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Schwäche

von

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Hatte Sasuke Uchiha dieses Glück verdient? Nein, wahrscheinlich nicht. Wenn es nach ihm gehen würde, und Rechenschaft nach seiner Prämisse verhängt worden wäre, nein, dann hätte er es wahrscheinlich seiner Meinung nach nicht verdient. Auch wenn er einen Großteil zu dieser Situation beigetragen hat und er sich somit auch gegen seine eigenen Prämissen hinweggesetzt hat. Obwohl er sich geschworen hat seine Entscheidungen nicht mehr von seinen Gefühlen bestimmen zu lassen, scheint es so als würde er sich über viele seiner Vorsichtsmaßen hinwegzusetzten. Ob diese Situation nun durch eine unbewusste Entscheidung oder durch eine durch ihn aktiv geleiteten Widerstand handelt, darüber war er sich nicht im Klaren. Selbst jetzt, so kurz vor der Geburt seines ersten Kindes wusste Sasuke nicht, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, nicht auf seinen Verstand zu hören und alles zu ignorieren, was er für richtig gehalten hat.
 

Doch was hatte es ihm jemals gebracht auf seinen Verstand zu hören? Mit jungen Jahren zwang ihn sein Verstand Entscheidungen zu treffen, die ihn bis heute noch verfolgen und die er tag täglich mit sich tragen muss. Wie der Verlust seines Armes zum Beispiel. An manchen Tagen wünschte sich Sasuke nicht verhindert zu sein. Nach vielen Jahren ohne linken Arm, hat er natürlich gelernt ohne leben zu können, dennoch schien ihn dieser Gedanke nicht zu verlassen. Vor allem jetzt schien dieser Gedanke wie ein alltägliches Echo, welches immerwährend seinen Geist einnimmt. Während des Tages war es einfacher nicht in Gedanken abzudriften, die ihm von seinen Pflichten ablenkten. Wenn er seinen Körper und seinen Geist trainierte, um wenigstens den Rest seines Körpers fit zu halten, verschwendete er fast nie Gedanken an sein verlorenes Körperteil. In der Nacht plagten ihn diese Gedanken dafür aber besonders, wenn er wach lag, weil ihn Rache, Wut und Zorn bis in seine Träume verfolgten. Besonders dann war es schwer - wenn er noch lange wach lag, wenn ihn die Träume daran hinderten seine Augen zu schließen. Aus Angst, Ermüdung und Erschöpfung nicht wieder in einen endlosen Albtraum zu fallen. Wach bleiben war gut, im wachen Zustand konnte ihn sein Unterbewusstsein nicht angreifen. Selbst heute - es ist schon ein ganzes Jahrzehnt vergangen - musste er gegen sich selbst kämpfen. Ein endloser Kampf, den er nicht wieder verlieren wollte.
 

Sasuke war nie jemand, der gerne in Träumen schwelgt. "Was wäre, wenn..." ist für ihn ein weit entferntes Konzept, welches er nicht verdient. Die Vergangenheit liegt in der Vergangenheit und kann nicht verändert werden, besonders er weiß das nur zu gut. Dennoch – vielleicht liegt es an den Veränderungen, die er in letzter Zeit erfahren hat – besonders jetzt scheint ihm der Verlust noch viel schmerzlicher als je zuvor.
 

