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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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42 - Der Tag, an dem es viele Fragen gab

Indes war ich zu meinem Bedauern wieder aus der liebevollen Schraubstockumarmung freigelassen worden. Es gierte in mir, wieder behütet und beschützt zu werden, weil mir ohne seine Obacht alles so haltlos und furchtsam schien. Ein leichtes Zittern überkam mich. Ob es nur von der bloßen Erschöpfung oder eher von der inneren Unruhe herrührte, vermochte ich zu dieser späten Nachtstunde nicht zu sagen. Ich war auch nicht sonderlich in der Verfassung, dieser Frage auf den Grund zu gehen. Mit stiller Ungeduld verfolgten stattdessen meine Augen Kakashis Hände, wie aus schützendem Papier sorgsam eine weitere Blume ausgewickelt und in die Vase gestellt wurde. Ich kannte die Pflanze sogar. Schleierkraut. Für viele Menschen nur ein unbeachtetes Unkraut am Wegesrand, aber für die Auslese an Wildblumen neben meinem Krankenbett absolut passend. Und hatte Schleierkraut nicht auch sogar eine romantische Bedeutung? Ich wusste es gar nicht, nahm mir aber vor, dieses nachzuschlagen, sobald ich mich dazu wieder im Stande fühlte. Einige andere Blumen wurden aus der Vase herausgefischt. Die waren wohl schon länger dort, denn sie waren welk und verblüht. Trotzdem war der sommerlich frische Strauß hübsch und ein Seelenbalsam gegen die dunklen Winternächte und grauen Tage außerhalb des Krankenzimmers.

Ich seufzte innerlich, denn vermutlich hatte ich die romantische Ader meines Freundes mit dieser blumigen Aufmerksamkeit für den Rest des Jahres ausgeschöpft. Mit der Romantik war es bei dem Pragmatiker einfach nicht so weit her. Manchmal war er in einigen Punkten sogar schon dogmatischer Natur, was mit meiner Sprunghaftigkeit in keinster Weise kompatibel war. Da überraschte es mich jedes Mal aufs Neue, wie wir eine Balance zwischen uns fanden, wo wir doch unterschiedlicher nicht sein konnten. Bildlich gesprochen preschte ich mit meinem kreativem Übermut immer ein paar Schritte voraus, und Kakashi mit seinem Hang zur Nostalgie konnte da nur noch den Staub schlucken. Trotzdem schlenderte er symbolisch dann immer völlig unbeeindruckt mit den Händen in den Hosentaschen irgendwie hinterher, obgleich ich selbst schon wieder meinungstechnisch dreimal die Richtung gewechselt hatte. Vielleicht trafen wir deshalb immer wieder aufeinander, weil sich mein unsteter Zickzackkurs mit seinem ruhigem Fahrwasser kreuzte. Nein, eher drängte es sich mir ins Bewusstsein, wie sehr ich schon manipuliert worden war, dass ich wie ein unruhiger Trabant um ihn kreiste, wo ich mir doch geschworen hatte, dass mir so etwas nie wieder passieren würde. Und nun tat ich es.

Als sich Kakashi zu mir auf die Bettkante setzte, rutschte ich sofort eng an ihn heran. Direkt bei ihm war mein Kopf plötzlich so unglaublich leicht und leer geworden. Da waren alle schlechten Bilder wie ausgelöscht. Manchmal wünschte ich, nicht so furchtbar groß gewachsen zu sein. Wäre ich eine oder zwei Handbreit kleiner geraten, wie es die meisten Frauen hier im Feuer-Reich waren, so könnte ich meinen Kopf bequem gegen seine Schulter lehnen. Klappte aber in der Realität nicht so wie ersehnt. Selbst im Sitzen waren wir beide gleichgroß. Es betrübte mich ein wenig, mich nicht ganz klein machen und bei ihm verstecken zu können. Kakashi störte es wohl weniger. Längst hatte er wieder einen Arm um mich gelegt, wuschelte mir sachte durch die Haare und vergrub sein Gesicht darin. Zeichen einer stummen Freude, mich wieder zurück zu haben. Aber auch ein Zeichen, wie todmüde er gerade war. Da hätte man schon eher sagen können, er lehnte sich nur bei mir an, um nicht beim Einschlafen von der Bettkante zu purzeln.

