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Pretty Boy

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Teil 9- Zocker Barbie

Pretty Boy
 

Teil 9- Zocker Barbie
 

Immer wieder ertappe ich mich dabei über diese eine Stelle an meinem Hals zu streichen. Im Spiegel habe ich ihn entdeckt. Einen dunkel leuchtenden Knutschfleck genau dort wo der böse Doppelagent eine Leibesvisitation an meinem Hals mit seinem Mund durchführte. Verdammt, der wird eine Weile bleiben. Allerdings war das nicht das einzige unangenehme das ich im Spiegel entdeckt habe. Ich sehe, um es einfach aus zu drücken, total scheiße aus. Dicke Augenringe, zottelige Haare und irgendwie schwächlicher als sowieso schon. Mag am Schlafmangel liegen, oder meinem Hunger oder was auch immer, aber fest steht und das ohne zu übertreiben, ich sah schon mal deutlich besser aus. Die warme dusche tat verdammt gut und spülte vieles fort, den Geruch zum Beispiel, aber leider nicht meine Probleme die auf der anderen Seite der Tür auf mich warten. Irgendwann bringe ich den Mut auf wieder in das Zimmer zu treten, nach dem ich nun doch ziemlich lange unter der Dusche brauchte.
 

Sie sitzen am Couchtisch und unterbrechen ihre Unterhaltung als ich aus dem Badezimmer komme, dass wie der Rest der Wohnung klein, schäbig und fremd ist. Das Essen steht auf dem Tisch und eine der Bettdecken wurde provisorisch als Sitzkissen für mich zusammen gefaltet. Mir kommen diese billig produzierten Gerichtsshows vom Fernsehen in den Sinn, dass hier ist noch mal eine Spur ärmer und ich habe nicht mal meinen Pseudo-Anwalt hinzu ziehen können. Nervös zupfe ich an meinen Klamotten und streiche mir mein nasses Haar zurück. Man soll doch ordentlich vors Gericht treten. Um ehrlich zu sein, würde ich mich jetzt sogar in der verfluchten Schuluniform wohler fühlen. Auch wenn es absurd klingt, aber sie hat mich geerdigt und mir immer in Erinnerung gerufen auf zu passen. Jetzt trage ich lediglich meine Jeans-Shorts und ein altes T-Shirt vom Freizeitpark in der nähe, in dem ich mit meiner Familie war vor einigen Jahren. Das es noch passt spricht mal wieder dafür, dass ich nach meiner Mutter komme. Sie ist nur knapp kleiner als ich, während mein Vater mindestens einen Kopf größer ist.

Ich ergebe mich meinem Schicksal und setze mich zu ihnen. Haruno rechts von mir. Shiba links von mir. Und mein Rückkrad am anderen Ende der Welt. Betretenes schweigen füllt den Raum. Gewissermaßen, denn ich höre quasi Shibas Blut kochen.

„Deine Mutter ist eine tolle Köchin.“, versucht Haruno die Stimmung zu lockern und beginnt als erstes sich an den Köstlichkeiten zu bedienen. „Möchtest du einen Kaffee?“, fragt er mit vollem Mund. Schlechte Manieren wie eh und je. Ich schüttle lediglich den Kopf auf seine Frage und klemme mir das 'Iiihe Schwein' was meine kleine Schwester sonst mir immer an den Kopf wirft.

