Zum Inhalt der Seite

Between evil voices and innocent hearts

Weltenträume
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Vergiss mich!

„Alter, im Ernst: Wenn du das nächste Mal vorhast, einen Lost Place zu erkunden, weihe mich doch bitte ein, damit ich dich begleiten kann.“ Ein gespielt dramatisches Seufzen folgte. „Ich wollte so etwas eh schon immer mal machen. Zu schade, dass Urban Explorer kein richtiger Beruf ist, oder? Nur eine Berufung. Das wäre eine verdammt coole Arbeit.“

Es war typisch für Faren. Er versuchte mühevoll, mich mit seiner lockeren und positiven Art aufzuheitern. Gewöhnlich gelang ihm das sogar ganz leicht, weil wir beide den gleichen Humor und ähnliche Interessen besaßen. Außerdem konnte man seinem Charme nur verfallen, auch auf freundschaftliche Weise. Im Moment konnte ich mich von seiner guten Laune trotzdem nicht begeistern lassen.

„Hey, geht das wirklich mit deinem Bein?“, hakte Faren nochmal nach, hörbar besorgt.

Ich wollte nicken, aber ich krächzte doch nur ein knappes „Ja“ heraus, während ich abwesend aus dem Fenster starrte.

„Okay, wenn du meinst. Aber sag Bescheid, falls ich dich doch ins Krankenhaus fahren soll oder so.“

Diesmal nickte ich nur schweigend.

Faren sagte darauf erst mal nichts mehr.

Noch während des Telefonats hatte er sich ins Auto gesetzt und war losgefahren, um mich abzuholen, anscheinend ziemlich überstürzt. Sein Haar sah etwas zerwühlt aus und er trug nur einfache Hausschlappen zu seiner grauen Jogginghose. Wenigstens hatte er sich in seiner Eile noch eine Jacke über sein Shirt angezogen, abends konnte es doch etwas kühl werden.

Flüchtig warf ich einen Blick in den Seitenspiegel. Meine Haare sahen katastrophal aus, so wie eh und je. Im Nacken hatte ich sie mir zusammengebunden, jedoch gab es noch genug Strähnen, die mir ins Gesicht hingen und völlig wirr verliefen. Sie waren lang geworden, schon über meine Schultern hinweg. Eigentlich sollte ich sie mir dringend abschneiden und färben. Dieses knallige Blau war kaum auszuhalten, wie ein Leuchtsignal.

„Och, so knapp“, hörte ich Faren murmeln, als er an einer Ampel halten musste, weil sie von Grün auf Rot wechselte.

Wartend strich Faren mit einer Hand über seinen Kinnbart. Ob er heute einen freien Tag gehabt hatte und deswegen danach aussah, als hätte er bis zum Abend gepennt? Immerhin befanden wir uns noch im Wochenende. Sonntags schlief Faren gern lange aus und faulenzte zu Hause herum, es sei denn, er traf Freunde oder musste mir, wie heute, aus der Patsche helfen.

Als er gehört hatte, dass ich in Limbten in einem Haus feststeckte, war seine Verwirrung groß gewesen. Warum ich dort war, wusste er bis jetzt noch nicht und er fragte auch nicht nach. Jedenfalls nicht direkt. Vermutlich wollte er mich nicht bedrängen, weil mir anzusehen war, dass es mir nicht gut ging. Kaum zu glauben, wie meisterhaft ich damals eine fröhliche Stimmung vorspielen konnte. Dafür hätte ich gar keine Nerven mehr übrig.

Draußen war es richtig dunkel geworden. Vincent hatte mich inzwischen längst angerufen, weil er sich Sorgen um mich machte, aber Faren war derjenige gewesen, der ihm erklärte, was los war. Sonst wäre ich gar nicht dran gegangen, sondern hätte es klingeln lassen. Da Faren aber meinte, ich könnte das Vincent nicht antun, hatte ich ihm erlaubt, an meiner Stelle den Anruf anzunehmen.

Nach einer Weile konnte Faren weiterfahren, wir hatten grünes Licht. Stimmen hörte ich gerade keine, was wohl daran lag, dass zu dieser Zeit kaum noch Menschen unterwegs waren. Der Wagen schnurrte leise und ruckelte nur selten. Keine Ahnung, was für ein Auto das genau war. Wie schon erwähnt kannte ich mich in der Richtung nicht aus. Seit Faren mich einmal kurz ans Steuer gelassen hatte, weil er mir das Fahren beibringen wollte, wussten wir, dass ich nicht mit Talent gesegnet war. Die Reparatur, das Resultat für dieses Experiment, war nicht billig gewesen.

