Zum Inhalt der Seite

Zum Zuschauen verdammt

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Kapitel 13 - Wie ein neuer Mensch

"Wenn Sie den Ausdruck verzeihen, aber Sie sehen aus, als seien Sie zwischen einen Diffindo gekommen."
 

Ollivander hatte recht. Ernüchternd starrte sie in den fleckigen Spiegel, den Ollivander ihr aufgestellt hatte und legte die Schere beiseite. Ihre Haare hatte sie zu einem Zopf zusammen geflochten und nun, da der entscheidende Tag gekommen war, kurzerhand abgeschnitten. Für heute hatte sich Albus Dumbledore angemeldet und würde der Winkelgasse sie Ehre seiner Präsenz erweisen. Sie war also früh morgens zu Ollivander gegangen, die Tränke unter ihrer Schürze versteckt, und hatte begonnen alles vorzubereiten. Getestet hatte sie bisher noch immer nichts, da sie stattdessen lieber bei Tom gearbeitet hatte und sich zusätzlich etwas zu verdienen, was Rückblickend gesehen vermutlich doch zu riskant war. Passiert ist passiert und nun war heute der Tag der Wahrheit in jeder Hinsicht.
 

Den Anfang hatten ihre Haare machen sollen, die nun klatschnass und arg gekürzt von ihrem Kopf hingen. Sie fasste an eine etwas längere Strähne, die ihr Kinn umschmeichelte. Der Schnitt sah wirklich sehr grob aus, doch mit etwas Nachbessern und dem richtigen Föhnen würde er einem Bob-Schnitt ähneln; das hoffte sie zumindest.
 

"Perfekt muss es nicht werden", erwiderte sie, als sie erneut zur Schere griff. Doch Ollivander riss sie ihr sofort wieder aus der Hand.
 

"Lassen Sie mich das lieber machen. Sie sehen ja kaum etwas."
 

Tess ließ ihn gewährend und beobachtete, wie er hier und da ein Stück ihrer Haare entfernte. Sie hätte gedacht, es würde schwerer werden sich von ihren Haaren zu trennen. Wirklich kurz hatte sie sie nie getragen, sodass ihr der Anblick ihrer selbst äußerst befremdlich erschien. Warte erst ab, wie du gleich nach den Tränken aussiehst, dachte sie, wobei sie skeptisch den Mund verzog.
 

"Das reicht, danke Mr Ollivander." Sie beugte sich ein wenig nach vorne und schüttelte ihre Haare, von denen sie glaubte, dass sie nun gleichmäßig waren.
 

"Was soll damit passieren?", fragte er, den abgeschnittenen Zopf in Händen halten.
 

Tess zuckte mit den Schultern. "Ich vermute daraus kann man keine Zauberstabkerne machen?"
 

"Ich fürchte nicht", erwiderte Ollivander und warf den Zopf schmunzelnd in einen aufgestellten Eimer. "Kommen Sie zurecht? Ich müsste schnell etwas holen."
 

Tess nickte, als sie nach der Farbe griff. "Natürlich, gehen Sie ruhig. Damit komme ich alleine klar."
 

Der Zauberstabmacher verabschiedete sich und Tess begann damit ihre neuen Haare blond zu färben. Es dauerte, bis sie über dem Waschbecken die Farbe aufgetragen und nach längerem Däumchen drehen wieder entfernte hatte. Doch Ollivander war noch immer nicht zurück. Während sie alleine in dem noch geschlossenem Laden wartete, wuchs ihre Nervosität immer weiter. Ihre größte Furch war, dass heute etwas schief ging, allen voran die Tränke. Sie starrte auf die drei unscheinbaren Flaschen, von denen in gewisser Weise alles abhing. Immer wieder redete sie sich Mut zu, dass sie vertrauen haben sollte. Dass sie in der Theorie alles richtig gemacht hatte. Theorie, von der ich eigentlich keine Ahnung habe.
 

