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Wolf im Schnee

von

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Wolf im Grünen

Es war erst sechs Uhr in der früh und dennoch war das Thermometer bereits auf achtundzwanzig Grad geklettert. Leise trat Stiles in das in das liebevoll gestaltete Kinderzimmer und an das kleine Bett heran:

„Du musst aufstehen, Engelchen!“ flüsterte er und streichelte sanft die verschwitzen weißblonden Löckchen aus der Stirn des Kindes, welches darin schlief.

Das schöne Haar würde sicherlich noch nachdunkeln, wenn Isaac erst einmal größer wäre, dachte Stiles ein wenig wehmütig. Eigentlich schien es ihm sogar so, als sei sein Schopf schon in der kurzen Zeit ein wenig dunkler geworden, seit der Junge bei ihm und Derek lebte. Demnächst würde Stiles eine dieser süßen Locken abschneiden und ins Kinderfotoalbum kleben, damit Isaac später sehen konnte, wie hell sein Haar einmal gewesen war.
 

Das Kind öffnete die Auge und seine erste Frage war:

„Liam?“
 

Stiles schüttelte lachend den Kopf:

„Nein, Süßer. Heute kannst du Liam leider nicht sehen. Heute gehen wir doch auf unsere große Reise, erinnerst du dich?“

Bereits seit dem Tag, als sie Isaac als Pflegekind bei sich aufgenommen hatten, waren er und Liam sofort unzertrennlich gewesen und dies war etwas, was Scott und Stiles sehr glücklich machte, denn es setzte eine Tradition fort, die mit ihnen beiden begonnen hatte: Zwei Jungs im selben Alter, miteinander so eng verbunden, wie Brüder! Auch diese beiden würden eines Tages zusammen in die Schule kommen und sie würden dort aufeinander aufpassen, so wie es ihre Väter bereits getan hatten.
 

„Was Reise?“ fragte Isaac skeptisch:
 

„Das haben Wolf-Daddy und ich dir doch schon erzählt, erinnerst du dich? Wir fahren erst mit dem Auto und dann fliegen wir mit einem ganz großen Flugzeug und dann noch mit einem ganz kleinen und wenn wir da sind, dann besuchen wir liebe Freunde von uns.“
 

Bei dem Wort `Flugzeug´ zeigte sich ganz kurz ein Ausdruck auf Isaacs kleinem Gesichtchen, wie ihn auch ganz normale Kinder haben würden; Neugierde, Aufregung, Freude. Doch Isaac war kein normales Kind, weshalb sich sogleich wieder dieses altvertraute Misstrauen in seine Miene schlich.

Und wer konnte es ihm schon verdenken, denn dieses Kind hatte in seinem jungen Leben bereits mehr Furchtbares durchgemacht, als manch Anderer in einem ganzen Leben. Das Jugendamt hatte Isaac kurz vor seinem zweiten Geburtstag von seinem Vater weggeholt, weil dieser ihn nämlich auf schlicht unvorstellbare Weise gequält hatte.

In engen oder dunklen Räumen bekam Isaac heute noch Panik, weshalb seine Pflegeväter ihm auch erlaubten, bei Licht und mit offener Tür zu schlafen. Der Grund für Isaacs Angst war jener, dass sein biologischer Vater den Kleinen zur Strafe häufig in eine winzige Kiste gesperrt hatte, wenn dieser angeblich `böse´ gewesen war.

Stiles konnte das immer noch nicht begreifen: Einmal abgesehen davon, dass ein so kleines Kind doch noch gar nicht bewusst irgendetwas Ungezogenes anstellen konnte, denn es probierte sich doch lediglich aus, erforschte spielerisch seine Umwelt und ja, vielleicht geschah dabei manchmal ein Missgeschick, aber wie konnte man überhaupt auf den Gedanken kommen, ein so süßes, wunderbares, kleines Wesen derart zu foltern? Wie brachte man das fertig? Was für ein Monster musste man sein?

Und die psychischen Qualen waenr ja noch nicht einmal das Einzige, was dieses Kind hatte erdulden müssen. Trotz seines jungen Alters hatte er bereits sechs Knochenbrüche erlitten, welche teilweise nicht einmal ärztlich versorgt worden waren, denn der leibliche Vater hatte den Kleinen mehrfach nach Strich und Faden verprügelt und es dann auch noch zu verheimlichen versucht! Wer weiß, ob Isaac überhaupt noch am Leben wäre, wenn da nicht aufmerksame Nachbarn eine Meldung beim Sheriff gemacht hätten?
 