„Sag mal, hast du nicht Lust, einfach mit zu mir zu kommen?“, brach Faren die Stille wieder, ohne den Blick von der Straße abzuwenden. „Ich mag dich so nicht bei Vince abliefern. Wir können uns bei mir eine schöne Zeit machen. Du weißt schon, zocken, Fast-Food verschlingen, Musik laut aufdrehen und so. Wär doch was.“

„Muss nicht sein“, lehnte ich dankend ab, ohne wirklich darüber nachzudenken.

„Doch“, widersprach Faren entschlossen. Sicher legte er sich in Gedanken schon eine ausführliche Planung für einen grandiosen Abend voller Bromance zusammen. „In letzter Zeit hängen wir gar nicht mehr zusammen ab, was meine Schuld ist. Du bist mir genauso wichtig wie Kieran, darum bestehe ich darauf, dass wir endlich wieder was zusammen machen.“

Kieran. Großartig, warum rammte mir das Schicksal nicht noch mehr Messer in die Brust? War dieser Tag bislang nicht schon aufreibend genug gewesen? Natürlich nicht, ich musste auch noch an meine unglückliche Liebe zu Kieran erinnert werden.

Faren kann nichts dafür, ermahnte ich mich selbst. Er weiß ja nichts davon.

Darum bemühte ich mich, nicht noch aufgewühlter zu klingen. „Muss trotzdem nicht heute sein, ich will nur noch pennen.“

„Kein Problem, das kannst du auch bei mir machen“, blieb Faren hartnäckig und grinste dabei verspielt. „Versuch gar nicht erst, vor mir zu flüchten. Du kennst mich. Ich bin nicht leicht abzuschütteln.“

Wie wahr. Sobald Faren etwas wollte, tat er alles, um es zu bekommen. Manchmal konnte er dabei schrecklich aufdringlich werden, aber er meinte es nur gut. Er würde niemals jemanden zu etwas zwingen, das der Person schaden könnte, selbst wenn diese es anders sah. Bei mir waren seine Bemühungen verschenkte Lebenszeit. Merkte er das nicht?

„Faren, ich hab echt keinen Bock“, entschuldigte ich mich, weiter aus dem Fenster starrend. „Ein anderes Mal, okay?“

Er reagierte nicht sofort auf meine Worte, sondern schien innerlich mit sich zu hadern, wie er weitermachen sollte, um mich doch noch zu überzeugen. „Schade, wir hätten sicher Spaß gehabt.“

„Kann sein.“ Eigentlich hatte man mit Faren immer Spaß, Langeweile kannte man mit ihm nicht. „Aber du solltest dich sowieso lieber um Kieran kümmern.“

Bevor mir klar wurde, was ich gerade gesagt hatte, war es bereits zu spät. Faren griff diese Aussage auf, voller Verwunderung, und weitete das Thema aus, zu meinem Leidwesen.

„Das tue ich doch. Laut Kieran kümmere ich mich viel zu intensiv um ihn, er hat kaum Luft zum Atmen und beklagt sich darüber, dass ich zu anhänglich sei.“

Ich biss mir auf die Lippen, konnte es mir jedoch nicht verkneifen, etwas darauf zu sagen: „Das behauptet er doch nur so, weil er sich insgeheim über deine Aufmerksamkeit freut.“

„Ja, ich weiß“, entgegnete Faren, mit einem verliebten Tonfall in der Stimme. „Er ist richtig süß~.“

Innerlich flehte ich darum, dass wir nicht mehr weiter über Kieran redeten. Auch ohne Farens Schwärmereien wusste ich, wie toll Kieran war. Ich liebte ihn immerhin auch. Ich war schon lange vor Faren in ihn verliebt gewesen.

„Mach dir keine Gedanken wegen Kieran“, fuhr Faren fort. Ahnungslos darüber, was er mir damit antat. „Er wird es verstehen, wenn ich auch mal wieder was mit dir mache. Du bist doch auch sein Freund. Falls es dir so große Sorgen macht, kann ich ihn einfach auch einladen und wir machen was zu dritt. Das lässt sich alles einrichten.“

„Ich will aber nicht, verdammt!“, wandte ich schreiend ein. Meine Stimme war noch angeschlagen und daher etwas kraftlos, doch an meinen Emotionen änderte das nichts. „Mach dir meinetwegen einen schönen Abend mit Kieran, ihr könnt tun und lassen, was ihr wollt! Seid glücklich, lebt! Lasst mich nur mit alldem in Ruhe! Ich bleib halt lieber alleine!“

Plötzlich stoppte der Wagen, was mich sofort aus meinem Gefühlsausbruch herausriss und verwirrt zu Faren schauen ließ. Dieser war gerade dabei, den Motor auszuschalten. Wir waren weder bei Vincent, noch in der Nähe von Farens Wohnung. Etwas stimmte nicht. Warum hatte Faren auf einmal am Straßenrand geparkt, irgendwo in der Stadt? Ich ahnte etwas, das mir die Kehle zuschnürte.

