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Sex, Guns & Rock 'n' Roll

„Herzlich willkommen beim Schicksalslos!“
von

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„Ich befolge nur die Spielregeln.“

Inos Handy klingelt zum wiederholten Male. Sie sieht nun doch auf das Display. „Der schon wieder“, zischt sie mit brüchiger Stimme. „Kann er mich nicht einfach in Ruhe lassen?“ Sie schleudert das Handy zu Boden, wo die Abdeckung aufgeht und der Akku herausspringt. Das Klingeln verstummt. Ino kuschelt sich wieder an ihr Kissen.

Sie sitzt auf ihrem Bett und versucht, mit sich selbst und der Welt fertig zu werden, und ich versuche, ihr so gut es geht zu helfen. Seit Shikamarus Tod habe ich sie täglich besucht, aber es scheint ihr immer noch nicht besser zu gehen. Ihre Hände zittern bei allem, was sie anpackt, und während sie anfangs noch versucht hat, sie mit allen Mitteln in Bewegung zu halten und sich zu beschäftigen, starrt sie nun nur noch vor sich hin.

Ich kann sie auch nicht aufheitern. Kann sie höchstens in den Arm nehmen, wie schon in Choujis und Shikamarus Wohnung, aber das hat längst seine Wirkung verloren – falls es je eine besessen hat. Es ist furchtbar, aber mir fällt einfach nichts mehr ein, was ich zu ihr sagen könnte. Alles, was ich anspreche, scheint irgendwie wieder zu der Sache mit Shikamaru zu führen, und alles, was total gegenteilig ist, wirkt plötzlich so banal, dass es keine Erwähnung wert ist. So sitze ich nur bei ihr, halte dann und wann ihre Hand und schlürfte dann und wann den Tee, den sie uns gemacht hat.

Es ist auch nicht gerade hilfreich, dass mein Kopf ebenfalls voller tosender Gedanken ist. Dinge, die ich gerne angesprochen hätte, mit denen ich Ino aber unbedingt verschonen muss. Meine neuen Chips zum Beispiel, die wieder mal ziemlich krass ausgefallen sind, wenn auch nicht ganz so mörderisch wie beim letzten Mal. Und die Sache mit Sasuke.

Er hat sich immer noch nicht bei mir gemeldet. Ich kann nur ahnen, dass es mit seinen Chips zusammenhängt. Eigentlich habe ich gedacht, wir könnten einander mittlerweile vertrauen.

Oder hat man am Ende herausgefunden, dass er seine Rollenkarte nicht befolgt hat? Dass er mir seine Chips verraten hat? Höre ich deshalb nichts mehr von ihm? Das ist doch unmöglich, oder? Oder ist das Gremium einfach noch viel, viel mächtiger, als ich immer geglaubt habe?

Ich frage mich, wo er steckt. Ich bete, dass es ihm gut geht.

Und ich hoffe, dass er sich bei seinen Chips nicht überschätzt.

 

„Also, Herr Uchiha, was gibt es, dass Sie es mich nicht am Telefon fragen konnten? Ich bin eine vielbeschäftigte Frau, wissen Sie? Ich habe auch noch andere Aufgaben als Spielerbetreuung.“ Während Olga das sagt, schüttelt sie ihren Kopf, dass ihre Korkenzieherlocken wackeln. Die übertriebenen Klunker, die von ihren Ohren baumeln, klingeln leise.

„Sie waren auf dem Anmeldeformular als Kontaktperson angeführt, wenn ich mich nicht irre“, sage ich. Wenn ich mich recht erinnere, stand daneben auch ihre Telefonnummer – nur daran erinnere ich mich nicht mehr. Ich habe ihre Nummer von Tenten, die schon öfter Material vom Gremium angefordert hat.

