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Dunkles Wasser

von

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2. Kapitel
 

Am nächsten Tag, der Morgen war längst vorüber, verließ Fisk die Gaststätte.

Der Wirt erzählte ihm von einer Nachricht die man für ihn hinterlassen hatte, es war der Priester welcher nach ihm schickte. Sobald er erwacht war, sollte er sich sofort in der Kirche mit ihm treffen.

Zu Fuß machte er sich auf den Weg, der Himmel hing voller dunkler Wolken, aber noch schien es keinen Regen gegeben zu haben.

Gerade als er durch eine schmale Straße ging, an deren Ende er den Vorhof der Kirche schon zu sehen war, rief jemand hinter ihm seinen Namen.

Helena Sundig ging mit langen, anmutigen Schritten auf ihn zu. Wieder trug sie ihr Haar hochgesteckt, ihre Miene wirkte kühl und abweisend. „Ihr habt mich gestern einfach sitzen lassen! Eine Dame so zu behandeln ist sehr unhöflich.“

„Ihr sagtet dass Ihr Informationen für mich hättet. Dem war nicht so, daher sah ich keinen Grund noch zu bleiben.“

Ihrem Gesichtsausdruck nach, hatte sie wohl eine andere Antwort erwartet Ihre Mundwinkel zogen sich weit nach unten. „Ihr habt ein ganz schön loses Mundwerk.“ Langsam verzog sich ihr Mund wieder zu einem Lächeln. „Das gefällt mir. Habt Ihr schon Fortschritte gemacht was die Beweissammlung angeht? Wollart sollte keinen Tag länger auf freiem Fuß bleiben.“

„In der Tat. Heute früh habe ich ihn mir vorgenommen. Er ist nicht ganz so mürbe geworden wie ich es gehofft hatte, aber er hat sich mehr als einmal verraten. Nun passt alles zusammen und ich kann beweisen wie er es gemacht hat.“

Helena bekam große Augen, sie trat noch näher an den Jäger heran, ihre Lippen bebten leicht vollster Erwartung. „Unglaublich! Aber sagt mir wie! Wie hat er es gemacht?“

Fisk beugte sich ihr leicht entgegen, seine Stimme wurde leiser, nach einem kurzen Blick zu beiden Seiten der Gasse raunte er ihr zu. „Ihr seid wirklich gierig danach die Antwort zu erfahren oder?“

Helena war die Neugier noch immer stark in ihr Gesicht geschrieben, allerdings wirkte sie auch ein wenig verunsichert. Zog er sie auf, oder würde er es ihr trotzdem verraten?

„Dann kommt heute Nacht auf das Weingut. Ich habe mir einen Plan zurecht gelegt wie ich Wollart auffliegen lassen werde. Besser als wenn ich es Euch jetzt erkläre, würdet Ihr es doch finden selbst dabei zu sein, oder Helena?“

Sie legte sich ihre warme Hand auf die Brust um ihr pochendes Herz wieder zur Ruhe kommen zu lassen. „In jedem Fall! Ich will sehen wie dieser Mistkerl seine Strafe bekommt!“

„Dann bringt auch Euren Bruder mit.“

Nur einen kleinen, unbedeutenden Schritt wich sie wieder zurück und musterte den Jäger von unten bis oben. „Weshalb?“

„Nun, gestern sagtet Ihr mir, er und Wollart seien beste Freunde gewesen. Sicherlich will er auch sehen wie ihm endlich Gerechtigkeit widerfährt oder?

Außerdem brauche ich euch beide als Zeugen.“

Die Fragen, welche ihr unter der Zunge brannten, brauchte sie gar nicht stellen, er konnte es in ihren Augen ablesen und sprach weiter. „Ihr wurdet von ihm belästigt, und so wie Euer Bruder über Euch wacht, wird er es auch gesehen haben. Außerdem ward Ihr eine gute Freundin von Audrie, Ihr könnt mir nicht erzählen dass Ihr nicht mit ihr über all diese Dinge gesprochen habt.

Audrie wird Wollart zur Rede gestellt haben, versteht Ihr?“

Ungläubig schüttelte Helena den Kopf. „Was? Ja... natürlich habe ich mit ihr darüber geredet, aber wie kommt Ihr darauf dass wir brauchbare Zeugen sein könnten? Wir können doch nicht einfach dort hin gehen und uns als Zeugen darstellen wenn niemand weiß wo sie ist, oder wie sie umgekommen ist. Außerdem was soll das Gerede mein Bruder hätte alles mitbekommen? Ich habe es mit keiner Silbe ihm gegenüber erwähnt.“

Fisk deutete mit seinem Kinn nach rechts, zu dem großen Platz vor der Kirche am Ende der Gasse. „Weil er auch jetzt dort steht und ein Auge auf Euch hat. Ihr bemerkt ihn nur nicht, oder?“

Helena traute ihren Augen kaum, dort am Rande des Platzes, stand tatsächlich ihr Bruder im Schatten eines Baumes und betrachtete die Beiden mit finsterer Miene. Auch als sie offensichtlich zu ihm hinüber blickten, rührte er sich kein bisschen.

Erst nach einem stillen, endlos langen Augenblick ging er weiter und verschwand aus der Sicht.

„Mein Verstand ist ganz wirr.“ Helena berührte vorsichtig mit ihren Fingerspitzen ihre Stirn und schüttelte den Kopf. „Wir haben ein gutes Verhältnis, ja, Ihr könntet Recht haben. Vielleicht hat er uns gesehen und weiß längst Bescheid.“

„Was Eure Zweifel wegen den Beweisen angeht, ich habe ihre Leiche gefunden. Sie ist erstaunlich gut erhalten und ihr Schädel ist eingeschlagen. Das sollte Beweis genug sein.“

Helena schnappte nach Luft, sie wankte und hielt sich die Hand vor den weit aufgerissenen Mund. „Was? Oh Audrie! Wo? Wo war sie?“

„Man warf sie in den Brunnen auf dem Anwesen. An ihrem Bein war ein Stein mit einem Seil befestigt, kein Wunder dass ihr Geist so erbost ist.“

Fassungslos schüttelte Helena den Kopf, ihre Knie wurden weich, vor ihren Augen bildete sich ein dunkler Schleier. Bevor sie alle Kraft verlassen konnte, packte der Jäger ihre Oberarme und drückte sie an die Hauswand in ihrem Rücken. Mit Tränen in den Augen blickte sie zu ihm auf und klammerte sich an seinen Mantel. „Arme Audrie, wie konnte man ihr das nur antun?“

Sie hob die Hände und legte sie an die Wangen von Fisk, ohne seinen festen Griff würde sie noch immer nicht auf eigenen Beinen stehen können. Ihre Stimme klang erstickt, Tränen verloren sich aus ihren Augen. „Ihr seid unglaublich. Ihr habt sie tatsächlich gefunden! Nicht einmal im Ansatz könnt Ihr Euch vorstellen wie dankbar ich Euch bin. Wenn es etwas gibt das ich für Euch tun kann, bitte lasst es mich wissen.“

Helena zog sein Gesicht dicht an das ihre heran, schwer war es nicht für sie, der Jäger leistete keine Gegenwehr. Sie schloss ihre Augen als sich seine warmen Lippen auf die ihren legten.

Ein leises Seufzen drang aus ihrer Kehle als Fisk seinen Körper gegen sie drängte und sich ihre Lippen öffneten. Als der Kuss an Innigkeit gewann, legte sie ihre Arme um seinen Hals und schmiegte sich an ihn. Noch immer wirkten ihre Knie weich und kraftlos, doch dieses Mal aus einem anderen Grund.

Viel zu früh für ihren Geschmack löste er den Kuss wieder, sie reckte das Kinn nach ihm, berührte mit ihrer Zungenspitze nochmals seine Lippen, genoss das Gefühl seines warmen Atems auf ihrer Haut.

Seine dunkle Stimme grollte leise. „Kommt heute Nacht, ich brauche Euch dort. Eine Stunde bevor Audrie erwacht. Ich biete Euch ein Schauspiel dass Ihr niemals vergessen werdet.“

Helena nickte, noch immer atemlos. Sie drückte sich fester an die Wand als Fisk sie los ließ. Ohne ein weiteres Wort ging er die Gasse entlang, hinüber zu der Kirche. Einen letzten Blick warf er über seine Schulter, Helena lächelte. Erst als er im Inneren verschwunden war, ging auch sie ihres Weges.
 

Die breite Flügeltür quietschte laut als Fisk die Kirche betrat, sofort drehte sich der Priester zu ihm herum, welcher vorn am Altar stand. Schweigend wartete er bis Fisk den heiligen Ort durchschritten hatte und direkt vor ihm stehen blieb. Missmutig musterte er ihn. „Ihr tragt Eure Waffen an diesem Ort?“

Schulterzuckend verschränkte Fisk seine Arme vor der Brust. „Ein Nebeljäger geht nicht einen Schritt ohne für jeden Angriff gewappnet zu sein, um sein Leben, oder das Anderer schützen zu können. Regel Acht unseres Kodex. Außerdem wurde mein Schwert einst durch einen Priester geweiht und ihm haftet weiße Magie an. Sollte es Euch ein Trost sein. Kommen wir zu dem Anliegen weswegen Ihr mich rufen ließt.“

Aus den Lippen des Priesters wich jegliche Farbe als er sie fest zusammen presste, um den Kommentar zu unterbinden der ihm auf der Zunge lag. Diesen Jäger konnte er nicht ausstehen, es beharrte ihm nicht mit ihm zu diskutieren, also kam er schnell zu seinem Anliegen. „Es ist spät, ich hätte früher mit Euch gerechnet. Wie ist die vergangene Nacht ausgegangen? Audries Geist schrie so laut, wie wir es noch nie gehört haben. Viele Bürger sind besorgt. Habt Ihr dem armen Mädchen den Frieden geschenkt?“

„Nein, ich habe ihren Geist lediglich für den Rest der Nacht gebannt. Aber was das angeht, habe ich ebenfalls einen Auftrag für Euch, denn meiner wird in dieser Nacht erfüllt sein.“

Vollster Ehrfurcht legte der Priester das Buch, indem er gelesen hatte, vor sich auf den Altar und klappte es zu. Nach einem tiefen Atemzug faltete er die Hände vor sich wie zum Gebet. „Ihr klingt zuversichtlich. Was wollt Ihr?“
 

Nachdem sie die Angelegenheit gerade geklärt hatten, öffnete sich unter einem lauten Quietschen erneut die Tür der Kirche. Mit trägen Schritten schlurfte Wollart Karms herein. Sein magerer Leib war verdeckt von einem Mantel, der ihm eines vergangenen Tages besser gestanden hatte.

