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Pretty Boy

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Teil 21- Verdammt sei die Liebe

Pretty Boy

 

Teil 21- Verdammt sei die Liebe

 

Der kleine Wagen kam noch nicht ganz zum stehen, da springt Susu bereits aus den kleinen Wagen. Mit offenen Armen rennt er auf mich zu. In der Sekunde, in der ich mich in diese schmeißen will, macht er einen riesigen Satz nach hinten und ich kipp fast um. Verstört starre ich zu ihm auf. „Was war das denn?“

„Wo hast du denn gesteckt?“, spricht er nasal, da er sich die Nase zu hält. „Hast du mit einem Stinktier geschmust?“

„Ist das jetzt dein ernst? Du knuddelst mich nicht, weil ich stinke?“

„Wenn du wüsstest wie du riechst, würdest du dir selbst nicht zu nahe kommen.“ Er geht voran und deutet mir mit einem Winken zu folgen. Bevor wir das Auto erreichen, in dem Yamada am Steuer sitzt, ruft er ihm noch zu. „Mach bloß die Fenster auf.“

 

Bunt rauschen die Lichter der Straßen an uns vorbei. Die erste Welle des Feierabendverkehrs ist gerade vorbei und ermöglicht uns ein konstantes Tempo zu halten. Der alte Honda brummt tapfer vor sich hin. Optisch passt er hervorragend zu Susus Zelt unter der Brücke. Alt. Klein. Viel Gaffa Tape.

Wir fahren bereits eine Weile bis Susus Kleiner die Frage aufbringt, wo es jetzt hingeht. Ich sehe, wie mein Freund mir einen nachdenklichen Blick über den Seitenspiegel zuwirft. Im Gegensatz zu Susus üblicher Art haben wir kaum ein Wort gewechselt, seit er auf dem Beifahrersitz platz nahm. Scheinbar grübelt Susu zu lange. Yamada ist derjenige der erneut die Stille bricht. „Hast du vielleicht hunger Watanabe? Hier in der nähe ist ein Mc Drive. Wenn ich schlecht drauf bin hole ich mir immer Softeis mit Pommes.“ Gleichzeitig sind Susus und meine Würgelaute zu hören, worauf Yamada in seiner schüchternen Art protestiert. „Hey. Ihr habt es ja nicht mal probiert. Das ist gut. Echt.“ Verlegen streicht er einen Finger über seinen Nasenrücken. „Das wird in meiner Familie immer so gemacht wenn etwas geklärt werden muss. Erst essen und dann reden. Mit vollen Bauch lässt es sich nicht streiten.“

Kluger Junge und scheinbar weiß er mehr als ich. Ich wusste nicht, das wir im Streit sind. Unstimmig, ja, aber streit? Ich sehe zu meinem Freund, der wie zuvor aus dem Seitenfenster seines Platzes starrt.

Autsch.

Niedergeschlagen senke ich meinen Blick. „Ich hätte nichts gegen einen kleinen bissen einzuwenden, Yamada. Danke.“ Schweigend wühle ich in meiner Schultasche und hole Moms Geld hervor. Der Anblick des Geldes bringt mein schlechtes Gewissen zum Vorschein. Schön zu wissen das es noch da ist. Seit ich an der Schule bin verpflegt meine Mutter die Jungs mit. Darauf scheinen sie sich mittlerweile zu verlassen. Ob sie jetzt wieder gar nichts gegessen haben? Ich würde gerne wissen wie es ihnen geht, traue mich aber nicht mein Handy in die Hand zu nehmen.

„Lass dein Geld stecken, ich bezahle.“ Wir kommen am Lautsprecher des Mc Drives zum stehen.

Susu schnauft abfällig. „Wenn du dein Geld verprassen willst, dann bring uns lieber in ein Steak Restaurant.“

Mit großen Augen verfolge ich, wie Yamada schmunzelnd Susus Knie umfasst und sanft zu drückt. „Das machen wir das nächste mal.“ Susu wehrt sich nicht mal oder widerspricht. Er nimmt es als gegeben hin. Fest beiße ich mir auf die Lippen, um das aufkommende quietschen zu unterdrücken, doch hindere ich mich nicht daran innerlich meine Fan Fähnchen zu schwenken für die beiden.

Noch während die blecherne Stimme aus den Lautsprechern fragt was wir bestellen möchten, schnallt Susu sich ab und drängt sich an Yamada vorbei zum Fahrerfenster. „Drei Happy Meals.“

Susu so dicht vor der Nase widerspricht sein Kleiner gar nicht erst. Nervös zucken seine Finger, die nicht wissen wohin mit sich. Das Einzige was Yamada am Ende von Susus Bestellung noch schafft zu ergänzen sind die drei Softeis für jeden. Wieder erklingt ein synchrones würgen.

 

Auf dem Parkplatz macht Susu sich zuerst über das Spielzeug her und kassiert Yamadas mit ein. Mit fast schon kindlicher Freude inspiziert er die Delfinwasserpistole und den Handbetriebenen Palmen Ventilator. Ich reiche ihm meine Kokosnuss Sonnenbrille die er mit ausgesucht hat, trotz Kindergröße nimmt er sie grinsend entgegen und setzt sie sich auf. Jetzt wo er so gut gelaunt ist kann ich meine Frage nicht länger zurückhalten. „Wie kommt es das ihr euch so gut versteht?“

Susu schiebt die Sonnenbrille seinen Nasenrücken runter und sieht zu mir nach hinten. Sein lächeln ist dünn, aber er antwortet mir. „Sagen wir, er hat mich mürbe bekommen. Wenn der Kleine Schulschluss hat komm ich vorbei und lerne mit ihm.“

Begeistert klatsche ich in de Hände. „Das ist toll. Dann seit ihr jetzt Freunde?“

„Fuck, nein. Er zahlt nur genug das ich mich dazu durchringen kann.“

Yamada allerdings grinst breit während er seinen Burger auspackt. „An dem anderen arbeite ich noch.“ Das bringt auch mich zum grinsen.

„Idiot, setzt ihm keine Flausen in den Kopf.“ Mit der leeren Papiertüte haut Susu seinen Sitznachbarn, was uns nur noch breiter grinsen lässt. Ein normales Lehrer Schüler Verhältnis ist das aber auch nicht.

„Um jetzt wieder gekonnt von mir abzulenken,“ spricht Susu hochtrabend, „sag mir was genau passiert ist. Erst dieser komische Anruf, dann lässt du nichts mehr von dir hören und nun müssen wir dich von dieser Brücke aufgabeln.“

Schulterzuckend wie Shiba beiße ich von meinem Nugget ab, um dann wie Haruno mit vollem Mund zu antworten. „Scheiß Tag.“

„Das war die Kurzfassung. Bekomme ich auch die lange?“, fragt Susu sich weiter umdrehend, dass er seitlich auf seinem Sitz hockt.

