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Haus ohne Fenster - eine Wintergeschichte

Geschichte einer Beziehung
von

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die Nacht

Vor mir stand ein Mann. Groß, bullig. Und er starrte mich an. Einen Moment lang dachte ich an Flucht. Doch wohin? Und ihm die Tür vor der Nase zuzuschlagen? Zwecklos! Also entschloss ich mich zum Angriff.
 

„Was …“, rief ich. „Was …“
 

Doch weiter kam ich nicht.
 

„Darf ich erfahren, wer Sie sind?“
 

Die Stimme des Mannes war rau und kalt und er selbst wirkte so, als bräuchte er nur eine Hand auszustrecken, um mich niederzuschlagen.
 

„Nein, das dürfen Sie nicht und jetzt verschwinden Sie aus meinem Haus!“, entgegnete ich und spürte, wie ich mich ins Holz des Türrahmens zu verkrallen begann.
 

Der Mann schwieg einen Moment lang und rechnete schon mit allem. Dann tat er plötzlich einen Schritt auf mich zu und fragte: „Jeanne?“
 

Es durchzuckte mich. Woher kannte dieser Kerl meinen Namen?
 

„Jeanne, keine Angst“, wiederholte der Mann. „Ich bin’s, François ...“
 

Er nahm sich die Kapuze ab, so als müsste ich ihn nun erkennen.
 

„François“, wiederholte er und deutete auf sich.
 

„Ich … ich“, stammelte ich.
 

„Du bist groß geworden, Jeanne“, entgegnete er ruhiger.
 

„Ich weiß nicht, wer Sie sind! Und jetzt verlassen Sie mein Haus!“, stieß ich hervor.
 

„Jeanne …“
 

„Ich … ich bin bewaffnet!“
 

„Oh“, erwiderte er und kratze sich an der Stirn. „Das bist du?“
 

„Ja!“
 

Mein Herz raste, weil ich nicht wusste, was ich tun sollte. Vor mir der Kerl, der mich anstarrte. Hinter mir meine Reisetasche, zu der ich musste. Verdammt, warum hatte ich nicht daran gedacht? Jetzt war ich unbewaffnet und der Kerl, der konnte … wenn ich ihm auch nur einen Moment lang den Rücken zuwenden würde, dann … Nein, trauen konnte ich ihm nicht, auch wenn er vorgab, mich zu kennen.
 

„Ich habe eine Waffe“, wiederholte ich, so fest, wie ich konnte.
 

„Jeanne, beruhige dich. Ich wusste nicht, dass du hier bist und wollte wegen des aufkommenden Sturms nach dem Rechten sehen.“
 

Er unterbrach sich und zeigte mir den Hausschlüssel, den er bisher in der Hand gehalten hatte.
 

„Ich bin kein Einbrecher … Aber als ich den Koffer unten an der Treppe bemerkt hatte, dachte ich ...“
 

Er unterbrach sich erneut und deutete mit dem Daumen über seine Schulter hinweg nach unten.
 

„... und da dachte ich ...“
 

Ich schnappte nach Luft. „Es ist mir scheißegal, was Sie denken! Verschwinden Sie endlich!“
 

Er nickte. „Ich … ich wollte dich nicht erschrecken.“
 

Täuschte ich mich, oder wirkte der Kerl plötzlich unsicher?
 

„Verschwinden Sie endlich! Sonst … sonst ...“, rief ich wieder.
 

Er schwieg, sah mich nur an.
 

„Ich … ich hab hier wirklich einen Baseball-Schläger und mit dem treffe ich immer. Immer! Also verschwinden Sie endlich!“
 

„Jeanne“, erwiderte der Mann und hob die Hände. „Beruhige dich. Ich geh ja schon.“
 

Und tatsächlich machte er Anstalten zu gehen, doch dann drehte er sich noch einmal um. „Jeanne, bitte schließ die Fensterläden. Der aufkommende Sturm könnte sie herausreißen. Wenn ...“, er zögerte, „... wenn du möchtest, helfe ich dir rasch dabei.“
 

„Raus!“, brüllte ich.
 

„Ist gut, aber schließ die Fensterläden. Bitte! Sonst geht etwas kaputt. Und mach dir die Heizung an. Es ist kalt hier.“
 

Ich sah ihm nach und hörte dann, wie die Tür unten ins Schloss fiel. Ich blieb noch einen Moment lang auf dem Treppenabsatz stehen, ehe mir klar wurde, dass ich den Kerl so nicht gehen lassen konnte. Er hatte doch noch den Schlüssel fürs Haus. Verdammt nochmal! Ich musste ihm nach! Rasch öffnete ich meine Reisetasche, griff nach meinem Baseball-Schläger und rannte ihm hinterher.
 