„Sorry“, brachte ich dennoch leise hervor. „Ich wollte nicht-“

„Nein“, unterbrach Faren mich ruhig und schüttelte den Kopf. „Kann es sein, dass ich ein totaler Idiot bin?“

„Hä? Quatsch, bist du nicht. Ich bin nur nicht gut drauf, das ist alles.“

„Du redest dich ständig heraus.“ Zaghaft schlug Faren mit der Hand gegen das Lenkrad. „Das hätte mir viel früher auffallen müssen.“

Sein Blick schwenkte zu mir. In seinen Augen flackerte etwas auf, das wie der Funke einer Erkenntnis aussah. Unbewusst sackte ich im Sitz zusammen. Der Ausdruck in Farens Gesicht gefiel mir nicht. Sobald jemand wie er derart ernst wirkte, wie in diesem Moment, bedeutete das nichts Gutes. Hinzu kam dieser Hauch von Schmerz und aufkeimender Reue, die ihm anzusehen war. Es war unerträglich, solche Emotionen bei jemand anderem zu erleben, weil ich sie zu gut nachempfinden konnte.

„Du machst das immer“, sagte Faren unruhig. „Immer weichst du aus. Sobald es um Kieran geht, schließt du das Thema schnellstmöglich ab. Du betonst immer, dass ich mich gut um Kieran kümmern soll und er es verdient hat. Du ziehst dich zurück, wenn Kieran auftaucht oder verhältst dich in letzter Zeit so, als wäre bei dir alles in bester Ordnung in seinem Beisein. Nicht mal mit mir willst du etwas unternehmen, weil ich Zeit mit Kieran verbringen soll.“

Hastig warf ich etwas ein, um die Richtung zu ändern, in die das Gespräch zu verlaufen drohte: „Mann, Faren, ich sagte doch, ich bin heute nur nicht gut drauf. Mach daraus keine große Sache, ja? Fahr mich zu Vincent. Da schlafe ich mich aus und morgen können wir dann nochmal reden.“

Ich wusste, dass es nur Wunschdenken meinerseits war. Aus der Nummer kam ich nicht mehr heraus. An Farens Stelle hätte jeder genauer Bescheid wissen wollen – außer Typen wie ich, die so etwas eher verdrängen, um dann still und heimlich alleine deswegen herumzujammern.

„Ich will nur eines wissen.“ Bittend hielt Faren Augenkontakt und sprach geduldig weiter. „Kann es sein, dass du auch etwas für Kieran empfindest? Mehr als nur Freundschaft?“

Nein. Das sollte ich schnell abstreiten, bevor es zu spät war. Zwar öffnete sich mein Mund, aber es kam kein Ton heraus. Egal, was ich sagen würde, ich könnte nicht überzeugend genug sein. Nicht nach allem, was passiert war. Im Grunde war Faren sich schon sicher und suchte nur noch die letzte Bestätigung dafür. Am Ende war er doch darauf gekommen. So lange hatte ich es geheim halten können, aber ich versagte schon wieder.

Ich brach den Blickkontakt ab. Fluchtartig öffnete ich geschwind meinen Gurt und wollte die Beifahrertür aufreißen, doch Faren reagierte ebenso schnell und hielt mich am Arm fest. Natürlich ließ er mich nicht einfach abhauen.

„Warte, lass uns darüber reden!“, forderte er, unerwartet gefasst. „Weglaufen nützt doch jetzt nichts.“

„Reden auch nicht!“ Ich traute mich nicht mehr, ihm nochmal in die Augen zu schauen, und starrte stur nach draußen. „Es ist gut so, wie es ist.“

„Überhaupt nicht, du leidest doch darunter.“

„Sag mir nicht, was ich zu fühlen habe!“

„Ferris“, redete er mitfühlend auf mich ein. „Beruhige dich. Wir können bestimmt eine Lösung finden. Ich werde eine finden.“

Sollte das ein Witz sein? Hierbei gab es keine Lösung, außer, dass ich mich damit abfand, und dass versuchte ich schon die ganze Zeit. Jetzt war Faren meinetwegen garantiert voller höllischer Schuldgefühle und kam sich wie ein Arschloch vor, der seinem besten Freund die Liebe seines Lebens gestohlen hatte. Genau das wollte ich von Anfang an vermeiden.