Ich habe wahnsinnigen Hunger, aber gleichzeitig ist mir auch fürchterlich schlecht. Doch bei dem Anblick fängt mein Magen unglaublich laut an zu knurren. Peinlich berührt sinke ich noch ein ganzes Stück mehr in mich zusammen. Das einzige was ich die letzten vierundzwanzig Stunden gegessen habe war ein Melonenbrötchen und das Obst der Cocktails, von denen aber sicher nichts in mir blieb. Das Essen meiner Mutter hat nie besser ausgesehen. Eine bunte Mischung an Obst und Gemüse liebevoll zurecht geschnitten und drapiert. Kleine Herzkarotten. Paprika Schmetterlinge. Zucchini Frösche. Mit Lebensmittel gefärbter Reis in der Farbabfolge der Fahne die ich die letzten Tage an jeder Ecke gesehen habe. Als Friedensangebot hisst man doch die weiße, aber genau das soll es wohl sein. Ein Friedensangebot. Ein wenig peinlich, aber so ist meine Mum eben. Peinlich, klein, niedlich, aufdringlich, oft total verpeilt und scheinbar komme ich voll und ganz nach ihr. Ich würde gerade so gerne aufspringen und nach Hause rennen, um sie in den Arm zu nehmen. All meine Wut und der Ärger über sie sind wie weggeblasen, nach dem was ich gesehen und erlebt habe. Ich will nicht wie Susu leben müssen. Ich will keine fremden Hände auf meinem Körper spüren. Ich will, dass das klappt. Ich will, dass Mum mich so akzeptiert wie ich bin. Will zurück in mein idyllisches Familienleben, in das pinke Albtraum Haus und den Häkeldeckchen und den Häschen Gardinen. Ich will nicht mehr wegrennen.
 

Ich lasse meinen Blick schweifen über das üppige Angebot und bleibe stutzig an Shibas rechter Hand hängen, die auf dem Tisch ruht. Autsch! Sie ist sichtbar geschwollen und auf drei der Knöchel seines Handrückens hat sich eine Blutkruste gebildet. Stimmt ja. Jetzt fällt es mir wieder ein. Verdammt, wie sieht dann erst Mr. X aus? „Shiba, deine Hand!“, entrüste ich mich. Er brummt nur kurz auf und rührt seinen Kaffee mit der linken Hand. Ich weiß ja, dass er kein Mann vieler Worte ist, aber das ist grotesk. „Bist du wahnsinnig geworden? Du kannst doch nicht auf jemanden einschlagen. So etwas lässt sich auch anders lösen. Welcher Teufel hat dich da denn geritten?“

„Misaki!“, herrscht mich Haruno an, der mich sofort verstummen lässt. „Halt dich bitte zurück was das angeht. Die Anzeige gegen Takeo läuft schon. Wir regeln das.“ Mir steht der Mund offen. Ich weiß gerade gar nicht was ich sagen soll. Anzeige? Wann ist das denn passiert? „Sag uns lieber was dich geritten hat einfach abzuhauen? Deine Mutter ist fix und fertig.“, führt er fort.

Okay, als erste Frage hätte ich eher erwartet: 'Warum läufst du als Mädchen herum?', oder so etwas wie: 'Bist du tatsächlich schwul?'. Aber das es ihr schlecht geht verstärkt meine Bauchschmerzen nur um so mehr. „Ich hatte Zoff mit ihr.“, nuschle ich verlegen mit gesenktem Blick.

Er zieht die Augenbraue hoch. „Nur Zoff?“

„Ziemlich heftigen Zoff!“, gestikuliere ich wild mit den Händen. Wie auch immer Zoff gestikuliert wird, aber ich weiß einfach nicht wohin mit ihnen. Wenn ich sie nicht in Bewegung halte, merke ich wie ich wieder diesen Punkt an meinem Hals knete. Es ist mir so unglaublich peinlich, dass mir so etwas passieren konnte. Und der Zustand von Shibas Hand macht es nur schlimmer.

„Egal was war, wir bringen dich nachher nach Hause und ihr klärt das. Sobald deine Mutter anruft gehen wir los.“ Warum ist er nur so schrecklich vernünftig?! Das traut man ihm überhaupt nicht zu wenn man ihn nur in der Schule begegnet. Da ist er einfach der unerreichbare Frauenheld, der alles auf die leichte Schulter nimmt und jetzt wo es ernst wird ist er so wahnsinnig erwachsen, dabei sind sie jünger als ich. Neben ihm bin ich wirklich dieses verdammte unreife Mädchen, dass in mir zu schlummern scheint.

Ich pule nervös an einem kleinen Maiskolben. Ich habe noch nichts runter bekommen. Mein Magen rebelliert. Irgendetwas ist noch seltsam. Warum fragen sie meine erwarteten Fragen nicht? Wundert sie das gar nicht? Wer ist denn bitte so übertolerant? „Woher wusstet ihr wo ihr mich suchen müsst?“, frage ich schließlich misstrauisch. Es kam nur schwer aus meinem Mund und meine Stimme kippte hörbar, aber irgendwas ist faul.

