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Dreadlocks & schräge Töne

von

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Kapitel 03 - Ein Gefühl für's Drehen bekommen

Kapitel 03 - Ein Gefühl für's Drehen bekommen
 

Während des Rückwegs zu unserem Zelt kann ich ganz deutlich Mats dummes Grinsen aus den Augenwinkeln heraus sehen. Es nervt mich! "Hör auf damit!", schnaube ich ihn daher an.

"Was denn? Sei mal lieber froh, dass sich alles so fügt. Du würdest von selbst gar nicht aus den Puschen kommen."

"Pff!" Er hat zwar recht, muss es aber nicht unbedingt wissen. Sonst ist er überhaupt nicht mehr zu ertragen.

"Der steht genauso auf dich, wie du auf ihn. Das sieht doch ein Blinder mit Krückstock! Echt! Ich fresse einen Besen, wenn da heute nichts zwischen euch läuft!"

"Ich erinnere dich morgen früh daran." Der arme Mat. Wäre doch eine Schande, wenn er einen Besen fressen müsste, oder? "Hoffentlich hat Peer nicht unser Zelt ruiniert", lenke ich ab. "Am besten, wir schlafen heute Nacht draußen."

Mat lacht. "Abwarten, ob er die Kleine auch rumbekommen hat."

"Hallo?! Wir reden hier von Peer! Der bekommt doch jede rum." Wie auch immer das anstellt.

"Wohl wahr", seufzt Mat und klopft auf meinen Rücken. "Du solltest bei ihm Nachhilfe nehmen."

Oh! Dieser ...
 

***
 

Unser Zelt blieb unberührt. Peer hat seine Kleine irgendwo anders bestiegen. Glück für uns. Es war ihm zu stickig da drin, meinte er bloß dazu.

Nachdem wir eine Weile lang faul vor unserem Zelt herumgelungert haben, sind wir nun wieder auf dem Weg zum Marktgelände. Peer ist bestens gelaunt und pfeift sogar hin und wieder irgendeine Melodie vor sich hin.

"Echt widerlich, deine gute Laune", pampe ich ihn an, als mir sein Gepfeife zu bunt wird. Doch Peer grinst mich nur doof an.

"Ärgere ihn nicht", schmunzelt Mat und meint damit Peer, während er seinen Arm um meine Schulter legt. "Der Gute hat Liebeskummer." Fängt er schon wieder damit an!

"Habe ich nicht!", zische ich. Vielleicht ein wenig zu nachdrücklich. Mat und Peer lachen auf. "Ihr seid Idioten!"

Ich winde mich aus Mats Umarmung und mache auf dem Absatz kehrt. "Hey Adri! Jetzt schmoll doch nicht!" Ich zeige Mat über meine Schulter hinweg den Mittelfinger und schlüpfe zwischen zwei Ständen hindurch. Ihre heitere Laune kann ich gerade echt nicht ab.
 

Planlos laufe ich umher. An einem Stand gönne ich mir ein eiskaltes Wasser und streife damit weiter an den vielen Verkaufsständen vorbei.

Ich bin froh, mal allein sein zu können. Nachdenken, oder besser doch nicht nachdenken. Egal. Hauptsache, ich muss mir Mats dummes Gelaber und Peers dümmliches Après-Sex Grinsen antun.

Ich weiß auch ohne Mats blöde Sprüche, dass ich bei Fionn zu einem totalen Volltrottel mutiere. Das muss er mir nicht immer wieder aufs Brot schmieren, obwohl ich natürlich weiß, dass er mich damit nur aus der Reserve, und somit anspornen möchte, bei Fionn endlich auf Angriff zu gehen. Bloß wie? So, wie ich mich derzeit in seiner Nähe anstelle, wird das nix.

Aber warum verhalte ich mich in Fionns Gegenwart so bescheuert? Soooo wahnsinnig gut sieht er nun auch nicht aus, als dass es mir bei seinem Anblick dermaßen die Sprache verschlagen würde. Es muss demnach etwas anderes sein, das mich bei ihm zu einem sabbernden Idioten macht.

Seine Augen. Sicher sind es seine Augen, die mein Hirn lahmlegen, sobald sie auf mich gerichtet sind. Dazu noch die ständige Erinnerung an den fast Kuss und et voilà: Adrian der Stumme ist geboren.

Irgendwie muss sich das doch ändern lassen! Ich kann doch nicht immer in seiner Nähe …

"Adrian?" Hm? Jemand ruft mich. Ich bleibe stehen und schaue mich um. "Adrian! Wusste ich es doch! Du bist es!" Meine Waden verwandeln sich in flüssige Sahne. Das ist Fionn!
 

'Wenn man an den Teufel denkt', lache ich innerlich, obwohl mir gar nicht zum Lachen ist.

Ich bringe ein sehr einfallsreiches "Hey" zustande, als Fionn grinsend vor mir steht.

"Ganz allein?"

Ich nicke, anstatt ihm ein freches "Ist doch offensichtlich" entgegen zu schmettern.

"Das trifft sich ja gut", meint Fionn freudig. "Dann hast du doch sicher Zeit mich zu begleiten."

"Wohin?", frage ich ihn dümmlich, wobei ich schon froh bin, überhaupt was gesagt zu haben.

"Komm einfach mit", lacht Fionn und greift mein Handgelenk. Ich bin viel zu überrumpelt, um irgendwelche Einwände zu erheben, starre auf seine Hand und stolpere hinter ihm her.
 

Erst als mich Fionn an unzähligen Buden und Ständen vorbei gelotst hat, bringe ich meinen Mund dazu, nochmal zu fragen, wohin wir denn eigentlich gehen.

"Bogenschießen." Habe ich gerade richtig gehört?

"Bogenschießen?"

"Ja." Der will mich doch veräppeln! "Die Anderen wollten nicht mit, also musst du jetzt dran glauben."