Ich kriege es nie hin, dachte ich verzweifelt. Immer verletze ich andere, selbst wenn ich mit aller Macht versuche, das zu verhindern.

Es wäre so viel besser, könnte Faren mich vergessen. Eigentlich hätte er mich gar nicht erst treffen, geschweige denn retten sollen. Vincent, Kieran, Ciar, Faren … was stimmte mit denen nicht? Hört endlich auf, mir helfen zu wollen! Ihr macht es nur schlimmer.

In meiner Brust wuchs ein unbeschreibliches Brennen heran, das zusammen mit meiner Stimme explodierte, als ich meinen Willen laut herausschrie: „Lass mich los! Kümmere dich nicht um mich, vergiss mich!

Tatsächlich lockerte sich Farens Griff um meinen Arm sofort, begleitet von einem schmerzvollen Keuchen. Kaum huschte mein Blick ungläubig zu ihm, verlor er scheinbar das Bewusstsein und stieß mit dem Kopf gegen das Fenster. Sein gesamter Körper wurde schlaff und rutschte tiefer.

Genau wie er atmete ich schwer. Mein Hals war seltsam trocken und mir war heiß, das brennende Gefühl in meiner Brust hatte sich ausgebreitet. Etwas war vorhin mit meinen Worten aus meinem Inneren ausgebrochen. Ich wusste nicht, was es war, aber ich musste an Ciars Erklärungen denken, über Echos und Begabte, die mit ihrer Stimme der eigenen Seele einen Weg geben konnten, ihre Energie zu befreien.

Vorsichtig streckte ich eine Hand nach Faren aus und berührte ihn an der Schulter. Zitternd versuchte ich, ihn zu schütteln und aufzuwecken, was auch immer er hatte. Obwohl ich der Wache von uns war, fühlte ich mich ohnmächtig. Vor Schock konnte ich nicht klar denken und wusste nicht, was ich am besten tun sollte. Wie ein hilfloses Kind.

Wie eine Ewigkeit saß ich da und starrte Faren nur tatenlos an, umgeben von einer erdrückenden Stille. Zu gern hätte ich jetzt seine Stimme gehört. Irgendeinen bescheuerten Witz, über den nur wir beide lachen konnten. Erst als schließlich Blut aus Farens Nase lief, weckte das endlich wieder meinen Verstand, der dafür sorgte, dass ich mit dem Handy eilig einen Krankenwagen anrief.

Unbeholfen versuchte ich zu erklären, wo wir mit dem Wagen standen. Anscheinend stammelte ich dabei so undeutlich, dass die Person am Telefon einige Fragen mehrmals wiederholte, mit einer professionellen und erfahrenen Ruhe, die mich nur erst recht verrückt machte. Hier ging es um meinen besten Freund. Jemand, der am Leben hing und stets darum kämpfte, auch in schlechten Zeiten. So jemand durfte nicht sterben!

„Scheiße ...“, nuschelte der bewusstlose Faren neben mir auf einmal. „Mein Schädel ...“

Abrupt versagte meine Stimme und ich erstarrte, während ich beobachtete, wie Faren langsam wieder zu sich kam. Zuerst bemerkte er mich gar nicht, weil er noch zu benebelt war und über heftige Kopfschmerzen klagte. Irgendwann musste ihm aber auffallen, dass ich noch neben ihm saß, was bald darauf geschah.

Anfangs schien er zu glauben, sich mich nur einzubilden. Erschöpft richtete er sich anständig im Sitz auf und sah sich orientierungslos um. Am anderen Ende der Leitung sprach noch jemand zu mir, der fragte, was los sei und warum ich nichts mehr sagte. Aber ich konnte nichts darauf erwidern. Mir gelang es nicht mal, Faren ein Taschentuch anzubieten, womit er sich das Blut unter der Nase wegwischen könnte.

Ich hielt den Atem an, kaum dass er mich erneut ansah und diesmal der Blick länger auf mir ruhte. Mehrmals blinzelte er und beugte sich ein wenig näher in meine Richtung.

„Hä?“ Ratlos musterte Faren mich und kniff die Augen zusammen. „Wer bist du?“

Etwas brach in mir zusammen. Sprachlos ließ ich das Handy sinken und erwiderte Farens Blick mit geweiteten Augen. Das war kein Scherz, er hatte wirklich keinen Schimmer mehr, wer ich war oder in welcher Situation er sich befand. Genau wie gewünscht. Wie meine Worte es verlangt hatten, nur wenige Minuten zuvor.