Das blasse Gesicht wirkte eingefallen, unter seinen verquollenen Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet.

Einen flüchtigen Augenblick lang hob er den Kopf zu den beiden Männern vorne am Altar. Kein Wort kam ihm über die Lippen. Kraftlos ließ er sich auf eine der Bänke in der zweiten Reihe sinken.

Zum Abschied nickte Fisk dem Priester noch einmal zu, als er an Wollart vorbei kam, blieb er kurz bei diesem stehen, legte ihm eine Hand auf die Schulter und flüsterte ihm leise einige Worte zu.

Erst als die Schritte des Nebeljägers verhallt waren, ging der Priester die zwei Stufen vom Altar hinab und stellte sich vor den Barbier.

„Was ist Euch widerfahren Karms? Ihr seht wie ein zweiter Geist aus der unser Dorf heimsucht.“

Den Blick in die Leere vor sich gerichtet sprach Wollart seine Antwort so leise, dass der Priester sich anstrengen musste damit ihm kein Wort entging. „Bald wird sie frei sein meine Audrie. Möge der Herr ihr gnädig sein.“

Feste drückte der Priester seine Fingerkuppen feste in das Holz der Rückenlehne und reckte sein Kinn vor. „Ich weiß nicht was in dieser Nacht geschehen soll. Ob es die Nacht wirklich sein sollte, in der Audries Seele Gerechtigkeit widerfährt. Oder ob Ihr es seid der seine gerechte Strafe erhalten wird. Ich bin gezwungen diesem Fremden zu vertrauen.“

Ganz langsam hob Wollart seinen Blick, stumm lief eine Träne seine Wange hinab und benetzte den Kragen seines Mantels. „Qual. Strafe. Bilder des Grauens. Sie kommen wie eine Welle der Zerstörung über uns herein. Ungefragt vernichten sie alles. Möge der Herr uns vergeben, für alles was wir tun.“

Mit gekrümmten Rücken, als würde alles Leid dieser Welt auf ihm lasten, erhob er sich von der Bank und schleppte sich hinaus in die kalte Luft der Mittagsstunde.

Lange noch hatte der Priester seine Augen auf die Tür gerichtet als befürchte er, noch jemand den er an diesem Ort nicht sehen wollte, käme herein.
 

Geschäftig für Jedermann nahm der Tag seinen Lauf. Die Nacht brach herein, nachdem die Sonne sich verabschiedet hatte. Für manche, ein letztes Mal. Ohne dass sie es wussten.

Tiefe Schatten huschten über das Land als dunkle Wolken den Mond verhüllten. Doch je später die Stunden wurden, um so freier wurde der Nachthimmel.

Mondlicht erhellte die Pfade, für all jene die kein Fackellicht bei sich trugen. Auch der Nebeljäger trug keine Fackel als er den Brunnen auf dem Weingut umrundete. Veldig lag in den Schatten nahe des Wohnhauses, die Ohren weit aufgerichtet damit ihm kein Laut seiner Aufmerksamkeit entging.

Ein Grollen tief aus seiner Kehle kündigte Besuch an.

Nahe dem Hauptpfad schälten sich zwei Gestalten aus den verwilderten Weinreben und traten auf das Anwesen. Helena und Ultarior Sundig gingen dem Nebeljäger entgegen. Ihre Mienen hart und angespannt.

„Ihr seid pünktlich. Sehr gut. Wollart ist auch bereits auf dem Weg.“

Ultarior hob eine seiner breiten Brauen in die Höhe und warf einen Blick über seine Schulter hinab ins Tal wo seelenruhig Aurum schlief. Tatsächlich erkannte er weit unten am Hang das Licht einer Fackel. In seiner Stimme lag ein gereizter Unterton. „Deshalb sollten wir ohne Licht kommen, weil er uns sonst gesehen hätte? Wenn jetzt der Himmel voller Wolken gewesen wäre, hätten wir aber dämlich da gestanden.“

Fisk zuckte mit den Schultern, sein Blick war ebenfalls auf das Tal gerichtet. „Hätte. Wäre. Könnte. Ist es aber nicht. Alles läuft zu meiner Zufriedenheit.“

Ultarior verschränkte die Arme hinter seinem Rücken, er trug sein Kinn so hoch, dass er stehts auf andere hinab blicken musste. Langsam drehte er sich zum Jäger herum und musterte ihn abschätzend. „Zufriedenheit? Macht Euch all das hier zufrieden?“

„Natürlich. Jeder der es verdient bekommt seine Strafe. Audries Geist wird endlich Ruhe finden, und ich werde genug durch diesen Auftrag verdienen damit ich mir einen neuen, wunderbaren Pinsel kaufen kann.“

Angewidert rümpfte Ultarior seine Nase. „Kümmert Euch das Leid von uns allen überhaupt irgendwas? Ihr besucht hier nicht irgendeinen Jahrmarkt wo es darum geht den Großen zu spielen und den Frauen zu imponieren.“

Fisks Gesicht blieb eine ruhige Maske ohne Emotionen. „All zu viel Empathie ist bei meiner Bestimmung hinderlich.“

Helena drängte sich zwischen die Beiden. „Ihr sagtet Ihr hätten Audrie gefunden? Können wir sie sehen? Jedem war es unmöglich nur eine Nacht mit ihr zu überleben, ihr aber konntet sie wirklich finden?“

Ultarior verzog seinen Mund als läge ihm etwas bitteres auf der Zunge. „Deshalb hast du mich mit aller Gewalt hier hoch geschleppt? Weil du ihre Leiche sehen wolltest?“

Seine Schwester funkelte ihn wütend an und zischte ärgerlich. „Sei nicht albern! Ich bin einfach neugierig dass er etwas geschafft hat, was sonst niemand konnte.“

Fisk trat durch die offene Tür in das Wohnhaus des Anwesens. Er ging in die Hocke und zog etwas schweres heraus. Im Licht des Mondes war es nicht gut zu erkennen, erst als er es vor den Füßen der Geschwister abgelegt hatte, wurde es für sie deutlich.

Aus Ästen und Zweigen hatte der Jäger eine Art Bare hergestellt, auf ihr lag das, was einmal Audrie ausgemacht hatte. Helena ging ein wenig zögerlich um die Bare herum damit sie die Überreste im Schein des Mondes besser erkennen konnte.

Der Körper war in eine dicke Schicht aus Morast gehüllt, ihre Glieder waren gefesselt und an ihrem Knöchel hing noch das Seil mit dem Stein. Der kahle Schädel war zur Hälfte eingeschlagen, man konnte sogar noch grobe Konturen ihres Gesichts erkennen.

Ultarior rümpfte die Nase und wandte den Blick von dem grässlichen Anblick ab. „Wollart muss sie gehasst haben wenn er sie so zugerichtet hat. Das arme Ding.“

Fisk zerrte die Leiche weiter, nahe des Brunnens senkte er sie wieder vorsichtig ab. Prüfend warf er nochmals einen Blick den Hang hinunter. „Wollart ist fast da. Versteckt Euch bitte im Eingang des Wohnhauses, ich werde Euch dann rufen wenn ich soweit bin.“

Helena folgte seinem Befehl, Ultarior aber blieb stehen, den Blick starr auf Fisk gerichtet. „Wofür braucht Ihr uns? Meine Schwester meinte als Zeugen. Aber nur unter uns? Wer soll die Zeugen anhören? Wer garantiert uns, dass Wollart nicht durchdreht und uns alle hier an Ort und Stelle hinrichtet?“ Beim Sprechen verengten sich seine Augen immer mehr.

Auf die Lippen des Jägers schlich sich ein Lächeln und er nickte dem Fremden zu. „Mein Schwert wird Eure Garantie sein. Glaubt mir, vor ihm habt Ihr nichts zu befürchten. Wollart habe ich bereits so weich geklopft dass er hier und heute gestehen wird. Durch sein Geständnis wird dann auch Audries Geist ihre Ruhe finden. Sie wird der Richter sein.“

Im ersten Moment schien Ultarior nicht ganz überzeugt zu sein, dann aber, ohne dass ein weiteres Wort seine Lippen verließ, folgte er seiner Schwester in das Wohnhaus. Sie versteckten sich in den Schatten und starrten hinaus. Nichts sollte ihren Blicken entgehen.

Lange musste der Jäger nicht allein in der kalten Luft der Nacht stehen und warten. Schon spiegelte sich auf seinen harten Zügen der Schein einer Fackel wieder.

Kurz blieb Wollart stehen als er Fisk erblickte. Noch immer trug er seinen viel zu großen Mantel, den er vor der Brust mit seiner freien Hand zusammen hielt. In sich zusammen gekauert machte er einen erbärmlichen Eindruck, sein Gesicht wirkte durch die harten Schatten noch eingefallener als am Vormittag.

Sein Blick fiel auf die Leiche, sofort eilte er zu ihr und fiel auf die Knie. Tränen liefen an seinem Gesicht hinab. „Oh Audrie. Meine liebste Audrie.“

Fisks Stimme erklang ruhig, in der Stille der Nacht aber für jeden Anwesenden gut hörbar. „Heute ist die Nacht gekommen, wo Audries Seele endlich ihren Frieden finden wird. Heute Nacht wird ihr Mörder gestehen.“

Mit ausgestrecktem Zeigefinger deutete er auf Wollart und erhob seine Stimme etwas mehr. „Ihr habt Helena Sundig nachgestellt! Obwohl Ihr mit Audrie verlobt ward. Habt Ihr Audrie getötet um sie los zu werden?“

Wollart sah mit schreckensgeweiteten Augen zu dem Jäger auf und schüttelte ungläubig den Kopf. Er wollte sich erheben, aber seine Beine verweigerten ihren Dienst. Die Hand, in welcher er die Fackel hielt, begann zu zittern. „Aber was redet Ihr denn da? So etwas habe ich nie getan! Ich habe keine andere außer Audrie geliebt!“

Fisk brachte ihn mit einer harschen Handbewegung zum schweigen. „Die beiden waren gute Freundinnen, sicherlich habt Ihr Eure Verlobung nur als Vorwand benutzt um an Helena heran zu kommen nicht wahr?“

Panisch gestikulierte Wollart mit seiner freien Hand, kleine Schweißtropfen bildeten sich auf seiner Stirn. „Gute Freundinnen? Was redet Ihr da für ein wirres Zeug? Sie hatten nie wirklich viel miteinander zu tun.“

Langsam hob der Jäger seine Hand und winkte die Geschwister herbei. „Hier habe ich Zeugen. Helena Sundig selbst beschuldigt Euch, ihr nachgestellt zu haben.“

