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vergiss-mein-nicht

Magister Magicae 11
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ach, ich fütter euch mal noch ein Kapitel an, damit es zeitlich passt. Das spielt einen Tag vor Weihnachten. Und der ist heute. Das Weihnachts-Kapitel kriegt ihr dann morgen zu Weihnachten. ^_^ Komplett anzeigen

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nordische Stimmung

Victor zog sich die Bett-Decke bis zu den Ohren und gähnte herzhaft. Er hatte seine Lampe schon ausgeschalten, im Gegensatz zu Urnue drüben auf der anderen Seite des Hotelzimmes. Der lag zwar auch schon in seinem Bett, hatte aber die Hände im Genick verschränkt, starrte zur Zimmerdecke hinauf und dachte gar nicht daran, sein Licht zu löschen.

s'pokojnoj notschi“ [Gute Nacht], meinte Victor in einem Tonfall, der wie eine Aufforderung klang.

Urnue schielte ihn aus dem Augenwinkel an, dann schaute er kopfschüttelnd wieder zur Zimmerdecke hinauf. Unzufrieden mit der gesamten Lage, in der sie gerade waren. „Ich versteh nicht, wie du schlafen kannst, mit so vielen Leichen auf dem Gewissen. Ich an deiner Stelle würde kein Auge mehr zu machen.“

Victor seufzte leise. „Du bist immer noch sauer, weil ich es nicht geschafft habe, Aiko Brown lebend zu fangen“, entging ihm nicht.

„Du hättest sie mir überlassen können. Ich war noch einsatzfähig. Du vertraust mir einfach nicht.“

„Das hat mit Vertrauen nichts zu tun, Urnue. Ich kannte Aiko. Ich wusste, was sie drauf hat. Du wärst ihr nicht gewachsen gewesen. Ich will dich doch nur schützen.“

Sein Getreuer gab einen verächtlichen Ton von sich. Er glaubte das wohl nicht. „Denkst du, es war klug, was wir heute abgezogen haben? Gedächtnis-Zauber hin oder her, es gab sechs Zeugen! Das hätte mächtig in die Hose gehen können, wenn wir die nicht alle erwischt hätten. Und dann haben wir die Leiche auch noch liegen lassen. Glaubst du, da wird keiner Ermittlungen anstellen, wer sie durchsiebt hat?“

„Natürlich wird es Ermittlungen geben“, gab Victor gelassen zurück. „Und vielleicht kriegen sie sogar raus, daß ich es war. Aber was soll´s. Mir wurden schon genug Morde nachgewiesen. Auf einen mehr oder weniger kommt´s jetzt auch nicht mehr an.“

„Du bist so ein kalt berechnendes, gewissenloses ... ich weiß gleich gar nicht, als was ich dich am besten betiteln soll.“

„Wie wäre es mit 'Vize-Boss der Motus'? Das wäre angemessen“, scherzte Victor. „Dieser Posten hat mich so werden lassen.“

Urnue atmete betont durch. „Ziehst du gar nicht in Betracht, daß wir richtig Probleme kriegen könnten? ... Manchmal frage ich mich echt, ob ich noch mit dir zusammen arbeiten sollte. Ob´s das wert ist. Ich komme immer wieder an die Grenzen meines Gewissens, auch wenn ich nicht sagen will, daß ich das nicht vorher gewusst hätte, als ich mich dir angeschlossen habe.“

„Was hält dich denn bei mir?“

„Die Dankbarkeit. Ohne dich wäre ich schon längst tot, du hast mir das Leben gerettet. Und du hast mir die Gelegenheit gegeben, Rupperts Tod zu rächen. Und eigentlich glaube ich ja auch an deine Mission, ganz tief in mir drin. Es ist sicher richtig, die ehemaligen Motus-Mitglieder zu jagen. Ich will dir da ja helfen. ... Ich bin nur immer wieder schockiert von deiner Skrupellosigkeit.“

Victor ließ diese Aussage einen Moment setzen und dachte darüber nach. Irgendwann nickte er langsam. „Ich halte dich nicht fest, Urnue, das weißt du. Wenn du eigene Wege gehen willst, werde ich dich nicht aufhalten. Ich würde dir Alles Gute wünschen und mich bei dir bedanken. Du bist mir nichts schuldig. Gar nichts.“