Lange Zeit hat er sich nicht darum gekümmert, sein Arm, war nur sein Arm. Er hatte einen Zweiten - er brauchte nicht zwei, um die Leute zu beschützen, die er zu beschützen brauchte, auch wenn diese keinen Schutz mehr von ihm benötigten. Er wusste, dass seine Freunde keinen Bedarf mehr hatten, von ihm beschützt zu werden, wenn dies denn jemals der Fall war. Die einzigen Menschen, die ihm noch etwas auf dieser Welt bedeuteten, haben ihn in Sachen Stärke schon lange übertroffen, auch wenn er es niemals aussprechen würde. Das letzte Fünkchen Hochmut, was er noch in sich hegte, schien dagegen ankämpfen zu wollen, wieder arbeitete sein eigener Charakter gegen ihn. Weder Naruto, noch Sakura brauchten ihn in auf dieser Ebene, das wurde ihm nur allzu schmerzlich immer wieder bewusst. Beide tätig in der Ausbildung eines mächtigen San-Nin, beide im Besitz von unmenschlicher körperlicher Stärke. Nicht nur das: auch geistlich, waren sie ihm weit voraus. Stärke zu zeigen, heißt nicht nur Kämpfe zu bestreiten und diese auch zu gewinnen. Das musste er in seiner eigenen persönlichen Entwicklung schmerzlicher weise lernen. Stärke hieß auch sich einzugestehen, welche Schwächen man mich sich trägt, um an ihnen zu arbeiten. Stärke heißt es Gefühle zeigen zu können und diese auch auszusprechen. Seine Freunde waren sehr wohl fähig zu kämpfen und auch zu gewinnen. Sie waren stark, keine Frage, nein, das war es nicht. Seine Freunde brauchen keinen Schutz, jeder von ihnen hatte

selbst die Fähigkeit sich zu schützen. Wer aber Schutz brauchte, das war sein ungeborenes Kind. Das was dieses kleine, ungeborene Wesen brauchte, war den Schutz eines liebenden Vaters.
 

Seit er die Nachricht von Sakura bekam lag er viel öfter wach in der Nacht, verfolgt von alten und neuen Albträumen, neuen und alten Ängsten. Nicht nur das, zu seiner eigenen Überraschung realisiert er immer öfter wie er sich am Tag, nach dem Aufwachen, nach dem Essen, nach dem Training, währenddessen und vorher, in Gedanken verliert und völlig abwesend wird. Manchmal realisiert er erst später, wie er gelegentlich für mehrere Minuten durch die Gegend gestarrt hat, was von seinen Freunden mit Sorge beurteilt worden ist. Vor allem Sakura, die seine stumme Unzugänglichkeit kennt und eine Art Komfort darin gefunden hat, schüttelt ihn nach einigen Minuten aus seiner Starre, verwundert darüber, warum er nicht auf seinen Namen hört, den sie seit Minuten gerufen hat. Die Ruhe und klare Beobachtungsgabe (was vielleicht nur nettere Beschreibungen für seine extreme Introvertiertheit und soziale Inkompetenz waren) sind Dinge, die ihn beschreiben. Er war kein Mann großer Worte, dafür war er bekannt. Dennoch war dieser Zustand auffällig unauffällig. Es war als wäre er nicht Teil dieser Welt - das was seine Gedanken einnahmen, waren seine eigenen Sorgen.
 

"Sasuke?"
 

Seine Augen wanderten von dem großen, blühenden Strauch, den er anvisiert hat, um sich vollends konzentrieren zu können, zum Ursprung der Stimme seiner Ehefrau. Wie lange sie schon vor ihm stand war ihm unklar. Wahrscheinlich war er wieder zu sehr in Gedanken vertieft, um zu merken, dass sie nach ihm gerufen hat. Die rechte Hand war stützend an ihre Hüfte gelegt, ihre Stirn runzelte sich vor –
 

War es Sorge? War es Wut? Auch wenn Sasuke sie schon fast sein halbes Leben kannte, war es für ihn sehr mühsam, ihre Gesichtsausdrücke zu entziffern. Obwohl Sakura offen mit ihrer Person war und keinen Grund hatte etwas vor ihm zu verbergen, wurde ihm bitter bewusst,wie schwer es für ihn war Gefühle interpretieren zu können. Besonders im Vergleich zu anderen, schienen ihre Augen wie ein offenes Buch ihr Inneres nach außen zu beleuchten. Das hieß dennoch nicht, dass es ihn nicht von Mal zu Mal doch zur Weißglut brachte, wenn er wieder von etwas ausgegangen ist, was sie gar nicht implizieren wollte. Ein weiterer Punkt, der an ihm nagte und ihn sorgenvoll auf die Zukunft blicken ließ.
 