Wieder Antwortet mir Haruno. „Wussten wir nicht. Vorher waren wir schon in der Schule, Polizei, Krankenhäuser, Bahnhöfe und im Park, während deine große Schwester die Telefonkette startete. Sie meinte, dass es nicht das erste mal ist das du abgehauen bist.“ Er isst weiter, aber die Antwort stellt mich nicht zufrieden. Es kann ja nicht von ungefähr kommen, dass sie mich im Schwulenviertel suchen.

Ich atme tief durch. Konzentriere mich auf meine Stimme, um nicht völlig zu verkacken. „Wusstet ihr, dass ich kein Mädchen bin?“ Unsere Blicke kreuzen sich und er stoppt, als er sich gerade eine panierte Garnele zu Leibe führen will. Er sieht aus als hätte ihn gerade einer einen Eiswürfel in den Nacken geworfen.

„Ja.“, höre ich aus der anderen Richtung. „Von Anfang an.“

Nur langsam drehe ich meinen Kopf in seine Richtung. Soweit ich das in meiner Schockstarre eben so hinbekomme. „Von Anfang an?“, echoe ich. „Wie?“

Haruno wirft unschuldig die Hände in die Luft. „Ich habe es dir ja abgekauft, aber Takeo hat es mir Montag gleich erzählt als wir wieder zu Hause waren.“

„Ey!“, schimpft er zu Haruno.

Wieder gilt mein Blick dem Panther. Hilflos zucken meine Schultern, die meinen verzweifelten Blick bekräftigen. „Aber... wie?“, kommt es mir über die Lippen gewürgt. „Mein ganzen Leben muss ich mir schon dämliche Kommentare anhören, dass ich aussehe wie ein Mädchen. Wie?“

Sich stöhnend ergebend fährt er sich mit beiden Händen durch sein Haar und zuckt kurz schmerzlich zusammen. Für einen Moment schließt er seine Lieder und sammelt sich bevor er spricht. „Du siehst einem vielleicht ähnlich, aber du verhältst dich nicht so.“ Seine Haare für einen Moment nach hinten aus seinem Gesicht gestrichen, schaut er mir direkt in die Augen, mit seinen unglaublich schönen, dass mein Herz kurz einen Sprung macht. „Oben auf dem Dach. Ich hatte einen freien Blick auf die Beule in deiner Shorts die du unter dem Rock trugst.“, gesteht er schließlich.

Ich glaube ich sterbe gerade. Ein kleines bisschen jedenfalls. Ja, ich glaube genau so fühlt es sich an. Hingerafft in der Blühte meiner Jahre, weit vor meiner Zeit. Auf meinem Grabstein wird stehen 'Lief in Mädchenkleidern herum, der Idiot'. Nur wegen dieser zwei... dieser... Argh! Verdammt! Ich kann ihnen nicht mal irgendwelche fiesen Dinge an den Kopf werfen, ohne das ich sie hinterher bereuen würde. Nicht mal wenn ich sie nicht laut ausspreche. Dafür waren sie viel zu nett zu mir. Stattdessen landet mein Kopf tonvoll auf den Tisch. Autsch.

Nach einem Moment der Stille höre ich Shibas unsichere Stimme. „Misaki?“

„Warum lasst ihr zu, dass ich mich so zum Affen mache, was seit ihr den für Freunde?“, schimpfe ich schlapp und nicht ganz ernst gemeint.

