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Crazy like a skull

Das Paradies hat einen Haken
von

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Last man standing


 

1
 

Seit der Auflösung von Team Skull sind mittlerweile sechs Monate ins Land gezogen. Widerwillig haben sich die Rüpel inzwischen an ihr neues Leben gewöhnt und versuchen das Beste daraus zu machen. Die Jungs und Mädels trösten sich aber damit, dass ihr ehemaliger Boss sie in regelmäßigen Abständen besucht, mit ihnen Essen geht oder den Tag verbringt – ganz so, wie er es auch versprochen hat. Das gibt ihnen ein gutes Gefühl, dass nicht alles anders und unschön geworden ist – dass es doch noch etwas Beständigkeit in ihrem Leben gibt. Abgesehen von dieser schönen Tatsache hat sich Bromley allerdings sehr zurückgezogen.
 

Ähnlich wie bei seiner einstigen Inselwanderschaft, bereist er nun allein die verschiedenen Gebiete Alolas und trainiert. Dies tut er jedoch nicht, weil er eines Tages den Champion der inzwischen von Kukui gegründeten Pokémon-Liga schlagen will – bei dem es sich zufälligerweise auch noch um seinen ewigen Rivalen Sun handelt – sondern einfach nur, um einen klaren Kopf zu bekommen und sich selbst zu beweisen, dass er der Stärkste ist und, dass immer noch auch ohne Z-Ring!
 

So fährt er oft auch einfach nur quer durch das Land und stolpert dabei eher zufällig über kampfwillige Trainer und Pokémon. Heute ist er auf Mele-Mele unterwegs und hat dabei gar nicht bemerkt, dass er nun die Route zwei entlangkommt. Der tosende Lärm seiner aufgemotzten Maschine erfüllt die friedliche Luft dieses Morgens gleich einem Bombenanschlag. In den Büschen und Pflanzen am Wegesrand raschelt es heftig, als aufgeschreckte Pokémon hektisch und schimpfend die Flucht ergreifen. Bromley beachtet das Ganze jedoch nicht. Lady hockt dabei in seiner Kapuze und fühlert in der Gegend herum. Sie stört sich mittlerweile schon längst nicht mehr an dem nahezu ohrenbetäubenden Lärm der Suzuka, beobachtet jedoch interessiert die flüchtenden Wesen um sich herum.
 

Plötzlich bremst der Weißhaarige jedoch schlagartig, sodass die rote Reißlaus ein ersticktes Fiepen von sich gibt und sich tiefer in den dunklen Stoff vergräbt. Mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund starrt Bromley das Gebäude vor sich an. Er wagt kaum Luft zu holen. Erst, als Lady unbehagliche Laute von sich zu geben beginnt und nervös mit den Fühlern über seine Wange streicht, regt sich der Käfer-Trainer wieder. „Fuck...“, murmelt er vor sich hin und streichelt der Assel dabei halb abwesend über den Kopf. Das Gebäude, vor dem er so unabsichtlich gelandet ist, ist das Haus, indem er aufgewachsen ist. Doch hier wollte er ganz sicher nicht mehr hin. Allerdings war er so in Gedanken, dass er gar nicht mitbekommen hat, wohin er eigentlich fährt.
 

Schweigend betrachtet er das Haus eine ganze Weile, während Lady langsam in seinen Schoß krabbelt und sich von ihm geistesabwesend streicheln lässt. Aufmerksam folgt sie seinem Blick, dennoch kann sie natürlich nicht verstehen, warum dieses Haus solch ein Unbehagen in ihm auszulösen scheint. Als sie ein neuerliches Fiepen von sich gibt, wendet er ihr den Blick zu. Fragend sieht Lady ihn an. „Hab‘ hier ma‘ gewohnt. – Is‘ das Haus meiner Eltern...“, teilt er ihr mit belegter Stimme mit. Bromley hat ihr gegenüber bisher nur sehr selten über seine Familie gesprochen, doch jedes Mal schien es ihm überaus schwer zu fallen. Daher vermutet die Assel, dass er wohl nicht sehr gut mit seinen Eltern ausgekommen ist. Tröstend schmiegt sie sich gegen seine Hand. Der Weißhaarige bringt ein knappes Lächeln zustande und starrt dann noch eine Weile unschlüssig auf das Haus.
 

Irgendetwas daran kommt ihm anders vor. Gut, es ist Jahre her, dass er das letzte Mal hier war, aber das ist es nicht. Das Haus wirkt irgendwie so verlassen. Als er den Blick etwas schweifen lässt, fällt ihm auf, dass der Rasen in dem kleinen Garten sehr lang und an vielen Stellen auch völlig vertrocknet oder verwildert ist – etwas, dass seine Mutter trotz ihres geistigen Zustandes niemals zugelassen hätte. Die Schaukel, die ihm als kleiner Junge so viel Freude gemacht hat, hängt nur noch an einer rostigen Kette, wie ein zum Tode Verurteilter am Galgen. Anscheinend hat sich also schon lange niemand mehr darum gekümmert. Beim näheren Betrachten fällt ihm auch auf, dass die Fenster alle völlig trüb und verstaubt sind – etwas, dass seine Mutter ebenfalls nie zugelassen hätte. Die Eingangstür wirkt marode und ein paar Ziegel sind vom Dach gefallen. Mindestens einer davon liegt in Scherben auf der Verandatreppe.
 

„Vielleicht sollt’n wa‘ doch ma‘ reingeh’n?“, fragt er Lady schließlich. Die Reißlaus gibt ein nervöses Fiepen von sich und betrachtet das Haus mit Argwohn. In Bromley sträubt sich ebenfalls alles dagegen, das Gebäude, in dem er so viel Leid erfahren musste, wieder betreten zu müssen. Dennoch muss er sich Gewissheit verschaffen. Unbeholfen setzt er Lady auf dem Boden ab und steigt dann von der Suzuka. Dabei wirkt er so vorsichtig und aufmerksam, wie ein gebrechlicher, alter Mann, der vermeiden will zu stürzen, statt wie ein junger Bursche in der Blüte seiner Jahre. In diesem Moment kommt ihm sein eigener Körper richtiggehend fremd vor.
 

