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Du kannst weglaufen...

...aber du kannst dich nicht verstecken
von

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Im Regen

„Omi du ertränkst sie ja.“

„Mhm?“

„Omi, die Anturien. Du ertränkst sie.“ Ken nahm Omi den Wasserschlauch aus der Hand und drehte den Strahl ab. Er sah Omi an. „Wo bist du nur heute mit deinen Gedanken? Immer noch das Problem von neulich?“

„Ja, nein...es ist schwierig zu erklären.“ Omi betrachtete die Wasserpfütze am Boden und ging seufzend einen Mob holen. Während er wischte, überlegte er, wie er mit Ken über das Thema, das ihn beschäftigte, sprechen konnte, ohne ihm zu viel zu verraten. Er stützte sich auf den Mobstiel und starrte aus dem Fenster. Draußen schüttete es wie aus Eimern, den ganzen Nachmittag hatten gerade mal drei Kunden den Laden betreten. Er und Ken waren alleine, was Omi durchaus begrüßte. Aya wollte er im Moment nicht um sich haben und Yoji machte seinem ehemaligen Beruf als Privatdetektiv alle Ehre und versuchte Omi unauffällig auszuquetschen, wann immer er eine Gelegenheit dazu fand.
 

„Ken?“, fragte Omi leise. „Meinst du, man kann Leben gegeneinander aufrechnen?“

„Huh, wie meinst du das?“ Kens Gesichtsausdruck wirkte irritiert.

„Naja, wenn du die Wahl hättest beispielsweise ein Kind zu retten. Oder sagen wir einen jungen Mann. Als Alternative eine alte Frau, die krank in ihrem Bett liegt. Wen würdest du retten?“

Ken schien ernsthaft über die Frage nachzudenken. „Kann ich nicht beide retten?“

„Nein.“

„Mhm, ich würde vermutlich den jungen Mann wählen. Einfach weil er sein Leben noch vor sich hat. Aber ehrlich gesagt hoffe ich, dass ich nie in eine solche Lage komme.“

„Ja, das hoffe ich auch“, sagte Omi und lachte so laut, das es selbst in seinen Ohren unecht klang. Ken schien es zum Glück nicht bemerkt zu haben. Omi beobachtete die Regentropfen, die die Scheibe hinabliefen und wünschte sich weit, weit weg. Irgendwo hin, wo er diese Entscheidung nicht treffen musste.
 

Als Omi abends in seinem Bett lag, fiel sein Blick auf den Schreibtisch. Hinter der kleinen Lampe klemmte immer noch der Brief von Perser. Er hatte ihn nicht geöffnet.

'Schlimmer kann es ja nicht mehr werden.', dachte er und öffnete den Umschlag.
 

Omi,

ich möchte dich in diesem Brief um Vergebung bitte. Oder um Verständnis. Was ich damals tat, tat ich in der Überzeugung, das Richtige zu tun. Manche Entscheidungen scheinen uns grausam, doch sie müssen getroffen werden. Um zu überleben. Um das Leben an sich zu schützen. Ich hoffe, dass du eines Tages verstehen wirst, dass wir manchmal ein Stück vom Glück opfern müssen für das große Ganze.Weil es manchmal einfach nicht die Möglichkeit gibt, das Richtige zu tun, sondern nur das weniger Falsche.

S.T.
 

Omi ließ den Brief sinken. Er verstand. Er verstand nur zu gut. Er hatte sich, als Aya im Bad gewesen war, in sein Zimmer geschlichen. Er hatte den Schrank aufgebrochen, in dem Aya seine persönlichen Sachen aufbewahrte, und hatte ihn durchsucht. Er hatte den Unfall-Bericht gefunden, die Prognosen der Ärzte, die davon sprachen, dass Aya Fujimiya nie wieder aufwachen würde. Die ihr ein langsames Dahinsiechen voraussagten, auch wenn sie bisher keine Ausfallerscheinungen zeigte. Dann hatten Tränen seinen Blick verschleiert. Er hatte die Papiere wieder zurück gestopft, hatte den Schrank wieder verschlossen und sich in seinem Zimmer verbarrikadiert. Es war so, wie Ken gesagt hatte. Sie hatten ihr Leben noch vor sich, während es für Ayas Schwester keine Zukunft zu geben schien. Trotzdem zögerte Omi. Er wollte es nicht. Wollte diese Wahl nicht treffen müssen. Aber er wusste, er würde es letztendlich tun. Mit schwerem Herzen brach er an diesem Abend in Richtung Park auf.
 

