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My bloody Soulmate

von

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Im Klassenraum wurden wir sofort von Neva begrüßt, welche mit geweiteten Augen meine neue Frisur musterte. Sofort wusste sie, weswegen wir eine Ewigkeit gebraucht hatten und unsere Arbeiten über das Netzt einreichten.

"Girl", fing sie an, legte ihre Hände auf meine Schultern und musterte mich von allen Seiten. "Schick sieht das aus! Ganz was neues!"

"Kira ist nicht so begeistert", meinte ich daraufhin und kicherte leise.

"Oh, das kann ich mir nur zu gut vorstellen. Mit langen Haaren sahst du aber auch heiß aus. Jetzt eher so frech wie dein Mundwerk" Ich wollte eigentlich keine Typveränderung, der zu meiner Persönlichkeit passte. Ich wollte das eigentlich, um diesen Neuanfang zu schaffen, der vor mir lag. Die anderen schienen zwar zuversichtlich zu sein, dass sich das Wirrwarr irgendwann wieder auflösen würde, doch dessen war ich mir so gar nicht sicher. Und jedes Mal, wenn ich aus meiner vorlauten Phase rutschte, geriet ich wieder in dieses tiefe, schwarze Loch, das mir reindrückte, wie hilflos ich war. Wo ich wohl ohne Kira nun wäre? Ohne ... Neva? Ja, sogar Caleb, obwohl dieser diese extreme Regung in mir ausgelöst hatte. Aber gleichzeitig hatte ich auch das Gefühl, dass der Vampir genauso mir eine unglaubliche Stütze war, ohne dass ich es mitbekam. Mein Blick huschte mit einem Mal suchend umher. Das rote Augenpaar war mir beim Reinkommen nicht aufgefallen, weswegen ich davon ausging, dass er wohl mal wieder Vermittler spielen musste. Hatten sich die Probleme nicht endlich geklärt?

"Also, wie weit sind wir?", fragte Kira nun, nachdem sie sich an ihren Platz gesetzt hatte. Ein anderer Mitschüler, Ivan, drehte sich zu uns um, rückte seine Brille zurecht und legte einige Blätter vor uns auf den Tisch. Seine Partner, die mit ihm zusammen gearbeitet hatten, grinsten uns breit an.

"Alles bereit zur Präsentation, mit einem Tag Vorsprung.", verkündete er stolz und stützte sich auf dem Tisch ab. Ich musterte die Papiere, schaute dann hinter ihn an ein Plakat, an dem wir die letzte Woche gebastelt hatten.

"Vortragen wird Michaela, zumindest für Klasse 5. Klasse 4 und 1 haben auch schon ihre Sprecher erwählt" Michaela war die lauteste und definitiv am besten geeignetste Frau in unserer Klasse. Sie hatte eine Sprecherstimme und hatte an ihrer alten Schule ein Praktikum in einer Radiostation absolviert, sowie dort auch für das Schulradio gesprochen. Sie wusste sich zu präsentieren und stand schon mit einem breiten Grinsen neben uns, als wüsste sie längst alles auswendig, was sie sagen müsste.

"Ich werde Klasse 5 nicht enttäuschen!", meinte sie, hob ihre Hand zum Kopf und brachte einen Salut hervor. Wir lachten auf, unsere Klasse war zwar eigenartig, aber wir hielten auf diese seltsame Art und Weise doch irgendwie zusammen. Das ganze mussten wir nur noch Lecrune präsentieren, der zwischen den Klassen hin und her pendelte. Am liebsten hätte ich ihm an den Kopf geworfen, dass er ein Faulpelz war, aber ich wusste ganz genau, was momentan sein Job war – Und dagegen hatten wir es noch leicht. Einige Klassen waren mit ihrer Aufgabe nicht zufrieden, wollten mit anderen tauschen, meist mit denen, die ihre eben nicht abgeben wollten. Es war ein heikles und nervendes Durcheinander, weswegen ich sogar verstand, dass Caleb diesmal mit einem genervten Seufzen das Zimmer betrat, uns kurz anblickte und sich auf seinen Platz begab. Die meisten hatten ihre Tische verstellt, um so eine große Tafel, an welcher wir arbeiten konnten, zu bilden. Seinen Tisch hatten wir dabei ausgelassen, damit es nicht zu unnötigen Diskussionen kam. Als Bluts-Maid wurde ich natürlich damit beauftragt, mich mit ihm auseinander zu setzen, so auch diesmal.

"Jetzt geh schon", meinte Neva. "Er kann eine kleine Aufmunterung sicher gut gebrauchen"

"Aufmunterung?" Ich hob eine Braue, konnte mir nicht vorstellen, was sie damit meinte. Ich war sicherlich nicht dazu da, um ihn aufzumuntern.

"Red einfach mit ihm, na los!" Ich verleierte die Augen und begab mich zu ihm herüber. Gerade hatte er den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen, worüber ich doch recht froh war. Denn jedes Mal, wenn sich unsere Blicke begegneten, zog sich etwas tief in mir zusammen und ich wurde auf unerklärliche Weise nervös. Eine Weile stand ich still neben ihm, wusste nicht wirklich, was ich nun sagen sollte. Als ich innerlich nach Worten suchte, öffnete er ein Auge und blickte mich fragend an.

"Was ist denn, Amand?", fuhr er mich halb an. Dahin war die Stimmung, die einige Tage nach dem Biss angedauert hatte. Wir konnten uns gegenseitig nicht ansehen, benahmen uns wie zwei Teenager, die sich ineinander verguckt hatten. Und jetzt war er das Arschloch wie eh und je und ich zickte ihn so an, wie es sich gehörte.

"Ich soll dir von den anderen ausrichten, dass wir fertig sind", zischte ich zurück und verschränkte die Arme. Er richtete sich auf, streckte sich kurz, wobei er einen Arm hinter seinem Kopf anwinkelte und den anderen nach oben reckte.

"Dann haben wir immerhin schon mal drei von fünf Klassen, das ist doch was. Und noch ein Tag Zeit. Super" Er schien nicht wirklich begeistert über die Tatsache, stellte es eher noch einmal so in den Raum und starrte nach vorn. Ich hingegen war dabei, mit meinem Blick Löcher in diesen Mann zu starren, zu brennen, so sauer war ich gerade. Ich konnte ja wohl schlecht was für seine miese Laune, und trotzdem fuhr er mich an, als hätte er 99 Probleme und ich wäre alle davon.

"Dann lass ich den armen Herr mal weiter schlafen, bevor er noch kratzbürstig wird", zickte ich sofort und wollte gehen, doch er umfasste mein Handgelenk und hielt mich davon ab. Ich atmete tief ein und hoffte in dem Moment, dass die anderen sich auf irgendetwas konzentrierten und wir nicht bald zum Klassengespräch werden würden. Langsam blickte ich ihn wieder an.

"Lass meine Hand los" Halb schnauzte ich ihn im leisten Ton an, halb bat ich ihn darum, damit ich nicht zum Gespött werden würde. Er überlegte, tat mir dann aber den Gefallen und ich fühlte, wie sich das Brennen von meinem Handgelenk löste. Meine Güte, ich wusste nicht, dass diese kleine Berührung einen derartig bleibenden Eindruck hinterlassen würde. Die Haut dort fühlte sich nämlich noch eine ganze Weile lang ziemlich heiß an.

"Was ist denn?", fragte ich ihn letztlich, als er selbst nach einigen Minuten nicht gesagt hatte, warum er mich aufhielt. Caleb starrte mich einfach nur an, seine roten Augen fraßen sich in meine Seele und diese eigenartige Nervosität kam zurück.

"Es tut mir leid", meinte er schließlich und fuhr sich kurz durch die zottlige Mähne.

"... es tut dir leid?" Hatte ich mich da gerade verhört? Hatte er mitbekommen, dass er mich grundlos angemault hat?

"Dass ich grad so scheiße bin. Es ist einfach nur nervig, dass Klasse 2 und 3 noch so rumbocken. Ich dachte, ich hätte vorgestern alles geklärt, aber nein. Die ganz Speziellen müssen natürlich mal wieder die große Klappe haben" Ich nickte ihm nur zu, war mir nicht sicher, inwiefern ich ihm da helfen könnte. Zögernd legte ich ihm eine Hand auf die Schulter.

"Du packst das schon. Morgen ist erst der letzte Tag. Mach ihnen Feuer unterm Hintern ... manchmal hilft es eben nicht, freundlich zu bleiben", redete ich kurz auf ihn ein und nahm meine Hand wieder weg. Eine Weile lang blickten wir uns an, bis ich mich abwandte und wieder zu den anderen ging.
 