"Als was? Als Zielscheibe?" Ah, da bin ich ja wieder. Willkommen zurück, Adrians Hirn. Ich hoffe, du bliebst noch eine Weile.

Fionn lacht und entschleunigt seine Schritte. "Nein. Auf dich würde ich niemals schießen."

"Sehr beruhigend."

"Jedenfalls nicht scharf", lacht er und zwinkert mir zu.

Wieder bin ich viel zu perplex um zu kontern.
 

Als wir schließlich Halt machen, stehen wir am Fuße der höher gelegenen kleinen Burgruine, um die herum das Spektakulum stattfindet.

Tatsächlich gibt es hier einen Stand, an dem man Pfeile abschießen kann.

"Das willst du wirklich machen?", frage ich Fionn und beäuge die gefährlich aussehenden Bögen und noch gefährlicher aussehenden Pfeile.

Besucher schießen sie auf große Zielscheiben aus Stroh.

"Klar! Ist doch lustig." Fionn wirkt ganz begeistert und marschiert auch gleich auf den Typen zu, dem das ganze hier gehören zu scheint.

Geld wechselt den Besitzer und stolz reicht Fionn mir einen der Bögen. "Ich?!"

"Logisch. Wenn du schon mal hier bist …" Nur widerwillig nehme ich den Bogen entgegen.
 

Denkt jetzt nicht ich hätte Angst davor, ein paar Pfeile abzuschießen. Nein. Ich habe eher Angst davor nicht zu treffen und mich vor Fionn zum Volldeppen zu machen.

"Ich habe das noch nie gemacht", erkläre ich ihm daher auch gleich, damit ich wenigstens ein bisschen Würde behalte, sollte ich aus Versehen einen der Besucher im Hintern treffen.

"So schwer ist das nicht", versucht Fionn mich zu beruhigen, was aber nur das Gegenteil bewirkt.

"Du hast das schon mal gemacht?"

"Klar. Bin ja nicht zum ersten Mal auf einem Spektakulum." Verflucht!

"Das ist unfair!" Fionn grinst bloß und stellt sich vor eine der Strohscheiben. Fasziniert beobachte ich ihn dabei.

Durch das enge Oberteil kann man ganz genau seine Muskeln sehen. Und auch seine Armmuskeln, die sich hart anspannen … 'Oh man!'

Schnell richtige ich meine Aufmerksamkeit auf den Pfeil, den er nun spannt, in Position bringt und für ein paar Sekunden so hält. Und schon saust er zischend davon. Außenring.

"Mist!" Fionn runzelt die Stirn und greift sich den zweiten von den drei Pfeilen, die jeder Abschießen darf. Dieser trifft schon mal weiter innen. Doch die Mitte verfehlt er. Auch der dritte Pfeil trifft nicht ins Schwarze. Obwohl ich es dennoch beeindruckend finde, dass Fionn überhaupt die Scheibe trifft. Das jagt mir gehörigen Respekt ein.
 

"Nicht meine beste Leistung", seufzt er. "Na ja. Du bist dran." Fionn dirigiert mich vor die Scheibe aus Stroh.

"Ich weiß nicht …", winde ich mich. "Willst du nicht lieber? Du hast doch fast die Mitte getroffen. Beim nächsten Versuch …"

"Hier wird sich nicht rausgeredet", unterbricht er mich. "Schieß!" Super! An dieser Schießübung führt anscheinend kein Weg vorbei.
 

Allein den Bogen zu spannen ist schon Schwerstarbeit. Der Standbetreiber hilft mir, zeigt, wie ich es richtig mache und gibt mir Tipps. Erst dann reicht mir Fionn einen der Pfeile.

Zu meinem Ärger bleibt er jedoch genau hinter mir stehen. Wie soll ich denn da treffen?! "Gut so", flüstert er mir von hinten ins Ohr. "Mehr Spannung … Nimm dir Zeit zum Zielen …" Sein Atem ist so warm. Und ich schwöre euch, ich kann seine Körperwärme fühlen. Obwohl er sicher einen halben Meter von mir entfernt steht. Das ist nicht gut! Ganz und gar nicht …

ZISCH!

Oh, oh. Der Pfeil! Er ist … "Fast in die Mitte!", jubelt Fionn hinter mir. "Das gibt es doch nicht!"

Ungläubig starre ich die Zielscheibe an. War das wirklich mein Pfeil?

"Glückstreffer", murmle ich und senke den Bogen.

"Und was für einer!" Fionn zieht mich an sich und klopft mir auf den Rücken. Mir rutscht der Bogen aus der Hand. "Entweder, du bist ein Naturtalent, oder du hast mir verschwiegen, dass du ein internationaler Bogenschießchampion bist", lacht Fionn, während ich wieder den Bogen aufhebe.

"Soweit ich weiß hatte ich so ein Ding noch nie in der Hand." Und werde es auch nie wieder.

Der Pfeil hätte sonst wohin fliegen können, dank der Ablenkung namens Fionn in meinem Rücken. "Hier. Die anderen Zwei kannst du haben."

"Was?" Fionn guckt mich fassungslos an. "Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du das so stehen lassen kannst. Los! Nochmal. Ich will wissen, ob das tatsächlich nur ein Glückstreffer war." Verdammt! Wie will ich mich da jetzt rausreden?

'Sorry Fionn, aber ich habe nur getroffen, weil mich deine Nähe so scharf gemacht hat?' Sicher nicht.
 

Also füge ich mich wohl oder übel ein weiteres Mal und spanne den Bogen. Diesmal bleibt Fionn zum Glück neben mir stehen. Anscheinend, um mich besser beim Schießen studieren zu können. Helfen tut es ihm wenig. Ich verfehle nicht nur das Ziel, ich verfehle auch noch die Scheibe. Sie saust hinter in den Stapel Strohballen, den man dort zur Sicherheit aufgebaut hat. Eine weise Entscheidung, wie sich herausstellt.

