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Freunde mit gewissen Vorzügen

von

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Es war schwer, sich auf die Straße zu konzentrieren und gleichzeitig mit Schuldig Zwiesprache zu halten. Noch dazu, wenn ihm die Entscheidung, die vor ihm lag, so unglaublich schwerfiel. Im Grunde genommen war es Wahnsinn, das zu versuchen. Nicht nur, weil sie Schuldig am Leben ließen, der geschworen hatte, sie alle umzubringen. Er wollte diesen Irren auch noch in die Nähe seiner Schwester lassen? Irgendwas musste ihn schwer am Kopf getroffen haben, dass er das wirklich in Erwägung zog. Am besten hielt er den Wagen hier und jetzt an und brachte zu Ende, was er vorhin begonnen hatte. Schuldig verdiente es nicht, weiterzuleben. Egal, wie hoch der Preis für seinen Tod war.

'Habe ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden?', fragte die Stimme in seinem Kopf erneut.

'Nein!', dachte er mit Nachdruck zurück. 'Es war von Anfang an eine dumme Idee. Sobald ich einen geeigneten Ort gefunden habe, werde ich dich töten.'

'Und du glaubst, er wird es dich dieses Mal tun lassen? Dein Lover, meine ich. Er scheint irgendwie der Meinung zu sein, er müsste dich retten.'

'Er versteht das nicht.'

Er fühlte förmlich, wie Schuldig in seinem Kopf grinste. 'Das stimmt wohl. Aber ich verstehe es. Du hast Angst, dass es tatsächlich funktionieren könnte.'

'Was? Das ist nicht wahr!'

'Oh doch. Du fürchtest, dass du sie dann verlierst. Für immer. Dass du dir bereits darüber Gedanken gemacht hast, wie es wohl wäre, macht die Situation nicht weniger bedrohlich. Du bist wie ein kleiner Junge, der sich Abenteuergeschichten ausdenkt, während er im Warmen sitzt und mit seinen Spielzeugen herumhantiert.'

 

Aya dachte über das nach, was Schuldig gesagt hatte. Konnte das stimmen? Es war immer sein größter Wunsch gewesen, seine Schwester wieder gesund zu sehen. Aber genau das würde nicht möglich sein. Er würde sie nicht sehen und nicht mit ihr sprechen können. Sie würde nicht mehr Teil seines Lebens sein, denn das Leben, dass er führte, bot keinen Platz mehr für sie.

'Siehst du. Genau das macht dir Angst. Du hast Angst, allein zu sein.'

Aya wollte etwas erwidern, besann sich dann aber eines Besseren. Natürlich! Schuldig hatte Recht. Er wäre dann völlig allein. Wenn er irgendwann sterben würde, würde niemand an seinem Grab weinen. Er war nicht mehr als ein Werkzeug, das, wenn es einmal verbraucht war, keinerlei Spuren in der Welt hinterlassen würde. Er brauchte seine Schwester, um sich ein kleines bisschen Menschlichkeit zu erhalten. Sie war sein Anker, der ihn am Leben festhalten ließ. Wenn er sie verlor, würde er nicht mehr lange durchhalten. Er konnte das nicht zulassen.

 

Aya trat abrupt auf die Bremse, fuhr an den Straßenrand, sprang aus dem Wagen und riss die Tür zum hinteren Teil des Lieferwagens auf.

„Es reicht“, schnappte er. „Raus aus dem Wagen, Schuldig!“

„Was ist los, Aya? Was ist passiert?“ Omi sprach aus, was die anderen zwei anderen, ihren Gesichtern nach zu urteilen, dachten.