Nervös schaue ich zu Yamada. So gern ich ihn habe, aber vor ihm meine Probleme aufzufächern liegt weit außerhalb meiner Wohlfühlzone. Susu begreift das auch und stupst seinen Kleinen an. „Fahr uns zu dir.“

Ein kurzer Blick über den Rückspiegel zu mir und dann zu Susu. „Okay, aber erst Probiert ihr die Pommes Eis Kombination.“

„Wenn du mich vergiften willst stell dich geschickter an“, würgt mein Freund hervor.

Trotz der Klimaanlage, im kleinen Honda, beginnt das Eis bereits zu schmelzen. Yamada demonstriert uns überspielt wie es gemacht wird. Er tunkt die einzelne Pommes in das Eis hinein und steckt sie mit abgespreiztem kleinen Finger in seien Mund. Uns schüttelt es angewidert. „Das ist wirklich gut“, erwidert darauf Yamada mit einem unterdrücktem lachen in der Stimme. „Ich dachte, du bist offen für alles.“

Wenn Blicke töten könnten.

Jeden weiteren Kommentar schluckend packt sich Susu eine Hand voll Pommes, bombardiert sein Eis damit, wobei vieles im Fußraum des Autos verloren geht und steckt sich alles in den Mund was daran kleben blieb. Sein anfänglich übertriebenes Schmatzen wird zu einem bedachten kauen.

Yamada steht die Freude ins Gesicht geschrieben. „Gut oder?“

Susu rollt mit den Augen. „Oh verdammt, ich wette du bist so einer der nach dem Sex fragt wie er war.“

„Wir können es ja zusammen herausfinden.“ Bäm! Wieder ein schlag mit der Tüte und ein genervtes Idiot hinterher.

Yamada ist deutlich Mutiger geworden seit unserer ersten Begegnung.

 

 

In einer der nobleren Gegenden Tokios kommen wir zum halten. Auch ein Ort an dem ich noch nie war. Meine Familie wohnt in einem Bezirk mit guten Schulen. Wenn man außer acht lässt, dass diese gute Schule mein Leben versaut hat und ich jetzt an einer der schlechtesten Schulen Tokios bin, weil das die einzige war die mich Schulschwänzer aufnahm. In dieser Gegend gibt es sicher Privat Schulen oder teure Unis, die weit über dem Budget meiner Eltern liegt.

Die beiden gehen mir voran in eins der Hochhäuser, in dem wir von einem freundlich lächelnden Mann begrüßt werden, der hinter einem Tresen steht und von dort aus einen Kopf betätigt, der den Fahrstuhl für uns öffnet. Schweigend fahren wir hinauf. Auf der Anzeige blinkt eine Zahl nach der anderen und hält erst bei Etage sechsundzwanzig. Es gibt noch weitere Etagen über uns, die je Stockwerk sicher teurer und teurer werden. Als die Tür sich öffnet stehen wir schon mitten in der Wohnung. Ein weiter offener Raum erstreckt sich vor uns mit nur wenigen Möbeln die einen ungehinderten Blick auf das treiben Tokios freigibt durch eine riesige Wand aus Glas.

Unsicher trete ich aus dem Fahrstuhl in den kleinen gefliesten Eingangsbereich und ziehe meine Schuhe aus. Nur ein Schritt weiter trete ich auf weichen cremefarbenen Teppichboden, der einen glauben lasse man laufe auf Wolken.

„So hab ich auch geguckt, als ich das erste mal hier war“, schmunzelt Susu und deutet auf meinen weit offenstehenden Mund. Er streift sich seine Schuhe ab und geht auf eine der teuer aussehenden Ledersofas zu um sich gegen die Armstütze zu lehnen. Mit überkreuzten Armen und Beinen schlägt seine Stimme einen ernsteren Ton an. „Yamada wir brauchen Alk`. Was habt ihr da?“

Schnell rückt mein Blick von der prachtvollen Einrichtung zu Susu. „Ich trinke nie wieder Alkohol.“

„Ich will dich auch nicht abfüllen, es ist nur so, du bist deutlich redseliger wenn du getrunken hast.“

Unschlüssig ob er Jacke und Schuhe ausziehen soll bleibt Yamada vorm Fahrstuhl stehen. „Wir haben keinen Alkohol im Haus.“

Susu stößt sich vom Sofa ab und kommt auf die Beine zurück. „Dann geh was besorgen. Irgendwas was schnell zu Kopf geht. Sekt oder Prosecco, diesen Mist. Und du mein lieber,“ damit deutet er auf mich und wedelt demonstrativ mit der Hand vor seiner Nase. „Du gehst jetzt duschen bevor du die ganze Wohnung verpestest.“

 

 

Schweigend komme ich in den Eingangsbereich zurück und rubble mit einem Handtuch über mein tropfendes Haar. Die Kleidung die Susu mir raus gelegt hat muss Yamada gehören. Ich musste sie mehrmals umkrempeln und die Bänder des Hosenbundes fest verschnüren, damit sie nicht augenblicklich wieder hinab saust. Ich war erstaunt mit welcher Selbstverständlichkeit Susu überall bei geht und zielsicher nach den Dingen greift die ich benötigte.

An einem der Ledersofas, die sich gegenüberstehen, komme ich zum halten und betrachte Susu der an der Fensterfront auf die Lichter der Stadt hinab sieht. Noch nie fühlte sich eine Stille zwischen uns so unangenehm an. Ist er sauer auf mich? Bin ich noch sauer auf ihn? Warum können wir nicht einfach vor diesen Umbruch wieder ansetzten, als wäre nie etwas gewesen? Ich wünsche mir den unbeschwerten Susu zurück, der das Leben in vollen Zügen genoss und lachte, als wäre es das leichteste der Welt.

„Ich hab dir geschrieben.“ Meine Stimme gleicht einem Flüstern. Ich habe angst die Stille zu brechen, weil der Ausgang zu ungewiss ist. Es gibt keinen Puffer zwischen uns. Nichts was uns von diesem schrecklich ernsten Thema ablenken könnte.

Mit Blick nach draußen nickt er. „Hab ich gesehen“, erwidert er ruhig.

„Du hast nicht geantwortet“, versuche ich einen erneuten Gesprächsbeginn, den ich doch eigentlich meiden will.

„Ich weiß“, ist alles was er dazu beisteuert.

Fest beiße ich auf meine Unterlippe, doch fast schon wütend platzt es aus mir heraus. „Warum nicht?“

Schwer atmet er durch bevor er zu mir ans Sofa kommt. „Weil ich erst etwas verändern muss bevor ich dir wieder unter die Augen treten kann.“ Unverständlich ziehe ich die Augenbrauen zusammen, er erkennt die Frage dahinter und deutet auf das Sofa um uns zu setzen. Und während ich angespannt und kerzengerade sitze, lümmelt er sich gemütlich gegen die Zierkissen, die zwar wie alte Reissäcke aussehen, aber alles andere als ungemütlich sein müssen so wie Susu darin versinkt. Mit beiden Händen streicht er über sein Gesicht, dass nach wie vor ziemlich demoliert aussieht. Die ursprünglichen Schwellungen um Auge und Kinn sind zu tief dunklen Blutergüssen und blauen Flecken herangereift. Er sieht alles in allem nicht besser aus, als an den Tag, an dem ihn dieser brutale Akt angetan wurde. Es ist ja nicht mal eine Woche her.

