristalle beschaffen waren und sich vereinten. In Konoha gab es das nicht. Da gab es Pulverschnee, Backschnee, verwehter Schnee, Schnee am Berge... Aber man erreichte nicht die Anzahl wie in meiner Muttersprache. Das sah man schon an den Kanji. Das Eis-Kanji leitete sich vom Wasser-Kanji ab. Das Schnee-Kanji beinhaltete das Regen-Kanji. Man erlebte im Feuer-Reich das Himmelswasser meist in flüssiger, aber selten in gefrorener Form.

Mein Gespür war anders geschult. Man hörte am Knirschen, wie viele Menschen unterwegs waren. Ob sie fern oder nahe wären. Ob sie gingen oder kamen. Man sah an den Spuren, ob sie schwer bepackt oder leichtfüßig waren. Ob sie eilten oder weilten. An den Flocken erkannte man einen Wetterwechsel. Der Wind schmeichelte oder warnte. Und hier eben in der Gasse war etwas nicht in Ordnung. Ich spürte es bis auf die Knochen, dass sich hier von einer Sekunde auf die andere etwas verändert hatte. Ganz in meiner Nähe waren Schneeflocken von einem Dach herabgerieselt. Ganz fein und unscheinbar. Als wären sie einfach nur durch den Wind von den Ziegeln gerutscht. Aber ich wusste es besser. So fielen Flocken nur hinab, wenn sie durch ein Gewicht von oben herab getreten wurden. Nein, ich war nicht allein! Da war jemand. Jemand, der sich für sehr schlau hielt und nicht erkannt werden wollte. Feindliche Shinobi? Mein Herz raste. Für den Moment vergaß ich den Fuß, weil ich es mit der Angst bekam. Man wollte mir glaubhaft machen, ich wäre allein unterwegs und somit in völliger Sicherheit. Doch ich war es nicht. Ich wurde verfolgt!

An einer Kreuzung stierten meine Augen in die Richtung, in die das Hotel lag. Man konnte die Fassade trotz des Schneefalls einige Häuser weiter schon erahnen. Hier hätte ich abbiegen müssen. Doch die Angst hielt mich zurück. Die Luft hatte sich verändert. Drastisch war sie so unbeschreiblich schwer und hart geworden. Man fand gar keine Worte dafür, diesen Luftzustand zu beschreiben. So ein Luftgefühl hatte man nur, wenn man im Schnee aufgewachsen war. Und diese Stille erst. Plötzlich herrschte eine andere Stille. Als wäre man taub auf beiden Ohren. Schwer keuchend versuchte ich einen klaren Gedanken zu fassen. Wer verfolgte mich? Und warum? Mensch, Sherenina! Es sind nur noch wenige Hopser bis zum rettenden Hotel. Warum gehst du nicht?

Weil ich es nicht konnte. Die Angst brüllte auf mich ein, dass auf diesen wenigen Metern das Böse lauerte. Alle Straßenblöcke waren rechteckig. Aus der Luft sah die Stadt sicher wie ein Schachbrett aus. Und wenn ich einfach geradeaus weitergehe und einen Häuserblock umrundete? Dann könnte ich von der Rückseite das Hotel erreichen. Der Plan war absolut aussichtslos. Trotzdem setzte ich ihn in die Tat um, weil die Angst in Panik umschlug und mir jeglichen Verstand raubte. Es hätte so viele Lösungen gegeben, die allesamt cleverer gewesen wären. Doch ich entschied mich für die dümmste Lösung: Humpelnd trat ich im Schneckentempo die Flucht an.

Zwei Hopser und ich war um die Hausecke in die entgegengesetzte Richtung verschwunden. Das würde meinen Verfolgern sicherlich nicht entgangen sein. Wie viele mochten es sein? Einer oder mehrere? Ich lehnte zum Verschnaufen an einer dieser vielen Holztüren zum Hof und fühlte mich im Halbschatten teilweise versteckt. Als Laie bildete man sich ein, man wäre getarnt. Ein Shinobi hingegen hätte alles im Blick. Den würde es nicht einmal irritieren, wenn man als Gejagte einen Haken schlug. Von einer Sekunde auf die andere erschrak ich, als die Tür hinter mir nachgab. Ich stolperte nach hinten, verlor das Gleichgewicht und landete schon wieder auf der Nase. Hatte ich erst noch schöne Wohnanlagen im Kopfe gehabt, offenbarte sich auf dem Fuße, weshalb wohl dieser Wohnhof eine kaputte Haustür besaß: Entweder war dieses hier die öffentliche Müllkippe oder hier wohnten Leute mit Messie-Syndrom. Himmelhohe Berge mit Müll und Trödel türmten sich über und über und waren nur allein deshalb schön anzusehen, weil eine weiße Schneeschicht das Grauen bedeckte. Das Haus wirkte verfallen. Kein Lichtschein drang aus den Fenstern. Vielleicht konnte ich dieses Labyrinth an Schrott zu meinem Vorteil nutzen und mich verstecken? Hoffentlich wohnte hier niemand, der mir noch unangenehme Fragen stellen würde. Meine Fußspuren im Schnee waren deutlich zu erkennen. Dennoch hielt ich fieberhaft nach einem Unterschlupf Ausschau. Mein umherschweifender Blick erhaschte einen Schuppen, den ich ohne großes Nachdenken sofort ansteuerte. Keuchend und schwitzend kämpfte ich mich auf das Ziel zu. Der Stress hatte meine Sinne vollständig ausgeschaltet. Da geschah in meinem Kopf nichts mehr mit klarem Verstand. Und so kam es, wie es kommen musste. Es war nur eine feine Schneeschicht, die mein Schicksal besiegeln sollte. Nur hauchdünne Millimeter der weißen Flocken. Sie benetzten Holzdielen im Boden, welche eine Grube sichern sollten. Doch die Bohle waren alt. Bestimmt viel älter als das Haus und die ganze Stadt. Ich trat auf sie. Das Knacken machte mich stutzig, weil ich doch noch bis eben gefrorenen Boden als Untergrund unter den Füßen hatte. Da brach ich auch schon ein und viel in die Tiefe.