Vielleicht war es auch Enttäuschung, er würde es ihr nicht verübeln.
 

Als Sakura merkte, dass ihr Ehemann wieder unter den Lebenden weilte, deutete sich auf ihren Lippen eine Art schattenhaftes Lächeln an, ihre Augen waren immer noch scharf auf ihn gerichtet, mit diesem ganz bestimmten Blick. (Ab diesem Punkt brachte ihn seine

Unwissenheit schon Stück für Stück um.) Da sie nun seine vollkommene Aufmerksamkeit hatte, kam sie auf ihn zu und legte ihm die Hand auf seinen Kopf. Er wusste nicht wie lange er schon auf der ein und selben Stelle saß, aber es muss wohl solange gewesen sein, dass alle seine dunklen Haare nun jede Sonneneinstrahlung aufgesogen haben und nun brennend heiß im Gegensatz zu ihrer kühlen, heilenden Hand schienen. Nach dem zu urteilen wie sommerlich die Sonne heute auf seinem Kopf schien und so hoch wie diese am Himmel stand, müsste es schon fast Mittag sein.
 

"Bist du fertig mit meditieren? Ich wollte dich nicht stören."
 

Noch bevor er ihre Frage beantworten konnte, legte sie ihren Kopf in den Nacken und jammerte schließlich scherzhaft davon, wie heiß es denn schon wieder sei, obwohl es doch Anfang Mai war, und wie sie es bloß die nächsten paar Monate aushalten solle. Ihr Gesicht war erhellt durch warme Strahlen, die ersten Schweißtropfen liefen ihr die Schläfen entlang.
 

Er nahm ihre Hand, die vorher durch seine dunklen Locken gestrichen hat, in seine und setzte zur Antwort an: "Ich bin schon fertig."
 

Also streckte sie ihm noch ihre andere Hand aus, um ihn zum Aufstehen zu animieren, doch Sasuke hatte eine andere Idee und zog sie zu sich herunter, so dass sie selbst im Schneidersitz genau vor ihm saß. Es lagen nur noch ein paar Zentimeter zwischen ihnen. Ihr

Gesicht hatte sich schon längst wieder zu ihm gewandt. Verdutzt über sein ungewöhnliches Verhalten weiteten sich ihre Augen zuerst. Ihre hellen grünen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen mit Unverständnis.
 

Er konnte nicht sagen, dass er diesen Blick nicht gewöhnt war. Sasuke war ein Mann von Gewohnheit. Manche würden sein Leben vielleicht mit einer tristen Existenz gleichsetzen, eine Art weiterleben. Das Gewicht der Vergangenheit, die auf ihn lastet, auf den Schultern

tragend. Und oftmals konnte er im Stillem diesem auch zu stimmen. Oftmals, wenn er nach einem seiner dunklen Träume schweißüberströmt und mit schwerem Atem aufwacht. Mit tiefroten Augenbällen die nächste Mission annimmt, weil er nächtelang nicht schlafen konnte und nur vergessen will. Tagelang nicht die Fähigkeit hat mit jemanden zu reden, weil ihm seine eigenen Gedanken seine Brust zu schnüren und ihn atemlos lassen. Vielleicht fand er gerade deshalb Ruhe in der Routine, in der Alltäglichkeit und Friede in der

spannungslosen Monotonie. Es fühlte sich gut an vor ihr zu sitzen, ihr tief in die Augen schauen zu können und ein Gefühl von Wohligkeit zu empfinden, in ihr ein Zuhause zu finden.
 

Er würde lügen, wenn er sagen würde, dass Sakura die Lösung aller seiner Probleme war. Über einige Dinge in seiner Vergangenheit konnte und wollte er bis heute mit niemandem darüber reden. Er hatte schon lange realisiert, dass keine Person auf dieser Welt ihn von

seiner Last lösen würde, denn er musste schon früh lernen, dass Menschen in ihrem natürlichsten Zustand keine Antworten, sondern nur mehr Fragen zu sein schienen. Seine Albträume lösten sich nicht in Luft auf, er schrie Nächte durch ohne es währenddessen zu

merken.
 

