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Herzblind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich freu mich sehr, dass wir endlich bei diesem Kapitel sind. Es ist eines meiner Lieblinge, wenn nicht sogar das Lieblingskapitel 😊
Viel Spaß ;3 Komplett anzeigen

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.vierzehn

»Das ist der letzte Karton«, murmelt Mathis und stellt ihn auf die Ladefläche des Sprinters, der vor unserer Haustür steht. Marie lächelt tapfer, aber irgendwie geht es uns allen dreckig.

Ich hielt zwar bis zu dem Mittwoch durch, aber der hatte für Marie gute und für Nuri, Mathis, mich und die anderen dafür schlechte Nachrichten. Marie hat mit Bravur bestanden und noch am gleichen Tag per PDF und E-Mail den endgültigen Vertrag unterschrieben und dann ging alles verdammt schnell.

Schon am Abend verkündete sie ihren Auszug, was Nuri und Mathis wirklich hart traf und ebenso aus dem Blauen wie mich an dem Sonntag zuvor. Nuri und sie stritten sich deshalb sogar und schwiegen dann für zwei Tage, in denen Marie alles zusammen packte, was ihr gehörte. Dann fuhr sie für drei Tage nach Berlin und kam mit ihrer neuen Adresse zurück, sodass mir plötzlich die Aufgabe bevorstand einen neuen Mitbewohner zu suchen. Ich schrieb zwar Inserate, aber nicht eines davon habe ich irgendwo veröffentlicht. Selbst jetzt nicht. Die Vorstellung Maries Zimmer an irgendwen anders zu vergeben, dreht mir den Magen um und da bin ich nicht der einzige. Seitdem Momo weiß, dass Marie nicht mehr mit ihm zusammen arbeiten wird, ist er fast so still wie bei unserem kennen lernen. Mathis läuft seit Tagen rum, wie ein getretener Hund und Elyas fühlt sich irgendwo schuldig, genauso wie ich. Es ist furchtbar.

»Dann...passt auf euch auf, okay? Und sucht einen netten Nachmieter«, murmelt Marie gezwungen fröhlich. Ich nicke nur. Neben mir schnieft Nuri und umarmt Marie dann.

»Ich hasse dich immer noch dafür, dass du gehst, aber ich liebe dich, okay? Und du rockst das und wir schreiben und ich geh jetzt hoch, weil ich sonst nicht aufhören kann zu heulen«, rasselt sie krächzend herunter. Marie nickt hektisch und verkneift sich ein Schniefen, bis Nuri im Haus verschwunden ist. So viele Tränen. Ich dreh durch.

»Dann...bin ich jetzt dran«, murmelt Mathis, drückt sie und wirbelt sie einmal um sich herum.

»Ich wünsch dir alles Gute, okay? Und wehe du schreibst nicht, dann komm ich rüber und trete dir in den Hintern«, droht er schief grinsend. Marie lacht schniefend und nickt, bevor sie zu Momo sieht. Der blinzelt heftig und hält ihr dann mit zittrigen Fingern etwas entgegen.

»Pa–Packs’ erst in Berlin aus, ja?«, nuschelt er leise und ächzt, als Marie ihn einfach umarmt.

»Pass auf meine Chaoten auf, ok?«, fragt sie heiser und Momo nickt, bevor er sich auf die Unterlippe beißt und dann über die Augen reibt. Himmel, Arsch und Krötendreck.

Mathis zieht Momo sacht von ihr weg und dann an sich, aber jetzt steh ich hier und will am liebsten selbst heulen. Wie war das noch mal? Aufhalten wäre egoistisch?

»Du brauchs‘ nur ein Wort sagen und es ist weiterhin dein Zimmer«, nuschle ich leise, Marie lacht und schnieft wieder, bevor sie jetzt mich umarmt. Fest. Meine Augen brennen so fürchterlich, ich krieg kaum Luft.