Sie seufzte und hörte, wie sich Ollivander endlich näherte. Erleichtert nicht mehr alleine mit ihren Ängsten zu sein kam sie ihm entgegen, wobei sie neugierig beäugte, was er auf den Armen trug.
 

"Ihre Kleider werden ihnen nach dem Schrumpfen nicht mehr passen. Das hier sind Sachen meiner Tochter." Er lächelte nostalgisch. "Ich kann nichts wegwerfen, müssen Sie wissen."
 

Tess prüfte die helle Bluse und den schlichten, weite Falten schlagenden Rock und war begeistert. Sie hatte an vieles gedacht, aber eben doch nicht an alles. Ollivander auf ihrer Seite zu haben war eine große Hilfe und erneut hatte sie das Gefühl, es ihm nicht genug zu danken.
 

"Die sind perfekt, vielen Dank. Für alles."
 

Ollivander winkte ab. "Dafür ist später Zeit. Albus ist sicher bald da und wir wissen nicht, wie die Tränke sich verhalten."
 

Tess musterte erneut die Flaschen. Es war nun soweit.
 

"Haben Sie eine bestimmte Reihenfolge im Sinn?"
 

"Ich dachte ich fange mit dem Größten an, dem kombiniertem Schrumpftrank. Dann der Falten-Trank und zum Schluss der Färber."
 

Ollivander nickte stumm und wartete darauf, dass Tess den ersten Schluck nahm. Sie sah, dass er sich an eine Tasche seines Werkzeuggürtels fasste, wo zweifellos der Bezoar verstaut war, den Tess ihm übergeben hatte, wie er es verlangt hatte. Tess hoffte, dass es nicht soweit kommen würde ihn benutzen zu müssen. Alles wird gut, alles wird gut.
 

"Zum Wohl", sagte sie und trank mit all ihrem Mut, den sie aufbringen konnte, von der ersten Flasche; dem Gesöff, das arg an Cola erinnerte. Wenn es doch nur so geschmeckt hätte. Ein bitterer, scharfer Aroma machte sich sofort in ihrem Mund breit, der Tess heftig zum Husten brachte. Sie spürte, wie der Trank Zentimeter um Zentimeter ihre Speiseröhre entlang lief und fühlte sich dabei mehr als elend. Das erste Knacken hörte sie einige Sekunden, nachdem sie die Flasche abgestellt hatte. Es war ein ekliges Knacken, wie es nur von brechenden Knochen zu hören war. Sie fühlte ein Ziehen in ihrem rechten Oberschenkel, das sich nun graduell ausbreitete, bis sich auch die Zehen ihres linken Beines in jede Richtung zu winden schienen. Schmerzen hatte sie jedoch erstaunlicherweise keine, nur ein drückendes Gefühl in ihrem ganzen Körper, das mehr als unangenehm war. Sie stöhnte auf, hielt Ollivander jedoch mit erhobener Hand zurück einzugreifen. Sie fühlte, wie es funktionierte. Die Welt um sie herum wurde größer und ihr Gleichgewichtssinn war mehr und mehr gestört.
 

Als der Unterrock ihres Kleides den Holzboden des Ladens berührte, flaute der Druck in ihrem Körper ab und es war vorbei. Tess betrachtete ihre Finger, die noch ziemlich normal aussahen. Also hatte sie keine unschöne Verwandlung zu einem blauen Schlumpf durchgemacht, was sie innerlich als positiv notierte. Die Ärmel ihres Kleides bedeckten beinahe ihre kompletten Handflächen und der Rest des Kleides schlabberte ihr um Hüfte und Beine. Ollivander, nun doppelt so groß in ihren Augen, starrte auf sie herab.
 

"Zu viel?", fragte Tess unsicher, doch Ollivander schüttelte stolz den Kopf.
 

