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Seelenkrank

von

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Gebrochen

Mit zittrigen Händen steckte ich den Schlüssel ins Schloss meiner Wohnung. Mein letztes Geld hatte ich für den Flug ausgegeben. Doch zum Glück hatte ich hier noch Ersparnisse. Der Griff meiner Reisetasche glitt mir aus den Händen und sie krachte auf den Laminatboden. Dieses Geräusch hallte unendlich laut in meinen Ohren. Schon eine ganze Weile war ich nicht mehr in meiner Wohnung gewesen, fast ein ganzes Jahr. Jojo hatte immer mal wieder geschaut, ob alles okay war, denn ganz aufgeben hatte ich sie nicht wollen. Jetzt war ich mehr als froh darüber, denn sonst hätte ich hier nichts gehabt und hätte meinen Eltern Bescheid geben müssen, dass ich zurück war. Doch gerade jetzt wollte ich keine Menschenseele um mich haben. Das würde ich nicht ertragen. All diese quälenden Fragen, warum ich wieder in der Stadt war und so.

Langsam ließ ich mich auf mein Sofa sinken. Am Liebesten würde ich verschwinden oder meine Gefühle ausschalten können, damit dieser unerträgliche Schmerz nachließ. Würde er überhaupt jemals nachlassen? Und zum millionsten Mal fragte ich mich warum? Warum ich? Hatte ich es nicht auch einmal verdient glücklich zu sein? Nein, ich schaffte es immer wieder mir die größten Vollidioten anzulachen. Doch das schlimmste war, dass ich mich in einem Menschen, diesem einen Menschen so gewaltig getäuscht hatte. Ich verstand bis jetzt noch nicht wie all das hatte passieren können. Es ging alles so schnell. Mir kamen die Tränen und ich brach zusammen, unfähig noch mehr Leid zu ertragen. Ich wollte Dinge zerstören, mich abschießen, nur damit dieser verdammte Schmerz nachließ. Das tat ich dann auch. Ich tat das, was er nicht leiden konnte, wenn ich völlig breit gewesen war. Ich schlief irgendwann ein, erwachte mitten in der Nacht wieder, vollkommen aufgelöst, weil der Alkohol nachließ, deshalb machte ich da weiter, wo ich aufgehört hatte. Ich wusste, dass es mir danach wahrscheinlich noch schlechter gehen würde, aber das interessierte mich gerade mal sowas von gar nicht.

Ich rasierte mich nicht mehr, für wen auch? Halb komatös im Bett liegend bekam ich mit, wie jemand meine Wohnungstür aufschloss. Automatisch zog sich mein Herz zusammen und ich war plötzlich hellwach. Schritte. Jemand lief im Wohnzimmer herum. Auf einmal ein Wumms und ein Fluchen folgte. Und beim Klang seiner Stimme wieder dieser Schmerz. Das Stechen in der Brust, so als würde einem jemand mit einer scharfen Klinge in meinem Herz herumbohren. Und schlimmer als jede Verletzung, die ich mir jemals zugefügt hatte. Ich erhob mich und torkelte ins Wohnzimmer. Er schaute mich an.

„Ich habe nicht erwartet, dich hier anzutreffen.“

„Haha, guter Scherz. Wo sollte ich denn sonst sein“, lallte ich.

„Weiß nicht. Ich hole nur noch meine restlichen Sachen, dann bin ich weg.“

Ich bebte vor Zorn. Was erlaubte er sich eigentlich? Als hätte er mir nicht schon genug angetan.

„Wie kannst du es wagen hier aufzukreuzen....verpiss dich einfach, ich ertrag deine Visage nicht.“

Er kam auf mich zu und wollte mich vorm Umkippen bewahren, doch ich schubste ihn weg und brach zusammen. Bei dem Sturz zersprang die leere Wodkaflasche in tausend Teile und ich landete inmitten des Scherbenhaufens. Doch es war mir egal. Ich heulte nur noch. Er versuchte mir aufzuhelfen, doch auch dieses Mal stieß ich ihn weg, er sollte mich nicht anfassen.