„Ich weiß“, seufzte er. „Aber ich denke, Ruppert hätte es so gewollt, daß wir zusammen die Motus platt machen. Er hat sie auch gehasst. Und er ist ein Opfer von denen geworden. Ich wäre von mir selbst enttäuscht, wenn ich den Schwanz einziehe. Und Ruppert wäre es auch.“

„Hör zu. Ich werde an mir arbeiten, in Zukunft nicht mehr ungefiltert JEDEN über den Haufen zu schießen, sondern auch ab und zu mal für die Polizei einen lebend zu fangen, wenn ich damit leben kann. Einverstanden?“

Urnue wandte den Kopf herum und schaute ihn lange rückversichernd an, als müsse er abschätzen, wie glaubwürdig dieses Versprechen war. Wenn er damit leben konnte! Allein die Einschränkung sagte ja schon genug. Aber dann besann er sich darauf, daß Victor ihm noch nie falsche Versprechungen gemacht hatte und sein Vertrauen auch sonst noch nie enttäuscht hatte. Wenn er sowas sagte, meinte er das ernst. Darum mochte er Victor ja so, fühlte sich so wohl in seiner Gesellschaft und stand so loyal zu ihm. Weil er sich absolut auf Victor verlassen konnte. Selbst wenn er mit dessen Aktionen nicht immer einverstanden war, so konnte er sich doch zumindest darauf verlassen, daß sie berechenbar blieben. „Danke“, erwiderte er schließlich ehrlich. Und wandte den Blick wieder zur Decke hinauf. Einen Moment war Ruhe, während er weiter seinen Gedanken nachhing und immer noch keine Anstalten machte, endlich das Licht aus zu schalten und zu schlafen. „Vermisst du ihn manchmal?“, fragte Urnue irgendwann.

„Wen? Ruppert?“

Der Wiesel-Genius nickte mit einem zustimmenden Laut.

„Ein wenig schon. Er war zwar kein sehr herzlicher Mensch, aber trotzdem ein guter Freund. Ohne ihn wäre ich nicht so weit gekommen. Vermisst DU ihn?“

„Er war mein Schützling“, gab Urnue zu bedenken. „Natürlich vermisse ich ihn. Paradoxerweise weiß ich bloß nicht, warum. Er hat mich nie so respektvoll behandelt wie du. Er hat mich nicht geachtet. Er hat mir fast alles verboten, was ich mir jemals gewünscht habe. Aber trotzdem ... er war mein Schützling. Und ja, ich vermisse ihn. Das macht wohl die Verbindung zwischen ihm und mir. Ohne einander sind wir einfach nicht vollständig, ein Schutzgeist und sein Schützling.“

„Kann ich schlecht nachvollziehen“, gestand der Gestaltwandler. „Ich war nie gebunden.“

„Was ist mit diesem Anatolij, von dem du mir erzählt hast? Wer war er?“

„Ein Mensch. Einfach nur ein ganz normaler Mensch ohne magische Begabung. Wir kannten uns schon, seit wir Kinder waren. Er hat mich dazu gebracht, zu studieren, und hat mich mietfrei bei sich wohnen lassen, weil ich mir das sonst gar nicht hätte leisten können. ... Ihn vermisse ich übrigens auch“, fügte Victor sentimental an.

„Dann kannst du doch nachvollziehen, wie es mir geht.“

„Möglich.“

Urnue drehte wieder den Kopf, um ihn erneut anzusehen, und nahm die Hände aus dem Genick, weil ihm langsam die Arme einschliefen. Stattdessen rollte er sich auf die Seite, in Victors Richtung. „Hör mal, du weißt, daß es niemanden gibt, der mit den Toten reden kann. Du kommst an deinen Anatolij nicht mehr ran, egal wie du´s drehst und wendest. Und an Ruppert auch nicht. Wieso willst du immer noch nach Nuorgam rauf und diesen Niilo Mäkinen suchen? Was erhoffst du dir noch davon?“

„Ich will einfach wissen, woher er von Cord und Third Eye wusste. Dieser Tote auf den Orkney-Inseln war zu gut getarnt, und keiner wusste davon, niemand hätte den jemals finden dürfen, wenn der es nicht zufällig als Nachzehrer auf Sewill abgesehen gehabt hätte. Aber irgendwoher wusste dieser Niilo Mäkinen sowohl von dem Toten, als auch, daß es Cord und Third Eye gewesen sind. Und das ist mir etwas zuviel des Guten. Ich will rauskriegen, woher er das alles wusste.“

„Hast du Theorien?“, hakte Urnue interessiert nach.