Es dauerte einen Moment, da traten die Beiden wirklich aus dem Schutz des Wohnhauses hinaus. Wollart kämpfte sich sogleich auf die Beine und schüttelte energisch den Kopf. „Helena! Wie könnt Ihr so etwas nur erzählen? Ihr selbst ward es doch, die mir nachgestellt hat! Ihr habt zu mir gesagt Audrie könne mir doch nichts bieten!“

Ohne ein Wort zu verlieren stupste sie mit dem Ellenbogen ihren Bruder an und verschränkte abwertend die Arme vor der Brust. Ultarior schloss kurz die Augen und schüttelte nur den Kopf. „Ich selbst habe dich beobachtet wie du meiner Schwester nachgestiegen bist. Einige Male wollte ich dich zurecht weisen, aber Helena hielt mich flehend davon ab. Sie wollte mit der ganzen Sache kein Aufsehen hier im Ort verbreiten.“

Zitternd ging Wollart ein paar Schritte vor, seine Stimme bebte vor Erregung, verzweifelt blickte er immer wieder zwischen den Geschwistern und dem Jäger, welcher ihn mit einem finsteren Blick musterte, hin und her. „Ultarior! Was redest du denn da? So viele Jahre waren wir befreundet! Warum erzählst du nun diese Lügen über mich?“

Bevor die Diskussion noch weiter angefacht werden konnte, donnerte Fisks Stimme laut über die Anwesenden. „Jemandes Herz wurde gebrochen. Eifersucht, Gier und Missgunst wurden gesät, bis ein Leben Enden musste. Audrie. Sie war die Leidtragende in diesem Spiel. Und jene, mit dem gebrochenen Herzen war Helena Sundig.“

Während er sich herum drehte, streckte er den Zeigefinger aus und deutete auf die schöne Frau mit dem hochgesteckten, schwarzen Haar. „Ihr, Helena. Ihr ward es die es nicht ertragen konnte dass Wollart Audrie liebte, und nicht Euch. Richtig? Ihr, eine angesehene Frau mit viel Erspartem, gierig nach der Aufmerksamkeit eines Mannes an den Ihr Euer Herz verloren habt. Oder war es sein praller Geldbeutel weil er ein gut laufendes Geschäft führte?“

Alle Anwesenden starrten vollkommen entgeistert den Jäger an. Helenas Augen waren weit aufgerissen, die Verschränkung ihrer Arme löste sich. Fassungslos aufgrund der Anschuldigung schüttelte sie den Kopf, die Miene ihres Bruders verdunkelte sich auf der Stelle. „Wie könnt Ihr mir solch einen lächerlichen Vorwurf machen? Seid Ihr noch bei Sinnen? Ihr sagtet wir sind heute Nacht hier um gegen diesen Mörder auszusagen. Nun aber schuldigt Ihr tatsächlich mich an?“

Fisk machte eine wegwerfende Handbewegung und richtete seinen Blick auf ihren Bruder als er weiter sprach. „Was den Mord angeht, denke ich doch eher dass diesen Euer Bruder begangen hat. Ultarior, oder ist es Euch lieber wenn ich Euch Arior nenne? So wie es Eure Schwester tut?“

Die Augen von Ultarior verengten sich zu schmalen Schlitzen, die Hände zu Fäusten geballt trat er zwei kleine Schritte auf den Jäger zu. „Was soll dieser verblödete Schwachsinn? Eure Anschuldigungen können Euch teuer zu stehen kommen wenn wir dem Priester davon erzählen.“

Aus seiner Manteltasche holte Fisk ein Bündel Briefe hervor und wedelte damit herum. „Die hier fand ich in Audries Zimmer, gut versteckt damit auch niemand dahinter kam, dass Wollart nicht der einzige Mann in ihrem Leben war. Unterschrieben mit A. Sind wir mal ehrlich, was ist Ultarior für ein dämlicher Name? Helena nannte Euch einmal Arior. Eine Abkürzung? Oder ist das Euer wahrer Name?“

Vor Zorn völlig aufgebracht stampfte Helena wütend mit einem Fuß auf „Absurd! Nur weil ich mich einmal versprochen habe? Das soll ein Beweis dafür sein, dass diese Liebesbriefe von meinem Bruder sind?“

Unter die wütenden Stimmen der Menschen mischte sich ein dunkles Stöhnen, ein bitterliches Wehklagen welches rasch an Lautstärke gewann und jedem die feinen Härchen im Nacken zu Berge stehen lassen konnte.

Alle Blicke richteten sich auf den Brunnen, nur Fisk betrachtete die Geschwister weiterhin mit finsterer Miene als würde er die Klagelaute gar nicht wahrnehmen. „Es kränkt mich ja fast dass Ihr mich für solch einen Amateur haltet. Im Haus wimmelt es im Staub des Bodens von Fußabdrücken. Eine Sorte davon aber findet man sehr häufig, es sind kleine schmale Füße, genau Eure Größe Helena. Diese Briefe habt Ihr doch fieberhaft gesucht nicht wahr? Audries Zimmer war ziemlich verwüstet, aber Ihr habt sie nicht gefunden.“

Das Stöhnen wurde lauter, auch Helenas hysterische Stimme nahm zu, wieder stampfte sie mit dem Fuß auf und warf verärgert die Hände in die Luft. „Irrsinn! Alles idiotische Anschuldigungen die Ihr nicht beweisen könnt! Was soll das hier alles? Wollt Ihr dass uns Audrie alle tötet?“

Knochige Hände schoben sich über den Rand des Brunnens, krallten sich fest am kalten Stein, zogen Audries Geist langsam in die Höhe. Als ihre leeren Augenhöhlen zu erkennen waren, richteten sich diese sofort auf die Anwesenden. Ein lauter Schrei drang aus ihrer Kehle.

Auf Fisks Züge legte sich ein dunkles Lächeln. „Sie kann uns nichts tun. Seht Euch den Boden um den Brunnen genau an. Wollart, leuchte uns doch bitte ein wenig.“

Zitternd wie Espenlaub hielt Wollart die Fackel ein wenig näher an den Brunnen heran. Direkt um den Rand war eine weiße Spur gezogen. Ultarior rümpfte die Nase und verzog bitter seinen Mund. „Salz? Ein alter Trick um einen Geist an Ort und Stelle zu bannen.“

Fisk hob einen seiner Finger, Audrie kletterte komplett auf den Rand des Brunnens und nahm eine Haltung ein, als wollte sie jeden Augenblick von diesem hinunter springen und auf die Anwesenden los gehen. Aber sie konnte nicht. Schreiend bäumte sie sich auf, schwebte über dem Stein, konnte ihn jedoch nicht verlassen. „Alt, aber effektiv. Vielleicht sollte ich Audrie hinzu ziehen und sie fragen wer sie ermordet hat.“

Wollart schüttelte den Kopf und machte eine ausladende Handbewegung. „Sie ist so wütend, dass sie uns alle umbringen wird. Ganz gleich wer ihr Leid antat!“

„Richtig, nicht aber wenn ich ihren Geist kontrolliere. Ein Kinderspiel für mich, jetzt wo wir ihren Körper haben.“

Alle standen wie erstarrt da, als Fisk an die Seite des vermoderten Leichnams trat und auf ihn hinab blickte. Sein rechter Fuß berührte fast den weißen Kreis aus Salz, Audrie schrie ihr Leid heraus, war vor Zorn vollkommen außer sich. Sie streckte ihre mageren Hände aus, doch sie reichte nicht an den Jäger heran.

Sein finsterer Blick hob sich langsam, direkt blickte er in das Gesicht von Ultarior und Helena. „Nicht nur ein Jäger der Toten bin ich. So viele Winkel dieser Welt habe ich schon gesehen, so viele Kreaturen erlegt. Für wie dumm haltet ihr mich? Eure Pinsel bestehen nicht aus dem kostbaren Fell eines wilden, seltenen Tieres. Glaubt Ihr wirklich ich würde das nicht erkennen? Glaubt Ihr wirklich ich würde Menschenhaar nicht erkennen wenn ich es sehe?“

Wollart stockte der Atem, langsam drehte sich sein Kopf zu den Geschwistern Sundig herum. Ultarior wirkte zwar angespannt, verzog aber keine Miene. Helena dagegen war totenbleich.

Im nächsten Moment brach sie in schallendes, fast schon hysterisches Gelächter aus.

„Schluss mit dem Theater! Ihr werdet diese Nacht ohnehin nicht überleben.“

Neben ihr zischte Ultarior wütend und ergriff ihren Oberarm, Helena aber schlug ihn fort und lachte noch immer. „Lass gut sein! Bring diese Trottel einfach um! Niemand kommt hier fort um uns anschwärzen zu können!“

Kopfschüttelnd brach Wollart zusammen, seine Knie gaben nach. „Was soll das heißen Helena? Habt ihr es tatsächlich getan? Meine liebste Audrie ermordet? Und dann noch ihr Haar zu Pinseln verarbeitet?“

Das hübsche Gesicht der Frau wurde durch ein grässliches Grinsen entstellt. Sie breitete die Arme aus, und zuckte mit den Schultern. „Wir dachten das sei vielleicht ein hübsches Andenken für dich!? Du Narr, dies Alles hätte gar nicht so weit kommen müssen, hättest du nur mehr Interesse an mir gezeigt!“

Übelkeit stieg von Wollarts Magengrube auf, ein Schleier aus Tränen blendete seine Sicht. Was sie da sagte konnte er gar nicht fassen. Seine liebste Audrie hatte sterben müssen nur wegen der Eifersucht dieser Frau? „Ultarior, dann warst du es tatsächlich? Hast du etwas mit Audrie zu schaffen gehabt?“

Ohne jegliche Emotion antwortete ihm sein ehemals bester Freund, dem er immer all seine Sorgen und Probleme erzählt hatte, ihn hier und heute in dieser Nacht aber kaum mehr wieder erkannte. „Ja. Bedeutungslos. Alles nur meiner geschwätzigen Schwester zu liebe. Du hast ihr wirklich gefallen, aber du hast sie nicht beachtet. Sie bat mich Audrie um den Finger zu wickeln.“

„Leider hat es nicht so gut funktioniert, ich musste von einer Reise einen Liebeszauber anwenden, den ich bei einer Kräuterhexe gekauft hatte. Dich aber wollte ich selbst erobern, du Idiot hattest aber nur Augen für diese Hure.“ Als Helena mit ihrem Zeigefinger auf Audrie deutete, kreischte diese vor wildem Zorn erneut auf.