„Du blutest, jemand sollte das verarzten.“

„Brauch dich doch nich zu interessieren.“

„Sei doch mal ein Moment lang vernünftig.“

„Ich will aber nich vernünftig sein...ich will nur, dass du verschwindest!“, schrie ich ihn jetzt an. Und das tat er tatsächlich. Wie ein Häufchen Elend blieb ich zurück in meinem Trümmerhaufen. Er hätte wenigstens versuchen können mir zu helfen, auch wenn ich abgelehnt hatte. Doch das zeigte mir, dass ich ihm tatsächlich nichts mehr bedeutete. Meine Arme brannten und sollten wahrscheinlich wirklich versorgt werden. Ich hielt sie unter Wasser und musste feststellen, dass es schlimmer aussah, als es ist.

Ich aß kaum etwas, trank nur und kiffte den ganzen Tag. Dann brachte ich einen Songtext zu Papier, der seit Tagen schon in mir brodelte. Die Worte flossen über das Papier und ich beschloss in den Proberaum zu gehen, um eine Melodie zu komponieren. Vorher nahm ich noch eine warme Dusche, denn Wasser hatte mein Körper seid Tagen nicht mehr gesehen. Meinen Bart stutzte ich etwas und marschierte zum Proberaum. Es war schon Anfang November, der Wind pfiff kalt, meine Hände froren fast zu Eiszapfen.

Ich hockte mich auf den Bühnenrand und versuchte eine Melodie zu finden, die auf den Text passte, was mir auch recht schnell gelang, da ich in der passenden Stimmung war. Ich merkte auch nicht, dass die Jungs bereits gekommen waren und mir zusahen. Jetzt kombinierte ich beides und sang dazu. Tiefe Traurigkeit und bittere Enttäuschung erfüllten mich und erst jetzt schaute ich auf und erblickte meine Freunde. Sie starrten mich an und Basti ergriff als erster das Wort. Leider erinnerte mich das an seine letzten Worte.

„Hey Lukas...mit dir hab ich ja gar nicht gerechnet.“

„Bin auch schon wieder weg, wollte nur was ausprobieren.“

Im Gehen schnappte ich mir noch eine Flasche Schnaps, um meinen Pegel zu halten. Doch Basti versuchte mich aufzuhalten.

„Nein, warte. Bitte bleib doch.“

Ich rang mit mir, was ich tun sollte. Mich wieder in der Einsamkeit verkriechen oder hierbleiben, um früher oder später erklären zu müssen, was passiert war? Ich entschloss mich für die Einsamkeit, doch merkte ich, dass ich auch das nicht mehr lange aushielt. Es machte mich kaputt und wenn ich nicht langsam etwas aß, würde ich noch jämmerlich krepieren.
 

Nach einem halben Monat beschloss ich mich wieder zu fangen, denn so konnte es auch nicht weitergehen. Ich hörte vorerst auf mit dem Gesaufe und dann machte ich mich daran alle Bilder und Erinnerungen von ihm, nein von Juka zu vernichten, auch wenn es mich dabei fast zerriss.

Mein Ziel war erneut der Proberaum und ich traf auf meine Freunde. Nach einer kurzen Begrüßung setzte ich mich zu ihnen und versuchte gefasst zu wirken. Der Einzige, der vielleicht wusste, was los war, konnte Flo sein, da er noch immer mit Kami zusammen war. Ich bemühte mich fröhlich zu sein, doch es strengte mich an meine Lachmuskeln zu bewegen. Die Jungs erzählten mir, was das letzte Jahr über in der Band passiert war und mich erfüllte das ein bisschen mit Stolz. Nocturna gab es noch immer und ich konnte jetzt wieder ein Teil davon sein. Ich versuchte mich die ganze Zeit über zu beherrschen, alle Gedanken an Juka zu verdrängen und als ich meine Songs auch wieder spielte, gelang es mir sogar ein bisschen. Und dieser Rausch war besser als jede Droge. Ich trank ein paar Bier und wir lachten sogar.