Party oder nicht, Neva wollte so oder so mal mit uns einkaufen gehen. Zunächst stellte sich die Frage, wie wir, mitten im Nirgendwo, einen Laden finden sollten. Da hatten wir jedoch mit der Feuerlady und ihren Überredungskünsten gerechnet. Sie wusste von uns, dass Sei ein Auto hatte und dementsprechend hing sie sich an ihn. Kira hatte sie darum gebeten, ihn nicht dermaßen auszunutzen, aber das hielt sie nicht davon ab. Dieses Teufelsmädchen kam mit einem siegessicheren Grinsen und einem wuschigen Sei auf uns zu, welcher uns an unserem freien Tag in das einzige Einkaufszentrum fahren würde, das es bei uns in der Nähe gab. Ich konnte meinen Ohren kaum trauen, als sie freudig auf uns zu kam und uns diese Nachricht verkündete. Kurz darauf war auch Kira gleich verschwunden, wohl, um sich bei Sei für das Verhalten unserer Freundin zu entschuldigen. Ich hatte Neva wütend angefunkelt, immerhin gehörte es sich nicht, Leute derartig zu benutzen.

"Wie hast du das überhaupt hinbekommen?", fragte ich dennoch neugierig nach. Das Mädchen hielt sich eine Hand vor den Mund und kicherte hinein.

"Firmengeheimnis", säuselte sie mir vor, drehte sich um und rannte zurück auf ihr Zimmer. Nun stand ich alleine auf dem Gang, absolut verwirrt. Immerhin konnte ich so noch mal Revue passieren lassen, was die letzte Woche passiert war. Wir hatten ein Projekt gestartet, um dem Rat zu beweisen, dass diese Schule funktionierte. Gleichzeitig sollte es eine Prüfung für uns und vor allem Caleb sein, welcher beweisen müsste, dass er die Führungsqualitäten seiner Eltern besaß. Eine besondere Last lag nicht auf den normalen Schülern, sondern auf allen, die eine Dienerschaft eingegangen waren. Diese mussten präsentieren, dass sich das System umsetzen ließ und es auch in diesem Jahrgang zu keinen Komplikationen kam. Ich seufzte, anscheinend würde es darauf hinaus laufen, dass ich die gesamte Zeit nichts sagen würde. Immerhin könnte das in einem Dilemma enden. Ich beschloss mich, nicht mehr allzu viel darüber nachzudenken. Caleb würde das morgen schon hinbekommen, dessen war ich mir sicher. Und am Freitag würden wir alles präsentieren. Ohne Vorfälle.
 

Ich konnte kaum glauben, dass Sei uns tatsächlich ohne weitere Widerworte in dieses Einkaufszentrum begleitete. Während Neva ihm Anweisungen gab, wo er lang zu fahren hatte, saß Kira neben ihm im Beifahrersitz und ermahnte die Rothaarige immer wieder, sich zu benehmen. Ich im Gegenzug war froh, dass wir durch dieses ganze Durcheinander keinen Unfall bauten. Sei lenkte mich ab, indem er kurz auf meine Frisur ansprach. Er hatte sich gewundert, warum ich sie habe kurzschneiden lassen. Ich erklärte ihm natürlich, dass es mit meinem Gedächtnisschwund oder eher der Zerstörung meiner Erinnerungen zusammen hing und ich erst einmal eine Veränderung brauchte, die mir zeigte, dass ich immer noch ich war. Er hatte nur genickt, ohne den Blick von der Fahrbahn zu nehmen. Aus irgendeinem Grund hatte ich das Bedürfnis bei ihm, mich ständig irgendwo festzuhalten, als wäre ich von ihm einen anderen Fahrstil gewohnt. Keine Ahnung weshalb.

Trotz Nevas Ausrufen und Kiras ständigem Zurechtgeweise kamen wir irgendwie an. Die Brünette entschuldigte sich, meinte aber auch, dass sich die Feuerlady einfach nur daneben benahm. Sei quittierte alles nur mit einem Schulterzucken und einem Lächeln und meinte, er würde sich selber einen entspannten Tag machen und uns später wieder einsammeln. Wie er es geschafft hatte, sich aus seinen Verpflichtungen für den Tag zu winden, wollte ich gar nicht wissen. Ob es sowas wie einen freien Tag gab? Das machte doch alles keinen Sinn. Gleichzeitig fragte ich mich auch, wie die anderen aus den fertigen Klassen ihren Tag verbringen würden.

Schnell erinnerte ich mich daran, wie sehr ich Shoppen hasste. Schon damals, als mich Pin und Lusia dazu überredet hatten, mit ihnen einkaufen zu gehen, war es jedes Mal wie ein Höllentrip. Oder eher der Gang in die Langeweile. Dieses Anprobieren der Sachen, wobei man aus den eigenen Klamotten raus und in die anderen Klamotten wieder reinschlüpfen musste, dann raus, sich den anderen zeigen, merken, dass es zu klein oder zu groß ist, farblich nicht zu einem passte oder einfach allgemein einem einfach nicht stand. Durch diese Qual zog uns Neva jetzt durch. Natürlich hatte sie im Kopf, uns für die Feier einzukleiden und zog alle möglichen Kleider heraus, die sie finden konnte. An Anzüge dachte sie dabei gar nicht erst – Es mussten Kleider sein und sie mussten auch darauf abzielen, dem anderen Geschlecht zu gefallen. So langsam kam ich mir vor wie in einer Teenie-Soap Opera. Neva suchte für sich allerhand bunte Farben heraus, die mit ihrer Haarfarbe wetteiferten. Jedes davon probierte sie an, doch an jedem davon hatte sie auch etwas auszusetzen. Kira und ich konnten einfach nicht glauben, wie viel Zeit sie damit verbringen konnte. Gestresst kniff ich mir in meinen Nasenrücken.

"Neva", meinte ich nach dem dritten Kleid, das sie weg hing und mit einem traurigen Gesichtsausdruck den Rest musterte, als würde er ihr auf einmal nicht mehr gefallen. Bislang hatte sie drei Farben ausprobiert: Rot wie ihre Haare, Blau und Neon grün. Neon grün. Die Frau wollte unbedingt auffallen.

"So geht das nicht", mischte sich auch Kira mit ein und hatte diese neongrüne Abscheulichkeit in der Hand. "So geht das ganz und gar nicht! Neva, du verpasst allen Anwesenden noch Augenkrebs!"

"Ach, und was soll ich deiner Meinung nach anziehen? Ihr sitzt ja nur da und schmollt!" Genau als die Rothaarige das sagte, verzog sich auch ihre Lippe zu einem Schmollmund.

"Du suchst dir auffällige Farben raus, was du nicht mal brauchst. Das meiste übernehmen deine Haare doch schon, da wäre es praktischer, etwas zu wählen, was die Farbe noch mehr zum Strahlen bringt, also etwas dunkleres. Bleib du hier. Wynne, du kommst mit"

"Was? Wieso ich?", fragte ich sie missmutig, doch Kira funkelte mich nur an. Das war wohl ihre Rache für die abgeschnittenen Haare. Seufzend erhob ich mich und trottete ihr hinterher, auf der Suche nach einem besseren Kleid für Neva. Doch auch der Künstlerin schien nichts in diesem Laden zu gefallen, weswegen wir unsere Freundin aufriefen, sich umzuziehen und den nächsten Laden aufsuchten.

Wir durchforsteten drei Geschäfte noch, bevor unsere Feuerlady etwas fand. In der Zwischenzeit hatte sich sogar Kira ein hellblaues Cocktailkleid einpacken lassen. Spitze, Tüll, Rückenfrei, Glitzer, Blümchen. Alles in allem sehr niedlich und passend für unsere Zeichnerin. Dazu gab es noch weiße Schuhe für sie, Ballerinas, da sie Absatzschuhe nicht abkonnte. Da waren wir immerhin einer Meinung. Zwischen dem zweiten und dem letzten Geschäft legten wir eine Pause ein, die wir Menschen nun einmal brauchten. Wir hatten für das Frühstück nicht viel Zeit, weswegen wir uns bei einer Fressmeile schnell einen Asiaten aussuchten und uns etwas zu Essen bestellten. Neugierig saß Neva daneben und beäugte unser Essen, was zum einen aus einer Nudelpfanne mit Hühnerfleisch und zum anderen aus Frühlingsrollen bestand.

"Ich hab mich echt schon oft gefragt, wie Menschenessen eigentlich schmeckt", meinte sie und lehnte sich zurück. "Also, für euch"

"Für uns?", hakte ich sofort nach, nachdem ich das bisschen Nudeln, dass ich im Mund hatte, runterschluckte. "Wie meinst du das?"

"Na ja, für uns Vampire ist es nicht giftig, euer Essen zu uns zu nehmen, aber ... es schmeckt halt so gut wie nach nichts. Man könnte sagen, unsere Geschmacksknospen sind abgestumpft. Wir nehmen ja auch nur wahr, ob euer Blut süß oder bitter schmeckt, was ihr wiederrum nicht kennt"

"Nach meiner Erkenntnis ist Blut eher metallisch ...", meinte Kira nachdenklich und biss von ihrer Frühlingsrolle ab.