Mit steifem Gang erklimmt der Käfer-Trainer die wenigen Stufen. Lady folgt ihm dicht auch dem Fuß. Langsam streckt er die Hand nach der Klinke aus und hält dann inne. Die alte Angst kehrt in seinen Körper zurück – die tiefsitzende Furcht vor seinem Vater – und dass, obwohl er dem Mistkerl bei ihrem letzten Aufeinandertreffen so tapfer und nachdrücklich die Stirn geboten hat. In diesem Moment scheint dieser kleine Triumph nie existiert zu haben. Dann jedoch sieht er das liebenswürdige Gesicht seiner Mutter vor Augen, wie sie ihn so herzlich anlächelt. Sie war immer für ihn da und hat ihn immer geliebt und das gibt ihm letztendlich doch die Kraft die Tür zu öffnen.
 


 

2
 

Die warme Sonne dieses Vormittags scheint durch das schmutzige Küchenfenster und erhellt damit praktisch den Großteil des Hauses. Die Luft ist stickig und unbewegt. Endlose Stille liegt schwer wie ein Leichentuch über allem. Abermillionen winziger Staubteilchen wirbeln auf, als Bromley den Fuß über die Schwelle hebt und auf dem Hartholzboden absetzt. Viel weiter kommt er im ersten Moment auch gar nicht, denn seine Annahme, dass das Haus irgendwie verlassen aussieht, bestätigt sich jetzt nur allzu deutlich. Abgesehen von der fest eingebauten Küchenzeile, ist praktisch nichts mehr da. Das Haus, in dem er aufgewachsen ist, ist völlig leer!
 

Der Weißhaarige lässt den Blick schweifen, während ihn ein tiefsitzender Wehmut übermannt. Er musste hier so viel Leid ertragen und dennoch gab es auch so unendlich schöne Augenblicke mit seiner Mutter. Sie hat ihn immer geliebt und es bricht ihm regelrecht das Herz, dass sie jetzt nicht mehr da ist. Bei diesem Gedanken würde er am liebsten anfangen zu heulen. Er kann die heißen Tränen schon hinter den Augen brennen spüren, doch sie fließen nicht. Oh nein! Denn in diesem Moment fällt sein Blick auf das Einzige, was hier noch zurückgelassen wurde: Die Golftasche seines verhassten Vaters!
 

Fassungslos starrt der Käfer-Trainer sie an, während Lady Mut fast und das Haus zu erkunden beginnt. Dabei hinterlassen ihre huschenden Füßchen winzige Spuren auf dem staubigen Boden. Bromley achtet gar nicht auf sie, ist nur in der Lage diese Tasche anzustarren. Wie sehr sein Vater diese Schläger doch geliebt hat – viel mehr, als seinen eigenen Sohn – um ihm damit regelmäßig den Schädel einzuschlagen. Ein wahrhaftes Unding, dass er sie hier zurückgelassen hat. Doch da, wo seine Eltern jetzt leben, gibt es keinen lästigen Bengel, dem man Manieren einprügeln muss, also ist es auch nicht nötig gewesen sie mitzunehmen.
 

Langsam tritt der ehemalige Anführer von Team Skull weiter in das Haus hinein. Das Schlafzimmer seiner Eltern ist ebenfalls völlig leer und die Tür steht weit offen. Sein eigenes Kinderzimmer ist jedoch verschlossen. Etwas nervös tritt er an die Tür heran und legt die Hand auf die Klinke. Fiepend huscht Reißlaus neben ihn und gemeinsam wagen sie den Schritt in das Zimmer.
 


 

3
 

Als er sein altes Kinderzimmer betritt, wird er fast von den darin eingesperrten Erinnerungen erschlagen – Erinnerungen, die eigentlich etwas Schönes an sich haben sollten, doch in Bromley´s Fall sind es nur Erinnerungen an Schmerzen, Leid, Demütigung und Einsamkeit. Das kommt wohl dabei heraus, wenn man nach langer Zeit an einen vertrauten Ort zurückkehrt. Der Guss auf dem Kuchen ist im ersten Moment süß – wie die Nostalgie, die einem umfängt-, doch darunter schmeckt er schrecklich bitter, verdorben und faulig – wie all das Leid, das von diesen Wänden herabtropft, gleich dem Blut, das er hier nur allzu oft vergießen musste. Dennoch tritt er weiter in den Raum hinein und blickt sich um. Unsicher folgt ihm Lady und krabbelt vorsichtig auf das staubige Bett.
 

Hier ist noch alles so, wie er es in Erinnerung hat. Als seine Eltern verschwunden sind, hielten sie es wohl nicht für nötig, seine Sachen einzupacken und ihn vielleicht ausfindig zu machen, damit er sie abholt. Aber etwas Anderes hat er von ihnen nie erwartet. Doch vielleicht lässt sich hier ja auch etwas finden, dass ihn an schönere Zeiten erinnert auch, wenn es davon nicht allzu viele gegeben hat. Neben einem völlig verstaubten Pokal, der einen Pokéball auf seiner Spitze trägt und schwach silbern in der Sonne glänzt, die durch das schmutzige Fenster einfällt, steht ein gerahmtes Foto. Das Einzige, das Bromley je besessen hat und doch erinnert es ihn mit schrecklicher Schmerzhaftigkeit an eine Zeit, als sein Leben noch in Ordnung zu sein schien. Das Foto zeigt ihn als sechsjährigen Jungen, blass, zu groß geraten, beinahe mager und dennoch mit strahlenden Augen und einem breiten Grinsen, das es einem unmöglich macht, nicht auch zu lächeln. Voller Stolz hält der kleine Bromley den silbernen Pokal in Händen, der neben dem Foto steht. Sein weiches, damals noch tiefschwarzes, normalerweise immer verstrubbeltes Haar, wurde kurz vor der Aufnahme von seiner Mutter mit gefühlten zehn Litern Wasser glatt gekämmt. Im Schein des Blitzlichtes sieht man deutlich die feinen Wassertropfen an seinen Haarspitzen glitzern.
 