„Für Telefonate“, belehrt sie mich. „Ich habe keine Zeit, um meine Schützlinge alle persönlich zu treffen.“ Sie sieht sich naserümpfend in dem Lokal um. Offenbar gefällt ihr auch das Etablissement nicht, in das ich sie gebeten habe. Dabei habe ich ein überdurchschnittliches Café gewählt, aber selbst das ist ihr vermutlich zu gewöhnlich.

„Dann komme ich wohl besser gleich zur Sache“, schlage ich einen geschäftsmännischen Ton an. „Sie werden merken, dass ich eben nicht alles am Telefon mit Ihnen abklären kann.“

Sie bedeutet mir mit einem Wink, fortzufahren, während ein Kellner im Frack zwei Cappuccinos bringt, um deren Preis man sich vermutlich auch ein Kinoticket kaufen könnte.

„Meine erste Frage betrifft meine Rollenkarte. Wie Sie sicher wissen, bin ich der Geheimniskrämer. Das heißt, ich muss über meine Ziehungen lügen. Bevor Sie mir also irgendetwas erklären können, muss ich wissen, ob ich meine Chips und Karten auch vor Ihnen gemeinhalten muss, Olga.“

Sie winkt ab. „Ich fungiere als Stellvertreterin des Gremiums. Selbstverständlich bin ich von dieser Regel ausgenommen.“

Eingebildete Zicke. Sie klingt, als wäre das ihr Geburtsrecht. „Sehr schön. Dann zum Zweiten. Ich möchte mir Gewissheit über einen bestimmten Sachverhalt des Spiels verschaffen.“ Ich hole tief Luft und sehe Olga lauernd in die Augen. Und ich hoffe, dass ich auch eine ausreichende Menge an naiver Hoffnung in meinen Blick legen kann. Ihr eigener Blick, den sie mir unter ihren vollgepinselten Lidern zuwirft, ist allerhöchstens gelangweilt.

„Wenn ich eine Regelkarte ziehe“, beginne ich, „gilt diese Regelkarte dann, sobald ich sie in der Hand halte?“

„Natürlich“, sagt sie sofort. „Sie können Ihre Karten nicht mehr umtauschen, wenn Sie das damit meinen.“

„Dann danke ich Ihnen vielmals für Ihre Zeit.“ Ich stehe auf und werfe das Geld für meinen Cappuccino, den ich nicht mal angerührt habe, auf den Tisch. Olgas verdutzter Blick verfolgt mich, während ich zur Garderobe schlurfe und meinen Mantel vom Haken nehme, bereit, zu gehen.

„Was meinen Sie damit? Dafür haben Sie mich hierher gebeten?“, fragt sie.

„Wir sehen uns spätestens am Sonntag“, rufe ich ihr kühl zu und verlasse das noble Café, um auf die nicht ganz so noble, matschige Straße zu treten.

Das Lokal hat nur einen Eingang, und der führt in diese Quergasse, in der Fahrverbot herrscht. Ich habe eine halbe Stunde vor der Tür auf Olga gewartet, um zu sehen, aus welcher Richtung sie kommt. Ich habe nämlich vermutet, dass sie sich von einem Chauffeur bis vor die Haustür kutschieren lässt – in diesem Fall hat sie aber vor der Gasse aussteigen müssen. Nun warte ich neben dem Café und behalte die Tür im Auge. Dreißig Meter weiter brausen die Autos auf der Hauptstraße vorbei.

Es dauert nicht lange, und Olga kommt mit ihrer daunengefütterten Jacke und dem dicken Schal aus diesem Abzockerladen. Ihre Schritte verraten ihre miesepetrige Stimmung. Sie sieht sich nicht mal um, sondern stöckelt eilig die Gasse entlang, um sich entweder an der Straße abholen zu lassen oder die nächste Straßenbahn zu nehmen. Genau, sie stöckelt – selbst ihre hochgeschlossenen Stiefel haben Absätze, deren Anblick allein jeder noch so hartgesottenen Tussi Schwindelgefühle beschert hätte.

