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Das Volk aus den Bergen

Magister Magicae 4
von

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raue Sitten

jetzt, Insel Okinawa
 

Vladislav und sein Schutzgeist Waleri spazierten am Hafenbecken entlang, Victor schlurkste lustlos hinterdrein und hatte die Hände in die Taschen seiner Jeansjacke gestopft. Sie waren jetzt seit 3 Tagen hier und er langweilte sich zu Tode. Hätte er die Bande aufspüren sollen, die hier regelmäßig Rabatz machte, wäre er anders an die Sache rangegangen. Aber der Boss wollte warten, bis etwas passierte, und ließ sich davon auch nicht abbringen. Dabei hätte er zu Hause in Moskau in seinem Büro beileibe genug Arbeit gehabt, statt seine Zeit hier so sinnlos abzusitzen. Aber nagut, er war der Boss und sein Wort war Gesetz. Zumindest war Victor mal ins Auto gestiegen und die Landstraße noch ein Stück weiter hinauf gefahren, um zu schauen, was es denn am Nord-Ende der Insel noch so gab. Er war da oben zwar auf ein weiteres Gemeindezentrum mit etwas dichterer Besiedlung und ein paar Läden gestoßen, aber abgesehen davon war dort oben genauso tote Hose wie hier auch.

Waleris Versuche, irgendeinen Einheimischen in die Finger zu bekommen, der mit ihm reden wollte, waren auch weiterhin erfolglos. Vladislav hatte ihm irgendwann gesagt, er solle damit aufhören. Sie würden sich nur verdächtig machen, wenn sie hier tagelang jeden immer und immer wieder nach dem Volk aus den Bergen fragten. Der Hotelbetreiber hatte schon begonnen, seinerseits blöde Fragen über die Absichten und Interessen der drei russischen Herrschaften zu stellen, die ganz offensichtlich nicht auf Urlaub hier waren.
 

Victor blieb stehen und schaute neugierig einer Prozession von vielleicht zehn Männern hinterher, die zwei Mädchen in Ketten und Handschellen in Richtung Waldrand schleiften. Die jungen Damen, die kaum volljährig sein konnten, heulten zwar herum und wehrten sich, hatten dem Pulk Kerle aber natürlich nichts entgegen zu setzen. Sie wurden unbarmherzig weitergezerrt. Victor stieß einen leisen Pfiff aus, um Vladislav und Waleri zum Stehen zu bringen, die blind weitermarschierten und von der ganzen Sache gar nichts mitbekamen.

Der Boss schaute fragend zurück und folgte dann Victors Blick, um die Delegation gerade noch im Wald verschwinden zu sehen. „chto sluchilos?“ [Was ist los?], wollte er ahnungslos wissen.

„Hast du die nicht gesehen?“, erwiderte Victor.

Der Motus-Boss kam die paar Schritte zurück, die er voraus gewesen war, um sich besser mit seinem Vize unterhalten zu können. „Was war denn mit denen?“

„Die haben zwei junge Mädchen in Ketten in den Wald geschleift.“

„Und?“

„Und!?“, äffte Victor ihn nach. Wie konnte man nur so schwer von Begriff sein? Das schrie doch förmlich nach einem Hinweis auf was auch immer hier vor sich ging. Vladislav bewies hier mal wieder seine phänomenale Praxis-Fremde.

„Die Mädels werden wohl was angestellt haben und wurden in Polizeigewahrsam genommen. Was machst du dir da so einen Kopf drüber? Bei uns in Russland würden wir genauso mit denen verfahren.“

„Aber zehn Kerle gegen zwei wehrlose Kinder?“, meinte auch Waleri zweifelnd.

„Die sahen auch nicht aus wie Polizisten. Das war eine Zivilisten-Rotte. Da geht irgendwas nicht mit rechten Dingen zu. Lass uns hinterher gehen und schauen, was die mit den Mädels anstellen. Wenn du nicht mitkommst, geh ich halt alleine.“

Vladislav fuhr sich stöhnend durch die blonden Strubbelhaare und gab sich dann geschlagen. Aber auch nur, weil er gerade nichts besseres zu tun hatte und sich auf dieser Insel nach 3 Tagen schon selbst zu langweilen begann.
 