Wenn Bromley nicht wüsste, dass er selbst auf diesem Bild ist, würde er es kaum für möglich halten, so albern sehen seine Haare aus, so fremd wirkt das glückliche Gesicht dieses unschuldigen Kindes. Der Junge hat eine breite Zahnlücke, die im scharfem Kontrast zu seinen Klamotten steht, die aussehen, als würde er auf eine Hochzeit oder etwas Ähnliches gehen. Der junge Mann kann sich nicht mehr erinnern, worum es bei diesem Wettbewerb ging und auf dem Fuß des Pokals steht nur, dass er den zweiten Platz bei den alljährlichen Pokémon-Spielen gewonnen hat, die damals in der Trainer-Schule ausgetragen wurden. Diese Veranstaltung gibt es schon seit vielen Jahren nicht mehr. Doch Bromley kann sich Anego sei Dank noch genau daran erinnern, was wenige Tage später passiert ist. Es ist, als wäre es erst gestern gewesen, obwohl er es Jahre lang erfolgreich verdrängt hat.
 

Kaum eine Woche nach dieser Aufnahme hat sein Vater sich eine Golfausrüstung gekauft. Schnell hat er jedoch gemerkt, dass er dafür keinerlei Talent hat und, dass das Spiel an sich auch ziemlich langweilig ist und hat es wieder aufgegeben. Erst recht, da es in Alola damals noch keine Golfanlage gab. Nicht einmal zehn Tage nach dem Wettbewerb hat sein Vater ihn dann, in einem wilden Wutausbruch mit einem Dreiereisen aus dieser Golftasche bewusstlos geprügelt. Bis heute kennt Bromley den Grund für diese Tat nicht,- schien es doch so, als wäre der wehrlose Junge einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort-, doch er hat damit das Leben seines einzigen Kindes vollkommen zerstört. Mit schrecklicher Bitterkeit erinnert er sich, dass dies aber erst der Anfang einer immer wiederkehrenden Prügelstrafe war, die stets mit den Worten eingeleitet wurde: ‚Bromley, was treibst du denn da?‘, und die für den Weißhaarigen zu einem nie enden wollenden Mantra seines Versagens werden sollten.
 

Unbändige Wut packt den Käfer-Trainer plötzlich, wie damals seinen Vater, und er schleudert das Bild zu Boden. Klirrend zerspringt das Glas des Rahmens und Lady, die bis dahin neugierig über das verstaubte Bett gekrabbelt ist, schreckt heftig zusammen und betrachtet ihren Besitzer mit vorwurfsvollen Augen. Matt lächelt Bromley dem scheuen Pokémon entgegen. „Ich glaub‘, du solltest dich lieber irgendwo verstecken, meine Kleine. Das hier wird jetz‘ äußerst unschön für dich…“ Irritiert betrachtet ihn der Käfer, sieht, wie er in den Flur geht und kurz darauf mit dem lädierten Dreiereisen seines Vaters zurückkommt. Schlagartig versteht das Pokémon, was gleich passieren wird, flitzt aus dem Zimmer und versteckt sich unter der Küchenspüle.
 

Nur einen kleinen Augenblick später ertönt ohrenbetäubender Lärm, als Bromley all seine Wut, seine Enttäuschung und seinen Schmerz in den Schläger fließen lässt und sein ehemaliges Zimmer damit in einen Ort verwandelt, der aussieht, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Nichts scheint vor seinen Schlägen sicher zu sein und dennoch haben sie etwas so dermaßen Befreiendes an sich, dass sie ihm eine Befriedigung bescheren, die ihm bis dato völlig unbekannt war. Dieses Hochgefühl treibt ihn noch weiter an. So verlässt er sein zertrümmertes Zimmer und macht im Rest des Hauses weiter. Hier gibt es zwar fast Nichts, was seine Eltern zurückgelassen haben, aber allein schon das Geräusch, mit dem der Metallkopf des Schlägers auf einen anderen Gegenstand trifft, versetzt den Weißhaarigen noch mehr in Ektase. Versteckt im hintersten Teil seines Verstandes, kann er beinahe nachvollziehen, wie viel Freude sein Vater beim Benutzen dieses Schlägers verspürt haben muss, aber eben nur beinahe.
 

Angesichts seines Wutausbruchs würde man wahrscheinlich nicht glauben, dass Bromley diese zweckentfremdete Waffe niemals gegen ein lebendes Objekt einsetzen würde. Doch es ist so. Der Käfer-Trainer tut zwar immer unglaublich brutal und hat auch schon einige Leute ins Krankenhaus befördert, doch er würde nie im Leben darauf kommen und so feige sein, irgendetwas anderes gegen jemanden einzusetzen, als seine eigenen Fäuste. Waffen – seien es Gegenstände oder sogar Pokémon, die dazu missbraucht werden-, sind etwas Schreckliches. Das weiß er schließlich selbst am besten und jeder, der sie einsetzt, um einem anderen Menschen oder Pokémon körperlichen Schaden zu zufügen, ist einfach nur armselig und verdient das höchste Maß an Verachtung, das man ihm entgegenbringen kann. Auch, wenn er es niemals laut aussprechen oder gar nur denken würde, so schlummert in Bromley doch der tiefe Wunsch nach einem fairen Kampf. Völlig egal, wer oder was sein Gegner auch sein mag, er stellt sich ihm nur mit bloßen Fäusten entgegen und ist gewillt, ihm so eine Chance zu lassen, sich zu verteidigen. Was allerdings nicht bedeutet, dass er ihm eine Chance lässt zu gewinnen. Das lässt sein Stolz einfach nicht zu oder besser gesagt, der eingeprügelte Gedanke immer gewinnen zu müssen.
 

Doch dieses Haus lebt nicht, schon lange nicht mehr, hat es vielleicht sogar nie, und daher ist es auch kein Problem für den ehemaligen Skull-Führer alles daran auszulassen und dabei den Gegenstand zu benutzen, der auch sein Leben zerstört hat. Diese Tatsache gleicht viel mehr einer Genugtuung, als alles andere, da sein Vater ja nicht mehr hier ist, um sich von ihm mal ein bisschen mit dem Dreiereisen den Schädel verbiegen zu lassen. Und Bromley hofft für diesen miesen, alten Dreckskerl, dass sie sich nie wieder begegnen. Denn sonst wird er seinen letzten Atemzug machen und der Weißhaarige wird mit Freuden zusehen, wie er sich in seinem Elend windet, so wie sein Vater lachend über ihm stand, nachdem er ihm mit dem Dreiereisen verdroschen hat! Ein irres Lachen entkommt dem jungen Mann und er hebt erneut den Schläger. Er holt aus und dann…
 


 

4
 

Plötzlich stoppt er mitten in der Bewegung. Suns schreckgeweitete Augen starren ihn hilflos an, während das Dreiereisen nur wenige Zentimeter über dem Kopf des Jüngeren zum Stehen kommt. Bromley schluckt überrascht, tritt einen Schritt zurück und wirft den Schläger zur Seite. Dann räuspert er sich und vertriebt damit den Schreck, den das plötzliche Auftauchen des jungen Trainers in ihm ausgelöst hat. Abweisend verschränkt er die Arme vor der Brust und mustert den Bengel, der sein ungewollt ewiger Widersacher zu sein scheint. Der Schwarzhaarige blickt ihn noch immer völlig überfordert an.
 