"Tja. Das unterscheidet uns ja auch von euch", meinte Neva und stützte ihren Kopf in die Handfläche. Das war mal das eigenartigste Thema für ein Essensgespräch, obwohl es mich sowieso wunderte, warum wir das so an sich noch nie angesprochen hatten. Da fiel mir aber noch ein Thema ein ...

"Sag mal, Neva. Was ist eigentlich mit deinem Bruder?", fragte ich sie. Mit einem Mal verschluckte sich Kira an ihrem Essen und hustete, als würde ihr Leben davon abhängen. Erschrocken stand Neva auf und klopfte der Brünetten auf den Rücken.

"Heilige Scheiße, Kira!", sprach sie aus. "Was sollte das denn jetzt?" War es keine berechtigte Frage? Seit einer Weile hatte sich der ältere Bruder von ihr nicht mehr sehen lassen und sonst war er doch immer in den Pausen zu uns gekommen, um mit uns zu reden. Kira schlug sich selber auf die Brust, um den Fremdkörper in ihrer Lunge loszuwerden und wieder normal zu atmen. Ich beschloss, das Thema nicht noch einmal anzusprechen, weil ich nicht wusste, was in diesem Moment in Kira gefahren war. Sie zitterte, ihre Augen waren geweitet doch sie meinte, es sei angeblich alles in Ordnung. Als ob. Man sah ihr an, dass sie Yakeno mit etwas Unangenehmen verband. Aber wieso?

Nachdem wir fertig gegessen hatten, setzten wir unseren Einkaufsbummel mit dem letzten Geschäft fort und dort auch, bislang ohne dass wir es wussten, ein Ende. Es dauerte nicht lang, da fanden wir immerhin mal schon ein Kleid für Neva. Schwarz, um ihre leuchtende Farbe hervorzuheben, doch gleichzeitig hatte sie den Aufdruck einer roten Blume, ohne zu aufdringlich zu wirken. Dadurch, dass es dunkel und zugleich doch etwas leuchtend war, bildete es den perfekten Kontrast zu ihren Haaren und würde ihr die Aufmerksamkeit verschaffen, die sie haben wollte. Dann grinsten mich beide Frauen teuflisch an. Ja klar ... ich war immerhin die einzige, die noch kein Kleid hatte. Aber ich hätte genauso gut eines nehmen können, das ich im Zimmer hatte! Oder ich nahm einfach das Kleid von der Feier der Vampire! Warte ... was? Was für ein Kleid? Was hatte ich da für einen Moment für einen Gedanken? Ich fasste mir verwirrt an den Kopf und setzte mich kurz hin, unbemerkt, da meine Freundinnen gerade die Ständer durchforsteten. Eine Vampir Feier ... vernebelte Bilder taten sich vor meinen Augen auf. Ich merkte, dass ich mit irgendwelchen Gestalten gesprochen hatte, aber ich konnte keine Gesichter zuordnen. Jäh holten mich die beiden Mädchen aus den Gedanken, als sie mir einige Kleider anboten, eines eigenartiger als das andere.

"Rot fällt schon mal weg, genauso wie orange und gelb", meinte ich. In den Farben sah ich schrecklich aus, weswegen ich sie mied. Neva plusterte die Wangen auf und brachte betreten ihre Auswahl zurück.

"Ich hab's dir doch gesagt!", rief Kira ihr zu, lachte und schüttelte den Kopf. Ich musterte, was sie mitgebracht hatte. Eindeutig hatte Neva ihre Finger mit im Spiel gehabt, aber die Farben waren bedachter gewählt gewesen. Blau, Grün, Lila. Mit den Farben konnte ich mich anfreunden, wobei das Grün mir nicht sonderlich zusprach. Mich sprachen eher die matteren und dunkleren Farben an, weswegen ich die Kleider mit mitternachtsblauer und dunkelpurpurner Farbe auswählte. Zweiteres hatte einen recht tiefen Ausschnitt, wobei mir doch wieder unwohl wurde, dennoch dachte ich mir, wieso nicht wenigstens anprobieren und Kira eine Freude machen. Mit den beiden ausgewählten Teilen ging ich in die Umkleidekabine durch die verschiedenen Kleider hindurch, weit nach hinten in den Laden, wo man uns nicht sehen würde. Durch einen Vorhang hindurch ging es zu den verschiedenen Umkleideräumen, in denen ich aus meinen Sachen heraus und in die Kleider hinein schlüpfte. Als erstes versuchte ich es mit dem dunkelpurpurnen Kleid, wobei mich der Ausschnitt nicht am meisten störte. Okay, ich zeigte nicht gerade wenig von meiner Oberweite, welche nicht besonders klein war, aber der Stoff war unangenehm und rutschte ständig. Um mich draußen nicht bloßzustellen, bat ich Kira darum, zu mir reinzukommen. Sie brauchte nur die Tür aufzumachen und mich zu sehen, da schüttelte sie den Kopf.

"Beißt sich total mit deinen Augen", meinte sie und musterte mich noch einmal. "Nein, das geht so gar nicht"

"Na, dass mir das mit meinen Augen nicht aufgefallen ist", bemerkte ich und wechselte in das andere Kleid über. Zu meiner Erleichterung gefiel es mir sogar recht gut. Obenrum war es etwas höher geschnitten, sah etwas faltiger aus. Es hatte keine Träger. An meiner Taille trennte es durch einen angedeuteten Seidengürtel mit Verzierungen den oberen vom unteren Teil, welcher aus glitzerndem Tüll bestand. Es waren kleine feine Glitzerpailletten eingearbeitet wurden. Meine Beine wurden kaum von dem Seidenrock verdeckt, welcher einige Zentimeter über meinen Knien bereits endete, sodass immerhin meine Blöße verdeckt war. Ah ja, Anstand, wo warst du nur. Das Outfit bejahten diesmal beide, was wohl nicht nur daran lag, dass es so gesehen etwa mein Geschmack war, sondern auch nur wenig der Fantasie überließ.

So ging immerhin keiner von uns leer aus, und auch ich überlebte den Tag mehr oder minder unbeschadet. Während wir uns auf den Rückweg zum Parkplatz machten, wurde Neva von uns abgelenkt, als sie einen Anruf erhielt. Sie blickte auf das Display ihres Smartphones und ihr Blick verdunkelte sich.

"Einen Moment", meinte sie und entfernte sich genau so weit von uns, dass wir sie nicht mehr hören konnten. Ihrem Ausdruck und ihren Gesten nach zu urteilen handelte es sich aber nicht gerade um ein angenehmes Gespräch.

"Wer, meinst du, ist am anderen Ende der Leitung?", fragte Kira nach, wohlwissend, dass keiner von uns auch nur die leiseste Ahnung hatte, wer es sein könnte.

"Irgendjemand, der jetzt tot wäre, würde er hier auftauchen, so viel ist klar", meinte ich daraufhin nur und wir drehten uns von der Rothaarigen weg, um sie nicht während ihrem gesamten Telefonat über zu beobachten.

Auf der Rückfahrt sprach Neva von sich aus kurz darüber, wer sie angerufen hatte, um sich auszukotzen, wie sie meinte. Anscheinend hatte ihr Vater momentan einige Probleme mit der Familienfirma und war drauf und dran, sie in den Grund zu reißen. Sie bezeichnete ihn als einen inkompetenten Vollidioten mit null Fachkompetenz oder Allgemeinverständnis für das, was er tat. Immerhin habe er eine wirklich wichtige Position entlassen und bis jetzt noch keinen Ersatz dafür aufgetrieben. Das Beste, was passieren könnte, wäre, wenn die Firma aufgekauft werden würde.
 

Die Ankunft des nächsten Tages ließ nicht lange auf sich warten. Ehe wir uns versahen, zogen wir uns so gut wie es ging an und betraten vor unserem Auftritt noch einmal das Klassenzimmer. Michaela ging gerade nochmal ihre Rede durch, Caleb lehnte an der Wand neben der Eingangstür und nickte ihr immer wieder zu, seine Mundwinkel leicht nach oben gezogen.

"Na, jemand scheint besser gelaunt heute zu sein", meinte ich nur und grinste ihn an, was doch eher untypisch für mich war.

"Um einiges. Gestern haben sich die beiden endlich noch ausgekäst, als hätte ihnen jemand neben mir noch in den Arsch getreten"

"Ausnahmsweise war es allein dein Verdienst. Vielleicht hast du endlich aufgehört, sie mit Samthandschuhen anzupacken" Der Vampir zog mit einem Grinsen die Schultern nach oben. Er war gut gelaunt und aus irgendeinem Grund übertrug sich das auf mich.

