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Teamgeist

von
Koautor:  Seki

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Die Erpressung

„Was genau ist los?“, fragte Maria leise über den Küchentisch hinweg.

Kyra war einfach nichts besseres eingefallen.

MacKey war in einem fürchterlichen Zustand gewesen. In einem Zustand, in dem Kyra sie nicht hatte allein lassen wollen. Zwar war sie sich nicht sicher gewesen, was sie genau befürchtete – die Topkandidaten waren wohl ein Selbstmordversuch und dass MacKey vielleicht versuchen konnte, Marcel Reilly vorzuwarnen – doch sie konnte zumindest sagen, dass es dumm und herzlos wäre, sie zurück zu lassen.

Mitnehmen konnten sie sie allerdings aus schlecht. Zur Hölle, Kyra versuchte noch immer sich eine Möglichkeit zu überlegen, die sie nicht in Probleme bringen würde. Soweit jedoch erfolgslos.

Letzten Endes war sie zu dem Ergebnis gekommen, dass es am intelligentesten wäre, MacKey irgendwo unterzubringen, wo sich jemand um sie kümmerte, da ihr Mitbewohner offenbar bei seiner Freundin war – oder zumindest so etwas in der Art, denn ihre Antwort war nicht gänzlich konsistent gewesen. Also hatte sie, da sie niemanden anderen kannte, dem sie zutraute, mit dem Mädchen umzugehen, letzten Endes Maria Turner angerufen.

Immerhin hatte sie in den letzten Wochen sich ein paar mal mit ihr getroffen und Maria schien nett und vor allem verständnisvoll und empathisch, beides Dinge, die Kyra nicht unbedingt war.

Nun saß MacKey auf dem Sofa in Marias Wohnzimmer, zusammen mit einer etwas kühlen Charleigh, einer neugierigen Kali und einem etwas verwirrten Watson, während Maria Kyra in die Küche gezogen hatte.

„Na ja“, meinte Kyra und überlegte, wie sie es am besten erklären konnte. Sie hatte es am Telefon schon probiert, jedoch offenbar nur mit mäßigem Erfolg. „Also, ich sollte die Spielerinnen von der Damenmannschaft des Hibernian zu der ermordeten Spielerin befragen.“

„Ja, das habe ich verstanden“, erwiderte Maria müde. „Aber wieso sind die beiden jetzt hier.“

„Nun, von allem was ich verstehe, hat der Manager der Mannschaft zwei Spielerinnen – unter anderem Ms. MacKey die drüben sitzt – erpresst, Sex mit ihm zu haben, und hat dasselbe mit der ermordeten probiert, sie hat ihn dann damit erpresst, dass er versucht hat, sie zu erpressen und er hat sie dafür ermordert. Ms. MacKey drüben ist also ein Opfer und hat außerdem Angst ihren Job in der Mannschaft zu verlieren wegen der ganzen Sachen. Ich konnte sie schlecht allein in ihrer Wohnung lassen, aber ich weiß auch nicht, was ich sonst mit ihr machen soll, da sie sich weigert mit zur Polizei zu kommen.“

Maria hörte ihr zu und musterte sie dabei, schließlich seufzte sie. „Aber ist es nicht auch eine Straftat, Informationen die zur Aufklärung eines Mordes oder so führen können, zurückzuhalten?“

„Ja, ist es“, erwiderte Kyra. „Aber was soll ich gerade mit ihr machen? Die Polizei rufen und ihr auf den Hals hetzen? Dann sagt sie doch nichts.“

Ein weiteres Seufzen war Marias Antwort und sie trank einen Schluck Tee. Kräutertee, da sie anders als Kyra offenbar kein so großer Fan eines gepflegten Earl Grey war. „Und was hast du dann vor?“

„Ich habe darüber nachgedacht, den Manager zu konfrontieren und zu schauen, ihn dazu zu bekommen, sich zu stellen“, erwiderte sie, biss sich dabei jedoch auf die Unterlippe.

„Ist das nicht auch illegal?“, fragte Maria.

„Ja und nein?“, erwiderte Kyra unsicher. „Solange wir keine Gewalt anwenden oder androhen …“

Für einen Moment sah Maria sie nur an. „Und wie willst du ihn dann zum Reden bekommen?“

Kyra zuckte mit den Schultern. „Bluffen?“

Darauf antwortete Maria nicht und Kyra seufzte nun selbst.

