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Raupe im Neonlicht

von

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Kapitel 17

Was zuletzt geschah:

Die Katze ist aus dem Sack. Nach langem Hin und Her, einer unrühmlichen Begegnung mit einem anderen Mann und der Erkenntnis, dass diese nicht ganz unbemerkt geblieben ist, entschließt sich Jonas, Erik endlich reinen Wein einzuschenken und ihm seine Gefühle zu gestehen.

Unglücklicherweise reagiert Erik nicht wie erhofft und Jonas tritt geknickt den Rückzug an.

 

Kapitel 17

Die Sitzbank war hart und kalt und Jonas froh, die Lichter der einfahrenden Bahn zu entdecken. In einem Versuch, die Welt aus seinem Kopf zu verbannen, suchte er sich einen Platz am Ende des Abteils, stopfte die Stöpsel seiner Kopfhörer in seine Ohren und durchwühlte sein Handy nach einem adäquat aggressiven Song.

Die ihm nächste Zugtür quietschte erbost, als sich im letzten Augenblick noch jemand in den Waggon quetschte und beinahe hätte Jonas es ihr gleichgetan, denn dieser jemand ließ sich ausgerechnet auf den Platz ihm gegenüber fallen. Er bemühte sich, den Neuankömmling zu ignorieren, kam jedoch nicht umhin, einen flüchtigen Blick auf die verschwommene Reflektion im Fenster zu werfen. Perplex zog er sich die Kopfhörerstöpsel aus den Ohren. „Erik?“

Verschwitzt und keuchend saß Erik vornübergebeugt auf seinem Platz. „Ich … musste …“ Nach jedem Wort sog er pfeifend Luft ein.

„Scheiße, komm erst mal wieder zu Atem!“ Das würde hoffentlich auch ihm selbst Zeit geben, seine Gedanken zu sortieren. „Bist du den ganzen Weg hierher gerannt?“

Stumm nickte Erik.

„Du spinnst ja!“

Die Strecke war nicht besonders weit, aber um dieselbe Bahn wie Jonas zu erwischen, musste Erik sie in Rekordzeit zurückgelegt haben. Abgehackt und viel zu leise nuschelte dieser eine Antwort.

„Was?“

„Sagte … sollte … wieder … öfter Joggen … gehen.“

„Oder einfach keinem Typen nachrennen, den du fünf Minuten vorher aus der Wohnung geschmissen hast.“ Jonas‘ Kommentar hatte wesentlich weniger humorvoll geklungen als geplant, aber er war das Beste, wozu er im Moment fähig war. Zweifelnd musterte er Erik. „Wieso bist du mir nachgerannt?“

Obwohl sich Eriks Atmung allmählich beruhigte, blieb er still; öffnete lediglich ein paar Mal den Mund, nur um ihn gleich darauf wieder zu schließen. Dafür hallte plötzlich seine Antwort auf Jonas‘ Liebesgeständnis in dessen Kopf. ‚Ich weiß nicht, was ich dir dazu sagen soll.‘ Bisher war Jonas nicht auf die Idee gekommen, den Satz einfach wörtlich zu nehmen und vielleicht war das ein Fehler gewesen.

War es möglich, dass Erik mit der ganzen Situation einfach ebenso überfordert war wie er selbst? Und versuchte er gerade, eine Tür, die Jonas für endgültig geschlossen gehalten hatte, wieder einen Spalt weit zu öffnen?

An der nächsten Haltestelle sprang Jonas auf. Das war kein Gespräch, das er in einer Bahn führen wollte, in der links und rechts neugierige Ohren auf ein wenig Drama warteten. „Lass uns ‘n Stück zu Fuß gehen.“ Er griff nach Eriks Mantelärmel und zog ihn mit sich auf den Bahnsteig.

Feiner Nieselregen verwandelte Straßenlaternen in flitternde Lichter und Pflastersteine in gefrorene Seen. „So ‘ne Scheiße …“ Fröstelnd zog Jonas seine Lederjacke enger um den Körper. Im Grunde war sie ungeeignet für diese Temperaturen, aber er konnte sich nicht überwinden, eine andere anzuziehen. Ziellos lief er die nächstbeste Straße entlang.