Ich rieb mir müde durchs Gesicht und verspürte stechende Schmerzen. Hatte ich da etwa auch Verletzungen?

„Autsch...“, murmelte ich leise, weil ich eine Hautstelle gestreift hatte, die mir bis dato noch nicht bewusste gewesen war.

„Wie fühlst du dich?“

„Ich weiß nicht … Alles tut weh. Ständig dreht sich alles. Ich könnte die ganze Zeit nur schlafen... Und dann träume ich aber immer so eine gequirlte Scheiße...!“, beschwerte ich mich genervt.

Ich fühlte mich nicht nur wie vom Zug überfahren, nein, ich sah wohl auch so aus. Grün und blau am ganzen Körper. Schürfwunden besonders im Gesicht. Einige waren schon verheilt, andere verbargen sich immer noch unter dickem Schorf. Das wollte ich mir einmal in Ruhe ansehen, weil ich es kaum glauben konnte, obgleich es mit jeder Faser spürbar war. Kakashi riet mir ab, gab aber seufzend meinem Sturrkopf nach und kramte aus seiner Gesäßtasche eine Spiegelscherbe hervor, mit der man eigentlich in undurchsichtigen Arealen um die Ecke spionierte. Ich erschrak. Schrecklich, einfach nur schrecklich! Das entsellte Monster dort im Spiegelbild sollte ich sein? Das Mondlicht zeichnete die Konturen weich, konnte aber das ganze Ausmaß nicht verbergen. Das würde bald wieder verheilt sein, wurde ich getröstet. Genauso wie der Fuß und die restlichen lädierten Knochen. Mehr sorgten Kakashi die Bilder in meinem Kopf, doch wir waren beide nicht mehr gewillt, zur jetzigen Nachtstunde alles aufzuarbeiten. Nur das Nötigste an Worten in kurzen Sätzen wechselte den Besitzer, und das reichte mir schon, um verunsichert zu sein. Am liebsten hätte ich ihn festgehalten und nicht mehr losgelassen. Die Vernunft musste dem stumpfen Verlangen weichen. Und plötzlich kam eine unerwartete Hektik in meinen Schlaftablettenfreund. Nur ein flüchtiger Kuss und raus war der wieder aus meinem Zimmer. Ab durch die Mitte und durchs Fenster. Verdattert blickte ich über diesen flinken Abgang hinterdrein und schaute wohl mit Augen so groß wie Salatschüsseln dann zur Zimmertür, welche just in der Sekunde aufsprang, als Kakashi gerade noch das Fenster von außen zugeschoben hatte. Eine aktionsgeladene Schwester Kiri platzte herein und gab mit vollstem Übermut zum Besten:

„Ha, fast erwischt!“

Dabei streckte sie die Faust siegessicher zum Himmel und grinste so breit wie ein irrer Clown von einem Ohr zum anderen.

„Nächstes Mal erwische ich ihn!“

Sie brannte vor Neugier und strahlte Eifer und Tatendrang aus. Ich brach nur in schallendes Gelächter aus. Schwester Kiri hatte ihr höchst persönliches Katz-und-Maus-Spiel gegen meinem Freund eröffnet. Mal sehen, ob sie es jemals gewinnen würde.

Einmal Kissen aufschütteln, das dreckige Geschirr abräumen und neue Tabletten hinstellen. Und schon war sie ebenso zackig wieder hinaus gerauscht hinüber ins Nachbarzimmer. Man konnte ihre einprägsame, markante Stimme auch durch die Zimmerwand hören. Na denn, eine gute Nacht!
 

Meine Nacht blieb traumlos. Und das war auch gut so. Nur ein gleichmäßiges Rauschen begleitete meine ruhige Fahrt durch das Schlummerland. Das Rauschen verstärkte sich und trommelte bald einen gleichmäßigen Rhythmus. Langsam zwang ich mich, die Augen zu öffnen und erwartetet schon die gleißende Morgensonne, wie sie in den müden Augen brennen würde. Aber da war nichts dergleichen. Draußen regnete es in Strömen und die Regentropfen klatschten gegen die Fensterscheibe. Auf dem Nachttisch neben mir war die Lampe eingeschaltet. Sie setzte mit ihrem Schein sanft mein Frühstück ins rechte Licht. So spät war es wohl schon? Ich hatte gar nicht bemerkt, wie mir das Tablett gebracht worden war.