„Hey, bleiben Sie stehen!“, brüllte ich, gegen die beißende Kälte und die umher wirbelnden Flocken kaum ankommend. „Bleiben Sie!“
 

Er wandte sich um. Die Kapuze hatte er sich schon wieder aufgesetzt und wirkte wieder wie ein Koloss.
 

„Jeanne, was machst du? Geh ins Haus!“
 

„Schlüssel her!“, brüllte ich und begann den Schläger zu schwingen. Ich hatte das gelernt, wusste ihn auch als Waffe zu gebrauchen. Ich war kein Schisser! Mit dem Kerl würde ich fertig werden.
 

„Ich treffe immer!“
 

„Das glaube ich dir aufs Wort“, erwiderte er, während er zurückwich. Was konnte geschehen? Dass er abzuhauen versuchte? Er würde nicht weit kommen. Sich auf mich stürzen, das würde er sich nicht trauen. Er wusste: ein Schritt auf mich zu und er würde das Holz spüren. Mein Schläger wog gut in meiner Hand – so wie damals auch. So wie immer! Wiederum wich er mir aus und ich dachte schon, dass er das Weite suchen wollte, als er mir plötzlich den Schlüssel vor die Nase hielt. Und ich meinte, erkennen konnte sie es ja nicht, dass er dabei grinste. Einen Moment lang zögerte ich und hörte nur das metallische Klappern. Ich wusste: würde ich den Schläger mit einer Hand loslassen und nach dem Schüssel greifen, hätte der Kerl gewonnen. Zwar war ich flink, doch er war kräftiger. Das hatte ich damals, als ich im gemischten Team meiner Klassenstufe spielte, auch schon bemerkt: Jungs waren ab einem bestimmten Alter einfach kräftiger als Mädchen. Dagegen konnte ich nichts tun. Doch aufgeben kam für mich nie in Frage, denn meine Bilanz war der der Jungen weit überlegen. Mein Trick: den Ball niemals aus den Augen zu lassen. So wie auch jetzt diesen Kerl hier und das gab mir Kraft. Ich würde nie wieder verlieren!
 

„Los“, kommandierte ich und schwang den Schläger erneut, „legen Sie ihn aufs Fensterbrett und dann verschwinden Sie endlich!“
 

„Aber ja, Jeanne, natürlich.“
 

Er wandte sich um und ich ließ ihn keinen Moment lang aus den Augen, während ich das Holz des Schlägers fest umklammert hielt.
 

„Ich werde morgen im Laufe des Tages vorbeikommen und dann reden wir. Ok?“
 

„Wenn Sie nicht sofort verschwinden, dann …“
 

„Dann erschlägst du mich?“
 

„Ja, das werde ich tun!“, stieß ich hervor.
 

„Jeanne, ich tue dir nichts und jetzt geh bitte ins Haus zurück und schließ die Fensterläden. Ein Sturm kommt auf. Und dann mach dir die Heizung an.“
 

„Klappe!“, rief ich und schwang den Baseball-Schläger erneut.
 

„Jeanne, Jeanne, deine Umgangsformen!“
 

Mich ärgerte, dass der Kerl noch immer keinen Respekt vor mir zu haben schien. Oder tat er nur so? Würde er mir zu nah kommen, würde er das Holz spüren!
 

„…wir sprechen morgen weiter. Gute Nacht, Jeanne“, hörte ich ihn sagen, dann wandte er sich ab.
 

Kaum war er verschwunden, rannte ich ins Haus zurück, ließ sie den Schläger fallen, sperrte zu, rüttelte noch einmal an der Tür und schob dann die Kommode, die im Flur stand, vor die Tür. Konnte ich mir denn sicher sein, dass der Kerl nicht noch einen Schlüssel besaß und wiederkam? Ich holte mehrere Male tief Luft. Verdammt, wer war dieser Kerl? Und was wollte er von mir? Und woher kannte er meinen Namen? Ich war so aufgeregt, dass meine Hände zitterten. Und das ärgerte mich. Aber diese Schwäche konnte ich mir jetzt nicht leisten. Ich musste das Haus sichern – vor diesem Kerl. Also gab ich mir einen Ruck, eilte in alle Räume und schloss die Fensterläden und auch die Hintertür. In der Eile fand ich nichts außer einem Besen, den ich unter die Klinke klemmen konnte. Und ich wusste, würde der Kerl einbrechen wollen, würde er es schaffen. Aber ich, ich würde gewappnet sein. Mein Baseball-Schläger würde mir nicht zum ersten Mal Schutz bieten. Ich biss die Zähne ganz fest zusammen, eilte hinauf ins Obergeschoss und schloss auch dort alle Läden. Dann kauerte ich mich auf das Bett im Gästezimmer und hielt meinen Schläger umklammert. Ich wusste, dass das eine lange, sehr lange Nacht werden würde …



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