„Ich...“, beginnt Susu zögerlich. „Ich muss gestehen, dass dein Blick mich sehr verletzt hat. Mehr, als das was vorher passiert ist.“ Überrascht schnappe ich nach Luft, doch Susu lässt mich nicht zu Wort kommen. „Ich bin es gewohnt von anderen so angesehen zu werden. Dieser Blick voller Abscheu, den ich von den meisten allein durch meine bloße Anwesenheit ernte, weil ich aussehe wie ich nun mal aussehe. Aber nie von dir. Ich konnte machen was ich wollte und du hast mich angesehen, als hätte ich Waisenkinder aus einem brennenden Zug gerettet und danach eine Eiscremeparty für alle geschmissen. Das habe ich am meisten an dir geliebt, aber das hast du mir zerstört.“ Zittrig atmet er durch und streicht mit den Handrücken über seine Augen. „Aber das lass ich nicht auf sich beruhen. Ich werde tun was nötig ist, damit du mich wieder so siehst.“ Er hebt den Blick und sieht mich das erste mal richtig an. Seine roten Augen und sein zerdeltes Gesicht ruft ein verhalten meiner Mutter in mir hervor, welches ihn einfach fest in den Arm nehmen will und über den Kopf streichelnd die Floskel alles wird wieder gut wie ein Mantra auf und ab zu leiern bis man es tatsächlich glaubt.

„Ich habe dich nicht mit Abscheu angesehen“, verteidige ich mich mit schwacher Stimme. „Du hast in diesen Moment auch mich verletzt.“ Tief graben sich meine Finger in den dicken Stoff der Jogginghose, das ich beide Hände voll des dunkelgrünen Stoffes fest umklammert halte. „Ich habe dir immer alles gesagt. Du bist der einzige vor dem ich keine Geheimnisse habe und dann sagst du es geht mich nichts an. Ich müsse nicht alles über dich wissen. Und das nachdem du so zugerichtet wurdest. Ich wollte dir nur helfen. Ich wollte dich verstehen. Ich hab doch nicht...“ Meine Stimme versagt und heiser entweichen mir die letzten Worte.

Dankenderweise übernimmt Susu weitere Worte. „Ich hab dir doch erzählt, wie ich auf der Straße gelandet bin.“

Ich muss nicht lange überlegen. Die Geschichte hat noch lange an mir genagt und in mehr als einer Situation gezeigt wie viel Glück ich mit meinen Eltern habe. „Dein Vater hat dich mit seinem Arbeitskollegen erwischt und raus geschmissen“, fasse ich verwirrt zusammen über diesen Umbruch des Themas.

Es ist nicht zu übersehen wie Susu die Lippen zusammen presst. Ich bemühe mich jede noch so kleine Gefühlsregung in seinem Gesicht wahr zu nehmen, doch erkenne nicht mehr als Schmerz der ihn seit Jahren plagen muss. Schmerz der fern ab von jeglichen Erfahrungen meinerseits sein muss und der einen anderen Menschen sicher zerstört hätte. „Und das ist der Mann mit dem ich mich noch immer treffe, wenn er es wünscht.“ Seine Hand zittert als er sich durch sein regenbogenfarbenes Haar fährt. Was in mir die Frage aufwirft, ob es je etwas in Susus leben gab, dass ihm schwerer fiel aus zu sprechen. Sicher landet es unter den Top drei zusammen mit dem Gespräch zwischen ihm und seiner Familie, nachdem er mit diesen Monster von Mann erwischt wurde.

„Wie kam es denn dazu?“, frage ich zwar interessiert, doch meine Stimme verrät meine tieferen Gefühle der Abneigung zu diesen Unbekannten. Bevor Susu mich falsch versteht schiebe ich schnell etwas hinterher. „Ich meine, seine Methoden schreien nicht gerade nach Wiederholungsbedarf.“

Sein Blick verändert sich, wie ich meine nicht zu meinem Nachteil, eher grüblerisch. „Anfangs war er nicht so.“ Er atmet tief durch und holt weiter aus. „Die ersten Jahre kam ich bei Freunden unter, während ich meinen Abschluss machte. Für das Studium hatte ich ein Stipendium, dennoch brauchte ich Geld für die Miete, Essen und so weiter. Die Jobs waren öde und die Chefs ätzend. Hat nicht lange gedauert bis ich wieder hingeschmissen habe oder gefeuert wurde. So kam ich immer weiter mit der Miete in Verzug und verlor schließlich auch meinen Platz in der WG. Ich hatte gerade erst mein Zelt unter der Brücke aufgeschlagen, als er mich ausfindig machte. Ein schlichter Brief der auf meiner Matratze lag, in dem stand das er mit mir reden möchte. Er war geschäftlich in der Stadt und so traf ich mich mit ihm in seinem Hotelzimmer.“ Ein seliges lächeln umspielt Susus Lippen bei dieser Erinnerung, dass einen glauben lassen könnte, dass diese Geschichte ein gutes Ende nehmen würde. „Er verwöhnte mich. Ein heißes Schaumbad, ein üppiges Abendessen vom Zimmerservice und dann redeten wir. Lange. Über das was geschehen war zwischen mir und meinem Vater, wie ich jetzt weiter mache, wie das Studium läuft. Er machte klar das er mich unterstützen möchte und gab mir genug Bargeld das ich locker einen Monat über die Runden kam. Er wollte nichts dafür, nur das Versprechen, das nichts davon irgendjemand erfährt. Weder das er mich unterstützt, noch das ich ihn treffe, gar kenne.“ Verlegen zupft Susu nicht existierende Fusel von seiner Hose und versetzt mich ein wenig ins staunen das er so etwas wie Verlegenheit überhaupt kennt. Wo gerade er doch alles aus plappert was ihm in den Sinn kommt ohne Rücksicht auf Verluste. „Ich hab die Nacht mit ihm verbracht und es war genauso schön wie beim ersten Mal. Wir trafen uns einmal im Monat in dem selben Hotel und der Ablauf war immer Ähnlich. Er gab mir das Geld immer sofort. Ich hätte also gleich wieder gehen können, aber ich wollte bleiben. Wollte bei ihm sein. Die Zeit zwischen unseren Treffen war die Hölle. Ich konnte es kaum erwarten wieder bei ihm zu sein.“

Stutzig mustere ich meinen Freund so intensiv wie zuvor. Es ist nicht die Art was er sagt, sondern wie er es sagt die mich aufhorchen lässt. Es liegt keine Reue oder Bedauern in seinen Worten, sondern wahre Zuneigung. Zuneigung zu einem Mann, der ihn aufs übelste zusammengeschlagen hat. Einem Mann der keinerlei Sympathien in mir weckt, nur eine böse Vorahnung.