Hinter ihm krachte ein Ast, der zertreten wurde. „Ssssccccchhhhh! ne delayte takoy shum! [Macht nicht so einen Lärm!] Die hören uns noch!“, zischte Victor. Es war furchtbar. Der Boss und sein mischuggener Genius Intimus hatten wirklich keinerlei Spionage-Qualitäten. Die konnten mit ihrem Krach Tote wecken.

„Echt mal! Du Trampel!“, zog auch Vladislav seinen Schutzgeist auf.

„Musst du gerade sagen!“, maulte der zurück.

„Ruhe jetzt! Wir scheinen da zu sein.“

Die drei kauerten sich hinter ein dichtes Gebüsch und schauten auf die kleine Lichtung hinaus, die sich vor ihnen erstreckte. Mitten auf der Lichtung stand ein mannshoher Holzpfahl, an dem man die zwei Mädchen gerade festkettete. Es wirkte beinahe feierlich, wie ein Ritual. Die Männer schwiegen. Nur das Heulen und Zetern der beiden wehte entfernt herüber.

„Wonach sieht das für dich aus?“, wollte Vladislav leise wissen.

„Ich weiß nicht. Aber wie eine übliche Verbrecher-Rüge wirkt es auf mich nicht“, überlegte Victor Akomowarov unschlüssig. „Ich geh mir das mal aus der Nähe ansehen. Ihr bleibt hier! Lasst euch ja nicht hören oder sehen.“ Der Gestaltwandler legte seine Pistole auf dem Boden ab, die er bei der Verwandlung sowieso verlieren würde, nahm die Form einer schwarzen Schlange an, ähnlich einer Blindschleiche, und schlängelte sich davon. In dieser Gestalt würde wohl keiner von ihm Notiz nehmen. Seine gewöhnliche Jeans-Jacke, die bei der Herstellung nicht magisch durchsetzt worden war und deshalb die Verwandlung nicht mitmachte, blieb einfach in der Wiese liegen.

Als er schon mehr als die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte und gerade seine Schlangen-Nase neugierig in einen herumstehenden Leinensack steckte, gab es plötzlich eine Verpuffung. Die Männer schrien erschrocken durcheinander, ein paar wurden von der Druckwelle zu Boden geschubbst. Einer schlug dem kurzhaarigen Mädchen wütend mit der Faust ins Gesicht. Ein kurzer Tumult brach aus. Da Victor kein Japanisch verstand, konnte er nicht ergründen, worum es genau ging, aber ihm wurde klar, daß er lieber Abstand halten sollte. Als Magier hatte er durchaus gespürt, daß diese Verpuffung das Resultat eines – wenn auch sehr schwachen und ungeübten – Zaubers gewesen war. Und magische Duelle waren alles andere als Spaß.
 

Ein paar Minuten später war der größte Spuk an sich schon wieder vorbei, ohne daß noch etwas nennenswertes passiert wäre. Der Pulk aus japanischen Kerlen hatte unter nervösen Blicken in die Umgebung den Heimweg angetreten. Die zwei heulend aneinander klammernden Mädchen waren an den Pfahl gekettet zurückgelassen worden. Und dann kehrte Ruhe ein.

Waleri erschreckte sich tierisch, als Victor plötzlich neben ihm wieder seine volle, menschliche Größe annahm. Er und sein Schützling Vladislav hatten wider Erwarten tatsächlich brav in ihrer Deckung gewartet, bis Victor zurück kam.

„Und?“, fragte Vladislav sofort interessiert.

„Komische Sache“, berichtete sein Vize. Er griff nach seiner zurückgelassenen Jacke, um sie wieder anzuziehen. „Ich würde sagen, die zwei jungen Damen sind ein Genius Intimus und ihr Schützling. Aber warum man sie hier angekettet hat, weiß ich nicht.“

„Dann sind sie wohl mit ihrer Magie irgendwo angeeckt und ernten nun die Strafe dafür. Was tun wir jetzt? Befreien wir sie, oder gehen wir wieder ins Hotel zurück?“

Victor schüttelte langsam den Kopf. „Nein, da steckt mehr dahinter. Wir sollten warten und sehen, was passiert.“

„Ach, auf einmal? Als ich in den letzten Tagen diese Strategie verfolgt habe, warst du nicht gerade begeistert davon.“

„Das hat einen Grund, warum man hier mitten im Wald auf einer einsamen Lichtung so einen Pfahl errichtet hat. Der ist nicht nur zum einmaligen Gebrauch vorgesehen, solche Aktionen passieren hier öfter. Die zwei Kids sind zu einem bestimmten Zweck hier ausgesetzt worden. Da stehen auch zwei Sake-Fässer und ein paar Säcke mit Goldschmuck und Lebensmitteln rum. Auch die werden nicht zum Spaß da hingepackt worden sein.“

„Und für wen sind die deiner Meinung nach?“, hakte Vladislav schnippisch nach.