"Siehst du? Der Erste war nur ein Glückstreffer."

"Anscheinend", brummt Fionn. "Aber du hast noch einen."

"Der wird auch nicht treffen."

"Abwarten." Ich zucke mit den Schultern.

Der Dritte trifft wenigstens den Außenring der Schiebe. Was mich ehrlich überrascht. Fionn wirkt dagegen nachdenklich. "Wenn du noch drei weitere Pfeile willst …"

"Nein!" Bloß nicht. "Bogenschießen ist definitiv nichts für mich." Ich gebe den Bogen an den Standbesitzer ab. "Dann lieber Dosenwerfen." Damit kann ich wenigstens keinen Aufspießen, falls Fionn mich wieder von hinten attackieren sollte.

"Das gibt es hier sicher auch irgendwo", lacht Fionn und schnappt sich erneut mein Handgelenk. "Lust, mit mir auf die Suche zu gehen?" Die Frage überrumpelt mich. Schon wieder.

"Klar", nicke ich aber auch schon und finde mich kurze Zeit später neben Fionn wieder, wie wir zu zweit über das Marktgelände schlendern.
 

***
 

Dosenschießen war unauffindbar. Dafür weitere gefährliche 'Sportarten' wie Axt- und Messer werfen. Nur mit Engelszungen konnte ich Fionn davon abbringen, dies auch noch zu versuchen.

"Lass uns lieber was essen. Ich verhungere." Damit hatte ich ihn.

Wir bestellten uns zwei Portionen Kartoffelecken mit einer Art Kräuterdip.

Doch nun stehen wir da, jeder eine große Schale voll mit Kartoffelecken, und finden keinen Platz zum Hinsetzen oder wenigstens zum Hinstellen. An den Essensständen ist überall die Hölle los.

"Ich kenne da einen guten Platz", sagt Fionn. "Er ist etwas abgelegen und wir können im Gras sitzen."

"Hört sich gut an. Wo ist der Haken?" Es gibt immer einen.

"Wir müssen ein Stück laufen und dann klettern."

"Ah ja." Ich schaue auf meinen übervolle Schale in meiner Hand.

Fionn lacht. "Klettern ist vielleicht zu viel gesagt. Eher einen kleinen steinigen Hang besteigen." Besteigen also … Ich sollte mich auf meine Kartoffelecken konzentrieren.

"Gut. Gehen wir." Hier ist es sowieso viel zu voll und viel zu laut. Jetzt, wo ich endlich mehr als bloß zwei Worte in Fionns Gegenwart rausbekomme, ist mir jeder steinige Hang wert, um mich mal in Ruhe mit Fionn unterhalten zu können.
 

Fionn führt mich wieder Richtung Burgruine. Dieses Mal laufen wir hinter den Ständen auf einem kleinen ausgetretenen Pfad entlang. "Dort hinauf." Er zeigt empor zur Burgmauer. "Es sieht weiter aus als es ist."

"Wenn du das sagst", brumme ich, was Fionn wieder zum grinsen bringt.

"Vertraue mir."

"Hm … Okay. Ausnahmsweise."

Ich bin froh, dass mein Sprachzentrum allem Anschein nach wieder auf Normalmodus läuft. Mich gleich zwanglos mit Fionn unterhalten zu können wäre schon mal ein Anfang.

Ein Anfang wovon wollt ihr wissen? Mal sehen. Das weiß ich auch noch nicht so genau.
 

Der steinige Hang hat sich als steinige Anhöhe herausgestellt. Jedenfalls sind wir nicht mal eben schnell zu dem mysteriösen, stillem Platz gepilgert. Einige meiner Kartoffelecken mussten ihr Leben dabei lassen. Entweder in meinem Magen als Wegzehrung oder als späteres Vogelfutter im Gras.

Ich bin froh, als Fionn verkündet, dass wir angekommen sind. Nicht nur wegen meines hinabfallenden Essens.

"Ist das nicht schön?" Wir hocken im Gras, angelehnt an die ehemalige Burgmauer, und schauen hinab auf das Marktgelände.

"Ja. Wirklich schön." Das ist es.

Gegenüber von uns steht die Sonne schon ziemlich tief. Alles ist in ein dunkles Orange getaucht. Wir haben bestimmt schon neunzehn Uhr durch. Ob sich Mat und Peer Sorgen um mich machen? Wahrscheinlich nicht. Sie kennen mich. Sie denken sicher, ich würde irgendwo in einem dunklen Eckchen vor mich hinschmollen. Hoffentlich haben sie wenigstens ein schlechtes Gewissen.
 

Genüsslich lasse ich mir mein Essen schmecken. Ebenso wie Fionn.

Nach dem ganzen Trubel tut mir die Ruhe richtig gut. Und neben Fionn zu sitzen hat trotz allem auch etwas beruhigendes.

Klar spielt mein Herz wieder verrückt. So unmittelbar neben ihm zu sein bringt es sogar ganz schön durcheinander, aber ich genieße dieses Gefühl im Moment eher, als es mich nervös macht. Die Stimmung ist einfach zu schön.

Zwar geht der Tag dem Ende entgegen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, hier beginnt etwas. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, bedingt durch den dünnen Sauerstoff hier oben und meinen langsam übervollen Magen.
 

Fertig gegessen stellen wir die Schälchen erstmal neben uns ins Gras. "Durst?" Von irgendwoher hat Fionn eine kleine Wasserflasche gezaubert.

"Wo hast du die denn her?", frage ich ihn.

"Ein kluger Mann denkt eben an alles."

"Das lasse ich mal unkommentiert."

"Was soll das denn jetzt heißen?"

"Nichts", grinse ich und nehme ihm die Wasserflasche ab. Das Wasser ist zwar warm, aber das stört mich nicht.

Den gröbsten Durst gestillt, gebe ich Fionn die Flasche wieder zurück. "Ich könnte ewig hier sitzen", meint er und blickt in die Ferne.