Eriks Schritte neben ihm verlangsamten sich, bis er ganz stehen blieb. „Ich mache es jetzt einfach kurz, dann können wir beide wieder nach Hause.“ Er seufzte. „Ich bin dir nach, weil es mir unfair erschien, dich in dem Glauben zu lassen, du seist der einzige von uns beiden, der Gefühle entwickelt hat.“

„Oh.“ Jonas brauchte einen Augenblick, um Eriks Worte sacken zu lassen. „Das … Das is‘ doch was Gutes, oder nich‘?“

„Ist es?“, fragte Erik. „Im Moment fühlt es sich nämlich nicht gut an.“ Er zögerte, rang nach Worten. „Ich denke, es ist besser, wenn wir die Sache zwischen uns an dieser Stelle beenden.“

Jonas‘ kurzfristig aufgeflammter Enthusiasmus verpuffte. „Sorry … Schon klar, dass du nach gestern keinen Bock mehr auf mich hast.“

„Es geht nicht um gestern!“ Erik grub seine Hände tiefer in die Taschen seines Wollmantels. Jonas konnte sich nicht erinnern, ihn jemals so gereizt erlebt zu haben.

„Worum geht‘s dann?“

„Es geht darum, dass wir nicht zusammenpassen. Das sollten wir einsehen, bevor es noch …“, wieder ein kurzes Zögern, „… schmerzhafter wird."

Um die Kälte ein wenig in Schach zu halten und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte, trat Jonas von einem Fuß auf den anderen. „Wie soll ich das verstehen? Was passt denn nich‘?“

„Wir stehen einfach an sehr unterschiedlichen Punkten in unserem Leben …“

„Oh, komm schon!“ Jonas hätte schreien können vor Frustration. „Sagst du mir als nächstes vielleicht, ich sei nich‘ dein Typ? Dass es wirklich gar kein bisschen an mir, sondern nur an dir liegt? Du dich grad echt auf deinen Job konzentrieren musst? Vielleicht noch ‘n paar Floskeln mehr? Scheiße, du könntest wenigstens mit der Wahrheit rausrücken!“ Erschrocken über den schrillen Ton in seiner Stimme und die Tränen in seinen Augenwinkeln verstummte Jonas. Rasch wandte er sich ab, lief ein paar Meter die Straße hinunter. Er war sich nicht sicher, ob er die Schritte, die ihm nach wenigen Sekunden folgten, tröstlich oder lästig fand. „Sorry“, presste er hervor. „Ich bin wohl echt ‘ne Dramaqueen. Aber … können wir bitte endlich über diese ganze Scheiße quatschen? In Ruhe und ohne, dass einer von uns voreilig abdampft?“ Jonas wagte es nicht, Erik anzusehen und jede verstreichende Sekunde nahm ihm ein Stück seiner Hoffnung, bis er zusammenzuckte, als er endlich eine Antwort erhielt.

„Das Café da vorne scheint noch geöffnet zu haben. Wärmen wir uns doch ein paar Minuten auf.“

Die Sanftmut in Eriks Stimme nahm einen Stein von Jonas‘ Herzen und fügte einen anderen hinzu. Ergeben schlich er in Richtung des kleinen Ladens.

Dunkle Möbel und spärliche Beleuchtung verbreiteten eine heimelige Atmosphäre, die ausgezeichnet zu der heißen Schokolade in Jonas‘ Händen passte. Sein Blick schweifte über die leeren Tische und blieb kurz an der Barista hängen, die aussah als dürfte sie ihrem Job in frühestens drei Jahren nachgehen. Sie wirkte ausgesprochen bemüht, den beiden einzigen Gästen keine Beachtung zu schenken. Als Jonas nichts mehr fand, mit dem er sich ablenken konnte, wandte er seine Aufmerksamkeit Erik zu.

„Fangen wir noch mal von vorne an?“, bot dieser an.