Der Nachmittag konnte kommen. Die Familien erreichten nacheinander die Schule und wurden erst von den Direktoren, dann von deren Sohn und mir begrüßt. Es wunderte mich, dass mich einige von ihnen bereits mit Namen ansprechen konnten, als hätten sie mich schon einmal getroffen. Als ich dermaßen verwirrt reagierte, schob Caleb mich etwas in den Hintergrund, doch ich merkte die verwirrten und misstrauischen Blicke, die auch von seinen Eltern ausgingen.

"Woher kennen sie mich?", fragte ich den Schwarzhaarigen, als wir etwas Zeit zum Atmen hatten, denn die Klassen begannen mit ihren Präsentationen. Nach und nach zeigten sie ihr bisheriges Zusammenleben und die verschiedenen Dienerschaftsmitglieder wurden nach vorn gerufen, um sich zu präsentieren und zu erzählen, was sie bislang erlebt hatten.

"Du warst mit meinen Eltern und mir auf eine Feier eingeladen. Rikas 20. Geburtstag.", antwortete er mir, ohne seinen Blick von vorne abzuwenden. Die Veranstaltung fand in der großen Halle statt, in welcher wir uns zu Beginn der Woche getroffen hatten. Jede Klasse hatte ihre Präsentation bereits aufgebaut, um nicht zu viel Zeit zu verbrauchen.

"Eine Feier ..." Ich wurde nachdenklich. Das würde meinen Gedankengang von gestern erklären, doch noch immer fügten sich die Trümmer nicht wieder zusammen. Ich seufzte leise und konzentrierte mich wieder auf die Vorträge der Schüler.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis unsere Klasse an der Reihe war. Und natürlich, wie bei allen anderen, mussten auch bei uns die Diener, Maids und deren Herren und Damen nach vorne treten. Allein dafür wurde Sei vom Unterricht befreit, weil er Kira's Herr war. Als Sohn der Direktoren stand Caleb ganz vorn. Ich an seiner Seite versuchte so viel Stolz und Würde auszustrahlen, wie es ging, während mein eisiger Blick über die Gestalten unter uns huschte. Ich durfte mir nicht anmerken lassen, dass es mir unangenehm war. Und vor allem nicht, dass mein Selbstbewusstsein erneut anfing zu bröckeln. Meine vorherigen Gedanken über das Fest, an welches ich mich nicht erinnern konnte, hat mir einen ordentlichen Schlag verpasst und mich nachdenklich gestimmt. Um ruhig zu bleiben, hielt ich mich ungesehen an Calebs Ärmel fest.

"Als Diener merkt man schnell, dass man nicht nur ein Nachmittagssnack für einen Vampir ist", meinte einer unserer Mitschüler, der nach vorne trat, um seine Erfahrungen mit seiner Dame zu beschreiben. "Wir sind Wegbegleiter und Unterstützer, ebenso viel, wie wir auch unterstützt werden. Man kann die Mauern überwinden und Freunde werden, kann eine gute Zeit miteinander verbringen. Ich finde, es sollte ein gutes Fundament sein, für die Dienerschaft, immerhin eine Freundschaft einzugehen. Man sollte sich nicht verpflichtet fühlen" Mein Blick ging von Ivan herüber zu den Familienoberhäuptern, deren Ausdrücke ich nur so deuten konnte, dass sie noch auf etwas warteten. Ich sah herüber zu Caleb, welcher sich immer mehr anspannte.

"Überlass einfach mir das Reden", meinte er leise zu mir, legte die Hand, mit welcher ich mich an ihm fest hielt, in seine Armbeuge und trat nach vorn. Er nahm Ivan die kleine Gerätschaft mit dem Mikrofon ab und setzte sich diese hinters Ohr, sodass das Mikrofon knapp an seinen Lippen war.

"Als baldiger Vertreter des Rates kann ich den Erfahrungen meiner Mitschüler nur zustimmen. In diesem System geht es nicht darum, die Menschen zu etwas zu bewegen, was sie nicht wollen. Alle, die heute versammelt sind, sind auf freiwilliger Basis zu ihrer Position gekommen. Einige von ihnen waren sogar etwas ... Leidenschaftlicher in der Erfüllung ihrer Aufgaben als Diener oder Maid" Ich merkte, wie sein Blick kurz auf mich ging, bevor er sich wieder auf die Familien konzentrierte. "Sie wollen für uns da sein und genauso ist es für viele von uns auch umgedreht. Es handelt sich hierbei nicht nur um Menschen, welche Nahrung für uns bereitstellen. Viele von ihnen werden als Freunde angesehen, wenn es nicht sogar dazu kam, dass ein Bund entdeckt wurde, den es schon seit Jahrtausenden unter uns Vampiren gibt. Es ist immerhin nicht selten, dass eine Seelenverwandtschaft auch außerhalb unserer Rasse entstehen kann"

Ich merkte, wie sich zwei Personen unter den Familien anblickten. Zwei aus dem Hause der Silvestri, der Erbe und dessen Maid. Die beiden hatten wohl ein Geheimnis vor den anderen.

"Lustig", kam es aus der Masse heraus und ein Mann klatschte in die Hände. Ich erkannte ihn als das Oberhaupt der sehr kleinen Familie Harrison, bestehend aus dem Vater einer Jahrgangsgleichen und deren dazugehörigen Maid, Alena. Er schien nicht überzeugt von den Reden zu sein. "Seelenverwandtschaft unter Mensch und Vampir. Freundschaft, okay. Ich frage mich nur, ob du dir das alles nur einredest. Deine Maid scheint nicht sonderlich überzeugt, oder wieso ist sie so kreidebleich im Gesicht?"

Das liegt daran, dass ich momentan mit anderen Problemen zu kämpfen habe, Sie Schwachmat. Natürlich sprach ich das nicht aus, ich schluckte die Worte herunter und senkte den Blick.

"Vater!", kam es zischend von seiner vampirischen Tochter.

"Sei Still, Magdalena.", mahnte ihr Vater sofort zurück. Ah, die meisten des Jahrganges wussten nach dem Vorfall im Unterricht von Miss Legrand über meinen Zustand Bescheid, wobei sich keiner erklären konnte, woher es kam. Ich wusste ja nicht einmal, ob, das, was meine Freunde mir erzählten, konkret der Wahrheit entsprach. Es löste einfach nichts aus.

Kurz verkrampfte ich mich und schnaubte genervt. Ich schloss die Augen, um mich zu sammeln.

"Mister Harrison, ich kann Ihnen versichern, dass meine Maid diese Ansichten teilt", wandte Caleb für mich ein, doch dieser Typ gab sich damit immer noch nicht zufrieden. Erneut hackte er darauf rum, auf dem System auch für eine kurze Zeit, als wäre er im Allgemeinen dafür, es nicht mehr zu gebrauchen. Ich ließ Calebs Arm los, nahm ihm das Mikrofon weg, wobei es kurz übersteuerte – Tut mir leid, all ihr unschuldigen Seelen – und machte es hinter meinem Ohr fest.

"Mister Harrison", begann ich mit fester Stimme, obwohl ich schwören könnte, dass der Boden jeden Moment unter meinen Füßen nachgeben könnte. "Sie sollten die Worte meines Herren eigentlich Glauben schenken, immerhin reden Sie nicht mit einem Vampir, der nicht auf derselben Ebene wie der ihren ist. Jedoch kann ich Ihnen versichern, dass all das, was angesprochen wurde, auch durchaus auf mich zutrifft. Zwar kann es sein, dass ich diesem schwarzhaarigen Volltrottel hier gelegentlich Feuer unterm Arsch mache, damit er sich bewegt, aber ich versuche ihn mit den Mitteln, die ich habe, zu unterstützen. Die Farbe in meinem Gesicht rührt aus einem anderen Grund. Vor einiger Zeit hat sich herausgestellt, dass die Erinnerungen, die ich in mir trug, nicht die meinen waren. Sie wurden nach Belieben geformt, weswegen, weiß ich nicht. Ich weiß momentan selber nicht viel mit mir und meiner Position in dieser Gesellschaft anzufangen, musste als Bluts-Maid von vorne beginnen und begreifen, was es heißt, den Lecrunes zu dienen. Es ist keine einfache Aufgabe, vor allem nicht wenn man sich an so gut wie nichts erinnern kann, wenn einem die Erinnerung eingetrichtert wurde, diese Rasse immer noch mit einer Leidenschaft nicht leiden zu können. Und Ja, meine anfänglichen Gefühle euch Vampiren gegenüber war nichts weiter als reinster Hass, weil mir von euch jemand genommen wurde, der mir sehr viel bedeutete. Leider habe ich in euch aber auch Freunde gefunden, selbst durch diese Bluts-Dienerschaft ... die mir einen trotteligen, sturen, dickköpfigen und nervenaufreibenden Freund an die Seite gestellt hat" Ich musste zittern wie Espenlaub. Freund. Ich hatte Caleb als Freund bezeichnet. Es kam mir wie das Richtige vor ... nein, es war das Richtige. Das, was nicht nur mein altes, sondern auch mein neues oder eher derzeitiges Ich wollte. Caleb war nervig, sehr sogar. Aber auch wenn er eine sehr eigenartige und eigensinnige Gestalt war, hatte er das Herz am rechten Fleck. Ungläubig blickte mich der Schwarzhaarige an, die roten Augen unter den Strähnen, die diese leicht verdeckten, geweitet. Da hatte dieser schmierige Typ seine Antwort. Ich nahm das Mikrofon wieder ab, betätigte diesmal den Mute-Schalter, bevor ich das Teil zurück gab und von der Bühne ging, nur um im Hintergrund fast umzukippen. Das war zu viel gewesen.
 