Susu bemerkt meine Blicke und lächelt sie freundlich weg. Er steht auf und durchquert den großen Raum in eine offene Designer Küche mit rustikalen Holzelementen, die aussieht als wäre sie noch nie benutzt worden. Zielsicher nimmt er zwei Gläser und füllt Leitungswasser ein. Dabei spricht er weiter, als würde ihm dieser Akt der Bewegung helfen über das kommende schwere Thema hinweg zu täuschen. „Nach dem dritten mal begann er mit Spielchen. Verband mir die Augen. Fesselte meine Arme oder Beine. Es war aufregend und eine andere Art von Sex die ich bis dahin kannte. Ich wollte mehr.“ Er kam zurück und stellte das zweite Glas vor mir auf den großen gläsernen Couchtisch der zwischen den beiden Ledersofas steht, auf einen der bereitstehenden Korkuntersetzern. Es ist eine seltsame Mischung wie Susu sich in dieser Wohnung bewegt. Teils als würde sie ihm gehören, teils als wüsste er genau was seine Gastgeber erwarten und wünschen.

„Dann steigerte sich jeder Besuch bei ihm hin in dieses Extreme?“, frage ich in dem Moment als Susu das Glas ansetzt um zu trinken. Er trank langsam das ganze Glas in einem Zug aus und Nickte dann lediglich auf meine Frage. „Warum lässt du das mit dir machen?“

Und dann sagt mein Freund etwas mit dem ich nie bei ihm gerechnet hätte. Etwas von dem er immer abstritt das es überhaupt existiert. Das es nicht Normal sei. „Weil ich diesen Mann Liebe. Schon seit ich ihm das erste mal begegnet bin.“

Stotternd kommen meine ersten Worte die eher Sinnlos sind. Ich schüttle mich um meinen Kopf frei zu kriegen. Eine Ohrfeige hätte mehr gebracht oder eine Eisdusche. „Aber du bist doch der, der in keiner Situation sich scheut zu sagen, wie beschissen und falsch das Konzept der Liebe ist.“

„Dann dürfte dir doch klar sein wieso.“ Den Schmerz der Susu ins Gesicht geschrieben steht ergreift mein Herz und schreit nach Linderung, von der ich nicht weiß, wie ich dies jemals bewältigen könnte.

„Susu...“, setze ich an, doch er schüttelt den Kopf. Statt sich neben mich zu setzen geht er an die gigantische Fensterfront. Doch dieser Abstand macht es nur schmerzlicher für mich. Ohne zu zögern springe ich auf und bin in nur wenigen großen Stritten bei ihm um meine Arme von hinten um ihn zu legen und fest in eine Umarmung zu binden aus der ich ihn nicht mehr so schnell entkommen lasse.

Er schnauft belustigt, doch ich spüre wie unter der Maske sein Brustkorb bebt und etwas völlig anderes versucht zu verbergen. „Ich weiß, dass das ziemlich heuchlerisch von mir war.“ Hart schluckend nimmt er sich eine Pause bevor er weiter spricht und nun auch seine Stimme frei von den Gefühlen ist die er so angestrengt zu verbergen versucht. „Ich gelobe Besserung.“

„Ich finde du bist schon ziemlich perfekt“, nuschle ich in seinen Nacken. Das bringt mir ein echtes Lachen ein und meinem Herzen ein Stück weniger schmerzhaften Drucks.

„Heißt das, wir gehen irgendwann wieder gemeinsam auf die Piste?“

Ich nicke heftig. „Unbedingt, aber diesmal gehen wir nicht in die Ober-Hippe-Nudelsuppenbar.“

„Sondern holen uns Pommes mit Softeis?“

Freudig springe ich auf und ab. „Das war hammer lecker oder?“

„Mega lecker, aber das dürfen wir dem Kleinen nicht sagen, der bildet sich nachher noch was drauf ein.“

Verschwörerisch lachen wir beide.

„Aber sag mal...ähm...“, drucksend wippe ich auf den Fußsohlen und fahre unwohl mit einer Hand über meinen Nacken. „Wir... wir werden dem Mann nicht in Ni-chóme begegnen oder?“

Sanft streichelt Susu über meine Hand die um seine Taille ruht. „Nein. Es würde seinem Ruf schaden dort gesehen zu werden.“

„Seinem Ruf?“, erwidere ich irritiert. „Ist er ein Promi? Kenne ich ihn etwa? Sag mir nicht es ist-“, weiter komm ich nicht, da Susu sich Augen rollend zu mir umdreht und meinen Mund zu hält.

„Ich möchte dich daran erinnern, das ich nicht darüber reden darf. Aus dem anfänglichen Versprechen wurde später ein Vertrag den ich unterschreiben musste und der mich zur Verschwiegenheit zwingt. Also...“ Etwas umständlich holt Susu sein Handy aus der viel zu engen Jeanshose und öffnet den Internetbrowser für eine Suchanfrage. Neugierig verfolge ich jeden tiptap und wischiwasch, bis er mir das Handy in die Hände legt.

Ein ziemlich offiziell aussehendes Foto zeigt sich mir, mit einem ernst dreinblickenden Mann der heißer ist als ich zugeben will. Ein Mann mittlerer Jahre, sein ernster Blick strahlt pure Macht und Dominanz aus. Absolut Susus Beuteschema. Meine Neugier stachelt mich an weiteres über ihn zu erfahren, denn wie das Ungetüm das er sein muss wirkt er überhaupt nicht. Zwei Klicks weiter weiß ich mehr als mir lieb ist. Das Monster hat einen Namen, Ryuichi Takakura und ist unser Premierminister. Der Mann dem nur noch der Kaiser persönlich übergeordnet ist.

„Das kann nicht dein ernst sein. Der? Der ranghöchste Politiker Japans ist das Schwein das dich so misshandelt hat und den du Lie...“ Es fühlt sich seltsam an das Wort Liebe mit Susu in Verbindung zu bringen. „Den Mann... den du Liebst.“ Ich atme tief durch und gebe ihm sein Handy zurück. „Ich werd mir nie wieder Nachrichten ansehen können.“

Ein heller Ton kündigt das ankommen des Fahrstuhls an. Schnell steckt Susu sein Handy weg. Jedenfalls so schnell seine enge Hose es zu lässt. Yamada steigt bereits aus dem Fahrstuhl, als Susu noch zurechtrückend auf und ab hüpft um das ganze Handy hinein zu bekommen.

Es ist schön Yamadas freundliches Gesicht zu sehen, dennoch wäre es mir lieber gewesen er wäre länger weg. Ich hätte gerne noch mehr Zeit mit Susu allein gehabt.

 

 

„Trink! Trink! Trink!“, feuern Susu und ich Yamada gleichzeitig an, den Rest der Flasche leer zu saufen. Was anderes ist das hier kaum. Reines Kampftrinken. Nicht nur ich habe versucht mich davor zu drücken auch nur einen Schluck dieser Plöre zu trinken die sich Sekt schimpft. Yamada befürchtet ärger zu bekommen, wenn sein Vater mit bekommt das er Alkohol trinkt statt zu lernen. Allerdings hat er uns auch versichert das er heute Abend nicht mehr nach Hause kommen wird, da er im Schichtdienst des Krankenhauses feststeckt. Als Chefchirurg scheint er dort schon fast zu wohnen, meint Yamada. Allerdings scheint er auch verdammt gut zu verdienen wenn man sich das Mobiliar und die Wohngegend betrachte.