„Das is‘ wahrscheinlich nich‘ schlechteste Idee.“ Jonas rang sich ein Lächeln ab. „Wie ist dein Tee?“

„Grün.“

„Witzig.“ Konzentriert musterte Jonas die Maserung des Holztisches. „Ich sollte mich wohl bei dir entschuldigen. Für eben. Für gestern. Für alles.“

„Lass uns den Teil mit den Entschuldigungen für später aufheben. Als ich vorgeschlagen habe, noch mal von vorne anzufangen, meinte ich das auch so. Vergessen wir mal kurz, was passiert ist, seit ich dir die Tür aufgemacht habe, ja?“

„Okay.“ Jonas lächelte schief. „Hi, Erik. Ganz ungewohnt, mal wieder einen Sonntag mit dir allein zu verbringen. Hatte fast vergessen, wie deine Wohnung aussieht.“

Immerhin entlockte er Erik damit ein Lächeln. „Schön dich zu sehen. Wie war deine Woche?“

„Beschissen.“ Jonas entschied, ihr Spiel noch ein wenig weiterzutreiben. „Dachte, der Typ auf den ich steh könnt vielleicht ähnlich fühlen, aber seit letztem Samstag bin ich mir nich‘ mehr sicher. Und hab dann selbst richtig Mist gebaut.“

„Warum bist du dir nicht mehr sicher?“, hakte Erik nach.

Jonas trank einen Schluck Kakao, unschlüssig, wie er diese Frage beantworten sollte. „Wir waren weg und … Ach, scheiß drauf! Ich hab mich sowas von gefreut, als du mich ins Theater eingeladen und Marco und Drago vorgestellt hast, weil ich dachte … Ich dachte, das heißt, ich bin ‘n bissl mehr als ‘ne einfache Fickbekanntschaft. Aber dann warst du so … kühl.“

„Ich war kühl?“ Erik war sichtlich darum bemüht, den Vorwurf aus seiner Stimme herauszuhalten. Es wollte ihm nicht ganz gelingen.

„Du … du hast mich einfach nur behandelt wie einen x-beliebigen Freund“, versuchte Jonas zu erklären. „Keine Umarmung zu Begrüßung oder zum Abschied. Und im Theater … Ich hatte extra meine Hand auf die Lehne gelegt. Ganz nah an deiner. Aber du hast sie komplett ignoriert. Das … hat mich ganz schön verunsichert.“

Verdutzt blinzelte Erik. „Ich habe nichts davon getan, weil du mir gesagt hast, dass du so etwas in der Öffentlichkeit nicht willst.“

„Oh.“ Jonas erinnerte sich an ihr Gespräch. „Das … ach, fuck!“ Er barg das Gesicht in den Händen. „Du hast recht, das hatte ich wirklich gesagt.“

„Also hättest du dir gewünscht, dass ich deine Hand halte?“

„Vielleicht hätte ich mich unwohl gefühlt, wenn’s soweit gewesen wäre, aber … Ja, darauf gehofft hatte ich schon irgendwie“, gab Jonas zu. „Ich meine, ich hatte letzte Woche trotzdem echt Spaß mit euch … mit dir. Aber als wir dann im Duo waren und da dieser Typ kam und ich dich mit dem anderen gesehen habe …“

„Stopp, stopp, stopp“, unterbrach Erik ihn. „Welcher Typ? Welcher andere?“

„Naja … Da war so ein Kerl, der mich beim Tanzen darauf aufmerksam gemacht hast, dass … Ähm, dass du dich grad mit ‘nem andren unterhältst und meinte …“ Diese ganze Sache mit der Ehrlichkeit war noch viel schwieriger als Jonas erwartet hatte. Er wollte reinen Tisch machen, aber es wäre ihm lieber gewesen, sich dabei nicht so dumm vorzukommen. „Der Typ meinte, ich solle mich besser dran gewöhnen, dich nich‘ lang für mich zu haben.“

„Aha. Und das hat gereicht, dich zu überzeugen? Wir kennen uns seit Monaten und ein einziger Satz eines Typen, den du davor noch nie gesehen hast, stellt deine Meinung über mich völlig auf den Kopf?“