Kira half mir zurück aufs Zimmer, wo ich mich zunächst einmal ausruhte. Es war nicht viel, was ich getan hatte. Ich hatte nur eine kleine unbedeutende Ansprache gehalten, aber es hatte mir wieder vor Augen geführt, was mein Gedächtnisschwund alles für Probleme mit sich brachte. Ich war nicht mehr so eingearbeitet wie ich es sein sollte. Ich wusste bis zum heutigen Tage nicht einmal, dass man seine Eltern nicht eingewiesen hatte, obwohl mein Jahrgang davon wusste. Ich seufzte, als ich an die Decke starrte und meine Gedanken ordnete. Bilder begannen vor meinem inneren Auge zu tanzen und ich schloss sie für einen Moment, um in einen kleinen Traum einzutauchen.

Ich sah, Miss Legrand und Miss Lecrune streiten. Neben mir standen Vater und Sohn. Wir waren in einer Art Villa, so vermutete ich zumindest. Wir gingen eine Treppe hinunter ... wurden von einer Vampirin, wohlmöglich Rika, begrüßt und ein Fest wurde eröffnet. Auch die anderen Familien waren da. Jemand sprach uns an. Weiße Haare. Schmierig. Stank nach Alkohol. Er bedeutete Probleme. Das stellte sich aber erst später heraus. Mir stellte sich die Gänsehaut auf. Ich erinnerte mich an etwas. Ich erinnerte mich an das Fest. Vom Flug dahin bis zur Entführung durch den Vater eines ehemaligen Klassenkamerades und der Rettung durch Caleb. Wie aus einem Albtraum erwachte ich, musste mich aufsetzen und sah mich um. Mein Kopf pochte. Zum ersten Mal hatten sich einige Fetzen von selber wieder zusammengesetzt. Mein tausendteiliges Puzzle um 30 Teile erleichtert. Und Caleb hatte mich gerettet. Ich verstand endlich, warum ich mich so geschützt in seinen Armen fühlte. Er hatte mich aus diesem Kerker rausgeholt, aus den schmierigen und widerlichen Klauen dieses Vampirs gerettet, der den Familien schaden und ... an mein Blut wollte. Hatte er es nicht geschafft? Ja ... sicher. Gift hatte er damals gemurmelt. Gift ... was hatte es damit auf sich?

Wie sich herausstellte, hatte nicht nur Caleb, sondern auch ich meine Prüfung als dessen Maid bestanden. Harrison war ein widerlicher und nicht sehr zutrauender Vampir. Er stellte alles und jeden bis zum Zerbrechen auf die Probe, doch keiner der Familien hatte damit gerechnet, wie es um mich stand. Dass ich mich an nichts erinnern konnte. Kira erzählte mir, wie die Auswertung verlaufen war und dass ich mir keine Sorgen machen musste. Sorgen, haha .. dazu hatte ich gar keine Zeit gehabt. Das erzählte ich ihr kurz daraufhin auch, und sie machte große Augen, als ich ihr erklärte, an was ich mich alles erinnerte.

"Heilige Scheiße", murmelte sie eher zu sich selber, dennoch laut genug, dass ich es noch mitbekam. Ich nickte ihr zu. Das Auftauchen der anderen Familien musste diese Erinnerung ausgelöst haben. Auf jeden Fall war es der definitive Beweis dafür, dass ich tatsächlich eine Bluts-Maid war. Obwohl es dafür wirklich genügend Beweise gab, aber das ... das führte es mir vor Augen und war nicht nur eine Erzählung von jemand anderem. Vielleicht gar eine Wunschvorstellung der anderen? Erledigt fasste ich mir ins Gesicht und strich mir eine Strähne hinters Ohr. Das Ganze war anstrengender, als man es sich vorstellen konnte.

Ich kam an dem Abend nicht einmal dazu, an meinem nächsten Kapitel zu arbeiten. Stattdessen entschloss ich mich lieber für eine ausgiebige Dusche, die ich vor allem zum Nachdenken verwendete, und legte mich dann ins Bett. Der Tag war nicht lang gewesen, aber allein dadurch, dass sich die Trümmer langsam wieder aufbauten und sich das Chaos lichten konnte, gab mir zum einen Hoffnung, wieder alles zurück zu bekommen, zum anderen aber raubte es mir viel Energie, als ob eine Art Bann auf meinen Erinnerungen liegen würde, welcher verhinderte, dass sich alles wieder von sich aus zusammen setzte. Das würde auch meine extremen Kopfschmerzen erklären.
 

Ich wusste nicht, wann Neva sich dazu entschlossen hatte, unsere persönliche Quälerin zu werden. In Vorbereitung auf die Feier, welche erst gegen Nachmittag beginnen sollte, kam sie in unser Zimmer geschlendert – Musste natürlich anklopfen, um reingelassen zu werden – und machte sich prompt im vorderen und hinterem Zimmer breit. Ihre Anziehsachen hatte sie dabei, sowie auch einen kompletten Koffer an Make-Up, Accessoires und was man nicht sonst noch alles gesehen hat. Ich schüttelte nur den Kopf, wollte auch schnell wieder verschwinden, doch wurde aufgehalten.

"Nix da", schnurrte sie und ein breites Grinsen zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab. "Du bist mein erstes Opfer"

"Und was ist mit Frühstück?", fragte ich sie und wie auf Kommando fing mein Magen an zu knurren.

"Das hole ich!", mischte sich Kira ein und war wohl froh, nicht als erstes dran zu sein, so schnell wie sie sich anzog und aus dem Zimmer verschwand. Verräterin, dachte ich mir nur, sie hätte mich ja immerhin mitnehmen können! Jetzt stand ich einer Vampirin gegenüber, welche immer mehr das Grinsen des Jokers annahm und ich bekam langsam das Gefühl, eher ermordet zu werden anstatt umgestyled.

Sie musste es aber auch übertreiben. Zum Glück hielt ich mich selber an gewisse hygienische Standards, sonst wäre sie mit mir wohl noch ins Bad rasieren gegangen. Augenbrauen zupfen, Nägel lackieren. Das war das erste. Und das aller erste davon wiederrum tat höllisch weh. Das würde ich nie wieder über mich ergehen lassen. Essen durfte ich erst, als der Lack vollkommen trocken war. Immerhin musste Kira aber auch dieselbe Tortur durchmachen, was mich ein wenig ruhiger stimmte, obwohl ich kurz davor war, durchzudrehen. Neva machte sich einen Spaß daraus, veranstaltete etwas wie ein Mädels-Nachmittag, so wie sie sich auf den Teppich fläzte und ihre eigenen Nägel machte. Sie hatte ein eigenartiges Talent dafür, sie zu verzieren, das musste man ihr lassen. So bekam ich blaue Nägel passend zu meinem Kleid mit kleinen silbernen Blumen darauf. So filigran ... die Rothaarige musste lange an dem Talent gearbeitet haben. Umso mehr ich das so betrachtete, desto weniger wollte ich ihr den Spaß verderben.

"Also, du hast denen gestern ganz schon die Meinung gegeigt", meinte Neva nach einer Weile und blickte zu mir hoch.

"So ziemlich ... und gleichzeitig hat es auch eine Erinnerung ausgelöst", ich schloss die Augen und rief die Bilder wieder hervor. Nur die vom Fest natürlich. Die Kleidung, die Einrichtung ... wie sich die zwei Frauen stritten. Caleb in seinem schicken Anzug und den ordentlich zurück gekämmten Haaren im Pferdeschwanz. Und dann auch diese mysteriöse Gestalt, mit der er gesprochen hatte ... Ich seufzte laut auf und beschloss mich, meine Aufmerksamkeit wieder auf meine Finger zu lenken.

"Wie hast du sowas gelernt?", fragte ich sofort.

"Na ja" Neva hatte gar keine Zeit, um weiter auf meine vorherige Aussage einzugehen. "Ich hab meine Mutter immer genervt, bis ich besser wurde. Irgendwann fing es an, ihr auch zu gefallen und ich wurde darum gebeten, weiter zu machen. Mich hat das schon immer fasziniert. Allgemein alles Mode technische. Make-Up, Masken, Nagellack, das ganze"

"Kann ich mir gut vorstellen", kicherte Kira und zwinkerte der anderen zu. Diese verleierte die Augen.