Ich fühlte mich den Umständen entsprechend erstaunlich gut und schwang mich behände aus dem Bett. Nach wie vor eine schwierige Sache mit der Schiene am Fuß, doch es gelang unglaublich gut. Gestern noch hatte ich mich schlapp gefühlt. Heute ging es wesentlich besser. Zusammen mit meinen Gehhilfen überwand ich die kurze Entfernung zur Toilette und vergaß dabei nicht, auf dem Flur auf die Wanduhr zu schauen. Schon neun Uhr durch. Na, kein Wunder, dass man die Zeit nicht so recht einschätzen konnte. Bei dem Regen und den dicken Wolken da draußen wurde es gar nicht richtig hell, sondern blieb dämmerig.

Auf dem Klo angekommen, begutachtete ich nun auch endlich ausgiebig mein Gesicht. Der Spiegel über dem Waschbecken war so groß, dass ich auch meinen Oberkörper gut sehen konnte. Ja, es war übel. Man sollte vielleicht einfach an der Geschichte vom hässlichen Entlein festhalten, welches zu einem Schwan würde. Allerdings konnte ich mir keineswegs vorstellen, auch nur jemals im Leben an einen Schwan heranzureichen. Ich war einfach zu selbstkritisch mir und meinem Äußeren gegenüber. Seufzend verrichte ich mein Geschäft und vermisste nun eine Zahnbürste oder einen Waschlappen. Ein Handtuch und Seife wären auch super. Und ein frisches Nachthemd. Kakashi hatte versprochen, die Kinder heute vorbeizuschicken. Diese könnten es eh kaum erwarten, mich wieder aufgewacht zu erleben. Ich hoffte, sie würden an eine Tasche mit solch Utensilien denken.

Denken war sowieso das rechte Stichwort. Auf dem Klo konnte man gut denken, weil man nicht abgelenkt wurde, auch wenn es in meinem Krankenzimmer nicht minder Ablenkung gab. Aber allein der ansprechende Ausblick über die Dächer Konohas nahm die Gedanken mit und ließen sie abschweifen. So nahm ich mir die Freiheit einer langen Klositzung heraus, nur um mich und die Welt drumherum zu vergessen und mein aktuelles Leben zu ordnen.

Ich hatte so gut wie den kompletten Februar verpasst. Von dem Tage an, an dem ich von der Bildfläche durch den Sturz verschwunden war, bis zu dem Tag, wo man mich fand, war schon fast eine Woche verstrichen. Dann hatte die Rückreise auch noch einen guten Tag lang gedauert, und hier im Krankenhaus hatte ich seitdem gute weitere zwei Wochen verbracht. Einzelheiten hatte ich noch nicht erfahren dürfen. Das knappste hart an mir, einen Monat im wahrsten Sinne des Wortes verschlafen zu haben.