"Nein, zwar noch immer ein wenig groß, aber durchaus kindlich. Gut gemacht, Miss Harris." Groß fühlte Tess sich nicht mehr. Neugierig ging sie ein paar Schritte, schwankte jedoch noch ein bisschen. Ihre Sinne hatten sich an die neue Größe und damit an den neuen Blickwinkel noch immer nicht gewöhnt.
 

"Springen sollte ich wohl vorerst lassen", meinte sie scherzhaft und griff zur zweiten Flasche. Ohne zu zögern nahm sie auch hiervon einen Schluck, musste den zähen Sirup jedoch mit der Zunge in ihren Hals schieben. Die Konsistenz erinnerte an Honig und tatsächlich schmeckte es ohne die Süße ähnlich erdig. Der Effekt auf ihren ganzen Körper blieb diesmal aus. Stattdessen glaubte sie in einem Strahl warmer Luft zu stehen, der über ihre Haut wehte. Noch während des eigenartigen Gefühls auf ihrer Haut, strich sie sich über ihr Gesicht, das unter ihrer Berührung prickelte.
 

"Tut sich was?", wollte sie wissen. Ollivanders Reaktion machte ihr Hoffnung.
 

"Oh ja, ich kann es nicht beschreiben aber, Sie sehen anders aus." Tess griff sich erleichtert an die kaum vorhandene Brust. Das Wichtigste war geschafft. Der Farbveränderer war nur ein Bonus, denn von ihm hing ihre komplette Tarnung nicht ab. Mit leichterem Herz, als noch vorhin, nahm sie einen Zug des Gebräus, das von allen dreien am widerlichsten schmeckte. Es dauerte bis sie sich überwinden konnte das Zeug, das wie eine hartnäckige Tablette in ihrem Gaumen hing, zu schlucken. Dabei verzerrte sie ihr Gesicht vor Ekel und streckte die vom herben Geschmack taube Zunge heraus.
 

"Urgh, das war fies", versuchte sie zu sagen. Ollivander sah sie belustigt an und hob hilflos die Schultern. Fast hoffte sie, dass der Trank nicht funktionierte, denn der Gedanke das Zeug immer wieder einnehmen zu müssen, ließ sie erschauern.
 

"Hatten Sie eine bestimmte Farbe im Sinn, Miss Harris?"
 

"Wäre gut, wenn es nicht gerade Lila wäre. Ein Blau-Ton, so hieß es in der Beschreibung. Bah, ich hab' den Geschmack immer noch im Mund..."
 

"Sehen Sie mich bitte an."
 

Tess war so abgelenkt gewesen, dass sie keine Acht gehabt hatte, ob ihre Augen eine Veränderung gemacht haben. Wie von Ollivander verlangt sah sie ihm mit aufgerissenen Lidern an, bis dieser nickte.
 

"Ich fürchte der Trank ist etwas zu schwach. Ihr natürliches Braun schimmert ein wenig durch, aber das ist zu vernachlässigen." Er trat nach vorne und legte ihr seine Hände auf die Schultern. "Ich bin stolz auf Sie, das war eine Glanzleistung. Oh, sicher wollen Sie sich selbst betrachten." Tess nickte, war jedoch gerührt von den Worten des alten Mannes und gleichzeitig erleichtert die erste Hürde geschafft zu haben.
 

Ungläubig bestaunte sie ihren neuen Körper in dem Spiegel, den Ollivander ihr hin hob. Sie sah aus, wie sie selbst, und doch anders. Wenn sie genau hinsah, erkannte sie sich in ihrer Gestik, in der Art, wie sie vor Staunen die Augen runzelte oder den Mund bewegte. Doch bei nur flüchtigem Hinsehen, hätte sie sich selbst nicht in dem Wesen im Spiegel gesehen.
 

Ihre Wangen waren rund, ihr Körper undefiniert und zweifellos der eines Kindes. Ihre Augen waren tatsächlich eine Mischung aus hellerem Braun und Blau. Zusammen mit den hellen Haaren war sie ein völlig anderer Mensch. Nur ihre noch immer dunklen Augenbrauen stachen heraus.
 