„Na ja, wir wollten dich nicht gleich wieder verschrecken. Wir brauchen die Englisch Nachhilfe echt.“ Das hab ich gemerkt und wie sie die brauchen. Dann sollen sie sich eben eine Paukschule suchen. Die können das besser vermitteln. Was können sie schon groß von mir lernen? He, she, it, das s muss mit. Mehr Weisheiten habe ich nicht auf Lager. Das sie sich so ins Zeug legen und einen auf Tolerant und Friede-Freude-Eierkuchen machen nur deswegen frisst gerade ganz schön an meinem mickrigen Ego. Ich komm mir so verarscht vor. Erst diese Heimlichtuerei, dann dieses verfluchte knistern ständig und nun das. Zurück zur Zweckgemeinschaft also. Für meinen Geschmack, legen sie sich dafür ein wenig zu sehr ins Zeug. Ich merke wie angespannt ich bin. Es zieht schmerzlich in den Muskeln. Und Haruno hält einfach nicht die Klappe. „Versteh das bitte nicht falsch. Wir mögen dich, gerade weil du so verrückt bist. Und seit gestern Abend sogar noch ein wenig mehr, weil du da dein ganzes Ausmaß an Verrücktheit gezeigt hast, mit dem was du da alles vor dich hin geplappert hast. Aber wir brauchen die Nachhilfe in Englisch dringend, weil wir Japan nach unserem Abschluss verlassen werden.“

Ich schrecke hoch und starre ihn mit großen Augen an. Nein, ich habe mich nicht verhört, dafür sprach er zu deutlich und ruhig. Sie halten mich für verrückt und sie gehen. Sie gehen nicht aus diesem Grund, aber sie gehen. Verlassen Japan. Verlassen alles was sie kennen und haben. Verlassen mich. „Verlassen, weil ihr Urlaub macht? Eine Weltreise?“, frage ich zittrig und deutlich blass um die Nase. Doch Haruno schüttelt verneinend den Kopf. Sie können doch nicht einfach gehen. Haruno wird doch Japans Next Top Model und super berühmt. Und Shiba und ich sitzen dann bei seinen Shows in erster Reihe und feuern ihn an, oder was man da eben so macht im Kreis der schönen und reichen. Aber ich bin wohl der letzte der irgendwelche Zukunftsplanungen für uns äußern darf. Wir kennen uns gerade mal vier Tage. Sie sich wer weiß wie lang. Ich weiß nichts über sie. Sie wissen nichts über mich. „Was habt ihr denn vor?“, frage ich vorsichtig, auch wenn ich mir nicht sicher bin ob ich es wirklich hören will. Aber bevor meine Fantasie sich die kuriosesten, schrecklichsten und angsteinflößenden Dinge vorstellt, erfahre ich lieber die Wahrheit. Wäre ganz gut zu wissen wenn sie nur vor der Yakuza fliehen wollen, denn dann hätte die mich auch auf dem Schirm und für mich wäre es dann auch ratsam das Weite zu suchen.

Wie so oft ergreift Haruno das Wort. „Eine Freundin hat mir ein Platz bei einer Familie besorgt in Kanada als Au-pair. Ich kümmere mich um die Kinder, helfe im Haushalt, lerne Land und Leute kennen und lasse mich zum Erzieher ausbilden. Wenn alles glatt läuft, bleibe ich dann dort.“ Beim erzählen strahlt er eine wärme aus, als ob es die Erfüllung seines Lebens wäre genau das zu tun. Erzieher statt Model. Das bekomme ich echt nicht in meinen Kopf. Das mag aber vielleicht auch daran liegen, dass ich zehn war als meine kleine Schwester unsere Familie bereicherte. Ich konnte mit dem schreienden, kackenden und kotzenden Ding nichts anfangen. Und immer musste ich Rücksicht nehmen. Auch als sie älter wurde, war ich nicht gerade ihr größter Fan. Shiba sagte schon er kann gut mit Kindern. Er hat sie sogar ins Bett bekommen, ohne das sie immer wieder aus dem Zimmer kam wie sonst. Er konnte meine Schwester bändigen. Dann wird er mit jedem Kind klar kommen. Aber er als Erzieher? Absolut unverständlich für mich.

„Und du?“, richte ich meine Frage und Blick auf Shiba.

