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Distant Stars

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Warnungen: Diese Fanfiction behandelt sensible Themen und könnte für einige Leser sogenannte Trigger auslösen. Bitte lest sie auf eigene Gefahr und behandelt Hinweise und Zuordnungen mit gewissenhafter Selbsteinschätzung eurer Lesewünsche und eures Wohlbefindens.
Die Handlung setzt sich u.a. mit Thematiken wie Essstörungen, Posttraumatischer Belastung (PTBS) bzw. Traumata, Kindeswohlgefährdung, Mord an anderen Lebewesen und häuslicher Gewalt auseinander.

In Ermangelung grafischer Beschreibung dieser Thematiken sehe ich von einem Adult-Rating ab.

Diese Fanfiction ist in sich abgeschlossen und ich habe sie bereits an anderer Stelle online veröffentlicht. Allerdings habe ich festgestellt, dass sie ein kleines Make-over an Formatierung und Korrektur benötigt und in diesem Zuge beschlossen, sie auch auf Animexx zu veröffentlichen.
Es sind nur vier Kapitel, die mich allerdings Monate gekostet haben, sie zu schreiben. Im Wesentlichen handelt es sich hierbei um den Versuch einer Charakter- bzw. einer Familienanalyse.
Ich habe schon Schlechteres geschrieben, bin zumindest insofern zufrieden, als dass ich mich traue, sie hier zu veröffentlichen. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen!

Widmung: Für meinen Bruder und meine beste Freundin Sarracenia.

Disclaimer:
Charaktere, Namen, Schauplätze und Handlungsstränge, zu denen ich möglicherweise Bezug nehme, sind Eigentum ihrer geistigen Verfasser; ich leihe sie mir nur in tiefster Ergebenheit aus und verdiene mit meinem Geschreibsel kein Geld. Komplett anzeigen

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Disziplin

1970

 

Die Hände des Kindermädchens zitterten, als es fahrig den Kamm durch Sirius‘ schulterlange Locken zog. Es ziepte ganz schön und Sirius gab sich alle Mühe, die Kontrolle über sein Gesicht zu wahren.

Eisern sah er seinem Spiegelbild in die grauen Augen, die verräterisch schimmerten, aber seine Konzentration hinderte sie am Überlaufen. Bis auf diesen winzigen, emotionalen Makel war der starre Ausdruck nahezu perfekt, das Resultat jahrelanger Arbeit, um Mutter nicht zu – 

Von unten hörten sie entferntes schrilles Keifen. Das Mädchen zuckte verängstigt zusammen und riss den Kamm aus einer Strähne, an dessen Zinken einige verknotete Haare hängen blieben. Sirius sog scharf die Luft ein und wischte sich unauffällig mit dem Ärmel die Träne von der Wange, die er nun doch nicht hatte halten können.

„Sei keine Memme!“, trällerte der Spiegel und das Kindermädchen zuckte abermals zusammen.

„M-master Sirius, vielleicht solltet Ihr nach oben …?“, stammelte es und klang, als wäre es von seinem Vorschlag alles andere als überzeugt. Sirius seufzte und sprang, ohne sein Kindermädchen weiter zu beachten, von dem Schemel herunter, auf dem es ihn eingekleidet und frisiert hatte. Mit Magie, wäre es nach seiner Mutter gegangen.

In diesem Haus herrschte Magie über alles, genauso wie die eiserne Matriarchin, die es bewohnte. Wenn die Haushelfen die schweren Teppiche ausklopften, stoben Funken mit dem Staub heraus, so sehr war die Luft überladen mit Zauberei, Überbleibseln vergangener Flüche und uraltem Groll. Doch seine Mutter tobte unten (über seinen Vater oder die Haushelfen oder den Zaubereiminister) und bekam nicht mit, dass ihre Angestellte zu verängstigt war, um mit dem Zauberstab zu handtieren. Sirius war dankbar, dass sie es gar nicht erst probiert hatte.

„Ich geh‘ schon“, sagte er düster, mehr zu sich selbst, als zum Spiegel oder dem Mädchen.

Letzteres ließ er bleich und zitternd in seinem Kinderzimmer hinter sich zurück.