„Meiner Meinung nach wird sich das schon zeigen, wenn wir nur etwas Geduld haben. Also mecker jetzt nicht und warte!“

„Moment mal! Seit wann gibst du hier die Befehle?“

„Seit ich entschieden habe, diese Mission zu überleben. Du mit deiner völligen Unerfahrenheit hast doch gar keine Ahnung, was zu tun ist!“

Waleri schmunzelte leicht in sich hinein und zog ein Gesicht, als würde er Victor da absolut Recht geben, war aber klug genug, die Klappe zu halten.

„Also warten wir!?“, rückversicherte sich Vladislav mit leicht verdrießlicher Miene.

„Wir warten, basta!“

Waleris Schmunzeln wurde zu einem leisen Kichern. „Vladislav, ich wusste gar nicht, daß du so ein Schisser bist!“

„Also ich darf doch sehr bitten!“

„Du hast total die Hosen voll“, beharrte sein Schutzgeist überzeugt.

„Gar nicht wahr!“

„Ich spüre es doch ganz deutlich über unsere mentale Verbindung. Du willst am liebsten weg, weil du Angst hast, daß hier wirklich gleich irgendwas losgehen könnte!“

„Halt die Klappe, du Schwätzer“, verlangte der Motus-Boss mürrisch.

„Ist schon was anderes als im Büro zu sitzen und seine Leute durch die Gegend zu schicken, hä?“, legte sein Schutzgeist aber trotzdem noch eins nach.

towarisch, sei jetzt still“, ging Victor genervt dazwischen. „Ich will nicht, daß die uns eher entdecken als wie sie.“ Daraufhin war tatsächlich Ruhe.
 

Eine Stunde später saßen sie immer noch hinter ihrem Gebüsch und gaben sich Mühe, keine Aufmerksamkeit zu erregen. Aber mehr als die erfolglosen Versuche der beiden Mädchen mitzuverfolgen, sich aus den Ketten zu befreien, konnten sie nicht tun. Waleri flocht vor lauter Langeweile aus ein paar wilden Blumen einen kitschigen Blumenkranz, Vladislav starrte Löcher in die Luft und war mit den Gedanken ganz wo anders. Nur Victor war noch bei der Sache. Er fragte sich, was für Ketten das waren, wenn die Mädchen sich nichtmal mit ihrer Magie daraus befreien konnten.

Der Vize war auch der einzige, der aufhorchte, als in der Ferne ganz leise ein schweres, metallenes Läuten einsetzte. „he, vy eto slyshite?“ [Hört ihr das?], raunte er in gedämpftem Tonfall.

„Mh ... nur eine Kirchenglocke“, überlegte Vladislav.

Victor schaute auf seine Armbanduhr, ob es gerade eine volle Stunde war, die geschlagen werden könnte, aber das war es wohl nicht. 18:37 war einfach eine zu krumme Uhrzeit für eine Kirchenglocke. „Ich hab gar keine Kirche gesehen.“

Waleri spitzte die Ohren. „Das kommt auch nicht aus dem Dorf. Dafür wäre es viel zu leise. Das muss von weiter draußen kommen, vom Meer.“

„Es gibt einen Glockenturm vor der Küste?“

„Ein Warnsignal vielleicht.“

„Und wovor soll er warnen? Vor Tsunamis?“, wollte Vladislav zweifelnd wissen.

„Hoffen wir es nicht.“

Als die beiden angeketteten Mädchen sich erneut heulend aneinander kauerten und panisch in den Himmel hinauf schauten, warf Victor ebenfalls besorgt einen Blick nach oben. Die Wolken verloren ihre letzte Abendröte und wurden langsam grau, um sich für die Dämmerung einzurichten. „Ich habe einen Verdacht, wovor die Glocke warnt. Sonnenuntergang.“

„Und das ist ... schlecht, nehme ich an!?“
 

Die Antwort bekam Vladislav prompt, denn nur Augenblicke später fiel eine Gruppe von acht Tengu auf der Lichtung ein und riss johlend alles an sich, was da war. Den Sake, das Gold, und auch die Mädchen, deren Ketten für diese Tengu offenbar keine Hürde darstellten.