Gut für mich, denn die bremsen sie zusätzlich.

So schnell und gleichzeitig so leise es geht, husche ich ihr hinterher. Ich habe extra meine alten, gut eingelaufenen Sneakers angezogen, obwohl mir die Kälte auf der Herfahrt in die Zehen gebissen hat.

Olga dreht sich zu mir um, als ich sie schon fast erreicht habe, und prallt erschrocken zurück – aber es nützt nichts. Ich packe die Schlaufe hinten an ihrer Jacke mit der Linken, reiße sie zurück und drücke ihr mit der Rechten den Lauf meiner Maschinenpistole ins Kreuz, die ich mit großer Kunstfertigkeit in meinem Mantel versteckt gehalten habe. Die Gasse ist menschenleer, aber selbst einem Beobachter wären aus einiger Entfernung nur zwei Menschen aufgefallen, die ein bisschen nahe beieinander stehen.

„Was ich noch sagen wollte: Spätestens am Sonntag, aber frühestens jetzt“, flüstere ich ihr verwegen ins Ohr.

„Ich … Was … Hören Sie …“, stammelt Olga und windet sich in meinem Griff, sodass ich ihr die Waffe fester gegen den Rücken presse.

„Das ist eine MP7 mit Schalldämpfer“, drohe ich leise. „Neunhundertfünfzig Schuss pro Minute. Sollten Sie schreien oder irgendwie unartig sein, sehen Sie in null Komma nichts wie ein Nudelsieb aus.“

„Sie … Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass Sie damit durchkommen?“, sagt sie mit Fistelstimme.

„Mein erster Befehl: Sprechen Sie leiser“, knurre ich.

Sie schrumpft sichtlich vor mir zusammen. „Das wird man Ihnen nicht durchgehen lassen! Ich bin eine wichtige …“

„Eine wichtige Figur im Spiel? Allerdings. Aber tot bringen Sie mir genauso viel“, behaupte ich.

„Haben Sie den Verstand verloren? Das Gremium wird Sie zur Rechenschaft ziehen!“

„Das denke ich nicht“, entgegne ich und klinge fast fröhlich. „Sie werden mich mit Geld überschütten. Ich befolge nur die Spielregeln.“

„Machen Sie keine Witze! Ich …“

„Sie kennen meine Regelkarte, oder? Sie haben bestimmt einen flüchtigen Blick darauf erhaschen können. Aber falls Sie so diskret waren, nicht hin zu schielen, die Regel lautete: Dein Opfer ist die Person, die dir am nächsten steht. Zum Zeitpunkt, als ich die Karte gezogen habe, waren Sie das. Wortwörtlich.“

„So … So war das aber nicht gemeint“, japst sie.

Ich zucke mit den Schultern. „Auslegungssache. Wie immer. Ich bin ein einsamer Wolf, wussten Sie das nicht? Bis vor kurzem hatte ich zu keinem der Menschen in dieser Stadt hier Kontakt. Es macht für mich wesentlich mehr Sinn, wenn ich die Person nehme, die mir physisch am nächsten ist. Und dass die Karte in dem Moment gilt, in dem ich sie ziehe, haben Sie mir vorhin bestätigt.“

„Sie sind verrückt“, haucht Olga. Sie sieht aus, als ob sie entweder gleich die Fassung oder das Bewusstsein verlieren würde. Keins von beiden kann ich mir leisten.

Aber ich muss weitermachen.

„Ich verrate Ihnen auch gleich mal, was meine Chips waren“, sage ich. „Zum einen soll ich mein Opfer für dreizehn Tage entführen. Und falls Sie es noch nicht gemerkt haben, ich bin gerade dabei, das zu tun.“

„Damit kommen Sie nicht durch“, sagt sie erneut, aber ihre Stimme klingt schon kraftloser.