Gute Zeiten für Veränderungen

Schau, das Glück, das ich hatte,

Kann aus einem guten Mann

Einen bösen machen
 

Nichts ahnend ging er hier vorbei, um zum Haus seiner Mutter zu gelangen, als er den Lärm von drinnen hörte. Vorsichtig wollte er nachschauen, konnte jedoch nicht ahnen, dass es ausgerechnet Bromley ist, der hier wütet. Eigentlich dachte Sun, dass der ehemalige Skull-Boss nach der Sache mit Anego und der Auflösung seiner Truppe, wieder so etwas wie ein normales und friedliches Leben führen würde, war es doch so lange ruhig um ihn. Doch da scheint er sich wohl getäuscht zu haben. Trägt er doch sogar immer noch seine Skull-Sachen auch, wenn auf seinem Rücken nun ein rotes X den Totenschädel überzieht.
 

Also bitte, bitte, bitte

Lass mich, lass mich, lass mich

Lass mich haben, was ich will

Nur dieses eine Mal
 

Allerdings ist da etwas Neues an dem Käfer-Trainer. Seine grauen Augen glänzen jetzt völlig klar, ganz anders, als Sun sie in Erinnerung hat. Er macht den Eindruck eines Mannes, der durch eine Folter gegangen ist, deren Narben er zu tragen hat, die ihn aber seinem Ziel einen großen Schritt näher gebracht hat.
 

Seit langem hatte ich keinen Traum mehr

Schau, das Leben, das ich hatte,

Kann einen guten Mann

Einen bösen machen
 

„Ey, du! Ich weiß nich‘, waste hier zu such’n hast, aber dein Timing könnt‘ nich‘ besser sein. Komm zur Strandpromenade in Hauholi City!“, sind die einzigen Worte, die Bromley ihm zuteil werden lässt. Sun versucht noch, das Ganze irgendwie in seinen Kopf zu bekommen, da drängelt sich der Weißhaarige schon beinahe grob an ihm vorbei. Noch ehe er dem Älteren auch nur irgendeine Antwort geben kann, sitzt dieser schon auf seiner schweren Maschine. Sie sieht noch genauso aus, wie der Katzen-Trainer sie in Erinnerung hat – mit dem feinen Unterschied, dass nirgends mehr auch nur ein einziges Skull-Symbol zu sehen ist. Dennoch wirkt die goldschwarz lackierte Suzuka nicht minder beeindruckend.
 

Also lass mich wenigstens dieses eine Mal in meinem Leben

Haben, was ich will

Gott weiß, es wäre das erste Mal

Gott weiß, es wäre das erste Mal
 

Der Junge setzt an, doch noch etwas zu sagen, da flitzt plötzlich die rote Reißlaus an ihm vorbei. Geschickt krabbelt sie in Bromley’s Kapuze und dann röhrt auch schon der Motor auf. Der Weißhaarige wirft ihm einen letzten, undefinierbaren Blick zu, dann gibt er Gas und verschwindet in einer dicken Staubwolke. Unschlüssig bleibt Sun zurück. Nach einer Weile setzt er seinen Weg dann fort. Er ist durchaus gewillt, Bromley’s Aufforderung nachzukommen. Allerdings wird er erst einmal bei seiner Mutter vorbeischauen, so viel Zeit muss einfach sein!
 


 

5
 

„Da biste ja endlich! Na dann, Sun, kämpf mit mir! Ich hab‘ zwar Team Skull aufgelöst, aber ich bin trotzdem noch ganz der Alte! Jetz‘ wirste nämlich seh’n, was es heißt, so richtig plattgemacht zu werd’n!“, ertönt es von dem Älteren, kaum, dass der Junge den Strandabschnitt betreten hat. Und der Schwarzhaarige ist durchaus gewillt ihm das auch zu glauben. Nicht, dass es ihm gelingen wird, Sun so einfach zu besiegen, aber, dass er immer noch der Alte ist. Bromley’s ganzes Auftreten ist wild, kampflustig, dominant, herausfordernd, ja regelrecht herabwürdigend – ganz so, wie Sun ihn damals im Ziergarten kennengelernt hat. Der einzige Unterschied ist – wie von dem Weißhaarigen auch betont – dass nun kein Team mehr hinter ihm steht. Doch bei der einnehmenden Persönlichkeit des Älteren ist das eine durchaus zu vernachlässigende Sache. Diese Tatsache bereitet dem jungen Trainer aber dennoch etwas Kopfzerbrechen, kann er sich doch noch sehr gut an Bromley’s Ausbruch damals erinnern, wo er sich selbst verletzt hat, um sein Versagen zu kompensieren.
 

Seitdem ist viel Zeit vergangen und der Käfer-Trainer hat einiges an Wandlung durchgemacht. Dennoch stellt sich der Junge unweigerlich die Frage, ob sich der Ältere wieder Schaden zufügen wird, wenn er verlieren sollte. Weit und breit ist außer ihnen niemand hier am Strand. Mittlerweile ist es schon fast Abend und dementsprechend ruhig in Hauholi City geworden. Wenn überhaupt, sind nur sehr wenige Leute im nahe liegenden Einkaufsviertel zu sehen und darunter ist wahrscheinlich niemand, der den Mut und die Kraft aufbringen kann, Bromley von seiner Dummheit abzuhalten. Falls die Leute überhaupt der Meinung sind helfen zu wollen, statt nur daran zu denken, welchen Ärger sie wegen Team Skull all die Zeit über hatten und dementsprechend nicht einsehen wollen, dass sich inzwischen alles geändert hat und es die Truppe auch gar nicht mehr gibt. Den beiden Rüpeln fiel es damals schon schwer, ihren Boss davon abzuhalten und Sun ist ganz allein. Allerdings kommt ihm der Ältere inzwischen viel vernünftiger, man könnte auch sagen erwachsener, vor und daran klammert er sich. Trotz all seiner Bedenken, würde Sun dennoch nicht so weit gehen und den Weißhaarigen gewinnen lassen nur, um ein solches Drama zu verhindern.
 