"Nur, weil ich besser ausseh als ihr!", meinte Neva sofort und setzte sich in den Schneidersitz.

"Hey! Wynne ist hier die ohne Geschmack!", gab Kira zurück.

"Was soll das denn jetzt heißen?", gab ich entrüstet von mir und fakte eine Schmolllippe.

"Dass du immer rumgerannt bist wie eine tausend Jahre alte Bibliothekarin. Haare hoch, runde Brille, Eisblick." Die Rothaarige wippte auf ihrem Platz unschuldig hin und her, wohl um zu vermeiden, jederzeit hochkant aus dem Zimmer geschmissen zu werden. "Und null Make-Up. Mädel, du hast das perfekte Gesicht, hübscht man es noch etwas auf, dann liegt dir die Männerwelt zu Füßen!"

"Worauf ich so gar kein Bock habe"

"Dann eben nur Caleb"

"Ich habe nichts mit diesem starrsinnigen Vollidioten am Laufen, okay?!" Über meinen Ausbruch fingen beide an zu lachen. Zu dem Zeitpunkt wusste ich selber nicht mehr ganz, ob ich mir damit nur etwas einredete. Meine Nervosität, diese Wärme und dass seine Laune sogar auf meine überschlagen konnte. Erneut seufzte ich, worüber ich mir jetzt schon wieder Gedanken machte, war unglaublich.

Neva quälte uns weiter. Wir hatten zwar noch drei Stunden, aber bereits jetzt brachte sie uns dazu, unsere Sachen anzuziehen. In aller Ruhe, weil wir ihre Eile nicht verstanden, zogen wir uns die Kleider über. Unsere rothaarige Sklaventreiberin gab uns noch ein paar Accessoires dazu, um das ganze etwas abzurunden. Ich kam mir vor wie ein behangener Weihnachtsbaum, aber so war das eben, wenn man dieser exzentrischen Frau die Freiheiten ließ, die sie auch wollte.

Dass wir dazu angemalt werden mussten, war mir eigentlich auch klar. Wozu sonst hätte sie diesen riesigen Koffer mitgebracht? Diesmal war Kira als erste dran, da sie für sie am längsten brauchen würde. Anscheinend hatte sie ein Versprechen einzulösen, woraufhin ich grinsen musste. Ob sie Sei damit rumgekriegt hatte, uns zu fahren? Seine Maid war wirklich ein interessanter Schwachpunkt bei ihm.

Ich blieb natürlich nicht verschont, doch gleichzeitig beachtete ich auch nicht wirklich, was sie tat. Sagen wir mal, ich vetraute ihr da in ihrem Handwerk schon ungemein. Immerhin hatte sie schon unter Beweis gestellt, was sie konnte. Wir hätten nicht gedacht, dass sie für jeden von uns etwas über eine Stunde benötigen würde und für sich selber dann kaum noch Zeit hatte. Doch das wunk sie mit einem Lachen ab und verschwand dann allein im Bad.

Als sie die Schuhe in meinem Koffer entdeckt hatte, die zu dem Outfit von Xenia Lecrune gehörten, welches sie mir zur Feier zurecht gelegt und danach überlassen hatte, war mir klar, welche ich zu meinem Kleid anziehen musste. Ganz große Klasse. Ich hatte verschwiegen, was für Blasen ich mir eingelaufen hatte. Kira grinste mich eher mitleidig an, wir beide konnten hochhackige Schuhe nicht ausstehen und hatten so ziemlich ein Problem damit, uns in diesen zurecht zu finden. Es tat einfach höllisch weh. Neva im Gegenteil war so geübt wie keine zweite. So, wie sie lief, konnte sie glatt als Model durchgehen, wobei ich sowieso das Gefühl hatte, dass sie mit ihren kurzen roten Haaren, den ebenso roten Augen und im dazugehörigen Kontrast das Kleid am elegantesten von uns allen aussah.

Zumindest einer von den Männern holte uns ab, wobei dieser auch eher angestolpert kam. Bevor wir losgingen, kam Sei vorbei, wohl um Kira um Hilfe zu bitten, denn seine Haare sahen alles andere als ordentlich aus. Ihm stockte kurz der Atem, was das Zeichen für Neva und mich war, uns vom Acker zu machen. Die andere war dabei schneller aus dem Zimmer als ich, als ich ihr wackelig auf meinen zwei Stelzen hinterher stolperte.

"Ich schwöre dir, wenn mich diese Latschen nicht vorher schon umbringen, werde ich dir dein letztes Lichtchen ausknipsen", fluchte ich vor mir her und unterdrückte ein schmerzverzerrtes Stöhnen.

"Du würdest mir nie etwas antun, Wynni", summte sie, kicherte und ging unbeirrt weiter. Wie ich sie verfluchte, so einfach auf den Teilen laufen zu können, während ich ihr hinterher stakste wie eine Gazelle auf Rollschuhen. Und natürlich, wie hätte es auch anders sein können, fingen meine Füße an zu schmerzen, bevor wir auch nur in die Nähe des Saales kamen.

Die Sonne war bereits untergegangen, was typisch für diese Jahreszeit war. Demenstprechend hell waren die Lichter der Halle, in welcher diese Party stattfand. Endlich konnten sich die Klassen amüsieren, es schien eine Art Ritual der Schule zu sein, so sehr wie die Lehrer sich schon daran gewöhnt hatten. Sie hatten eine Tafel mit Essen und Getränken aufgestellt. Mir war klar, dass es sich dabei nicht nur um normale Getränke handelte. Diese blieben zum Übermaß stehen und selbst ich dachte daran, mir ein paar Tropfen Alkohol zu gönnen, um das ganze zu überstehen. Neva mischte sich kichernd unter die Masse, nachdem sie mich an der Tafel abgestellt hatte. Ich hingegen nahm mir schonmal den ersten Becher und gönnte mir etwas von diesen exotischen Mischungen.

"Ach, die prüde Miss Amand trinkt Alkohol?", kam es von der Seite und sofort schnellte mein Kopf um. Natürlich musste Caleb Lecrune persönlich auf meiner momentanen Vorliebe für berauschende Getränke rumhacken.

"Prüde?", wiederholte ich mit einem leicht beleidigten Unterton. "Nur, weil ich auf deine ekelhaften Flirtereien nicht eingehe, bin ich noch lange nicht prüde" Er schmunzelte, kicherte sogar, bevor er sich selber auch etwas von dem Alkohol gönnte – Pur.

"Denkst du, dass das eine gute Idee ist?", fragte ich ihn und deutete auf den Becher, zur Hälfte angefüllt mit einer kristallklaren Flüssigkeit. Mit einem Schmunzeln nahm er nicht nur einen Schluck davon, sondern schien den gesamten Becher auf einmal zu leeren. Angewidert verzog ich das Gesicht, konnte es mir aber dennoch nicht nehmen lassen, auch von meinem Becher zu trinken.

"Wir schmecken Getränke und Essen nicht so wie ihr", meinte er und schenkte sich erneut etwas ein, hatte diesmal aber wohl nicht vor, alles auf einmal zu exen. Ach ja, da war ja was. Das Gespräch hatte ich doch am vorigen Tag mit Neva.

"Unglaublich", meinte ich nur und schüttelte den Kopf. "Ich wäre definitiv einfach umgekippt"

"Das glaub ich dir gerne" Er lachte nur über meine Aussage und blieb neben mir stehen, während wir das Treiben des ersten Jahrganges beobachteten. Maids und Herren, Diener und Damen tummelten sich auf der Fläche und hatten gemeinsam ihren Spaß. Auch Lehrer mischten sich mit darunter, diejenigen, die uns bei den Vorbereitungen geholfen hatten. Immer wieder nahm ich einen Schluck, tratschte mit Caleb und merkte gar nicht, dass ich mir etwas nachschenkte.

"Du hast dich gestern ganz schon behauptet, was", meinte Caleb mit einem mal neben mir. Ich sah ihn an und merkte, wie er vor sich her grinste. "Hast dem Harrison ordentlich in den Arsch getreten, dass dem das blöde Grinsen vergangen ist"

"Caleb Dante Enrias Lecrune!" Eine mächtige Frauenstimme ließ uns beide zusammenschrecken, mich aber auch gleichzeitig Schmunzeln. Caleb Dante Enrias Lecrune.

"Ahahahahahaha" Ich lachte laut los und behielt mir dabei den Namen. Er machte sich über mich mit Wynne Luria lustig, hatte aber selber drei, die nicht gerade besser klangen. Und seine Mutter gerade schäumte nur so vor Wut. Anscheinend darüber, wie er gerade über ein anderes Familienoberhaupt gesprochen hatte – Oder eher sprechen wollte. Ihr Sohn zog den Kopf bei der kleineren, aber denoch mächtigeren Dame ein. Das Spektakel war einfach nur zu herrlich. Vielleicht fand ich es aber auch gerade nur so lustig, weil ich schon etwas angeschwipst war. Oh jemine. Ich schwankte kurz zur Seite, brachte fast Caleb aus dem Gleichgewicht, doch er schlang nur einen Arm um meine Taille und musterte die Schuhe, die ich trug.

"Echt jetzt?", kam es von ihm und er fing an, einfach seine Mutter zu ignorieren. Diese verdrehte die Augen, jammerte etwas von 'Die Jugend von heute' und dampfte wieder so schnell ab, wie sie gekommen war. Na immerhin hatte ich die Entdeckung des Jahres für mich getätigt, dabei hatte es erst angefangen.

"Dante Caleb Enrias Blah", säuselte ich und kicherte.

"Sag mal, wie wenig kannst du eigentlich trinken?", murrte Caleb nur und brachte mich von dem Buffet weg. Hey, da standen die sprudelnden Getränke, die einen so lustig machten. Das war nicht fair. Immer weiter schleifte er mich nicht nur von der Tafel weg, sondern auch von der sich lustig bewegenden Menge.

"Meine Fresse, Amand. Du hast drei Becher gehabt. Entweder haben die das eigenartig gemischt, oder zu hältst so gar nix aus"

"Ich würde sagen, ersteres und zweiteres", kicherte ich und schwankte kurz nach vorn. Die Schuhe taten gar nicht mehr so extrem weh, zumindest konnte ich den Schmerz ausblenden.

"Weißt du, da stand ich mit dir, wollte dich dafür loben, wie tapfer du warst und was machst du? Bei dir stellt sich einfach mal raus, dass sowas von Alkohol nichts verträgst." Wir gingen zwar nicht ganz nach draußen, aber immerhin vor die Halle, wo es etwas ruhiger war. Dort hatte man für diejenigen, die eine Auszeit brauchten, ein paar Bänke aufgestellt, zu welchen mich Caleb sogar brachte, damit er mich endlich nicht mehr stützen musste. Ein leises Danke kam mir über die Lippen, als ich das Holz unter mir spürte. Mit einem Ächzen zog ich die Schuhe aus und jammerte, dass es doch noch ziemlich weh tat.

"Memme", meinte der Schwarzhaarige und schmunzelte.

"Halt's Maul", gab ich nur zurück, stellte den Becher neben mir ab und massierte meine schmerzende Ferse. "Ich hasse hochhackige Schuhe wie die Pest"

"Warum hast du sie dann angezogen?" Der Vampir zog eine Augenbraue nach oben. Ich blickte ihn vielsagend an. "Aaah. Neva" Natürlich verstand er. Nur eine konnte mich dazu bringen, überhaupt so aufgetakelt irgendwo zu erscheinen. Zufrieden lehnte ich mich zurück und nahm einen weiteren Schluck aus dem Becher.

"Du solltest echt aufhören, das Zeug zu trinken", meinte und mahnte Caleb zugleich.

"Du solltest aufhören, mich zu bemuttern. Dir ist es ja auch nicht zu verdanken, dass ich mich an das Fest erinnert habe. Und ich war mit dir dort"

"An was gibt es sich da drin denn zu erinnern?"

"Nicht daran. Das Vampirfest", stellte ich klar und lockerte meine Frisur. Seitdem ich meine Haare kurz hatte, gefiel es mir irgendwie, sie offen zu tragen. Ich sah zu dem anderen nach oben, welcher mich nun überrascht anblickte.

"Daran hast du dich erinnert? Wirklich?" War ich auf einmal dafür bekannt, mir Geschichten auszudenken? Also, ja, in gewisser Weise ja schon, was ich aber gerade meinte war eher, ob ich schon jemals eine derartige Lüge erzählt hatte. Ich erzählte ihm sogar all das, an was ich mich erinnerte. Und ich hätte nicht geglaubt, dass das Gesicht des anderen noch weißer werden könnte. Ich atmete tief durch. Gleichzeitig kniete er sich vor mich hin, sodass ich meinen Nacken nicht mehr verrenken musste, um mein Gegenüber anzusehen.

"Ich wusste schon immer, dass ihr Amands Dickköpfige Trottel seid"

"Du kennst doch nur mich"

"Besser kenne ich dich, ja. Du bist die dickköpfige Schwester, die sich nichts sagen lässt und unbedingt ihren eigenen Schädel durchsetzt. Lässt sich nicht von jemandem unterbringen, der sie fast ermordert, der sie entführt. Nein, es brauchte eine spezielle Gabe, um sie aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das bist du. Du bist so unglaublich Willensstark, das es fast weh tut, wenn man versucht, gegen dich zu agieren" Er legte mir eine Hand an die Wange. Ich zitterte, hatte das Gefühl, dass da noch mehr dahinter steckte. Er beschrieb die Person, die er kennen gelernt hatte. Weil er mit mir zu tun hatte. Viel zu tun. Etwas zog in meiner Brust so unglaublich stark, das ich dachte, ich wurde jeden Moment auf ihn fallen.

"Du hast nicht einmal geweint. Bis vor kurzem" Er wurde immer leiser. Bin ich dir so zuwider?, hallte es in meinem Kopf nach. Ich schüttelte diesen, nicht nur um den Gedanken loszuwerden, sondern auch um diese Frage ein weiteres Mal zu beantworten.

"Dein Bruder war genauso starrsinnig.", fuhr er fort, diesmal etwas lauter.

"Du kanntest ihn nicht", brachte ich heiser hervor.

"Ich kannte ihn. Ich war schon öfter hier auf der Schule, mit meinen Eltern .. und auch er ging hier her. Damals hatten wir ihm ein Versprechen gegeben. Solltest du jemals auf diese Akademie gehen, so gab ich ihm mein Wort, würde ich dich beschützen. Würden wir dich beschützen"

Meine Hände verkrampften. Zitterten. Erneut spürte ich, wie ich den Tränen nahe war, wie ich drauf und dran war, diese Mauer wieder bröckeln zu lassen. Zugleich spürte ich, wie sich einige Fetzen in meinem Kopf wieder zusammen setzten. Seine Warnung. Louis. Der Biss. Ich fasste mir an den Hals, nun wohlwissend, dass es nicht das erste Mal war, dass er mich gebissen hat. Und beide Male musste ich ihn halb dazu überreden, von mir zu trinken. Jetzt verstand ich, warum er so darauf ausgewesen ist, mich schützen zu sollen. Warum er meinen Schutz nicht garantieren konnte, wenn ich nicht einwilligte, seine Bluts-Maid zu werden. Weil das die einfachste Methode war, ohne großes Aufsehen mich bei sich zu haben. Der Alkohol vernebelte mir langsam den Verstand. Die Tränen flossen wieder, ich kam mir vor wie eine nutzlose Heulsuse.

"Verdammt. Caleb"

"Aaah, shit", fluchte der Angesprochene, zuckte zusammen, als ich nach vorn in seine Arme fiel. Eher überrascht legte er diese um mich, schenkte mit Wärme, die ich gerade brauchte.

"Es ist alles wieder da", murmelte ich und merkte, wie sich die Puzzleteile wieder zusammensetzten. Langsam, Stück für Stück, bröckelte nicht nur meine innere Mauer, welche die Tränen zurück gehalten hatte, sondern auch der Bann, der meine wahren Erinnerungen davon zurückhielt, wieder ihre Ursprüngliche Form anzunehmen. Unsere Streitigkeiten. Wie wir zusammen gearbeitet haben. Wie er mir geholfen hatte. Der Widerstand. Was wir gemeinsam unternommen haben. Alle vier. Fünf. Früher Sechs. Yakeno. Yakeno.

Von einem Moment auf den anderen versiegten meine Tränen und ich war wieder von Entschlossenheit geprägt. Diese Regung spürte mein Vampir, durch die Seelen, die uns verbanden. Wir sahen uns an.

"Ich schwöre, dass ich dieses Arschloch zur Strecke bringe", knurrte ich. Verwirrt sahen mich die roten Augen an, suchten nach weitere Schwäche, immerhin war ich momentan eine wandelnde emotionale Schwankung. "Yakeno" Mit einem mal verkrampfte sich Caleb. Kira hatte ihnen nichts gesagt. Deswegen hatte sie so reagiert, als ich diesen Wichser im Einkaufszentrum ansprach. Und Neva wusste nichts von den Machenschaften ihres Bruders. Sie tat mir wahrlich leid, genauso wie die gute Kira. Beide mussten leiden, die eine bewusster als die andere. Und meine Mitbewohnerin traf es noch so schlimm, dass er anscheinend einen Zauber oder etwas derartiges gewirkt hatte, welcher verhinderte, dass sie über ihn sprach. Sonst hätte sie es längst erzählt, zumindest Sei. Dessen war ich mir zu 100% sicher. Das alles war so verwirrend. Und mein Körper erhitzte sich langsam dank dem Rest Alkohol in meinem Blut, der mich wankelmütig sein ließ.