 

Sirius fürchtete seine Mutter nicht. Er kannte sie schließlich nicht anders. Nichtsdestotrotz hatte er Respekt vor ihr und insbesondere ihren Ausbrüchen, die in regelmäßigen Abständen auf ihn niederprasselten, wenn er sein Zimmer nicht aufräumte, sich in der Muggelwelt herumtrieb, den Teller nicht leer aß, zu nett zu den Hauselfen war oder mit seinem Bruder rangelte. Regulus war zwei Jahre jünger und Walburgas Liebling, was nicht bedeutete, dass er nicht gehörig Ärger bekam, wenn er etwas tat, was sich in ihren Augen nicht schickte. Seinem Bruder zuliebe nahm Sirius eine Menge auf sich. Er war der einzige Gefährte inmitten der verängstigten magischen Dienerschaft, der einzige Freund in diesem bedrohlichen Haus.

Geübt schlich Sirius die mit schweren Teppichen ausgelegten Stufen nach unten, ließ die aus, die knarrten und horchte einen Moment. Es dauerte nicht lange bis er begriff, was diesmal den Zorn seiner Mutter erregt hatte.

 

Sirius war zehn Jahre alt und im Hause Black bedeutete dies, dass er in die magische Gemeinschaft einzuführen war. Bislang hatte niemand Zweifel daran gehegt, dass Sirius magische Kräfte besaß, immerhin nutzte er sie, so oft es nur ging, um den Menschen, mit denen er zusammenleben musste, eins auszuwischen.

„Warum ist es so wichtig, den Brief abzuwarten?“, fragte Orion Black in diesem Moment. Seine sonst harte, klare Stimme klang schleppend, als sei er des Gesprächs mehr als überdrüssig.

„Wenn er nicht aufgenommen wird, schicken wir ihn eben nach Durmstrang. Eine sehr gute Schule, wenn du mich fragst.“

„Um deine Meinung geht es hier nicht! Unsere Familie war seit Jahrhunderten in Hogwarts und daran wird sich auch nichts ändern, nur weil dein Nichtsnutz von Sohn sich gegen jedwede Disziplin sträubt!“

Seine Eltern waren wie Feuer und Eis. Glücklicherweise schaffte es Orion bisweilen, das Temperament seiner Frau etwas abzukühlen. Diese Tatsache machte ihn jedoch keineswegs milder oder gar liebenswürdig. Seine Worte trafen manchmal tiefer, als Walburgas heftige Ausbrüche.

„Mein Sohnwird eine ausgezeichnete Schule besuchen“, sagte er langsam. „Ob nun in Durmstrang oder in Slytherin – man wird ihn schon zurechtzubiegen wissen. Vertrauen wir darauf, dass er ein Black ist.“ Er verlieh seinen Worten so viel Nachdruck, dass die Unterhaltung beendet sein musste. Nun, vielleicht, wenn seine Gesprächspartnerin nicht seine Ehefrau gewesen wäre.

„Er wird unseren Namen nicht in den Schmutz ziehen! Wir müssen dafür sorgen, dass er uns Ehre macht. Das Blut allein reicht in diesen Zeiten nicht aus. Von Hogwarts abgelehnt zu werden, ist beinahe so, als hätten wir einen – einen Squib!“ Sie spie das letzte Wort nahezu vor ihm aus.

 

Sirius entschied, genug gehört zu haben und klopfte laut gegen das schwere, glänzende Holz. Durch Zauberhand schwang die Tür nach innen und gab den Blick auf den eleganten, wenngleich seltsam düsteren Salon frei. Der kleine Saal hatte eine verschachtelte Form mit ungewöhnlich niedriger Zimmerdecke. Orion Black saß vor dem Kamin in seinem bevorzugten, schweren Ohrensessel aus schwarzem Leder. Das Feuer spiegelte sich in seinen farblosen Augen und ließ den bernsteinfarbenen Scotch in dem geschliffenen Kristallglas in seiner Hand sanft glühen. Das lange, schneeweiße Haar hatte er streng zurückgebunden. Alles an diesem Mann, der sich in steifes Schwarz kleidete, wirkte zu bleich. Nicht einmal der Alkohol, farblich die einzige Wärme innerhalb seines Dunstkreises, trieb ihm etwas Farbe ins Gesicht.