"Sie sollten die Kleider probieren. Ich bin zwar kein Meister wie Madam Malkin, aber ich werde sehen, was ich tun kann."
 

Tess riss sich von dem Spiegel los und schnappte sich Bluse und Rock, die ihr Ollivander freundlicherweise überließ. Der Rock war für ihre Beine ein wenig kurz, doch mit ihrer Strumpfhose war es ganz ansehnlich. Ollivander kannte einen Zauber zum Anpassen der Kleider, weshalb er die restlichen Schönheitsfehler ausglich. Das Ergebnis kam nicht annähernd an die professionelle Arbeit von Madam Malkin heran, doch es würde genügen.
 

Nun hieß es warten. Die beiden nutzten die Zeit um ihre Geschichte zu verfeinern, die sie Albus erzählen würden, wobei Tess begann nervös auf und ab zu gehen. Jedes Mal, wenn sie die Glocke im Eingangsbereich hörte, fuhr sie zusammen, doch bisher waren es nur Kunden, die hereinkamen. Während Ollivander sich um sie gekümmert hatte, war Tess unruhig im hinteren Teil des Ladens durch die Reihen der Regale getigert. Immer wieder schielte sie dabei in den Spiegel und suchte nach Anzeichen, dass einer der Tränke langsam seine Wirkung verlor. Bisher war dies jedoch Gott sei Dank nicht geschehen. Wenn Dumbledore aber nicht bald kam, würde sie zur Sicherheit von allem einen zweiten Schluck nehmen. Wenn es eins gab, was fatal werden konnte, dann dass sie sich mitten im Gespräch verwandelte und das wollte sie nun, da sie die Gewissheit hatte, dass ihre Tränke funktionierten, nicht riskieren.
 

Es war nach Tee-Zeit, als die Tür erneut klingelte und Ollivander sie nach vorne rief. Tess wappnete sich mit einem letzten Blick in den Spiegel und schlurfte mit flauem Magen nach vorne. Sie erwartete einen alten Greis mit Haaren bis zum Boden zu sehen, in schillernden Roben gekleidet und umgeben von einer Aura purer Weisheit, doch sie sah weder das eine noch das andere.
 

Im Raum stand eine Frau mittleren Alters, mit glänzend braunen Haaren, die zu einem strengen Zopf gebunden und gezwirbelt waren. Sie begrüßte gerade Ollivander überraschend herzlich, ehe sich beide Erwachsene umdrehten und zusahen, wie Tess sich näherte. Die konnte ihre Verblüffung nicht verbergen und starrte beinahe zu aufdringlich die Dame an der Tür an. Sie hatte eine gute Ahnung, wer das vor ihr war.
 

"Darf ich vorstellen: Miss Evelyn Harris." Er deutete auf Tess, woraufhin sie dem Besuch die Hand entgegen streckte. Den Blick hatte sie noch immer auf der großen und schlanken Frau gehaftet.
 

"Hallo", brachte sie heraus. Sie hatte vorgehabt auch ihre Stimme etwas zu verstellen, das war gerade jedoch nicht nötig, da sie vor Aufregung sowieso kaum Buchstaben formen konnte und nur ein dünnes Stimmchen hervorbrachte. Die Frau ergriff mit ihren schlanken Händen die von Tess.
 

"Sehr erfreut. Mein Name ist Minerva McGonagall, Stellvertretende Schulleiterin von Hogwarts." Sie wendete sich an Ollivander. "Albus lässt sich entschuldigen, Garrick. Er meinte er hätte sich um Angelegenheiten zu kümmern, die seiner vollsten Aufmerksamkeit bedürfen." Tess glaubte ein wenig Spott in ihren letzten Worten zu hören.
 

"Muss er das nicht immer?", erwiderte Ollivander amüsiert, was McGonagall jedoch unkommentiert ließ.
 