Kakashis Vorsicht mir gegenüber kam nicht von ungefähr, als er mich gestern besuchte. Während ich schlief, war natürlich das Leben um mich herum weitergelaufen. Und so langsam sollte ich auch erfahren, warum ich zu Beginn so zaghaft in den Arm genommen wurde. Ich selbst hatte im Schlaf gar nichts mitbekommen. Meine Umwelt von mir jedoch sehr wohl und sehr viel. So wurde ich vor lauter Scham immer kleiner und kleiner und senkte schuldbewusst meinen Blick, als ich mir von ihm noch so einiges Unglaubliches über mich anhören durfte. Mich hatten die Entführer in ein Gen-Justu gesteckt, welches bei meiner Befreiung nicht richtig gelöst worden war. Demnach benahm ich mich wie ein Schlafwandler. Ich sollte erwacht sein, steckte aber noch immer halbwegs in der Illusion fest. Ich machte völlig unberechenbare Dinge und erkannte auch niemanden. Im Zuge dessen wurde mir klar, weshalb man mich nicht künstlich ernähren musste. Ich hatte jede Mahlzeit, die auf meinen Tisch gestellt worden war, auch gegessen. Und ich war auch regelmäßig zum Klo gehumpelt trotz des gebrochenen Fußes. Waren die vermeintlichen Wachphasen beendet, schlief ich wieder wie ein Stein in tiefstem Koma. Hatte ich die Augen geöffnet, so hatte ich auch alles mitbekommen, konnte die aufgenommenen Reize aber nicht verarbeiten. Und darin lag wohl das Problem, womit ich unbewusst in Schwierigkeiten geriet. Ich erkannte nur verworrene Zerrbilder, reagierte über und schlug wild um mich, weil ich dachte, ich würde bedroht werden. Auch Kakashi gehörte zu den Leidtragenden, die meine Faust vor einigen Nächten gegen seinen Kiefer zu spüren bekommen hatte, dass es nur so knackte. Ziemlich unverblümt hatte er über seine geschwollene Kauleiste kommentiert, dass er nun genaustens wüsste, wie ich damals die vier ANBUs verprügelt hätte. Gai hingegen hätte nur lästern gefragt, ob mein Freund und ich wohl Beziehungsprobleme hätten, denn trotz der Maskierung sah man, dass die eine Gesichtshälfte deutlich angeschwollen war. Wer den Schaden hatte, brauchte für Spott nicht zu sorgen. Kakashi hatte wie so oft den Filter in seinem Ohr aktiviert, Gais Gerede einfach stumm zu schalten, und hatte sich hinter seinen Schreibtisch verzogen.

Es klopfte ungeduldig an die Toilettentür. Und schon war ich wieder mit meinen Gedanken in der Gegenwart und bewusst darüber, dass ich mir mit anderen Patienten das stille Örtchen zu teilen hatte. Schnell zog ich meinen Schlüpfer wieder über den Po, auf dem nun schon ein knallroter, kreisrunder Abdruck von der Klobrille prangte, und drückte die Spülung.
 

Welch Freude erwartete mich da in meinem Zimmer. Yuuki und Asa waren zu Besuch gekommen. überschwänglich wurde ich angesprungen, umarmt und zu Boden gerissen, als hätte mich ein Rudel Hunde überfallen. Yuuki wollte mich gar nicht mehr loslassen und verbarg seine Tränen in meinem Nachthemd. Asa wedelte mit einer Beuteltasche vor meiner Nase herum:

„Papa hat gesagt, wir sollen mal alles einpacken, was man so braucht!“

Der Inhalt war kindgerecht. An Buntstifte, Kekse, eine Puppe und ein Märchenbuch hatte Asa gedacht. Yuuki hatte durchgesetzt, dass Hausschuhe, eine Yukata und mein Handy bestimmt auch eine gute Idee wären. Um den Sinn und Zweck von Waschzeug hatten die beiden gestritten und beschlossen, dass es nicht mehr in den Beutel passte. Dafür hatte aber noch ein Gästehandtuch Platz gefunden. Die beiden waren wirklich rührend. Ich lobte sie über den Klee, obgleich mein Gesicht bei dem Sammelsurium an „wichtigen“ Dingen wohl Bände sprach. Gemeinsam machten wir eine Liste, was mir noch fehlen würde. Währenddessen erzählten beide, wie sie die letzten Tage ohne mich verbracht hatten.