"Wie hast du diesen Ort hier gefunden?"

"Einfach die Augen danach offen gehalten."

"Dann hast du also ein Faible für abgelegene, einsame Plätze?"

"Hin und wieder." Er schenkt mir ein verschmitztes Grinsen.

"Gut zu wissen", sage ich und grinse zurück.

"So? Warum?" Neugierig und amüsiert mustert er mich.

"Nur … nur so", weiche ich verlegen aus und pople an einem langen Grashalm herum.

Da ist sie wieder, die Leere in meinem Kopf. So ein Scheiß! Normalerweise würde ich so eine Chance niemals ungenutzt lassen. Doch bei Fionn scheint nichts normal zu sein. Absolut gar nichts.

Fionn scheint sich das eine Weile lang anzugucken, dann packt plötzlich seine Hand nach meinen nervös herumspielenden Fingern. "Gib mal her", fordert er mich auf, womit er den Grashalm meint. "Kennst du das?"

"Hm?" Was hat er denn jetzt wieder vor?

Fionn grinst bloß wieder und klemmt sich den Grashalm umständlich zwischen die Seiten seiner beiden Daumen, ehe er sich die Hände vor den Mund hält. Natürlich weiß ich inzwischen, was er vor hat.

Ein ekeliger schriller Ton ertönt. "Das haben wir als Kinder immer gemacht. Um unsere Nachbarn zu ärgern", lache ich. Der Quietsche-Ton verursacht ein Echo. Okay, das ist jetzt cool.

"Eins der einfachsten Musikinstrumente der Welt", feixt Fionn und fummelt den Grashalm von seinem linken Daumen.

"Ich will auch", beschließe ich und zupfe mir einen Halm ab.

Fionn lacht und schaut mir dabei zu, wie ich versuche, den Halm halbwegs fest zwischen meine Daumen zu spannen. Als es mir gelingt, versuche ich ein paar scheußliche Töne damit zu erzeugen, doch es bleibt bei einem krächzenden Pusten.

"Ich kann das nicht mehr", gebe ich schließlich auf. Fionn grinst sich immer noch einen. "Hör auf, so dämlich zu grinsen." Der Grashalm landet bei seinen noch lebenden Brüdern und Schwestern. "Kann ja nicht jeder so musikalisch sein wie du." Dass ich Gitarre spiele, lasse ich besser unerwähnt. Bei der Vorstellung eben, würde er mir das niemals glauben.

"Das hat nichts mit musikalisch oder nicht zu tun. Du musst einfach mehr an deiner Lippentechnik feilen."

"Was?" Wie bitte? "Mit meiner Lippentechnik ist alles bestens!" Kaum ist der Satz raus, fängt auch schon an mein Gesicht zu glühen. Fionn lacht sich halb schlapp. "Haha", knurre ich. "Sehr witzig." Der hat doch davon angefangen! "Hör endlich auf zu lachen. So lustig war das gar nicht." Viel mehr war es ziemlich peinlich. Für mich.

"Ich will Beweise", gackert Fionn. "Los! Lippen spitzen." Wie bitte?

Ich muss arg belämmert aus der Wäsche gucken, denn Fionn lacht abermals los. "Darauf kannst du lange warten", blaffe ich und ignoriere den kichernden Lachsack neben mir.

"Schade", meint er und wischt sich doch tatsächlich ein Lachtränchen aus den Augenwinkeln. "Wirklich schade." Und was hat das nun wieder zu bedeuten?
 

Das finde ich anscheinend niemals heraus.

Fionn, der immer noch blöde grinst, steht auf und klopft sich die Erde von der Hose. "Ich muss leider wieder zurück. Bevor wir heute Abend feiern können, muss ich noch ein paar Sachen erledigen. Du kommst doch?"

"Hmhm", nicke ich.

"Fein." Fionn strahlt mich an. "Aber eins sage ich dir: In Sachen Lippentechnik ist das letzte Wort noch nicht gesprochen." Schluck!
 

***
 

Zusammen sind wir zurück zum Marktgelände gepilgert. Dort habe ich auch wieder meine beiden Freunde getroffen. Mat war überaus angetan davon, als er mich mit Fionn zusammen erblickt hat. Ich schenkte ihm nur einen mürrischen Blick, ehe Fionn sich mit den Worten "Bis nachher", von uns verabschiedete. Was er noch zu erledigen hatte, blieb sein Geheimnis.

"Na da schau einer an", säuselt Mat. "Wer macht sich hier denn an den netten Fionn ran?"

"Klappe!"

"Was habt ihr denn getrieben?"

"Geht dich nichts an."

"Oho!" Mat stupst Peer in die Rippen. "Es geht mich nichts an. Hast du gehört?"

Peer nickt eifrig. "Muss ja was ganz schön Versautes gewesen sein."

"Ihr seid Arschlöcher, wisst ihr das?"

"Ja." Wieder nickt Peer. "Und wir stehen drauf." Einstimmiges Grinsen beiderseits. Ich verdrehe die Augen und flüchte abermals vor den beiden.

Leider bringt das nichts. Sie tigern mir hinterher. Zum Glück ohne weitere Kommentare.
 

Keine Viertelstunde später hocken wir auf einer klapprigen Bank vor einem noch klapperigen Holztisch. Peer hat mal wieder Kohldampf und schiebt sich ein Steak in die Futterluke. Mat begnügt sich mit einem Bier und ich schaue gelangweilt in der Gegend herum.

Immer wieder kommen mir Fionns Worte in den Sinn. Er will sich also weiter über meine Lippentechnik unterhalten. War das ernst gemeint? Eine waschechte Anmache? Oder nur Herumgealbere unter zwei flüchtigen Bekannten?

Ich könnte ja Mat fragen, aber der ist momentan nicht der geeignetste Ansprechpartner bei diesem Thema. Außerdem kenne ich seine Antwort darauf schon. 'Natürlich war das eine Anmache! Wie blind bist du eigentlich?'