Die Landung war hart, als hätte man einen Reissack vom Dachboden auf die Diele geworfen. So plumpste ich durch die zerberstenden Bretter in einen pechschwarzen Kellerraum. Schneehaufen rutschen von oben nach. Es war so dunkel, dass man die Hand nicht vor den Augen sah. Da war es erst recht nicht möglich, den Raum zu erkennen. Mein Körper füllte sich an, als wären alle Knochen einzeln zerbrochen. Der Aufprall hatte meinen Brustkorb für Sekunden zusammengedrückt und mir den Atem genommen. Mit einer unbeholfenen Drehung schraubte ich mich auf den Rücken und streckte schmerzerfüllt alle Viere von mir. Der Sturz hatte nicht lange gedauert, also konnte der Kellerraum nicht tief sein. Über mir vermutete ich den Nachthimmel, denn ich spürte die einzelnen Schneeflocken auf meiner Haut. Doch es war dort oben genauso düster wie hier unter. Könnte man das Handylicht zum Erhellen nutzen? Oder würde man den Schein oben sehen? Schwer zu sagen. Ich robbte auf dem Bauch wir eine Raupe voran. Meine Kleidung rieb auf dem eiskalten Boden und machte Geräusche, die mir unendlich laut vorkamen. Trotzdem wollte ich nicht sofort entdeckt werden, würde jemand durch das Loch starren. Da konnte ich nur hoffen, dass der Schneefall und der Wind meine Spuren bereits verweht hätten. Meine Hand stieß an etwas Hartes. Eine Steinwand. Hier war also mein Kerkergefängnis zu ende, denn ich wusste genau: Mit den zugetragenen Blessuren würde ich hier ohne Hilfe kaum entkommen können. Ich wagte das Risiko von wem auch immer entdeckt zu werden, kramte nach meinem Handy und beleuchtete die Finsternis. Im Handyschein kam ein winzige Kammer zutage. Eine rostige Gittertür mit einer ebenso rostigen Absperrkette versperrte den Weg nach draußen. Ansonsten gab es hier ein umgefallenes Holzregal und einen Haufen alter Jutesäcke.

Es war zum Verzweifeln. Wo steckten eigentlich immer all diese Superhelden, die in solch aussichtslosen Situationen aus dem Nichts heraussprangen und einen retteten? Hmm, sie versauerten nichtsahnend in einem Hokagebüro, langweilten sich zu Tode und lasen zum millionsten Male die IchaIcha-Reihe. Ein dicker Kloß wuchs in meinem Hals, wenn ich nur daran dachte, dass mich hier niemand finden würde. Mein Handy hatte keinen Empfang, und die Akkuleistung ging durch die Kälte rasend schnell zur Neige. Nein, niemand würde mich finden. Vorher wäre ich sanft eingeschlafen und erfroren. Die Kinder würden am nächsten Morgen feststellen, dass mein Bett leer wäre. Nur allzu gut konnte ich mir vorstellen, wie Yuuki in Panik durchdrehen würde. Auch Asa wäre heillos damit überfordert. Bis dann wiederum Kakashi von allem erfahren würde, wäre bestimmt alles zu spät. Da konnte ich nur noch Sturzbäche heulen, weil ich meine Kinder nie wieder sehen würde. Und Kakashi auch nicht.

Nun war doch eh alles egal, denn hier würde ich mein eisiges Grab finden. Entweder durch den Winter oder durch die Verfolger, wenn diese nicht bereits sogar aufgegeben hätten. Obgleich es wiederum ein Funken Hoffnung auf ein Überleben wäre, würden die Verfolger mich von hier fort bringen. Verschleppt an einen hoffentlich warmen Ort. Oder wollten sie meinen Tod? Dann wäre Erfrieren doch die bessere Wahl als Kehleaufschlitzen. Heulend wie ein Schlosshund quälte ich mich zu dem Berg aus Jutesäcken, bettete mich darin, so gut es ging, und hoffte auf irgendeine Art von Absolution.

Ich schniefte. Meine Wangen waren bereits so kalt, dass ich meinte, die Tränen würden dort zu Eiszapfen gefrieren. Draußen heulte nur der Wind. Durch das Loch über mir in den Holzdielen rieselte sanft der Schnee. Meine Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, so dass sich wenigstens das Loch schemenhaft gegen den Himmel abhob. Ansonsten gab es da nichts zu sehen. Es gab nur das Fühlen. Nur Finsternis und Kälte und Hoffnungslosigkeit.

In meinen Gedanken war es warm. Da schien die Sonne durch die Fenster auf den Frühstückstisch in meiner Wohnung. Es war eine Szene von heute früh. Yuuki verquirlte gerade ein extra super weichgekochtes Ei mit dem heißen Reis und der Sojasauce in seiner Schüssel. Asa badete ihre Cornflakes in einem Kakaosee. Kakashi starrte etwas gedankenverloren in seine Kaffeetasse, weil ihn etwas beschäftigte. Insgesamt eine übliche Szene. Sie war so warm, so herzlich, so fröhlich. Ich klammerte mich an diese Erinnerung und verabschiedete mich von meinen Lieben.

Erschöpft fielen mir die Augen zu.



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