Natürlich waren sie total aufgeregt gewesen, als ich morgens gar nicht in meinem Hotelbett lag. Und als ich dann auch nicht unter der Dusche stand oder bereits vor ihnen das Frühstücksbufett geplündert hatte, wurden den beiden mulmig zumute. Asa fand ja, sie hätten mich auch auf eigene Faust suchen können. Immerhin würden sie nun schon bald ihre Zwischenprüfung an der Akademie machen. Da wäre man schon ausreichend Shinobi genug, um solch eine Befreiungsmission zu starten. Yuuki aber, der vor Panik mal wieder fast durchgedreht war, ließ Vernunft walten und trommelte solange und so laut gegen die Hotelzimmertür meiner Chefin bis nicht nur alle Hotelgäste, sondern auch der halbe Ort wach lag. Schneller als geglaubt, zog das Kreise in Konoha, wovon aber die Kinder nicht so sehr viel mitbekamen. Die wurden von einem Trupp ANBUS wieder in heimische Gefilde eskortiert und waren dann den Großteil der Zeit doch recht auf sich allein gestellt. Und obgleich Kakashi viel Zeit auf der Arbeit verbrachte und sich tagtäglich ein paar Stunden für die beiden freischaufelte, so rauften sie sich doch zu dritt irgendwie zurecht ohne sich großartig viel zu sehen. Zu Beginn schliefen alle Drei in Kakashis Wohnung. Doch nach ein paar Tagen wurde es allen zu eng. Also beschloss mein werter Sohn zu meinem größten Erstaunen, dass er doch schon zehn Jahre alt wäre und auch allein in seinem eigenen Bett schlafen könnte. Hui, ich war sprachlos! Yuuki allein zuhause. Frühstück machen ging super, aber das mit dem Wäsche waschen war ihm ein Rätsel, bis ihn Kakashi aufklärte, dass es sehr wohl einen Unterschied machte, ob man seine Klamotten auf 30°C oder 60°C wusch. Und nach Farben sortieren könnte grundsätzlich nur ein Vorteil sein. Hm, meine weißen Badetücher wären nun wohl alle himmelblau. Manchmal aber übernachtete auch Asa in unserer Wohnung, weil es dort ja den heißgeliebten Fernseher gab, den sie daheim vermisste. Kakashi sammelte sie dann mitten in der Nacht vor der Glotze auf, sah bei Yuuki nach dem Rechten und machte sich anschließend mit Kind und Kegel auf dem Rücken auf dem Heimweg. Asa hingegen hatte die Magie des Kochens, aber nicht den Zauber des Abwaschens entdeckt. Man konnte jeden Abend Nudeln mit Ketchup produzieren, bevor ihr Vater nach Hause kam und ihr zu verstehen gab, dass ihm die Küchenschlacht gar nicht behagte. Aber man musste immer eine volle Tüte Nudeln in den Topf werfen, fuhr sie ungehindert in ihren Erzählungen fort, weil man ja nur die Hälfte essen könnte. Immer würde die andere Hälfte wie ein Klumpen unten am Boden kleben bleiben, beschwerte sie sich. So was blödes! Ach, das Wasser müsste erst kochen, wenn man die Nudeln hinein geben würde? Nicht mein Ernst! Aber die Hunde fanden die Reste im Topf immer super. Da strahlte sie dann, dass sie alle so glücklich gemacht hatte. Ich konnte mir das ganze Chaos bildhaft vorstellen. Es gab ja noch so viele ähnlich gestrickte Abenteuer zu berichten.

Was alles so unbeschwert und normal klang, verursachte bei mir einen faden Beigeschmack. In Konoha war es Gang und Gäbe, dass Kinder sich selbst überlassen waren. Kakashi war bereits im Alter von acht Jahren für sich und sein Leben verantwortlich geworden. Da fiel es dem wohl gar nicht mal so sonderlich auf, dass ihrem Schicksal überlassenen Kinder nicht normal wären. Es mochte auch ein Zutun haben, dass er sich in der nun dauerhaft aufgedrückten Vaterrolle so rein gar nicht wieder fand. Keine Frage, Asa war ihm mehr als heilig, aber nun diese permanente Beständigkeit? Irgendwie lief das noch nicht so rund. Vielleicht lag es auch einfach nur ganz profan daran, dass es zum Berufsrisiko gehörte, auf einer Mission zu sterben. Der Tod, auch wenn er kaum Eingang in die öffentliche Diskussion fand, war immer allgegenwärtig. Es blieben dann die Familien zurück, die stets mit solch einem Verlust rechneten. Somit gab es viele Halb- oder gar Vollwaisen im Dorfe. Seit der letzte Krieg jedoch schon über elf Jahre zurücklag, stellte man bei der neueren Generation ein schleichendes Umdenken fest. Es gab nicht mehr so viele Shinobis wie früher und erst recht nicht so viele Missionen. Bei den Missionen ging es häufig nur noch um Nachrichtenübermittlung oder Geleitschutz. Ausspionieren war unter befreundeten Reichen out, geschah aber dennoch, wenn auch recht selten. Es war die erste Generation an Einwohnern, die sich um Hinterbliebene oder Traumatisierte kümmerte. Man musste nicht mehr mit sich allein sein. Ein guter Anfang.