Mat zu fragen kann ich mir demnach schenken, was bedeutet, ich muss allein herausfinden, wie Fionn das gemeint hat. Und das werde ich sicher nachher auf der Party.

Mir geht der Arsch schon auf Grundeis, sage ich euch.
 

***
 

"Aufgeregt?", fragt mich Mat und grinst schelmisch.

"Nein", antworte ich kurz angebunden und starre geradeaus. Wir sind auf dem Weg zum Zeltplatz, wo schon sicher die kleine Party der Band angefangen hat.

"Ihr wollt wirklich noch mit diesen Musikern abhängen?" Peer ist schon wieder am futtern. Süßkram. Natürlich nur als 'kleiner' Nachtisch.

"Klar. So, wie Adrian mich dazu genötigt hat."

"Mat! Red nicht so ein Stuss! Wer hat den das alles eingefädelt?" Es fehlt wirklich nicht mehr viel und …

"Nur weil du so geil auf den netten Fionn bist. Sogar wandern warst du mit ihm, du alte Couch-Potato."

"Mat! Ich schwöre dir ...!"

"Da seid ihr ja!" Fionn taucht plötzlich vor uns auf. Er hat wirklich ein Talent dafür. "Kommt mit! Die Party ist schon im vollen Gange!"

Fionn begrüßt uns, wieder mit Umarmung, bei der sich meine Knie in schwabbeligen Pudding verwandeln und führt uns zu den Zelten der Band. Ich hoffe nur, dass er Mats Kommentar nicht gehört hat! Der grinst nur dumm und zuckt mit den Schultern. Einen klasse Freund habe ich da!
 

Es ist ganz schön was los hier und nicht nur die Bandmitglieder tummeln sich um das kleine Feuer, auch einige vom Zeltplatz und allem Anschein nach auch Leute von anderen Bands haben sich eingefunden und trinken ausgelassen.

"Greift zu." Fionn zeigt auf eine Menge Flaschen, die neben einem der Zelte stehen. Peer nimmt dieses Angebot nur zu gern an. Ich aber bleibe lieber nüchtern. Wer weiß was ich anstelle, wenn ich betrunken bin.

"Du auch?", fragt mich Mat.

"Höchstens ein Bier." Daran kann ich mich den restlichen Abend festhalten und es kann mich wenigstens niemand nerven, ich solle doch was trinken.

Mat drückt mir eine Flasche in die Hand und stellt sich neben mich. "Du musst ihn anquatschen."

"Keine Lust."

"Feigling!"

Ich atme genervt aus. "Er unterhält sich mit jemanden. Da kann ich nicht einfach dazwischen gehen."

"Natürlich kannst du das. Du musst nur in Erfahrung bringen, über was sie sich unterhalten und dich dann mit ins Gespräch einbringen. Du stellst dich echt an, wie ein verliebter Teenager."

"Vielen Dank. Auf deine Ratschläge kann ich heute verzichten."

"Dann leg dich ins Zelt und geh pennen, du elender Angsthase!" Jetzt ist Mat sauer. Er läuft zu Peer, der wieder mit irgendeiner einer Tussi flirtet.

Toll! Nun stehe ich hier wie der letzte Trottel! Aus Frust trinke ich die halbe Flasche leer und bereue es sofort. Woran soll ich mich festhalten, wenn sie leer ist?
 

"Na? So allein?" Fionns Bandkollegin mit den langen, roten Haaren. Sie lächelt mich süß an und streicht sich durch die langen Haare. Interessant. Wenn sich das mal nicht ausnutzen lässt.

"Nein. Meine Kumpels stehen da drüben." Ich zeige auf sie.

"Ich habe dich bei unseren Auftritten gesehen." Sie lächelt mich noch breiter an, ich lächle zurück.

"Ihr wart echt spitze! Ich bin Adrian."

"Ich bin Rochelle", stellt sie sich mir vor und reicht mir ihre Hand.

Rochelle ist kleiner als ich und hat feine Finger. "Fionn hat mir von dir erzählt."

"Ach, wirklich?" Fängt ja gut an! Damit muss ich das Gespräch nicht in diese Richtung lenken. "Hoffe nur Gutes."

"Ja. Er meinte, er hätte dich fast umgerannt, als er seine Laute vergessen hatte."

"Stimmt. Ich wäre fast an meiner Teigtasche erstickt."

"Lass ihn das hören und du bekommst noch ein Shirt gratis." Sie lacht mich offen an und ich mag sie sofort. "Und du? Machst du auch Musik oder etwas ganz anderes?"

Eigentlich wollte ich noch mehr über Fionn herausbekommen und nicht über mich sprechen. "Ich arbeite bei einer Musikzeitschrift. Also bin ich in gewisser weise auch in der Musikbranche tätig."

"Cool. Und was machst du da genau?"

"Konzertreporte und Interviews hauptsächlich."

"Echt? Willst du ein Interview mit uns führen?"

"Wieso nicht? Allerdings ist eure Musik nicht gerade die Richtung, über die wir sonst in unserem Heft berichten."

"Schade", seufzt sie, grinst aber.

"Und wie lange gibt es euch als Band schon?", frage ich und hoffe so wieder meinem eigentlichen Ziel, Fionn, näher zu kommen.

"Seit zwei Jahren erst. Aber Musik machen wir alle schon seid wir denken können."

Ich nicke. Die Antwort hört man von fast jeder Band. "Und Fionn? Dieses eine Instrument, Mat sagte, es sei eine Drehleier. Das habe ich noch nie gesehen."

Rochelle kichert und funkelt mich an. "Mister Reporter? Machen sie erstmal ihre Hausaufgaben. Du hast echt keine Ahnung von unserer Art Musik, was?"

"Nein", gebe ich zu. "Aber ich bin lernwillig."

"Falls du mehr über Fionns Drehleier erfahren willst, dann frag ihn besser selbst."
 