„Die Sache ist, dass ich irgendwie nicht glaube, dass Aitken, also Charleigh, die andere Spielerin drüben, es schaft, dem Arsch nicht in die Fresse zu schlagen. Also rein unter der Annahme, dass was MacKey sagt stimmt.“ Ihr Bauchgefühl zumindest sagte, dass es zumindest im Groben stimmte. Ob dasselbe auf alle Details zutraf, konnte sie nicht sicher sagen. „Aber ja, das wäre es dann mit der Gewalt.“

„Das klingt, als wäre das ganze eine echt dumme Idee“, meinte Maria.

Wieder zuckte Kyra mit den Schultern. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich nicht einfach mit Chief Inspector Sutherland, also dem Verantwortlichen für den Fall, sprechen sollte. Ich meine, der könnte diesen Reilly verhören und hoffentlich so etwas herausfinden. Aber ich weiß nicht, ob er mir glaubt, vor allem wenn Madleine MacKey nicht aussagt. Ich kann ja nicht einfach sagen: 'Ja, ein Vögelchen hat mir gezwitschert', oder?“ Sie seufzte genervt und stand auf, da sie einfach nicht ruhig sitzen konnte, während sie über diese Dinge nachdachte. „Ich meine, echt. Der nimmt mich doch nicht mehr ernst!“

Maria überlegte für eine kurze Weile. „Ich verstehe das Problem“, meinte sie dann. „Aber bringst du dich damit nicht nur noch mehr in Probleme.“

Nachdem sie zwei Mal die recht kleine Küche auf und ab gelaufen war, lehnte sich Kyra gegen die Spüle und sah auf die recht alt wirkende Uhr über der Essensecke, laut deren Zeigern es bereits kurz nach acht war. „Ja, tue ich. Aber …“ Sie wich ihrem Blick aus. „Ich will auch nicht, dass so ein Arsch einfach so davon kommt.“

„Also fängst du nun mit Selbstjustiz an?“, fragte Maria nur halb ernst.

„Nein“, erwiderte Kyra. „Aber irgendetwas …“ Sie gab ein genervtes Stöhnen von sich. „Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll, okay?“

Im nächsten Augenblick ließ ein Klopfen an der Küchentür sie zusammenzucken. Sie fuhr herum, gerade als Charleigh – ohne auf eine Antwort zu warten – die Tür öffnete und sie ansah. Ihre Augen funkelten noch immer vor Wut, als sie fragte: „Was ist jetzt?“

Hilfesuchend sah Kyra zu Maria. Sie wusste einfach nicht, was sie tun sollte. Auf der einen Seite, wollte sie ihren Job nicht verhauen, aber auf der anderen Seite … Sie hatte so etwas wie einen Gerechtigkeitssinn. Verdammt noch einmal, dieser war zumindest ein klein wenig auch ein Grund gewesen, warum sie hatte Detektivin werden wollen.

Ihr Gerechtigkeitssinn teilte auf jeden Fall die Meinung Charleigh, dass man Marcel am besten einmal ordentlich – wie Charleigh es ausgedrückt hatte – die „Fresse polieren“ sollte. Doch der rationalere Teil ihres Hirns machte sie nur wieder und wieder darauf aufmerksam, was für eine dumme Idee das war. Es würde sie nicht weiter bringen!

Ach, verflucht. „Lass uns noch ein halbe Stunde warten. Ich habe keinen Bock vorbei zu fahren, wenn die Nachbarn noch etwaig draußen unterwegs sind.“ Vielleicht konnte sie sich so ein wenig Zeit verschaffen.

Wahrscheinlich durchschaute Charleigh sie. Sie verschränkte die Arme vor ihrer Brust, nickte am Ende aber grimmig und ließ sich auf die Eckbank der Essecke fallen. „Okay. Gut.“ Damit schlug sie ihr linkes Bein über das rechte.

Eine unangenehme Stille breitete sich aus, ehe Maria schließlich fragte: „Wie geht es Ms. MacKey?“

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Dreckig. Glaub ich.“ Sie gab ein Grummeln von sich. „Ist mir auch egal.“

Kurz sah Kyra zu Maria und seufzte. Was sollte sie auch groß sagen?
 

Eine Stunde verging und Kyra war noch immer keine gute Lösung eingefallen. Verdammt. Sie hatte sich in dieser Situation irgendwie an eine Wand navigiert.

Immer wieder sagte sie sich, dass sie einfach Sutherland anrufen könnte und dafür sorgen könnte, dass dieser sich MacKey und vielleicht auch Charleigh annahm. Immerhin schuldete sie den ebdien nichts. Und doch tat sie es nicht, wohl wissend, dass dies einfach nur dumm war.

Doch was sollte sie tun?