„Ich habe mich anders entschieden. Ich will nichts mit diesem Bastard zu tun haben. Ein Fehler, den ich jetzt revidieren werde.“

„Aya!“ Yojis Stimme war sanft aber eindringlich. „Ich wusste, dass das dabei herauskommt, wenn man dich alleine lässt. Sei doch vernünftig. Lass es ihn wenigstens versuchen.“

Aya schüttelte nur den Kopf. „Verstehst du denn nicht? Er ist böse. Abgrundtief böse. Sein Ziel ist es, uns und den Rest der Welt leiden zu sehen. Der einzige Grund, aus dem er uns helfen würde, ist der, dass er annimmt, dass sich unsere Lage dadurch verschlimmert. Er spielt nur mit uns, so wie er mit dem Leben aller spielt, die ihm über den Weg laufen. Es wird Zeit, dieses Spiel ein für alle Mal zu beenden. “

 

Er hatte zu seinen Freunden gesprochen, dabei aber die ganze Zeit Schuldig angesehen. Die Augen des Mannes wurden schmal. Ein spöttisches Funkeln lag darin.

Yoji seufzte. „Aya, bitte. Du kannst diese Chance nicht wegwerfen.“

„Du hast nicht über mein Leben zu bestimmen oder über das meiner Schwester“, fauchte Aya ihn an. „Du weißt nicht, wie es ist, jemanden wirklich zu lieben. Ich brauche dich nicht. Ich kann jeden haben, den ich will. Jeden, egal wen, verstehst du. Also maße dir nicht an, mir meine Entscheidungen abzunehmen. Bleib zurück und misch dich nicht ein!“

Yoji sah ihn mit steinernem Gesicht an. Aya wich seinem Blick aus. Er griff nach dem Katana.

„Ich werde Schuldig jetzt töten“, sagte er und zog die Klinge aus der Scheide.

„Nein, das wirst du nicht. Ich erlaube es nicht“, sagte Yoji. Er spürte einen Schlag auf den Kopf und die Welt um ihn herum wurde schwarz.

 

 

 

 

 

„Yoji, was hast du getan?“ Omi Stimme war schrill und zu laut. Ken starrte ihn nur an.

„Ich habe ihn vor sich selbst gerettet“, gab Yoji zurück. Er stieg in den Wagen und half Schuldig auf die Beine. „Ich werde jetzt mit ihm zum Krankenhaus fahren. Entweder kommt ihr mit oder ihr bleibt hier bei Aya. Eure Entscheidung.“

„W-wir können Aya doch nicht hier mitten im Nirgendwo lassen“, stammelte Omi.

„Aber wir können Yoji auch nicht mit diesem Irren allein lassen“, antwortete Ken. „Aya kann schon auf sich aufpassen. Wir legen ihn hier in den Graben und fahren mit Yoji.“

„Ken-kun...“ Omi wollte offensichtlich noch etwas erwidern, schwieg dann aber und half Ken und Yoji, den Bewusstlosen an einer sicheren Stelle abzulegen. Er holte noch schnell einer der Overalls aus dem Wagen und deckte Aya damit zu.

Yoji zog Schuldig das Klebeband vom Mund. „Du kommst zu mir nach vorne. Aber halte dich aus meinem Kopf raus. Du wirst deine Kräfte gleich noch brauchen. Wenn es nicht funktioniert oder ich das Gefühl habe, dass du ein krummes Ding abziehst, töte ich dich.“

Schuldig bewegte prüfend den Mund, den er so lange nicht hatte benutzen können. „Kein Problem, Kätzchen. Aber wenn du mich davon abhalten willst, solltest du mir etwas Interessantes erzählen, während wir auf dem Weg sind. Weißt du, ich langweile mich so furchtbar schnell. Wie wäre es mit ein paar schmutzigen, kleinen Geheimnissen?“

Yoji lächelte dünn und klemmte sich hinter das Steuer. Er hoffte nur, dass er das Richtige tat.

 

 

Vor dem Krankenhaus stellte er mit einer entschiedenen Geste den Motor ab. Schuldig hatte sich neben ihm auf dem Sitz ausgebreitet, die Füße auf dem Armaturenbrett und grinste.