Sein Zottelpony ist längst wieder herabgelassen und versperrt den schönen Anblick der dahinter lauert. Sein Blick ist gesenkt. Er beäugt seine Hand, die wieder ruhig auf dem Tisch liegt. Dabei kaut er auf seiner Unterlippe. Bei dem Druck der darauf ausübt, werden seine blass rosa Lippen noch ein wenig blasser. „Ich...“, beginnt er zögerlich und das Blut kommt zurück in seine Lippen die nun deutlich dunkler glühen. Fasziniert betrachte ich sie und merke schnell, dass ich wieder diesen verdammten Punkt an meinem Hals bearbeite. Ich versuche mich zu beherrschen und setze mich kurzerhand auf sie drauf. „Ich werde zu meinem Onkel in die USA ziehen.“

„Und dann?“, wunder ich mich. Er zuckt mit den Schultern. Dafür könnt ich ihm glatt an die Gurgel springen. Ich habe gefühlt tausend Fragen und je mehr ich nachdenke, desto mehr werden es. Ich bin drauf und dran einen Lebenslauf einzufordern oder werde in kürze ihre Memoiren aufzeichnen. Nur um irgendwie Klarheit und Struktur in mein Chaos bringen zu können. „Was sagen denn eure Eltern dazu, dass ihr Auswandert?“

„Jetzt bin ich mal dran mit Fragen.“, weicht mir Haruno aus. „Bei dir scheint ja akute Fluchtgefahr zu bestehen. Warum? Wovor musst du denn immer fliehen?“ Ich mache Gebrauch von meinem neu erlernten und zucke übertrieben auffällig mir den Schultern. Der Igelkopf schaut mich sichtlich überrascht an, bevor er plötzlich anfängt zu lachen. Richtig laut. Er hält sich sogar den Bauch dabei. Ich wage es nicht zu protestieren. Sein lachen klingt so schön. Ehrlich. Unbeschwert. Frei. Selbst Shibas Mine hat sich deutlich erhellt. Er schmunzelt beim Anblick seines lachenden Freundes. Es dauert nicht lange bis er sich wieder beruhigt hat. Aber man sieht ihn an, dass es noch in ihm nachhallt. Ab und zu kommt der ein oder andere Lacher doch noch heraus. „Der war gut.“, sagt er schließlich amüsiert. „Nun gut. Vielleicht war das genug Ernst für einen Vormittag. Lust auf ein Spielchen?“, fragt er herausfordernd grinsend.

Ich schlucke schwer. Oh Gott, was kommt jetzt?! Wieder geht meine Fantasie unweigerlich tänzeln, zu Szenarien die deutlich weniger Jugendfrei sind. Bewahre, dass ich mich jemals wieder volllaufen lasse und so etwas ausplaudere.
 

Natürlich war die Realität deutlich harmloser. Wenn auch nicht Jugendfrei, sondern freigegeben ab zwölf Jahren. Was man von unseren Sprüchen und Kommentaren nicht behaupten kann. Wir zocken auf der Play Station das neue Dragon Ball Z und ich zieh sie voll ab. Auch wenn sie mir das Mädchen aufgehalst haben, haben sie gegen mich keine Chance. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ja, die Zocker Barbie hats drauf! Bäm ihr Noobs! Das sah jedoch bei dem Autorennspiel ganz anders aus. Ich bin ständig in die falsche Richtung und habe mich in irgendwelchen Ecken verkeilt und dabei das Auto wüst beschimpft. Auch ein Grund warum ich jetzt das Mädchen sein muss. Aber gegen meine Chichi haben sie das nach sehen.

„Drück X! Drück X!“, befiehlt das Pantherchen seinem völlig überforderten Freund, der wie ein Berserker auf alle Tasten einhämmert.

„Nein, geh weg!“, kreischt er den Fernseher an, während Shiba schon gar nicht mehr hinsehen kann, weil er weiß was jetzt kommt. Mit der mega Combo habe ich ihn eben schließlich auch schon fertig gemacht.

„Friss das!“, rufe ich triumphierend und lasse Chichi auf Muten-Roshi los. Ich bin ein genauso schlechter Verlierer wie schlechter Gewinner. Denn ich lach den armen am Boden liegenden auch noch aus.

Aber sein gespieltes wehleidiges Klagen lädt einfach dazu ein. „Lass uns noch einmal gegeneinander Kämpfen Takeo. Ich muss meine Ehre retten.“

„Das wird dir auch nichts mehr bringen.“, tritt er symbolisch noch mal nach.

Wir spielen. Wir lachen. Wir ärgern uns gegenseitig. Jeder auf jeden. Es macht so viel Spaß.
 