Es war somit kein Wunder, dass Isaac in seinen ersten Wochen bei seinen neuen Pflegevätern kein einziges Wort über seine Lippen gebracht hatte. Er hatte einfach zu allem geschwiegen und Stiles und Derek damit große Sorgen bereitet.

Als er dann jedoch eines Tages im Spielzeugladen in der Mall, einen kleinen Plastiklastwagen gesehen und schüchtern und leise gefragt hatte: „Darf ich?“ waren beiden Männern ein wenig die Tränen gekommen.

Und natürlich hatte Isaac das Spielzeug erhalten! Er hätte sicherlich alles von ihnen bekommen, so glücklich waren die beiden in diesem Moment!
 

Weil Derek und Stiles nicht verheiratet waren, ließ man sie Isaac nicht adoptieren, doch daran arbeiteten die beiden Männer bereits mit Hochdruck. Das Aufgebot war für den nächsten Herbst bestellt, ein Anwalt damit beauftragt, die Adoption in die Wege zu leiten und Derek hatte seiner neuen Familie ein wunderschönes Haus mit großem Garten gekauft, welches die Leute vom Jugendamt, welche sie nun regelmäßig besuchten ja wohl von der Ernsthaftigkeit ihrer Absichten überzeugen sollte, oder nicht?

Stiles war sich darüber im Klaren, dass sie sich als Männerpaar doppelt so sehr anstrengen mussten, um diese Leute für sich einzunehmen. Man konnte zwar Gesetze ändern, doch die Grenzen in den Köpfen der Menschen überwand man deshalb noch längst nicht so einfach!
 

Stiles war überglücklich, dass Derek mit derselben Überzeugung hinter dieser ganzen Sache stand, wie er selbst. Und eigentlich war sein Gefährte es sogar gewesen, der irgendwann zu ihm gesagt hatte: „Ich möchte ein Kind mit dir haben, Stiles!“

Stiles war bis dahin gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass das überhaupt eine Option für Derek sein könnte und er konnte sein Glück kaum fassen!

Und dann hatten sie Isaac gefunden und hatten beide sogleich gewusst, dass er zu ihnen gehörte.
 

Stiles war mittlerweile mit dem kleinen Lockenkopf hinüber ins Bad gegangen, stellte ihn unter die Dusche, schäumte ihn mit dem Kindershampoo überall ein, spülte mit lauwarmen Wasser nach und tupfte ihn anschließend mit einem weichen Handtuch trocken. Das alles tat er äußerst vorsichtig und bedächtig, so als könne er den Jungen die Gewalt, die hinter ihm lag vergessen lassen, wenn er nur sanft genug wäre.

Und mittlerweile hatte Isaac auch genug Vertrauen gefasst, um diese Prozedur ohne Tränen und Geschrei zuzulassen.
 

Zu Übungszwecken wurde Isaac anschließend auf den Kindertoilettensitz gesetzt, um ihn damit vertraut zu machen. Anschließend bekam der Kleine ein Windelhöschen zum an- und ausziehen und seine Straßenkleidung übergezogen.
 

Als sie einen Augenblick später in die Küche kamen, sagte Stiles zu Isaac:

„Wow! Schau mal, Engelchen! Wolf-Daddy macht dir gerade dein Lieblingsfrühstück: Dino-Pfannkuchen mit Bananen!“
 

Mit größter Akribie streute Derek ein paar Bananenscheibchen in ein Förmchen in der Pfanne, goss dann den Teig darüber, löste diesen nach dem Stocken vorsichtig von der Form und dann wendete er das Ganze. Die Herstellung erforderte ein wenig Geschick, doch um das freudige Funkeln in Isaacs Augen zu sehen machte der Werwolf sich gern diese Mühe.

Er erlaubte sich, kurz von seiner staatstragenden Aufgabe aufzuschauen, um mit zärtlichem Blick festzustellen:

„Ihr Zwei seht toll zusammen aus!“
 

Sowohl Stiles als auch Isaac trugen, dem Wetter angemessen, kurze Hosen und dasselbe Spiderman-T-Shirt.
 

Als drei kleine Bananenpfannkuchen in T-Rex-Form auf dem Teller lagen, goss Derek noch großzügig Sirup darüber und stellte ihm seinem Sohn zur Begutachtung hin und dieser ließ sich zu einem kleinen Lächeln hinreißen. Nun konnte man behaupten, dies sei ein geringer Lohn für all´ die Mühe, die sein Wolf-Daddy sich gemacht hatte, doch wenn man Isaac kannte, dann wusste man auch, wie kostbar und rar jedes Lächeln von ihm war. Und somit war Derek hochzufrieden mit seiner väterlichen Leistung.
 