„Lukas, es ist schön, dass du wieder da bist“, sagte Basti dann, als wir ein bisschen betrunken waren. Flo verabschiedete sich und auch Lena ging ohne Basti. Nun blieben noch wir drei, Fabi, Basti und ich. Auf einmal überkam es mich und mir schossen die Tränen in die Augen, ich schluckte sie mit Mühe hinunter, doch den beiden entging nichts.

„Es tut auch gut bei euch zu sein. Kann ich mit euch reden? Ich glaub irgendwann muss es mal raus.“

Meine Freunde nickten. Ich seufzte und zündete mir eine Zigarette an.

„Sicher könnt ihr euch sowieso denken, was passiert is. Juka und ich sind nich mehr zusammen...is verdammt schwer das zu begreifen, weil ich ihn noch immer liebe, aber er hat mich betrogen, belogen und echt krass enttäuscht. Ich hatte immer gedacht in ihm ein Mensch zu sehn, der mich ergänzt, meine zweite Hälfte is, aber dem war nich so...er hat mich am Ende eingeschränkt, sich durch halb Tokio gevögelt, nur weil ihm Kohle wichtiger war als ich...das hab ich nich länger ertragen. Und der Witz dabei is, dass er immer dachte ich bekomm nichts mit. Aber jetzt bin ich mal wieder auf die Fresse gefallen. Doch fällt man nich hin, um wieder aufzustehen?“

Diese Frage stellte ich mehr an mich selbst als an meine Freunde.

„Ja, ich dachte mir schon sowas, aber wollt auch nicht fragen. Trotzdem tut es mir leid, das hat keiner verdient. Ich will dich jetzt auch nicht volllabern, von wegen, dir mein Mitleid zeigen...es sei denn du willst das. Wir könnten feiern gehen, wenn du willst.“

Ich zuckte mit den Schultern.

„Weiß nich, hab bissl Schiss, dass ich Juka treff....er is grad in der Stadt.“

„Wir könnten dahin geh‘n, wo er sicher nich is...Hip Hop Club oder so“, sagte Fabi. Ich lächelte schwach.

„Das is echt nett Jungs, aber glaub im Moment will ich nirgends hin. Hat mal wieder gut getan hier zu sein, aber so nach weggehen is mir grad nich. Wenn ihr noch wohin wollt, könnt ihr gern gehen.“

Fabi schüttelte heftig den Kopf.

„Das kommt nich in Frage. Wir bleiben hier und trinken mit dir. Die Leute können ja auch hierher kommen.“

Ich fand es schön hier zu bleiben. Flo, Lena und Bastis Bruder Mike gesellten sich noch zu uns und somit war unsere Runde komplett, dachte ich zumindest. Da ging die Tür noch einmal auf und ein weiteres Mädchen stieß zu uns. Ich hatte sie irgendwo schon mal gesehen. Auch sie begrüßte mich, als würde sie mich gut kennen und jetzt war es mir erst recht zu blöd zu fragen, wer sie ist. Wahrscheinlich würde sich das Rätsel im Laufe des Abends ohnehin lösen. Irgendwann schnappte ich mir meine Gitarre und klimperte ein bisschen vor mich hin.

„Hey Jule, wie war es eigentlich in den Staaten?“, fragte Basti das Mädchen und bei dem Namen wurde mir alles klar. Julietta. Wie lang hatten wir uns schon nicht mehr gesehen? Zwei Jahre? Drei Jahre? Ich konnte es nicht genau sagen. Irgendwie freute ich mich jetzt umso mehr, dass sie hier war. Ich blieb den ganzen Abend eher ruhig und als es dämmerte, traten wir alle den Heimweg an. Julietta und ich mussten in dieselbe Richtung.