Ach, wenn sie ehrlich mit sich war, wollte sie selbst dorthin fahren, wollte sie selbst Reilly konfrontieren. Nicht nur aus einem fehlgeleiteten Trieb zur Selbstjustiz, sondern weil ein sehr unvernünftiger Teil in ihr hoffte, dass sie Reilly vielleicht dazu bringen konnte sich zu stellen. Und hey, wenn sie es dann richtig anstellte konnte sie die Lorbeeren einheimsen.

Ja, natürlich wusste sie, dass es wahrscheinlich nicht passieren würdeu nd dass es viel wahrscheinlicher auf das genaue Gegenteil hinaus laufen würde. Doch am Ende stand sie doch auf und sagte: „Nun, wollen wir dann?“

Noch immer saß sie mit Charleigh in der Küche, die mit kühlem Blick auf die Uhr starrte. Sie hatte nicht mehr im selben Raum sein sollen, wie MacKey, zumindest nahm Kyra das an und konnte es durchaus auch verstehen.

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Ja“, meinte sie düster.

Oh, es war so eine dumme Idee. Dennoch ging Kyra ins Wohnzimmer, wo Maria, zusammen mit Watson und Kali gerade damit beschäftigt war, MacKey etwas zu trösten, da diese noch immer weinte. Zur Hölle, das Mädchen sollte wirklich in eine psychologische Ambulanz oder so – Kyra hatte nur keine Ahnung, wie sie sie dahin bekommen könnte. Also konzentrierte sie sich auf die Sachen, die sie aktuell wusste.

„Maria“, flüsterte sie leise.

Die andere Frau sah auf, nickte ihr zu, strich MacKey noch einmal über die Schulter und stand dann auf, um leise mit ihr zu reden, während Kali deutlich lauschte. „Was ist?“

Kyra warf einen kurzen Blick zu Charleigh hinüber, die wieder die Arme verschränkt hatte. „Wir werden jetzt zu Reilly fahren.“

„Ich habe darüber nachgedacht“, sagte Maria. „Ich komme mit.“

„Was?“ Überrascht hob Kyra eine Augenbraue.

„Ich komme mit.“ Damit ging Maria an ihr vorbei und holte ihre Jacke. „Damit ihr beide mir keine zu großen Dummheiten macht.“

„Und was ist mit MacKey?“, fragte Kyra.

„Kali passt auf sie auf.“

„Kali?“ Kyra sah zweifelnd zu dem Mädchen, das mit MacKey auf der Couch saß. Sie wollte MacKey ungerne mit dem Teenager alleine lassen.

Maria nickte nur. „Sie kommt damit schon klar.“

Noch einmal wanderte Kyras Blick zu Kali, doch dann seufzte sie. „Okay, von mir aus …“ Sie wollte darüber jetzt nicht mehr streiten. Stattdessen ging sie zu Watson hinüber, der gerade in bester Tröstmanier seinen Kopf auf den Schoß von MacKey gelegt hatte und sie mit seinen großen, braunen Augen ansah.

Kyra stupste ihn an, woraufhin er sich zu ihr umdrehte und sie mit aufgestellten Ohren ansah.

„Watson“, sagte sie leise.

Er gab einen leisen Laut, nicht ganz ein richtiges Bellen, von sich.

„Ich habe eine Aufgabe für dich“, fuhr Kyra fort, auch wenn sie wusste, dass er sie kaum gut genug verstehen konnte dafür.

Der Hund legte den Kopf schief und sah sie an. Er schien zu verstehen, dass sie etwas von ihm wollte.

„Ich möchte, dass du hier bleibst und auf Madleine und Kali aufpasst“, sagte sie. „Verstehst du das?“

Er gab ein leises Wimmern von sich.

„Verstehst du?“, fragte sie und stand auf. „Pass auf, ja?“ Damit drehte sie sich um und ging ein paar Schritte zur Tür, was Watson offenbar als Aufforderung verstand, ihr zu folgen.

„Nein, Watson“, sagte sie und wandte sich ihm noch einmal zu. Sie hob den Finger und zeigte auf dem Boden. „Bleib.“

Dieses direkte Kommando verstand er sehr wohl. Er setzte sich hin und winselte, als wolle er sagen: „Lass mich nicht zurück.“ Doch viel konnte sie daran nicht machen.

Sie wiederholte nur ihr Kommando. „Bleib.“ Dann zeigte sie zum Sofa. „Geh zu Kali.“

Kurz sah sich Watson zu Kali um, dann noch einmal zu Kyra, doch als sie noch immer zeigte, wandte er sich mit angelegten Ohren ab und trottete tatsächlich zum Sofa hinüber.

„Kommst du?“, fragte Charleigh. Sie stand mittlerweile in der Wohnzimmertür.

Kyra seufzte. Jetzt oder nie.