„Du musst auch etwas essen, Baby!“ mahnte der Werwolf nun auch Stiles, welcher dabei war, wie ein aufgescheuchtes Huhn herumzulaufen, letzte Dinge in die Koffer zu packen und halbherzig die, von der Frühstückszubereitung verschmutzte Küche zu putzen.
 

„Kann nicht! Ich bin irgendwie zu aufgeregt!“ erwiderte der Biologe fahrig und wienerte auf einem Fleck auf der Anrichte herum, als sei das die wichtigste Aufgabe auf der Welt, ohne auch nur aufzusehen, .
 

„Iss´ Stiles! Wir haben eine lange Fahrt vor uns und du brauchst etwas im Magen!“ bestimmte Derek nachdrücklich: „Und leg den Lappen weg! Ich mache gleich selbst sauber.“
 

Nun blickte Stiles von seiner Tätigkeit auf und erwiderte frech:

„Du kannst mich nicht zwingen! Du bist schließlich nicht mein Boss, Mister!“
 

Derek war blitzschnell mit eine Frischkäse-Bagel bewaffnet bei seinem Gefährten und erwiderte knurrend:

„Sicher kann ich dich zwingen! Du bist nur ein mageres, wehrloses Menschlein und musst tun, was ich dir sage, hörst du!“
 

„Träum´ weiter, Wölfchen!“ lachte Stiles und kniff Derek in den Hintern. Dann jedoch ließ er sich doch noch brav von ihm füttern und erhielt anschließend zur Belohnung einen Kuss dafür.
 

Isaac hatte dem zärtlichen Gezänk seiner Pflegeväter überaus aufmerksam zugeschaut; misstrauisch zunächst, doch als er feststellte, dass niemand brüllte oder prügelte, atmete er auf und konnte beruhigt weiter essen.
 

Nach dem Frühstück und dem Aufräumen konnte es auch schon losgehen. Derek war beladen, wie ein Alpaka auf einer Anden-Expedition mit all ihren Taschen und Koffern. Stiles hingegen hatte Isaac auf seiner linken Hüfte und ihr Handgepäck in der rechten Hand und so traten sie aus dem Haus.

Derek und Stiles hatten sich schweren Herzens von den geliebten Autos ihrer Jugend getrennt und stattdessen einen sehr soliden SUV als Familienwagen angeschafft, der silbern in der Sonne glänzte. Isaac kam in den Kindersitz und die Reisetaschen wurden im Kofferraum verstaut.
 

Sie wollten gerade starten, da versperrte ihnen ein Streifenwagen den Weg, aus welchem der Sheriff ausstieg und sich empörte:

„Ihr habt wohl geglaubt, ihr könntet einfach so meinen Enkelsohn entführen, ohne dass ich mich noch einmal richtig von ihm verabschiede, wie?“

Er öffnete die Hintertür des SUVs und als Isaac John erblickte, rief er glücklich:

„Grampa!“
 

„Ja, ich bin´s, mein Kleiner. Und der Opa hat ein Geschenk für dich.“

Es handelte sich dabei um einen Minion aus Plüsch, denn die liebte der Kleine, seit sein Großvater und er sich sämtliche Filme angeschaut hatten. Der Kleine schloss das kleine, gelbe Ungetüm fest in seine Arme und strahlte John an. Dieser gab dem Kind noch einen Kuss, wünschte ihm einen tollen Urlaub und wandte sich dann seinen Vätern zu:

„Er ist tot.“ erklärte er nun wieder sehr ernst: „Heute ganz früh ist er gestorben.“
 

Derek und Stiles mussten nicht fragen, von wem die Rede war. Gerard Argent hatte die letzten Monate auf der Krankenstation des Untersuchungsgefängnisses verbracht. Keiner hatte damit gerechnet, dass er bis zum Prozessauftakt überleben würde und dies hatte sich nun ja auch bewahrheitet:

„Er soll zur Hölle fahren!“ sagte Stiles grimmig.
 

Derek sagte nichts.

Er wirkte einfach nur erleichtert und es war nicht schwer zu erraten wieso: Der Prozess hätte wieder viele alte Wunden aufgerissen und das blieb ihm nun erspart. Stiles legte die Arme um seinen Gefährten und gab ihm einen Kuss. Dann bedankte er sich bei seinem Vater, dass er persönlich vorbeigekommen war, um es ihnen zu sagen und sie verabschiedeten sich voneinander.
 