„Du warst in Amerika? Was gab es da zu sehn?“, brach ich das Schweigen.

„Ich hab dort gemodelt und ein bisschen als Tätowiererin gejobbt.“

„Krankenschwester war dir wohl zu langweilig?“

Sie nickte und steckte sich eine Zigarette an.

„Irgendwie schon und der Stress war es nicht Wert. Schließlich will ich mein Leben auch genießen können und mich nicht ständig mit irgendwelchen blöden Schwestern um den Dienst streiten. Und was hast du in den letzten Jahren so getrieben?“

Ich hatte gewusst, dass diese Frage kommen würde und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Sie trieb mir nur wieder die Tränen in die Augen. Ich biss mir auf die Unterlippe und wischte mir über die Augen. Wir standen jetzt vor meiner Wohnung.

„Ich war ein Jahr in Tokio...doch werd ich da nie mehr hingehen.“

Und genau jetzt brach die Barriere, die ich den ganzen Abend so tapfer aufrecht gehalten hatte. Die Tränen liefen meinen Wangen hinab. Und dann tat Jule etwas, das ich nicht ganz verstand. Sie nahm mir den Schlüssel aus der Tasche, schloss auf und griff nach meiner Hand. Sie führte mich hinauf in meine Wohnung, wo noch immer die Glasscherben lagen, weil ich sie noch nicht weggefegt hatte. Völlig erschöpft fiel ich in mein Bett und sie legte sich neben mich.

„Kann ich dich jetzt allein lassen?“

„Ich glaub es wäre schön, wenn du noch bleibst“, flüsterte ich. Sie strich mir zaghaft über die Wange.

„Dann bleib ich noch, bis du eingeschlafen bist.“

Ich weiß nicht warum, aber es tat gut Julietta hier zu haben und es war auch gut, dass sie nichts wissen wollte. Ich spürte ihren Arm auf meinem Bauch und griff behutsam nach ihrer Hand. Dann fiel ich einen traumlosen Schlaf.

Die Tage plätscherten so vor sich hin und langsam sollte ich wohl auch mal meiner Familie sagen, dass ich wieder da war. Doch als ich bei meinem Dad klingelte, hörte niemand, also beschloss ich wieder zurück in meine Wohnung zu gehen. Mein Herz rutschte mir fast in die Hose, als ich Geräusche von drinnen vernahm. War das etwa wieder Juka? Doch das konnte nicht sein, er hatte den Schlüssel dagelassen. Trotzdem schloss ich vorsichtig auf und freute mich umso mehr darüber, wen ich da sah. Mein liebes Schwesterchen. Sie fegte gerade die Glasscherben auf, die nun mittlerweile schon seid einer Woche dort lagen. Johanna schaute mich ein bisschen skeptisch an, dann kam sie auf mich zu und umarmte mich. Sie wirkte viel erwachsener als sonst.

„Wie lange bist du schon da?“, fragte sie dann.

„Glaub jetzt fast nen Monat.“

„Und hältst du es nicht für nötig dich mal zu melden? Bist du alleine?“

Zong! Sie konnte es ja nicht wissen und trotzdem schmerzte ihre Frage. Ich konnte nicht antworten und holte mir stattdessen ein Bier.

„Wie geht es dir?“, konterte ich so gut es eben ging. Jojo merkte schnell, dass sie lieber ganz schnell das Thema wechseln sollte.

„Mir geht’s gut. Wusstest du, dass wir Omas Haus geerbt haben? Sie ist vor kurzem in ein betreutes Wohnen gezogen und nun gehört ihr Haus uns. Falls du Lust hast die nächsten Tage umzuziehen“, sagte sie und lächelte. Auch ich lächelte und zündete mir eine Zigarette an.

„Wäre schon nicht schlecht. Ich wollt mir ohnehin ne neue Bleibe suchen.“

„Lukas, du siehst nicht gut aus. Soll ich dir was zum Essen kochen?“

Ich schüttelte mit dem Kopf.



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