Ich hingegen hatte nun den inneren Drang entwickelt, unbedingt ganz schnell wieder genesen nach Hause zu kommen. Das ging meines Erachtens so gar nicht!

Die Zeit verging wie im Fluge. Der Ärztetross zur morgendlichen Visite stapfte durch die Räume und erklärte mir, dass ich noch bis zum Wochenende hier verbringen müsste. Noch ganze sechs Tage! Sechs endlos lange Tage! Argh! Mein zweiter Seufzer an diesem Tag. Zur Mittagszeit verabschiedeten sich die Kinder von mir. Sie würden am Nachmittag alle notierten Dinge von der Liste mitbringen. Das taten sie dann auch. Wir vertrieben uns die Zeit, indem wir noch einige Runden Karten und ein Würfelspiel spielten. Und schon kam der Abend und die Kinder wurden von den Schwestern hinausgeschoben. Schlafenszeit für Kranke im Krankenhaus und für Kinder im heimischen Bett. Schweren Herzen verabschiedeten wir uns voneinander.
 

Kakashi tauchte diesmal viel früher am Abend auf. Ich hatte ihn schon bemerkt, als er von außen um den Holzrahmen spähte, ob sich Schwester Kiri endlich mal aus dem Zimmer hinaus bequemen würde. Heute nahm sie es besonders gründlich mit der Blutabnahme und dem Pulsmessen. Gern hörte ich ihr beim Reden zu, denn sie war so erfrischend herzlich, und der Dorftratsch nicht minder spannend. Zwischenzeitlich schaute ich immer wieder und wieder zum Fenster, auf dessen Scheibe sich wie schon den lieben langen Tag die Regentropfen perlten. Mein ständiges Wegschauen musste einfach auffallen, denn sie sprach mich sofort an, ob ich denn nervös wäre oder Panikattacken hätte. Ich schob es auf die Regentropfen und das unruhige Prasselgeräusch, konnte aber schlecht lügen. Sie glaubte mir sicherlich kein Wort. Hätte nicht ein Patient aus einem der anderen Zimmer nach ihr geklingelt, hätte sie vermutlich die halbe Nacht dort an meinem Bett gestanden, nur um endlich das Geheimnis meines nächtlichen Besuchers zu lüften. Nun aber musste sie sich von dannen trollen mit dem Hinweis, sie würde später auf jeden Fall noch einmal nachschauen, ob alles in Ordnung wäre. War das nun ein umsorgter Zimmerservice oder eine Drohung?

Kaum hatte sie die Tür geschlossen, als Kakashi schon auf dem Fensterbrett locker-lässig hockte und eine Hand zum unförmlichen Gruß hob.

„Jo!“, strahlte er unter einem weiten Regenponcho hervor, hatte eine große, durchweichte Papiertüte dabei, die kurz vor dem Aufreißen war, und fragte dann doch etwas geknickt: „Darf ich reinkommen?“

Klar durfte er das, und erbrachte einen großen Schwung Regen mit herein. Eine Wasserlache bildete sich zu seinen Füßen, obwohl er den Poncho umgehend abgestreift hatte. Als er kurz seine Haare ausschüttelte, duschte ich mit.

„Leider war die Auswahl so kurz vor Ladenschluss nicht mehr sonderlich groß“, entschuldigte er den Tüteninhalt, als er die Papiertüte auf meinem Bett abstellte.

„Ist doch gar nicht so schlimm“, winkte ich ab, war ich doch auch so schon ganz begeistert.

Die Krankenhausspeisung war wirklich gut, aber doch sehr genau auf das Gewicht des Patienten abgewogen und nicht abwechslungsreich. Reis mit Gemüse oder Gemüse mit Reis. Selten Fleisch oder Fisch. Da beherbergte Kakashis Einkaufstüte ein wahres Schlaraffenland. Zweimal Bento und ganz viel Süßkram. Bei der kleinen Flasche Rotwein guckte ich ihn dann doch ein bisschen fragend an.

„Du hast was mit dem Fuß und nicht mit dem Magen. Außerdem weiß ich, dass dir zu deinem Süßkram sonst irgendwas fehlt“, wurde ich pragmatisch belehrt.