Tess war beides, mehr als erleichtert nicht Dumbledore treffen zu müssen, und extrem eingeschüchtert eine der größten Hexen dieser Zeit zu treffen. Sie hatte großen Respekt vor dieser Frau, die absolut loyal und furchtlos war. Ein Glück, dass zunächst Ollivander das Reden übernahm.
 

"Wollen Sie einen Tee, Minerva?"
 

"Gerne", sagte sie und trat weiter hinein, während sie sich ihres Umhangs entledigte. Tess folgte den beiden, die sich nun in einem Gespräch vertieften und fühlte sich wie das dritte Rad am Wagen. Unsicher, was sie machen sollte, stand sie daneben und wartete darauf angesprochen zu werden. Wieder ein Kind in jeder Hinsicht, dachte sie mit einem Schmunzeln.
 

Tess trank stumm ihren Tee, wobei sie nicht umhin kam McGonagall erneut von der Seite zu beobachten. Ohne ihren Umhang konnte Tess nun eine beeindruckende Robe in braunen Tönen und mit filigranen Stickereien sehen. Mitten im Gespräch griff sie in eine an ihrer Robe verborgenen Tasche und zog eine dünne Brille mit eckigen Gläsern hervor, die sie sich auf die Nase setzte. Jede Bewegung, jede Pose wirkte absolut würdevoll.
 

Tess blendete das Gespräch um sie herum aus und versank in Gedanken, wo sie sich vorstellte, was diese Frau vor ihr, die so gelöst mit Ollivander tratschte, bereits geleistet hatte und was sie noch alles tun würde. Je länger sie stumm darüber nachdachte, desto schlechter wurde ihr Gewissen und sie begann an ihrer Lippe zu kauen. Sie könnte diese Frau vor vielem bewahren, ihr Dinge anvertrauen, mit der sie anderen helfen konnte, doch war das klug? Tess wusste, dass McGonagall lebend das Ende des Krieges erreichen würde, andere würden jedoch nicht so viel Glück haben. Sie war in der Position etwas zu ändern. Diese Frage hatte sie in sich vergraben und sich abgelenkt mit ihren Studien, mit dem Brauen der Tränke und mit ihrer Arbeit als Kellnerin. Doch je länger sie McGonagall sah und ihre erstaunlich tiefe Stimme hörte, desto mehr wurde ihr bewusst, was sie für Hogwarts und seine Bewohner tun könnte. Ihr wurde bewusst, dass sie alle nun reale Personen waren, mit realen Schicksalen, wie sie selbst eine solche Person war.
 

"Miss Harris, das ganze muss sie fürchterlich langweilen, verzeihen Sie bitte." McGonagall hatte sich nun direkt an Tess gerichtet und sie aus ihren Gedanke geholt. "Eigentlich bin ich nicht hier, um mit Ihnen, Garrick, zu plaudern", sie neigte sich zu Tess, "sondern mit Ihnen. Sie haben also den Wunsch Hogwarts zu besuchen."
 

Tess nickte, traute sich aber nicht zu sprechen.
 

"Wie Mr Ollivander bereits berichtet hat, wohnen Sie eigentlich in Frankreich, ist das richtig?"
 

"J-a, Mrs, ehm, Professor McGonagall."
 

"Mein Sohn hat sich ihrer angenommen. Wie Sie vielleicht wissen blieb sein Kinderwunsch bisher unerfüllt", mischte sich Ollivander nun ins Gespräch. "Doch ich fürchte, er hat dem Kind zu viel Gutes über seine alte Heimat und vor allem über Hogwarts erzählt."
 

McGonagall faltete vor sich ihre Hände, bevor sie an ihn gewendet sprach. "Beauxbatons wäre eigentlich für ihre Ausbildung zuständig, Garrick."
 