„Nein! Nein, das war … Das … Du …“ Unter dem Tisch ballte Jonas die Hände zu Fäusten. Warum war immer er an allem schuld? „Du hast dich nun mal mit ‘nem anderen unterhalten! Und wer weiß, was noch alles!“

„Ich habe nichts getan, das–“

„Der blonde Typ?“, unterbrach Jonas ihn. „Mit dem du dich in den hinteren Teil vom Duo verzogen hast, nachdem ich es gewagt hatte, mal fünf Minuten ohne dich auf die Tanzfläche zu verschwinden?“

„Ich habe ehrlich nicht die geringste Ahnung, wovon du–ah! Ah.“ Erik legte den Kopf in den Nacken und strich eine lose Strähne hinter sein Ohr. „Jetzt kommt allmählich Licht ins Dunkel. Du hast vermutlich mich und Tyler gesehen.“

„Kann schon sein.“ Woher sollte Jonas das wissen?

„Ein Stück kleiner als ich, blond und ungefähr zwanzig Piercings allein oberhalb des Schlüsselbeins?“

Jonas nickte. Das war eine ziemlich treffende Beschreibung, auch, wenn sie andeutete, dass Erik wusste, wie viele Piercings sich unterhalb des Schlüsselbeins befanden.

„Tyler ist ein … Freund.“ Jonas war das kurze Zögern nicht entgangen, aber er hatte nicht die Kraft, nachzuhaken. Auch Erik schien nicht in der Stimmung zu sein, weitere Erklärungen zu liefern. „Und der, der dich angesprochen hat, war eher schmal gebaut, mit braunen Haaren, Bart und einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen?“

„Kommt hin.“

„Dann hast du den Grund kennengelernt, warum ich das Duo in den letzten Monaten gemieden habe. Er ist ein wenig anhänglich geworden, nachdem wir …“ Erik ließ den Satz unvollendet. „Eigentlich war klar, dass das eine einmalige Sache sein sollte. Jedenfalls dachte ich, es wäre klar gewesen.“ Beinahe schwappte sein Tee über den gläsernen Rand der Tasse, als er sie gereizt schwenkte. „Tut mir leid, dass du da mit reingezogen wurdest.“

„Schon gut“, murmelte Jonas, ohne recht zu wissen, was er von der Sache halten sollte. „Ich war nur eh schon so verunsichert, ob da mehr zwischen uns is‘, oder ich mir das alles einbilde und dich dann mit dem anderen zu sehen … So … so verflucht zärtlich … Keine Ahnung, ich hatte wohl einfach gehofft, dass du nur mit mir so umgehst.“

„Zärtlich?“, wiederholte Erik. „Was war an unserem Gespräch denn bitte ‚zärtlich‘?“

Hilflos drehte Jonas die Handflächen nach oben und suchte nach passenden Worten. „Irgendwie alles. Zum Beispiel die Art, wie du mit seinen Haaren gespielt hast. Und dann hast du dich vorgebeugt und ich dachte … Es sah aus als ob du ihn … Ihr saht einfach scheißvertraut aus.“

Erik wirkte ehrlich verwirrt. „Ich kann mich nicht erinnern …“ Er schloss die Augen. „Ah, doch. Ich glaube, jetzt weiß ich, was du meinst. Ich habe mir Tylers neues Piercing angesehen. Ein, ah, Snug oder so? Irgendwas im Ohr. Jedenfalls waren seine Haare im Weg, also habe ich sie zur Seite geschoben. Was … möglicherweise aus der Ferne einen falschen Eindruck gemacht haben könnte.“ Seufzend lehnte er sich nach vorne. „Und weil ich weiß, dass du dir diese Frage stellst, selbst wenn du sie jetzt nicht laut aussprichst … Ja, wir hatten gelegentlich Sex. Allerdings bestimmt nicht an diesem Abend – oder überhaupt in den letzten Wochen.“

„Oh. Okay.“ Jonas hatte keine Ahnung, was er mit dieser Antwort anfangen sollte. Da war nur dieses diffuse Gefühl, dass sie nicht ausreichte. „Habt ihr jemals … Ich meine … Wart ihr mal zusammen?“