Aber wer weiß, vielleicht ist der Käfer-Trainer inzwischen auch so stark geworden, dass er ihn diesmal besiegt? Ganz ausschließen will Sun das nicht. Bromley war schon immer ein ernst zunehmender Gegner, der es ihm nie wirklich leicht gemacht hat. Die Zeit wird es zeigen und als erster Champion der neugegründeten Pokémon-Liga hat der Katzen-Trainer auch einen gewissen Ruf zu verteidigen. Dieser Kampf hier hat zwar nichts Offizielles, da er nicht auf dem Mount Lanakila stattfindet und Bromley ihn somit nicht vom Thron stoßen kann, dennoch wäre es eine Schande und der Weißhaarige würde mit seinem Sieg dermaßen prahlen, dass Sun fürchten muss, als Trainer nicht mehr ernst genommen zu werden. Und wer weiß schon, ob ihm sein Titel deswegen nicht sogar aberkannt werden könnte? Darüber will der Junge gar nicht nachdenken. Also schiebt er seine Bedenken beiseite und tritt dem Älteren gegenüber. „Wir werden ja sehen, wer hier wen plattmacht!“, tönt der Junge herausfordernd und betont dabei das Lieblingswort seines Gegenübers besonders stark. Auf den Gesichtern der beiden Kontrahenten zeichnet sich ein herausforderndes Lächeln ab und sie greifen kampfbereit nach ihren Pokébällen.
 


 

6
 

Wie nicht anders zu erwarten, schickt Bromley als erstes sein Tectass in den Ring. Sun antwortet dem Ganzen mit Snobilikat. Dem Kater gelingt es mit seinem Mogelhieb den Überrumpler des Käfers auszustechen und so selbst den ersten Treffer zu landen. Das lässt sich der Samurai aber nicht gefallen und so entbrennt ein Schlagabtausch zwischen den beiden, bei dem Tectass allerdings den Kürzeren zieht, als seine Energie in den kritischen Bereich absinkt und es so gezwungen ist, sich zurückzuziehen. Bromley nimmt das aber noch recht locker hin, es gehört schließlich zu seiner vernichtenden Technik, dass sich sein Partner später noch einmal in den Kampf einmischen kann.
 

Nun ist Ariados an der Reihe und so entscheidet sich der Katzen-Trainer dafür Fuegro in den Kampf zu sicken. Die große Spinne trumpft auch sogleich mit einer neuen Attacke auf. Der Arachnide spuckt einen Giftfaden auf den Feuertiger. Das klebrige Zeug erschwert dem Kater das vorankommen, hindert ihn jedoch nicht an der Bewegung. Dafür wird er allerdings vergiftet. Nicht sonderlich glücklich nimmt Sun dies zur Kenntnis. Der Weißhaarige gibt ihm jedoch nicht die Chance sein Pokémon zu heilen, sondern attackiert ihn wie wild. So bleibt dem jungen Champion nichts anderes übrig, als dem ebenso hart zu antworten. Gegen den flammenden Feuerzahn hält die Spinne allerdings nicht lange durch. Während sich der Käfer-Trainer noch über seinen Verlust ärgert, hat Sun dann doch die Zeit Fuegro zu heilen.
 

Das war auch bitter nötig, denn schon steht Pinsir kampfbereit auf dem Feld und lässt seine gewaltigen Zangen lautstark zusammenschlagen. Knurrend stellt sich ihm der Feuerkater entgegen. Der Schwarzhaarige ist nicht besonders überrascht davon, dass auch Pinsir zu einer neuen Attacke ansetzt. Bromley scheint sein einsames Training der letzten Monate sehr ernst genommen zu haben, um Sun endlich auf die Matte schicken zu können. Ein wenig beeindruckt dies den Katzen-Trainer schon. Er hat jedoch nicht viel Zeit, um sich darüber zu freuen, denn bei der neuen Attacke handelt es sich um Guillotine. Sollte Pinsir damit ein Treffer gelingen, wäre Fuegro auf der Stelle besiegt!
 

Nervös bangt Sun und sein Hoffen wird zum Glück erfüllt. Verärgert grummelt Bromley in sich hinein, doch nur für einen Augenblick, dann befielt er schon den nächsten Angriff. Steinkante hat Sun ebenfalls noch nicht bei dem Weißhaarigen gesehen und es gelingt Fuegro auch nicht ganz allen spitzen Steinen auszuweichen. Ein paar treffen den Kater ziemlich schmerzhaft, doch er hält durch und setzt zum Gegenangriff an. Pinsir ist allerdings noch nicht erledigt und holt seine dritte neue Attacke hervor: Bergsturm. Es gelingt dem Käfer seinen Gegner zwischen seinen Zangen einzuklemmen und ihn so heftig herumzuwirbeln. Am Ende des Angriffes schlägt Fuegro hart auf dem Boden auf. Nur schwerlich gelingt es dem Feuerkater wieder auf die Beine zu kommen.
 

Entgegen aller Annahmen trifft der Feuerzahn Pinsir nun heftig und schickt den Käfer auf die Matte. Eine gewisse Erleichterung geht durch den jungen Champion. Trotzdem gesteht er sich innerlich ein, dass Bromley doch ganz schön stark geworden ist und, wer weiß schon, was er noch alles an Neuerungen auftrumpft, die Sun wirklich gefährlich werden könnten? Immerhin hatte der Weißhaarige bei ihrem letzten Kampf schon vier Pokémon in petto und Tectass muss man auch noch doppelt zählen. Hat er jetzt noch ein weiteres Pokémon, sind das fünf – mit Tectass zweitem Einsatz ganze sechs – Gegner, denen Sun mit nur drei Partnern gegenübersteht. Ein ziemlich harter Brocken. Doch er hätte ganz sicher nicht die Pokémon-Liga bestanden, wenn ihn das an etwas hindern sollte.
 