Es war eine endlos lange Autofahrt über, vor Hitze flimmernde Highways bis nach Los Angeles und Stiles schaltete die Klimaanlage ein, in dem deutlichen Bewusstsein, dass sein Jeep einen derartigen Luxus nicht zu bieten gehabt hätte, ebenso wenig wie die bequemen, gefederten Sitze, den leise schnurrenden Motor und einen unvergleichbaren Fahrkomfort. Was machte es da schon, dass der SUV nicht so viel Charakter hatte, wie sein alter Wagen?
 

Erleichtert stellten die Daddys nach einer halben Stunde Fahrt fest, dass Isaac eingeschlafen war. Diese Reise würde noch lang genug dauern und mit einem weinenden, überreizten Kind wurde die Sache nicht leichter!
 

Als sie in Los Angeles ankamen, erinnerte sich Stiles daran, wie er das letzte Mal mit Derek hier gewesen war. Dem Wolf, der zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt in die Zivilisation zurückgekehrt war, war der Großstadt-Trubel zutiefst zuwider gewesen.

Stiles konnte kaum glauben, dass dies erst sechs Monate her sein sollte? Derek hatte sich in dieser kurzen Zeit so wahnsinnig verändert, war selbstsicherer, viel erwachsener und irgendwie auch... menschlicher geworden. Und er hatte sogar so etwas wie Humor entwickelt, auch wenn man manchmal etwas genauer hinschauen musste, um ihn zu erkennen.

Als Stiles seinem Gefährten vor kurzem gesagt hatte, wie stolz er auf seine Entwicklung sei, hatte dieser bloß mit den Schultern gezuckt und erklärt:

„Alles, was ein Werwolf braucht, um zufrieden und in seiner Mitte zu sein ist ein fester Anker und das bist DU, Baby.“
 

Das hatte ihn irgendwie ein bisschen stolz gemacht.

Stiles hatte sich, solange er zurückdenken konnte irgendwie haltlos, unsicher und ein wenig neurotisch gefühlt, doch ausgerechnet ER sollte derjenige sein, der einem anderen, eine derartige Stabilität geben konnte? Das war für ihn nur schwer zu glauben.

Doch am Wunderbarsten war es, dass Derek Stiles umgekehrt denselben Halt gab. Was konnte ihm schon passieren, sagte er sich heutzutage? Sein Geliebter war groß und stark und ein Werwolf!
 

Nachdem sie am Flughafen das klimatisierte Auto verlassen hatten, traf sie beinahe der Schlag, denn in Los Angeles war es gefühlt noch mindestens zehn Grad heißer als Beacon Hills.

Isaac drückte sein Kuscheltier fest an sich und blickte sich misstrauisch im Gewirr des Flughafens um und Derek sah nicht viel glücklicher aus, also drückte Stiles ihm ihren Sohn in den Arm, denn er wusste, wenn man einem Wachwolf eine wichtige Aufgabe gab, dann würde ihn das ganz gewiss beruhigen.

Der Mensch selbst besorgte einen Gepäckwagen, lud alles auf und sie machten sich auf den Weg zum Schalter. Nachdem das Gepäck aufgegeben und alles weitere erledigt war, mussten sie noch eine Weile auf ihren Abflug warten und Derek nutzte die Chance um mit Isaac an das große Fenster zu treten, um ihm zu zeigen, wie die Flugzeuge starteten und landeten:
 

„Droß!“ stellte das Kind mit vor Überraschung kugelrunden Augen fest:
 

Derek nickte und bestätigte:

„Ja, die Flugzeuge sind sehr groß, denn da müssen ja so viele Leute hineinpassen.“
 

„Isaac, Fliegzeug?“ versicherte der Junge sich noch einmal:
 

„Ja, mein kleiner Welpe. Wir müssen noch ein bisschen warten, bis unser Flieger da ist, aber dann steigen deine Daddys mit dir auch in so ein Flugzeug. Willst du das? Willst du auch ganz hoch in den Himmel aufsteigen?“
 

Isaac nickte heftig und zeigte seinem Kuschel-Minion nun ebenfalls die Start- und Landebahn.
 

Stiles hatte im Schneidersitz auf einer der Wartebänke gesessen und ein bisschen an seinem Laptop gearbeitet. Nun blickte er auf, beobachtete Derek mit ihrem Sohn und ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Kurz konnte er gar nicht fassen, wie glücklich er sich schätzen konnte.

Nach seiner Scheidung hatte er geglaubt, sein Leben sei vorüber und doch nun, nicht einmal ein Jahr später hatte er alles, was er sich je gewünscht hatte und mehr: Jemanden, mit dem er sein Leben teilen konnte und der ihn über alles liebte und ein wundervolles Kind, dass bei ihnen lebte und ihnen schon beinahe gehörte, wenn nun noch das Familiengericht dabei mitspielte.