Sirius wagte den Schritt über die Schwelle in den Raum hinein und sein Blick wanderte zu Walburga. Seine Mutter, eine sehr große, schlanke Frau, hielt ihren polierten Zauberstab in der rechten Hand, die sich klauenartig um ihn verkrampfte, wie immer, wenn sie erregt war.

Als er noch kleiner gewesen war, hatte sie ihm schaurige Märchen aus der Muggelwelt vorgelesen, Geschichten von Hexenverbrennung und der grausamen Verfolgung magischer Wesen. Walburga war der festen Überzeugung, damit die Abscheu ihrer Kinder gegen Muggel zu schüren. Sie ahnte nicht, dass Sirius die unheimlichen, unbeweglichen Illustrationen der Hexen mit seiner Mutter verglich. Walburga hatte weder eine krumme Nase, noch Warzen oder einen Buckel –  und die erste Katze, die sich auf ihrer Schulter niederließ, würde dies sicher mit all ihren neun Leben auf einmal bezahlen. Trotzdem konnte Sirius nicht anders, als eine große Ähnlichkeit zwischen den gefürchteten Muggelhexen und seiner unheilvollen Mutter zu entdecken. Ebenso hellhäutig wie ihr Mann, waren ihre Augen jedoch von einem stechenden Veilchenblau und ihre schwarzen Locken trug sie stets in einer dramatischen Hochsteckfrisur gebändigt.

„Mutter, Vater“, begann Sirius behutsam. Aus den Augenwinkeln fixierte er den Zauberstab seiner Mutter und den verkniffenen Mund seines Vaters.

„Endlich lässt du dich blicken.“ Für ihren gerade erst verklingenden Ausbruch klang Walburga überraschend freundlich.

„Wir müssen dich neu einkleiden. In drei Wochen ist dein Geburtstag, du brauchst neue Roben!“

In drei Wochen würde er elf Jahre alt sein und es würde ein riesige Feier mit allen bedeutenderen Mitgliedern der Familie Black und jedem der magischen Gesellschaft, der etwas auf sich hielt, stattfinden. Vorausgesetzt, er bekam bis dahin seine Einladung für Hogwarts.

Die Briefe kamen, wie Sirius wusste, normalerweise Anfang Juli. Sie galten den Kindern mit magischen Fähigkeiten, die im selben Jahr bis zum Monat September elf Jahre alt wurden. Sirius hatte Anfang November Geburtstag und war somit für den derzeitigen Jahrgang zu jung. Offenbar hatten seine Eltern es sich in den Kopf gesetzt, seine Bewährung als vorzeigbaren Sohn an einem Stück Pergament festzumachen und den Schulleiter um eine deutlich frühere Aufnahmebestätigung gebeten.

„Wie siehst du überhaupt aus? Mary sollte dich herrichten!“ Mit wenigen, großen Schritten war Walburga bei ihm und zog ihn näher in das Licht des Kaminfeuers. Mit dem Zauberstab und ihrer freien Klauenhand machte sie sich an seinen Haaren zu schaffen; weit schmerzhafter, als es das nervtötende Kämmen des apathischen Mädchens gewesen war. Mit brennender Kopfhaut, fein sortierten, glänzenden Locken und um eine großzügige Menge Haare erleichtert, stand er am Ende unter dem prüfenden Blick seiner Mutter, die endlich einmal mit ihm zufrieden schien.

 

 

Madame Malkin besuchte das fürnehme und gar alte Haus der Familie Black höchstpersönlich. Sie kam in Begleitung eines menschlichen und eines elfischen Mitarbeiters. Die Schneiderin übernahm die taktvolle Aufgabe, Mrs Black von allem anderen abzulenken und besprach mit ihr Schnitte und Stoffe, während der Hauself an Sirius und Regulus Maße nahm, die der kleine, ältliche Zauberer mit pfeifendem Atem notierte. Gemeinsam begruben sie die Brüder unter Bahnen magischer Stoffe und steckten sie ab, um der wählerischen Mutter Beispiele für die fertigen Umhänge zu liefern. Regulus war alles andere als begeistert, dass man ihn ebenfalls in Festtagsumhänge zwängte, obwohl er mit den bevorstehenden Feierlichkeiten im Haus nichts zu tun hatte.