Wasser tropfte von den Bäumen, nur wenige Leute waren bei diesem Wetter unterwegs. Die heftigen Regenfälle hatten die Luft abgekühlt. Omi fröstelte in seinen kurzen Hosen. Er lief ein wenig ziellos durch den Park, weil er nicht genau wusste, wo sie sich treffen würden. Schließlich entdeckte er Schuldigs auffällige Haarmähne an einem der Picknicktische, die unter pilzförmigen Dächern angebracht waren. Er saß entspannt da, die Augen geschlossen so wie beim ersten Mal, als sie sich hier getroffen hatten. Wie lange war das her?
 

Als Omi näher trat, öffnete Schuldig die Augen.

„Du bist gekommen.“

Omi zuckte mit den Schultern. „Hatte ich denn eine Wahl?“

Er setzte sich neben Schuldig. Gestattete sich einen Blick auf den Mann, dessen Profil sich gegen den regengrauen Himmel abzeichnete. Sein Herz zog sich zusammen und er wendete sich ab, als er die Tränen in seinen Augen spürte.

„Ich werde es tun. Du bekommst Ayas Schwester.“

Schuldig schwieg. Omi wartete, dass er etwas sagen würde. Bedingungen nennen, einen Ablauf vorschlagen. Etwas, dass die Stille zwischen ihnen vertrieb. Als er es nicht mehr aushielt, rieb er sich über die Augen und sah wieder zu Schuldig. Der saß einfach nur da und beobachtete ihn.

„Du weinst“, stellte er fest. „Warum?“

„Weil...“ Omi rang nach Worten. Die Gedanken flatterten durch seinen Kopf wie ein Haufen aufgeregter Vögel. Er wandte sich wieder ab und starrte auf den Boden. „Weil es sich falsch anfühlt. Ich weiß, ich muss es tun, und ich nehme die Schuld des Verrats auf mich, um meine Freunde zu retten. Selbst wenn sie mich dafür hassen werden, wenn sie es jemals herausfinden. Aber etwas kann ich nicht vor mir selbst rechtfertigen. Eine Unschuldige zu opfern. Ich wünschte...ich wünschte, du hättest einen anderen Preis verlangt. Ich hätte dir alles gegeben.“
 

Die letzten Worte hatte er geflüstert. Der Regen setzte wieder ein. Das Wasser hüllte sie in einen feinen Vorhang, sperrte die Welt dort draußen aus. Omi atmete tief ein, als er Schuldigs Hand an seinem Kinn spürte. Er drehte Omi zu sich herum.

„Und wenn ich dir verspreche, dass ihr nichts passiert?“, fragte er. „Würde das etwas ändern?“

Omis Herz begann ein wenig schneller zu schlagen. „Kannst du das denn?“

Schuldigs Mundwinkel wanderten ein Stück nach oben. „Ich habe dir doch gesagt, dass ich sie brauche. Ich habe nicht vor, sie auf einem Scheiterhaufen irgendwelchen uralten Göttern zu opfern. Sie wird medizinisch versorgt werden, es wird ihr an nichts fehlen. Okay?“

Omi nickte tapfer. „Okay.“
 

Er roch den Regen, die feuchte Erde und den Geruch, der von Schuldigs warmen Körper ausging. Es schien so leicht, so verführerisch, sich einfach fallen zu lassen. Die Last der letzten Tage abzustreifen jetzt, da die Wahl getroffen war. Er war so allein damit gewesen, so einsam.

Schuldig nahm ihm die Entscheidung ab. Er stand auf und zog seinen Mantel aus. Als er ihn Omi um die Schultern legte und sich wieder setzte, zog er Omi gleichzeitig an sich.

Omi spürte eine Hand, die seinen Rücken streichelte. Er lehnte sich in die Umarmung und schloss die Augen. Genoss die Wärme, die...ja, die Vertrautheit.

'Du vertraust dem Teufel.'

'Wenn nicht ihm, wem dann?'
 

Schuldig lachte leise. Er zog Omi auf seinen Schoß, legte seine Hand in Omis Nacken und versiegelte seine Lippen mit einem Kuss. Omi erwiderte die Berührung. Er öffnete die Lippen, empfing Schuldigs Zunge in seinem Mund. Wie ausgehungert stürzte er sich in den Kuss. Ihre Zungen streiften sich, glitten über- und untereinader. Ihre Lippen prallten aufeinander, als hätten sie sich seit ewigen Zeiten gesucht.