„Nein. Erstaunlicherweise keine einzige, und sei sie noch so abstrus.“

„Das ist ungewöhnlich für dich“, grinste sein Getreuer.

„Ja, irgendwie schon, oder?“

„Vielleicht ist er ein Reaper und hat den Toten auf die andere Seite begleitet.“

„Der wurde nicht auf die andere Seite begleitet. Der war noch im Diesseits. Deshalb ist er ja zum Nachzehrer geworden und konnte Sewill die Lebensenergie absaugen. Ins Jenseits ist er erst gegangen, nachdem ich ihn erledigt hatte. Und das war, nachdem Cord und Third Eye schon lange die Polizei im Nacken hatten. Und Reaper machen sowas auch nicht. Das sehen die nicht als ihre Aufgabe an.“

„Nagut ...“ Urnue überlegte weiter. „Er ist Wildhüter. Vielleicht kann er mit Tieren sprechen. Vielleicht hat eine Möwe oder irgendein Meeres-Tier ihm davon erzählt, das auf den Orkney-Inseln dabei war.“

„Es gibt keine Vögel oder Fische, die von Schottland nach Finnland reisen. Zugvögel ziehen in den Süden, nicht in den Osten. Möwen gehören da auch gar nicht dazu. Und Fische schwimmen auch nicht solche Strecken.“

„Tja, dann ... weiß ich es auch nicht“, gab Urnue nachdenklich zu.

„Jetzt schalt endlich das Licht aus und lass uns schlafen, ja?“, bat Victor müde. „Wir haben morgen 360 Kilometer vor uns.“

„Ist gut. ... koroscho s'pat.“ [Schlaf gut.]
 

Etwas verschlafen und wie ein Schluck Wasser hing Victor auf dem Beifahrersitz, mal wieder einen Ellenbogen in den Fensterrahmen und den Kopf in die Handfläche gestützt. Das war seine Lieblingshaltung, wenn er nicht gerade im Stadtverkehr beide Hände brauchte, weil er dauernd durch die Gänge schalten musste. Die Temperaturen waren weit in den Minusbereich gefallen und es wehte ein klirrend kalter Wind, deshalb hatte Urnue sich geweigert, die ganze Strecke bis nach Nuorgam auf dem Rücken eines Greifen zurück zu legen, wo er schutzlos der Witterung ausgesetzt war. Und Victor hatte bei diesem Klima auch nicht fliegen sollen. Urnue hatte darauf bestanden, sein Glück erstmal mit einem Mietwagen zu versuchen, zuversichtlich, daß die Straßen in den Norden noch nicht komplett zu waren. Immerhin gab es ja auch in Finnland sowas wie Winterdienst. Und bis jetzt hatten sie Glück, was das anbelangte. Urnue hatte das Auto angemietet, im Gegensatz zu Victor besaß er nämlich noch einen gültigen Personalausweis, und er fuhr das Auto auch selbst. Auch so eine neue Errungenschaft, die Victor vor Augen hielt, wie sehr Ruppert seinen Genius Intimus unterdrückt und abgewertet hatte. Den Führerschein hatte Urnue erst gemacht, nachdem sein Schützling Ruppert tot war und er sich Victor angeschlossen hatte. Ruppert, als er noch gelebt hatte, hätte ihm das niemals erlaubt.

„Kannst du driften?“, wollte Urnue wissen.