Nun schwebt Maskeregen über das Feld. Der Schwarzhaarige wirft einen prüfenden Blick zu Fuegro, doch der Kater ist gewillt noch etwas durchzuhalten. Dies ändert sich jedoch schlagartig, als der Kater vom Energieball des Falters getroffen wird. Zwar sind Feuer-Pokémon nicht sonderlich empfindlich auf Pflanzen-Attacken, doch der Tiger hat schon einiges hinter sich und ist zu geschwächt, um das lange auszuhalten. So schickt Sun Snobilikat ein weiteres Mal aufs Feld. Sein Mogelhieb gelingt auch jetzt und verschafft ihm so einen kleinen Vorteil. Als Maskeregen allerdings einen Eisstrahl auf den Kater abfeuert, friert der Vierbeiner hilflos ein und kann sich nicht mehr bewegen.
 

Sun fürchtet schon, dass es das jetzt gewesen ist. Bromley befiehlt seinem Partner nun Luftschnitt. Die Attacke trifft gut auch, wenn sie durch das Eis etwas gedämpft wird. Das Ganze hat jedoch den positiven Effekt, dass das Eis durch die scharfkantige Luft Risse bekommt und so gelingt es Snobilikat sich wieder zu befreien. Damit hat der Käfer-Trainer nun wirklich nicht gerechnet und ärgert sich erst recht. Sun hat damit ebenfalls nicht gerechnet, freut sich jedoch sichtlich darüber. Ein, zwei Angriffe später ist auch Maskeregen am Ende und wird von dem Weißhaarigen wieder zurückgerufen.
 

„Freu dich bloß nich‘ zu früh, Kleiner! Noch bin ich nich‘ am Ende!“, höhnt der Ältere dann und schickt ein Scherox aufs Feld. Sun hat es ja schon befürchtet und nun bewahrheitet es sich: Bromley hat ein neues Pokémon! Zudem ein sehr starkes und schnelles. Der Schwarzhaarige beginnt sich ernsthaft Sorgen zu machen. Viel Zeit bleibt ihm jedoch nicht. Snobilikat ist auch nicht mehr sonderlich fit, also muss er das Ganze möglichst schnell hinter sich bringen. Seine Gedanken werden aber schon mit dem ersten Angriff auf die Probe gestellt. Blitzartig prescht Scherox zu einem vernichtenden Patronenhieb vor.
 

Der junge Champion ist von der Geschwindigkeit des Käfers nahezu überwältigt, dachte er doch, dass Tectass schon schnell sei. In allerletzter Sekunde gelingt es ihm eine Entscheidung zu treffen und Snobilikat erneut Mogelhieb zu befehlen. Der Angriff von Scherox hat ebenfalls eine erhöhte Priorität, doch Mogelhieb ist noch schneller. Dies wirft den rotgefärbten Käfer doch ziemlich aus der Bahn und er braucht einen Moment, um sich wieder zu sammeln auch, wenn ihm der Treffer dank seines stahlharten Panzers kaum Schaden zugefügt hat. Das ermöglicht Sun aber die nötige Vorbereitung, um diesen Kampf endgültig zu beenden. Schließlich ist Bromley nicht der Einzige, der mit neuen Attacken auftrumpfen kann!
 

Daher entscheidet er sich für Snobilikats neue Z-Attacke: Das Schwarze Loch des Grauens. Und dieser Unlicht-Angriff hat es wirklich in sich. Eingehüllt in die mächtige Z-Aura ihrer tiefen Verbundenheit, springt der Kater hoch in die Luft. Über seinem Kopf entsteht dann plötzlich eine Art Lichtkugel, die lila, dunkelrot und tiefschwarz leuchtet. Sie allein sieht schon sehr beeindruckend und furchterregend aus. Bromley ist anzusehen, wie sehr ihm dieser Angriff widerstrebt, allein schon, weil er selbst nicht in der Lage ist Z-Attacken einzusetzen und sie daher zutiefst verachtet.
 

Der Angriff wird jedoch noch viel beeindruckender. Snobilikat lenkt die Kugel nun auf Scherox. Dabei schrumpft sie zu einem Schwarzen Loch zusammen, das eine unglaubliche Saugwirkung entwickelt. Haltlos wird der rote Käfer hineingezerrt und verschwindet vom Feld. Das Schwarze Loch bläht sich nun wieder auf und endet in einer heftigen Explosion, die den ganzen Strand erzittern lässt. Als sich Sand und Staub wieder legen, liegt Scherox kampfunfähig am Boden. Dankbar ruft Sun seinen Kater zurück. Er hat mehr als genug geleistet und kann sich nun ausruhen.
 

So wird sich Elektek Tetctass entgegenstellen. Der Kater kann dem neuerlichen Überrumpler jedoch nichts entgegensetzen und steckt daher ganz schön etwas ein. Das Elektro-Pokémon setzt einen Donnerblitz nach, der wiederum dem Käfer ziemlich zu schaffen macht, doch er hält sich noch. Bromley hätte sich mit dem Training seiner Partner ganz sicher nicht so viel Mühe gegeben, wenn nicht auch der Samurai eine neue Attacke beherrschen würde. Und kaum, dass Sun dieser Gedanke gekommen ist, rollt die Kaskade auch schon hart über Elektek hinweg. Der ganze Strand steht für einen Augenblick knietief im Wasser, ehe die Flut ins Meer abfließt. Das feuchte Nass juckt den Kater allerdings nicht sehr auch, wenn er davon regelrecht von den Füßen gerissen und über den Strand gespült wird.
 

Der nun ordentlich feuchte Sand verstärkt aber die Kraft seines Donnerblitzes erheblich und so geht auch Tectass endlich zu Boden. Fassungslos steht Bromley mit offenem Mund da und starrt auf seinen am Boden liegenden Partner. „Schon wieder? Wieso gelingt’s mir einfach nich‘, dich plattzumach’n?“, entkommt es ihm stockend und mit einem unterdrückten Knurren. Sun kann die unbändige Wut und Enttäuschung in seinen grauen Augen sehen und er fürchtet schon, dass es nun wieder passieren wird, dass er sich nun wieder selbst verletzt und der Schwarzhaarige völlig machtlos daneben stehen muss. Einen schrecklichen Moment lang starren sich die beiden ewigen Rivalen einfach nur an. Der eine aufgelöst in seiner Niederlage, der andere bangend auf das Folgende...
 


 

7
 

Doch nichts dergleichen passiert. Stattdessen regt sich der Weißhaarige wieder ab, atmet tief durch und der Beginn eines resignierenden Lächelns schleicht sich auf seine Lippen. Es kommt jedoch nicht bis an die Oberfläche, denn auf einmal betritt Hala völlig unerwartet den Strand. „Das war wirklich beeindruckend, Sun!“, ruft er schon von weitem und kommt dann zu den beiden hinüber. Bromley gibt ein verachtendes Schnaufen von sich und mustert den rundlichen Mann voll trotziger Strenge. „Biste extra angetanzt, um mich verlier’n zu seh’n, alter Mann? Als Inselkönig haste wohl nix Bessres zu tun, wa‘?“, höhnt er angesäuert und verschränkt abwehrend die Arme vor der Brust.
 

Vater: Es ist an der Zeit, etwas zu verändern

Beruhige dich erst mal und mach langsam

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du musst noch so viel lernen
 

Seufzend schüttelt Hala nur mit dem Kopf und bedenkt den jungen Mann mit einer Mischung aus Tadel und Nachsicht. „Lass mich dir ein Geheimnis verraten: Die Welt dreht sich nicht nur um dich! Ich bin hier, weil ich Sun gesehen habe, nicht wegen dir.“, entgegnet er dem Weißhaarigen schließlich matt, beinahe belustigt. Dieser Unterton entgeht dem Größeren aber keinesfalls. „Du willst wohl, dass ich dich plattmache?!“, schnaubt er angriffslustig und ballt drohend die Fäuste. Auch dies nimmt Hala mit einem kleinen Kopfschütteln seufzend zur Kenntnis. „Bromley – du hast immer noch nicht verstanden, warum man gegen andere antritt und sich mit ihnen misst. – Es geht darum, alles aus sich herauszuholen und gleichzeitig dem Gegner zu ermöglichen, ebenfalls sein Bestes zu geben. Es geht nicht darum, den Gegner plattzumachen, sondern darum, stärker zu werden!“
 

Such dir ein Mädchen, werde sesshaft

Du kannst heiraten, wenn du willst

Schau mich an: ich bin alt, aber glücklich
 

Verständnislos mustert Bromley den kleinen Mann und legt die Stirn in Falten. „Ich weiß nich‘, waste da laberst, alter Mann. Is‘ eben meine Art, Gegner plattzumachen!“, versucht er sich halbherzig zu rechtfertigen, doch es klingt schon so, als wolle er aufgeben. Ihm fehlen einfach die richtigen Argumente, um sich verständlich zu machen. Und er weiß aus Erfahrung nur zu gut, dass Hala ihm immer etwas entgegenbringt. „Das sah für mich gerade etwas anders aus. Du hast zwar gesagt, du willst Sun plattmachen, aber ist nicht vielleicht tief in dir der Wunsch gekeimt, gegen ihn zu gewinnen?“, bemüht sich der Inselkönig ein letztes Mal, da er doch sieht, dass dort etwas in Bromley ist, das noch nicht da war, als er ihn zuletzt an der Seite von Kukui hat kämpfen sehen.
 

Ich war früher auch wie du und weiß deshalb,

Dass es nicht leicht ist,

Stillzuhalten, wenn man merkt, dass sich etwas tut
 

„Was faselste da? So’n Schwachsinn!“ Nun reicht es dem Käfer-Trainer aber wirklich. In seinem Kopf herrscht völlige Verwirrung und er weiß nicht mehr, was er überhaupt denken geschweige denn sagen soll. Allerdings taucht nicht mehr der Wunsch in ihm auf sich selbst zu schaden, um dies alles zu kompensieren. Stattdessen fühlt er sich einfach nur hilflos und missverstanden und das schmeckt ihm gar nicht, weshalb er einen gröberen Ton anschlägt und sich dann beleidigt abwendet. Mit verschränkten Armen starrt er stur auf das Meer hinaus und versucht die Worte des Älteren zu ignorieren. „So wie du jetzt bist, Bromley, wird es dir nie gelingen, gegen Sun zu gewinnen. Du musst die Stärke deines Gegners anerkennen und versuchen, ihn irgendwann zu übertreffen, indem du dich mit anderen Menschen und Pokémon misst! Das ist es, was du wirklich willst. Das sehe ich dir an.“
 

Aber lass dir Zeit, denk ausgiebig über alles nach,

Denk an das, was du hast,

Denn morgen bist du auch noch da, deine Träume vielleicht nicht
 

Hala will noch nicht aufgeben auch, wenn er das Gefühl hat, dass sich der Weißhaarige immer mehr von ihm abschottet. In ihm schlummert immer noch das uneinsichtige Kind von damals. „Du führst dich ja immer noch wie mein Lehrmeister auf, dabei hab‘ ich dich schon lange abgehakt!“, knurrt der Käfer-Trainer ein letztes Mal. Es bricht Hala fast das Herz, doch er lässt es sich nicht ansehen, sondern wendet sich dem jungen Champion zu. „Sun. Ich werde mich dieses Hohlschädels – nein, dieses Riesenhohlschädels annehmen! Ich schwöre bei meinem Titel als Inselkönig, dass ich aus ihm einen vorbildlichen Trainer machen werde. Als Wiedergutmachung für die Sünden von Team Skull, könnte man sagen.“, teilt er dem Schwarzhaarigen zuversichtlich mit und, dass gerade so laut, dass Bromley es auch noch hören kann.
 

Sohn: Wie soll ich das nur erklären?

Ich weiß nicht, wohin mit mir

Es ist immer dasselbe Lied
 

Dieser gibt daraufhin nur einen sehr verstimmten Laut von sich und schmollt noch mehr in sich hinein, was ihm erneut das Aussehen eines bockigen Kindes verleiht. Tief im Innern kann sich Sun sehr gut vorstellen, dass das Ganze dem Käfer-Trainer so gar nicht schmeckt. Ist ja auch schon irgendwie mies, dass er immer gegen den Jüngeren verliert und sich nach all der Zeit jetzt auch noch von seinem ehemaligen Lehrmeister so vorführen lassen muss. An seiner Stelle wäre Sun jetzt wohl auch nicht sonderlich gut drauf. Allerdings kann er auch Hala verstehen und er bewundert es sehr, dass der ältliche Inselkönig noch die Kraft und den unbändigen Elan hat, Bromley auf die richtige Spur bringen zu wollen und, dass nach all dem Leid und der Enttäuschung, die der Weißhaarige ihm bereitet haben muss.
 

Vom ersten Moment an, von dem ich sprechen konnte,

Musste ich immer zuhören,

Aber jetzt sehe ich einen Weg für mich und weiß,

Dass ich gehen muss
 

Hala geht sogar noch weiter und ignoriert den kindlichen Trotz des hochgewachsenen Jungen. Herzhaft beginnt er zu lachen und spricht einfach weiter. „Wir beide werden viel herumreisen, uns erwartet eine strahlende Zukunft! Wir werden vielen Menschen und Pokémon begegnen und dabei jede Menge Spaß haben!“ Seine Augen, eingebettet in ein Netz winziger Fältchen, sind dunkel und ausgeglichen. Sie blicken den Weißhaarigen voll klarer Intelligenz und aufrichtiger Hingabe an. Es sind Augen, die einem den hohen Stand des rundlichen Mannes klarmachen und dennoch wirken sie so freundlich und offen, als würde man mit seinem eigenen Großvater sprechen. Dieser Blick hat Bromley schon immer das Gefühl gegeben von ihm lernen und zu ihm aufsehen zu können, selbst dann noch, als er ihm längst über den Kopf gewachsen war und anfing ihn zu verachten. Eine seltsame Mischung aus Scham und Hoffnung steigt in dem Käfer-Trainer auf. Fast schon wehmütig sieht er mit an, wie Hala sich jetzt lächelnd abwendet und den Strand wieder verlässt.
 

Vater: Es ist an der Zeit, etwas zu verändern

Setz dich erst mal und lass es ruhig angehen

Du bist noch jung, das ist dein Problem

Du musstest schon so viel durchmachen
 

Trotz all dem Scheiß, den Bromley gemacht hat und wie sehr er sich ihm gegenüber auch unschön ausgedrückt und benommen haben mag, scheint Hala dennoch nicht aufgeben zu wollen, ihm den Kopf zu waschen und das rührt den ehemaligen Skull-Boss fast zu Tränen. „Meister…“, flüstert er ihm nach und beinahe schmerzlich wird ihm klar, wie lange er dieses Wort schon nicht mehr benutzt hat; wie viel Zorn sich nur gegen diesen Mann und die ganze beschissene Welt in ihm aufgestaut hat. Bevor er aber völlig in seinem Selbstmitleid versinkt, fällt ihm wieder ein, dass Sun ja auch noch hier ist. Schnell sind die nicht vergossenen Tränen vergessen und er dreht sich ruppig zu dem Jungen herum, mustert ihn streng und eindringlich. Aber mit jedem Wort, das er dem Jüngeren zuteil werden lässt, wird sein Blick weicher und seine Stimme ruhiger. „Ich werd‘ mich nich‘ bei dir entschuldigen, Sun! Und ich tu das auch nich‘ als Buße oder so. Sei einfach still und nimm das hier. Das is‘ so was wie ‘n Glücksbringer, den ich nach mei’m ersten Sieg bekomm‘ hab‘. Aber meine Käfer-Pokémon könn‘ damit eh nichts anfangen, daher is‘ es bei dir sicher besser aufgehoben…“
 

Sohn: Ich muss gehen

Und diese Entscheidung muss ich allein treffen

Die ganze Zeit über war ich traurig

Habe meine Gedanken für mich behalten
 

Vielleicht ist Bromley nur ein kleiner Ganove, der ihm ständig Steine, ja ganze Felsbrocken, in den Weg geworfen hat, um ihn am Weiterkommen zu hindern, doch als er ihm jetzt den Entwicklungsstein überreicht, wirkt er gebrochen. Sun hat plötzlich unglaubliches Mitleid mit ihm. Der Weißhaarige sieht so traurig aus, erst recht, weil er schon wieder gegen ihn verloren und Hala das auch noch mitangesehen und ihn zurechtgewiesen hat. Er mag nur ein kleiner Ganove sein, aber einer, der sich bessern will! Den unbändigen Drang kann Sun ihm ansehen auch, wenn der ehemalige Skull-Führer es niemals zugeben würde, und innerlich wünscht er dem Käfer-Trainer alles nur erdenklich Gute, damit es auch funktioniert. Laut aussprechen kann er es jedoch nicht, da Bromley ihm zuvorkommt. „In Alola weiß man nie, was das Schicksal für ein‘ bereithält. Wer weiß, was aus mir wird? Bei unsrem nächsten Treffen wirstes erfahren.“
 

Es ist schwer,

Aber für mich wäre es noch schwerer, es zu verdrängen

Ich sehe jetzt einen Weg für mich und weiß, dass ich gehen muss
 

Dem Weißhaarigen gelingt es zu lächeln und in Sun kommt schon beinahe der unbändige Wunsch auf, sich auf dieses mögliche Wiedersehen zu freuen. Im Moment kann er es jedoch noch nicht so wirklich, zu sehr sind seine Gedanken noch bei Lilly und der angeschlagenen Samantha, die hoffentlich wieder zusammenfinden werden. Doch irgendwann sehen sich die beiden Jungs vielleicht wirklich wieder und dann werden sie ganz sicher zwei sehr ernst zunehmende Gegner sein und darauf freut sich Sun schon jetzt. Bromley hebt lässig die Hand und deutet damit so etwas wie einen Abschiedsgruß an, ehe er sie tief in seiner Hosentasche vergräbt und langsam den Strand verlässt. Der erste Liga-Champion des Inselparadieses bleibt allein zurück und winkt ihm noch eine Weile nach. Dann blickt er lächelnd auf den Funkelstein hinab, ehe er fest die Hand darum schließt und mit neuer Kraft und Zuversicht seinen Weg fortführt.
 

Vater: Diese Entscheidung musst du nicht allein treffen!

Lass dir helfen

Ich reiche dir die Hand und führe dich ins Licht,

Denn ich weiß, wie schwer es ist!


Nachwort zu diesem Kapitel:
Lied: The Smiths – Please, please, please - Übersetzung

Lied: Cat Stevens - father and son (leicht verändert) - Übersetzung Komplett anzeigen

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