Das stimmte wohl. Mittlerweile kannte er meine ungesunden Fressgewohnheiten nur zu gut. Nun saßen wir uns gegenüber auf meinem Bett wie auf einer Picknickdecke und hatten alles ausgebreitet. Genüsslich fischte ich aus der Bentobox eine panierte Garnele und ließ sie mir auf der Zunge zergehen. Mit dem Rotwein rundete ich den Geschmack in meinem Mund ab. Eine pure Geschmacksexplosion. Ha, das war herrlich! So kehrten Lebensgeister wieder viel besser heim als bei diesem ganzen therapeutische Wahnsinn. Ich grinste selig wie ein Brummkreisel.

Die Regenfront war vorübergezogen. Die Wolkendecke wurde vom Wind zerfetzt und riss auf. Endlich schaute der Mond wieder auf die Erde herab. Obgleich schon gestern Vollmond war, so reichte auch heute noch sein Licht aus, das Zimmer so zu erhellen, dass wir das Lampenlicht löschen konnten. Schwester Kiri sollte nicht denken, ich wäre eingeschlafen und hätte das Licht vergessen auszuschalten. Dann stünde sie sicher gleich wieder auf der Matte. Der Mond, Kakashi und ich waren aber eine weit aus bessere Kombination, als ein Quartett mit Schwester Kiri.

„Warum ist das ein Hase?“, starrte ich verträumt, fast schon philosophisch, den Mond an und schob dabei den Garnelenschwanz von einem Mundwinkel in den anderen.

„Wie kommst du da jetzt drauf?“

Manchmal waren Kakashi meine Gedankensprünge zu suspekt. Er dachte kurz nach und erzählte mir dann eine kleine Legende:

„Ich weiß nicht, ob ich die Geschichte noch richtig zusammen bekomme. In einem Wald lebten ein Fuchs, ein Affe und ein Hase friedlich zusammen. Der Herr des Himmels fand die Freundschaft der Dreien sehr ungewöhnlich und suchte sie verkleidet als alter Mann auf, um der Sache auf den Grund zu gehen. Die drei Tiere wollten abends am Lagerfeuer ihre Gastfreundschaft zeigen. Der Fuchs brachte Fisch und der Affe Nüsse mit. Der Hase aber aß ja nur Gras und konnte dem alten Mann nichts anbieten. Also sprang er ins Feuer und bot sich selbst als Speise an. Davon war der Alte so gerührt, dass er den Hasen wieder zum Leben erweckte. Der Qualm zeichnet noch heute die Gestalt des Hasen auf den Mond.“

„Verstehe. Und wieso stampft der in einem Bottich?“, bohrte ich weiter.

„Du hast Fragen ...“, kam die seufzende Antwort, führte aber dazu, dass Kakashi nun ebenfalls den Mond anstarrte.

„Wo siehst du da einen Bottich?“

Ich fuchtelte mit den Armen und bildete mit den Fingern einen Rahmen, um den Bottich besser präsentieren zu können, doch wenn man die Fantasie nicht spielen ließ, so sah man auch keinen Bottich. Nichts zu machen. Also Themenwechsel!

„Du, sag mal! Wie habt ihr mich eigentlich so schnell gefunden? Ich hätte ja überall sein können“, klapperte ich meinen angestauten Fragenkatalog weiter ab.

Die Reaktion war erstaunlich, denn für den Bruchteil einer Sekunde erstarrte er zur Salzsäule und hätte sich beinahe an der Reisbeilage verschluckt. Trotz des Dämmerlichtes sah ich dem ganz klar an, dass der rot wurde. So, so. Da steckte wohl mehr dahinter. Mein Brummkreiselgrinsen wechselte zur Diabolik. Ich hatte den Spaß gefunden und nun angebissen.

„Na, du hattest halt Glück, dass Shikamaru und Temari eh auf den Weg zur Sitzung der Shinobi Union waren. Die findet ja im selben Ort statt“, kam eine ausweichende Antwort, aber am liebsten hätte er sich wohl in der Bentobox versteckt.

Na, das war doch nicht die ganze Wahrheit. Bildete sich da nicht schon eine Schweißperle?

„Und weiter?“, griente ich.