(Sakura rieb sich an diesen Morgen die genauso roten Augen, wenn sie zitternd einen dritten Kaffee aufsetzte. Sie wusste, er hasst es darauf angesprochen zu werden, weil die Scham ihn übermannt, sie wieder die ganze Nacht wachgehalten zu haben, nicht in Kontrolle über seinen Körper und Geist.)
 

Viel zu oft konnte er seine blinde Rage nicht zurückhalten, seine Hände blutunterlaufend vom Training – abgeschottet von der Realität flüchtete er sich unbewusst in alte Gedanken. Sie heilte seine blutenden Hände, weil er an schlimmen Tagen seine Bandagen nicht selbst anlegen konnte, sein ganzer Körper durchzogen durch einen fiesen Tremor.
 

Oft endeten ihre Auseinandersetzung in blindem Geschrei, seine eigenen Gefühlen übermannten und verwirrten ihn, die einzigen Bewältigungsmechanismen, die er kannte waren wilde Wut und Rage oder eine einnehmende Gefühlskälte.
 

Sie verstand ihn nicht, er war zu oft verloren.
 

Er konnte verletzen, sogar töten, in binnen von Sekunden, ohne mit der Wimper zu zucken, und kurz darauf in einen Zustand völliger Gleichgültigkeit verfallen, die leeren Augen waren nun ein beständiger Teil von seiner selbst.
 

Konfrontationen mit ihr waren aber von ganz anderer Natur. Sie war laut und stur und hatte keine Angst vor Konflikt. Wenn sie etwas störte, dann tat sie das auch kund. Mit ihr lernte er mit den Jahren aber auch dazu, dass er Konfrontation so gut wie möglich aus dem Weg gehen wollte. Das Problem zu verdrängen funktionierte mit ihr aber nicht. Falls sie ihn nicht für Wochen ignorieren sollte (wie es auch schon oft in ihren jungen Jahren vorgekommen ist), musste er lernen seine Handlungen und seine Worte zu hinterfragen, und Rücksicht auf die Gefühle anderer zu nehmen. Auch wenn sie ihn, wie so oft, nicht verstand – sie ließ ihn atmen. Nur durch ihre Hilfe, konnte er versuchen, aus seinen Taten zu lernen. Sie gab ihm die nötige Zeit und den nötigen Raum, um sich entwickeln zu können. Sie gab ihm die Stärke zurück, die ihn mit den Jahren genommen worden ist, und genau das wollte er ihr heute zeigen. Denn er wusste genau, er konnte sich glücklich schätzen - in jedem anderen Paralleluniversum, in jedem anderen Leben vor und nach seiner Zeit, konnte er sich glücklich schätzen, denn tief in seinem Inneren wusste er, dass er nichts davon verdient hatte. Weder Sakura, noch sein ungeborenes Kind, noch diese Chance auf ein erfülltes Leben.
 

Ihr Ausdruck der Verwunderung wandelte sich allmählich in einen scheinbar wissenden Ausdruck, wenn er ihr verschmitztes Lächeln als ein Anzeichen dafür deuten konnte. Vielleicht lag er wieder falsch, das wäre bei Gott nicht das erste Mal. Doch schon gleich zeigte sich, dass sie ein wahrer Shinobi war, ihr scharfer Verstand und ihr beeindruckendes Einfühlungsvermögen ließen ihr nichts entgehen.
 

Während sie ihre Augen fest zusammenkniff, sagte sie: "Ich sollte vielleicht auch meditieren, findest du nicht auch? Vielleicht hilft es ja mit den Schmerzen." Ihren Kopf legte sie in Seitenlage. Er konnte förmlich spüren, wie sie versuchte ihren Verstand auszuschalten, um einen Zustand völliger Konzentration zu erlangen.
 

Sasuke war nicht der einzige, der mit alten Dämonen zu kämpfen hatte. Obwohl Sakura als Hitzkopf lieber andere Arten der Stressbewältigung wählte (nichts war entspannender als Dekonstruktion), war sie der Mediation als Weg zur inneren Besinnung nicht abgeneigt. Meditieren gehörte gezwungenermaßen zu ihrer alltäglichen Routine, welche ihr dabei half einen klaren Kopf zu bewahren, in jeder möglichen Lebenslage. Viele ihrer Heiltechniken

benötigten einen Zustand völligen inneren Friedens, und manchmal hieß das eigene finstere Dämonen zu verdrängen, um jemandem die Möglichkeit auf das Leben zu gewähren.
 

Doch heute schien es kein Tag zu sein, an dem die Meditation eine geeignete Lösung für ihre derzeitigen Probleme ist. Einige Minuten lang saß sie still vor ihm, bis er langsam spürte wie sich ihre Finger in seinen Händen bewegten, die ihre noch umschlungen haben. Ihre Brust hob und senkte sich in einem unregelmäßigen Rhythmus, er konnte förmlich spüren, wie beschwerlich sie sich von ihren Schmerzen lösen konnte, die sie die letzten Tage verfolgt haben. Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie noch ein letztes Mal ihre Konzentration zu bündeln, um dann mit einem tiefen Seufzer enttäuscht gen Boden zu blicken. Sie versicherte ihm, dass dieser Zustand normal war, dass Schmerzen während der Schwangerschaft gelegentlich vorkamen, und sie stetig ihren eigenen Gesundheitszustand kontrollierte, aus Angst selbst etwas zu übersehen. Er vertraute ihr, das war nicht das Problem. Das Problem lag darin, dass er mit ansehen musste, wie sie leidet, und er nichts tun konnte, um ihr diese Schmerzen zu nehmen. Das Gefühl der Ohnmacht war übermannend und erinnerte ihn an alte, fast vergessene Momente. Momente, in denen er ihr hätte helfen können, und dennoch nichts tat - seine ausgeprägte Egomanie stand ihm wie so oft im Weg. Sein Unterbewusstsein nagte an ihm, sein eigener Selbsthass wuchs mit jedem Tag, oft verleitet sich selbst die Schuld an ihrem Schmerz zu geben, auch wenn er wusste, dass es keinen rationalen Grund dafür gab. Doch darum ging es nicht, das war keine Angelegenheit von Rationalität, es war ein Kampf seines Unterbewusstseins gegen seine eigene Person. Um sich selbst von wiederkehrenden Erscheinungen abzulenken und um seine eigenen Verstand nicht wieder zu verlieren, strich er mit seinem Daumen über ihren Handrücken. Sie war wohlauf und stark. Ihre Hand war warm und weich und gewohnt, er war es gewohnt die Schwere ihrer Hand in seiner zu fühlen. Die Beständigkeit seiner Ehefrau war einer der Dinge, die ihm halfen nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, und dafür war er ihr dankbar.
 

Mit auffällig klaren Augen durchbohrte sie ihn wieder mit ihren Augen, er nahm wahr, wie nah sie sich doch im Moment waren. So nah, dass er seinen Blick abwenden musste. Eine Art Brennen machte sich in seinem Körper breit, welches seine Atemwege zuschnürten. Jeder Millimeter seines Körpers war glühend heiß und angespannt. Mit einer leisen Stimme fragte sie, ob er gerade eine Episode hatte. Er drückte ihr Hand fester an sich, froh sie bei sich zu haben, um dann seinen Kopf zu schütteln.
 

Schmerzlich dachte er an seinen verlorenen Arm zurück, und daran wie dumme Entscheidungen in der Vergangenheit ihn tag täglich verfolgen. Seine eigenen Entscheidungen - getroffen aus Dummheit, Jähzorn, bitterer Enttäuschung und wütender Rache. Der Verlust seines linken Armes, als konstante Erinnerung daran, sich nie wieder selbst zu vergessen. Als Erinnerung daran, dass er nicht alleine auf dieser Welt ist, dass es Menschen gibt, die sich um ihn sorgen und kümmern, seine Fehler erkennen und diese auch aufzeigen und auch gegen ihn und seinen Jähzorn antreten, wenn es denn sein muss.

Als würde sie merken, dass Sasuke in Gedanken abschweifte, durchdrangen ihn auch zugleich blitzend grüne Augen mit feurigem Tatendrang, heute wollte sie nicht loslassen.

"Wie heißt du?"
 

Auch wenn es ihn verletzte, dass sie ihm nicht glaubte, dass er im Moment bei vollen Bewusstsein war, verübeln konnte er es ihr nicht. Zu oft hat sie seine Abwesenheit missdeutet und viel Zeit verloren ihn verstehen zu wollen. Heute legte sie viel auf exakte Genauigkeit und Konfrontation, auch wenn es weh tat. Dies war Fluch und Segen zugleich – heute wohl eher das letztere.
 

"Sasuke Uchiha."
 

"Wo bist du?", sofort sprang sie auch schon zur nächsten Frage über.
 

Er kannte dieses Spiel genauso gut wie sie und besonders heute war er bedacht nicht ohne Kampf aufzugeben. Auch wenn es schier unmöglich schien bei klarem Gedanken zu bleiben, er spürte mit Bedauern wie seine selbst erbaute Mauer um ihn herum sich von selbst zerstörte. An manchen Tagen war das nun so, das hieß nicht, dass er nicht alles dagegen tat, um dies nicht geschehen zu lassen. Auch wenn es vielleicht die gesündere Lebensweise war und sein Geisteszustand sich von Mal zu Mal besserte, fand er sich dennoch viel zu oft in solchen Momenten wieder. Sein Unterbewusstsein strafte ihn mit mentalen Rückfällen, in denen er nichts anderes tun konnte, als wieder in alte Muster zu fallen.
 

Mit belegter Stimme versuchte er ihr ruhig zu versichern, dass er alles im Griff hatte und setzte deshalb auch gleich zur Antwort an. "In unserem Garten, im Hinterhof unseres Grundstückes."
 

Sie forderte ihn auf ihr drei Gegenstände in seiner Umgebung zu nennen und zu beschreiben. Vermutlich hielt ihre natürliche Beharrlichkeit sie nicht davon ab locker zu lassen, deshalb setzte sie noch einmal mit runzelnder Stirn an. Es wurde schwerer und schwerer ihr zuzuhören. Ihre Worte waren allmählich nur noch gedämpfte Laute - als wäre er unter Wasser und sie würde kläglich versuchen ihn aus den Klauen des Meeres zu befreien.
 

Es fühlte sich an als wäre eine Ewigkeit vergangen als er ihr seine Antwort geben konnte. Vielleicht war es auch eine Ewigkeit, er hatte kein Gefühl mehr dafür. "Eine Kleinhake"
 

Pause.
 

"Kunai", fügte er hinzu.
 

Es schien als wären alle Sätze, alle Worte, Klänge und Töne verschollen zu sein. Reden war mühsam und schwer, seine Zunge wollte und konnte sich nicht bewegen. Es fühlte sich an wie Versagen, auch er oft zu hören bekam, dass er nicht so denken sollte. Alte Gewohnheiten sind schwer abzulegen.
 

Das Spiel war vorbei, das wusste er. "Geht es dir gut?"
 

Er wusste nicht, was er darauf antworten soll. Manchmal fühlte es sich so an, als würde er außerhalb seines Körpers stehen und nur ein Beobachter seines Lebens sein. Dies war einer dieser Momente. Kein Teil seines Körpers konnte sich dazu überwinden seiner Ehefrau eine

Bestätigung zu geben, um sie nicht weiter zu besorgen. Aber wie so oft schien es, als könnte er sich seinem Schicksal niemals entfliehen. Was er auch tat, er fügte ihr Leid zu, und dafür hasste er sich zutiefst. Ihre heilende Hand legte sich auf seine Wange.
 

Sasuke wusste nicht wann er begonnen hat seine Augen zu schließen, aber im Nachhinein war ihm klar, dass sein Unterbewusstsein versucht hat sich selbst zu schützen. Die flüsternden Worte von Sakura drangen langsam in ihn ein, wie eine lange Pythonschlange wickelten sich ihre Worte um seine Lunge und versuchten ihn zu erdrosseln. Die Wahrheit tut weh, - mit seinen eigenen Ängsten konfrontiert werden noch mehr. Die vorherige Leere war nun gefüllt mit einer Mischung aus Selbsthass, Wut, Verwirrung. Zwei Extreme, denen er wohl niemals entfliehen würde. Ihre Worte hallten in seinen Ohren wieder und erinnerten ihn daran, dass es jemanden gab, der sich darum kümmerte, dass er nicht in seinen eigenen, persönlichen Wahn verfällt. Wieder dachte er an seinen verlorenen Arm und daran, dass er auch stark sein will, ob mit oder ohne linkem Arm. Die selbe Stärke empfinden und wiedergeben, die er mühsam erlernt hat, erlernen musste, und die sie ihm gezeigt hat. Nichts war schlimmer als Stillstand, das wusste er genau. Vor Jahren hat es ihm nur geschadet in der Vergangenheit zu schwelgen und in alte Muster zu verfallen. Es war als würde ihm eine zweite Chance gewährt werden, die er erneut nicht annahm, weil sein innerstes zu tief verletzt und gebrandmarkt war. Er war es satt, satt davon aufzugeben. Sakura gab ihm den nötigen Platz und Raum atmen zu können. Sie erlaubte ihm Fehler, auch wenn er sich strikt dagegen wehrte. Nun war an der Reihe ihr zu zeigen, dass alle ihre Bemühungen nicht umsonst waren, auch wenn es ihm schwer fällt. Um in die Zukunft schauen zu können und die Gegenwart sinnvoll nutzen zu können, musste er seine Vergangenheit akzeptieren und aus ihr lernen und das musste er ihr zeigen. Als er seine Augen öffnete schien die Welt ein klein wenig klarer.
 

"Ich bin besorgt, um dich und um unser Kind." Doch bei diesen Worten hörte es nicht auf. "Am meisten bin ich aber besorgt darüber, ob ich fähig bin ein liebender Vater zu sein." Das war nicht viel das wusste er, aber das waren die einzigen Worte, die für ihn in diesem Moment Sinn machten. Er spürte wie ihre Hand über seine Wange strich, ihre andere umschlang seine und tröstete diese mit kreisenden Bewegungen ihres Daumens. Die reifen Tomaten des Strauches, den er zuvor zur Meditation anvisiert hat, leuchteten nun mit einer kräftigen rot-gelben Farbe. Bald würden sie erntereif sein.
 

Mit einer einfachen Bewegung drehte sie sein Gesicht in ihre Richtung und er wurde begrüßt von ihrem Lächeln - als würde sie wissen, wie viel Kraft es ihn gekostet hat sich ihr zu öffnen und seine Ängste preis zugeben.
 

"Nichts was ich dir nun sage, wird dir deine Angst nehmen." Lächelnde harte Ehrlichkeit, das war Sakura. Sie sprach weiter: "Ich weiß das. Es ist nicht das erste Mal, dass ich mit dir rede. Manchmal glaube ich, dass du vergisst, wie lange uns wir uns schon kennen, und manchmal glaube ich, dass du dich selbst vergisst." Sie küsste seine Stirn, als schien sie seine Sorgenfalten mit diesem Akt lindern zu wollen.
 

"Aber-"
 

Und wieder zeigte sie ihm, wie gut sie ihn doch kannte, in dem sie seine Sorgen milderte, bevor er sie auch nur aussprechen konnte. Sasuke dachte daran, dass sie es vielleicht ja doch wusste.
 

"Du bist nicht mehr der, der du mal warst, deine Vergangenheit ist nicht das einzige was dich ausmacht." Ihre Hand umschlang seine fester, als würde sie dieser mehr Bedeutung zukommen lassen wollen. Er kannte ihre Hände und sie kannte seine. Er kannte alles Schlechte, was sie sie jemals getan hat, jedes Verbrechen, jeden Mord, jede Missetat. Und sie kannte seine. Sie fügte hinzu: "Ich wünschte du würdest ein Geschenk nicht daran festmachen, ob du es nun verdient hast oder nicht." Mit sanften Augen fixierte sie nun seine Augen an, und küsste auch diese, als würde sie ihn daran erinnern wollen, nicht seine Vergangenheit zu fixieren und neue Blickwinkel zu erwägen.
 

Mit beiden Händen umrahmte sie nun fest sein Gesicht und zwang ihn ihr tief in die Augen zu schauen, auch wenn es manchmal schwer fällt und auch wenn er oft seinen Blick abwenden will. Seine ungleichen Augen trafen ihre. Er war verwundert wie viel Ehrlichkeit doch nur mit einem kurzen Blick in ihren Augen zu finden ist. Sie war wie ein offenes Buch, manchmal beneidete er sie. Eine lange Zeit sagte sie nichts, als würde sie selbst nach Antworten in seinen Augen suchen, das einzige was sie umgab, war der Wind, die stechenden Sonnenstrahlen, die auf sie vielen und die entfernten Stimmen, der lebendigen Stadt, die ihr Haus umgab, die sich in ihrer eigenen Stille so viel lauter anhörten. Ihr Lächeln entwich ihrem Gesicht nicht. Mit beständiger Stimme drang sie ein in seinen Kopf, ihre Worte fanden sich wieder in seinem Herzen: "Ich weiß nicht wie es ist eine Mutter zu sein, noch weniger weiß ich, was es heißt ein Vater zu sein. Was ich aber weiß ist, dass du nicht alleine sein wirst, bei keiner deiner nächsten Entscheidungen, bei keiner deiner – unserer - nächsten Meilensteine." Und so küsste sie ihn zuletzt sanft auf den Mund.
 

Er würde sich vielleicht nie wieder fange, vielleicht wahnsinnig werden, vielleicht würden ihn seine Sorgen nie verlassen. Das konnte keiner wirklich sagen, weder sie, noch er. Doch er würde alles versuchen und alles dafür tun, um es nicht darauf anlegen zu müssen, dieses Glück und diese Chance jemals wieder zu missen. Auch wenn es darum ging sich selbst zu öffnen und sich einer anderen Person anzuvertrauen und seine eigenen Schwächen offen zu legen und sich somit auch verletzlich zu zeigen. Das war es wert.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  DoD
2019-03-21T20:14:12+00:00 21.03.2019 21:14
Das ist ziemlich grossartig. Und wenn ich es ein zweites Mal in Ruhe gelesen habe, dann äussere ich mich auch eloquenter dazu.
Von:  Pandora-
2018-11-09T18:35:10+00:00 09.11.2018 19:35
ich finde die kurze Geschichte total gut geschrieben und du beleuchtest die Gedankengänge irrsinnig gut, hat total Spaß gemacht das zu lesen
Von:  RanmaForever
2018-04-13T10:44:43+00:00 13.04.2018 12:44
Das ist wahnsinn wie gut und geschickt du auf sasukes tiefes bewusstsein eindrigen kannst und es so schön und fliessend an die leser weiter gibst.. die ff ist in meinen augen mehr als viel versprechend.. freuch mich schon auf weitere kap. :)
Antwort von:  alphawitch
13.04.2018 13:52
Awww danke für den lieben Kommentar! Es wird wohl nur bei diesem One-Shot bleiben, habe nicht vor weiter an dieser Story zu schreiben :)


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