„Arior, beende dieses Spiel hier! Entsorge diese Dreckskerle.“ Als jedoch auf den Befehl von ihr nichts geschah, wandte sie ihren zornigen Blick zu ihrem Bruder. Noch immer stand er seelenruhig da und schüttelte den Kopf. „Du geschwätzige Närrin. Musstest du alles hinaus posaunen? Von hier kann ich nichts tun.“

Helenas Augen spiegelten Verständnislosigkeit wieder, bevor sie ihn aber zur Rede stellen konnte, hob Fisk seine Hand und stieß einen leisen Pfiff aus.

Raschelnd erwachte das Gestrüpp um das Anwesen herum zum Leben. Gestalten schälten sich aus den den Schatten, hier und da entzündeten einige der Männer kleine Laternen um Licht in die Dunkelheit zu bringen. Bewaffnete Dorfbewohner traten langsam an die kleine Gruppe heran, viele wirkten nervös bei dem Anblick von Audries wütendem Geist.

Als alle zum Stillstand kamen, trat einer der Männer vor und streifte langsam die Kapuze von seinem kahlen Haupt. In den Augen des alten Priesters zeichnete sich Wut und Trauer ab als er die Geschwister Sundig betrachtete. „Es ist kaum zu glauben was ihr getan habt. Was ihr uns allen für einen Schrecken in unsere friedliche Gemeinde brachtet. Nach eurem Geständnis bleibt nur eine Strafe für euch Beide. Tod durch den Strang.“

Eilig wollte Helena rückwärts laufen, doch auch dort warteten bewaffnete Männer der Dorfmiliz auf sie. Ihr panischer Blick huschte hin und her, ihre Finger krallten sich in den Arm ihres Bruders. „So tu doch was! Bring sie alle um!“

Arior aber reagierte nicht auf ihre Worte, er starrte stumm den Nebeljäger in die Augen.

Schluchzend ging Wollart neben Audries Leichnam in die Knie und hob den Blick zu ihrem wütenden Geist. „Oh Audrie. Nun bekommst du endlich deine Gerechtigkeit.“

Fisk blickte zu ihm hinab und nickte ihm zu. „Ihr wisst worum ich Euch gebeten habe. Dass ich von ihrem Geist Besitz ergreife, um die Wahrheit auszusprechen ist nun nicht mehr nötig. Wir haben das Geständnis und genug Ohren die es bezeugen können.“

Erschüttert von seinem Wimmernd kramte Wollart ein kleines Päckchen unter seinem Mantel hervor. Mit zitternden Fingern packte er die Pinsel aus, die er einst als gütiges Geschenk eines guten Freundes gehalten hatten. „Ultarior, ich nahm immer an du seist mir ein guter Freund gewesen. Aber dass du solche Abscheulichkeiten meiner Audrie angetan hast, macht mich krank.“

Tränen liefen ihm noch immer über die Wangen als er die Pinsel zu dem Geist empor reckte. Audrie starrte hinab, ihre Klagelaute waren verstummt. „Meine Liebste. Finde deine Ruhe. Finde deinen Frieden. Nun wird alles gut. Niemand kann dir mehr ein Leid zufügen.“

Vorsichtig legte er die Pinsel aus ihrem Haar in die verfaulten Hände seiner Liebsten. Hinter ihm signalisierte Fisk dem Priester mit dem Gebet zu beginnen.

Dieser ging mit langen Schritten auf den Leichnam zu und blieb dicht neben Wollart stehen. Beide Hände breitete er seitlich aus, schloss die Augen und begann ein Gebet zu sprechen. Audries Geist krümmte sich vor Qual und Schrie ihren Schmerz hinaus.

Wollarts Tränen tropften an seinem Kinn hinab, er griff nochmals unter seinen Mantel. „Jäger ich danke Euch. Danke dass ihr Audrie wieder Frieden geschenkt habt.“

„Ich habe lediglich meinen Auftrag erfüllt.“ Des Jägers Blick war wieder auf Arior gerichtet, welcher ihn noch immer stumm entgegen starrte. Helena krallte sich fester an seinen Arm und suchte vergeblich eine Lücke zwischen den Männern. Doch diese hatten einen festen Ring um den Schauplatz gebildet und ihre Waffen gegen sie erhoben.

Wollart flüsterte leise. „Bitte sprecht auch ein Gebet für mich Priester.“ Er hob seinen Blick zu Audrie. „Vergib mir, all dieses Leid was dir zugefügt wurde kann ich nicht ertragen. Alles was ich will ist endlich wieder bei dir zu sein.“

Mit diesen Worten zog er das Rasiermesser aus seiner Manteltasche heraus und ließ die scharfe Klinge über die weiche Haut seiner Kehle gleiten. Fisk sah die Tat aus dem Augenwinkel kommen, aufmerksam geworden durch das Flüstern des Barbiers, doch er konnte es nicht mehr verhindern. Zu spät ergriff er dessen Arm um das Vorhaben zu vereiteln. Gerade als seine Finger sich um das Handgelenk von Wollart legten, sprudelte das warme Blut aus der klaffenden Wunde. Sein Körper kippte ein Stück weit nach vorn, mit der freien Hand wollte er sich instinktiv am Boden abstützen während er an seinem Blut ertrank. Unbeabsichtigt rutschte seine Hand ein Stück über den Boden und zerstörte den Kreis aus Salz.

Vor Schreck hatte der Priester inne gehalten, starrte mit weit aufgerissenen Augen auf den sterbenden Mann hinab.

Ein entsetzliches Kreischen erfüllte die Nacht, Audries Geist schoss dicht am Priester vorbei, er geriet ins Straucheln und stürzte. Mit den knochigen Fingern voraus raste sie auf Helena und Arior zu.

Helena riss sich in ihrer Panik von ihrem Bruder los, rannte einige Schritte, sogar die Männer der Dorfmiliz stoben auseinander als sie die Seele der gepeinigten Frau auf sich zu kommen sahen.

Helenas Füße waren nicht schnell genug. Audries Krallen packten ihr Haar, rissen sie von den Beinen und zerrten sie zurück.

Schreiend und um sich schlagend wehrte sich Helena, versuchte sich los zu reißen, rief nach ihrem Bruder, aber Audrie hatte ihren Kopf fest mit beiden Händen gepackt.

„Audrie hör auf!“ Fisk ließ Wollart los, ihm konnte man nicht mehr helfen. Feste packte er den Griff seines Schwertes und zog es während er auf Audrie zu rannte.

Ihr Kopf drehte sich zu dem Jäger herum, ihr Nacken gab ein lautes Knacken von sich. Die früher einmal sanfte Stimme der jungen Frau erklang in einem schauderhaften, rauen Ton. „Bleibt stehen. Oder es wird noch unzählige Tote mehr heute Nacht geben.“

Schlitternd bremste Fisk ab, er war noch einige Fuß von dem Geist entfernt, welcher noch immer die kreischende Helena fest an ihrem Haar hielt. „Nur sie will ich.“

Mit einem Ruck presste sie beide Hände in den Mund von Helena, riss ihren Kiefer weit auseinander bis die Haut ihrer Wangen einriss und das Genick unter einem entsetzlichen Laut brach. Sofort erschlaffte ihr Körper. Einige der Männer pressten ihre Hände vor den Mund, andere drehten sich ab um sich zu übergeben.

In einem letzten wütenden Aufschrei riss Audrie den Kopf in zwei Hälften und ließ ihn achtlos zu Boden fallen. Schlimmer noch als die ganzen Schreie und das Schluchzen war die Stille, welche nun einkehrte.

Ganz langsam streckte sich Audries Hand aus, den Zeigefinger richtete sie auf Fisk. Nasse Strähnen klebten an ihrem Kopf, ihre leeren Augenhöhlen starrten ihn an. „Blind ward Ihr Jäger! Mein Tod ist gerächt. Der vieler anderer nicht. Er war Euch weit voraus. Jagt ihn! Jagt ihn! Jagt ihn! Reißt ihm das schlagende Herz aus der Brust!“

Ihr Arm erschlaffte, kraftlos sackte sie in sich zusammen, der Boden hielt Audrie nicht, sie tauchte hinein als wäre er aus Wasser. Im letzten Augenblick war wieder etwas menschliches auf ihren Zügen zu erkennen. Es war ein trauriges Lächeln als ihr Blick Wollarts Körper streifte. Dann war sie fort.

Mühsam kämpfte sich der Priester auf die Beine. „Um des Schöpfers Willen! Welch ein Grauen! Jäger, wen hat sie gemeint?“

Fisks Blick huschte eilig hin und her, mit der Spitze seines Schwertes deutete er auf einen ganz bestimmten Punkt. Wütend schrie er die Männer an. „Wo ist er? Wo ist Arior?“

Es wirkte fast als hätte niemand gewusst von wem er da sprach, bis ihnen mit einem Schlag bewusst wurde dass jemand fehlte. Arior war fort, keiner aber konnte es sich erklären, an niemandem von ihnen war jemand vorbei gekommen, wenn sie auch kurz zurück gewichen waren als Audrie auf sie zu flog, solch etwas wäre ihnen nicht entgangen.

Fisk fluchte laut, drehte sich im Kreis, noch immer huschten seine Augen hin und her auf der Suche nach dem Fehler. Dann schlug es ein wie ein Blitz und er gefror in seiner Bewegung. Ganz spezielle Worte hallten in seiner Erinnerung wieder als Helena Arior sagte er soll alle Anwesenden Töten. „Von hier kann ich es nicht tun.“

Mehr zu sich selbst flüsterte er leise die Worte, dann rannte er los so schnell er konnte. „Veldig! Los!“ Sofort reagierte sein Reittier und preschte vorbei an den Männern der Dorfmiliz. Sie machten dem Jäger platz als dieser sich im Ritt auf den Rücken seines Begleiters schwang. Fest presste er seinen Körper an Veldigs Rücken, krallte seine Hände in das helle Fell und spornte ihn durch laute Rufe an so schnell zu rennen wie er nur konnte.

Der Priester rannte ihm noch ein paar wenige Schritte nach, wollte wissen was denn los sei, was Audries Geist gemeint hatte, doch eine Antwort bekam er nicht.
 

So schnell wie er nur konnte rannte Veldig den Pfad hinab zum Dorf. Die Landschaft flog an den beiden vorbei, Fisk sah sie nicht. Den Blick geradeaus gerichtet blickte er ins Leere, in seinem Kopf überschlugen sich die Dinge. Was hatte er noch übersehen? Welchen Fehler hatte er begangen?

Bald schon hatten sie die Äußeren Ausläufer des Dorfes erreicht, Fisk gab Veldig den Befehl zum Haus der Sundigs zu reiten.

Wie der Nordwind preschten Reiter und Tier durch die Straßen. Erst kurz vor der Tür des kleinen Ladens bremste Veldig ab, seine Pfoten rutschten noch über das Pflaster der Straße als Fisk von seinem Rücken sprang.

Ohne langsamer zu werden durchbrach er mit seiner Schulter die Tür und stolperte mit langen Schritten in das Geschäft hinein. Ein Surren durchdrang die Luft als er sein Schwert zog.

An Ort und Stelle verharrte er, lauschte, doch um ihn herum war nur Stille. Jemand aber hatte für ihn eine Laterne brennen lassen. Langsam machte er Schritt für Schritt, durchquerte das Ladenlokal und trat dicht an die Tür heran welche hinter der Theke in das Wohnhaus führte. Als er sie öffnete, sprang er zur Seite, nichts geschah. Vorsichtig warf er einen Blick um die Ecke, ein ruhig da liegender Flur erwartete ihn, auch hier waren die Kerzen an den Wänden entzündet worden.

Eine Treppe führte nach oben, außerdem gab es noch eine weitere Tür die offen stand.

So leise wie möglich schlich er durch den Flur damit ihm kein Geräusch entging, die Waffe noch immer kampfbereit in beiden Händen. Dunkelheit war alles was er sah, als er einen Blick durch die offene Tür warf, nur ein paar Stufen waren zu erkennen die zweifelsohne hinab in den Keller führten.

Noch einmal warf er einen Blick auf die Treppe. Zwei Optionen hatte er, und eine davon konnte wahrscheinlich Arior zur Flucht verhelfen.

Die beleuchtet Treppe hinauf, oder nach unten in den finsteren Keller?

Ohne zu zögern nahm er sich einen der Luster von einem benachbarten Tisch.

Laut knarzte das Holz der Treppenstufen als er langsam hinunter ging. Von irgendwo her drang das Geräusch von tropfendem Wasser an sein Ohr. Die Wände waren aus massivem Stein, Feuchtigkeit konnte er an ihnen nicht ausmachen.

Nach wenigen Augenblicken erreicht er das Ende der Treppe und leuchtete den Weg vor sich aus. Niemand hatte hier an diesem dunklen Ort auf ihn gewartet, alles war still und ruhig.

Vor ihm befand sich ein weiterer Gang, erst hatte Fisk im Dunkeln nicht erkennen können um was es sich handelte, als er jedoch langsam weiter ging, erkannte er es.

Rechts und Links von ihm befanden sich Zellen. Schwere Eisengitter waren in den Stein eingelassen und die Türen standen alle offen.

Das Licht seiner Kerzen erhellte die erste Zelle ein wenig, als er den Luster hinein hielt. Am Ende kauerte eine Gestalt an die Wand gelehnt. Gekleidet in ein graues Wollhemd konnte er die Konturen einer Frau ausmachen.

Kein bisschen rührte sie sich, ihr Kopf war nach vorn gesunken sodass ihr Kinn fast ihre Brust berührte. Ihr langes rotes Haar fiel nach vorn und verdeckte vollständig ihr Gesicht.

Fluchend bleckte Fisk die Zähne, nur all zu gut war er sich bewusst dass dies eine Falle sein könnte. Etwas verdächtiges aber entdeckte er nicht.

Bei der Frau angekommen rüttelte er ihre Schulter, dadurch rollte ihr Kopf ein wenig zur Seite und offenbarte ihm den schrecklichen Anblick.

Blut bedeckte die Mitte ihres grauen Wollhemdes, die Ursache dafür war mehr als offensichtlich. Jemand hatte ihr die Kehle durch geschnitten, dieser Frau konnte er nicht mehr helfen. Vor ihrem Ende musste sie schon einen furchtbaren Anblick geboten haben, so zerfallen wie ihr Gesicht war. Selbst der nahende Tod schien sie nicht weiter gestört zu haben, ihr Blick war leer und ohne Hoffnung.

Sachte berührte er die Wunde an ihrem Hals, das Blut war längst getrocknet.

Nachdem er in der Zelle alles abgesucht aber nichts gefunden hatte, trat er wieder in den Flur und schob die Tür zu der nächsten Zelle auf.

Am Boden lag eine weitere Frau, alle Glieder von sich gestreckt, ihr Haar war kurz geschoren, die Augen weit aufgerissen aufgrund des Schreckens den sie zuletzt gesehen hatte.

Auch ihre Kehle war aufgeschnitten, doch anders wie bei der ersten Toten, lag diese noch in ihrer nassen Lache aus Blut.

Eilig rannte er weiter, von Zelle zu Zelle, in jeder fand er eine Frau, tot und die Haare geschoren. In der letzten Zelle aber erwartete ihn ein weit größerer Schrecken. Von der rechten Ecke bis zur Linken war etwas Abscheuliches gebaut worden. Die Besitzer des Hauses hatten sich einen breiten Rahmen aus Holz gebaut, gefüllt mit Erde. Allerdings nicht für den Zweck Blumen in ihm anzupflanzen, hier wuchs etwas ganz anderes. Skalp an Skalp hatte man von den Schädeln abgezogen und ordentlich nebeneinander auf die Erde gelegt. Blondes, rotes, dunkles und sogar blaues Haar wuchsen aus den Hautfetzen bis über den Holzrand hinaus. Die Erde war fast komplett, bis auf wenige Stellen mit Moos bewachsen und sie lebte. Nicht still lag die Erde brach, sie wölbte sich hier und da, sank wieder ein, war erfüllt von Bewegung.

Fisk schluckte laut, vorsichtig schob er etwas Moos beiseite, wühlte die Erde auf und trug dicke rote Maden zu Tage. Eilig grub sie sich wieder zurück ins Erdreich auf der Suche nach Schutz.

Vorsichtig hob er einen Skalp an. Feine Flechten des Mooses waren mit der Haut verwachsen, sie gaben einen schmatzenden Laut von sich als der Jäger sie durch das Hochheben von der Haut trennte.

Seine Mundwinkel zogen sich weit nach unten, für einen kurzen Moment schloss er die Augen und ließ den Skalp wieder los.

Mehr brauchte er nicht zu sehen, mit langen Schritten verließ er die abscheuliche Zelle. Nur die Wände wussten welcher Schrecken sich hier zugetragen hatte, er ahnte es nur, schon allein diese Vorstellung reichte ihm.

Jemand wollte dass er diesen Ort hier sah, und diesen jemand wollte er heute Nacht finden. Dieser Jemand würde für seine Taten büßen.

Zwei Stufen auf einmal nehmend rannte er die Treppe wieder hinauf, die Kerzen seines Lusters waren längst erloschen, achtlos ließ er ihn fallen und rannte weiter zur ersten Etage. Das helle Licht der Laternen bereitete seinen Augen Schmerzen, aber falls es noch eine Frau in diesem Haus gab die er retten konnte, durfte er sich nicht länger aufhalten lassen.

Am Ende der Treppe erwartete ihn eine breite, doppelflügelige Tür.

Feste umschlangen seine beiden Hände den Griff des Schwertes. Langsam drückte er mit dem Ellenbogen die Türklinke hinab. Seine Augen waren auf den schmalen Spalt gerichtet der sich vor ihm öffnete.

Alles was er dahinter erblickte war ein Flur mit ein paar wenigen Türen. Es war so finster dass er lediglich die Umrisse erkennen konnte. Die Tür stoppte, der Jäger hielt inne und lauschte. Nichts war zu hören, es war totenstill.

Als er sich etwas fester gegen die Tür lehnte gab sie schließlich nach. Klirrend zerschlug etwas auf dem Boden hinter der Tür, und kaum dass Fisk sich Gedanken darüber hätte machen können was es war, erleuchtete eine Walze aus Feuer den langen Flur.

Hitze schlug ihm entgegen, sofort stolperte er rückwärts, fort von der Tür hinter welcher das laute Fauchen des Feuers zu hören war. Knapp vor dem Treppenabsatz kamen seine Fersen zum stehen, er blickte über die Schulter die Stufen hinab.

Verärgert bleckte er die Zähne, stürmte wieder vorwärts und trat die breite Flügeltür unter einem lauten Schrei der Wut ein. Schützend hielt er eine Hand über seine Augen als die Flammen ihm entgegen schlugen, alles brannte bereits lichterloh. Arior musste alles so eingefädelt haben dass niemand hier auf Spurensuche gehen konnte. Fluchend wich Fisk wieder einige Schritte zurück, was auch immer er hier oben hätte finden können um sich auf die Suche nach Ariors Verbleib zu machen, war unwiederbringlich an das Feuer verloren.

Rauch brannte in seinen Augen, raubte ihm langsam den Atem. Hustend stolperte er eilig die Treppe wieder hinab, seine Augen suchten die Umgebung nach etwas persönlichem ab. Selbst aber an der Garderobe hing nicht ein Kleidungsstück mehr. Das Feuer breitete sich noch immer rasend schnell aus, es schlängelte sich bereits die Treppe hinter ihm hinab.

Den Schal schützend über Mund und Nase gezogen rannte er zurück in den Verkaufsraum mit den Pinseln, doch auch dort suchte er vergebens nach irgendwas persönlichem.

An seine Ohren drang das Geräusch von splitterndem Glas, durch das Schaufenster konnte er Veldig aufgebracht hin und her rennen sehen.

„Verdammt! Verdammt! Verdammt!“ Suchend huschten seine Augen umher, blieben auf einem Stuhl direkt hinter der Theke hängen. Als er den Laden zum ersten Mal betreten hatte, saß Arior auf ihm. Es war nicht mehr als ein Strohhalm, nach ihm zu greifen war aber noch immer besser als nichts.

Eilig schnappte er sich den schweren, gepolsterten Stuhl und zerrte ihn hinaus ins Freie. Veldig knurrte laut als er ihn erblickte und drückte sich seitlich gegen seinen Herrn um ihn zur Eile zu bewegen.

Erst als er einige Meter von dem brennenden Haus entfernt war, blickte er hinauf. Der gesamte obere Teil stand bereits in Flammen und erleuchteten den klaren Nachthimmel.

Überall rannten Menschen auf die Straßen, bekleidet mit ihren Nachtgewändern und Öllampen in den Händen. Auch die direkten Anwohner an das brennende Haus rannten schreiend hinaus ins Freie.

Zumindest darum musste er sich nicht mehr kümmern. „Veldig! Mehr habe ich nicht bekommen, aber versuch eine Spur zu bekommen.“ Sein Begleiter folgte dem Deut seines ausgestreckten Zeigefingers zu dem Stuhl. Sofort schnupperte er daran.

Fisk blickte sich suchend um, die ersten Männer kamen bereits mit Wassereimern angerannt und versuchten vergeblich das Inferno zu löschen.

Mit einem Ruck richtete sich Veldig auf, ohne zu zögern schwang Fisk sich auf seinen Rücken und lehnte sich im Sattel weit nach vorn. Sofort rannte Veldig los, einige Männer die mit weiteren Wassereimern angerannt kamen, sprangen in letzter Sekunde aus dem Weg um nicht überrannt zu werden.

So schnell er nur konnte ritt er die Hauptstraße entlang, hinaus aus dem Dorf Aurum. Den Lärm hinter sich, die Schreie der Menschen, all das nahm Fisk nicht mehr wahr, seine Augen waren nach vorn gerichtet auf das Dunkel der Nacht.

Veldig rannte einen kleinen Hügel hinauf, von dem man einen guten Ausblick auf das Dorf hatte. Flammen schlugen in die Höhe, noch immer konnte man die Wärme des Feuers spüren. Plötzlich kam der Hyna zum stehen, langsam drehte er sich im Kreis, schnupperte einmal in die eine Richtung, dann in die Andere. Jaulend musste er sich geschlagen geben, hier verlief sich seine Fährte ins Leere als wäre Arior einfach so verschwunden.

Laut fluchend sprang Fisk von Veldigs Rücken, suchte den Boden nach irgendwelchen Spuren ab, so gut es das helle Mondlicht erlaubte, aber er konnte nichts erkennen. An dem Riemen, welcher quer über seine Brust verlief, brachte er gar nicht erst nach dem passenden Fläschchen zu tasten. Er wusste er würde dort nichts finden. Den letzten Trank, welcher ihm die Sicht in der Nacht erlaubte, hatte er bereits verbraucht.

Ihm blieb keine andere Wahl.

Hinter dem Sattel auf Veldigs Rücken war eine seiner beiden Reisetaschen befestigt. Eilig löste er die Schnallen und kramte darin herum. Der gesuchte Beutel war schnell gefunden. Dazu nahm er sich die kleine Öllampe und kniete sich auf das feuchte Gras. Aus einer kleinen Tasche welche an seinem Gürtel befestigt war, nahm er Feuerstein und Zunder. Schnell hatte er die Lampe entfacht und stellte sie vor sich ins Gras. Mit dem Mund zerrte er sich einen Handschuh von den Fingern und knotete das kleine Bündel auf, welches er aus seiner Tasche geholt hatte.

Rückwärts gehend zog er einen Kreis um die Lampe, vorsichtig schüttelte er das weiße Pulver aus dem kleinen Beutel. Um diesen Kreis zog er einen zweiten, einen etwas größeren, leise murmelte er dabei ein paar Worte.

Nachdem er fertig war, stellte er sich in den kleineren Kreis hinein, direkt vor die Lampe. „Veldig, du musst jetzt gut Acht geben.“

Mit aufgestellten Ohren setzte sich Veldig direkt vor seinen Herren, blieb aber außerhalb der Kreise die er mit dem Pulver gezogen hatte.

Zwischen zwei Fingern verrieb der Jäger ein wenig des Pulvers und nahm im Schneidersitz vor der kleinen Öllampe platz. Nachdem er die Augen geschlossen hatte, flüsterte er leise unverständliche Sätze vor sich hin. Gerade als das letzte Wort seine Lippen verließ, leckte er sich das Pulver von den Fingern.

Träge kippte sein Kopf in den Nacken, seine Augen öffneten sich, verdrehten sich soweit dass lediglich das Weiße in ihnen zu sehen war.

Die Welt um Fisk herum wurde Schwarz, ihm drehte sich der Kopf. Kälte kroch heran, umfing ihn, zerrte an ihm. Der Geruch von Regen drang in seine Nase, langsam öffnete er die Augen. Es fiel ihm schwer, seine Lider fühlten sich an als wären sie aus Stein.

Um ihn herum herrschte tief schwarze Nacht, die Kälte welche er wahrgenommen hatte, war ein eisiger Wind. Am Firmament erkannte er einen Gebirgszug, welcher ihm aber gänzlich unbekannt war. Um etwas in der Dunkelheit erkennen zu können, kniff er die Augen zusammen und blickte sich um, von irgendwo drang der Ruf einer Eule an seine Ohren.

Plötzlich flackerte vor ihm auf dem Boden ein helles, violettes Licht auf, gefolgt von einem Zweiten wenige Meter entfernt. Ein drittes offenbarte ihm, dass er am Rande eines Waldes stand, hinter ihm musste eine weite Steppe liegen, denn das Licht verlor sich dort in der Dunkelheit.

Im ersten Moment dachte er, die Lichter würden ihm den Weg weisen, er würde bereit sein. Langsam zog er sein Schwert und umfasste den Griff feste mit beiden Händen.

Doch als das vierte Licht entflammte, enttarnte sie eine Gestalt die zwischen den Bäumen stand.

Arior trat aus den Schatten heraus und ging leichtfüßig dem Jäger entgegen, auf seinem Gesicht trug er ein breites Grinsen. „Sieh an! Alle meine Kleider habe ich verbrannt, aber dass Euer Köter meine Spur selbst durch einen Stuhl aufnehmen kann, bringt mich doch etwas zum Staunen.

So viel Mühe für nichts. Ihr seid wirklich ein Narr.“

Nach wenigen Metern blieb Arior stehen, Fisks Hände umschlangen noch fester den Griff seines Schwertes. „Ihr widerliches Mistschwein. All diese Frauen habt Ihr in Eurem Keller gefangen gehalten um aus ihrem Haar Pinsel zu fertigen?“

Einladend breitete Arior seine Arme zu beiden Seiten aus. „Sie eignen sich einfach wunderbar! Meine Kunden lieben das weiche Haar meiner Pinsel schließlich nicht ohne Grund. Wärt Ihr nicht so erpicht darauf gewesen meine Schwester und mich des Mordes an Audrie zu überführen, hätte ich mich dort noch viele Jahre zur Ruhe setzten können. Nun ist meine Schwester tot und ich muss mir eine neue Bleibe suchen. Wisst Ihr was ich für einen Hass auf Euch habe?“

„Was war das für eine abscheuliche Aufbahrung in der letzten Zelle?! Warum habt ihr sie skalpiert und sie auf diese Weise... aufgereiht?“

Fast gleichgültig zuckte Arior mit den Schultern als interessiere ihn dies alles nicht und er würde lediglich eine Unterhaltung über das Wetter führen. „Irgendwann wird es zu teuer, so viele Frauen am Leben zu halten. Für gesunde Haare brauchen sie schließlich auch ausreichend Nährstoffe. Es ist bedeutend einfacher die Natur dafür arbeiten zu lassen.“

Mehr brauchte Fisk nicht zu hören, die abscheulichen Taten dieses Mannes waren einfach nur widerlich. Während er die Distanz zu Arior in wenigen Schritten überbrückte, schwang er mit aller Kraft sein Schwert. Doch mehr als die kalte Luft der Nacht durchschnitt die Klinge nicht.

Lachend tauchte Arior ein paar Meter neben Fisk auf. „So ein Narr wie Ihr will ein Jäger sein? All die Spuren die Euch entgangen sind... da hätte ich wirklich mehr erwartet.“

Im letzten Moment wich Arior zurück als Fisk herum wirbelte und wieder mit dem Schwert nach ihm hieb. Rasch machte er einige Schritte zurück, der Jäger preschte unerwartet schnell nach vorn und holte aus, dieses Mal würde die Zeit nicht reichen um auszuweichen. Musste Arior aber auch nicht.

Seine Züge zierte ein breites, dunkles Lächeln als des Jägers Leib vor seinen Augen erstarrte. Der Zorn in seinem Gesicht erstarb, ihm folgte Erstaunen und Entsetzen. Nicht einmal den kleinen Finger konnte er mehr bewegen.

„Dummer, dummer Jäger. Ihr seid genau in meinen Bannkreis getappt.“

Fisk blickte zu Boden, soweit es ihm möglich war. Um ihn leuchtete ein Kreis aus violettem Licht, umringt von Runen, auf. Runen einer alten, verbotenen Schrift. „Wie ich vermutete, Ihr seid ein Hexenmeister.“

Arior musste amüsiert schmunzeln. „Zumindest habt Ihr es am Ende spitz bekommen, leider zu spät. Dann lauft Ihr auch noch geradewegs in meinen Bann hinein. In Euren Tod. Wie langweilig.“

Der Hexenmeister streckte seine rechte Hand aus und krümmte die Finger. Unter einem Stöhnen gaben Fisks Knie nach und er sackte in sich zusammen, sein Schwert entglitt ihm.

Immer weiter krümmte Arior seine Finger, ein Gespinst aus kleinen violetten Fäden bildete sich um seine Hand herum, nur noch ein wenig, dann hatte er sie zur Faust geballt. „Mit Euch hätte ich gern noch ein wenig mehr Spaß gehabt. Aber ich habe keine Zeit.“

Unter der Krempe seines Hutes bildete sich ein Tropfen Schweiß, langsam lief er an Fisks Gesichtshälfte hinab und fiel zu Boden.

Keuchend wehrte er sich gegen die Klaue aus Eis welche sich um sein Herz gelegt hatte, es fühlte sich an, als würde es jeden Moment zerquetscht werden. Zorn brach über ihm zusammen wie eine tosende Flutwelle, in so eine dumme Falle hatte er sich locken lassen. Gerade er.

Knirschend rieben seine Zähne aufeinander als Arior mit aller Kraft versuchte seine Hand zu einer Faust zu ballen, kalter Schweiß lief an Fisks Stirn hinab.

Aus seiner Kehle drang ein unterdrückter Schrei. Ariors Grinsen wurde noch breiter, gleich hatte er den Widerstand gebrochen. „Leb wohl du Narr.“

Es gab keinen anderen Ausweg, ihm war es unmöglich die Kontrolle über seinen Körper wieder zu erlangen. Ihm blieb nur eines, dieses große Opfer zu bringen, oder hier zwischen Raum und Zeit zu sterben.

Das kalte Blau in den Augen des Jägers verdunkelte sich bis nichts mehr herrschte als eine tiefe Schwärze. Arior zögerte kurz, seine ausgestreckte Hand begann unter der Anstrengung zu zittern als eine unsichtbare Kraft versuchte seine Finger zu begradigen. Feste umklammerte er sein Handgelenk mit der freien Hand und schrie seinen Missmut hinaus. „Glaubst du irgendein Zauber wird dir gegen mich helfen? Du wirst hier sterben! Allein! Niemand kann deine Seele von hier retten!“

Wie das Auflodern eines Feuers, flammte ein dunkles Violett in Fisks Augen auf, umrahmt von absoluter Schwärze. Mit einer Stimme, die noch immer seine eigene war, und dennoch viel dunkler und kehliger klang, flüsterte er dem Hexenmeister zu. „Heute habe ich aber keine Lust zu sterben.“

Langsam, als würde eine unermessliche Last auf seinen Schultern ruhen, drückte er sich in die Höhe, nicht ohne sein Schwert wieder aufzunehmen. Seine Beine zitterten unter der Anstrengung doch er gab nicht auf bis er Arior von Angesicht zu Angesicht gegenüber stand.

Des Hexers Gesicht verzerrte sich vor Zorn und Überraschung. „Also sind die Geschichten über euch tatsächlich wahr?!“

Eine Antwort bekam er nicht vom Jäger, dieser setzte einen Fuß über den leuchtenden Bannkreis, aus seiner Kehle drang ein Schrei der Anstrengung. In hunderte Funken stob der Kreis auseinander und erlosch im Dunkel der Nacht.

Panisch schüttelte Arior seine Hand, mit welcher er eben noch nach dem Herz von Fisk gegriffen hatte, als würde sie in Flammen stehen. Eilig trat er einige Schritte zurück und starrte sein Gegenüber voller Hass an. „Thomas Fisk, auch wenn heute nicht der Tag ist, an dem du sterben wirst, werde ich ihn dennoch genießen. Heute und jeden weiteren Tag an dem du dich dafür verfluchst mich am Leben gelassen zu haben. Niemals wirst du mich finden. Dazu verspreche ich dir, wird nun jeden Tag ein Mensch durch meine Hand sterben. Nur für dich.“

Ariors Gesicht verzerrte sich zu einem breiten, diabolischen Grinsen während er langsam die Arme ausbreitete. „Jeden Tag werde ich ein Leben auslöschen und dabei an dich denken! Leiden werden sie! Quiecken wie kleine Schweine.“

Blitzschnell machte Fisk einen Satz nach vorn und holte mit seinem Schwert zu einem mächtigen Schwung aus. Dieses Mal verfehlte seine Klinge nicht das Ziel, sie zerteilte Ariors Körper in der Mitte. Genau konnte er den Widerstand spüren. Das Reißen von Fleisch. Das Blut auf seinem Gesicht welches ihm entgegen spritzte.

Doch noch ehe der Leib des Hexers den Boden berührte, explodierte er in einen Schwarm aus tausenden kleinen Fliegen. Ihr Summen brachte die kalte Luft zum Vibrieren. Ein dunkles Lachen erfüllte alles um ihn herum. Er lachte und lachte über die Torheit des Jägers, er lachte über seine Qualen.

Die Fliegen stoben in alle Richtungen davon, Stille war was blieb.

Schwärze überlief den gesamten Körper des Jägers, tauchte ihn in Finsternis, bis er mit der Nacht zu verschmelzen schien. Um ihn herum drehte sich die Welt, noch immer hallte das Echo eines Lachens in seinen Ohren.

Gierig sog er die kalte Luft in seine Lungen, als hätten sie schon eine Ewigkeit darauf gewartet. Sein Körper schwankte, kippte um. An seiner Wange konnte er Grashalme, bedeckt mit frischem Tau spüren. Stöhnend verdrehte er die Augen, blinzelte die Benommenheit fort.

Das erste was er sah war das Gesicht von Veldig, welcher noch immer außerhalb des Kreises saß den der Jäger zuvor mit weißem Pulver gezeichnet hatte.

Keuchend stützte er sich ab, richtete sich langsam wieder in eine sitzende Position auf und verwischte den Kreis mit einer Hand um seinen Zauber zu zerstören.

Einige Minuten verharrte er, schnappte nach Luft und starrte in den Himmel. Er verfärbte sich bereits und kündigte einen neuen Tag an.

Mühsam kam der Jäger auf die Beine, die Luft war erfüllt von dem Gestank der Asche. Nach nur wenigen Schritten konnte er das Dorf Aurum am Ende des Hügels sehen auf den er gestiegen war.

Die Flammen waren bereits gelöscht, dennoch stieg weiterhin seichter Rauch gen Himmel.
 

Laute Rufe drangen an das Ohr des Priesters, er folgte den Blicken der Leute als Fisk langsam die Straße entlang auf sie zugeritten kam. Als der Jäger nahe war, traute sich niemand mehr auch nur einen Ton von sich zu geben.

Vollkommen war das Haus der Geschwister Sundig niedergebrannt, und auch die beiden benachbarten Häuser waren wahrscheinlich nie wieder bewohnbar.

Als Fisk vor dem Priester abstieg, reichte dieser ihm einen kleinen Beutel. Ohne einen Blick hinein zu werfen, hatte Fisk an dem leisen Klimpern erkannt dass er Münzen beinhaltete.

Doch der Jäger aber nahm ihn nicht entgegen.

„Nehmt ihn. Es ist Euer Lohn.“

Argwöhnisch musterte Fisk das Gesicht des Priesters, er sah sich um, blickte in die nervösen Gesichter der Dorfbewohner. Etliche von ihnen hatten sich versammelt um zu sehen was an diesem Ort geschehen war. Viele wandten sich wieder ihren Unterhaltungen zu als sie den Blick des Jägers kreuzten. Andere gingen wieder ihres Weges, sie hatten genug gesehen, mehr wollten sie mit der Sache nicht zu tun haben.

Seine blauen Augen blieben wieder auf dem faltigen Gesicht des Priesters hängen. „Warum? Nach allem was heute Nacht geschehen ist.“

Ränder der Müdigkeit ließen das Gesicht des Priesters noch älter aussehen, er blickte hinüber zu dem abgebrannten Haus und ließ die Hand mit dem Beutel wieder sinken. „Es ist mir unbegreiflich was da heute überhaupt geschehen ist. Wie alles so weit kommen konnte. Könnt Ihr es mir sagen?“

„Arior, oder Ultarior wie er sich hier genannt hatte, ist ein Hexenmeister. Mindestens einer des zwölften Grades.“

Weit riss der alte Mann seine Augen auf, so weit dass es aussah als würden sie gleich aus ihren Höhlen treten. „Des zwölften Grades? Bei allen heiligen Seelen!“

„Ich vermute das erklärt auch sein Verschwinden oben auf dem Anwesen.“, erläuterte Fisk weiter. „Als Helena ihn um Hilfe bat, sagte er, er könne von dort aus nichts tun. Es war nur eine Hülle von ihm die dort oben bei uns war. Wahrscheinlich war er zuvor schon auf dem Anwesen und hat einen Echostein dort abgelegt.“

In der fragenden Miene des Priesters konnte Fisk lesen, dass er davon noch nie etwas gehört hatte. „Echosteine kann jeder Hexer anfertigen. Sie legen einen Zauber über zwei Steine, den einen platzieren sie an einem beliebigen Ort, den anderen behalten sie bei sich. Wenn man den Zauber auslöst, kann man seinen Geist zu dem anderen Stein teleportieren. Reichweite und Dauer des Zaubers hängen vom Grad des Hexers ab, auch kann man die Steine nur einmal verwenden.

Arior hat sich wahrscheinlich in Wirklichkeit hier in seinem Haus befunden was ihm genug Zeit gab mir eine Falle zu stellen bis ich hier angekommen war.“

Mit geschlossenen Augen schüttelte er den Kopf. „Seine wahre Natur habe ich nicht erkannt, ich dachte nur er wäre ein kranker Mensch welcher Lust am Morden hatte. Es tut mir leid.“

„Ihr hättet Eure Arbeit besser erledigen können.“ So feste dass seinen Lippen jegliche Farbe entzogen wurde, presste der Priester sie zusammen und warf einen Blick auf das abgebrannte Haus. „Doch auch ich habe allen Grund mein Haupt in Demut zu senken. Was für eine Schande dass ein Hexenmeister hier unter uns lebte und ich es nicht einmal mitbekommen habe. Vielleicht wird es doch Zeit sich einzugestehen dass ich Opfer meines Alters geworden bin. Ich sollte einen Nachfolger ernennen der über die Bürger von Aurum besser wachen kann.

Nicht mal Audries Geist war ich mehr gewachsen.“

Langsam blickte er wieder zu dem Jäger als sich erdrückendes Schweigen über sie gelegt hatte. „Ihr habt ihn verfolgt oder? Habt Ihr eine Spur?“

„Veldig konnte seine Fährte nicht weit verfolgen, dann verlor sie sich. Mir ist nicht klar wo er sein könnte oder wie er es geschafft hat wie vom Erdboden zu verschwinden.

Mir ist es nicht möglich gezielt nach ihm zu suchen, aber ich komme viel in der Welt herum, und habe genug Informationsquellen.“ In seinen Augen lag etwas bedrohliches als er sie leicht zusammen kniff. „Egal wo er sich befindet, irgendwo wird er wieder auftauchen. Dann werde ich es wissen und ihn holen kommen.“

Am Ende der Straße schleppte sich langsam ein Karren entlang, man hatte die Ladung mit Tüchern abgedeckt. Einer der Männer, welche auf dem Anwesen geholfen hatten die Geschwister zu stellen, kam zu den Beiden hinüber gelaufen.

„Wohin mit den Körpern von Audrie und Wollart?“ Die Nervosität war ihm sichtlich in sein Gesicht geschrieben, viele der Anwohner hatten hier ein ruhiges und friedliches Leben geführt. Nichts wollten sie mehr als dieses Leben zurück zu erlangen.

„Bringt sie in unserer Kirche unter. Wir werden sie heute an die Erde übergeben.“ Der Priester nickte dem Mann noch einmal zu und wandte sich wieder an Fisk.

„Gibt es noch etwas was Ihr entdeckt habt? Etwas das wir wissen müssten?“

„Wahrscheinlich. Bevor das Haus brannte, war ich im Keller. Dort hatte er sich Zellen gebaut, in jeder von ihnen war eine Frau angekettet. Sie waren tot als ich kam. Die Haare hatte er ihnen abrasiert und sie für seine Pinsel genutzt.“ Das Detail von der letzten Zelle ersparte er dem Priester als dessen Gesicht sich bereits weiß verfärbte. Tief traf in der Schock dass er auch von diesem Geheimnis nichts geahnt hatte.