Sie fand die Idee noch immer nicht ideal, ging aber dennoch zur Tür hinüber und folgte dann Charleigh und Maria aus dem Haus hinaus.

„Wir können meinen Wagen nehmen“, schlug Maria vor, als sie vor das Haus traten, und sah zu Kyras hellblauen Wagen hinüber. „Der Kombi ist weniger auffällig.“

Kyra zuckte nur mit den Schultern und so fanden sie sich kurz darauf im Auto wieder, Maria am Steuer.

Vielleicht war es gar nicht so schlecht. Immerhin würde es so nicht Kyra gewesen sein, die Charleigh zu Reilly gefahren hatte. Sie hatte sie nur durch Umstände begleitet. Ja, sicher, das würde ihr einen Vorteil bringen. Wie auch immer.

Zumindest zu einem Ergebnis hatten ihre Überlegungen sie gebracht. „Charleigh?“

Die Fußballerin, die mit ihr zusammen auf der Rückbank saß, blickte zu ihr hinüber. „Hmm?“

„Folgendes: Ich würde vorschlagen, dass du mit Reilly sprichst. Ich bleibe versteckt und nehme das ganze auf.“ So war sie am wenigsten direkt involviert. Okay, das klang irgendwie feige. Aber es gab auch noch ein anderes Argument dafür: „Reilly kennt dich und vielleicht kriegst du ihn eher dazu, etwas zu gestehen.“ Kürz hielt sie inne, fügte dann aber noch hinzu: „Wenn möglich ohne die Anwendung von Gewalt.“

Charleigh gab ein wütendes Schnauben von sich. „Ich kann nichts versprechen.“

„Bitte?“, versuchte es Kyra.

Nun war es Charleigh, die nur mit den Schultern zuckte.

„Ich bin auch noch da, wenn etwas schief läuft“, bot Maria an.

Kyra nickte nur.

Nun, sie würde sehen, wie das ganze enden würde. Das positive war, dass sie sich damit zumindest nicht ernsthaft strafbar machte. Je nachdem wie es lief, würde Sutherland davon zwar nicht begeistert sein, aber es würde sie nicht in zu große Probleme bringen. Hoffte sie.

Ganz vorbildlich, Kyra, kommentierte eine zynische Stimme in ihrem Kopf. Ganz professionell.

Sie befahl der Stimme die metaphorische Klappe zu halten und starrte missmutig aus dem Fenster.

Laut der Adresse, die Kyra in den Unterlagen gefunden hatte, lebte Reilly südlich der Innenstadt, relativ zentral in einem jener relativ alten Reihenhäuser, von denen es in Edinburgh so viele gab. In der Straße reiten sich relativ gleichförmige aus groben, grauem Stein behauene Häuser reih-an-reih. An sich keine konfortable Wohnsituation, soweit Kyra sagen konnte, doch wahrscheinlich zahlte man mittlerweile allein für die zentrale Lage viel.

Die Häuser hatten allesamt geschätzte drei Quadratmeter Vorgarten – sprich: Einen sehr schmalen Grünstreifen, der von einer niedrigen Mauer von der Straße getrennt wurde.

„Wo soll ich parken?“, fragte Maria schließlich und riss Kyra damit aus ihren Gedanken.

„Was?“ Sie sah sich um und verstand erst dann, was Maria von ihr wollte. „Oh. Wahrscheinlich besser eine Straße entfernt. Außer Sicht. Du weißt schon.“

Charleigh stöhnte genervt auf. „Man. Es ist nicht so, als wäre es illegal mal mit ihm zu sprechen.“

„Ja …“, murmelte Kyra und fügte in Gedanken hinzu: Ihn zu bedrohen aber schon.

Wie abgesprochen stellte Maria den Wagen eine Straße – und damit etwa zweihundert Meter entfernt – ab und Kyra seufzte. Sie sah auf ihr Handy, wo sie sich die Adresse abgespeichert hatte. Hausnummer 32. Nun gut.

„Dann …“ Sie führte den Satz gar nicht erst zuende, ehe sie die Tür öffnete und aus dem Wagen ausstieg.

Wortlos folgte ihr Charleigh und sah sich um. Ihre Muskeln waren angespannt und sie schien nervös zu sein. Kein Wunder, wenn man die Situation bedachte.

„Und jetzt?“, fragte Maria.