»Pass auf dich auf, du treudoofe Socke, ja? Und streichel Mowgli einmal pro Tag für mich und such dir jemanden, der dich nicht ausnutzen will«, flüstert sie mir zu und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich kann mich nicht erinnern ob sie das schon einmal getan hat, aber es fühlt sich grade sehr endgültig an alles. Ich kann nur nicken und sehe einfach nur zu, wie Marie in den Sprinter steigt, den ihr Bruder für sie fahren wird. Ein Teil ihrer so großen Familie ist schon in Berlin und wird ihr beim hoch schleppen helfen.

Ich schlucke noch einmal, aber der Kloß will nicht verschwinden. Das ist doch scheiße. Alles. Hilflose Wut steigt in mir hoch und während der Sprinter die Straße verlässt, stehe ich allein da auf dem Bürgersteig und kann nur zusehen, wie Mathis Momo tröstend an sich drückt und selbst versucht damit klar zu kommen, dass seine beste Freundin ausgezogen ist.

Eine Weile stehe ich immer noch nur so da, bevor ich merke, dass es echt kalt geworden ist und weil ich keine Jacke habe, drehe ich mich in Richtung Eingangstür. Das wird so ätzend.
 

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Man sollte meinen in der Zeit, in der mich Marie gemieden hat, hätte ich mich dran gewöhnt nicht viel von ihr mit zu kriegen, vor allem, weil mir nicht mal so direkt aufgefallen ist, dass sie mich mied. Doch weit gefehlt. Seit ihrem Auszug sind grade mal drei Tage vergangen und die Wohnung wirkt aber so leer, dass es die ganze Zeit still ist. Mathis vergräbt sich in seiner Arbeit, weshalb Momo nicht mehr rüber kommt und Nuri hat sich noch einen Nebenjob gesucht, weshalb ich quasi mit Mowgli allein bin. Zwar können wir drei die Miete für ein zwei Monate auch allein stemmen, aber eigentlich müsste ich mich um einen Nachfolger kümmern und will es aber nicht. Es ist ein riesen Loch entstanden, wie noch nie zuvor bei einem Auszug. Ich kann mich an manche Bewohner der anderen Zimmer nicht einmal erinnern, weil sie nur so kurz da waren. Ich weiß noch, dass ich damals die Anzeige für das Zimmer gefunden und quasi zu einer WG-Gründung hier einzog. In das andere Zimmer zog ein Mädchen und ein halbes Jahr später zog sie schwanger wieder aus. Dann zog ein anderer ein, der aber noch kürzer blieb und weil der damalige Hauptverantwortliche der Wohnung finanzielle Probleme bekam machten wir aus dem Wohnzimmer auch noch einen Raum zur Vermietung. Die finanziellen Probleme blieben irgendwie trotzdem, weshalb er auszog und ich den Mietvertrag übernehmen musste. Dann zog Mathis ein. Ein Semester später Marie, die einen Dauerkiffer ablöste und Nuri kam als letzte. Und sie waren diejenigen die auch endlich blieben und dem Strom an Leuten, der sich in der Wohnung die Klinke in die Hand gab und mich anfing am Konzept WG zweifeln zu lassen, ein Ende bereitete.

Es klingelt und für eine Sekunde hoffe ich irrsinniger Weise, dass es Marie ist. Allerdings bezweifle ich das selbst sofort und als ich die Wohnungstür öffne, werde ich darin bestätigt. Nina und Momo stehen davor.

»Hier, ich kann sein Trauergesicht nicht mehr sehen. Lass ihn mit Mowgli schmusen, bitte«, brummt Nina, wartet aber nicht auf meine Antwort sondern schiebt ihren Bruder einfach rein.

»Wenn du ihm erlauben würdest sich endlich auch ein Tier anzuschaffen, dann hättest du das Problem nicht«, sage ich leise, muss aber selbst schief grinsen, als Mowgli mit einem maunzen zu Momo kommt und sich auffordernd schnurrend um seine Beine drückt. Momo sieht mich erlaubnisheischend an, aber ich wedele nur mit der Hand, damit er ihn endlich streichelt. Momo geht direkt auf die Knie und knuddelt den mittlerweile wohl ausgewachsenen Kater an sich.

Mein Blick geht auf Nina, die schief lächelt und ein lautloses Danke mit ihren Lippen formt. Also macht sie sich auch nur Sorgen. Ich nicke schlicht.