Ein Passant eilt mit gesenktem Hut an uns vorbei. Olga versteift sich. Ich lasse ihre Jacke los, nehme den Lauf aber nicht weg, sondern decke ihn nur mit dem Ärmel ab. Ihr Blickt folgt flehentlich dem Mann, der uns gar nicht zu bemerken scheint. „Keine Chance“, sage ich, ehe ich ein wenig auf Abstand gehe. „Der zweite Chip wäre nämlich, Sie zu töten. Mit Drahtseil, aber ich kann Sie ja hinterher immer noch irgendwo aufhängen.“

Olga zittert merklich. Ich frage mich, wie es sich wohl anfühlt, endlich mal die andere Seite der Medaille zu sehen. Endlich mal mit dem Dreck beworfen zu werden, durch den man seine Spieler kriechen lässt. Der Passant erreicht die Hauptstraße, ohne etwas bemerkt zu haben.

„Drehen Sie sich um. Wir gehen in die andere Richtung“, sage ich. Ich gebe mich äußerlich ruhig, im Inneren bin ich jedoch aufs Äußerste gespannt. Meine Handflächen sind schweißnass, sodass ich fürchte, im nächsten Moment könnte mir meine MP aus den Fingern rutschen. Trotz aller Schandtaten, die ich in den letzten drei Jahren koordiniert oder selbst begangen habe, habe ich noch nie einen Menschen entführt. Bedroht, ja – aber für einen längeren Zeitraum? Das ist ein ordentlicher Brocken, der da noch vor mir liegt.

Für den Moment wäre ich jedenfalls schon mal froh, wenn wir endlich aus der Gasse fortkommen.

Quälend langsam setzt Olga sich in Bewegung, dorthin, wo sie eigentlich nicht hinwollte. „Beeilung“, sage ich leise. „Und ich schieße bei der ersten auffälligen Bewegung. Ihr Gremium ist sicher neugierig auf ein Video, in dem ich vor der Polizei flüchte. Wir beide könnten ihnen gerade keine bessere Show bieten, oder was meinen Sie?“

„Bitte, überlegen Sie es sich noch mal“, flüstert sie zerknirscht. „Sie … Sie brauchen mich! Für das Spiel! Ich kann verstehen, wenn die Chips Sie schockieren, aber …“

„Ach, können Sie?“, höhne ich und denke an Sakura, an Ino und Chouji. „Gehen Sie schneller.“

Am Ende der Gasse liegt eine weitere belebte Straße. Im Halteverbot wartet Deidara, kaugummikauend und mit Sonnenbrille für das Bad-Boy-Image. Ich hätte jeden anderen von Itachis zwielichtigen Bekannten bevorzugt, aber scheinbar war der Blondschopf im Moment der einzig Verfügbare.

„Steigen Sie in diesen Wagen“, sage ich zu Olga. „Ich komme zu Ihnen auf den Rücksitz.“

Sie öffnet folgsam die Wagentür und rutscht so weit auf die andere Seite wie möglich.

„Wird aber auch Zeit“, sagt Deidara, als ich mich ebenfalls in das Auto setze und ohne hinzusehen die Tür hinter mir zumache.

„Fahr los.“

Er lässt eine Kaugummiblase platzen, startet den Motor und reiht sich in den Nachmittagsverkehr ein.

„Da-damit kommen Sie nicht durch“, versucht Olga es erneut mit ihrer Leier. Ihr Blick hat was von einem verschreckten Kaninchen. Es tut gut, ihre Arroganz nicht mehr sehen zu müssen. „Das Gremium wird mich suchen! Ich bin für sie kein Niemand!“

„Dann ersparen wir ihnen die Suche“, sage ich. Ich halte meine Maschinenpistole nun gut sichtbar in den Händen, damit sie weiß, wie ernst es mir ist. „Sagen Sie unserem Fahrer den Weg an. Wir fahren direkt zu Ihrem Gremium.“

Olga erbleicht – sofern das überhaupt noch möglich hist. Sie reißt Augen und Mund weit auf wie ein Fisch. „Das … kann nicht Ihr Ernst sein.“

„Sie glauben immer noch, dass ich hier Scherze mache?“, frage ich drohend.