„Er wird dich verlassen?“

„So sieht es wohl aus“, antwortete Yoji langsam. „Wahrscheinlich kann ich froh sein, wenn er mich nicht umbringt. Aber wenn er dadurch...“

„Oh, erspar mir diese klischeebehaftete Rede. Ich muss es tun, weil ich ihn so liebe, und nur will, dass er glücklich wird. Da wird mir ja im Fernsehen schon schlecht dabei. In Natura muss ich das nicht auch noch haben. Außerdem hast du das in der letzten halben Stunde ungefähr 38 Mal gedacht. Abwechselnd mit Er wird mich hassen und Es wird das Team auseinander reißen. Mal ehrlich. Was habt ihr Weiß nur mit dieser Opfernummer?“

„Wolltest du dich nicht aus meinem Kopf raushalten?“, fragte Yoji finster.

„Du hast das förmlich projiziert. Jeder Telepath von hier bis Kyoto hätte dich hören können. Ist nicht meine Schuld, wenn du so einfach zu lesen bist, Blondie.“

„Es gibt noch mehr wie dich?“

 

Schuldig machte ein abfälliges Geräusch. „Natürlich nicht. Niemand ist wie ich.“

„Das dachte ich mir. Oder sagen wir mal, ich hatte es gehofft. Ich würde ungerne noch jemand treffen, der mit unseren Gedanken spielt.“

„Immerhin suhle ich mich nicht in sinnlosem Bedauern so wie Euereins. Ich tue Dinge, ich bin schuldig an Dingen, aber ich bereue sie nicht bis zum Erbrechen. Ihr Weiß kultivierte einen derartigen Pathos in eurem Leben, dass jede südamerikanische Telenovela vor Neid erblassen würde. Es ist wirklich amüsant, euch dabei zuzusehen, wie ihr euch selbst auseinander nehmt.“

„Freut mich, dass du Spaß hast“, gab Yoji trocken zurück.

„Die Freude ist ganz meinerseits“, grinste Schuldig. „Also los, zeig mir das kleine Prinzesschen. Wollen doch mal sehen, was sie in ihrem Schönheitsschlaf gefangen hält.“

 

Ken und Omi waren bereits ausgestiegen und sahen unsicher zum Krankenhaus empor. Es war mitten in der Nacht, die meisten Fenster waren dunkel, wenngleich auch die Flure hell beleuchtet waren. Eine Tatsache, die sie unangenehm zu spüren bekamen, als sie das Krankenhaus betraten. Das wenige Nachtpersonal, das um diese Zeit noch unterwegs war, beäugte sie misstrauisch.

Kurzentschlossen legte Yoji seinen Mantel ab und auch die anderen beiden bemühten sich, ihr Erscheinungsbild ein wenig zu normalisieren. Nur Schuldig stand mitten in dem hell erleuchteten Gang, das Hemd voller Blutflecken, die orangerote Mähne wie ein Leuchtfeuer. Hätte er eine blinkende Leuchtreklame getragen, er hätte nicht auffälliger sein können. Schnell schob Yoji ihn weiter in Richtung Aufzug und atmete erst auf, als sich die Türen endlich hinter ihnen schlossen.

Es war eng in der Kabine und Yoji konnte sehen, dass Ken sich möglichst weit weg von Schuldig in eine Ecke stellte. Im Grunde genommen war er erstaunt, wie gut sich sein Freund im Griff hatte. Der Ken, den er kannte, hätte Schuldig vermutlich schon längst eine verpasst. Er fragte sich, ob er wohl irgendwann wieder ganz der Alte werden würde. Er warf einen Blick auf Schuldig und der grinste nur. Er musste vorsichtiger sein, was er dachte.

 

Wie durch ein Wunder erreichten sie unbehelligt das Krankenzimmer. Yoji zögerte kurz, bevor er die Klinke herunterdrückte und seine drei Begleiter in das Zimmer ließ. Er sah noch einmal den leeren Flur entlang, bevor er hineinging, die Tür hinter sich schloss und sich breitbeinig davor stellte. Bei dem, was sie vorhatten, konnten sie keine störenden Besucher gebrauchen. Seine Sorge war sicherlich unbegründet, da sicherlich niemand mitten in der Nacht nach einer Komapatientin sehen würde. Trotzdem fühlte er sich so etwas sicherer.

„Das ist sie also?“, fragte Schuldig und trat neben das Bett. Er legte den Kopf schief. „Sie sieht ihrem Bruder gar nicht ähnlich. Hat sie ja Glück gehabt. Na dann wollen wir mal sehen, was du in deinem hübschen Köpfchen versteckt hast.“

Yoji atmete tief ein, als Schuldig die Hand auf Ayas Stirn legte und die Augen schloss. Er sah unsicher zu Omi und Ken hinüber. Die beiden hatten sich in der Nähe des Fensters postiert und betrachteten das Schauspiel ebenfalls mit vorsichtigem Interesse. Er atmete tief ein und dachte, wie sehr er jetzt eine Zigarette gebraucht hätte. Aber es gab Grenzen und in einem Krankenzimmer würde er sich zusammenreißen. Hoffentlich würde es nicht allzu lange dauern.

 

 

 

 

Schuldig wusste nicht, was er davon halten sollte. Wo sich eigentlich ein menschlicher Geist erstrecken sollte, war...nichts. Gar nichts. Er tastete sich weiter und weiter vor, aber um ihn herum war nur Leere. Das konnte nicht sein. Die Köpfe der meisten Menschen waren vollgestopft mit allem Möglichen, doch hier konnte er nichts davon entdecken. Langsam wagte er sich weiter vor, immer ein Schritt nach dem anderen. Ein Prickeln in seinem Nacken warnte ihn, dass er dabei war, zu weit zu gehen. Aber er wäre nicht er selbst gewesen, wenn er im Angesicht einer Gefahr zurückgeschreckt wäre. Es fühlte ich fast ein wenig an, als würde er an einer Kante entlang balancieren, nur noch einen Schritt vom Abgrund entfernt. Er wusste, dass man sich im Geist eines anderen Menschen verlieren konnte. Es war wichtig, immer einen Rückweg offen zu lassen. Für die meisten Menschen musste er sich nicht besonders weit aus dem Fenster lehnen, aber das hier überstieg alles, was er kannte. Er holte metaphorisch gesehen tief Luft, trat an den Rand und ließ sich fallen.

 

Er landete inmitten einer weiten Ebene. Unter seinen Füßen war rotbraune Erde, so weit das Auge reichte. Über ihm etwas, das ein Himmel hätte sein können, aber es gab kein Wort, das seine Farbe, geschweige denn das Gefühl von Weite hätte beschreiben können, das er bekam, als er nach oben sah. Ihn schwindelte und er richtete seinen Blick wieder nach unten.

„Was ist das hier?“, fragte er sich und seine Stimme klang seltsam hohl. Er ging einige Schritte und sah, dass seine Füße keine Spuren im Staub hinterließen. Er runzelte die Stirn. Das war nicht gut. Er ging trotzdem noch ein paar Schritte und blieb stehen, als er etwas fand, das halb in der Erde vergraben war. Er bückte sich danach und hob es auf. Es war irgendein Spielzeug, das man wohl kleinen Kindern gab. Ein Ring aus Plastik mit verschiedenen Formen daran. Es klapperte, als er es schüttelte. Eine verschüttete Erinnerung? Aber es hätte hier voll davon sein müssen. Wo waren all diese Dinge?

Es sah sich erneut um und dachte nach. Ein normaler Mensch hätte nicht in der Lage sein sollen, eine solche Welt zu errichten. Psis wie er oder Crawford wurden in so etwas unterrichtet, auch wenn er die Stunden immer furchtbar langweilig gefunden und, so oft es ging, geschwänzt hatte. Einmal hatte Crawford darauf bestanden, dass er es probierte. Die Welt, in der er gelandet war, hatte der Horrorvision eines Rummelplatzes geglichen mit zu vielen Geisterbahnen, die von bösen Clowns bewohnt wurden. Die Karussellpferde hatten Reißzähne gehabt und aus der Achterbahn stieg nie wieder jemand aus. Es war amüsant gewesen, aber nicht unbedingt etwas, das er zu wiederholen oder gar zu nutzen gedachte. Warum hatte das Mädchen diese Welt erschaffen? Und wie?