Die Zeit vergeht unbemerkt und viel zu schnell. 'Pokemon, komm und schnapp sie dir', reißt uns aus unseren kleinen Machtkämpfen und nach einer kurzen Gesangseinlage von Haruno kehrt der Ernst wieder zurück. Das sagt mir auch mein Bauch, der postwendend schmerzlich krampft. Auch wenn ich nichts an essen runter bekommen habe, weiß ich ganz genau, dass es nicht am Hunger liegt. Er spricht nur kurz mit meiner Mutter und verkündet, dass sie mich nun nach Hause bringen. Für einen Moment spiele ich mit dem Gedanken mich an die Heizung zu ketten, bin mir aber sicher, dass ich damit nicht durchkommen werde. Wer will schon so einen gruseligen Kerl neben seinem Bett hocken haben, der einen auch noch Nachts anstarrt. Trotzdem rüttle ich probehalber an dem Heizungsrohr. Aushalten würde es, fehlt nur Kette und Schloss. Sehe mich vor meinem inneren Auge wie Gollum umher hüpfen und rufe 'mein Schatz' wenn sie von der Schule nach Hause kommen. Shiba steht vor mir auf und streckt sich, wobei sein Shirt so nett nach oben rutscht und ich einen Blick auf ein wenig Haut von seinem Rücken erhaschen kann. Ja, ich muss hier bleiben. Es müssen keine Ketten sein, ich nehme auch Seile, Kabelbinder, Handschellen, egal was.

„Ren, hol doch bitte die Schuluniform von Katsuragi-san. Ich fülle das restliche essen noch schnell um und wasch die Behälter ab.“, schlägt der große mit dem hübschen Rücken vor.

Haruno stöhnt schicksalsergeben. „Ja, gut. Ich bin dann so im nächsten Jahr wieder da. Die wird mich wieder fest quatschen.“ Er rafft sich auf, legt sein perfektioniertes breites Zeitschriftenlächeln auf und schlürft dennoch sichtlich unmotiviert rüber. Bevor die Tür zufällt ruft er noch in den Raum. „Benimm dich!“

Hitze steigt in mir auf und lässt meine Wangen glühen. Hat er gesehen, dass ich am Rohr gerüttelt habe? Oder ging das gar nicht an mich? Verstohlen betrachte ich den Panther, der gerade zum Stubentiger mutiert ist und brav den Haushalt schmeißt. In diesem Moment ist es jedoch mein schlechtes Gewissen das mich fesselt, vor allem wegen seiner Hand. Ich gehe auf ihn zu und nehme ihm eine der Boxen ab die er gerade in das Wasser tauchen wollte. „Lass mich das machen. Deine verwundete Hand sollte nicht ins Dreckwasser, nachher bekommst du noch eine Blutvergiftung. Dann muss die amputiert werden und sie nähen dir eine Harkenhand wie Captain Hook an.“

Ein lächeln liegt auf seinen Lippen. „Dir scheint es wieder ganz gut zu gehen, wenn deine Fantasie wieder solche Ausmaße annehmen kann.“

„Aye aye Captain.“, grinse ich übermütig. „Die Tabletten von Haruno haben ganze Arbeit geleistet. Der Presslufthammer in meinem Kopf ist einem kleinen Meißel gewichen.“ Ich wasche ab. Meiner Mutter würden die Augen aus dem Kopf fallen. Ich weiß gar nicht wann ich das zuletzt getan habe. Ich bilde mir ein, dass Shiba das merkt, denn er scheint mir kritisch über die Schultern zu sehen. „Was ist Katsuragi für eine Frau?“, übe ich mich also in Small Talk, in der Hoffnung, dass er mich nicht weiter im stillen beurteilt was mein Abwaschgeplansche angeht.