Erst als Susu das grüne Gesöff mit Waldmeistergeschmack auf machte fing es an richtig lustig zu werden. Zusammen mit dem Trinkspiel “Ich hab noch nie...“ ist das hier tatsächlich noch ein schöner Abend.

Yamada reißt die leere Flasche hoch und wir grölen und jubeln. Hastig schnappt er nach Luft, als wäre er kurz vor dem Erstickungstod gewesen. „Ich glaube... das waaar die letzte...“, lallt er ein wenig.

„Was?“, empört sich Susu, der uns völlig unter den Tisch getrunken hat und wirkt als hätte er den ganzen Abend nur Leitungswasser getrunken. „Du hättest mehr holen sollen. Was sollen wir denn jetzt machen?“

„Ob man sich so etwas liefern lassen kann?“, rätsel ich und strafe mich dafür diesen Gedanken laut gesagt zu haben. Mehr vertrage ich nicht ohne bereits erlebtes zu wiederholen. Ich erinnere mich kaum an den Abend aber an die Kopfschmerzen danach und den Geschmack der Kotze in meinem Mund und die peinliche Entblößung in Shibas Klamotten aufzuwachen, statt meiner Uniform. Mit den darauf folgenden unangenehmen Gesprächen will ich gar nicht erst anfangen.

„Gute Idee“, erwidert Susu angefacht. Er wedelt mit der Hand in Yamadas Richtung und verlangt dessen Handy. Ohne Gegenwehr wird ihm dieses auch ausgehändigt. Dumm. Wirklich dumm. Daran sieht man wie betrunken Yamada ist oder wie schlecht er Susu kennt. Susu durchforstet augenblicklich das Handy und beginnt breit zu grinsen. „Oha. Du verbringst aber viel Zeit auf Pornoseiten. Was siehst du dir denn da so an?“

Ich würde meinen Yamada ist mit einem Schlag wieder nüchtern und zudem kreidebleich. Er springt unmittelbar auf um Susu das Handy wieder weg zu nehmen, der jedoch lachend um die Couch rennt.

„Halt ihn auf Misaki“, kreischt Susu.

Ich keuche überfordert, als ich mir die Masse Mann ansehe, der schwankend doch schnell hinter Susu her ist. „Hast du ihn dir mal angesehen? Der ist bald doppelt so groß wie ich.“

„Sei kein Mädchen und helf deinem Bro“, quietscht er lachend während er und Yamada sich um die Couch jagen. Das Handy dabei nicht von der Nase nehmend ist Susu zwar abgelenkt und reagiert nicht so schnell, macht das ganze aber um so spannender und zum schreien komisch. „Oho Yamadalein, für wen waren denn diese Nacktfotos gedacht? Du hast nichts dagegen wenn ich die an mich sende ja?“

Yamada greift nach der Rückenlehne und springt über die Couch. Trotz seiner Größe alles andere als elegant. Ungeschickt reißt er Susu mit sich zu Boden. Entgegen allen Erwartungen von großartigen Liebesfilmen kommt jetzt keine “Ich seh dir in die Augen Kleines“ Szene, es bricht ein Gerangel um das Handy aus. Doch wenn zwei sich streiten freut sich der Dritte. Das auf den Boden gelandete Objekt ihrer Begierde hebe ich auf und prompt habe ich ein Foto von der wahrscheinlich längsten Praline der Welt vor Augen. Im Schreck lasse ich es fast fallen. „Bohr Yamada, wer hat den schon Nacktfotos von sich auf dem Handy?“

„Wer hat das nicht?“, verteidigt er sich schwach über das laute lachen hinweg das wir ihm entgegen bringen.

„Ich jedenfalls nicht“, erwider ich und gebe ihm das Handy zurück.

„Misaki muss ein trinken!“, grölt Susu, der scheinbar schon wieder vergessen hat das nichts mehr da ist.

Beim aufstehen zieht Yamada Susu mit hoch. Sie beide haben einen ziemlich roten Kopf und ich wage zu behaupten aus unterschiedlichen Gründen. „Das muss dir nicht peinlich sein, so was macht Susu mit mir auch. Ich hab ihm nur nie soviel Stoff zum zerreißen gegeben.“ Das scheint ihn nicht sonderlich zu beruhigen. Er tippt nervös seine Fingerspitzen nacheinander aufeinander. Ein Tick den er bei unserer ersten Begegnung auch schon an den Tag legte, als er fürchterlich nervös zu uns an den Tisch kam.

Yamada scheint sich aus der Situation retten zu wollen und schlägt vor einen Imbiss zu zubereiten um den Alkohol aufzusaugen. Mit gesenktem Blick zieht er an uns vorbei in die Küche, die scheinbar doch benutzt wird und dort nicht nur steht zum Protz.

Sobald der Kleine außer Hörweite ist ramme ich Susu mein Ellenbogen in die Seite. „Das hast du verbockt. Mach was.“

„Aua“, tut er wehleidig und hält eine Hand auf den Rippen. „Ist ja gut. Ist heute Tag der großen Entschuldigungen?“ Eingeschnappt wölbt er seine Unterlippe vor und geht mit schlürfenden Schritten dem großen Kleinen nach. Einen Moment beobachte ich die Situation. Viel sagen tun sie nicht, jedoch nimmt Susu sich ein Schneidebrett und hilf Yamada bei der Zubereitung eines Snacks. Das ist ein Anfang, befinde ich und nicke zufrieden.

Mit meiner Schultasche setze ich mich zurück auf die Couch und beschließe meiner Mom eine Nachricht zu schreiben. Abermals scheint mein Handy vor Nachrichten geradezu glühen. Erst schreibe ich ihr, das es mir gut geht und sie sich keine Sorgen machen muss. Dann gehe ich die anderen Nachrichten durch. Die meisten von meiner großen Schwester und Haruno. Nicht eine von Shiba. Mein Herz wird schwer, wie zuvor auch schon, dennoch fühlt es sich anders an. Der Schmerz dieser Erkenntnis besteht größtenteils aus Enttäuschung. Meine Bemühungen der Entfreundung tragen erste Früchte. Das sollte mich mehr freuen. Tja, sollte.

Ich ziehe meine Beine an und umarme sie während ich einhändig den Chatverlauf von Haruno durch gehe. Innerlich auf schwere Vorwürfe vorbereitet, sehe ich nur eine Frage nach der anderen.

Geht es dir gut?

Wo bist du?

Was ist denn los?

Melde dich bitte.

Wir können über alles reden.

Wir machen uns sorgen.