»Kommt mit in die Küche«, murmle ich und gehe vor. Draußen ist es schon fast dunkel. Kein Wunder im Herbst.

Ich mache uns einen Kakao und setze mich den beiden gegenüber, die sich auf der Bank niedergelassen haben. Mowgli hat sich auf Momos Schoß gefläzt und bietet seinen Bauch dar, den dieser auch brav krault. Er sieht wirklich niedergeschlagen aus.

»Soll ich fragen, was dir die Laune verhagelt hat?«

Momo zuckt nur leicht mit den Schultern. Ein bisschen kann ich verstehen, dass Nuri immer aufstöhnt, wenn ich das mache.

»Sie haben heute die ersten Vorstellungsgespräche gehabt für den Marie-Ersatz«, sagt Nina dann und beäugt den Kakao kritisch.

»Ich kann nur keinen Tee kochen, also guck nicht so. Davon ab, meine ich mich zu erinnern, dass ich dir schon einmal einen gemacht habe«, ermahne ich sie, aber Nina nickt nur, ohne einen Schluck aus ihrer Tasse zu nehmen. Ich ignoriere es und gucke Momo wieder an.

»Sind die Kandidaten bis jetzt so ätzend?«, frage ich ihn und Momo nickt ohne zu zögern. Es wirkt irgendwie, als wäre mit Marie auch Momos Selbstsicherheit zu sprechen verzogen. Dabei ist er seit August jetzt 22. Das weiß ich so genau, weil er nur zwei Tage nach den Zwillingen Geburtstag hat und sie dieses Jahr unbedingt mit Momo feiern wollten. Mathis hat echt Glück, dass seine Eltern und Geschwister Momo so vergöttern.

»Da war eine, die wohl jeden–« Nina unterbricht sich selbst, als es wieder an der Tür klingelt. Verdutzt gehen unsere Blicke in Richtung Tür. Mathis hockt in seinem Zimmer, das weiß ich. Nuri muss noch bis neun arbeiten und sonst erwarte ich niemanden.

»Lucas?«, frage ich Nina, während ich mich aufrapple, aber sie schüttelt den Kopf.

»Nein, der ist einkaufen und erst los, als wir rüber gekommen sind«, erklärt sie, weshalb ich den Summer drücke und die Tür öffne. Der Hausflur bleibt dunkel, aber ich höre wie jemand rein kommt und mit schnellen Schritten die Treppen nach oben läuft.

»Ah, Gabriel pass auf, Mowgli kommt!«, höre ich Nina rufen und reagiere grade schnell genug um zu verhindern, dass er mir durch die Beine schlüpft. Ihn umständlich festhaltend, greife ich um seinen Bauch um ihn hoch zu heben.

»Kann man irgendwie helfen?«

»E–Elyas!«, krächze ich überrascht und muss zwei Mal nachgreifen um Mowgli fest zu halten, der natürlich nicht stillhalten will um es mir leichter zu machen. Elyas lacht leise und amüsiert, bevor er seine Mitbringsel hochhält. Pizza und ein Six–Pack...fritz-kola? Irgendwie ist das süß.

»Ich habe Redebedarf und da Anna und Elisa in den Flitterwochen sind...«, erklärt er andeutend. Ich blinzele und nicke dann, die Tür frei machend. Da die beiden Anfang des Monats geheiratet haben und wegen Elisas Arbeit auf Ferien warten mussten, sind sie jetzt erst in den Urlaub geflogen. Ich kann mich immer noch nur sehr wenig erinnern was alles passiert ist. Ich bin nur wieder am nächsten Vormittag in Elyas‘ Bett aufgewacht und das zum Glück allein, denn etwas anderes hätte ich nicht überlebt.

»Oh...du hast ja schon Besuch. Hallo, Momo«, bemerkt Elyas und lächelt dann Nina an, die einfach nur starrt. Irgendwie glaube ich grade, dass sie und Elyas sich zum ersten Mal treffen.

»Mowgli hat Besuch«, sage ich und setze Momo meinen Kater wieder auf den Schoß, bevor ich auf Nina deute, »Nina übrigens, Momos kleine Schwester.«

»Aha, freut mich. Wollt ihr auch Pizza?«

Momo schüttelt den Kopf, Nina nickt.

Das kann ja jetzt nur schief gehen.
 

~
 

»Ich hätte wirklich besser anrufen sollen, oder?«

Ich schüttele brummig den Kopf und lasse mich rücklings auf mein Bett fallen.

»Wieso? Du kannst ja nicht ahnen, dass ich vergessen habe mein Handy zu laden«, nuschele ich und gähne. Elyas‘ hatte mir nämlich eine Nachricht geschrieben um zu fragen, aber weil ich nicht geantwortet habe, sein Glück versucht. So wie ich bei ihm, als ich es bei ihm habe liegen lasssen.

Dieses Glück führte dazu, dass wir die beiden Pizzen, die er mitgebracht hatte mit Nina und Momo teilen mussten und sogar Mathis noch ein Stück abstauben konnte, als er für eine Pause aus seinem Zimmer gestolpert kam. Daraufhin nahm er Momo nach einer Stärkung mit zurück in seine Höhle und Nina ging rüber, als Lucas vom Einkaufen zurückkam. Ich blieb allein zurück mit Mowgli und Elyas. Nicht dass ich noch nie mit ihm allein gewesen wäre, aber bis auf die Woche, als ich so krank war, war er nicht mehr hier in der Wohnung. Vielleicht mal unten an der Haustür, wenn er mich abgeholt hat, aber sonst nicht. Und als ich krank war, hab ich kaum was mitbekommen. Jetzt bin ich seltsam nervös.

»Hat Momo vorhin schon von heute erzählt?«

»Seit Marie weg ist redet er wieder kaum. Ich glaube für den Moment kriegen nur Nina und Mathis was aus ihm raus«, brumme ich leise und sehe zur Seite, als meine Matratze sich merklich senkt. Nicht, dass ich etwas dagegen habe, dass er sich setzt, aber irgendwie ist es eigenartig. Vielleicht weil mein Bett nur halb so groß ist wie seines?

Was mache ich mir eigentlich für Gedanken? Das ist doch bescheuert. Alle anderen dürfen sich auch auf mein Bett setzen und mich kümmert es nicht.

»...ich hoffe das reguliert sich wieder. Mir ist klar, dass wir keine zweite Marie finden werden, aber die Kandidaten heute sind trotzdem keine Alternative«, erklärt er und ich brumme leise. Durch Nina hat Elyas seinen ursprünglichen Redebedarf noch gar nicht stillen können.

»Also waren sie wirklich so schlimm!?«

»Einer hat Momo angeraunzt, dass er doch bitte die Zähne auseinander bekommen soll, weil es unhöflich wäre nicht wenigstens guten Tag zu sagen. Momo ist nur an ihm vorbei gegangen und war in das Gespräch gar nicht involviert. Aber damit ist er beim Rest der Belegschaft direkt unten durch gewesen. Klar muss Momo in unserem Beruf auch sprechen, aber als mein Vater ihm den Ausbildungsplatz gegeben hat war allen klar, dass er nicht der Gesprächigste sein wird und das war für jeden okay so. Auch für die Patienten. Die Besitzer wissen alle, dass Momo mehr mit den Tieren spricht als mit ihnen und nicht einer hat sich deshalb bei uns beschwert und er kam ja auch immer mehr aus sich raus. Deshalb nimmt ihn jetzt, wo er Maries Weggang erst verdauen muss, auch jeder in Schutz. Mein Vater auch. Er hat ihn nach den Standardfragen direkt wieder weggeschickt«, erzählt er und lehnt sich nach hinten an die Wand.

»So wie du mit Momo umgehst, hättest du ihn doch sicherlich auch nicht haben wollen, oder?«

»Natürlich nicht, er wirkte irgendwie spießig. Der wäre vernutlich allein mit Momo und mir nicht klar gekommen und Megan hätte dem dann sicherlich die Krone aufgesetzt mit Lucy und Nadine. Bin ich sicher. Die nächste war eigentlich ganz vielversprechend, hat aber vor meinem Vater im Gespräch mit mir geflirtet und deshalb will mein Vater nicht. Denn, auch wenn ich die Finger von den Angestellten lasse will er nicht in einem halben Jahr wieder suchen, weil aufgrund unerwiderter Gefühle noch einmal jemand kündigt. Die nächste war ähnlich gestrickt, wenn auch nicht so offensiv und die letzte hatte sich völlig falsch beworben. Wollte ein Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung und hat es sich so versucht zu erschleichen. Fand ich nicht witzig, echt nicht.«

Mir das Gehörte einen Moment durch den Kopf gehen lassend, betrachte ich meine Zimmerdecke. Dann geht mein Blick wieder zu ihm.

»Dein Vater weiß, warum Marie gekündigt hat?«

Elyas seufzt schwer, bevor er nickt.

»Sie hat es ihm ganz offen gesagt. Deshalb hat er über die ganzen Absprachen, die vorher getroffen wurden hinweg gesehen und mich gebeten endlich irgendwen dauerhaft an mich zu binden.«

Er klingt so resigniert, dass ich leise lachen muss. Und er soll sich binden? Dann hat er doch noch keine Freundin, oder? Ich mein, Marie war es nicht, aber die Nachrichten wurden geschrieben.

»Wird wohl nichts mit dem Vorhaben ewiger Junggeselle zu bleiben, was?«

»Sag das nicht so gehässig.«

Ich muss wieder lachen, weshalb Elyas mich schlecht gelaunt anstiert. Aber die Vorstellung ist einfach witzig. Da Elyas‘ Cousin schon drei Kinder hat, die alle drei in ihrem kindlichen Gemüt schon zugesichert haben auch Tierarzt werden zu wollen, sind Elyas‘ Onkel und sein Vater sehr entspannt, was die Übernahme innerhalb der Familie betrifft. Aber das beseitigt ja nicht das Problem, dass Elyas für die breite Masse attraktiv wirkt. Selbst ich sehe das. Ich hab es ja sogar gesehen, als ich noch mit Sophie zusammen war.

»...bist du dir eigentlich sicher, dass du Beziehungsunfähig bist?«, frage ich dann, nachdem ich mich wieder beruhigt habe. Es ist eine ganze Weile still.

»Nicht mehr«, sagt er und ich setze mich überrascht auf.

»Echt jetzt?«, frage ich und wende mich ihm richtig zu. Er schmunzelt leicht, aber es fehlt der verschmitzte Ausdruck.

»Manchmal habe ich auch Tage, an denen ich doch denke es wäre schön jemanden zu haben. Nicht oft, aber grade nach Elisas und Annas Hochzeit irgendwie häufiger. Dabei bin ich mir eigentlich sicher, dass ich in der Beziehung wohl immer noch kalt und desinteressiert wirken würde.«

»Wer hat das denn gesagt?«

»Im Grunde alle, mit denen ich es versucht habe, seit ich in Deutschland bin. Sogar Elisa«, murmelt er und lässt sich etwas weiter runter rutschen. Ich brumme lang gezogen und lege die Stirn in Falten.

»Dabei bist du doch sonst nicht so.«

»Elisa meinte mal, dass ich als Freund wesentlich mehr tauge, aufmerksamer und...auf Englisch würde man sagen attentive«, er sieht mich fragend an und ich muss wirklich kramen, weil ich selten englisch spreche. Eigentlich überhaupt erst wieder regelmäßiger, seit Elyas und ich befreundet sind, weil er öfter mal nach Worten sucht. Nach kurzem Grübeln dann fällt es mir aber ein, »Fürsorglich«

»Ja, fürsorglich, genau. Jedenfalls gebe ich mir wohl angeblich als Freund mehr Mühe in der Freundschaft, als wenn ich mit jemandem eine Beziehung führe und das ist jedem mit dem ich zusammen war auf den Keks gegangen oder hat zu Eifersucht geführt, weshalb ich dann auch recht schnell hingeworfen habe, wenn es nicht grade der oder die andere gemacht hat. Ich scheine wirklich nicht geeignet dafür zu sein. Und bis jetzt habe ich noch Keinen getroffen, der mir das Gegenteil beweisen konnte.«

Also wirklich keine Freundin. Dann hat Momo irgendwas falsch interpretiert.