„Hey, krass, du siehst ja voll aus wie ich.“ Genauso erstaunt war Faren bei unserem ersten Treffen schon gewesen. „Was geht denn hier ab? Hab ich zu viel getrunken?“

„T-tut mir leid ...“

Statt Faren aufzuklären und ihn zu beruhigen, folgte ich dem Drang, vor dieser Verantwortung zu fliehen, und stürzte regelrecht aus dem Wagen. Rannte schwankend über die Straße, ohne auf mögliche weitere Fahrer zu achten, die ich in einen Unfall verwickeln könnte. Blind stürmte ich in die nächstgelegene Gasse hinein und lief einfach so weit ich konnte, weg von Faren.

Mein Bein schmerzte und Schweiß lief über meine Stirn, trotz der kühlen Abendluft, die mich begleitete. Straßenlaternen sorgten mit ihrem matten Lichtschein für eine bedrückende Atmosphäre. Sirenen heulten in der Ferne auf. Vermutlich der Krankenwagen, den ich für Faren gerufen hatte. Er war mir nicht gefolgt. Warum sollte er? Für ihn war ich nur noch ein fremder, schräger Kerl, der ihn in seiner Verwirrung sitzenließ. Sicher dachte er, nur zu träumen.

Auch ich wünschte mir, dass ich bloß in einem Alptraum feststeckte.

 
 

***

 

Es war aber kein Alptraum.

So etwas passierte mir nicht zum ersten Mal. Dunkel erinnerte ich mich daran, in meiner Kindheit den anderen ungewollt Angst eingejagt zu haben. Einen Hexer hatten sie mich genannt. Schon damals wusste ich nicht, was diese merkwürdigen Fähigkeiten bedeuteten, mit denen ich leben musste.

Jedes Mal, wenn ich genau das sagte, was ich fühlte und wollte, geschahen solche Dinge wie mit Faren. Personen verhielten sich aus heiterem Himmel anders oder taten etwas, das sie normalerweise nicht machen wollten. Zuerst hatte mich das begeistert. Klar, als Kind war es oft zu spät, bis man erkannte, wie schlimm etwas in Wahrheit war.

„Pass doch auf, Spinner!“, beschwerte sich ein Autofahrer lautstark bei mir, der abbremsen musste, weil ich gedankenverloren bei Rot über die Straße ging. Das Hupen war in dieser nächtlichen Stille wie ein Hammerschlag auf den Kopf. „Mach mal hinne, hau ab!“

Mit quietschenden Reifen fuhr er weiter, nachdem ich die letzten Schritte hinter mich gebracht und die andere Straßenseite erreicht hatte. Schweigend schweifte mein Blick über die Bremsspuren auf dem Asphalt, bevor ich weiterging und meinen Gedanken folgte.

Ziellos ging ich durch die Stadt, an einigen Kirschblütenbäumen vorbei. Außer mir gab es nur wenige Menschen, die ebenso geisterhaft umher streiften wie ich oder irgendwo herumsaßen und aus eigenen Gründen ihrer Existenz auf diese Weise nachgingen. Manche rauchten, tranken Alkohol, beschäftigten sich mit dem Handy oder hatten einen Partner dabei, für einen romantischen Spaziergang bei Nacht.

Solange ich niemandem im Weg stand, beachtete mich keiner. Mir wurde bewusst, warum bestimmte Geschehnisse in meinem Leben so unglücklich verlaufen waren. Nach dem Brand, bei dem meine Familie starb, hatte ich angefangen, meine wahren Gefühle zu verstecken und etwas vorzuspielen. Gute Laune und Zufriedenheit. Eine Stimmung, mit der ich nicht aus Versehen irgendetwas aussprechen konnte, das einen Wunsch oder ein Verlangen beinhaltete.

Irgendwie musste es mir gelungen sein, meine Fähigkeiten dadurch abzuschwächen und sie gerieten in Vergessenheit. Sonst hätte mir schon mindestens die letzten zwei Jahre über andauernd so etwas passieren müssen wie heute mit Faren. Laut Ciar erwachten meine Fähigkeit nun langsam – erneut. Woran mochte das liegen?

Vielleicht weil ich auch ohne sie meinen Platz in der Welt nicht fand. Ach, wer weiß warum. So oder so machte es die Lage nicht besser. Ich fühlte mich verlorener als jemals zuvor in meinem Leben. Als Freak mit solch unheimlichen Fähigkeiten wollte ich erst recht nicht länger existieren, das war unmöglich. Für Ciar schien das allerdings ein Kinderspiel zu sein.

Ciar … ob ich zu ihm gehen sollte? Er könnte mir beibringen, mit diesen Fähigkeiten so umzugehen, dass sie keinem mehr schadeten – und mir möglicherweise sogar Vorteile verschafften. Bevor ich wieder an Selbstmord dachte, wäre das einen Versuch wert. Angeblich wüsste er auch einen Weg, wie ich all mein Leid loswerden könnte. Reizvoll klang das schon …

„Das letzte Mal“, hauchte ich mir selbst zu und blieb stehen. „Das ist mein letzter Versuch, doch noch die Kurve zu bekommen. Danach wähle ich den Notausgang.“

Mein Entschluss stand fest, also holte ich mein Handy hervor, mit dem ich Ciar schreiben wollte. Dummerweise stand der Akku kurz vor einem Herzstillstand und ließ wahrscheinlich nicht mal mehr einen Blick ins Adressbuch zu. Danke, Schicksal, mit den Steinen meinst du es wirklich etwas zu gut.

Jemand stieß plötzlich so heftig gegen mich, dass ich um mein Gleichgewicht kämpfen musste. Ein pochender Schmerz zog sich durch meine Schulter.

„Mach die Augen auf, Junge. Steh hier nicht so nutzlos herum.“

Genervt bohrte sich der Blick eines Anzugträgers in mich hinein, ganz klassisch mit Aktenkoffer und Brille. Jemand, der sich, zu recht, wichtiger vorkam als ich. Gut möglich, dass er von der Arbeit kam und endlich Feierabend hatte. Nur ein paar Schritte weiter war ich an einem Parkplatz vorbeigekommen, wo sein Auto stehen könnte.

Auf der einen Seite wollte ich mich entschuldigen, aber auf der anderen war er derjenige gewesen, der mich angerempelt hatte. Dieser Gedanke entfachte einen Funken Wut in mir – ich hatte nichts getan, nur dagestanden. Ich mochte arbeitslos sein und keinen Wert haben, aber deshalb war es noch lange nicht gerecht, dass ich mich dumm anmachen lassen musste.

Gerade wollte der Mann kopfschüttelnd weitergehen, doch ich hielt ihn auf: „Warte.

Sofort gehorchte er mir und blieb stehen, bevor er wirklich dazu kam, den ersten Schritt zu machen. Mit wachsender Irritation wandte er sich mir wieder zu. „Was ist denn noch?“

Jetzt konnte ich testen, ob ich diese Fähigkeiten wirklich in mir trug oder nur ein Verrückter war. Fordernd streckte ich ihm eine Hand entgegen und sprach sogleich den nächsten Befehl aus: „Gib mir all dein Geld.

Mich würde es wundern, hätte er keines dabei. Schon der Anzug sah unverschämt teuer aus. Einer wie er, der womöglich von einem Meeting zum nächsten rennen musste, spazierte niemals ohne Geld durch die Gegend. Sonst könnte er sich kein Taxi, einen überteuerten Kaffee oder das Trinkgeld für eine reizende Bedienung leisten.

Wie erwartet wurde ich nicht enttäuscht: Widerwillig griff er in eine Innentasche seines Blazers, aus der eine Geldbörse zum Vorschein kam. Das Knistern der zahlreichen Scheine war hypnotisierend, als er sie nach und nach herausholte, um sie mir in die Hand zu drücken. Panik flimmerte in seinen Augen, da er nicht begreifen konnte, warum er etwas gegen seinen Willen tat. So konnte ich ihn nicht ziehen lassen.

„Danke“, rutschte es mir heraus, ehe ich ihm die letzten Befehle gab. „Jetzt verschwinde und vergiss mich.

Artig tat er, was ich von ihm verlangte. Zügig drehte er sich um und schritt weiter den Weg entlang, den er ursprünglich sowieso gehen wollte, ohne noch einmal anzuhalten. Zwar mochte mein Handeln absolut souverän gewirkt haben, aber umso überraschter war ich jetzt, dass es funktioniert hatte. Das Geld in meiner Hand war echt. Ich hatte den Mann tun lassen, wonach mir war. Einfach so. Creepy.

Zögerlich zählte ich die Geldscheine und war verblüfft, wie viel ich diesem Typen abgezogen hatte. Mit dieser Summe könnte ich vorerst in einem Hotelzimmer übernachten, was mir wie eine gute Idee vorkam. Dort wäre es mir auch möglich, mein Handy aufzuladen und zur Ruhe zu kommen. Hoffentlich ließ man mich überhaupt einchecken, so wie ich aussah. Niemand würde mich für jemanden halten, der genug Geld parat hatte.

„Was soll's, ich versuche mal mein Glück.“

Sorgfältig steckte ich die Geldscheine ein und ging weiter, diesmal mit dem Ziel, ein Hotel zu finden. Allzu schwierig dürfte das nicht sein, Cherrygrove war ein beliebter Urlaubsort, auch für kleinere Ausflüge. Also gäbe es sicher auch Übernachtungsmöglichkeiten für die Mittelschicht, so dass ich nicht weiter auffallen dürfte, wenn ich mir ein Zimmer nahm – sofern das nachts möglich war.

Morgen würde ich mich dann mit Ciar treffen und ihm meine Entscheidung mitteilen. Mehr Scheiße, als ich in diesen paar Stunden schon angerichtet hatte, konnte ich kaum noch bauen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Flordelis
2017-09-30T15:41:26+00:00 30.09.2017 17:41
Du meintest neulich bei mir, dass du findest, ich stelle deine Charaktere besser dar als du - umgekehrt geht es mir bei dir und meinen Charas genauso. XD
Besonders Faren hast du in diesem Kapitel so unfassbar gut dargestellt. Großartig~.
Er ist genau, wie wir ihn kennen und lieben, vor allem als er Ferris zu überzeugen versucht, bei ihm zu übernachten. Ist ja klar, dass er nicht aufgibt, besonders wenn es Ferris so schlecht zu gehen scheint. >_<
Aber dass er dann auch noch merkt, dass Ferris auch in Kieran verliebt ist ... ach, Herzschmerz. Q^Q
Von Precious' Fähigkeit war ich dann aber doch überrascht. Klar, Ciar hat es im Kapitel davor ja schon erwähnt, aber ich denke nicht immer mit. XD
Außerdem hätte es ja auch sein können, dass es nur metaphorisch gemeint ist. D:
Aber ich schätze wohl nicht. :<
Es [hier wurde ich durch deinen Anruf kurz unterbrochen <3] erinnert mich jedenfalls sehr an die Schall-Prägung, was ich gut finde, denn das ist meine Lieblings-Prägung. <3
Aber armer Faren. ;<

Wie kann Ferris nur einen Brillenträger ausrauben? TT___TT
Außer es ist der Bruder von Aya (Magical Girl Site), dann finde heraus, wo er wohnt und raube sein Haus aus! ò_ó

Der Stil war jedenfalls mal wieder einmal sehr gut, wie ich ihn liebe. <3
Auch dass du den Satz am Ende geändert hast, ist sehr gut geworden. X3
Gut gemacht, Mea~.
Antwort von: Platan
30.09.2017 19:28
> Du meintest neulich bei mir, dass du findest, ich stelle deine Charaktere besser dar als du - umgekehrt geht es mir bei dir und meinen Charas genauso. XD
Awwwwww, das ist total süß! X3
❤❤❤
... Gleichzeitig könnten wir uns fragen, was wir selbst mit unseren OCs so falsch machen? XD

> Besonders Faren hast du in diesem Kapitel so unfassbar gut dargestellt. Großartig~.
Sehr schön, das freut mich~. :3
Aber er geht mir auch von allen mit am leichtesten von der Hand. :D

> vor allem als er Ferris zu überzeugen versucht, bei ihm zu übernachten. Ist ja klar, dass er nicht aufgibt, besonders wenn es Ferris so schlecht zu gehen scheint. >_<
Ich wette, hätte Ferris nicht dann plötzlich sein Gedächtnis gelöscht, wäre Faren schon was eingefallen, um ihn zu beruhigend und mit zu sich zu nehmen. >_<

> Aber dass er dann auch noch merkt, dass Ferris auch in Kieran verliebt ist ... ach, Herzschmerz. Q^Q
Das wollte ich eigentlich lieber etwas später passieren lassen, aber an der Stelle kam es mir doch passender vor.

> Es [hier wurde ich durch deinen Anruf kurz unterbrochen <3]
Oooooooh~. :D
DANN HABE ICH DICH JA DOCH BEI ETWAS WICHTIGEM GESTÖRT!!!11elf Q____Q

> erinnert mich jedenfalls sehr an die Schall-Prägung, was ich gut finde, denn das ist meine Lieblings-Prägung. <3
Die Fähigkeit ist im Prinzip auch die Schall-Prägung, ich stelle sie hier nur etwas dar und verleihe ihr auch ein bisschen andere Zusatzfunktionen. :3

> Wie kann Ferris nur einen Brillenträger ausrauben? TT___TT
Ferris: Die haben Geld. D:

> Außer es ist der Bruder von Aya (Magical Girl Site), dann finde heraus, wo er wohnt und raube sein Haus aus! ò_ó
Irgh, der ist es nicht wert, einen Gastauftritt bei mir zu bekommen! DX

Vielen lieben Dank auch für diesen Kommentar, Schatz. ♥ Der kam sehr überraschend, war eine schöne Belohnung nach den Anstrengungen heute. :3
Von:  blackNunSadako
2017-09-28T00:45:09+00:00 28.09.2017 02:45
Einen wunderschönen Donnerstag wünsche ich dir, liebe Feria! (^‿^)/
(Darf ich dich bei deinem Profilnamen nennen..?)

Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich mich über die Benachrichtigung deines neuen Kapitels gefreut habe. Ich habe gestrahlt, bis über beide Ohren, wirklich. ^-^
Mit deinen wundervollen Zeilen hast du mich wieder bis zum Schluss gefesselt. Es ist aber auch so wahnsinnig spannend gewesen!

Der Streit zwischen Faren und Ferris ist zum Zerreißen angespannt gewesen und du hast gleich noch mehrere Schippen an Spannung draufgelegt. Ich habe ja bereits die Luft angehalten, als Faren hinter seine wahren Gefühle für Kieran gekommen ist... aber das unbewusste Aktivieren von Ferris Fähigkeiten hat mir dann den Rest gegeben.
Wow. Ich bin echt noch ziemlich baff deswegen. Der Spannungsaufbau und die Überraschungsmomente sind dir wahrlich gut gelungen. Hut ab dafür! ^_^

Habe ich dir bereits gesagt, dass ich deinen Schreibstil liebe..? Er ist so unfassbar flüssig und fesselnd, zudem sind deine Gefühlsbeschreibungen stets unglaublich emotional, da muss ich immerzu richtig mitfiebern. ^-^

Das Ende des Kapitels hat mich wieder schmunzeln lassen. Ich glaube, ich sollte auch einmal versuchen, mich vor einen unsympathischen Anzugträger zu stellen und ihn dann frei heraus um seine Brieftasche zu bitten. x'D
Respekt an Ferris, dass er sich das getraut hat, obwohl er sich nicht zu 100% sicher gewesen ist, ob seine Fähigkeiten auch wirklich funktionieren.

Übrigens finde ich deine Idee von seiner Fähigkeit wirklich unheimlich interessant. Ich finde sie faszinierend, weil sie so einzigartig ist. ^-^

Ich bin total gespannt darauf zu erfahren, was passiert, wenn Ferris auf Ciar trifft!
Und ich warte geduldig und voller Vorfreude auf dein nächstes Kapitel. ^_^

Hoffentlich wirst du gut ins Wochenende kommen. ^‿^
Bitte bleibe gesund!

🌸Alles Liebe und Gute für dich!🌸
Antwort von: Platan
30.09.2017 19:22
> Einen wunderschönen Donnerstag wünsche ich dir, liebe Feria! (^‿^)/
Und ich wünsche dir hiermit ein wunderschönes Wochenende! (ノ◕ヮ◕)ノ*:・゚✧

> (Darf ich dich bei deinem Profilnamen nennen..?)
Klar, sehr gern. :3

Ich bin wieder so verlegen wegen all dem Lob, dass ich gar nicht weiß, was ich sagen soll, außer ein ganz herzlichen Dankeschön! ❤ Ehrlich, ich freue mich, dass du immer noch mitliest und es so spannend findest. Vor allem weil ich momentan sehr gerne an diesem Projekt arbeite, bin ich froh, damit auch andere derart mitreißen zu können. :3

> Ich glaube, ich sollte auch einmal versuchen, mich vor einen unsympathischen Anzugträger zu stellen und ihn dann frei heraus um seine Brieftasche zu bitten. x'D
*lach* Ich würde mich das nicht trauen, aber hauptsächlich wegen meinem schlechten Gewissen. XD
Man weiß ja nie, ob nicht auch reiche Leute ihr Geld dringend für etwas Wichtiges brauchen. :,D
... Okay, Diebstahl allgemein gehört sich eigentlich nicht. >_<
Aber schön, dass damit auch ein Schmunzler drin war. :D

> Übrigens finde ich deine Idee von seiner Fähigkeit wirklich unheimlich interessant. Ich finde sie faszinierend, weil sie so einzigartig ist. ^-^
Ehrlich gesagt ist sie quasi von der "Schall-Prägung" abgekupfert, die ich einem meiner anderen Geschichten, "The last sealed Second" eingeführt habe. Und da ich es selbst total faszinierend finde, die Stimme als eine Art Waffe zu nutzen, arbeite ich hier auch wieder damit, nur in etwas anderer Form~.

Vielen Dank für die lieben Worte auch noch am Ende. ☀
Bleib auch du gesund. :)
Bald kommen wir geschlichtlich bei der Szene vom Prolog an~.


Zurück