„Reiß dich zusammen!“, zischte Sirius aus dem Mundwinkel, den Moment ausnutzend, als Walburga einen Streit mit Madame Malkin beginnen wollte, welche sich glücklicherweise nicht darauf einließ. Mit unzufriedenem Gesicht zupfte Regulus an einem provisorischen Ärmel herum.

„Ich mag kein Grün.“

„Doch, tust du!“

„Tu‘ ich nicht!“

„Versuch‘ es!“

„Aber –“

„PSST!“

„Es fehlen noch Schwarz und silberne Elemente“, drang Walburgas scharfe Stimme in die geflüsterte Auseinandersetzung ihrer Söhne. Der Hauself offenbarte demütig seinen Nacken zwischen den schlackernden Ohren, als er die Länge des Saumes abmaß. Offenbar war er nicht an Walburgas außergewöhnlichem Wandschmuck vorbeigekommen, da er sich mit dieser Freizügigkeit sicher zu fühlen schien.

„Es wird immer schlimmer, Sirius!“ Sirius verdrehte die Augen über den jammernden Tonfall seines kleinen Bruders. Wenn man ihn fragte, bekam Regulus den Spagat zwischen Lieblingssohn und Opfer seiner wahnsinnigen Eltern nur unzulänglich hin. Aber niemand fragte Sirius.

„Niemand wird auf dich achten, Reg. Wenn dir der Umhang nicht gefällt, zieh‘ einfach einen anderen an.“

„Stimmt, ist ja dein Fest.“

Regulus‘ dankbares Lächeln machte die Spitze seiner Worte fast wieder ein wenig wett.

„Master Sirius sind schon wieder gewachsen“, stellte der Schneidergehilfe mit einem zahnlosen Lächeln fest.

„Zweieinhalb Größen mehr als beim letzten Mal!“ So, wie er es sagte, klang es nach etwas, auf das man stolz sein konnte, wie eine Errungenschaft, die Anerkennung verdiente. Sirius lächelte unbeholfen von seinem Stuhl herunter.

„Uhm, ja …“

„Ganze zweieinhalb Größen!“, äffte Regulus nach und kicherte verhalten, etwas, das umgehend die Aufmerksamkeit ihrer Mutter weckte. Plötzlich stand sie sehr nah vor Sirius, der sich mit ihr, dank der erhöhten Position, auf Augenhöhe befand. „Gewachsen.“ Er fühlte sich winzig. „So. Um zweieinhalb Größen.“

Ihr Lächeln war ehrlich, doch es gefiel ihm nicht.

„Nun, wenigstens eins macht der Junge richtig.“ Walburgas Lächeln wanderte zwischen Sirius und Madame Malkin hin und her. Es war seltsam, Empfänger dieses Lächelns zu sein.

„Essen kann er jedenfalls anständig.“ Und sie bedachte Regulus mit einem liebevollen Seufzen; ihren kleinen Engel, schoss es Sirius gehässig durch den Kopf. Er betrachtete seinen kleinen Bruder, der verdutzt und, ob der plötzlich geschlossenen Aufmerksamkeit um seine Person, leicht beschämt neben ihm auf dem Hocker von einem Bein aufs andere trat. Die Brüder sahen sich, abgesehen von dem Größenunterschied einer knappen Kopfeslänge, so ähnlich, sie hätten Zwillinge sein können. Sirius wusste nicht, was es war, das seinem Bruder die Gunst der Mutter einbrachte und womit er ihren Zorn immer und immer wieder auf sich zog. Anständig essen. Was bedeutete das? Und wieso bekam Sirius dafür Anerkennung, etwas zu tun, was Regulus anscheinend nicht tat, wofür dieser aber nur umso mehr belohnt wurde? Es war seltsam, sich manchmal zu wünschen, wie sein kleiner Bruder zu sein. Sirius zog, von sich selbst ganz und gar angewidert, die Nase kraus, als ihm klar wurde, wie sehr ihm gefallen würde, seine Mutter stolz auf sich zu machen.

 

Das Abendessen an jenem Tag war seltsam. Nein, es schmeckte hervorragend. Nur für Sirius war es seltsam. Polka und Kreacher hatten sich wirklich ins Zeug gelegt, um ihre Herrschaften zufrieden zu stellen. Kein Wunder: Polkas Schwester, Dot, hatte den letzten Ausbruch an Missfallen seitens Mrs Black nicht überlebt. Sie war eine niedliche Elfe gewesen, Sirius hatte sie gut leiden können. Ihre Tollpatschigkeit hatte sie jedoch ihren Kopf gekostet. Der hing nun ausgestopft in Mutters dekorativer Sammlung an der Wand. Kreacher, ein verhältnismäßig junger Hauself, hatte den Rest des Leichnams entsorgen müssen und dabei bitterlich geweint. Polka selbst hatte sich in die Arbeit gestürzt, zu keiner Regung über den Verlust seiner Schwester fähig.

Walburga war nach dem erfolgreichen Besuch der Schneiderin friedfertig und guter Dinge und so hielt auch Orion seine Kälte etwas zurück. Das nahezu angenehme Klima regte Regulus zu gesittetem Geplapper an, wie es Walburga gern von ihm hörte. Er erzählte vom Hausunterricht und von seinen neuen Freunden im Quidditchverein für unter Zehnjährige, in den ihn seine Eltern seit kurzem schickten. Etwas, was er Sirius zu verdanken hatte, der sich dafür eingesetzt hatte, dass sein kleiner Bruder gelegentlich an die frische Luft käme (und aus der giftigen Reichweite ihrer Eltern), noch bevor Regulus selbst nach Hogwarts ging. Sirius starrte auf seinen Teller. Die schaumige, gute gewürzte Kürbissuppe duftete verführerisch und sein Magen grollte in freudiger Erwartung. Das leuchtende Orange der Suppe brannte ihm fast in den Augen, doch er konnte auch nicht wegsehen.

Mit halbem Ohr lauschte Sirius Regulus‘ Monolog: „… und Crouch hat gesagt, dass meine Trefferquote seit dem Anfang schon deutlich gestiegen ist, so dass ich vielleicht in drei Jahren, wenn ich in der zweiten Klasse bin …“

Sirius schloss die Augen. Reggie, sei still, dachte er. Die kindliche Stimme seines geliebten Bruders bohrte sich in seinen Kopf wie ein Klatscher. Du weißt nicht, wovon du da redest. Erfolg bringt dir gar nichts. 

Unauffällig atmete er tief ein, so tief er nur irgend konnte. Der Sauerstoff schien seinem Kopf gut zu tun, denn der seltsame Tunnelblick legte sich ein wenig.

„… nächsten Sonntag besuchen wir vielleicht sogar das Stadion, aber wir brauchen dafür die Erlaubnis unserer Eltern.“

Als er die Augen öffnete, tauchte vor ihm erneut sein Teller auf, bis zum Rand gefüllt mit cremiger, würziger Wärme, garniert mit Rahm und feinen Kräutern. Ihm war plötzlich schrecklich flau.

„… deshalb, Vater – darf ich? …“

Sirius‘ Kopf, der in den letzten Minuten unmerklich immer weiter gen Teller gesunken war, fuhr ruckartig hoch, um seinen Vater anzusehen.

„Sirius, sitz gerade!“, erreichte ihn die spitze Stimme seiner Mutter.

„Ja, Mutter“, murmelte er entschuldigend, doch sein Blick blieb an seinem Vater haften, obgleich ihn Walburga für sein Nuscheln erneut tadelte.

„Natürlich, mein Sohn. Ich werde sogar sehen, dass ich dich begleiten kann.“

Regulus war nicht weniger sprachlos als Sirius. Bei Orion wusste man nie genau, ob es sich bei solch einer Ankündigung um Geschenk oder Strafe handelte. Auf jeden Fall war es ein denkwürdiges Ereignis, dass ihr Vater sich für die nichtigen Wochenendaktivitäten seiner Kinder interessierte, ja, ihnen sogar beiwohnen wollte.

„D-danke, Vater!“, platzte es aus Regulus, der vor Aufregung zitterte. Seinen Teller Suppe hatte er bis auf den letzten Löffel geleert.

Dieser Moment hatte etwas von einem Déjà-Vu. Sirius erinnerte sich urplötzlich an die Zeit, als Regulus noch keine zwei Jahre alt gewesen war und nur geschrien hatte. Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn im Hause Black war man Geschrei gewöhnt. Schlimm war nur, dass Walburga darauf reagierte. Vor allem, wie. Sie kümmerte sich selbst um den weinenden Regulus, ihren kostbaren Sohn, und ließ keinen der Bediensteten an ihn heran, die viel zu verängstigt ob der unberechenbaren Mutter waren, als dass es ihnen gelänge, das Kind zu beruhigen. Regulus schrie, sobald sich ihm jemand anders als seine Mutter näherte. In Form eines gewaltigen, bohrenden Stechens lernte Sirius Black im Alter von vier Jahren die Eifersucht kennen.

D-danke, Vater!

D-danke, Vater!

D-danke, Vater!

Mehrfach hallten die Worte seines kleinen Bruders in Sirius‘ Kopf wider, mit jedem Mal verzerrter, quäkiger, höhnischer. Wieder verspürte er das Stechen. Mit einem Löffel nun fast kalter Suppe versuchte er, es hinunterzuschlucken. Es gelang nicht, vielmehr fühlte es sich an, als würde die Suppe zusammen mit einer bisher unbekannten Wut einen Kloß in seinem Hals bilden. Ein bitterer, pelziger Geschmack legte sich auf seine Zunge. Sirius griff hastig nach seinem Becher und schüttete Wasser hinterher, in der Hoffnung, den Wutkloß hinunterzuspülen.

„Sirius! Sauf nicht wie ein Vieh! Schämst du dich nicht!“ Er spürte die Zornesfalte zwischen seinen Brauen und dachte an seine jahrelange Übung der Ausdruckslosigkeit. Disziplin, Sirius … Er versuchte im Geiste, seine Stirn glatt zu bügeln.

„Ja … Mutter …“

„Du hast deine Suppe kaum angerührt! Sieh nur, selbst dein Bruder hat heute gut gegessen.“

Der Zorn war zu groß, das Stechen unerträglich, die Übelkeit kämpfte sich tief aus seinen Eingeweiden nach oben und er erbrach sich in seinen Teller. Suppe und Erbrochenes spritzte zu beiden Seiten auf das Tischtuch. Für einen Moment blieb die Zeit stehen. Im Geiste sah Sirius sich selbst, fast sechs Jahre jünger, wie er vor dem magisch wiegenden Gitterbettchen seines kleinen Bruders stand. Dessen Kopf war tief rot angelaufen, die verheulten Augen geschwollen, die Nase lief. Regulus hatte sich selbst in den Schlaf geschrien; dieses eine Mal hatte Walburga ihn nicht umarmt, ihm keinen Trost geschenkt, wie Sirius es schon viel zu oft beobachtet hatte. Seine eigenen kleinen Hände ballten sich zu Fäusten, entspannten sich, verkrampften sich erneut, bis die Knöchel weiß hervortraten und sich kleine, halbmondförmige Abdrücke seiner Nägel in den Handflächen gebildet hatten. Regulus‘ Kopf lag auf der Matratze, das Kissen knapp verfehlend, die kurzen Beinchen in seiner Kinderdecke verheddert. Eine unwahrscheinliche Hitze loderte in Sirius auf und seine Fäuste schnellten hervor, um nach dem Kissen zu greifen. An einem Ende war es durchnässt von Tränen und der Rotznase Regulus‘, doch das bemerkte er kaum. Er knüllte es zusammen, so fest es nur ging, drückte es sich selbst in den Magen, mit aller Macht. Er wandte seine gesamte Kraft auf, die ganze Gewalt, mit der er Regulus das Kopfkissen ins Gesicht drücken wollte. Bis er selbst würgen musste, weil er sich den Atem aus dem eigenen Leib quetschte. In diesem Moment schlug Regulus die verklebten Augen auf, gerötet zwar, aber genau so grau, wie seine eigenen. Das Kind starrte ihn an, regungslos, hellwach. Die Hitze, die zuvor aus seinem Innersten gebrannt hatte, wich einer Kälte, die wie von außen in seine Glieder kroch. Seine Lippen wurden taub, das Kissen fiel ihm aus der Hand und landete fast lautlos neben ihm auf dem flauschigen Teppich. Plötzlich verspürte Sirius Angst, eine schreckliche Furcht vor sich selbst und auch vor seinem Bruder, mit dem ihm zum ersten Mal, seit dessen Geburt, so etwas wie Zuneigung verband. Er wollte Regulus nicht wehtun. Denn Regulus sah ihn an und lächelte.

 

Die Zeit raste wieder. Das Abendessen brachte Sirius mehr als eine Ohrfeige ein. In Momenten wie diesen war seine Mutter sich für muggelwürdige Methoden nicht zu schade, auch wenn sie ihn mit ihrem blanken Zauberstab verdrosch. Bei jedem Hieb stoben Funken, die sich durch seine Kleidung schmerzhaft in die Haut fraßen.

Bitte zerbrich doch einfach, verdammt, zerbrich, zerbrich, ZERBRICH!

Der Zauberstab seiner Mutter wollte ihm nicht gehorchen.

„Disziplin, Sirius!“, hörte er vom Boden aus irgendwo über sich die eisige Stimme seines Vaters, aus der deutlich Ekel sprach. Regulus musste längst verschwunden sein; er wusste, wann es an der Zeit war, sich zu verziehen. Die Schläge hielten für einen Moment inne, das Prasseln der sich entladenden Magie hallte länger nach.

„POLKA!“ Sirius hielt sich die Ohren zu, nutzte die Gelegenheit, kurz außerhalb der Aufmerksamkeit seiner tobenden Mutter zu stehen.

Unter der Tischdecke hindurch konnte er die knubbeligen Knie des Hauselfen sehen, als dieser herein schlurfte und eine Verbeugung andeutete.

„Ja, Herrin?“, piepste Polka heiser, ausdruckslos. „Sirius ist krank! Offenbar stimmt etwas mit dem Essen nicht!“

„Nein, Herrin. Es wurde mit Sorgfalt und nach euren Wünschen zubereitet.“ Sirius stöhnte innerlich. Widerworte aus dem Munde eines Hauselfen kamen einem Todeswunsch gleich.

„WIE KANNST DU ES WAGEN!“, kreischte Walburga. „DU WOLLTEST UNS VERGIFTEN! DRECKIGE BRUT! DEINE SCHANDE VON FAMILIE MUSS ENDGÜLTIG AUSGEMERZT WERDEN, DAMIT IHR KEINEN SCHADEN MEHR ANRICHTEN KÖNNT!“

Sirius hörte Polkas Antwort nicht mehr; er spürte nur noch, wie sein Vater ihn am Kragen packte, um ihn auf die Beine zu zerren. Halb gezogen, halb selbst stolpernd wurde er aus dem Esszimmer geschleift; die Treppe nach oben schaffte er kaum.

„Schäm dich, Sohn. Du bist fast kein Kind mehr, übernimm gegenüber deinem Bruder endlich Verantwortung und sei ihm ein Vorbild.“

Sein Vater blieb stehen und gab Sirius einen kurzen Moment Zeit, bis er sicher auf eigenen Beinen stand.

„Geh auf dein Zimmer. Vor morgen früh will ich dich nicht mehr sehen.“

 

Man konnte sich einreden, dass es zu seinem Schutz war. Dass sein Vater ihn aus dem Esszimmer fernhalten wollte, in dem in diesem Moment die grausige Hinrichtung eines unschuldigen, gebrochenen Wesens stattfand. Schmerzerfüllt sah er Orion nach, als dieser die Treppe hinunter und in Richtung seines Arbeitszimmers verschwand. Auf seine eigene Art wirkte er gewaltig, breitschultrig, stählern. Er hat dich vor Mutter beschützt. Es war leicht, das zu denken. Ungleich schwerer, es zu glauben. Das Bild eines feigen, geprügelten Hundes erschien vor seinem geistigen Auge, als Sirius sich an der Wand entlang zu seinem Zimmer vortastete. An Regulus‘ Tür blieb er stehen – sie war nur angelehnt. Von drinnen hörte er Schluchzen. Reggie war allein, genau wie er. Vielleicht brauchte er jetzt einfach seinen Bruder. Er hob die Hand, um behutsam anzuklopfen, doch bevor seine Knöchel das Holz berührten, vernahm er eine piepsig-knarztende Stimme: „Es ist schon gut, Master Regulus. Kreacher ist ja da …“ Sirius hielt in der Bewegung inne. Sein Magen war leer, doch fühlte er sich, als müsse er sich erneut übergeben. Er zwang das Gefühl hinunter, straffte seinen geschundenen Körper und stampfte geräuschvoll in sein eigenes Zimmer.



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