»...hat das mit Summer zu tun?«, frage ich vorsichtig. Elyas blinzelt mich an bevor er schweigt. Ich warte eine Weile, in der Hoffnung, dass er sich dazu äußert, doch es kommt nichts. Bevor ich allerdings ablenken kann, kommt doch eine Reaktion. Er zuckt mit den Schultern.

»Zwischendurch war das auch mein Gedanke. Dass ich vielleicht dadurch zu blockiert bin um mich wieder so auf eine Beziehung ein zu lassen. Oder zu ängstlich. Aber ehrlicher Weise muss ich zugeben, dass ich mich seit Summer nicht wieder so heftig in jemanden verliebt habe. So traurig das auch sein mag. Vielleicht habe ich wegen Summer immer irgendwie Abstand gehalten, damit ich nicht noch einmal verletzt werde, das vermutet zumindest Elisa, aber ich kam die ganze Zeit zu gut ohne klar, sodass ich nicht einmal den Wunsch hatte wieder so...tiefe Gefühle für jemanden zu entwickeln. Das löst also nicht wirklich das Problem.«

Ich bin wirklich erleichtert, dass diese Sache mit Summer nichts damit zu tun hat. Auch wenn ich ebenfalls vermute, dass sie ihn unbewusst vielleicht etwas hemmt sich wieder richtig zu verlieben. Aber ich bin sicherlich der letzte, der da irgendwelche Reden schwingen sollte, denn diese riesengroßen Gefühle von Verliebtheit hatte ich ja leider auch noch nicht.

»Und wenn du dir versuchst den Partner zum Freund zu machen? Dann müsstest du dich doch rein theoretisch selbst irgendwie...überlisten können, oder nicht?«

Elyas sieht mich an und wirkt alles andere als überzeugt. Dann seufzt er schwer und lässt sich ganz auf mein Bett rutschen. Es scheint ihn wirklich zu beschäftigen und mir fällt auf, dass wir das erste Mal so Ernst über sein Liebesleben sprechen. Wenn überhaupt war ich ab und zu Gesprächsthema aber meistens haben wir über andere Dinge geredet oder er hat mir Anekdoten aus seinem Arbeitsalltag erzählt, während ich über unmögliche Kunden gelästert habe.

»Ich kann mir das nicht so ganz vorstellen. Elisa, Anna und du seid die einzigen mit denen ich lange Zeit verbringen kann ohne mich eingesperrt zu fühlen oder kontrolliert oder bewertet«, murmelt er und reibt sich müde übers Gesicht. Mir wird warm. Dass er sich anscheinend wohl in meiner Gegenwart fühlt freut mich echt. Fast mehr als es vielleicht angebracht wäre.

»...du erinnerst mich ein bisschen an Nuri, die liebt ihre Freiheiten auch«, sage ich leise, auch um mich abzulenken. Elyas lacht leise. Aber müde. Er klingt wirklich müde. Irgendwie erschöpft.

»Wenn es eine selbst ausgesuchte Verpflichtung ist, dann ist das was anderes, finde ich, als wenn du jemanden hast, der von dir fordert«

»...aber wenn du eine Beziehung eingehst, dann ist das doch auch eine selbst ausgesuchte Verpflichtung, oder nicht?«

»Nein, wieso sollte es?«

»Na dich zwingt doch keiner die Beziehung mit wem auch immer einzugehen. Es steht ja keiner mit einer Knarre vor dir und sagt, du musst jetzt mit mir zusammen sein und machen was ich sage«, überlege ich laut und lächle ihn schief an. Ich will ihm jetzt nicht schmackhaft machen sich in eine Beziehung zu stürzen, aber das Bedürfnis ihm zu helfen kann ich auch nicht unterdrücken. Er wirkt einfach so erschöpft. Als ob er sich seit Tagen vielleicht sogar Wochen schon Gedanken darüber gemacht hat und, ähnlich wie ich vor ein paar Monaten noch, doch zu keiner Antwort kommt. Und wenn ich ihm zu einer Antwort verhelfen kann, dann will ich es wenigstens versuchen.

