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Das Volk aus den Bergen

Magister Magicae 4
von

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widerwillige Hilfe

Chippy wartete nicht auf Antwort. Nachdem sie sich davon überzeugt hatte, daß ihre Ranken-Illusionen hielten, und Victor ihr nicht abhauen würde, legte sie ihr Buschmesser beiseite und griff stattdessen nach der Pappschachtel. Sie öffnete die Verpackung und griff den dunkelblauen Stein mit der bloßen Hand heraus. Sofort begann der leicht aufzuglimmen, wie in dem Halbdunkel, das hier herrschte, schön zu beobachten war. Wie versprochen. So hatte es in dem beiliegenden Schreiben gestanden. Mit dem ersten Hautkontakt wurde die Magie des Artefaktes aktiviert. Um den Stein und Chippys Hand herum bauten sich einige magische Energiefelder auf, versehen mit afrikanisch anmutenden Symbolen und Mustern.

Victor kniff die Lider etwas zusammen. Das penetrante Blau tat regelrecht in den Augen weh, jetzt wo es auch noch leuchtete. Und die Magie darin war mit nichts vergleichbar, was er jemals gesehen oder in der Universität gelernt hatte. Er konnte beim besten Willen nicht einschätzen, was das war, obwohl er sich einbildete, wirklich sehr viel Wissen gesammelt zu haben.

„Chippy ... bitte ... lass es doch“, bat Loriel aus dem Hintergrund beunruhigt. „Das hier kann nicht mit natürlichen Dingen zugehen.“

„Deine Meinung interessiert mich nicht“, gab die junge Frau zu Protokoll. Sie zog Victors festgeschnürtes T-Shirt unter der Schlingpflanze heraus, die um seinen Taille gewickelt war, und legte seinen Bauch bloß.

Victor kam kaum noch dazu, ein erschrockenes njet einzuwerfen, da hatte sie ihm das elende, blaue Ding auch schon auf den Oberkörper gelegt. Für den ersten Moment fühlte es sich an, als hätte man ihm pures Eis in den Körper getrieben. Die Berührung des Steins war so kalt, daß ihm fast der Atem wegblieb. „Woar!“, keuchte er und versuchte sich reflexartig unter ihren Händen heraus zu winden. Aber er kam natürlich nicht weg. Die Fesseln hielten ihn zuverlässig. Ihre Hand blieb obenauf liegen und hielt den Stein an Ort und Stelle. Dann durchzuckte ein scharfer Schmerz seinen ganzen Rumpf, als das bloße, lähmende Kältegefühl zu etwas noch Schlimmerem wurde. „shit, that hurts! what are you doing to me?“ [Scheiße, tut das weh! Was tust du mit mir?], würgte er abgerissen hervor. Er hatte alle Mühe damit, überhaupt noch zu atmen. Sein ganzer Körper verkrampfte. Sein Herzschlag wurde langsamer und so schwer, daß er fast glaubte, es würde ihm ganz stehen bleiben. Ihm wurde erst so schwindelig, daß er sich wie in einer Achterbahn vorkam, dann verengte sich langsam sein Sichtfeld, und kalter Schweiß brach ihm aus. Alles überschattet von immer stärker werdenden, wirklich qualvollen Schmerzen, die es ihm unmöglich machten, ruhig zu halten. Sein Körper bäumte sich unkoordiniert gegen die Fesseln und schrie danach, sich endlich losreißen zu können.

Waleri und Vladislav warfen sich synchron gegen das Gitter ihrer Gefängniszelle und riefen seinen Namen. Natürlich brachte das nichts. Es diente nur dem Ausdruck ihrer eigenen Machtlosigkeit und Verzweiflung.

„She´s trying to weave a silver line“ [Sie versucht ein silbernes Band zu weben], machte Loriel Victor von der Seite auf Englisch klar.

chto!?“ [Was!?], keuchte der, vor Schmerzen mit Pressatmung unterlegt, und auf Russisch, weil er zum Übersetzen einfach nicht mehr die Nerven hatte. Sein Magen krampfte sich so fest zusammen, daß er nicht mal mehr in der Lage war, irgendwas von seinem Inhalt zu erbrechen. „eto ne rabotayet! eto nevozmozhno!“ [Sowas funktioniert nicht! Das ist nicht realisierbar!]

Loriel kniete sich daneben und ließ seine Hände ebenfalls über dem Körper des gefesselten und verschnürten Russen schweben, jedoch wohlweislich ohne ihn zu berühren. Von dieser verfluchten Magie wollte er nicht versehentlich mit erfasst werden. Nach allem, was Chippy gesagt hatte, würde sie sowieso schon mehr als genug Effekt auf ihn haben.

Chippy warf Loriel einen etwas drohenden Blick zu. „Komm mir ja nicht in die Quere!“

„Ich dämme nur seine Schmerzen ein, damit er sich nicht mehr so wehrt“, klärte der Schutzengel sie säuerlich auf.

Tatsächlich drehte und wandt sich Victor daraufhin nicht mehr ganz so qualvoll herum wie zuvor, auch wenn er immer noch schwer um Atem rang und krampfte. Von seiner Umgebung schien er jedenfalls nichts mehr bewusst mitzubekommen.