Schuldigs Mund wanderte tiefer, küsste Omis Kehle. Omi legte den Kopf in den Nacken, gewährte ihm vollen Zugriff. Er spürte Schuldigs Hände auf seinem Rücken, wie sie sich auf die nackte Haut schoben. Wo sie ihn berührten, setzten sie ihn in Brand. Er spürte die Hitze in seinem Inneren und zwischen seinen Beinen. Er keuchte in einen erneuten Kuss, als Schuldig sich unter ihm bewegte, um seiner eigenen Erregung mehr Platz zu geben.

Omi legte seine Hände auf Schuldigs Schultern und schob sich ein Stück weit von ihm weg, so dass er ihn ansehen konnte.

„Ich will es nochmal machen.“

Schuldig hob fragend die Augenbrauen.

Omi spürte, dass er rot wurde. Gott, konnte Schuldig ihn nicht einfach verstehen? Er wollte ihm einen blasen. Jetzt hier im Park unter diesem verdammten Picknickpilz.

Erkenntnis breitete sich auf Schuldigs Zügen aus. „Tut dir keinen Zwang an, Bishounen. Ich bin ganz dein.“

Omi glitt von seinem Schoß und kniete sich auf die kalten Steine. Er hatte keine Ahnung, ob das jetzt ein Dankeschön oder eine eigens auferlegte Form von Buße war. Aber für Buße fühlte es sich zu gut an. Er genoss das Gefühl, Schuldigs Fleisch unter seinen Händen und seine Lippen zu haben. Lauschte den schneller werdenden Atemzügen, dem unterdrückten Stöhnen, das sich in das Geräusch des fallenden Regens mischte. Sog jede Regung, jedes Zucken, jede Berührung in sich auf.
 

Als es vorbei war, zog Schuldig ihn wieder auf seinen Schoß. Er küsste Omi sanft auf die Lippen und murmelte: „Daran könnte ich mich gewöhnen.“

Omi konnte nicht anders, als zu grinsen. „Gern geschehen.“

Während Schuldig seinen Hals küsste, nagte Omi an seiner Unterlippe und überlegte, ob er Schuldig fragen sollte, ob der sich irgendwann mal revanchieren würde. Er hatte es nicht eilig damit, aber er war neugierig, wie es sein würde.

„Irgendwann mal, Bishounen.“, nuschelte Schuldig in seinen Hals.

Omi blinzelte überrascht. Hatte er die Frage doch laut ausgesprochen? Er konnte sich nicht daran erinnern. Unter ihm hielt Schuldig kurz in der Bewegung inne, bevor er seine Liebkosungen fortsetzte. Omi vergaß, weiter darüber nachzudenken. Solange dieser Augenblick andauerte, wollte er ihn genießen, so gut er konnte.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit, die doch viel zu kurz dauerte, sagte Schuldig: „Wir sollten langsam gehen. Es wird dunkel.“

Omi nickte und rutschte von seinem Schoß. „Wann sehen wir uns wieder?“

Schuldig zog ein Handy aus seiner Tasche und reichte es Omi. „Meine Nummer ist eingespeichert. Sag mir Bescheid, wenn die Gelegenheit günstig ist. Nicht dass wir im Krankenhaus auf einmal einem aufgebrachten Abyssinian gegenüber zu stehen.Ich würde ihn nur ungern töten müssen.“

„Das würde ich dir auch nie verzeihen.“

„Ich weiß.“

Schuldig stand auf. Er schien etwas zu überlegen, schüttelte dann aber den Kopf.

„Mach´s gut, Bishounen. Wir sehen uns.“

Er trat in den Regen hinaus und wurde kurz darauf von der aufkommenden Dunkelheit verschluckt.

Omi sprang auf.

„Dein Mantel!“, rief er ihm nach, aber er erhielt keine Antwort mehr. Omi schlug die Arme um das Kleidungsstück und konnte sich gerade noch davon abhalten, seine Nase in den Stoff zu drücken. Der Regen wurde stärker. Omi fluchte. Er hielt den Mantel über seinen Kopf und rannte zu seiner Maschine. Auf dem Heimweg musste er ohne jeden Grund immer wieder grinsen. Trotz des Regens, der seine Glieder schlottern ließ, fühlte er sich eigenartig leicht und frei. Fast ein bisschen, als würde er fliegen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
So. Wieder eins geschafft. Grr, diese Zwischenkapitel bringen mich noch um. Wenigstens hatte ich dieses Mal wieder gute Musik. „Wohin willst du“ von LEA. Am Anfang im Original, im zweiten Teil dann in der Remix-Version mit 'Gestört aber geil'. Hach, the wortspiel! Komplett anzeigen

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