 

Schuldig ging noch einen Schritt weiter und verharrte dann unentschlossen. Er wusste, er musste den Ausgangspunkt wieder erreichen, wenn er zurückkehren wollte. Verlief er sich, würde er auf ewig hier drinnen herumirren. Er überlegte und zog dann sein Hemd aus. Er legte es an dem Punkt auf den Boden, an dem er angekommen war, und ging weiter. Kurz darauf hatte er ein komisches Gefühl. Etwas stimmte nicht. Er sah an sich herab und hob erstaunt die Augenbrauen, als er sein Hemd wieder am Leib trug. Der Platz hingegen, an dem er es zurückgelassen hatte, war leer. Er wiederholte das Experiment noch einmal mit einem Schuh. Das Ergebnis war das gleiche. Er konnte nichts, was er bei sich hatte, zurücklassen.

Sein Blick strich über die Ebene. Irgendwo musste es einen Bewohner in dieser Ödnis geben. Das Mädchen musste hier irgendwo sein, verirrt in seinem eigenen Geist. Er konnte sie nicht suchen gehen, ohne seinen Rückweg zu markieren. Das Risiko war zu groß. Wenn er den Ausgang markieren wollte, musste er etwas anderes von draußen hier mit herbringen. Etwas oder jemanden, der ihn hier festhielt. Er überlegte kurz und schloss dann die Augen.

 

Als er sie öffnete, war er wieder im Krankenzimmer. Die drei Weiß fuhren auf, als sie sahen, dass er wieder zurück war.

„Und?“, fragte Yoji sofort.

Schuldig schüttelte den Kopf und konnte sich nicht des kleinen Triumphs erwehren, der ihn überkam, als sich in der Miene des blonden Mannes Enttäuschung breit machte. Da hatte er sein kleines Schnuckelschnäuzchen also völlig umsonst verärgert. Zumindest dachte er das wohl. Schuldig grinste innerlich.

„Ich schaffe das nicht alleine“, sagte er nach einer angemessenen Pause, in der die Frustration noch ein wenig nachwirken konnte. „Ich brauche jemanden, der mich im Hier und Jetzt verankert, wenn ich die Kleine suchen soll. Da drinnen ist...ach das versteht ihr ohnehin nicht. Tatsache ist, dass ich einen von euch mit hineinnehmen muss.“

Unsichere Blicke irrten hin und her. Natürlich. Sie vertrauten ihm nicht. Das hier konnte eine Falle sein und einen kurzen Augenblick überlegte er, ob er die Gelegenheit nutzen sollte. Vielleicht konnte er sie überraschen, einen oder zwei von ihnen töten. Aber dann verwarf er den Gedanken wieder. Das, was er geplant hatte, hatte viel mehr Klasse. Die Wiederkehr dieses Mädchen würde das Ende für Weiß bedeuten. Ein schleichender Zerfall von innen heraus und der wäre sicherlich viel amüsanter zu beobachten, als ein schneller Tod. Er lachte leise in sich hinein.

Yoji räusperte sich schließlich.“Was muss ich tun?“

Schuldig warf ihm einen kurzen Blick zu und wiegte dann den Kopf hin und her. „Ich weiß nicht, ob du die geeignete Wahl bist. Eine Person, die ich kenne, wäre weit besser geeignet. Was meinst du, Ken. Vertraust du mir?“ Seine Stimme war weich, einlullend. Er wollte das hier, denn er war neugierig, was an diesem Mädchen so besonders war. Wenn er dabei sein altes Opfer noch ein wenig verunsichern konnte, umso besser.