»Nein, das weiß ich auch. Aber ich will selbst bestimmen, was ich gebe und nicht geben, weil jemand anderes es fordert«

»Dann brauchst du jemanden, der nicht fordert sondern auch lieber gibt«, sage ich leise und lache kurz, weil ich weiß, dass es nicht ganz so einfach ist so eine Person zu finden. Elyas stockt, nimmt seinen Arm von seinen Augen und sieht mich an. Sein Blick ist so unnachgiebig, dass ich ganz kribblig werde. Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt?

»Guck nicht so panisch wie ein Kaninchen, ich tu dir nichts«, sagt er leise und atmet tief durch.

»Manchmal bin ich mir aber nicht so sicher«, gebe ich leise zu und betrachte dabei ausgiebig das Muster meiner Bettdecke.

»Ach echt?«

»Du guckst manchmal so seltsam, dass ich nicht weiß, was dir grade im Kopf rum geht. Du bist eh sehr schwer ein zu schätzen«, gebe ich zu. Elyas lacht leicht und stupst mir in die Seite.

»Ich würde dir nie was tun, okay? Also mach dir keine Gedanken darüber«, sagt er nun und diesmal ist da wieder der Schalk, der sonst auch immer mitschwingt. Ich muss grinsen.

»Und mach ich mich gut als Elisa–Anna–Ersatz?«, frage ich dann, weshalb er verdutzt blinzelt, bevor er schnaubt.

»Du bist kein Ersatz.«

»Du hast vorhin noch was anderes gesagt.«

»Das meinte ich gar nicht so. Ich wäre auch zu dir gekommen, wenn sie da gewesen wären. Du versuchst mich nicht jedes Mal zu erziehen oder ziehst mir die Ohren lang, wegen irgendwas.«

»Ich bin 6 Jahre jünger als du, als ob ich sowas tun würde«, gebe ich zu bedenken, weshalb er wieder lacht und einen Arm um mich legt, zu sich runter zieht und dann rabiat durch die Haare geht. Obwohl es weh tut und ich mich beschwere, lacht er nur und irgendwie werde ich noch viel kribbeliger dadurch.

»Vergiss doch mal diese blöden Sachen. Man wird 21 und danach sind es nur noch Zahlen. Wirklich. Ich hab gar keine Lust mich die ganze Zeit wie ein erwachsener Dr. Schäfer zu verhalten. Dr. Schäfer ist mein Vater oder mein Onkel«, meint er leise. Ich brumme nur. Das ist nicht das erste Mal, dass er so etwas sagt. Aber ich fürchte, dass er es noch ein paar Mal wiederholen muss, bis ich wirklich gar nicht mehr daran denke. Jetzt allerdings denke ich hauptsächlich daran, dass er mich noch nicht losgelassen hat und ich deshalb zwangsläufig neben ihm liege. In seinem Arm. Und, dass sich das gut anfühlt. Anders als bei Nuri, aber gut.

»Ich will nicht ständig erwachsen sein und mich nur vernünftig verhalten. Das ist langweilig«, erklärt er und hört sich irgendwie schläfrig an.

»Elyas?«

»Ja?«

»Bist du müde?«

»Hört man das?«

»Total.«

»Dann halt mich wach, sonst schlaf ich gleich ein. Der Tag war echt anstrengend. Ich hab das Gefühl alle hassen mich, weil Marie wegen mir weg ist«, murmelt er und klingt dabei verletzt. Ob er deshalb hier ist? Weil ihn Maries Weggang auch runter zieht? Für ihn waren sie Freunde und konnte deshalb ihre Gefühle nicht in dem Maße erwidern, wie sie es sich gewünscht hätte. Mir leicht auf die Unterlippe beißend, hebe ich einen Arm und streiche ihm über den Rücken. Ich bin grade der Einzige, der ihm ein bisschen Beistand geben kann.

»Sie hassen dich nicht, wirklich.«

»Sicher?«

»Ja, dich kann man nicht hassen. Dafür bist du viel zu sympathisch.«

»Ich bin sympathisch?«, fragt er belustigt. Ich brumme verlegen und boxe ihm gegen die Brust. So nahe, wie wir grade beieinander liegen, könnte man das fast als kuscheln missverstehen, oder? Ich bin mir nicht sicher.

»Ja, bist du. Du kannst gemein sein, aber du bist sympathisch, selbst wenn du als ungebetener Gast auf dem Sessel eines Fremden sitzt und ihm zusiehst, wie er von seiner Mitbewohnerin wieder gesund gepflegt wird«, brumme ich verlegen. Elyas lacht leise.

»Marie ist wirklich sehr...überzeugend. Sie wollte mich einfach nicht gehen lassen«, murmelt er. Ich habe das Gefühl, dass er gleich einschläft.

»Sie wollte, dass ich dich auch mag, weil sie dachte, dass dann ihre Familie dich auch mögen wird. Deshalb hat sie mich auch nur zu deiner Party mitgezerrt und dann sogar da gelassen. Weil sie weiß, dass ich...Auftauphasen brauche.«

Elyas lacht wieder. Streicht er mir grade durchs Haar? Das ist seine Hand in meinen Haaren. Da bin ich mir jetzt aber sicher.

»Die brauchst du wirklich. Wie lange hättest du mich noch Dr. Schäfer genannt, wenn ich dich nicht gezwungen hätte Elyas zu sagen?«

»...für dich sicherlich zu lange«

»Die Mädels haben Recht. Du bist mit deinen ganzen Eigenheiten einfach echt niedlich.«

Mir wird heiß und mein Herz klopft wie wild gegen meine Rippen. Bitte?

»...Gabriel? Du musst schon mit mir reden, wenn du mich wach halten...möchtest«, murmelt er leise und so schläfrig, dass mir klar ist, dass ich den Mund aufmachen muss. Aber ich bekomme die Zähne grade partout nicht auseinander und so bleibt es still, bis man nur noch Elyas‘ ruhigen und gleichmäßigen Atem hört und ich meinen rasenden Herzschlag.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  chaos-kao
2017-11-26T18:57:45+00:00 26.11.2017 19:57
Echt traurig, dass Marie tatsächlich gegangen ist. Ein Kapitel in dem die Zurückgebliebenen mit allerlei seltsamen Mitbewohner-Kandidaten zu tun haben könnte ganz amüsant sein :) Bisher finde ich die Geschichte echt süß!
Antwort von:  Schwarzfeder
27.11.2017 11:46
Ich freue mich, dass es dir bis jetzt so gefällt :3 was da noch kommt, kann ich natürlich nicht vorweg verraten, aber ich hoffe, dass es dir gefallen wird!
Danke für deinen Kommentar :)
Von:  Yamasha
2017-11-26T17:49:23+00:00 26.11.2017 18:49
Dass Maries Umzug die alle so fertig macht ist echt heftig. Momo ist wieder so verschlossen, der Rest hat auch keinen Bock auf nichts... Heftig. Aber auch irgendwie schön. Das heißt ja, dass alle sie sehr geliebt haben müssen.
Aber das mit Elyas und Gabriel auf dem Bett ist auch soo süß <3 Dieses ernste Gespräch und dass Elyas einfach so einschläft. Das zeigt einfach, wie gut Gabriel ihm tut. Wobei Gabriel mir grade ein bisschen Leid tut. Mal wieder so verwirrt und alles. Aber solang das nicht die gleichen Ausmaße annimmt wie beim letzten Mal ist alles gut :)
Antwort von:  Schwarzfeder
27.11.2017 11:44
Ich muss gestehen, dass ein oder andere Tränchen kam mir beim Schreiben auch, aber die vier sind eine sonst sehr eingeschworene Gemeinschaft gewesen. Aber...man sieht sich ja immer zwei Mal im Leben ;3
Nein, die Ausmaße werden nicht mehr die gleichen, aber...was da noch kommt...
Naja, das kannst du Mittwoch ja weiterlesen ;3 danke für deinen Kommentar, ich freue mich so sehr, dass ich wirklich zu jedem Kapitel eine Rückmeldung von dir bekomme!


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