"Sogesehen, Yakeno hat Kira entführt", fing der Schwarzhaarige an.

"Sie gefoltert. Hat uns wahrscheinlich noch bewusst auf die Spur gelenkt, mich irgendwie von euch isoliert und wollte unsere Seelenverbindung trennen."

"Daher der Schmerz ..."

"Und daher auch mein Gedächtnisschwund. Es ist vermutlich möglich, den Bund aufzulösen, indem man die Erinnerungen wie aus dem Körper verbannt. Da das schlecht geht ..."

"... hat er sie in deinem Inneren versiegelt", vervollständigte er den Gedanken. "Aber er hat weder mit deinem noch mit meinem Dickschädel gerechnet. Ich hatte nicht vor, dich gehen zu lassen, auch wenn ich schwach war"

"Was mir im Übrigen ... ziemlich leid tut", entschuldigte ich mich im Nachhinein. Ich hatte mich schon daran gewohnt, ihm mein Blut zu geben, doch ohne meine Erinnerungen daran war es mir natürlich nicht möglich, das weiterhin einzuhalten. Der andere schüttelte nur den Kopf.

"Du warst im entfernten Sinne nicht du. Mich hat es überrascht, dass du es mir dermaßen angeboten hast"

"Es tat höllisch weh, okay?", maulte ich ihn an. "Nur, weil du es einfach nicht annehmen wolltest"

"Ich hatte keine Lust auf dein Mitleid. Ich wollte meine Alte Wynne wieder." Für einen Moment wurde er traurig, seine Augen fast leer. Es ... verpasste mir einen Stich ins Herz. Dermaßen, dass ich mich nicht traute, etwas darauf zu erwidern. Ich wusste nicht, wie sehr ihn das mitgenommen hat. Ich konnte es mir nicht einmal jetzt vorstellen, da ich nicht diejenige war, der das alles widerfahren ist. Vor der Auflösung hatte sich unser Band dermaßen gefestigt, dass wir von alleine es geschafft hatten, es wieder herzustellen .. und sogar das Siegel zu lösen.

"Es ist alles wieder da", wiederholte Caleb diesmal und strich mir einige Strähnen aus dem Gesicht. "Scheiße, bist du blass"

"Danke, du siehst aber auch nicht schlecht aus" Ich weiß nicht, ob es der Alkohol war, der meine Zunge so locker werden ließ, aber immerhin traf meine Aussage genau ins Schwarze. Erstaunt röteten sich die Wangen des sonst so weißen Vampirs und brach das vorher aufgetretene Eis.

"Hast du gerade mit mir geflirtet?" Er schüttelte ungläubig den Kopf. "Eben noch weinst du, dann sprichst du eine Todesdrohung aus und auf einmal versuchst du mit mir zu flirten. Mädchen, dir steigt der Alkohol echt zu Kopf"

"Vermutlich", meinte ich daraufhin nur. "Aber gib zu, es war effektiv"

"Effektiver als es hätte sein sollen", gab er nur zurück und streichelte mir mit einer Hand über den Rücken. Wir mussten wahrlich seltsam aussehen, so wie wir auf dem Boden saßen.

"Och, und was ist mit der natürlichen Anziehung zwischen uns?", neckte ich ihn und begann langsam zu grinsen.

"Ich dachte, das wäre eher eine Abstoßung, aber-" Ich ließ ihn gar nicht aussprechen. Zwar wusste ich nicht, von woher ich diesen Mut aufeinmal nahm, derartig frech zu werden, aber ohne Vorwarnung verwickelte ich ihn in einen Kuss, sodass er die Klappe halten musste. Diese Funken. Ich schlang meine Arme um seinen Hals, brachte mich näher an ihn heran. Unser erster Kuss war nicht gerade einer gewesen, wie man ihn in Romanen erwähnen würden. Angeturned von dem Gift meines Vampirs hätte ich mich ihm nicht nur an den Hals geworfen, sondern mich ihm vollends ergeben. Jetzt gerade wollte ich das ganze ohne dies betörende Gift. Kopf und Geist schrien nach den Lippen dieses Blutsaugers, der es geschafft hatte, mich in seine Welt zu ziehen. Den Gefahren setzte ich mich selber aus, ich wollte selber gegen den Widerstand agieren. Er half mir nur, badete den Mist wieder aus, in den ich mich hinein begab. Doch wie Nord- und Südpol eines Magneten zogen wir uns gegenseitig an und konnten nicht ohne einander. Wann hatte ich begonnen, für ihn Gefühle zu entwickeln? Ich wusste es nicht ... es musste mit diesem Seelenbund zusammen hängen, der uns aneinander kettete. Zwei, die sich am Anfang nicht leiden konnten.

Ich spürte seine Arme um mich, wie sie mich stützen und hielten, nicht gehen lassen würden. Gleichzeitig aber löste er sich von mir, um nach Luft zu schnappen, welche ich genauso gut gebrauchen konnte.

"Wynne, du verdrehst mir den Kopf ...", murmelte er mir gegen die Stirn und küsste mich kurz auf die Haut.

"Für mich sieht der noch ziemlich gerade aus", konterte ich und fuhr mit den Fingern über seinen Hals.

"Argh ... Ich will dich in diesem Zustand nicht ausnutzen. Der Alkohol spricht noch immer aus dir"

"Oh ... Zustand? Nein, mir geht's doch gut"

"Luria, du liegst halb nackt auf mir und bemerkst es nicht. Ich schwöre dir, wenn du gerade nicht angetrunken wie Sau bist, hast du es vermutlich dringend nötig"

"Eh?" Mir war gar nicht aufgefallen, dass mein Kleid hochgerutscht war und die Aussicht nicht nur auf die Spitzenstrumpfhose, sondern auch auf meine Unterwäsche preisgab. Sofort, mit dem letzten Verstand, den ich mustern konnte, zog ich es wieder zurecht und lief rot an, woraufhin Caleb nur kichern konnte.

"Gut, du bist immer noch da", meinte er und vergrub seine Nase in meinen Haaren.

"Wo soll ich denn .... hin?", langsam fiel es mir schwer, Sätze zu bilden. Wörter entfielen mir, alles begann, sich zu drehen. Kraftlosigkeit durch das Zurückerlangen meiner Erinnerungen zusammen mit dem berauschendem Einfluss des Alkohols war keine gute Mischung. "Du hältst mich immerhin ganz schön fest" Das war nicht gelogen. Er erdrückte mich zwar noch nicht, aber viel Luft blieb da genauso wenig! Er lachte leise gegen meine Kopfhaut, ließ aber dennoch nicht lockerer. Er wollte mich wohl ebenso wenig gehen lassen, wie ich weg von ihm wollte. Verdammt. Sein Charme hatte mich ganz und gar gepackt. Ich war diesem Idioten verfallen.

"Caleb", fing ich an, als sich erneut alles um mich herum drehte. "Ich -" Kaum hatte ich das Wort ausgesprochen, sackte ich gegen seine Brust. Mir wurde schlecht und schwindling zugleich, doch ebenso fehlte mir langsam die Kraft, mich selber oben zu halten.

"Wynne? Luria! Hey!" Seine Stimme entfernte sich immer weiter von mir, als würde er gehen, obwohl sich seine Wärme nicht von mir löste. Wie eine angenehme Decke war sie um mich gelegt und ich bekam das Gefühl, ich könnte an keinem anderen Ort sicherer schlafen. Mein Körper gab nach und ich driftete in meine Traumwelt ab.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Narudia
2018-12-11T13:05:08+00:00 11.12.2018 14:05
Hey,

ich bin wieder zurück und bereit zu lesen und zu kommentieren. Tut mir leid ich war krank und hatte Bindehautentzündung konnte fast nichts mehr sehen und auf ein Display oder Monitor zu schauen tat unheimlich weh, deswegen muss ich jetzt sehr viel nachholen zu lesen und zu kommentieren.

Zu diesem Kapitel: ok keiner wusste so recht von wynne zustand das erklärt zumindest so einiges auch das kira scheinbar auch ein bann auferlegt bekommen hat und deswegen nicht über yakeno reden konnte ist nun erklärt. aber seit wann weis wynne von ihrer seelenverbindung zu caleb? ist sie selbst darauf gekommen? caleb hatte es zwar gewusst aber nie erwähnt nur das kira und sei seelenverwandt sind. vielleicht hat sie aber auch nur 1 und 1 zusammengezählt und kam deswegen darauf.
Ich bin gespannt wie sich das kleine Liebesverhältnis der beiden weiter entwickelt ich find sie echt süss zusammen. aber es hatte mich dennoch gewundert das caleb nicht mit einem wort ihre typveränderung kommentiert hatte aber vielleicht kommt das ja noch in den nächsten kapiteln die ich noch lesen muss nach und nach diese Woche :D. ohje was wohl nun wieder mit wynne ist?

lg narudia


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