Verrückt, welche Wendungen das Leben manchmal nahm!

Er klappte seinen Laptop zu, verstaute ihn und marschierte zu seinen Jungs hinüber:

„Unser Flug wurde gerade aufgerufen. Los geht’s!“
 

Isaac bekam den Platz am Fenster, damit er hinausschauen und beobachten konnte, wie die Welt unter ihnen immer kleiner wurde, der menschenscheue Werwolf saß neben ihm in der Mitte und Stiles, der schon oft geflogen war und den deshalb so schnell nichts aus der Ruhe brachte saß am Gang, wo er seine Familie ein wenig vor der Umwelt abschotten konnte.
 

Isaac zappelte aufgeregt in seinem Sitz herum und versuchte immer wieder, sich hinzustellen, damit er einen besseren Blick aus dem Bullauge hätte. Er plapperte er in einem Fort vor sich hin und berichtete, was es da unten alles zu sehen gab; etwas dass für seine Verhältnisse ausgesprochen ungewöhnlich war und Derek hörte geduldig zu, bis die Nervosität des Jungen irgendwann ins Gegenteil umschlug und er müde wurde.
 

Als Stiles nach einer Weile sicher war, dass Isaac tief und fest eingeschlafen war, fragte er Derek mit einem unschuldigen Augenaufschlag:

„Sag´ mal, du könntest mit deinen Wahnsinnsohren doch sicherlich von überall hier im Flugzeug hören, ob unser Sohn aufwacht, oder?“
 

Derek zog die Augenbrauen zusammen und erwiderte skeptisch:

„Ja, könnte ich, wenn ich mir Mühe gebe. Wieso?“
 

Das Grinsen, dass sich nun auf Stiles Gesicht schlich, konnte man eigentlich nur als unverfroren bezeichnen, als er fragte:

„Weißt du eigentlich, was der `Mile-High-Club´ ist?“
 

Derek schenkte ihm einen tadelnden Blick:

„Ich werde es bestimmt nicht mit dir in einer Flugzeugtoilette tun, während hier draußen unser Sohn schläft. Was, wenn er aufwacht, oder wir erwischt werden? Und außerdem... hast du eigentlich eine Ahnung, wie es an so einem Ort für jemanden mit meiner empfindlichen Nase riecht?“
 

Stiles zog ein enttäuschtes Schnäuzchen und Derek küsste ihn und versicherte:

„Ich liebe dich, Stiles, aber das lassen wir besser bleiben. Überhaupt werden wir in nächster Zeit wohl ein bisschen kürzer treten müssen, denn bei Emma ist es eng und wir werden mit Isaac in einem Bett schlafen. Tut mir leid, Baby!“
 

Stiles Gesicht wurde noch ein wenig länger, doch dann hellte es sich wieder ein wenig auf:

„Vielleicht entdeckt Emma ja ihre großmütterliche Seite und sie hütet unseren Kleinen eine Weile und wir gehen dann hinaus in den Wald, um es dort zu tun? Ich meine, das wäre doch möglich, oder?“
 

Der Werwolf grinste und bestätigte:

„Ja, das wäre nett!“
 

Bis zur Landung in Fairbanks war alles recht glatt gelaufen, doch als Isaac hier die winzige, enge `Cessna 172´ erblickte, bekam er eine Panikattacke und weigerte sich einzusteigen. Der Pilot wurde schon langsam ungeduldig. Er erklärte, er habe heute auch noch andere Dinge zu tun, doch Stiles flehte ihn an, ihnen noch einen Moment zu geben.

Schließlich griff Derek zu einem kleinen Trick, der ihnen früher schon einmal in einer ähnlichen Situation geholfen hatte. Er wandte sich so, dass weder der Pilot, noch sonst jemand ihn sehen, oder hören konnte, kniete sich vor den kleinen Jungen hin, ließ seine Augen blau aufblitzen und flüsterte mit tiefem Werwolfsgrollen:

„Dir wird nichts Schlimmes passieren, Isaac! Wolf-Daddy passt ganz doll auf dich auf. Er hält dich fest und lässt dich nicht los, bis wir wieder aussteigen, versprochen!“
 

Isaac wirkte beinahe ein wenig wie hypnotisiert. Sein Gesicht war immer noch tränennass, doch er hatte aufgehört zu weinen. Er nickte einfach nur mechanisch, ließ sich von Derek auf den Arm nehmen und ins Flugzeug tragen, wo er sich beim Start sogleich unter das T-Shirt seines Vaters buddelte und sich an dessen nackten Bauch kuschelte, weil ihn das beruhigte.
 