Und als ob Fionn es gehört hätte, kommt er zu uns gelaufen. "Siehst du? Dem klingeln schon die Ohren", flüstert mir Rochelle zu. "Erkläre ihm mal dein Lieblingsinstrument. Adrian ist ganz wissbegierig." Rochelle lässt uns allein. Ob sie was gemerkt hat? Mein Gott! Was, wenn alle es bemerkt haben? Mein Gesicht wird heiß. Beobachten uns die Anderen?

"Du bist neugierig auf mein Leierchen?", fragt Fionn und studiert mich mit seinen braunen Augen. Flüssiger Sirup …

"Ich hab sowas noch nie gesehen." Ich zucke mit den Schultern.

"Okay. Dann komm mit." Fionn rauscht an mit vorbei in eines der Zelte. Umgehend beschleunigt sich mein Herzschlag.

Ich werfe meinen Freunden einen schnellen Blick zu. Sie beachten mich nicht. Gut. Nicht auszudenken, wenn Mat das mitbekäme.

Eilig laufe ich Fionn nach und krabble durch den Zelteingang.
 

Oben hängt eine Zeltlampe die alles erhellt und in ein gelbliches Licht taucht. Fionn hockt schon auf dem Boden, ein Bein ausgestreckt, und legt den Gurt der Drehleier um. "Im Hocken ist das alles ein bisschen schwierig", klärt er mich auf. "Setz dich besser." Mit einem mulmig-aufgeregten Gefühl asse ich mich neben ihn nieder. Das hier ist was ganz anderes, als vorhin oben an der Burgmauer.

"Und du drehst einfach daran?" Ich zeige auf Kurbel.

"Einfach ist vielleicht das falsche Wort, aber so in der Art funktioniert es." Er dreht an ihr und ein gleichmäßiger Ton erfüllt das Zelt. "Das Rad streicht die Seiten an und bringt sie zum schwingen. Die Seiten hier" Er zeigt auf die Gemeinten "sind die Bordunseiten. Die erzeugen den Grundton. Dann haben wir hier die Melodieseiten die man mit den Tasten verkürzt. Siehst du?" Fionn spielt eine kurze Melodie. "Und hier haben wir die Schnarre. Je nachdem wie man sie einstellt, kann man damit den kleinen Steg hier vorn zum vibrieren bringen und das ergibt diesen schnarrenden Laut." Er führt es mir vor und nicht nur der Steg vibriert. So nah bei ihm zu sitzen, in diesem kleinen Zelt, bringt mein Blut geradezu in Wallung.

"Willst du auch mal?"

"Wer? Ich?"

"Wer denn sonst? Oder siehst du noch jemanden hier?" Fionn lacht und schnallt sich das Instrument wieder ab. "Hier. Sei aber vorsichtig mit dem guten Stück."

Ich nehme ihm das gute Stück ab und lege es auf meine Oberschenkel. "War sie teuer?"

"Oh ja!", sagt er und setzt sich hinter mich. Wie soll ich da noch vorsichtig sein? Besonders da wir ja alle wissen, wie es ausgehen kann, wenn Fionn hinter mir herumlungert. Jedoch weiß das Fionn leider nicht, und rückt komplett an mich heran, sodass ich mit meinem Rücken an seiner Brust lehne.

Das überlebe ich nicht! Ich bin ihm so nah, sicher spürt er wie nervös mich dieser enge Kontakt macht.
 

"Hast du sie fest geschnallt?"

"Ähm ... Nein."

"Haben wir gleich." Seine Hände fummeln an meiner Seite herum und zurren den Gurt fest. Oh Fuck! "Hand her." Meine Rechte wird auf die Kurbel gelegt. "Die Handfläche an den Knauf und halte deine Hand erst einmal so offen."

"Okay."

Er zupft an den Seiten, legt dann seine Handfläche auf meinen Handrücken und beginnt gleichmäßig zusammen mit mir an der Kurbel zu drehen.

"Das geht ja leicht."

"Weil ich die Seiten vom Rad gemacht habe", lacht er. Warm streift sein Atem meinen Nacken. Die Härchen dort stellen sich auf und ich bekomme Herzstolpern. "Du musst zu aller erst ein Gefühl für's Drehen bekommen." Oh wenn der wüsste! Gefühle habe ich gerade ziemlich viele! Und die drehen sich auch wie wild.
 

"Ich glaub, ich hab's kapiert", sage ich nach ein paar Minuten, weil ich es einfach nicht mehr aushalte vor Anspannung.

"Wenn du meinst. Dann mach weiter." Ich drehe allein weiter während Fionn mir dabei über die Schulter hinweg zuschaut.

"Wie lange spielst du schon?", frage ich ihn, versuche mich irgendwie abzulenken.

"Sechs, sieben Jahre ungefähr. Mein Vater brachte mir eine alte Drehleier vom Flohmarkt mit. Ein Dachbodenfund. Sie funktioniere nicht mehr, also suchte ich jemanden der mir helfen konnte. So kam ich zu einem Instrumentenbauer. Er half mir und wir bekamen es irgendwie hin. Sie spielte, zwar nicht gut, aber immerhin. Dann las ich in einer Anzeige von einem Drehleierbauer und so kam ich zu dieser hier. Nach langem sparen."

"Oh. Also muss ich wirklich vorsichtig sein."

"Ich bitte drum. Und nicht ans Rad fassen! Sonst gibt es Tonaussetzer." So viel zu beachten und ich spiele noch gar nicht! Und das Fionn die ganze Zeit mit seinem Oberkörper an meinen Rücken lehnt macht das alles natürlich auch nicht besser.
 

"So. Jetzt mache ich mal eine Seite ans Rad." Die Kurbel geht sofort etwas schwerer zu drehen. "Schön gleichmäßig weiter drehen." Noch eine Seite kommt dazu.

"Kann ich jetzt spielen?", frage ich und streiche vorsichtig über die Tasten.

"Versuchs. Warte. Hier den kleinen Finger drauf. Das ist das C." Er zeigt mit die C-Taste. "Die Hand schließt du jetzt so um die Kurbel. Und dabei das Handgelenk nicht bewegen. Der Knauf muss ganz locker in deiner Handöffnung liegen." Ich bekomme den richtigen 'Griff' gezeigt.
 

Ganz so unmusikalisch bin ich selbstverständlich nicht und kann sogar ein paar Melodien, die ich gleich ausprobiere. Mit mäßigen Erfolg. "Ist schwieriger als gedacht. Ich vergesse die ganze Zeit zu drehen." Mal ganz abgesehen davon, dass ich eigentlich Gitarre spiele.

"War doch schon gut. Aber jetzt weißt du, warum du erst nur die Kurbel drehen solltest."

"Vollkommen! Da hattest du wohl recht", grinse ich und probiere weiter. Langsam macht mir das Drehleierspielen echt Spaß.

Fionn zeigt mir einige leichte Melodien, während er mit mir zusammen kurbelt. Seine Hand ist ganz warm und ich bin so froh, dass mich das Spielen genug ablenkt. Nicht auszudenken, wenn er merken würde, wie es in meinem Inneren gerade aussieht!

"Nein! Das war schief!", lacht Fionn. "Drück nicht so zimperlich. Du musst schon richtig die Seite anschlagen."

"Mach ich doch!" Ich will ja nicht seine Drehleier kaputt machen.
 

Wir 'üben' noch etwas, albern herum und ich bekomme es wirklich langsam hin mit dem Drehen und dabei gleichzeitig eine Melodie zu spielen.

Ich lehne mich näher an ihn und genieße diese Nähe. Sein Kopf ist so nah, dass ich meinen nur etwas drehen bräuchte, um …

Aber was denke ich da wieder? Ein solcher Moment, wie der am Feuer, lässt sich nicht planen. Er passiert einfach.

Obwohl es jetzt schon irgendwie passen würde. Wir beide, ganz allein, in einem spärlich beleuchteten Zelt. Draußen spielt jemand leise Musik …

"Keine Lust mehr?"

"Hm?" Fragend drehe ich den Kopf nach hinten.

"Du hast aufgehört zu spielen. Deshalb frage ich." Hab ich das? Ich weiß nicht so genau, denn plötzlich ist Fionns Mund so verdammt nah …

Ich realisiere kaum, wie sich Fionns Hand auf meine Wange legt. Dafür pocht mein Herz viel zu schnell. Und auch, dass aus seinem sonst immer so frechen Grinsen ein erwartungsvolles Luftanhalten geworden ist, nehme ich nur am Rande wahr.

'Es passiert! Gleich küssen wir uns!'
 

"Fionn?!" Der Zelteingang fliegt auf und wie vom Blitz getroffen schrecken wir auseinander. "Emilia ist da!" Rochelles Kopf schwebt keine fünfzig Zentimeter von uns entfernt im Zelteingang herum. Wie der große, mächtige Zauberer von Oz. Oder sollte ich besser sagen, wie der große, mächtige Zauberer von nicht-schon-wieder-wurden-wir-bei-unserem-fast-Kuss-unterbrochen?

"Sie ist doch noch gekommen?" Fionn sammelt sich schneller als ich. "Bin sofort da!" Er strahlt richtig und steht auf. An meinem Rücken wird es unangenehm kalt. "Sorry. Das wiederholen wir, ja? Leg die Drehleier einfach hin."

"Klar. Kein Problem", sage ich und schon ist er aus dem Zelt.
 

Der eben noch empfundenen Euphorie weicht pure Enttäuschung und Fassungslosigkeit.

Das wiederholen wir? Hat er das eben wirklich gesagt?

Doch nicht nur seine Wortwahl lässt mein Gemüt gen Nullpunkt sinken. Wer ist Emilia und wieso muss er so dringend zu ihr?! Und warum unterbricht er wegen ihr das hier zwischen uns? 'So wichtig kann ich ihm ja nicht sein.' Auf jeden Fall nicht wichtiger als diese dubiose Emilia, über die er sich so freut.
 

Immer noch enttäuscht schnalle die Drehleier ab, lege sie vorsichtig auf die Decke hinter mir und stehe auch auf. Frustriert gehe auf die Suche nach Mat und Peer. Sie stehen am Feuer und schauen in die selbe Richtung.

"Hopla! Das nenne ich aber mal ... schwanger!", sagt Peer, als ich bei den Beiden ankomme.

Ich verstehe erst gar nicht, was er meint. Dann zeigt er drauf. Da steht Fionn. In seinen Armen eine eindeutig hochschwangere Frau. Er tätschelt ihren Bauch und küsst ihre Stirn. Ist das diese Emilia? Weswegen er mich einfach hat sitzen lassen? Kein Wunder ...

"Das muss nichts bedeuten. ... Adrian?! Hey! Wo willst du hin?", ruft mir Mat nach, doch ich habe schon meine Beine in die Hand genommen und laufe in die entgegengesetzte Richtung davon.
 

Niemals hätte ich gedacht, dass mir je etwas so sehr weh tun könnte. Aber dieser Anblick tat es! Er versetzte mir quasi einen so heftigen Schlag in meine Magengrube, dass ich nur noch von hier weg will. So schön es auch eben war, es hatte nichts zu bedeuten. Jedenfalls nicht für ihn.

Von wegen, er steht auf mich! Das sieht doch ein Blinder! Am Arsch! Ich jedenfalls gebe mir das nicht mehr. Ich penn im Auto. Notfalls irgendwo auf der Wiese. Mir egal. Aber zurück zum Zeltplatz gehe ich garantiert nicht mehr!

Wieso nur bin ich mit hier her gekommen? Und wieso habe ich Vollidiot mir auch noch Hoffnungen gemacht? Ich verstehe es einfach nicht. So verletzt wegen eines Typen war ich noch nie! Dabei hatten wir doch noch gar nichts miteinander, bis auf diese beiden Beinahe-Küsse.

Dann ist es also klar: Es wird auch niemals passieren. Was auch immer das gestern und heute zwischen uns war, ich habe es mir nur eingebildet. Reines Wunschdenken! Jetzt heißt es vergessen, ihn und dieses ganze beschissene Wochenende!
 

Wütend über mich und mein immer noch wild schlagendes Herz, reiße ich die Autotür auf. Eine Nacht im Auto. Ganz wie früher. Ich freue mich drauf.

Mit einem lauten Knall schlägt die Autotür wieder zu. Nur ganz leise kann man die Musik vom Zeltplatz hören.

"Ich Trottel!", schimpfe ich mich selbst. "Natürlich hat er eine Freundin!" Eine schwangere obendrein. Wie kann ich da mithalten?
 

***
 

Ein lautes Klopfen weckt mich. Grummelnd ziehe ich mir die Jacke, die mir als Decke dient, über den Kopf.

"Klasse! Überall haben wir nachgesehen, nur im Auto nicht." Mat.

"Schau mich nicht so an! Ich hab gesagt, du sollst ihn in Ruhe lassen und das er noch auftaucht." Peer.

Kalte Luft weht zu mir. "Adrian? Hey! Aufwachen. Es ist Zeit zum Uusammenpacken." Es ist schon morgen?

"Lass mich", zische ich ihn an und rolle mich so gut es geht auf der Rückbank ein. Mir tut alles weh. Ich werde alt!

"Hol schon dein Zeug vom Zeltplatz, du faule Sau! Ich trage dir nicht alles vor'n Arsch." Das Peer immer so nett sein kann. Aber das ist seine Art zu sagen: Mach dir nichts draus. Morgen steht ein anderer Kerl vor deiner Tür. Und jetzt raff dich auf!

"Peer? Hol uns mal einen Kaffee. Bitte!" Peer seufzt theatralisch auf, fügt sich aber Mats Bitte. Ich höre ihn weglaufen.

"Mat, ich will nicht drüber reden", murmle ich gegen den Rücksitz. "Lass mich."

"Du musst auch nicht drüber reden. Aber vielleicht interessiert es dich, dass das nicht Fionns schwangere Freundin war."

"Er ist verheiratet? Klasse. Freut mich für ihn."

"Das war seine Schwester, du vorschneller Vollpfosten. Sie ist mit Hendrik, dem Percussionisten der Band, liiert."

"Und?" Meine Stimme bleibt ruhig, trotz der inneren Aufruhr in mir. "Mat, es ist vorbei. Ich habe ihn abgeschrieben."

"Na, wenn das so ist. Dann schieb deinen Arsch aus dem Auto und hilf uns zusammenpacken."

"Zu müde."

Mat seufzt laut und klatscht mir auf den Hintern. Sowas hat er noch nie gemacht, weswegen ich ihn fragend anschiele. "Du kannst vielleicht dir was vormachen, aber mir nicht. Irgendwann bereust du es, glaub mir."

Ich zucke mit den Schultern und ziehe mir die Jacke wieder über den Kopf. Soll er doch denken was er will! Ich habe keinen Bock auf so ein Drama. Will er mich, oder will er mich nicht? Aber halt! Ich kann ihn ja gar nicht fragen, weil ich ständig Gefahr laufe, in seiner Nähe zu einem stummen Fisch zu mutieren! Jemand, der aus mir ein schwitzendes, stotterndes Etwas macht, kann gar nicht gut für mich sein. Wie soll ich ihm sagen, was in mir vorgeht? Und wie soll ich ihm erklären, warum ich gestern abgehauen bin? Aber vor allem: Ein Kerl, der mir schon nach nur so kurzer Zeit einen solchen Stich im Herzen bereiten kann, bloß weil er eine schwangere Frau auf die Stirn küsst, der kann gar nicht gut für mich sein. Ein eindeutiger Beweis, dass ich die Finger von ihm lassen sollte.

Also adieu Fionn! War nett dich kennen gelernt zu haben.
 

Die Autotür knallt zu und endlich habe ich wieder meine Ruhe. Soll Mat jetzt eben sauer auf mich sein und Peer sich über mich lustig machen. Ich bleibe bei meiner Entscheidung.

'Das war seine Schwester', geistert es durch meinen Kopf. Und wenn schon? Meine Entscheidung steht! Nachher fahren wir hier weg und ich sehe ihn sowieso nie wieder.
 

******
 

Und Ende.

Quatsch! XD

Es geht natürlich weiter. Also bitte nicht ärgern, weil hier das Kapitel mit einem Cliff endet. *gg*



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Yamasha
2017-08-15T20:00:42+00:00 15.08.2017 22:00
Diese Spannung zwischen den beiden die du aufbaust, dann Fionns Schwester und dann dieser Cliffhanger... Nenn mir nur EINEN Grund, wieso ich ich nicht sofort unangespitzt in den Boden rammen sollte... *bedrohlich guck*
Antwort von:  Saavik1701
15.08.2017 22:18
Weil sie sonst keine tollen Storys mehr schreiben kann?

Also lass sie leben, sonst erfahren wir nie, wies weitergeht! XD


@Fara - Tolle Geschichte, super aufgebauter Cliff und wenns Deine Jungs wirklich gäbe, hätt ich endlich mal nen Grund, auf ein MPS zu gehn... XD
Antwort von:  Yamasha
16.08.2017 17:07
Gut, akzeptiert... Widerwillig ;P
Antwort von:  Fara_ThoRn
27.09.2017 20:44
xD Genau! Lasst mich leben. Dann kommt auch gleich wieder das nächste Kapitel. ^^
Also für mich gilt der andere Fall: Ich bräuchte mal nen Grund, um nicht auf ein MPS zu gehen xD


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