Für einen Augenblick wandte sich der Priester ab, ging ein paar Schritte die Straße entlang und kehrte wieder zurück zu Fisk. Mehr als ein trauriges Flüstern war seine Stimme nicht mehr. „Wäre ich nicht so stur gewesen und hätte früher einen Nachfolger ernannt, hätte es alles nicht so weit kommen müssen.“

„Wäre. Vielleicht. Hätte. Könnte. Wollte. Unsere Leben würden nie zu Ende gehen, wären wir in der Lage die Zeit zu unseren Fehlern zurück zu drehen, um sie ungeschehen zu machen. Dinge sind wie sie sind. Daran können wir nichts mehr ändern.

Nutzen wir lieber unser Wissen um in der Zukunft aufmerksamer zu sein.“ Fisk winkte Veldig herbei und wollte sich gerade auf dessen Rücken schwingen als der Priester ihm am Arm fest hielt. Nochmal hielt er ihm den Beutel mit den Münzen hin.

„Nehmt es. Audries Geist hat Ruhe gefunden. Den Mord habt Ihr aufgeklärt. Sonst plagt mich noch mehr mein schlechtes Gewissen. Wenn nicht dafür, dann nehmt es als Anzahlung dafür wenn ihr Ultarior in die Finger bekommt. Das werdet Ihr doch oder?“

Nach einem Moment des Zögerns nahm Fisk den Beutel entgegen und steckte ihn ein. Anschließend schwang er sich in den Sattel und blickte hinab auf den Priester. „Noch nie ist mir meine Beute davon gekommen. Ich werde Ihn finden.“

Zufrieden nickte ihm der Priester zu, er blickte dem Jäger noch einen Augenblick lang nach als dieser die Straße entlang ritt. Erst als ein kalter Windhauch des Morgens seinen Geist wach rüttelte, wandte er sich ab. Heute gab es noch viel zu tun. Viel Unangenehmes. Zufrieden war er nicht, aber auch erleichtert darüber dass nun all der Spuk endlich ein Ende hatte.

Wenn ihn auch die Vorstellungen was sich in dem Keller unter dem Geschäft der Geschwister Sundig abgespielt hatte, noch viele Nächte lang seinen Schlaf rauben würde.
 

Nachdem Fisk im Wirtshaus seine Taschen gepackt hatte, lenkte er Veldig durch die Schatten der Seitenstraßen. Der Himmel hing wieder voller schwerer Wolken, kaum hatte er einen Blick nach Oben geworfen, setzte ein feiner Nieselregen ein.

Den Hut tiefer in sein Gesicht gezogen ritt er langsam weiter und hoffte keinem Bewohner mehr über den Weg zu laufen. Ihre nervösen Blicke gingen ihm auf die Nerven.

„Guter Jäger. Soweit hätte es nicht kommen müssen. Deine Augen sind scharf und deine Ohren wach, doch deine Arroganz machte dich taub und blind.“ Die vertraute Stimme ließ ihn sofort inne halten. Als er einen Blick über seine Schulter warf, entdeckte er sie.

Auf einem Vordach sitzend blickte sie auf ihn hinab, die rote Kapuze ihres Umhangs warf einen dunklen Schatten über ihr Gesicht. Dennoch erkannte er den stechenden Blick ihrer grünen Augen.

„Meine Arroganz? Dass mir Ariors Treiben nicht aufgefallen ist hat ausschließlich damit etwas zu tun, dass ich nicht aufmerksam war.“

Ohne jegliche Regung starrten sie sich an, als würden sie in stillen Gedanken einen Kampf ausfechten. „Du wusstet schon früh dass die Geschwister den Mord begingen, hättest du es dem Priester zeitig gesagt, hätte er sie mit der Dorfmiliz eher stellen können. Beweise gab es in dem Haus genug.“

Ein dunkles Lächeln deutete sich in den Mundwinkeln von Fisk an, er drehte sich in seinem Sattel noch ein wenig mehr nach ihr herum. „Stimmt. Aber das wäre langweilig gewesen. Wo bliebe das dramatische? Ein wenig Spaß darf ich doch wohl an meiner Arbeit haben oder?“

Ihre blutroten Lippen erwiderten sein Lächeln nicht. „Dein persönliches Drama hat Wollart das Leben gekostet und den Frauen in dem Verlies auch. Ganz zu schweigen von deinem eigenen Verlust. Du hast bei diesem Auftrag mehr verloren als gewonnen.“

Auch sein Lächeln erlosch, am liebsten hätte er Veldig weiter geführt, hinaus aus diesem Dorf. „Ich weiß. Aber ohne Magie hätte ich mich nicht befreien können. Eurer Vorbehalte bedarf ich nicht, mir ist bewusst dass ich viel geopfert habe. Unnötigerweise aus Dummheit. Sagt mir warum Ihr mich hier her geführt habt. Von Euch war doch die Markierung auf meiner Karte. Nicht wahr?“

Stärker wurde der feine Nieselregen, tropfte hier und da von den Hausdächern, mischte sich unter die Stimmen und die Rufe einiger Straßen weiter, wo die Menschen noch immer unruhig die neuesten Geschehnisse austauschten.

„Her gekommen bin ich nicht um dich zu tadeln, guter Jäger. Diese Bürde wirst du auch ohne mein Zutun lange genug tragen. Hoffen tue ich nur, dass du aus deinen Fehlern lernst, nicht dass du bei deinem nächsten Auftrag noch den Kopf verlierst. Unterschätze deine Gegner nicht. Unterschätze Arior nicht.“

Sie griff unter ihren Umhang und zog ein kleines, sorgfältig verschnürtes Bündel hervor.

„Ihr habt mir nicht geantwortet! Warum habt Ihr mich hier her geschickt? Wisst Ihr etwas über Arior? Wo kann ich ihn finden?“

„Du stellst zu viele Fragen auf die ich keine Antwort habe. Arior wird deinen Weg schon früh genug wieder kreuzen. Doch dafür musst du erst bereit sein.“ Als das letzte Wort ihre Lippen verließ, warf sie ihm das Bündel hinab. Geschickt fing er es auf, es war schwerer als er gedacht hatte.

„Und Ihr sprecht immer in Rätseln dass ich...“, Fisks Stimme erstarb, denn die Frau war verschwunden. Der Platz auf dem Vordach war leer. Ein Teil der Schindeln wo sie gesessen hatte war noch trocken. Manches mal fürchtete er dem Wahnsinn anheim zu fallen in Momenten wie diesen. Dass sie nur ein Echo seiner Gedanken war und er in Wirklichkeit wie ein Trottel da stand, Gespräche mit sich selbst führend

Vorsichtig öffnete er das Bündel. Gut verpackt befanden sich einige kleine Fläschchen mit einer dunklen Flüssigkeit darin. Tränke die es ihm ermöglichten in der Nacht zu sehen und von denen er sein letztes aufgebraucht hatte.

Langsam verpackte er die Fläschchen wieder und signalisierte Veldig dass er sich in Bewegung setzen sollte.

Ihre Reise ging weiter. Noch wusste er nicht wohin sie ihn führen würde, oder wann er Arior fand. Bald hoffte er, denn wenn der Hexenmeister seine Drohung wahr machte, musste jeden Tag eine Seele sterben weil er einen dummen Fehler gemacht hatte.

Feste umklammerte er den Knauf an seinem Sattel und gab Veldig die Sporen.

Hastig ritt er aus der Stadt, der kalte Regen peitschte ihm in sein Gesicht. Eine ganz persönliche Jagt begann, und seine Beute, die war ihm noch nie entkommen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Salatschleuder
2018-05-26T16:34:32+00:00 26.05.2018 18:34
Hi,
die Geschichte hat mir wahnsinnig gut gefallen. Die Geschwister hatte ich auch schnell in Verdacht, v.a. wegen des Pinselhaars und Helenas auffälligem Verhalten, aber dass ihr bzw. Ariors Verbrechen so groß sein würden, hatte ich nicht gedacht. Ich hoffe, Fisk kriegt den Mistkerl. Wobei mir mein Lesen schon aufgefallen ist, wie er sie alle gegeneinander ausgespielt hat und scheinbar schnell wusste, wie und von wem Audrie ermordert worden war. Er war ein bisschen wie eine Katze, die mit ihrer Beute spielt und sie dadurch verliert. Etwas weniger 'Spieltrieb' oder Arroganz hätte vielleicht tatsächlich schlimmeres verhindert. Aber hinterher hat man immer leicht reden. Ob der Priester und Fisk selbst bei mehr Kommunikation rausgefunden hätten, wie gefährlich Arior tatsächlich ist? Da bin ich mir nicht so sicher. Das Gute für mich ist, dass es weitergehen wird, denn noch ist Fisks Beute auf freiem Fuß :). Die Kampfszene am Ende fand ich sehr spannend. Sie hat aber auch Fragen aufgeworfen (was ist mit Fisk passiert bzw. was genau hat er da gemacht und was hat er dadurch verloren?), die du hoffentlich nach und nach in künftigen Geschichten beantwortest ;).

Antwort von:  JiskahRedHood
27.05.2018 11:07
Hallöchen :)
Erstmal einen gaaaaanz herzlichen Dank für deinen ausführlichen Kommentar.
Es freut mich so sehr zu lesen dass dir meine Geschichte so gut gefallen hat und du gerne mehr Geschichten über Fisk lesen möchtest.
Dazu kann ich dir direkt sagen: Ich schreibe im Moment nebenbei an einer weiteren Kurzgeschichte über ihn. Fisk wird niemals ruhen, bis er seine Beute erlegt hat.
Gerade muss ich auch sehr schmunzeln dass bei dir genau das Katz und Maus Spiel rüber kam, was ich Fisk habe spielen lassen.
Er ist seit so vielen Jahren Jäger, liebt es mit seiner Beute zu spielen, war immer auf der Gewinnerseite und hat dieses Mal das Spiel zu weit getrieben. Was auch noch Auswirkungen haben wird.
Besonders freut es mich dass dir die Kampfszene am Ende so gut gefallen hat. Es hat mir Spaß gemacht den Lesern ein paar Geheimnisse über Fisks Kräfte mit auf den Weg zu geben, und dass es vielleicht nicht so gut für ihn ist, wenn er davon gebrauch macht.
Ganz Recht, ich habe vor diese Fragen nach und nach in weiteren Kurzgeschichten über meinen Nebeljäger zu lüften. Häppchen für Häppchen. Es soll ja spannend bleiben ;> ...
Was ich dir auf jeden Fall verraten kann ist, dass am Anfang der nächsten Geschichte etwas über den Orden der Nebeljäger erzählt wird.
Mich würde es sehr freuen wenn du auch in Zukunft Spaß hast meine Geschichten zu lesen!
Danke nochmal dass du dir die Zeit genommen hast für das Lesen und für deinen Kommentar.
Es motiviert mich immens weiterhin mein Bestes zu geben!!!


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