Es war völlig unangemessen, kleinlich, egozentrisch und im Grunde unverzeihlich, dass Stiles bei diesem Anblick einen kleinen Stich der Eifersucht spürte, weil ihm nicht die Möglichkeit gegeben war, ihrem Sohn auf diese Weise die Angst zu nehmen. Er senkte beschämt den Kopf.

Natürlich hatte Derek mitbekommen, was er fühlte. Der Werwolf wusste immer, was er empfand; keine Chance, etwas vor ihm zu verbergen, doch anstatt es Stiles krumm zu nehmen lächelte er bloß und zwinkerte ihm aufmunternd zu.
 

Endlich am Ziel angekommen wurde die Hale-Stilinski-Familie bereits erwartet. Am Rande des Rollfeldes standen Danny und Emma, welche ein Schild mit der Aufschrift `Wellcome home, boys´ in die Luft hielten.

Isaac war erst jetzt wieder aus seinem Versteck unter Daddys T-Shirt hervorgekrochen und Derek stellte ihn auf den Boden.
 

Das Kind blickte sich missmutig in der fremden Umgebung um.

Als die Umarmungen losgingen, versteckte Isaac sich hinter Dereks Beinen und klammerte sich daran fest. Sie ließen ihn gewähren, denn immerhin war es für ihn ein langer und anstrengender Tag gewesen und er musste sich erst einmal akklimatisieren.
 

„So, so, das ist also das Kind eurer Liebe?“ frotzelte Danny und deute auf Isaac: „Finde ich ja toll, dass du schon so schnell nach der Geburt deine mädchenhafte Figur wiederhast, Stilinski!“
 

Stiles knuffte dem Freund lachend in den Oberarm und forderte:

„Halt´ die Klappe, Mahealani, sonst hetze ich meinen Wolf auf dich!“
 

Emma tätschelte Derek die Wange und musterte ihn von oben bis unten mit einem mütterlichen Blick:

„Du siehst gut aus, mein Junge! Irgendwie zufrieden!“
 

„Ja Ma´am, dass bin ich auch. Sehr sogar!“ bestätigte der Werwolf mit einem jungenhaften Grinsen.
 

Emma lachte und wollte wissen:

„Sag mal denkst du, du wirst dich jemals dazu durchringen können, mich mit dem Vornamen anzusprechen, Kleiner?“
 

Dereks lächeln bekam etwas verlegenes und er schüttelte den Kopf:

„Nein, ich denke nicht, Ma´am.“
 

Emma lachte, zog Dereks Gesicht zu sich heran, gab ihm einen Kuss auf die Stirn und einen kleinen Klaps auf die Wange:

„Es ist so schön, dich zu sehen, Derek. Wirklich schön!“

Dann ging Emma sehr tief in die Knie, so dass sie mit Isaac auf Augenhöhe war, streckte ihm die Hand hin und versicherte:

„Und es ist auch sehr schön DICH zu sehen, Süßer.“
 

Eigentlich rechneten seine Daddys nun mit Tränen, weil die fremde Frau es gewagt hatte, ihn einfach so anzusprechen, doch es geschahen noch Zeichen und Wunder, denn Isaac streckte zögerlich sein kleines Händchen aus und ergriff die von Emma.

Das war einausgesprochen vielversprechender Anfang!
 

„So, Jungs, nun wird erst mal etwas gegessen!“ bestimmte Emma, erhob sich wieder und ging voran zu ihrem Geländewagen.
 

Stiles erkannte Miners Creek kaum wieder, ohne seinen Mantel aus Schnee. Selbst die Häuser wirkten unvertraut, ohne ihre weiße Last. Überall grünte und blühte es und es herrschten sehr angenehme zwanzig Grad. Hier ließ es sich im Sommer wirklich gut aushalten!
 

Sie fuhren hinüber zum Diner, wo Danny, Derek und Stiles mit Isaac auf dem Schoß an einem der Tische Platz nahmen, während Emma in der Küche verschwand. Zwanzig Minuten später war sie wieder da und tischte auf, als wolle sie eine ganze Kompanie durchfüttern: Gegrillte Sandwiches, hausgemachte Pommes Frites mit mehreren Saucen, Würste, deftige Salate, verschiedene Desserts und Kuchen.
 

„Greift zu Jungs!“ forderte sie und rutschte zu ihnen in die Bank.
 

„Himmel Emma, wer soll denn das alles essen? Erwartest du etwa noch jemanden?“ fragte Stiles überfordert von der Fülle.
 

Emma grinste, denn just in diesem Moment ging die Tür auf und ein vertrautes Gesicht trat ein, mit dem Stiles nun wirklich nicht gerechnet hatte:

„Ich erwarte tatsächlich noch jemanden!“ bestätigte sie.
 

Chris Argent trat zu ihnen an den Tisch, begrüßte Emma mit einem Kuss auf den Mund und den Rest mit einem `Hallo´, ehe er Platz nahm.
 

Derek und Stiles blieb vor Überraschung der Mund offen stehen und Danny kommentierte lachend:
 

„Ja, die Zwei sind neuerdings ein Paar. Es hat sie wirklich schwer erwischt und sie knutschen die ganze Zeit herum, wie verliebte Teenager. Das kann sich kein Mensch mit ansehen! Es ist wirklich widerlich!“
 

„Nur kein Neid, Grünschnabel!“ schimpfte Emma liebevoll: „Bloß weil bei dir momentan Trockenzeit herrscht, musst du noch lange nicht frech werden und es deinen Mitmenschen!“
 

Danny streckte der Freundin die Zunge heraus, Emma erwiderte diese Geste und schließlich kicherten sie beide wie Kinder.
 

Der Jäger füllte sich großzügig seinen Teller voll und ließ das Ganze unkommentiert. Stiles ahnte, dass einem toughen Kerl wie ihm die Tatsache, dass ein anderer Mensch es geschafft hatte, sein Herz zu erweichen irgendwie peinlich war, oder so, also hielt er sich mit den Fragen, die ihn brennend interessierten; zum Beispiel wie das überhaupt passiert sei einfach vorerst zurück.

Doch es gab etwas anderes, was Stiles dem Jäger zu sagen hatte:

„Hast du es eigentlich bereits gehört, Chris?“
 

Der Jäger wusste sofort, wovon der Biologe sprach:

„Der alte Bastard ist tot. Dein Vater hat mich heute angerufen und es mir gesagt. Ich hoffe, ihr erwartet jetzt keine Tränen von mir.“
 

Stiles schüttelte den Kopf und blickte Argent prüfend an. Sicher, Gerard war ein furchtbarer, böser Mensch gewesen, aber konnte man als sein Sohn wirklich vollkommen gleichgültig sein, wenn der eigene Vater starb?

Stiles würde nicht danach fragen, weil er genau wusste, dass Chris auch nicht darüber sprechen wollte.
 

Jedoch schien Emma Redebedarf zu haben:

„Ich hoffe, mein Jesse findet dadurch nun ein wenig Frieden.“ murmelte sie leise und Chris legte einen Arm um sie.
 

Nach dem ungenießbaren Flugzeugdinner hatten die Reisenden tüchtigen Hunger und sogar Isaac, der für gewöhnlich ein eher mäßiger Esser war, langte kräftig zu, insbesondere beim Nachtisch.
 

Als die Mahlzeit beendet war, wollte Emma wissen:

„Und? Habt ihr für heute noch irgendwelche Pläne, oder wollt ihr lieber gleich ins Bett nach der langen Reise? Wir haben uns nämlich gedacht, wir könnten noch ein wenig hinausfahren in die Wildnis. Heute ist Mittsommernacht und da wird es in dieser Gegend nur für ganz kurze Zeit dunkel. Vielleicht möchte der große, schwarze Wolf ja noch ein bisschen Auslauf haben? Und Stiles weiß ja noch gar nicht, wie schön es hier bei uns sein kann, wenn die Welt nicht gerade in Schnee und Eis erstarrt ist?“
 

Da Derek und Stiles sich fit fühlten und tatsächlich nach dem langen Sitzen ein wenig Bewegung vertragen konnten und weil Isaac beinahe die ganze Reise verschlafen hatte und somit recht ausgeruht sein sollte, stimmten sie zu.
 

Sie fuhren mit zwei Autos hinaus in die Natur und Isaac kam gar nicht aus dem Staunen heraus, wegen all der Tiere, die sie vom Wagen aus entdeckten. Sie sahen sogar einige Bisons, denn eine der letzten frei lebenden Herden dieser Tiere kreuzten ihren Weg. Unvorstellbar, wenn man bedachte, dass der nordamerikanische Kontinent einst von hunderttausenden dieser Rinder besiedelt gewesen ist, dachte Stiles, der Biologe und Naturschützer traurig.
 

Sie hielten an einem herrlichen, mit Heide bewachsenen Fleckchen scheinbar unberührter Natur, weit weg von der Zivilisation und hier konnte Derek es wagen, sich zu verwandeln. In Beacon Hills hatten sie sich das bislang erst zweimal und jedes Mal unter größter Vorsicht getraut.
 

Isaac quietschte vergnügt, als er seinen Daddy so sah. Er liebte den Wolf und wenn es nach ihm ginge, dürfte Derek wohl die ganze Zeit so herumlaufen. Er kuschelte zufrieden sein Gesicht in den schwarzen Pelz und schließlich hob Stiles den Jungen auf den Rücken des Wolfes, damit er ein wenig auf ihm reiten konnte.
 

Stiles wusste, wie sehr es Derek in letzter Zeit gefehlt hatte, diesen Teil seines Wesens zu leben und auch, wie sehr er diese Landschaft vermisst hatte, die so lange sein Zuhause gewesen war. Sein Gefährte lebte dieses menschliche Leben mit ihm und es machte ihn auch glücklich, daran bestand kein Zweifel, doch es war eben nicht alles, was er war.
 

Sie alle machten einen Spaziergang und der Wolf folgte ihnen eine Weile brav, doch irgendwann beugte sich Stiles zu ihm hinunter, küsste die pelzige Stirn und sagte:

„Also gut, mein Großer! Lauf´ und hab´ Spaß! Sei aber in einer Stunde wieder bei uns, ja?“
 

Der Wolf kläffte zustimmend und dann verschwand er mit großen Sprüngen.
 

„Wo geht?“ fragte Isaac besorgt, doch Stiles versicherte:
 

„Wolf-Daddy kommt nachher zurück zu uns!“
 

Ein wenig beunruhigt blickte der Junge noch eine Weile in die Richtung, in die der Wolf verschwunden war, doch dann entdeckte Emma einen Ameisenhaufen, nahm Isaac bei der Hand und zeigte und erklärte ihm, was hier alles los war.

Stiles staunte ziemlich, dass sein Sohn vor dieser fremden Frau kein bisschen scheu war, sogar mit ihr sprach und sich von ihr anfassen ließ.

Emma hatte, wie es schien also nicht nur ein Händchen für verwilderte Werwölfe, sondern auch für traumatisierte Kleinkinder.
 

Derek kehrte nach etwa einer Stunde zu ihnen zurück und verwandelte sich wieder in sein menschliches Selbst. Stiles konnte sehen, dass sein kleiner Ausflug ihm ausgesprochen gut getan hatte. Sein Gefährte wirkte gelöst und zufrieden.
 

Nach einer Weile machte der kleine Trupp kehrt und sie nahmen die Autos zurück nach Miners Creek.

Dort wurde Isaac ins Bett gebracht und der Rest von ihnen saß noch eine Weile in Emmas Wohnzimmer und sie erzählten sich, was sie in dem halben Jahr, in dem sie einander nicht gesehen hatten erlebt hatten.

Irgendwann merkten dann auch Stiles und Derek, dass sie müde wurden und sie zogen sich zurück.
 

In Emmas Schlafzimmer, welches diese ihnen großzügig überlassen hatte, kuschelten sich Derek und Stiles zu ihrem Sohn ins Bett:

„Es muss eigenartig für dich sein,wieder hier zu sein, oder nicht?“ fragte Stiles schläfrig:
 

„Eigenartig und gut!“ bestätigte Derek und gab seinem Menschen einen Gute-Nacht-Kuss.
 

Im Bett fühlte sich der Werwolf plötzlich gar nicht mehr müde. Diese Reise in seine Vergangenheit war aufwühlender, als er zunächst geglaubt hatte. Außerdem war es im Zimmer immer noch beinahe taghell, obwohl die Vorhänge zugezogen waren. Er lag noch lange wach, dachte über früher und heute nach, über sein Leben vor und nach dem Feuer, sein Leben als Wolf und sein Leben als Mensch.
 

Irgendwann mitten in der Nacht vernahm Derek aus der Ferne einen Ruf, der ihn bis ins Mark erschütterte und seinen gesamten Körper mit einer Gänsehaut überzog. Es war das Klagen eines einsamen Wolfes, so durchdringend und tragisch, dass es einem die Tränen in die Augen trieb. Derek wusste genau, was das Tier empfand, er hatte es selbst erlebt, doch für ihn waren diese Tage waren für ihn zum Glück endgültig vorbei.
 

Er blickte hinab auf seine kleine Familie, legte einen Arm um sie beide und schlief mit einem zufriedenen Lächeln schließlich doch noch ein.
 

-ENDE-



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