Tess schluckte schwer. Sie musste nun etwas sagen und fiel Ollivander, der gerade versuchte zu argumentieren, ins Wort. "Hogwarts ist Europas beste Schule. Ich habe so viel davon gehört und gelesen, dass ich mir keine andere Schule mehr vorstellen kann." Sofort ruhte McGonagalls strenger Blick auf ihr.
 

"Erstaunlich, Sie sprechen unsere Sprache beinahe akzentfrei. Für ein Kind ihres Alters ist das bemerkenswert. Wobei, Harris ist nicht gerade ein französischer Name, oder?"
 

Darauf sind wir vorbereitet, schoss es ihr durch den Kopf, was ihren Puls jedoch trotzdem aus wachsender Panik langsam in die Höhe trieb. "England. Ich komme eigentlich aus England."
 

"Richtig, mein Sohn hatte es bevorzugt ein armes Kind aus England in seine Obhut zu nehmen."
 

Armes Kind aus England? Sie sah Ollivander kurz an, blickte dann jedoch wieder zu McGonagall, die ausdruckslos auf sie herabschaute. Er hätte nicht so übertreiben müssen, dachte Tess, aber jetzt hatte Ollivander sie bereits als armes Kind abgestempelt.
 

"Ich habe meine Familie nie gekannt, aber ich bin sicher, sie waren auf Hogwarts. Bitte lassen Sie mich die Schule besuchen."
 

Sie hoffte damit etwas in der Lehrerin zu bewegen, doch diese presste nur die Lippen zusammen. Kein gutes Zeichen, dachte Tess. Mist, mit der Mitleidsnummer hätte ich Dumbledore jetzt bestimmt gehabt. McGonagall erwies sich jedoch als schwieriger Brocken. Wer hätte gedacht, dass sie sich nun den Schulleiter statt Minerva McGonagall wünschte? Tess überlegte fieberhaft, wie sie die Hauslehrerin von Gryffindor für sich gewinnen könnte.
 

"Miss Harris, Ihre Wohnhaft ist in Frankreich und damit im Einzugsgebiet v-"
 

"Wenn ich Sie hier kurz unterbrechen dürfte, Minerva." McGonagall sah Ollivander fragend an, der einige Pergamente aus der Schublade unter seinem Schreibtisch zog und sie ihr reichte. "Wie Sie sehen, bin ich vor dem britischen Ministerium für Magie als Vormund von Miss Harris eingetragen. Ihre Wohnhaft ist daher streng genommen auch hier."
 

Tess starrte Ollivander an, der unentdeckt von Minerva, die die Pergamente studierte, kurz zu Tess zwinkerte. Ein Zeichen, dass Hoffnung bestand.
 

Für einige Herzschläge hörte sie nur das Rascheln der Pergamente, doch dann hob McGonagall den Kopf. "Wenn das so ist, wäre Miss Harris befugt Hogwarts zu besuchen." Tess atmete laut ein und strahlte die Professorin an. Die hob aber den Finger um ihre Begeisterung zu zügeln. "Ich sagte wäre, Miss Harris. Jemand nachträglich, so kurz vor dem Schuljahr noch dazu, auf die Liste der Schüler zu setzen, ist eine schwierige Angelegenheit. Wir können nicht den Wünschen jedes Kindes in Europa nachkommen." Sie hob hilflos die Arme.
 

"Ihr Umstand tut mir wirklich leid, Miss Harris. Aber wir sind Regeln unterworfen, nach denen wie uns richten müssen. Ich muss Ihnen daher leider eine Absage erteilen." Diese Aussage traf Tess hart. Sie war sich sicher, dass sie angenommen werden würde, wenn es ihr erst gelang ihr Äußeres zu verändern. Nun stand sie hier, im Körper eines Kindes und war so kurz vor ihrem Ziel gescheitert. Ihr Kopf sank, als sie ins Leere starrend langsam realisierte, dass sie Hogwarts nie sehen würde.
 