„Nichts weiter!“

„Wie jetzt? Nichts weiter?“

Aus der Nummer gab es kein Entkommen. In meinem Kopf formte sich nun endlich ein Klarbild zu den verzerrten Spiegelungen aus meinen Träumen. Das Schattennetz war Shikamarus Jutsu. Der Pfau, der das Rad schlug, war niemand geringeres als Temari und ihr großer Fächer. Soviel hatte ich schon durchschaut. Der Apfelschimmel, der Apfelschimmel … Überrascht schlug ich mir mit der Hand vor die offenstehende Futterluke.

„Sag' bloß nicht, DU hast mich den ganzen Weg Huckepack nach Hause geschleppt?!“

„Naja, Dank des Gen-Jutsus hast du ja auf alles eingeprügelt, was dir in den Weg kam... Von den blauen Flecken auf meinen Oberschenkel hatte ich die ganze Woche was von. Du hast aber auch zugetreten ...“

Nun war ich diejenige, die beschämt dreinblickte. Aber trotzdem vergaß ich die Frage des Abends nicht.

„Und wie habt ihr mich nun gefunden?“

„Ich hab einen Teil deiner Kleidung mit einem Jutsu markiert.“

Nun war es raus und ich grübelte, welche Teile es wohl sein könnten. Es musste ja etwas sein, was ich auf jeden Fall anziehen würde. Über meinem Kopf flammte ein ganzer Kronleuchter der Erkenntnis auf.

„Du kleine Drecksau! Das ist jetzt nicht das, was ich denke? Hat das einer mitbekommen?“, keifte ich leise, aber dennoch tadelnd los, um keinen Lärm zu verursachen.

Innerlich lachte ich mich kaputt. Auf solche Ideen konnte nur Kakashi kommen. Der kam nun ziemlich ins Schwitzen und Stottern, weil das Thema bei ihm immer ein Schwitzen und Stottern verursachte. Maaaannn, dabei waren wir doch schon über ein Jahr zusammen. Einfach nur zum ungläubigen Kopfschütteln.

„Ich hatte so ein ungutes Gefühl bei der Sache, als ich las, mit wem deine Chefin Handel betreibt... Aber du hattest für die paar Tage ja ein halbes Kaufhaus eingepackt... Und deine Unterwäsche würdest du auf jeden Fall anziehen... Das war das einfachste, die fix zu markieren. So hab ich dich gefunden. Und das hat bestimmt auch keiner gemerkt... Deine Entführer leben jedenfalls nicht mehr...“, wurde sich da um Kopf und Kragen geredet.

Nein, die lebten nicht mehr. Das war der unschöne Teil der Geschichte. Nichts anderes als Kakashis „Ayatsuito no Jutsu“ hatte sich den Feinden um den Hals gelegt, sich tief in die Haut einritzt, bis das Blut nur so spritzte, und ihnen die Kehlen durchschnitten. Es war eine Art von eiskalter Brutalität, die bei meiner Befreiung nicht von Nöten gewesen wäre. Die von allen Anwesenden vor Ort schon seit Ewigkeiten nicht mehr von Kakashi erwartet worden wäre und alle still verstummen ließ. Der Kampf war längst beendet. Die Gefangenen gemacht. Als Kakashi den Ort des Verbrechens erreichte, genügte wohl der Anblick einer Sherenina, die wie eine blutüberströmte Biomasse aussah, aber tobte wie eine Furie. Kein Fragen nach dem Warum? Und Wieso? an die Gefangenen. Er schritt bedächtig an ihnen vorbei zu mir herüber und würdigte ihnen keines Blickes. Ein Fingerzeichen, drei Menschen tot. Ein Schalter hatte sich in seinem Kopf umgelegt und die alte Dunkelheit wieder herausgelassen.

Und nun hockte er da. Mein Freund mit seinen zwei Gesichtern. Der einfach nicht aus seiner Vergangenheit herauskam, so sehr er sich auch bemühte. Ganz nahe bei mir war er wie ein Häufchen Elend und wartete auf meine Reaktion, weil er genaustens wusste, dass mir solche Methoden zuwider waren. Für mich kämpfen: Ja, gerne! Aber für mich töten? Ich fand keine Antwort.

Man hätte vielleicht darüber explodieren und eine Szene machen können. Oder ihn rausschmeißen können. Für immer und ewig. Doch ich hatte etwas anderes gelernt, seit ich ihn kannte und liebte. In den Arm nehmen, verzeihen und trösten.



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