„Lass uns gehen“, murmelte Kyra missmutig und führte den Weg um die nächste Straßenecke an. Sie redete mit gesenkter Stimme, da sie immer noch das Gefühl hatte, etwas verbotenes zu tun. „Also, Charleigh …„

„Ja, ja, keine Gewalt“, erwiderte Charleigh mit einer grimmigen Entschlossenheit in der Stimme. „Ich will nur die Wahrheit wissen … Wenn es wirklich stimmt …“ Kurz schüttelte sie den Kopf heftig, wobei ihre dünnen Zöpfe durch die Gegend flogen. „Verdammt, ich kann es echt kaum glauben, aber dann wiederum …“ Ähnlich wie Kyra es immer tat, wenn sie überlegte, biss sie sich auf die Unterlippe. „Ich meine, ich fand Marcel schon eine Weile etwas komisch.“ Noch einmal schüttelte sie den Kopf. „Ach verdammt. Wenn es echt einer von unseren Leuten war … Fuck, man. Echt, was für eine Scheiße!“

Kyra schwieg und sah sie nur an. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, war aber zumindest beruhigt, dass Charleigh zumindest etwas Zweifel zeigte. Sie hatte sich in der vergangenen Stunde echt gesorgt, dass sie Reilly die Tür eintreten würde, um ihn de facto zu verhören.

Aber gut, sie würden sehen.

Kyras Blick wanderte die Häuser entlang, ehe sie das Haus mit der Nummer 32 fand. Offenbar waren die Häuser, wenngleich nicht sehr groß Einfamilienhäuser, anstatt von verschiedenen Parteien bezogen zu sein. Jap, sehr wahrscheinlich nicht wirklich billig, aber das tat wohl kaum etwas zur Sache.

Sie sah sich nach einem guten Versteck um, von dem aussie den Eingang von Marcels Haus beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden und entschloss sich schließlich für die Lücke zwischen einem abgestellten Transporter und dem dahinterstehenden Wagen, der beinahe genau so heruntergekommen aussah, wie ihr eigener.

„Okay, Charleigh. Du gehst zu Reilly und versuchst vernünftig mit ihm zu reden, ja?“, meinte sie. „Maria und ich beobachten das und greifen im Notfall ein. Falls er, keine Ahnung, gewalttätig wird oder so. Ich meine, wenn es stimmt …“ Ja, wenn es stimmte und er der Mörder war, war die ganze Geschichte vielleicht eine noch dümmere Idee als ohnehin schon.

Charleigh nickte nur kurz, ehe sie mit weiten, zielstrebigen Schritten vorweg und in Richtung des Hauses, neben dessen Tür in bronzenen Lettern die Zahl 32 angebracht war.

„Und wir?“, fragte Maria leise und angespannt.

„Dahin.“ Kyra nickte in Richtung des Transporters und lief voran.

Am Transporter angekommen holte sie ihr Smartphone heraus. Es war nicht das beste Aufnahmegerät, aber es würde wohl für die notwendige, nicht ganz legale Beweisführung reichen.

Sie seufzte und während Maria hinter ihr Stellung bezog, beobachtete sie Charleigh, da ihr ohnehin kaum etwas anderes übrig blieb.

Diese lief zwei Mal, ganz offenbar nervös, vor Reillys Haus auf und ab, ehe sie sich schließlich überwandt, durch die Öffnung in der Gartenmauer ging und an der Tür klingelte.

Es geschah nichts.

Deutlich hörbar fluchte Charleigh und klingelte noch einmal. Dieses Mal, sofern Kyra sich nicht irrte, gleich drei Mal hintereinander.

Wieder geschah nichts.

„Verdammt noch mal“, zischte Charleigh und hämmerte mit der Faust gegen die Tür, ehe sie noch einmal klingelte. „Hey, Marcel, bist du da?“ Sie klingelte noch mehrfach.

Ein Licht ging im Flur an, durch das kleine Fenster in der Haustür deutlich zu sehen, ehe die Tür geöffnet wurde.

„Was soll das?“, grummelte eine raue Männerstimme, noch bevor die Tür ganz auf war. Dann schien er die Spielerin zu erkennen. „Charleigh? Was machst du hier?“

Als er die Tür etwas weiter öffnete, bekam Kyra auch einen etwas besseren Blick auf Reilly, der im Bademantel in der Öffnung stand und Charleigh verwirrt und auch etwas erbost ansah.

Beinahe damit rechnend, dass er ihr die Tür vor der Nase zuschalten würde, setzte einen Fuß nach vorn, um genau das zu verhindern. „Ich wollte mit dir über Talia sprechen“, sagte sie gerade heraus.

Reilly starrte sie verwirrt an. „Was?“ Er schüttelte den Kopf, so als wolle er sicher gehen, klar bei Verstand zu sein und sie richtig verstanden zu haben. Dann wiederholte er die Frage noch einmal, dieses Mal mit mehr Nachdruck: „Was?“

„Ich will mit dir über Talia sprechen“, sagte Charleigh erneut.

Noch immer schien er nicht ganz zu begreifen. „Und deswegen kommst du um halb zehn hierher?“, fragte er. „Ich meine, ich verstehe, dass sie deine beste Freundin war oder so, aber … Ich meine … Warum genau kommst du hierher?“

Daraufhin zögerte Charleigh für einen Moment, offenbar nicht ganz sicher, ob sie ihn direkt konfrontieren sollte. Sie schien sich am Ende für ein Mittelmaß zu entscheiden: „Ich wollte dich fragen, ob du irgendetwas über ihren Tod weißt.“

Wenn Kyra sich nicht ganz irrte, schreckte Reilly kurz zurück, beinahe als hätte er mit dieser Frage nicht gerechnet. Vielleicht sah sie aber nur, was sie sehen wollte. Auf jeden Fall schien er sich nur eine Sekunde später wieder gefangen zu haben.

„Nein.“ Er gab seiner Stimme ordentlich Nachdruck. „Nein. Charleigh. Verdammt, Mädel, wie kommst du darauf?“ Er schüttelte den Kopf und als sie nicht antwortete, fügte er hinzu: „Wenn ich etwas wüsste, hätte ich es der Polizei gesagt, oder?“

Charleigh schwieg. Von ihrer aktuellen Position aus konnte Kyra ihr Gesicht nicht sehen.

Schließlich überwandt sich Charleigh jedoch: „Es sei denn, du hattest etwas mit ihrem Tod zu tun“, gab sie zu bedenken.

Für einen Moment war Marcel gänzlich still, ehe er – wie erwartet – damit begann, den implizierten Vorwurf abzustreiten: „Um Himmel Willen, Charleigh, wie kommst du auf die Idee? Ich meine, hast du sie noch alle? Warum sollte ich etwas mit ihrem Tod zu tun haben?“

Charleigh zuckte mit den Schultern. „Das frage ich dich.“

Er schüttelte den Kopf. „Das ist mir zu blöd. Ich habe keine Ahnung, was gerade mit dir los ist, Mädel. Ich meine, ich verstehe, dass die ganze Sache dich besonders trifft und alles, aber das gibt dir noch kein Recht mich um diese Zeit zu belästigen und mit grundlosen Anschuldigungen um dich zu werfen.“

„Du hast versucht, Talia zu erpressen“, erwiderte Charleigh mit zitternder Stimme. „Du hast sie erpressen wollen.“

Kyra war überrascht, dass sie nicht erwähnte, dass sie diese Information von MacKey hatte. Aber vielleicht war es besser so. Immerhin konnte er annehmen, dass sie es vielleicht von Talia selbst erfahren hatte.

„Was redest du da?“ Reilly schien sie zu mustern. Er schüttelte den Kopf. „Charleigh. Ich muss darauf bestehen, dass du von hier verschwindest. Wenn du mich weiter belästigst, rufe ich die Polizei, verstehst du?“

„Dann tu das doch“, fauchte Charleigh und packte ihn am Arm. Ihre Stimme wurde lauter, als sie ihre Wut kaum noch unterdrücken konnte. „Dann ruf doch die Polizei! Dann können sie gleich hören, was für ein perverses Arschloch du bist!“

Er schien sich zu bemühen, ruhig zu bleiben. „Lass mich los“, sagte er sehr langsam und mit warnendem Tonfall. „Ich habe keine Ahnung, wovon du redest. Von allem was ich gehört habe, wird Irene aktuell verdächtigt, also wie kommst du …„

„Wer war es außer Talia und Madleine?“, unterbrach Charleigh ihn mit lauter Stimme. „Und Maia, aber ich nehme an sie zählt nicht richtig, oder?“ Aus ihrer Stimme waren Tränen hervor zu hören. „Wer war es noch? Sag es mir? Oder hast du erst angefangen an deinem persönlichen Harem zu arbeiten.“

Nun schien auch er sich nicht mehr beherrschen zu können. „Jetzt reicht es!“, rief er aus. „Verschwinde hier!“ Er griff nach ihrer Hand, um sie von seinem Arm zu lösen und schubste Charleigh dann zurück. Er griff nach der Tür und wollte sie zuschlagen, doch erneut hatte die junge Frau ihren Fuß im Weg.

„Verschwinde!“, erwiderte Reilly erneut.

„Erst wenn du mir sagst, was passiert ist!“, schrie Charleigh und schien sich nur schwerlich beherrschen zu können.

Okay, vielleicht eskalierte die Situation gerade zu sehr.

„Es ist nichts passiert, okay?“, entgegnete Reilly und trat vor, um sie erneut zurück zu schubsen. „Also hör endlich auf …„

„Madleine hat es mir erzählt“, rief sie. „Madleine hat mir erzählt, was du ihr angetan hast. Und dass du versuchst hast Talia auch dazu zu bekommen und dass sie dich erpresst hat! Madleine hat mir alles erzählt!“ Sie versuchte ihn daran zu hindern, sie noch einmal zu schubsen und brachte ihn dazu, noch etwas weiter aus dem Haus zu kommen.

Für einen Moment hielt er inne, sein Atem deutlich schwerer. „Ich warne dich ein letztes Mal. Verschwinde. Lass mich in Ruhe, Charleigh. Das geht dich nichts an.“

„Also gibst du es zu?“, erwiderte sie nun leiser.

„Hau ab. Oder …„

„Oder was?“, entgegnete Charleigh und wurde wieder lauter. „Oder was?!“

„Oder ich werde dafür sorgen …“ Doch weiter kam er nicht, ehe die junge Frau ihm einen gepfefferten Kinnhaken verpasste, der ihn beinahe zu Boden gehen ließ.

Ehe er sich versah, drängte sie ihn an die Hauswand. „Sag mir die Wahrheit, du Arsch!“, rief sie aus.

Dieses Mal erwiderte er nichts, sondern schaffte es stattdessen sich loszureißen. Sie war vielleicht athletisch, doch er war noch immer einen halben Kopf größer als sie und ganz offenbar auch nicht unsportlich. Er schaffte es ohne Probleme, sich aus ihrem Griff zu winden und hatte sie einen Moment später selbst gegen die Hauswand geworfen, ihren Arm hinter ihrem Rücken.

Charleigh schrie auf.

Verdammt, das eskalierte wirklich.

„Kyra?“, fragte Maria angespannt.

„Ich weiß“, gurmmelte sie, die Zähne zusammengepresst. Mehr sagte sie nicht, ehe sie losrannte. „Es reicht!“, rief sie aus.

Reilly fuhr überrascht zu ihr herum. „Sie?“

„Lassen Sie Ms. Aitken los“, sagte Kyra und ahnte doch irgendwie, dass sie nur ihren Atem verschwendete.

Reilly hatte Charleigh mit einer Hand bei der Schulter, mit der anderen am Handgelenk gepackt. Kyra erkannte den Griff, der auch von der Polizei angewendet wurde, um etwaige Flüchtige zu immobilisieren. Er schien also durchaus ein paar Grundlagen des Kampfsportes zu kennen – und damit wahrscheinlich mehr als sie.

„Haben Sie ihr diesen Floh ins Ohr gesetzt?“

Zu Kyras Überraschung, musste sie feststellen, dass Reilly vom Rand seines Mundes blutete. Ob es von der Lippe kam oder aus dem Mund konnte sie jedoch nicht sagen. Sie festigte sich und blieb gute drei Schrittlängen von den beiden entfernt stehen. „Madleine MacKey hat gegen Sie ausgesagt“, sagte sie schlicht. Er musste ja nicht wissen, dass MacKey nicht bei der Polizei aussagen wollte. Hey, immerhin konnte sich das noch ändern, bis es tatsächlich soweit war.

Seine Miene wurde grimmiger und er schien den Druck auf Charleighs Schulter zu verstärken. „Was hat sie Ihnen gesagt?“, fragte er grimmig.

„Sie hat von Ihren Sexspielchen erzählt und der Erpressung“, antwortete Kyra ruhig. „Sie hat außerdem erzählt, dass Talia Sie versucht hat im Gegenzug zu erpressen.“

„Und Sie sind keine Polizistin“, erwiderte Reilly nur. Er musterte sie. „Würde Madleine vor der Polizei aussagen wollen, wären Sie nicht hier.“

Volltreffer. Der Typ war doch nicht so dumm, wie Kyra gehofft hatte.

Auch er schien das zu erkennen. Ein mattes Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus. Doch schien er dabei – und sei es nur für einen Moment – seinen Griff zu lockern. Auf einmal warf sich Charleigh zurück und schaffte es damit, ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie versetzte ihm einen Tritt vor das Schienbein und warf ihn so zu Boden.

„Also ist es wahr!“, knurrte sie und warf sich auf ihn. „Also ist es wahr?“

Er versuchte sie von sich herunter zu bekommen, doch hatte sie nun die Überhand gewonnen. „Selbst wenn“, keuchte er. „Dann könntet ihr mir …“ Er stöhnte auf, als sie ihm noch einmal ins Gesicht schlug. „Verdammt, du bist eine verrückte …“ Sie schlug noch einmal zu.

Für einen Moment war Kyra in ihrer Position verharrt, doch dann erinnerte sie sich daran, dass Charleigh sich selbst und auch sie in Probleme bringen würde, wenn sie so weiter machte. Sie waren hergekommen, um mit Reilly zu reden, nicht um ihn krankenhausreif zu schlagen.

Sie stürmte nach vorne und griff Charleigh unter den Armen, um sie zurück zu ziehen. „Es reicht, Charleigh!“

„Lass mich los!“ Charleigh versuchte sich loszureißen, zuckte dann aber zusammen. Offenbar schien ihre Schulter noch immer deutlich zu schmerzen.

Irgendwie schaffte es Kyra sie von Reilly runterzubekommen.

Dieser stöhnte und rollte sich auf dem Bauch, um wieder auf die Beine zu kommen. „Ihr seid verrückt. Alle beide.“

Kyra musterte ihn. „Mr. Reilly“, sagte sie dann langsam. „Haben Sie Ms. Talia Russel umgebracht?“

Er lächelte sie auf eine seltsame Art und Weise an. „Nein“, erwiderte er. „Habe ich nicht.“ Er musterte sie abschätzig. „Das war alles Maia.“

„Auf ihren Auftrag hin?“, fragte Kyra.

Er zuckte mit den Schultern. „Selbst wenn, Spürnase. Was willst du tun? Du bist keine Polizistin. Und die Situation ist für dich so schon schlimm genug.“

Kyra schwieg für einen Moment, holte dann aber ihr Handy hervor. „Das hier mag vor Gericht nicht gültig sein“, sagte sie dann langsam. „Aber Sie werden der Polizei dennoch erklären müssen, was Sie damit genau meinen.“

Für einen Moment sah Reilly sie an. „Gib das her“, sagte er dann und machte einen Schritt auf sie zu.

Kyra ihrerseits ließ Charleigh gänzlich los und machte einen Schritt zurück.

Sirenen erklangen in der Ferne. Waren sie hierher unterwegs? Wenn ja: War das gut oder schlecht?

„Gib das her“, wiederholte Reilly nun noch einmal.

Kyra hob ihr Handy. „Oder was?“, fragte sie.

Er funkelte sie an und auf einmal kam ihr ein Gedanke.

„Wieso eigentlich?“, fragte sie dann. „Wenn Sie doch nichts damit zu tun haben? Wieso wollen Sie das Video, wenn es doch nur uns selbst belastet?“

Reilly musterte sie. „Diese Sache geht niemanden etwas an.“

Die Sirenen kamen definitiv näher.

„Lassen Sie mich meine Vermutung erzählen“, sagte sie langsam und war froh, dass Charleigh nicht wieder auf ihn losstürmte. „Talia hat Sie erpresst und dann haben Sie Maia Kerr ausgenutzt, da Ms. Kerr immer zu gerne getan hat, was Sie wollten, oder?“ Sie musterte ihn und hielt ihr Handy weiter vor sich. „Sie haben veranlasst, dass Ms. Kerr Talia Russel umgebracht hat und die Beweise gegen Ms. Duncan positioniert.“

„Gib das her, Mädchen!“, rief er aus und sprang auf sie zu, doch Kyra schaffte es mit einem Schritt zur Seite auszuweichen.

„Was ich mich frage“, fuhr sie fort und bemühte sich dabei ruhig zu bleiben, „ist, warum ausgerechnet Irene Duncan? Was hat Irene damit zu tun?“

Erneut versuchte er ihr das Handy wegzuschnappen, doch dieses Mal hielt Charleigh ihn wieder fest.

„Rede!“, rief sie aus – und Kyra wusste, dass das auf dem Video nicht gut für sie aussehen würde.

Reilly funkelte Kyra an. Blut tropfte von seinem Kinn zu Boden. Dann fuhr ein Polizeiwagen um die Straßenecke und blieb mit blinkendem Blaulicht vor dem Haus stehen.

Zwei Polizisten sprangen heraus. „Auseinander!“, rief einer.

Kyra ließ ihr Handy sinken und trat demonstrativ einen Schritt zurück. Das war es dann wohl – mehr würde sie nicht machen können. Noch einmal sah sie zu Reilly, froh, dass auch Charleigh von ihm zurückgetreten war und nun langsam die Hände hob.

Jetzt konnte sie nur hoffen, dass sie nicht in zu großen Problemen waren.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Es wird im Verlauf des Tages noch ein kleiner Epilog folgen Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2017-11-06T14:09:21+00:00 06.11.2017 15:09
ach mensch, jetzt wo es interessant wurde.....
schon wieder ein cliffhänger XD
okay... okay.... im grunde weiß man ja wie es weiter gelaufen sein muss XD
aber trotzdem *lach*
die aktion kam hier jedenfals nicht zu kurz, hat mir gut gefallen ^^


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