„Was wird das denn?“, machte Vladislav überrascht.

Victor Akomowarov kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Der stechende Blick aus Augen, die keine Augenlider hatten, die krummen, schnabelförmigen Nasen, die kahlen, ungewohnt geformten Schädel, die nebulöse Bewegungsunschärfe, die einem jeden ihrer Schritte vor den Augen verschwimmen ließ – alles deutete auf die Raben-Tiergeister hin. Aber irgendwas störte Victor trotzdem an ihnen. „Das sind doch keine Tengu, oder?“

„Für mich sieht´s aber aus wie welche.“

„Für Tengu benehmen die sich viel zu rüpelhaft. Und Tengu ärgern zwar schonmal Menschen mit ihren gedankenleserischen Fähigkeiten, aber sie ziehen nicht in Horden plündernd durch die Gegend.“

„Glaubst du, das ist unser 'Volk aus den Bergen', nach dem wir suchen?“, warf Waleri von der anderen Seite ein.

„Möglich. Wenn wir sowieso davon ausgehen, daß sie Gestaltwandler sind, würde sogar einiges dafür sprechen. Tengu sind das da jedenfalls nicht.“

„Aber was wollen die mit den Mädchen?“

„Gar nichts wollen die mit den Mädchen! Wir retten sie nämlich!“, entschied Vladislav in einem plötzlichen Anfall von Heroismus – oder vom Verlieren der Nerven. „Waleri, hol die zwei da raus! Ich kümmere mich um die was-auch-immer!“

Victor blieb der Mund offen stehen, als Vladislav und Waleri wie die losgelassenen Knallfrösche aus ihrer Deckung sprangen. Er war so baff über diese selbstmörderische Aktion, daß er gleich gar nicht in der Lage war zu reagieren, sondern nur wie versteinert zuschauen konnte, wie der Boss sich in den Haufen Vagabunden stürzte. Allein gegen acht? War das Vladislavs verdammter Ernst? Wie wollte er das machen, so ganz ohne jede ernsthafte Kampferfahrung, und ohne irgendwelches Wissen über die Gegner? Sein Genius Intimus verwandelte sich im Sprint in das Rhinozeros-Einhorn, das er war, und walzte wie ein Panzer mitten durch die Truppe hindurch.

Vladislav zog ein Tütchen mit Salz aus seiner Jacke und versuchte das weiße Zeug nach den Tengu zu schleudern. Aber die zeigten sich sichtlich unbeeindruckt und gingen, nun da sie ihren ersten Schreck überwunden hatten, auf Vladislav los.

Victor schüttelte in seinem Versteck fassungslos den Kopf. Salz! Da hatte der Boss sich mit seinem Unwissen mal wieder selbst übertroffen. Sicher, mit Salz konnte man Dämonen austreiben – in Europa. Yokai, die asiatischen Dämonen, waren aber ein ganz anderer Schlag magischer Kreaturen. Die störten sich nicht die Bohne an Salz, sondern die wurden durch das Werfen von Reis vertrieben. Mal ganz abgesehen davon, daß sie es hier höchstwahrscheinlich nicht mit Yokai zu tun hatten, sondern wohl eher mit Tiergeistern.

Vladislav sah schnell ein, daß sein Salz ihn nicht weiterbringen würde, und verlegte sich auf Bann-Magie. Er zog einen Schutzschild vor sich hoch. Aber offensichtlich auf der falschen Basis, denn der erste Angreifer, der sich wieder auf ihn stürzte, rauschte ungesehen durch den magischen Schild hindurch und hing Vladislav am Hals.

Waleri wendete im vollen Galopp, als sein Schützling hilfesuchend nach ihm rief, und tackelte dabei einen der Tengu zur Seite, welcher getroffen zu einer gelben Sandwolke zerfiel, dann aber sofort seine feste Gestalt wieder annahm und zum Gegenschlag ausholte.

Victor hatte genug gesehen. Er musste einschreiten, es half nichts. Entschlossen griff er sich seine Pistole und ballerte im Vorwärtsgehen das halbe Magazin leer. Keine Ahnung, was für Kugeln da drin waren. Vladislav hatte ihm die Patronen kommentarlos in die Hand gedrückt. Silber würde es wohl kaum sein. Aber egal. Um sich einen Weg zu bahnen, würden sie schon reichen.



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