Victor wandte seinen verträumten Blick von der weißen Schneelandschaft und den Nordlichtern am Himmel ab und schaute müde zu ihm herüber. Im Winter wurde es hier ja nie hell. Langsam begann Victor das anstrengend zu finden. Er wurde dadurch nämlich auch nicht mehr richtig wach. „Nein, das brauche ich für mein Ego nicht. Und nebenbei bemerkt sind mir auch meine Reifen dafür zu schade.“

„Ich hab mal einen gesehen, der hat sein Auto die Auffahrt im Parkhaus seitwärts rauf bugsiert. Die durchdrehenden Reifen haben zwar ne Menge Qualm gemacht, aber das würde ich auch gern mal versuchen.“

„Wenn du dieses Auto hier zu Schrott fährst, wird jemand böse“, gab Victor mit einem Schmunzeln zu bedenken. „Und dann müssen wir nach Nuorgam doch fliegen.“

„Ich glaube auf Glatteis ist es einfacher.“

„Auf Glatteis ist es noch viel gefährlicher. Driften ist für sich genommen schon krass genug. Wenn du die Nerven verlierst und zu zeitig vom Gas runter gehst, kriegen die Reifen wieder Grip und du schießt los wie eine Rakete. Aber auf Glatteis neigt das Auto außerdem noch dazu, sich zu drehen wie ein Kreisel. Da hast du nicht mal mehr Kontrolle darüber, in welche Richtung du abgehst.“

„Morgen ist Weihnachten.“

Victor blinzelte verwirrt. „Und? Glaubst du, deswegen schmiert dir das Auto auf Glatteis nicht trotzdem ab?“

„Hä?“, machte Urnue, seinerseits durcheinander gebracht.

„Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun?“

„Gar nichts! Das war ein Themen-Wechsel“, stellte Urnue klar.

Victor ließ resignierend den Kopf seitlich gegen die Fensterscheibe fallen. Manchmal machte der Kerl ihn echt fertig. Solche nicht nachvollziehbaren Gedankensprünge brachte der häufiger. Lag wohl an seiner Wiesel-Natur. All seine Bewegungen wirkten grundsätzlich ungewöhnlich schnell und ruckhaft, wenn auch sehr präzise. Manchmal hatte Victor den Eindruck, daß Urnues Verstand genauso sprunghaft arbeitete.

„Ich wollte bloß wissen, ob sich´s nicht einrichten lässt, daß wir uns morgen einen schönen Tag machen, auch wenn wir in Finnland festsitzen“, erklärte Urnue weiter. Weiter ausführen musste er das nicht. Er und Victor arbeiteten seit über 2 Jahren gemeinsam. Langsam kannte Victor Urnues Weihnachts-Traditionen und respektierte sie auch. Wobei die Behauptung 'schöner Tag' da durchaus Interpretationsspielraum offen ließ. Victor konnte sich an Weihnachten Schöneres vorstellen.

„Ich bin direkt geneigt, mich deiner Aktion dieses Jahr anzuschließen“, meinte er aber dennoch. „Also, ja, sollte sich machen lassen.“

Urnue lächelte begeistert auf. „Danke.“

„Dann sollten wir aber zusehen, daß wir heute nochmal irgendwo einkaufen.“

„Ich hoffe, das wird in Nuorgam was. Das Nest hat ja bloß was um die 250 Einwohner.“

„Ja, und 70 Gästebetten im Feriendorf“, gestand Victor etwas kleinlaut.

„Bitte was!?“ Urnue starrte ihn überrascht an. Aber eine nette Überraschung war das nicht, das sah man seinem Gesichtsausdruck an.

„Sei mir nicht böse. Ich hab´s selber erst heute früh im Hotel erfahren, daß es da ein Feriendorf gibt. Und ich hätte so oder so vorher nach Kittilä gemusst, um dieses Kama-Itachi zu jagen. ... Guck bitte auf die Straße, wenn du fährst.“

Mürrisch wandte Urnue den Blick wieder nach vorn. „Das ist der Arsch der Welt, wieso gibt es da draußen Feriendörfer? Wer soll da Ferien machen wollen?“

„Der Kerl an der Hotelrezeption sagte, Touristen kommen gern da hin, um Lachs zu angeln. Und es ist ein Grenzübergang nach Norwegen. Aber hey, sie haben eine Kapelle, das ist doch was.“

„Super. Dann ist Weihnachten ja gesichert“, schoss Urnue zurück, immer noch etwas grummelig, obwohl er inzwischen gar nicht mehr wusste, warum eigentlich. Den Umweg über Kittilä hätte er so oder so nicht vermeiden können. Er wusste, daß Victor sich nicht davon hätte abhalten lassen, Aiko Brown zu jagen.



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