Olga schüttelt sofort den Kopf, als ich die Waffe nur ein wenig anhebe.

„Meine Knopfkamera nimmt alles auf. Es ist nicht ungewöhnlich, dass der Kidnapper das Opfer zu etwas zwingt, während er es bedroht, und ich will, dass Sie mich zu Ihren Arbeitgebern führen. Und wenn Sie sich fragen, wozu: Es ist alles immer noch regelkonform, keine Sorge. Ein Kidnapper wird natürlich Geld haben wollen, und es steht nirgendwo, was ich nach den dreizehn Tagen mit Ihnen anstellen soll. Das Gremium soll mir einen Batzen Geld zahlen – nämlich mindestens so viel, dass ich immer noch im Plus bin, selbst wenn der Töte-Chip gewählt wird. Wenn ich das Geld kriege, lasse ich Sie in dreizehn Tagen frei. Mehr noch – Sie dürfen als meine persönliche Gefangene zur nächsten Ziehung, falls das Gremium das gestattet.“

Was sie zweifellos tun werden – weil es sich um Olga handelt. Bei jedem anderen würden sie es wohl als Regelverstoß erachten, wenn ich mein Opfer nicht die ganze Zeit über irgendwo einsperren würde, da bin ich mir sicher.

Olga scheint nach dieser Erklärung etwas ruhiger. Vielleicht glaubt sie wirklich, es ginge mir nur darum, mein Konto zu retten. Sie lotst Deidara durch die Stadt bis in den innersten Bezirk. Wir halten vor einem mehrstöckigen Haus mit Glasfront. Genau so stelle ich mir den Firmensitz eines mächtigen, multinationalen Konzerns vor.

„Und da drin finden wir das Gremium? Vollzählig um einen runden Tisch versammelt oder was? Antworten Sie“, verlange ich, als Olga betreten schweigt. Sie kann nicht gut lügen, die Ärmste. „Ich will das ganze Gremium sprechen. Wenn Sie mich verarschen wollen, sterben Sie“, sagte ich finster.

„Am Abend“, murmelt Olga geschlagen und knetet ihre Hände. Sie sieht nicht in meine Richtung und wirkt wie ein Schulmädchen, das der Lehrer beim Schummeln erwischt hat. „Um neun Uhr versammeln sich die Herrschaften für ein Video-Screening.“

„Mittwochs?“, frage ich misstrauisch. Die Videos haben sie ja schon am Sonntag erhalten.

„Jede Zweigstelle hat andere Tage, an denen das Los abgehalten wird“, erklärt sie. „Ich sollte heute Abend eigentlich in einer Nachbarstadt sein …“

Also noch vier Stunden …. Die Rolle des Entführers zerrt jetzt schon an meinen Nerven. Ich nicke Deidara zu. „Fahr ein wenig herum.“

„Mit dir macht man was mit“, murrt er und fährt wieder los.

Es ist wirklich verdammt gut, einen Komplizen zu haben. Deidara hält irgendwann an einer Tankstelle und holt uns was zu essen. Dann kommen wir gefühlt die halbe Stadt ab, ehe wir kurz nach neun wieder vor dem Firmengebäude sind. Mittlerweile ist es Nacht, aber hinter vielen Fenstern des Komplexes brennt noch Licht. Der Matsch reflektiert die knallbunten Reklameschilder, die uns umgeben.

Ich wappne mich für den schwierigsten Teil. Wird schon schiefgehen, sage ich mir. Schlimmstenfalls bist du morgen tot. Ich frage mich zum ersten Mal, für wen ich das hier eigentlich tue. Wenn ich es richtig angestellt hätte, hätte ich das Schicksalslos sicher noch eine Weile durchgehalten.

Natürlich kenne ich die Antwort, aber es fällt mir immer noch schwer, mir einzugestehen, dass ich es für diese eine Frau tue.

„Los“, sage ich rau. „Aussteigen. Und nicht vergessen, dass ich eine Waffe habe und Sie bei der ersten falschen Bewegung tot sind.“

Irgendwie habe ich erwartet, dass wir einen Lieferanteneingang oder eine Geheimtür nehmen, doch Olga geht mir voraus direkt durch die riesige Glasschiebetür in den Empfangsbereich des Gebäudes. Ich sehe hinter einer Glaswand einen bulligen Portier in der Uniform einer Sicherheitsfirma sitzen, der von seinem Kreuzwortheftchen aufblickt.

Das gefällt mir nicht.

Ich unterdrücke den Impuls, mir meinen Hut tiefer ins Gesicht zu schieben, und flüsterte Olga zu: „Wenn er fragt, wer ich bin, erfinden Sie irgendwas.“ Die MP halte ich eng am Körper, gegen den Bauch gepresst, aber da ich hinter Olga gehe, bemerkt sie nicht, dass der Lauf gar nicht mehr auf sie zeigt.

Der Portier fragt nicht. Er nickt Olga nur grimmig zu, dann sieht er mich kurz an, ich nicke ebenfalls und er lässt uns ohne ein Wort vorbei. Als Nächstes umrunden wir einen riesigen Empfangstisch in der Mitte der Lobby, an dem ich mir tagsüber eine elegant-flotte Rezeptionistin vorstelle. Auch hier ist fast alles aus Glas, nur der Boden besteht aus dunklem Marmor. Wer immer das Gebäude hochgezogen hat, hat genug Geld zum Schweinefüttern. Oder eben auch zum Bezahlen von Chip-Auslosungen.

Im hinteren Bereich des Empfangssaales, unter einer der beiden Treppen, die sich geländerlos in die Höhe schrauben, ist eine schmale Tür eingelassen. Hier sind die Wände plötzlich mit Hartholz vertäfelt. Olga zieht einen Schlüssel aus der Tasche. Ihre Hände zittern ein wenig, aber nüchtern betrachtet hält sie sich echt gut. Ich überlege, ob ihre ständige Begeisterung für das Schicksalslos einfach nur genial geschauspielert ist und sie in Wahrheit weiß, was für einen kaltblütigen Scheiß sie mit uns inszenieren.

Wir folgen einer Treppe nach unten, die so eng ist und deren Decke so niedrig ist, dass ich mich an eine schmuddelige Alternative-Bar erinnere, die ich mal besucht habe. Nur dass keine Bandplakate und halb abgerissene Poster die Betonwände zieren, sondern dass alles sauber und aus edlem Holz gezimmert ist.

Am Ende der Treppe wenden wir uns nach rechts, Olga öffnet eine Schwungtür mit Sichtluke. Jedes Mal, wenn wir einen neuen Raum betreten, spanne ich mich unbewusst an. Streng genommen könnte überall eine Falle zuschnappen … Vielleicht hätte Olga sich schon früher melden müssen und sie wissen, dass etwas nicht in Ordnung ist …

Als am Ende des Flurs eine massive Sicherheitstür auftaucht, verkrampft sich mein ganzer Körper. Darüber schwebt nämlich das Glubschauge einer Überwachungskamera. Ich gebe mir Mühe, so unauffällig wie möglich zu wirken und rechne insgeheim damit, dass im nächsten Moment irgendwo eine Alarmsirene zu heulen beginnt.

Aber Olga trottet seelenruhig auf die Tür zu. Sie scheint sich mit ihrem Schicksal immerhin so weit abgefunden zu haben, dass sie mich nicht absichtlich boykottiert. Ich an ihrer Stelle wäre mit bezeichnenden Grimassen auf die Kamera zumarschiert – sofern sich so was Entwürdigendes nicht irgendwie hätte vermeiden lassen, versteht sich.

Sie senkt den Kopf und sieht in einen Iris-Scanner, dann erst gleitet die Tür mit einem pneumatischen Säuseln vor uns auf. Dahinter ist es … anders. Als würden wir eine andere Welt betreten.

Zum einen ist es dunkler. Leuchtstoffröhren an den Decken sind mit orangegelbem Papier umwickelt, sodass dem neuen Flur eine düstere, aber behaglich-warme Atmosphäre anhaftet. Die Wände sind mit schwarzem Stoff verkleidet wie mit Samt, der Boden mit einem dunklen Läufer ausgelegt. Die Türen, die ich sehe, könnten auch aus einem Science-Fiction-Film stammen. Sie scheinen stabil genug, um einer Granatenexplosion standzuhalten.

Wobei ich noch nicht weiß, ob das nun gut oder schlecht für meinen Plan ist.

„Sind wir bald da?“, frage ich leise, als die Tür hinter uns zugleitet. Keine Zeit mehr für allzu viel Vorsicht. Ich bin auf mindestens einem Überwachungsschirm zu sehen gewesen.

„Es ist die die vorletzte Tür rechts“, sagt Olga.

„Sie gehen vor. Flott.“

Sie nickt und stöckelt gehorsam los, sodass selbst der Teppich das Klacken ihrer Absätze nicht ganz schlucken kann.

Das bringt mich auf die Idee, genau zu lauschen, ob ich hinter einer der Türen ein Geräusch höre. Vielleicht wird sich bald ein Sicherheitsbeamter auf mich stürzen, und das möchte ich dann doch lieber im Vorhinein wissen. Aber die Räume scheinen entweder schalldicht zu sein, oder sie sind ganz einfach leer.

Vor der entsprechenden Tür bleiben wir stehen. „Sehen Sie zu, dass man uns rein lässt“, befehle ich.

Olga klopft zaghaft und ich rolle die Augen. „Wollen Sie so knapp vor dem Ziel doch noch Blei schmecken?“ Ich richte wieder meine Waffe auf sie. Alles oder nichts.

Sie schluckt und klopft energischer. Ich frage mich gerade, wie wir das Herein hören sollen, wenn die Tür wirklich gut isoliert ist – als jemand sie so ruckartig aufreißt, dass ich fast zu spät reagiere.

„Zurück ins Zimmer“, sage ich und schwenke meine Waffe zu dem bulligen Mann. Er trägt einen Smoking und ist an einem Ohr verkabelt – genau so, wie ich mir einen bezahlten Leibwächter vorstelle. Ich positioniere mich so, dass ich ihn und Olga beide im Visier habe. „Zurück, na los!“

Der Mann starrt mich nur unverwandt an, hebt dann die Arme und geht rückwärts. Olga und ich folgen ihm. Ich bekomme den Eindruck von einem tiefen, aber niedrigen Raum, der wie für eine Videovorführung abgedunkelt ist, und von einem runden Konferenztisch in seiner Mitte. Mit einer Hand schließe ich die Tür hinter mir, mit der Schulter stoße ich Olga tiefer in das Zimmer hinein, da sie wie angewurzelt stehen geblieben ist. Ich spüre eine Bewegung in den Schatten in der Ecke des Raumes und fuchtle mit der Waffe in die Richtung. „Hände nach oben. Alle zum Tisch, wo ich euch sehen kann.“

Ein kurzer Blick über die Schulter sagt mir, dass die zweite Ecke unbewacht ist. Nur zwei Sicherheitsmänner sind hier. Sie gesellen sich zu dem ringförmigen Tisch.

Mir läuft ein Schweißtropfen über die Wange. Verflucht, ich bin so weit gekommen … jetzt nur keinen Fehler machen! Am besten, ich erledige das schnell und gründlich, ehe sie Verstärkung kriegen. Würde mich nicht wundern, wenn die reichen Pinkel unter der Tischplatte Knöpfe für einen stillen Alarm haben. Und ein eigenes Armee-Bataillon, das zu ihrer Rettung eilen wird.

Die reichen Pinkel – das sind sechs Männer mittleren bis grauen Alters, die in kostbaren Anzügen um den Tisch herumsitzen, und eine abschreckend aufgedonnerte Frau Ende vierzig in einem teuren Kostüm. Ein Glatzkopf mit goldenem Brillengestell scheint den Vorsitz zu haben – zumindest sieht er von seiner Warte aus am besten auf die Leinwand.

Soweit mein erster Eindruck. Der zweite lässt mich die Sache ein wenig revidieren: Einer der Männer ist deutlich jünger, vielleicht um die dreißig. Erfolgreicher Jungunternehmer oder Millionärserbe, wahrscheinlich.

„Es tut mir leid“, platzt Olga heraus. „Ich wurde entführt! Er hat mich einfach …“

„Nun, das ist nicht zu übersehen.“ Der Anzugträger mit der Goldbrille faltet die Hände. Er sieht nicht gerade eingeschüchtert aus. Das gefällt mir überhaupt nicht. Immerhin führt mein Eindringen bei ein paar anderen zu überraschten Reaktionen.

„Wer ich bin, wissen Sie vermutlich“, sage ich anstelle einer Begrüßung. „Und wenn Sie nicht wissen, was ich will, dann fangen wir am besten mit einer kurzen Fragerunde an.“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Das war also das nächste Kapitel. Ein paar von euch hatten Sasukes Vorhaben ja bereits durchschaut ;)
Ein Kapitel kommt noch, und dann der Epilog. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Sakushikalove
2018-08-12T15:41:06+00:00 12.08.2018 17:41
super Kapi....tolle story und mega spannend großes Lob =)
Antwort von:  UrrSharrador
21.08.2018 15:57
Hi, danke für deinen Kommi und das Lob :)
Von:  EL-CK
2018-08-12T08:42:19+00:00 12.08.2018 10:42
blechdosenfee hat's schon gut ausgedrückt: das ist wirklich der Jackpot ...
Wie du Deidara diesmal eingebaut hast du finde ich richtig gut... Mal schauen wie die Story ausgehen wird...
Antwort von:  UrrSharrador
21.08.2018 15:57
Danke für deinen Kommi! Freut mich, dass dir seine kleine Rolle hier gefällt^^
Von:  blechdosenfee
2018-08-11T13:47:30+00:00 11.08.2018 15:47
Jackpot :D

Hach, wie genial. Jetzt ist es klar, wofür er die Maschinenpistole braucht. Hoffentlich gelingt sein Vorhaben.
Bin echt gespannt, wie es für Sasuke bzw. für alle Spieler und auch für die Spielführer ausgeht. Für einen Moment dachte ich schon, Olga sei so abgebrüht und sie führt ihn direkt in eine Falle hinein.

Aber Olgas Erklärung „Es tut mir leid“, platzt Olga heraus. „Ich wurde entführt! Er hat mich einfach …“ ist einfach der Brüller. Wie hat das Gremiumsmitglied es so schön ausgedrückt: ... das ist nicht zu übersehen.

Freue mich schon auf das Finale.
VG

Antwort von:  UrrSharrador
21.08.2018 15:57
Danke mal wieder für deinen Kommentar :) Ja, Olga durfte da mal Captain Obvious spielen xD
Von:  lula-chan
2018-08-11T13:00:06+00:00 11.08.2018 15:00
Tolles Kapitel. Gut geschrieben. Sehr spannend.
Oh Mann. Sasuke kommt ja auf Ideen. Hoffentlich geht das gut aus.
Na mal sehen, wie das weitergeht. Ich freue mich schon auf das nächste Kapitel.

LG
Antwort von:  UrrSharrador
21.08.2018 15:56
Danke für deinen Kommi! Wir werden sehen ;)


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