„Sie ist schon sehr alt. Lebt allein. Ab und an besuchen sie ihre Kinder, aber die haben kaum Zeit. Wir helfen ihr bei ihren Einkäufen und sie wäscht dafür unsere Wäsche. Einmal die Woche gehen wir zum Kaffeekränzchen rüber. Wir sind wohl so was wie ihr Enkel Ersatz geworden, weil sie keine hat.“ Siehe da, er kann doch mehr als Schulterzucken und knurren. Vielleicht auch nur, weil der Stubentiger Modus aktiv ist. Wenn ich ihm jetzt den hübschen Rücken kraule, ob er dann schnurrt? Ich weiß, dass ich jetzt ziemlich dämlich grinse, aber er weiß ja nicht warum. Das ist ein Geheimnis zwischen mir, mir und mir, und später vielleicht Susu.

„Hab ich euch gestört?“, wechselt er abrupt das Thema. Irritiert fahr ich herum und schaue zu ihm hoch. Er macht ein ernstes Gesicht. Die Augenbrauen sind dicht zusammen gezogen, dass sich eine senkrechte Falte zwischen ihnen bildet. Die Lippen fest aufeinander gepresst. Mein Kopf rattert. Gestört? Euch? Er meint wohl mich und Haruno, oh je... Meine Hand legt sich wie von selbst wieder auf meinen Hals. Diesmal merke ich es sofort, weil die nasse Hand unangenehm auffällt. Natürlich hat er nicht gestört, aber... Aber?... Na ja, was genau das war kann ich mir auch keinen Reim drauf machen. Es war irgendwie heiß, aber dann dieser Spruch. Nein, er hat uns nicht gestört. Wie Haruno sagte, wir haben nur “herum gealbert“. „Misaki, ich bitte dich inständig, hör endlich auf damit!“, fährt er mich zähneknirschend an.

„Womit denn?“, stottere ich perplex.

Er packt grob mein Handgelenk und zieht sie von meinem Hals weg. „An deinem Hals herum zu kneten. Das macht mich Wahnsinnig! Du tust es schon die ganze Zeit. Bedeutet er dir etwas? Habe ich euch gestört?“

Der Groschen fällt. Er meint nicht Haruno, sondern Mr. X. An den hab ich schon gar nicht mehr gedacht. „Nein.“, antworte ich nur knapp und sein Griff lockert sich, aber er lässt mich nicht los. Er starrt stumm auf den Knutschfleck der auf meinem Hals prangt. Seine Lippen sind immer noch fest aufeinander gepresst. Ich höre seinen Atem vibrieren als würde er knurren. Der Stubentiger ist wieder zum wilde Panther mutiert. „Wir sollten da ein Pflaster drauf kleben, damit dein Familie nicht gleich durchdreht.“ Erst als ich Nicke lässt er mich los. Er kramt in einer überfüllten Schublade. Eine Schere legt er zuerst heraus und wühlt weiter. Ich beobachte mit gespitzten Sinnen jede Bewegung von ihm.

„Shiba?“, nur leise kommt mir sein Name über die Lippen, doch er reagiert nicht. Wühlt weiter und lässt sich nicht ablenken. „Ich weiß nicht mal seinen Namen.“, gestehe ich nicht weniger lauter. „Du hast uns nicht gestört und ich empfinde nichts für ihn. Ich hätte nie mit so etwas gerechnet. Ich wollte es auch nicht. Nicht mit ihm...“ Er hat mittlerweile aufgehört zu wühlen und hört mir einfach nur zu ohne mich anzusehen. „Ich habe Angst darüber nachzudenken was passiert wäre, wenn ihr nicht aufgetaucht währt. Wenn du ihn nicht gestoppt hättest. Es tut mir so leid wegen deiner Hand und wegen der Anzeige. Ich werde dir jeden Yen zurück zahlen, der dich das kosten wird. Das ist nur passiert, weil ich so dumm bin, so naiv. Ich kann nicht mal dem Alkohol die schuld dafür geben, weil es nüchtern wahrscheinlich genauso passiert wäre. Und ihr habt euch so toll verhalten. So erwachsen. Dabei bin ich älter. Ich...“ Ich raufe mir ächzend die Haare. Die mich jetzt aussehen lassen wie Struwwelpeters Schwester. Das ist so unangenehm. Was Texte ich ihn denn jetzt so zu? Er will es sicher gar nicht hören. Komm auf den Punkt Misaki! „Was ich wohl eigentlich damit sagen will ist, Danke. Du bist mein Held. Mein Held in schimmernder Rüstung.“, schmunzle ich in Erinnerung an meinen Traum. Ja, ich bin peinlich, dass weiß ich schon längst. Aber was mich diesmal rot werden lässt ist nicht mein kindischer klein Mädchen Kommentar, sondern seine Reaktion darauf. Er versucht sich nichts anmerken zu lassen, aber seine rot gefärbten Wangen und Ohren sprechen für sich. Er hat die Pflaster gefunden und schneidet ein großes Stück ab. Sich räuspernd dreht er sich endlich zu mir und mein lächeln wird immer breiter. Er beißt sich auf die Unterlippe, aber seine Mundwinkel zucken. Er unterdrückt ein lächeln. Dieser verbissene, dickköpfige Panther.