Ken sah ihn finster an. “Vergiss es. Ich traue dir nicht weiter, als ich dich werfen kann.“

Schuldig lachte laut auf. „Ich hatte schon ganz vergessen, wie witzig du sein kannst, Kätzchen. Aber du musst dich wirklich nicht fürchten. Ich werde nicht in deinen Kopf eindringen. Ich will dich mitnehmen in ihren.“ Er wies auf das Mädchen, das still und blass in ihrem Bett lag. „Ansonsten könnte es sein, dass ich mich in ihrem Geist verlieren und dann hätte sie mich für den Rest ihres Lebens in ihrem Kopf. Willst du das wirklich? Ich dachte, du bist ein Held, Ken. Kannst du das mit deinem Gewissen vereinbaren?“

 

Die Muskeln in Kens Gesicht zuckten.

„Gut“, knurrte er endlich. „Ich mache es. Aber ich vertraue dir trotzdem nicht.“

„Das wird deine Reise schwer machen, nicht meine“, erwiderte Schuldig mit einem Achselzucken. „Komm her zu mir und gib mir deine Hand.“

„Was? Ich soll mit dir Händchen halten?“

Schuldig rollte mit den Augen. „Das sollte nun wirklich das geringste Problem sein, oder? Aber dein Arm tut es auch. Hauptsache, ich habe Hautkontakt. Du kennst das Spiel doch.“ Er grinste und zwinkerte dem Jungen zu.

Ken murmelte etwas sehr Unfreundliches und streifte seinen Ärmel nach oben. Er atmete tief durch und streckte Schuldig den Arm entgegen. Schuldig griff zu und spürte, wie der andere zusammenzuckte.

„Schließe deine Augen“, wies er ihn an. „Je weniger Ablenkung wir haben, desto besser funktioniert es. Und jetzt versuch an gar Nichts zu denken.“

Ken nickte und gehorchte. Schuldigs Mundwinkel zuckte ein wenig, als ihm der Gedanke kam, wie vertrauensselig der kleine Weiß trotz allem noch war. Unerschütterlicher Optimismus oder Dummheit? Er wusste es nicht, aber es war jetzt auch egal. Zunächst einmal musste er dieses Mädchen finden. Er schloss ebenfalls die Augen.

 

Als er sie wieder öffnete, stand er auf der rotbraunen Ebene. Neben ihm stand Ken. Er keuchte erschrocken auf, als er sich umsah.

„Wo sind wir?“

„Das ist ihre innere Welt. Aber es sollte hier nicht so aussehen und vor allem sollte sie hier sein. Deine Aufgabe ist einfach. Du bleibst hier stehen und bewegst dich nicht vom Fleck, egal was passiert.“

Ein Geräusch ließ die beiden auffahren. Sie drehten sich um und starrten das Etwas an, das hinter ihnen im Sand kauerte. Es war etwa so groß wie ein Mensch und hatte vage, menschliche Umrisse. Damit hörte die Ähnlichkeit aber auch schon auf. Das Wesen hatte eine hässliche, dunkle Farbe, die irgendwo zwischen schwarz und rot lag und Schuldig an geronnenes Blut erinnerte. Borstiges, schwarzes Fell bedeckte den Körper, Stacheln rasselten, als es sich bewegte. Ein Aufblitzen von scharfen Zähnen und rote, leuchtende Augen, die sie hungrig ansahen. Krallen kratzten über den Boden, als es sich ein Stück auf sie zubewegte.

„W-was ist das?“, stotterte Ken. Er war wie hypnotisiert von dem Anblick und irgendwie kam Schuldig dieses Ding vage bekannt vor. Konnte das...

„Das bist du“, sagte er leise. „Der Teil von dir, der noch nicht zurückgekehrt ist. Durch Farfarellos Eingreifen, war die Fusion unvollständig. Du hast zwar alle deine Fähigkeiten wieder, aber der Blutdurst, der Hunger nach dem Töten, das, was er an dir so faszinierend fand, ist noch nicht wieder Teil deines Selbst.“

„Das da soll ein Teil von mir sein?“ In Ken Stimme lag tiefe Abscheu. „Das ist widerlich und grausam.“

Schuldig lächelte dünn. „Jeder Mensch trägt so etwas in sich. Bei den meisten kommt es nie zum Vorschein. Andere wiederum werfen sich diesem Ding hemmungslos entgegen. Und wieder andere kämpfen ihr Leben lang dagegen an.“

„Kann man es töten?“

Schuldig sah Ken an, der das Ding immer noch anstarrte. „Du willst einen Teil deines Selbst töten? Überlege kurz, wie sich das in deinen Ohren anhört. Oder noch besser, überlege dir das, während ich das Mädchen suchen gehe.“

„Was? Du willst mich mit dem Ding alleine lassen?“

Schuldig zwinkerte ihm zu. „Das bist doch du. Also, Ken, vertragt euch beide und macht keinen Unsinn. Und was immer du tust, geh hier nicht weg!“

 

Er drehte sich um und sah auf die Ebene, die vor ihm lag. Irgendwo dort musste der Geist des Mädchens verloren gegangen sein. Kein Wunder, dass sie nicht aufwachte. Er würde sie finden und hierher bringen müssen. Hinter ihm machte Ken einen erstickten Laut und ein Knurren antwortete ihm. Gut, der Junge war beschäftigt. Er hoffte nur, dass er tatsächlich noch lebte, wenn er wiederkam. Obwohl seine Überreste sicherlich auch genug wären, um den Rückweg zu markieren.

Er musste plötzlich an Hänsel und Gretel denken und die Spur aus Brotkrumen. Ob ihn wohl eine Spur aus Ken-Krumen zurückführen würde? Zerfleischt von der eigenen, inneren Bestie. Er lachte laut, während er losging und sich auf die Suche machte. Das Bild war wirklich zu komisch.

 

 

 

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich mache hier nochmal einen Cut, damit ihr schon mal weiterlesen könnt.

Musik gibt es dieses Mal keine. Hab leider nichts gefunden, das so wirklich passte. Der Teil war ohnehin schwierig genug zu schreiben. Ich habe auch so gedacht, dass wir von der anfänglichen Story schon ganz schön weit abgekommen sind. (Und dass ich Schuldig doch einfach hätte sterben lassen sollen, dann wäre Ruhe gewesen... War aber halt anders geplant. *seufz*) Wie sich das wohl liest so im Ganzen? Mal sehen, wenn ich viel Zeit habe, probiere ich es mal aus. Ansonsten hoffe ich, dass ihr mir noch gewogen seid und mit mir noch die letzten zwei Kapitel durchsteht, die uns noch erwarten. Teile davon sind auch schon geschrieben und müssen nur noch angepasst werden. Die Chancen stehen also gut, dass ihr das Ende noch vor dem Urlaub erlebt. ^_~ Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  radikaldornroeschen
2018-05-28T10:39:35+00:00 28.05.2018 12:39
Das hätte ich so nicht erwartet! Das Bild von Ayas Innerem ist krass, und doch richtig passend. Man kann es sich auch gut bildlich vorstellen, da du das wunderbar beschreibst.
Das Innere Monster von Ken... yoah, auf die Idee muss man erstmal kommen XD
Und dass er das dann dort mit hinein zieht, klingt dann auch logisch.

Nur noch zwei Kapitel?! O.O;
Verdammt!
Antwort von:  Maginisha
28.05.2018 13:15
Ha, ich musste jetzt erst mal überlegen, zu welchem Kapitel das Review gehört. Dann fiel mir auf, dass ich das nächste noch gar nicht freigeschaltet hab. Sorry! Hole ich gleich nach. :D

Die ganze "innere Welt" Geschichte ist übrigens ein bisschen von "Glühen" inspiriert, muss ich ja zugeben. Habe mir das inzwischen zumindest in den interessanten Passagen zu Gemüte geführt. Wenn nur das Charakter-Redesign nicht wäre... :D
Antwort von:  radikaldornroeschen
28.05.2018 13:58
Allein wegen der Charaktere hab ich mir Glühen nieee angeguckt XD
Hatte zu sehr Angst, dass es sich verschlechtert... da leb ich lieber in meiner Traumwelt weiter XDD


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