„Nein.“ Kein Zögern, kein Hinweis auf eine Lüge. „Es gab eine Zeit, kurz nachdem wir uns kennengelernt hatten, in der wir wohl beide ausgelotet haben, ob es mehr werden könnte. Es wurde nie mehr und ich kann dir versichern, dass von meiner Seite aus keinerlei romantische Gefühle involviert sind oder waren.“ Eriks Züge wurden weicher. „Aber ich kann verstehen, wenn das falsch rüberkam.“

„Nee, das …“ Jonas versuchte sich an einem Lächeln, aber es wollte ihm nicht so recht gelingen. „Ich hätte ja auch einfach mal nachfragen können.“

„Wäre eine Option gewesen.“

Das erzwungene Lächeln verwandelte sich in ein bitteres Lachen. „Das hätte den ganzen Scheiß hier vermutlich wesentlich einfacher gemacht. Wahrscheinlich würden wir’s grad selig miteinander treiben, wenn ich einfach gleich den Mund aufgemacht hätte.“

Erik erwiderte sein Lächeln nicht. „So gut ich es finde, dass wir dieses Missverständnis aus dem Weg räumen konnten, es ändert nichts an der Tatsache, dass ich keine Zukunft für uns sehe.“

Jonas biss die Zähne zusammen, eisern entschlossen, seine Enttäuschung durch Worte statt Lautstärke zu artikulieren. „Verrätst du mir wenigstens, warum? Du sagst, du hast Gefühle für mich, aber du findest es nich‘ gut, danach zu handeln. Laut dir hat das aber nix mit gestern zu tun. Trotzdem hast du bis dahin fröhlich jeden Tag mit mir geschrieben. Ich mein … Wär‘ es nich‘ sinnvoller gewesen, auf Abstand zu gehen, wenn du merkst, dass sich was zwischen uns entwickelt und du das eigentlich nich‘ willst? Statt mir Hoffnungen zu machen? Mir auch noch nachzulaufen, wenn ich gerade versuche zu akzeptieren, dass es vorbei ist? Und was sollte das in deiner Wohnung? Keinen Bock auf ‘ne Beziehung mit mir, aber zum Ficken bin ich dann doch grad noch gut genug?“

„Was? Nein! Jonas, ich …“ Schuldbewusst zerrupfte Erik das Papierschildchen an seinem Teebeutel, trank einen Schluck, drehte die Tasse zwischen den Händen, trank erneut, spielte mit den Überresten des Beutels. „Dich mit einem anderen Mann zu sehen, tat ganz schön weh.“

„Ja, ich weiß, dass ich das versaut hab!“, rief Jonas ungeduldig. „Aber das gibt dir nicht das Recht …“ Erik hob die Hand und er verstummte.

„Das war keine Kritik an dir. Wir haben nie über Exklusivität gesprochen. Noch nicht einmal über die Möglichkeit. Es ist nur …“ Er seufzte. „Du bist nicht der Einzige, der sich Hoffnungen gemacht hat, dass das zwischen uns mehr werden könnte. Im Nachhinein verstehe ich jetzt, wie es zu der Situation gestern gekommen ist, aber bis vorhin musste ich davon ausgehen, dass du unser Verhältnis anders siehst als ich. Das wäre der Moment gewesen, in dem ich einen klaren Schnitt hätte machen sollen, stattdessen habe ich mit Trotz reagiert und mir eingeredet, dass ich das zwischen uns genauso emotionslos betrachten kann wie du.“

„Deshalb der Überfall an der Tür …“

„Es tut mir wahnsinnig leid“, sagte Erik geknickt. „Ich habe meine schlechte Laune und meine Unsicherheit an dir ausgelassen und das auf eine Art, die … mehr als ekelhaft ist.“

Jonas zuckte mit den Schultern. „Das macht dann zwei aus uns. Aber das heißt doch, dass es sehr wohl mit gestern zusammenhängt! Wenn R–“, er stoppte, wollte diesen Namen nicht laut aussprechen, „der andere nich‘ gewesen wäre …“

„Vielleicht hast du recht“, räumte Erik ein. „Es hat mit gestern zu tun. Aber nur indirekt. Wie gesagt, dich mit einem anderen zu sehen war schmerzhaft, aber dann zu hören, dass meine Gefühle nicht einseitig sind …“ Er zeigte den Hauch eines Lächelns. „Ich hätte mir etwas weniger Drama gewünscht, aber einen Moment lang war ich wirklich glücklich. Bis mir bewusst geworden ist, dass, wenn es mich jetzt schon so mitnimmt, obwohl wir eigentlich kaum Zeit miteinander verbracht haben, ich nicht wissen will, wie es sein wird, wenn wir das hier weiterlaufen lassen und es aus irgendeinem Grund nicht funktioniert. Und, dass es eine Menge Gründe gibt, weshalb es nicht funktionieren wird.“

„Weil ich offensichtlich dazu neige, mit anderen zu vögeln, wenn’s zwischen uns grad nich‘ so läuft wie ich mir das vorstelle.“

„Da gibt es noch ganz andere Punkte.“

„Du scheinst dir echt schon ‘ne Menge Gedanken gemacht zu haben, was mit mir so alles schiefläuft“, stellte Jonas bitter fest. „Verrätst du mir wenigstens, wo meine Fehler sind?“

Deine Fehler?“, wiederholte Erik perplex. „Jonas! Es geht hier nicht um deine Fehler! Wenn ich dich nicht so verflucht mögen würde, würden wir dieses Gespräch doch gar nicht führen! Es geht um …“ Frustriert schüttelte er den Kopf und zog den rechten Ärmel seines Oberteils ein Stück nach oben, gerade weit genug, um die Ansätze seiner Narben zu enthüllen. „Früher habe ich versucht, die hier zu verstecken, aber inzwischen gehe ich recht offen damit um. Die Arbeit war eigentlich die einzige Ausnahme und selbst meine Chefin weiß davon. Bis ich dann entschieden habe, dir jemanden vorzuspielen, der besser ist als die Realität. Du hast keine Ahnung, wer ich bin. Wie … kompliziert ich sein kann.“

„Scheiße, erzählst du mir gleich noch, dass du zu gefährlich für mich bist? Und ich ohne dich viel glücklicher sein werde?“

„Zugegeben, das war jetzt ein wenig melodramatisch“, räumte Erik ein. Seine Mundwinkel zuckten. „Ich fürchte einfach, dass du nur eine idealisierte Form von mir kennst. Die Realität ist …“

„Genau das, was ich kennenlernen will“, entgegnete Jonas. „Klar hab ich dich am Anfang idealisiert. Weiß ich. War ja irgendwie auch ganz geil, solang wir uns nur zum Vögeln getroffen haben. Aber angefangen, dich wirklich zu mögen, hab ich erst, als diese Fassade Risse bekommen hat.“ Er schnaubte. „Außerdem hätte ich echt überhaupt keinen Bock drauf, mich ständig unterlegen zu fühlen. Schlimm genug, dass du älter, reifer, erfahrener und den ganzen Scheiß bist. Da musst du nich‘ auch noch Superman sein.“

Endlich zeigte Erik den Hauch eines Lächelns.

„Und was deine Schwächen angeht, musst du mich schon selbst entscheiden lassen, ob ich damit umgehen kann. Ich mein, guck mal, ich bitte dich ja nich‘, mich vom Fleck weg zu heiraten, oder auch nur gleich auf glückliche Beziehung zu machen. Alles was ich will, is‘ ‘ne Chance. Treffen wir uns weiter. Lernen wir uns richtig kennen. Wenn’s klappt, isses super und wenn nich‘ … Dann tut das vielleicht weh, aber wir wissen wenigstens, woran wir sin‘.“ Jonas streckte seine Hand nach Eriks aus, allerdings nicht, ohne zuvor einen verstohlenen Blick durch den Raum zu werfen, um sicher zu gehen, dass sie nicht beobachtet wurden. Als er sich wieder umdrehte, hatte Erik seine Hand zurückgezogen und starrte in seine Teetasse.

 

Frustriert und erschöpft kam Jonas nach Hause, pfefferte Jacke und Schuhe in ein Eck und warf sich mitsamt seinen übrigen Klamotten aufs Bett. Hätte das Wochenende noch ein klein wenig beschissener laufen können? Anstatt ihn mit einem klaren ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ nach Hause zu schicken, hing nun Eriks ‚Vielleicht‘ im Raum. Vielleicht würden sie sich noch einmal wiedersehen. Vielleicht war es das jetzt aber auch einfach. Vielleicht waren sie beide absolute Idioten. Nein, letzteres war definitiv der Fall.

Gedanken rotierten in Jonas‘ Kopf. Ständig tauchte die Frage auf, ob er es hätte besser machen können. Ob es seine eigene Feigheit gewesen war, die zu diesem Desaster geführt hatte. Irgendwann war er es leid, darüber nachzudenken. Er wollte einfach nur schlafen. Zum Glück schien der Tag sämtliche Kraftreserven seines Körpers aufgebraucht zu haben und Jonas sank rasch in eine Bewusstseinsebene, die ihn von seinen Zweifeln befreite.

Bässe hämmerten in Jonas‘ Magen, schrille Töne stachen in seine Trommelfelle. Gute dreißig Minuten wälzte er sich im Bett, aber der Versuch, den Lärm aus der Nachbarwohnung zu ignorieren und wieder einzuschlafen scheiterte kläglich. Müde und noch schlechter gelaunt als zuvor, stand er auf und schlurfte zur gegenüberliegenden Wohnungstür. Den Finger auf der Klingel, wartete er, bis jemand dem konstanten Schrillen nachgab.

Jonas war beinahe erleichtert, als die junge Frau, die dafür gesorgt hatte, dass er doch noch an sein Päckchen gekommen war öffnete. Ihre Augen waren glasig und die Luft um sie herum alkoholgeschwängert. „Was willst du?“

„Ähm, hi.“ Jonas kopierte ihr halbseitiges Lächeln. „Ich will ja echt kein Spielverderber sein, aber ich hab ‘nen beschissenen Tag hinter und ‘nen echt langen vor mir. Könntet ihr also die Musik ‘n bissl leiser drehen?“

Das Lächeln der Frau blieb unverändert. „Klar, Kleiner. Was immer du willst.“

Bumm. Da war die Tür auch schon wieder zu.

Einen wundervollen Augenblick lang glaubte Jonas, seine Bitte hätte geholfen. Bis er erneut im Bett lag und die Musik noch ätzender und noch dröhnender wurde. Damit war sein letztes Bisschen Geduld aufgebraucht und er tat etwas, das er nie von sich selbst erwartet hätte. „Hallo, Polizei? Ich möchte eine Ruhestörung melden.“

Es dauerte eine Weile, doch irgendwann hörte er Schritte, Stimmen und danach kehrte endlich Ruhe ein.

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Sie reden miteinander! Also … so irgendwie. Yay?

An dieser Stelle nochmal einen ganz herzlichen Dank für alle Reviews, Favs, Empfehlungen und Klicks! Ich würde ja sagen, dass ihr mich dazu motiviert, weiterzuschreiben, aber die Geschichte ist ja schon abgeschlossen ^^;
(Ganz, ganz vielleicht habe ich allerdings begonnen, an einem Prequel zu schreiben …)


Liebe Grüße, schönes Wochenende und frohe Feiertage! Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2018-07-26T20:36:22+00:00 26.07.2018 22:36
Boah nee, diese 'Vielleichts' sind das Schlimmste, das es auf zwischenmenschlicher Ebene geben kann... Ich dass es nicht, dass die Beiden da rein geraten sind =___=; aber wenigstens ham sie mal generell die Fronten geklärt. Jetzt bin ich erst Recht neugierig, wie es sich mit ihnen entwickelt... Ich sehe da eine schmerzhafte Zeit auf uns alle zukommen (dich ausgeschlossen, denn du bist ja schon erlöst ;D )


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