„Leg deinen Kopf zur Seite und nimm deine Haare zurück.“

Ich folge seiner Anweisung brav und kann jetzt unter seinem Zottelpony seine glänzenden Augen sehen. Er freut sich doch tatsächlich über das was ich ihm gesagt habe. Das ist total niedlich. Warum ist er so niedlich? Wo kommt das den auf einmal her? Ich will ihn knuddeln wie einen Teddy!

„Was grinst du denn so?“, schnauft er und zupft ein paar übrige Haarsträhnen weg.

„Du weißt schon, meine Fantasie und so. Ich sag es dir lieber nicht.“ Wenn ich ihm sage, dass ich seine Reaktion wahnsinnig niedlich finde, beißt er mich nachher noch. Kein Mann will als 'niedlich' bezeichnet werden, auch ich nicht. Aber es stimmt einfach. Die Röte in seinem Gesicht, das flimmern in seinen Augen, das lächeln, dass er nur schwer unterdrücken kann.

„Schlimmer als Pantherchen oder Igelchen kann es wohl kaum sein.“, erwidert er nüchtern und fummelt an dem Papier vom Pflaster. „Freundschaft basiert auf Ehrlichkeit. Ich erzähle Ren alles und er mir. Wir vertrauen uns. Das möchte ich auch mit dir. Und wenn du wieder das Bedürfnis hast abzuhauen komm zu uns.“ Er klebt das Pflaster auf. Seine Hände sind genauso rau wie Harunos, aber so schön warm. Er betrachtet sein Werk und nickt zufrieden mit sich selbst. „Sammeln wir Ren ein und gehen los. Deine Familie wartet.“

„Ja.“, antworte ich schwach. „Auf geht’s...“
 

Ende von Teil 9



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Minzou_Sshi
2017-09-23T17:35:38+00:00 23.09.2017 19:35
Wie süß! ><
Also ich mag diese Spitznamen Pantherchen und Igelchen! Echt niedliche Namen! ^^ Das dürfte ich aber nicht in deren gegenwart sagen, was?
Also Misakis knutschfleck ist auch super! >o< Irgendwie war es mir klar, das Panterchen gemerkt hat, wie unser Misaki sich die ganze Zeit an den Hals gepackt hat! Panterchen fällt auch einfach alles auf! ;D Richtig scharfsinnig der kerl. XD
Antwort von:  Serato
26.09.2017 12:57
Wenn du auch so verrückt bist wie Misaki darfst du sie vieleicht auch so nennen XD
Tja Pantherchen hat die Reflexe und die Sinne einer wildkatze ;D
Davon werd ich euch des öfteren noch überzeugen <3
Antwort von:  Minzou_Sshi
01.10.2017 11:29
super! Freu mich schon!
Von:  yamo-chan
2017-09-15T21:03:05+00:00 15.09.2017 23:03
Wusste ichs doch! Er hats gesehen 😊

Süß ... 💜
Antwort von:  Serato
16.09.2017 07:19
jaaa ^^ es war ja auch sehr auffällig
mit absicht ;) es sollte immer im hinterkopf sein "Ja, aber er weiß es doch".
<3
Antwort von:  mor
16.09.2017 10:46
hätte mich auch gewundert wenn Er es übersehen hätte ^^
Antwort von:  Serato
26.09.2017 12:48
Pantherchen sieht alles muahahah X'D


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