Wir? Bitter lache ich auf. Das kann ich nicht so recht glauben. Nicht wie ich Shiba zuletzt behandelt habe. Wie ich sie behandelt habe. Ich kann mich nicht mal selbst leiden dafür was ich tue. Doch alles wiederholt sich. Eine exklusive Freundschaft mit Geheimnissen, verärgerte Mitschüler die bereits nach wenigen Tagen die Fäuste erheben. Selbst das Entfreunden, das dieses mal jedoch von mir aus geht. Doch noch ist es früh genug. Noch kann sich was ändern. Noch kann ich verhindern, das sie unter den Verachtungen und den Schlägen der anderen leiden müssen wie Akira. Wenn ich ihnen fern bleibe gebe ich ihnen ihr altes Leben zurück und bewahre sie vor all dem was damals noch kam.

„Gute Idee, Igelchen und Pantherchen können uns was vorbei bringen“, höre ich Susu über meiner Schulter. Zu Tode erschrocken schreie ich auf und falle fast vom Sofa.

„Haben wir nicht schon genug getrunken?“, behauptet Yamada und stellt einen Teller Käse Nachos auf den Tisch.

Mein Freund schüttelt den Kopf das seine bunten Haare nur so fliegen. „Bei weitem nicht. Misaki ist noch viel zu vernünftig. Ich brauch sein Stadium der Albernheit, in dem er seinen Freunden seine tiefe und innige Liebe mir gegenüber beichtete.“

In einer Mischung aus Scham und Verwirrtheit reiße ich meinen Mund auf ohne Nachzudenken. „Ich hab was? Fragen die beiden deswegen dauernd ob zwischen uns was läuft?“

Susu lacht. „Tun sie das? Wie neurotisch.“ Er angelt nach meinem Handy, dass ich nicht gewillt bin her zu geben. Es gibt nichts was ich verstecken müsste, außer ein paar peinlichen Textstellen zwischen mir und meiner Mom, dennoch kenne ich Susu gut genug das er aus allem ein gefundenes Fressen macht. Eilig lasse ich es durch den Hosenbund der Jogginghose verschwinden bevor er auch nur in die nähe kommt.

Sein grinsen wird nur breiter. „Oh Schätzchen, denkst du ich geh dir nicht an die Wäsche?“

„Ich will sie nicht darum bitten uns Nachschub zu holen“, nuschle ich in meine Knie, die ich fester umschlinge um Susu keinen Platz zu geben mir wirklich zwischen die Beine zu greifen.

Sein Gesicht wird mit einem mal ganz ernst. Still umrundet er den Glastisch zwischen den beiden Ledersofas und setzt sich mir gegenüber. „Warum?“

„Wie warum? Ich will nicht“, erwider ich schulterzuckend und wohl ein wenig patzig, aber vielleicht klang das nur in meinen Ohren so.

Oder auch nicht, denn Susu lehnt sich vor, das seine Ellenbogen von seinen Knien gestützt werden. „Vor ein paar Tagen hättest du alles dafür getan sie so schnell wie möglich wieder zu sehen und jetzt gebe ich dir eine Steilvorlage und du meidest sie. Warum? Hat das was mit deinem Anruf an Yamada zu tun?“

Darauf angesprochen sehe ich zu dem Riesen hinauf, der noch viel größer wirkt wenn man sitzt. Unwohl schaut er abwechselnd zu Susu und mir, als wüsste er nicht was er tun solle. Gehen oder bleiben? Zu wem setzten? Sich in seinem eigenen zu Hause im Zimmer einschließen? So tun als wäre noch etwas zu tun?

Mit den Augen rollend klopft Susu neben sich auf das Leder. „Jetzt setzt dich schon, Idiot. Er hat dich da mit rein gezogen, also kannst du auch zu hören. Vielleicht lernst du ja noch was.“

Schweigend beiße ich mir auf die Lippen. Er hat recht. Ich hab ihn mit meinem Hilferuf in eine unangenehme Lage gebracht, was aber nicht heißt das ich ihn weiter mit meinen Problemen vertraut machen will.

Mein Freund lehnt sich zurück und bleibt mit seinem Blick an mir haften, während Yamada sich steif und in übertriebener Entfernung zu Susu auf das Sofa setzt. Vor der Aktion mit seinem Handy war er deutlich entspannter. „Also, Schätzchen. Ich kann dich nicht zwingen mit mir darüber zu reden. Ich versteh es sogar nach dem was ich letztes Wochenende zu dir sagte, aber vergiss nicht das ich hier als dein Freund bin um dir zu helfen.“ Mit einem Nicken deutet er neben sich. „Und der Kleine auch.“

Als wäre das sein Einsatz schreckt er auf. „Klar, Watanabe. Du kanntest mich überhaupt nicht und warst vom ersten Augenblick an so nett zu mir. Das hat mich schwer beeindruckt. Ich bin einer den man erst kennen lernen muss um ihn zu mögen. Alle haben immer angst vor mir und meiden mich. Ich war gerührt von deiner liebenswerten Art und wäre sehr glücklich wenn wir uns als Freunde bezeichnen könnten.“

Susu klatscht sich mit der flachen Hand an die Stirn. „Wie schnulzig bist du denn?“

Unsicher tippt er wieder seine Fingerspitzen aufeinander. Es gefällt mir das man ihn so leicht durchschauen kann und auch was er gesagt hat. Ein hoffnungsloser Romantiker, wie ich auch. „Danke, Yamada. Ich würde es sehr schön finden wenn wir Freunde wären. Doch um ehrlich zu sein war der Anruf nur zufällig an dich gegangen, ich hab irgendeine Nummer gewählt. Tut mir leid das ich dir Unannehmlichkeiten bereite.“ Er scheint fast enttäuscht zu wirken über mein Geständnis. „Aber in Anbetracht meiner Situation hätte ich keine bessere Wahl treffen können, denke ich.“ Das lässt sein Gesicht aufhellen und er nickt zufrieden.

„Damit kommen wir wieder zum eigentlichen Punkt. Was zum Teufel ist überhaupt passiert das ich dich von der verdammten Brücke holen muss?“

Als wären meine nackten Zehen das interessanteste der Welt betrachte ich sie ausgiebig.

„Misaki.“ Der Nachdruck in Susus Stimme ist unüberhörbar.

Schwer schlucke ich, trotz trockenem Mund und hebe langsam meinen Blick. Erst begegne ich Yamadas vor Besorgnis strotzendem Blick bevor ich mich meinem Freund widme. „Es ist viel passiert seit du nicht mehr mit mir redest.“ Das bringt auch ihn zum schlucken.

Die Stirn in Falten gelegt beugt er sich wieder vor. „Ich bin ganz Ohr.“

Ich lockere den Griff um meine Beine und denke angestrengt nach wo alles seinen Anfang nahm, dass mich jetzt in dieses Chaos stürzte. Meine Flucht vor meinen Freunden. Shiba der Haruno küsste. Die Klassenkameraden die versuchen herauszufinden warum ich in Harunos nähe sein darf. Das schlechte gewissen sie so undankbar zu behandeln. Die Schlägerei. Die Missverständnisse. Meine Angst. Mein erster Tag an der Schule. Als Mädchen verkleidet. Bitter muss ich feststellen das es nicht den einen Anfang gab, sondern das große ganze ein riesiger Haufen Mist war. Obwohl es nach wie vor die dümmste Idee aller Zeiten war die Uniform meiner Schwester überzustreifen. „Ich hab alles versaut“, antworte ich schließlich düster. „Ich hätte mich nie mit ihnen anfreunden dürfen.“

Alarmiert schaut Susu zu mir herüber. „Haben sie dir etwas getan?“

Langsam schüttle ich den Kopf und denke einen weiteren Moment darüber nach wie ich mich am besten verständlich mache. „Ich hätte sie nie in mein Leben lassen dürfen. Es geht ihnen schlecht und das ist allein meine Schuld.“ Eng schnürt sich meine Brust um mein Herz. „Susu, ich...“ Stockend senke ich den Blick und fürchte jedes weitere Wort laut auszusprechen. Sätze die sich immer wieder in meinem Kopf abspielen. Vorwürfe. Schuldzuweisungen. Gefühle die sich nicht zuordnen lassen. „Schwuchtel“, sage ich schließlich leise.

Beide horchen gleichzeitig auf. „Was?“

„An meiner neuen Schule. Sie haben Haruno als Schwuchtel bezeichnet und verprügelt.“

Scharf zieht Susu die Luft ein und hält sie an. „Wer ist Haruno?“, fragt Yamada in die andauernde Stille.

Auf meiner Lippe kauend sehe ich zu Susu. Er sieht nicht so aus, als ob er die Frage für mich beantworten würde. Bemüht um sein neutrales Gesicht sehe ich in seinen Augen die Berechnung der Wahrscheinlichkeit das ich etwas dummes angestellt habe. Wie recht er hat.

Eher windend versuche ich mich zu erklären. „Ren Haruno ist mein Klassenkamerad. Er und sein Freund Takeo Shiba haben sich gleich an meinem ersten Schultag auf der neuen Oberschule mit mir angefreundet. Sie haben mir gar keine andere Wahl gelassen.“ Ich spüre ein Lächeln auf meinen Lippen bei dieser Erinnerung. „Anfangs empfand ich sie als lästig aber es sind ganz tolle Jungs. Haruno kommt mit jedem klar. Er ist ein echter Allrounder. Nett, einfühlsam, mega hübsch. Einfach der perfekte Schwiegersohn, wie meine Mutter sagen würde. Er hat genaue Träume und Vorstellungen für sein Leben und wirkt um so vieles Erwachsener als er ist. Und Shiba...“, seufzend mache ich eine Pause. „Ich weiß nicht. Er redet nicht gern über sich. Ist verschlossen, mürrisch und hat eine viel zu gute Beobachtungsgabe das ich immer befürchten muss von ihm ein auf den Deckel zu bekommen, aber...“ Ich spüre wie meine Wangen anfangen warm zu werden. „Aber ich fühle mich bei ihm sicher. Sie sind beide wirklich unglaublich.“

Da keiner etwas sagt, wage ich meinen Blick zu heben. Susu lächelt voller wärme zu mir herüber und lässt den Druck in meiner Brust Stück für Stück geringer werden. Sich ihm anzuvertrauen ist jedes mal ein befreiendes Gefühl. Hinterher ging es mir immer besser. Das schafft nur er.

„Klingt als wärst du verliebt.“

Susu packt eins der Kissen und haut es Yamada um die Ohren. „Bist du Wahnsinnig?! Du sollst nur zu hören habe ich gesagt.“

Erschrocken keuche ich auf und lasse meine Finger nach der dicken Jogginghose greifen. Den Stoff fest im Griff spüre ich wie meine Hände zittern. „Verliebt?“, atemlose Worte. „Nein, ich weiß wie sich verliebt sein anfühlt. Das ist es nicht.“

Mit giftigen Blicken bestückt mein Freund den armen Yamada, der sich nun noch weiter ans Couchende gedrängt hat mit erhobenen Händen, um den nächsten Kissenschlag abzuwehren. Es juckt Susu tatsächlich in den Fingern noch mal zu zuschlagen bevor er es sinken lässt und ergeben stöhnt. Stattdessen gleiten seine Hände nun durch sein wunderschönes Haar, dass er wieder ordnet. „Gut, dann öffne ich mal die Büchse der Pandora.“ Schwungvoll lehnt er sich zurück und schlägt die Beine übereinander. „Bei allem was ich über dich und Akira weiß, kann ich dir nur sagen, das war keine Liebe.“

Die Stirn in tiefen Falten sehe ich auf. Yamada holt Luft um etwas zu sagen, doch Susus Blick der sagt ich töte dich wenn du den Mund aufmachst lässt ihn verstummen. „Was war es dann?“, frage ich leise.

„Abhängigkeit. Pure Abhängigkeit.“

„Was? Nein, ich hab-“

Susu fällt mir ins Wort. „Denk scharf nach Misaki. Als du frisch auf die Mittelschule kamst, mit wem hast du abgehangen? Mit wem hast du dich getroffen? Mit wem hast du alles geredet?“

Das tue ich. Ich denke nach. Lange und intensiv.

Akira hat mich gleich am ersten Tag angesprochen. Er war nett und intelligent. In kleinen Gruppen standen wir auf dem Schulhof zusammen und haben mit anderen geredet. Anfangs. Irgendwann hatte er keine Lust mehr auf die anderen. Wollte auf meine Gesellschaft nicht verzichten und zog mich mit sich in stillere Ecken der Schule. Wir redeten viel über Mangas, Videospiele und Filme. Wir waren auf einer Wellenlänge. Ich mochte ihn. Trafen uns außerhalb der Schule. Er wollte aber nicht zu mir wenn jemand zu Hause war. Zu ihm wollte er mich auch nicht lassen. Waren immer draußen unterwegs. In der Schule saß er neben mir. Wenn uns andere eingeladen haben zu einem Spieleabend hat er für uns beide abgelehnt. Ich habe mich immer weniger mit den anderen unterhalten. Immer weniger über sie gewusst. Keinen anderen habe ich privat getroffen. Akira hat das Wort übernommen wenn mich einer ansprach. Er hat für mich bestimmt und ich habe ihn gelassen.

„Akira“, gebe ich zu. „Nur mit Akira.“

„Und als er dir in den Rücken gefallen ist, war dein einziger Kontakt weg. Du hattest keinen Freund mehr und warst plötzlich allein. Den Verlust hast du als Liebeskummer interpretiert. Es war nie Liebe.“

Ein eiskalter Klumpen brodelt in meinem Bauch und nährt meinen Körper. Bin ich selber Schuld das ich gemobbt wurde, weil ich diese Isolation einfach zugelassen habe? Das Eis zieht durch meine Adern und Nerven und lässt mich steif und zitternd als Häufchen Elend sitzen das ich nun mal bin.

Warme Arme schließen sich um mich. Wärme die mich nur oberflächlich erreicht. Ein sanftes wiegen. Träge schaue ich zu Susu auf der mir sofort einen Kuss auf die Stirn gibt. „Der Mistkerl hat es ausgenutzt das du ein so reines Herz hast, Misaki. Dich trifft keine Schuld. Du kannst nicht anders als das gute in den Menschen zu sehen.“ Wieder ein Kuss. „Und ich Liebe dich auch dafür und das tun andere genauso. Und ich schwöre, ich warne dich solltest du wieder so einem Arschloch verfallen, aber Pantherchen und Igelchen sind in Ordnung. Schwer in Ordnung.“

Ein brennen in den Augen kündigt das feuchte nass an das sich seinen weg zu brechen droht. Schwer atme ich durch um es zu unterdrücken und lehne mich in Susus Umarmung hinein. Ein Funken Wärme nistet sich in mir an. Danke Susu.

„Tja, verdammt sei die Liebe“, sage ich mit dünner Stimme.

Susu kichert leise. „Halleluja.“

Schnaufend erhebt sich Yamada von dem Ledersofa, dass unter der Bewegung laute Geräusche von sich gibt. „Gut, ich geh noch mal los und hol was zu trinken.“

„Lang lebe Yamada“, jubelt Susu und bringt mich zum lachen.

 

 

 

Ab einen gewissen Punkt war mir egal was Yamada über mich wusste. Ich habe ihnen alles erzählt was die letzten Tage passiert ist. Susu hat sich sehr an dem Kuss zwischen Shiba und Haruno aufgehangen und immer wieder eine Frage nachgeschoben was das betraf. Die Vorstellung das die beiden was miteinander haben finden wir beide sehr heiß.

Susu weiß auch, das ich meinem schlimmsten Alptraum begegnet bin und deshalb so aufgelöst war. Er hat mein Handy zu packen bekommen und sich selbst auf Schnellwahl gesetzt. Ich soll mich unverzüglich bei ihm Melden, sollte ich ihn noch mal sehen. Dann kommt er und tritt ihm in die Eier, versprach er hoch und heilig. Danach ist er meinen Chat verlauf durchgegangen und wollte in meinem Namen eine peinliche Nachricht an Haruno schreiben von der Yamada und ich ihn abhalten konnten.

Wir tranken viel und auch Susu merkte man seine beschwipstheit endlich an. Yamada gähnte lang und ausgiebig, wonach er vorsichtig einen Arm um Susu legte. Er hat sich doch tatsächlich an den Kleinen angelehnt und sich quasi angekuschelt. Ich hab natürlich nichts gesagt aber der Fangesang in mir grölte lauter denn je.

Nach einer langen Nacht schaffe ich es tatsächlich in das Gästebett von Yamada. Nur mit stützender Hilfe seitens Susu, aber ich liege. Auch wenn sich alles um mich herum im Karussell dreht. Oder alles steht still und ich dreh mich? Bei dem Gedanken schlucke ich den aufsteigenden Alkohol schwer wieder herunter. Nie wieder. Auch wenn ich das letzte mal genau das auch behauptete.

Ich nehme mein Handy zur Hand und mache das Dümmste was ich in meinem Zustand machen könnte. Ich schreibe eine Nachricht. Immerhin bin ich nicht so betrunken das ich nicht mehr wissen würde das das dumm ist. Ich bemühe mich um korrekte Rechtschreibung die mir nicht immer eindeutig erscheint und schreibe meiner Mom das ich bei einem Freund übernachte, das es mir gut geht und das Susu auch da ist. Aus naiven Übermut schiebe ich noch hinter her morgen wieder zur Schule zu gehen. Das werden wir sehen.

Doch an schlaf war nicht zu denken, auch wenn ich ihn ersehne. Wälzend drehe ich mich im Bett herum und greife immer wieder nach meinem Handy. Ich habe mir alles von der Seele geredet und dennoch schwirren die Worte in meinem Kopf und bereiten mir Schmerzen.

Klingt als wärst du verliebt.

Bin ich das?

Lange starre ich auf das leuchtende Display meines Handys und sehe abwechselnd zu Harunos und Shibas Profil in meiner Chatapp. Haruno hat ein Foto von sich als Profilbild, Shiba nichts. Aber das brauch er auch nicht. Diese Augen kann man nicht vergessen.

Ein angenehmes ziehen zwischen meinen Beinen bestätigt mir das auch da sich etwas an diese wundervollen Augen erinnert. Den Atem anhaltend lausche ich in die Stille des Raumes. Die anderen werden jetzt auch schlafen.

Mit einem kribbeln voller Aufregung lasse ich meine Hand langsam an mir herab gleiten und lausche dabei noch immer in die Stille. Soviel zu reinem Herzen, Susu.

 

 

 

Der Morgen kommt allerdings viel zu früh, im Gegensatz zu mir.

Allein die Bewegung meines kleinen Zehs verursacht mir Kopfschmerzen. Schlimmer als die von gestern Nacht. Unter stöhnen und ächzen fische ich nach meinem Handy. Kurz nach sechs. Ich hab noch Zeit. Das Logo der Chatapp zeigt mir eine Nachricht meiner Mutter und ich entsperre träge das Display.

Heiß und kalt überschüttet es mich. Ich liebe dich, steht dort schwarz auf weiß. Von mir geschrieben und das nicht an meine Mutter. Mit einem Ruck sitze ich Kerzengrade im Bett und starre zitternd auf meine Nachricht, bis sich eine Woge der Erleichterung über mich legt. Ich habe es nicht abgeschickt. Ein tiefes durchatmen, dass mich von meiner Panik augenblicklich löst hinterlässt einen Schauen über meiner Haut. Ich betrachte die Nachricht gefasster. Wie komme ich nur darauf das zu schreiben? Und dann auch noch an ihn.

Ich liebe dich.

Vorsichtig lösche ich einen Buchstaben nach dem anderen, um nicht aus versehen doch noch auf Senden zu drücken. Das ganze Gerede gestern über Haruno, Shiba und Akira hat mich ganz schön aufgewühlt. Als Susu erfahren hat das ich mich von ihnen fern halten möchte, war er kaum noch zu halten. Doch nach endlicher Diskutiererei hat Susu etwas schlaues gesagt das mich innehalten ließ.

Jetzt rollt der Stein schon, du kannst es nicht ungeschehen machen. Hilf ihnen lieber das es sie nicht überrollt wie dich damals.“

Das ist das letzte was ich will.

Übermüdet streiche ich mit einer Hand über mein Gesicht, was die Müdigkeit leider nicht vertreibt. Mein Blick wandet durch das Gästezimmer, doch schließlich wieder auf mein Handy in meiner Hand. Mein Herz hämmert so laut das ich befürchte, dass jeder um mich herum es auch hören könnte. Dieses kribbeln in meinem Bauch... Ist das tatsächlich Liebe?

 

Ende von Teil 21



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yamo-chan
2020-02-22T01:36:38+00:00 22.02.2020 02:36
O_ó TAKAKURA?!?!?? Schon wieder der!
Oh mann XD
Antwort von:  Serato
22.02.2020 07:03
hihi ^^ ja, ich habe mir ein kleines crossover erlaubt ♡


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