Die Prozedur dauerte lange, folterartige Minuten. Loriel fragte sich irgendwann schon, ob das überhaupt mal wieder ein Ende nehmen würde. Er konnte es gar nicht mehr mit ansehen. Schon das bloße Zuschauen tat ihm körperlich weh. „Chippy, du solltest aufhören ...“, riet Loriel ihr irgendwann besorgt.

„Halt die Klappe.“

„Ich meine das ernst. Tot nützt er dir nichts mehr“, ließ er sich aber nicht beirren und deutete auf Victors Gesicht, dem dünne Blutrinnsale aus den Augen, der Nase und dem Mundwinkel liefen.

Als Chippy das sah, nahm sie das Artefakt doch einsichtig weg und musterte den Russen eingehend, der augenblicklich in sich zusammenfiel wie ein Bewusstloser und keine Regung mehr von sich gab. Der Stein stellte eine Verbindung zwischen zwei Leuten her, die ihn gleichzeitig berührten. Deshalb hatte sie ihre Hand auch obenauf liegen lassen. Und ja, das dauerte einige Zeit. Aber die Nebenwirkungen waren doch etwas heftiger als Chippy angenommen hatte. Sie selbst fühlte sich ebenfalls nicht mehr ganz wohl. Ihr war gleichfalls schwindelig und unglaublich warm. Das sollte laut Beschreibung normal sein. Doch das war ja harmlos im Gegensatz zu dem, was mit dem Genius passierte. Auf ihn schien das wesentlich mehr Effekt zu haben. Wahrscheinlich weil er noch kein silbernes Band zu irgendjemandem hatte, sondern dieses erst komplett neu aufgebaut werden musste. Bei Chippy war ja grundsätzlich schon eines vorhanden. Es wurde nur umgepolt. Auf jeden Fall war der Prozess noch lange nicht abgeschlossen. Sie wusste, wie sich die mentale Verbindung zu Loriel anfühlte. Und zu diesem Russen hier hatte sie noch keinen vergleichbaren Draht gewonnen.

„Das sieht ja gefährlich aus“, kommentierte Loriel nervös. „Glaubst du, dein Stein funktioniert so wie er sollte?“

„Ja, tut er.“

„Dann gönn deinem Auserwählten lieber mal eine Pause.“

Mit einem ungeduldigen Stöhnen stand Chippy auf. „Du bist doch ein Heiler. Mach ihn wieder fit, damit ich weitermachen kann!“, befahl sie und schlenderte davon, um sich inzwischen etwas zu trinken zu holen.

„Na ... könntest du ihn dann vielleicht mal loslassen, damit ich arbeiten kann?“, rief der Schutzengel ihr nach. Daraufhin lösten sich die Fessel-Illusionen, die Victor auf dem Rücken hielten, auch wirklich auf.

Vladislav und Waleri merkten alle beide hellhörig auf. Etwas veränderte sich. Etwas, das sich nicht nur auf ihren Vize-Boss bezog. Vladislav rüttelte abermals an den Gitterstäben. Aber die blieben stur.

Kopfschüttelnd machte sich Loriel ans Werk und zog den russischen Genius zunächst einmal in eine stabile Seitenlage herum. Um ihn gründlich genug durchzuheilen, würde er ihm nämlich eine Hand auf die Brust und eine auf den Rücken legen müssen, damit seine genesende Magie den ganzen Körper durchfluten konnte. Zum Kämpfen hatte Loriel noch nie getaugt. Aber heilen konnte er wie ein Weltmeister. Das war sein magisches Talent. Ein magisches Talent, das ihm draußen in den Wäldern zum Glück den Respekt der Räuberbande gesichert hatte, denn die zogen sich bei ihren Überfällen häufiger mal irgendwelche Blessuren zu und hatten keinen Arzt zur Stelle.
 

Victor musste sich bewusst dazu zwingen, ein erleichtertes Stöhnen zu unterdrücken. Die heilenden Kräfte des alten, dicken Schutzengels schwappten in Wellen durch seinen ganzen Körper wie Balsam. Sie linderten die Schmerzen, entspannten die verkrampften Muskeln, beruhigten den explodierten Puls, der jetzt raste, als würde er versuchen die vergessenen Herzschläge von eben wieder aufzuholen. Das Blut rauschte in seinen Ohren, aber wenigstens nahmen das Schwindelgefühl und die jetzt ebenfalls hochkochende Übelkeit wieder ab.

Loriel beobachtete abwechselnd Victors Gesicht und Atmung, während er heilte und heilte und wartete. „Na Mensch, dich hat es aber ganz schön erledigt ...“, murmelte er leise, als es ihm langsam zu lange dauerte. Was hatte Chippys dämlicher Stein denn im Körper dieses armen Teufels angerichtet, wenn der nicht wenigstens wieder aufwachen wollte? Das Bewusstsein war doch eigentlich eines der ersten Dinge, die wieder einsetzten. Geduldig heilte Loriel ihn weiter. Manchmal wünschte er, er hätte auch sagen können, was genau er eigentlich behandelte. Aber Diagnostik-Fähigkeiten hatte er leider nicht. Er konnte nur seine Allheilmittel-Magie durch den Körper schicken wie einen Stromstoß, und der Rest regelte sich von alleine. Sogar wann es genug war, mussten seine Patienten ihm selber sagen. Auch das spürte er nicht. „come on, now open your eyes ...“ [Na komm, nun mach schon die Augen auf], redete Loriel eher mit sich selbst als mit Victor.



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