"Minerva, ich bitte Sie. Albus hatte bereits zugesichert, dass Hogwarts gewiss groß genug sei. Was machte ein Schüler mehr oder weniger schon aus?"
 

"Bitte, Garrick. Dieses Jahr ist es ein Schüler, nächstes Jahr sind es drei und wieder im nächsten Jahr zehn. Der Schulrat ist darauf bedacht den Titel einer Eliteschule zu behalten. Hogwarts Prinzipien beruhen darauf, dass man sich nicht Einkaufen kann. Man wird erwählt Hogwarts besuchen zu dürfen und Miss Harris steht nicht auf der Liste. Es kann sein, dass sie bei ihrer Geburt vorgemerkt worden war, aber die Magie des Schlosses macht es unmöglich die Liste einzusehen, ehe es nicht Zeit ist die Kinder einzuladen. Noch nicht einmal der Schulleiter kann das."
 

Ollivanders Gesichtszüge erhärteten sich, als er sprach. "So ein Blödsinn. Jeder zahlt die Schulgebühr und die für Miss Harris ist bereits überwiesen, mit keinem Knut mehr. Derselbe Betrag, wie bei jedem anderen auch. Zu den Prinzipien von Hogwarts gehört es auch jedem eine Ausbildung zu ermöglichen, ist es nicht so, Minerva?" Minerva verzog den Mund zu einer dünnen Linie. Tess stolperte hingegen über die Erwähnung des Wortes "Schulgeld". Sie schaute Ollivander flehend an, doch dieser war ganz auf McGonagall fixiert.
 

"Schauen Sie mir in die Augen, Minerva, und sagen Sie mir, dass Hogwarts nicht deshalb erbaut wurde, um jedem Kind eine magische Ausbildung zu ermöglichen, falls es darum bittet."
 

Tess schöpfte Hoffnung, als sie sah, wie Minerva McGonagall angespannt von einem Fuß auf den anderen wechselte. "Es gehört in der Tat zur Philosophie unserer Schule jedem eine Ausbildung zu ermöglichen." Sie schaute nun Tess an. "Miss Harris, wünschen Sie wirklich an der Hogwarts Schule für Hexerei und Zauberei zu studieren?"
 

"Ja", schoss es aus ihr heraus. "Mehr als alles andere."
 

Sie beobachtete, wie McGonagall tief einatmete und daraufhin erneut in die verborgene Tasche griff. Dieses Mal zog ein geschnürtes Bündel heraus, das sie Tess reichte. Tess glaubte ihr Herz würde ihr aus ihrer Kehle springen, als sie mit zitternden Fingern das Papier entgegen nahm.
 

"Schulbeginn ist am 1. September, Miss Harris. Ich erwarte nur die beste Leistung von Ihnen." Sie nahm sich ihren Umhang und nickte in Richtung Ollivander. "Ich werde Albus ausrichten, dass er Miss Harris auf die Liste setzen soll. Das Schulgeld ist, wie Sie sagten, bereits bezahlt und wird einbehalten. Danke für den Tee, Garrick. Guten Tag."
 

Ohne sich erneut umzudrehen verschwand Minerva McGonagall aus der Tür.
 

"Puh, das war knapp, nicht wahr, Miss Harris? Miss Harris? Geht es Ihnen nicht gut?" Besorgt griff er nach Tess, die an Ort und Stelle auf die Knie gesunken war. Sie hatte sich nicht mehr auf den Beinen halten können, als sie das rote Wachssiegel von Hogwarts unter ihren Fingern gespürt hatte. Die Tränen, die zuvor stumm, flossen, brachen nun mit heftigem Schluchzen aus ihr heraus. Den Brief umklammerte sie mit beiden Händen und drückte ihn gegen ihre Brust. Sie hatte es geschafft, sie hatte ihren Brief bekommen. Er kam 14 Jahre zu spät, doch nun saß sie hier, in der falschen Welt, im falschen Körper und glücklicher, als sie es sich je erträumt hatte.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück