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Kapitel 42 - Pause ohne Rast

Kurz vor Ferienbeginn fiel das Thermometer schließlich so weit, dass die komplette Oberfläche des Sees mit festem Eis bedeckt war. Eigentlich war es nicht gestattet worden daraufhin in die Nähe des Sees zu gehen, doch an einem sonnigen, wenn auch kalten, Wochenende hatte sich ein Großteil der Schule dort versammelt und die Nachmittage mit Schneeballschlachten verbracht. Ein weiteres Verbot, das die Schüler Hogwarts der Reihe an Dingen zugefügt hatten, die sie schlichtweg ignorierten. 
 

Für die Slytherin bedeutete die gefrorene Oberfläche des Sees ein Wechsel der Lichtverhältnisse, da das spärliche Licht sich zusätzlich am dicken Eis brach und in seltsamen Schatten bei ihnen ankam. Vor ihre Fenster verirrten sich kaum noch Seewesen, die sich nun alle tief unten am Grund verborgen hatten um zu überwintern. Die Schüler selbst hatten ebenfalls ihre große Mühe dem Winter zu trotzen.
 

Außerhalb ihrer Privaträume hatten sie Probleme sich warm zu halten und eilten vor Kälte bibbernd durch die Korridore des eisigen Schlosses. Während im Gemeinschaftsraum ein hoch loderndes Feuer für ständig angenehme Temperaturen sorgte, konnten die kleinen Fackeln im Rest des Schlosses dem Frost kaum etwas entgegensetzen, was die Slytherin, und Evelyn, besonders zu spüren bekamen. Der Rest des Schlosses war verglichen mit ihrem Teil des Schlosses – den Kerkern – geradezu kuschelig warm. Während sie die Korridore durchwanderten, um hoch in die Große Halle oder in den Unterricht zu gehen, hing ihr Atem in Nebelschwaden vor ihren Gesichtern und nicht selten gab es Beschwerden, dass jemand seine Zehen oder Oberschenkel nicht mehr spüren konnte. 
 

Seit Wochen schon hatten sie zu ihrer Winteruniform gewechselt, die in Evelyns Fall aus einer dicken, grauen Wollstrumpfhose und gefüttertem Rock bestand. Der Pullover hatte ihr nicht ausgereicht, weshalb sie zusätzlich nach dem Vorbild einer Zwiebel mehrere Schichten Textil am Leib trug, wobei es ihr dadurch allerdings im Gemeinschaftsraum schnell zu stickig wurde. Vor allem seit der ohnehin überlaufene Gemeinschaftsraum mit einer großen Kiefer geziert worden war, die einiges an Platz für sich einforderte. 
 

Ältere Schüler belegten sich ganz einfach mit einem Wärme-Zauber, womit sie selbst mit dünnen Shirts der Kälte trotzen konnten. Als Evelyn erfahren hatte, dass dies durchaus von Seiten der Schulleitung gestattet war, hatte sie sich geschworen, dass dies der letzte Winter werden würde, den sie zitternd in Hogwarts verbringen würde; sie hatte ein Jahr Zeit, den Wärme-Zauber zu lernen.
 

Da es besonders für morgendliche Laufrunden zu kalt geworden war, verbrachte Evelyn ihre letzten Tage aus Mangel an Wärme-Zaubern und auf Grund eines zu vollen Gemeinschaftsraum hauptsächlich in der Bibliothek, die glücklicherweise angenehm temperiert war, dafür hatte Madam Pince gesorgt. Allerdings war die Bibliothekarin eher am Wohl der Bücher interessiert, als daran es den Schülern bequem zu machen. 
 

Damit ihr nicht noch einmal ein Missgeschick wie während Samhain passierte, informierte sich Evelyn nun im Voraus über Yule und was auf sie zukommen würde. Nachdem mit der Kiefer einige Misteln und dezente Dekoration sowohl in ihrem Gemeinschaftsraum, als auch in ganz Hogwarts aufgetaucht waren, hatte sie schon mit den wildesten Erklärungen gerechnet. Nach dem gefühlt zehnten Buch zu dem Thema war sich Evelyn jedoch sicher, dass sich die Ausführung gar nicht so sehr von dem unterschied, was sie bereits kannte. 
 

Während sie jedoch einen geschmückten Baum der Ästhetik wegen aufstellen würde, gehörte auch dies zu einem größeren Brauch, der Teil der Erhaltung und Erneuerung alter Banne war, von denen es mehr als genug gab. Ihre Neugier war geweckt und sie hoffte einiges davon bei Ollivander beobachten zu können.
 

Die Dekoration war ein wenig ruhiger und unauffälliger als das, was sie von Weihnachten kannte. Neben Kerzen hingen mit Runen beritzte Holzstücke an den Zweigen der Bäume, zusammen mit aus Pinien gestalteten Figuren. Jeder Baum war mit einem Zauber belegt worden, damit er ständig von leichtem Schneefall umringt war, sodass stets eine dünne Schicht Eis und Schnee auf dem Baum lag. 
 

Einen Tag vor der Abreise herrschte Aufbruchsstimmung im Gemeinschaftsraum und in den Schlafsälen. Der Boden des Hauses Slytherin war übersät mit gepackten Taschen und verschiedenen Käfigen, in denen kleine Haustiere untergebracht waren. Entsprechend der Schulordnung sah Evelyn neben den erlaubten Kröten auch Taranteln, Ratten, Spinnen und sogar Tiere, die aussahen wie Igel. Eulen oder Katzen, waren jedoch nicht dabei. Die würden wohl entweder im Schloss bleiben, oder aber sie durften die Nacht noch außerhalb eines Käfigs verbringen. Wobei sie sowieso nicht viele Katzen während ihrer Zeit hier gesehen hatte. 
 

Evelyn hatte nichts dergleichen, um das sie sich kümmern müsste. Ihre Tasche war beinahe leer und beinhaltete nur das Nötigste, da sie ansonsten in zwei Wochen nur alles wieder nach Hogwarts schleppen müsste. Bis auf ein paar Bücher würde sie nur ihren Setzling mitnehmen.
 

Die Pflanzen, die Professor Sprout ihnen allen gegeben hatte, hatten in den letzten Wochen begonnen erste Triebe zu zeigen – mit Ausnahme eines noch immer kahlen Topfes von Zabini –, allerdings war Evelyn besorgt, dass die stickige Luft im Gemeinschaftsraum schädlich war, weshalb sie sich kurzerhand dazu entschlossen hatte, den Topf mit nach London zu nehmen. 
 

Sie hatte geglaubt, dass sie unruhig schlafen würde, so kurz vor ihrer temporären Rückreise, doch es waren eher die anderen, die noch lange wach gelegen hatten, weshalb Millicent jetzt gähnend in der Menge neben ihr stand. 
 

"Du kannst im Zug etwas schlafen", meinte Evelyn, die sich ihre Pflanze unter den Arm geklemmt hatte und darauf achten musste, dass sie niemand zerquetschte. 
 

Die Eingangshalle war so voll, wie Evelyn sie noch nie gesehen hatte. Sie glaubte, dass beinahe jeder Schüler des Schlosses hier anwesend war; bereit zur Heimreise. Die meisten hatten ihre Schuluniform schon gegen winterliche Zivilkleidung eingetauscht, wobei Evelyn in der Menge einiges an Mode sah, was sie als abenteuerlich empfand. 
 

Millicent rieb sich die Augen. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mich so auf Zuhause freuen würde. Geht's dir auch so?"
 

"Im Moment siehst du eher aus, als würdest du dich auf ein Bett freuen." 
 

Die Antwort darauf war ein breites, schuldbewusstes Grinsen, das Evelyn versuchte zu erwidern, was ihr nur halbwegs gelang. Nach Millicents Bemerkung über "Zuhause" hatte Evelyn einen sauren Geschmack im Mund, den sie kaum hinunterschlucken konnte. Zuhause war da, wo die Familie war, so sagte man. Für Evelyn bedeutete das: nirgendwo. 
 

"Ihr wusstet, dass es heute von hier weg geht. Was habt ihr heute Nacht getrieben?", mischte sich Draco mit irritiertem Runzeln ein, was Blaise laut auflachen ließ. 
 

"Draco, man frägt nicht, was Mädchen nachts gemacht haben."
 

Daphne boxte Blaise für diese Bemerkung gegen die Schulter. "Das war unnötig, Idiot."
 

Gerade, als Blaise protestieren wollte, wurden sie von McGonagall, die die Abreise beaufsichtigte, angewiesen, sich aus dem Schloss zu begeben. 
 

Draußen standen, im Licht der Fackeln der Tore, dutzende führerlose Kutschen bereit, um die Schüler zu transportieren. Selbst im spärlichen Morgenlicht war zu erkennen, dass scheinbar nichts die Kutschen zog, was einige Erstklässler erstaunt Seufzen ließ. Evelyns Blick fiel auf den zertretenen Schnee, wo hin und wieder neue Fußabdrücke, ähnlich einer riesigen Ziege, hinzukamen. 
 

Sie konnte die Thestrale zwar nicht sehen, aber immerhin wusste sie, dass sie da waren. Länger als die paar Sekunden konnte sie sich aber nicht dem Anblick widmen, da nachkommenden Schüler es eilig hatten den kurzen Weg durch Schnee und Kälte hin zu den Kutschen schnell hinter sich zu bringen. 
 

Schnell hinter sich bringen wollte Evelyn vor allem die Fahrt, die doch ein wenig eng und unkomfortabler war, als sie erwartet hatte. Manchmal glaubte sie ein zischendes Schnauben zu hören, doch der Wunsch irgendetwas von den Thestralen mitzubekommen, konnte ihren Sinnen auch einen Streich spielen. Was sie definitiv hörte, war das Atmen der Lokomotive, das nach etwa zehn Minuten immer lauter wurde. Viel sehen konnte man nicht, die Sonne würde noch lange nicht aufgehen und selbst wenn, würde sie hinter dicken Wolken verborgen sein. 
 

Es war der Zug selbst mit seinen hell erleuchteten Fenstern, der ihnen ihren Weg beschien und sie mit nur wenigen Ausrutschern sicher zu den offenen Türen leitete. Evelyn spürte an dem Kribbeln in ihrem Gesicht, dass es erneut angefangen hatte zu schneien.
 

Kurze Zeit später waren sie alle im Zug, bereit zur Abfahrt, wo sie ungeduldig auf ein Frühstück warteten. Niemand von ihnen hatte bisher etwas gegessen, da das Frühstück noch gar nicht serviert worden war, so früh waren sie abgereist. 
 

Die Reise selbst war sehr ruhig und eintönig, da sie fast nichts außer einer sich kaum wechselnden Landschaft hatten um sich abzulenken. Irgendwann hatte die Müdigkeit gewonnen und die anderen Mädels waren eingeschlafen, während Evelyn weiterhin stumm die weiße Umgebung begutachtete, an der sie vorbeizogen. Nur einmal hatte sie das Abteil verlassen, als sie zur Toilette ging. Dort musste sie Schlange stehen, während auf der anderen Seite das Klo der Jungs so gut wie leer war. Gerade als sie ernsthaft überlegt hatte einfach dort hineinzugehen, verließ ein Mädchen mit großem Haarschopf die Kabine. Sie bemühte sich Hermine zu ignorieren, als sie an Evelyn vorbeilief. Ihr war ihr letztes Treffen in der Mädchentoilette noch immer unangenehm, und beinahe hätte sie Hermine aufgehalten, um sich für ihr Verhalten zu entschuldigen; beinahe. 
 

Es war später Nachmittag, als der Zug das Tempo verringerte und statt weite Felder erste Häuser zu sehen waren, durch die sie mittendurch zu fahren schienen, was niemanden störte. Die Skyline von London tauchte aus dem Schnee auf.
 

"Endlich sind wir da, das hat ja ewig gedauert."
 

"Du hast geschlafen, Pansy, du hast fast nichts mitbekommen", meinte Evelyn schmunzelnd, als sie sich ihre Tasche schnappte und auf den Gang trat, wo bereits großes Gedränge herrschte. Der Zug war noch nicht ganz angekommen, aber es würde sich nur noch um Minuten handeln. 
 

Durch die kleinen Fenster des Korridors sah sie bereits die Spitze des London Eye, wie es starr und unbeweglich an der Themse stand.
 

"Ich verstehe ja das Sentimentale hinter dem Hogwarts-Express", sagte Draco, "aber nach den Ferien werde ich Flohpulver benutzen." Er streckte sich und bog den Rücken durch, während er mit gequältem Gesicht seine Knochen versuchte knacken zu lassen. "Diese Fahrt ist eine Zumutung!" 
 

Evelyn runzelte die Stirn. Du bist elf Jahre alt, dir sollte der Rücken nicht weh tun. Frag mich mal. 
 

"Da! Wir halten!" Tatsächlich waren nun deutlich die Bremsen des Zugs zu hören und ein leichter Druck, der sie nach vorne lehnen ließ, war zu spüren. Einige Schüler drückten ihre Köpfe gegen die Fenster, um etwas zu sehen. 
 

"Tja, dann wünsch ich euch schöne Ferien", meinte Evelyn, die es für den richtigen Augenblick hielt mit den Abschiedsworten zu beginnen.
 

Kaum, dass die Türen geöffnet wurden, stürmte die Meute hinaus und Rufe wurden laut. Wo man auch hinsah fielen die Kinder ihren Eltern in die Arme, begrüßten Geschwister, oder herzten Haustiere, die nicht in Hogwarts erlaubt waren und Kindern gehörten, die sich an diese Regel hielten. 
 

Millicent war zusammen mit den anderen sofort verschwunden, und so stand Evelyn ein wenig verloren auf dem Gleis, das sie vor vier Monaten zum letzten Mal gesehen hatte. Am Ende der Menge war deutlich der Torbogen zu sehen, also entschied sie sich diese Richtung einzuschlagen. Erst einmal musste sie aus Euston heraus, dann würde sie schon einen Weg in die Winkelgasse finden.
 

"Evelyn!" Sie stockte. "Nun geh doch nicht gleich."
 

Millicent lief auf sie zu, eine ältere Frau mit kurzen Haaren zerrte sie hinter sich mit. 
 

"Schau, das ist Evelyn, Mama." Mama.
 

Schnell besann sich Evelyn auf ihre Manieren und straffte sich, ehe sie der Frau die Hand anbot. "Hallo, Mrs Bullstrode."
 

Millicents Mutter war kaum größer, als ihre Tochter, mit kastanienbraunen Haaren und demselben pausbäckigen Gesicht. 
 

"Evelyn, schön dich endlich zu treffen. Meine Tochter hat mir viel berichtet." Ein wenig unwohl war ihr schon, als die kühle Hand von Millicents Mutter die ihre entgegennahm. "Wie ich höre unterstützt du sie kräftig bei ihren Schulaufgaben."
 

Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. "Ab und zu, Ma'am. Aber Millicent macht das schon ganz gut alleine."
 

Mrs Bullstrode legte einen Finger an den Mund und mit ihren dunklen Augen zwinkerte.
 

"Wo ist Dad?", meinte Millicent, die wohl das Thema wechseln wollte. 
 

"Du weißt, dass dein Vater nicht gerne in der Öffentlichkeit ist. Er wartet Zuhause, Schatz."
 

Millicent schien enttäuscht, brachte aber dennoch ein Lächeln zustande, ehe sie sich an Evelyn wendete. "Wirst du auch abgeholt?"
 

Die Augen der zwei Bullstrode-Damen ruhten auf Evelyn, die nun um eine Antwort rang. "Abgeholt? Bestimmt, ja, draußen."
 

Sie glaubte nicht, dass jemand hier auf sie warten würde, und druckste ein wenig unsicher um die Worte herum, was bei den beiden anderen sofort bemerkt wurde. Millicent griff nach dem Handgelenk ihrer Mutter und sie tauschten kurze Blicke aus.
 

"Du musst in die Winkelgasse, nicht wahr, Kind?"
 

Evelyn ahnte, worauf Mrs Bullstrode hinaus wollte. "Oh, ich warte einfach noch ein wenig. Ich will Sie nicht aufhalten."
 

"Mir ist nicht wohl dabei. Es wäre besser, wenn wir-. Oh, da ist er doch."
 

Er? Irritiert blickte Evelyn in die von Mrs Bullstrode angezeigte Richtung, und erkannte den alten Mann in Stoffhosen und gestricktem Pullover, der sich durch die Menge auf sie zu bewegte. Sie konnte nicht anders, als den Mund vor Verblüffung zu öffnen. 
 

Die Leute machten vor ihm Platz, ließen ihn durch, und winkten ihm zur Begrüßung, was Ollivander mit einem Lächeln erwiderte. 
 

"Evelyn, Kind, da bist du ja", rief Ollivander, als er in Hörweite war. Evelyn musste zugeben, dass es gut tat, sein Gesicht zu sehen. 
 

"Mr Ollivander, wie schön Sie zu sehen", warf Mrs Bullstrode ein, ehe Evelyn etwas erwidern konnte.
 

"Ah, Madam Bullstrode." 
 

Während Ollivander von Millicents Mutter in ein Gespräch verwickelt wurde, zog Millicent die noch immer leicht verblüffte Evelyn zur Seite. 
 

"Du schreibst mir, ja?"
 

Ein wenig amüsiert spitze Evelyn die Lippen. Sie fand diese Attitüde schon immer ein wenig überzogen. Kind, du siehst mich was, zwei Wochen nicht? Kein Grund sentimental zu werden. 
 

"Ich habe keine Eule, aber ich werde mir bei den Posteulen eine leihen, in Ordnung?"
 

"Du musst mir auf jeden Fall sagen, wie dein Yule war. Ich schicke dir Orrin, Mamas Eule. Der nimmt deine Antwort gleich mit."
 

Kurz darauf fand sich Evelyn in einer engen Umarmung wieder, die sie nach anfänglicher Skepsis schließlich erwiderte. Millicents war sehr anhänglich, was Evelyn immer weniger störte. 
 

"Der Laden ist nun schon eine Weile unbeaufsichtigt. Wir sollten gehen, Evelyn", hörte sie Ollivander sagen, woraufhin sie die Umarmung löste. 
 

"Wir sehen uns in zwei Wochen."
 

Millicent lief zu ihrer Mutter. "Mach's gut, Eve!"
 

"Nenn mich bitte-. Ach, was soll's." Millicent war bereits verschwunden. 
 

Ollivander legte seine Hand auf ihre Schulter. "Eve?"
 

"Fragen Sie nicht."
 

Mit Ollivander war es beinahe unmöglich unbemerkt aus Euston zu verschwinden, wie es Evelyn eigentlich vorgehabt hatte. Immer wieder wurde er angesprochen und war gezwungen wenigstens ein paar Worte mit den Leuten zu wechseln, wobei Evelyn stumm hinter ihm wartete. Dabei entging ihr nicht, wie sie von vielen abschätzend begutachtet wurde. Es war das erste Mal, dass man Ollivander offiziell mit Evelyn in der Öffentlichkeit antraf, was bei vielen Anwesenden Fragen aufwarf, weshalb der allein lebende Ollivander plötzlich in Begleitung eines Kindes war. Ollivander wurde nicht müde immer wieder aufs Neue in kurzen Worten zu erklären, dass er sich um die Tochter seines Sohnes kümmerte, solange sie Hogwarts besuchte. Die Reaktionen darauf waren verschieden, und alle waren Evelyn unangenehm. Der Zauberstabmacher war überraschend gut darin den aufdringlichsten Fragen geschickt auszuweichen, doch trotzdem oder gerade deswegen hatte Evelyn das Gefühl, das Klatschthema der nächsten Kaffekränze zu sein.
 

Irgendwann hatten sie es hinaus in den normalen Bau, und weg von der neugierigen Meute, geschafft, wo es nun zur Weihnachtszeit nur so von Reisenden wimmelte. Überall sah man festliche Dekoration, Weihnachtsmänner aus Plastik und Musikanten, die für diese Zeit typische Lieder zum Besten gaben; für eine kleine Spende, verstand sich. Nach Monaten in praktischer Einsamkeit mit nichts außer Wald und See um sie herum, war dieser plötzliche Geräuschpegel beinahe erdrückend. 
 

Sie war froh, als sie auch das hinter sich gelassen hatten.
 

"Danke, dass Sie extra hierhergekommen sind, aber das wäre nicht nötig gewesen", meinte Evelyn verlegen, als die beiden sich endlich ungestört unterhalten konnten. 
 

"Ich bitte Sie, das ist doch selbstverständlich. Was wäre ich denn für ein Vormund, wenn ich meine elfjährige Enkelin nicht abholen würde." Er betonte die letzten Worte mit einem verschmitzten Lächeln, was Evelyn erwiderte. 
 

"Die Enkelin, von der nun fast jeder weiß", sagte Evelyn, mit leicht besorgtem Ton.
 

"Jeder", berichtigte Ollivander, "als ich mit Mr Lufkin geredet habe, ist zufällig Madam Knatchbull an uns vorbei gelaufen – etwa vier Mal, wenn ich mich nicht verzählt habe. Ich bin sicher, schon jetzt weiß es die Hälfte aller Anwesenden auf dem Gleis, bis morgen hat die Kunde ... so ziemlich jeden erreicht." Die Tatsache, eine Sensation, vielleicht sogar einen Skandal losgetreten zu haben, schien Ollivander nicht zu kümmern. Im Gegenteil, er wirkte erheitert, was Evelyns eigene Nerven etwas beruhigte.
 

London war weniger schneebedeckt als das im Norden gelegene Hogwarts, und die wenigen Schneeklumpen hatten sich am Rand der Straßen zu matschigen Haufen geschoben. Sie hoffte, dass wenigstens die Winkelgasse einen schöneren Anblick liefern würde, doch vorher musste sie erneut die Tortur des Flohpulvers hinter sich bringen. Auf demselben Weg wie damals – durch die Kamine im Steinquader – kehrten sie zurück, direkt ins Wohnzimmer von Ollivander. 
 

Zunächst bemerkte sie kaum die ihr vertraute Luft nach staubigen Teppichen, da sie eher den Drang hatte sich zu setzen und mit ihrem zum Glück leeren Magen kämpfte. 
 

"Flohpulver bekommt Ihnen wohl nicht sehr", meinte Ollivander scherzend, als er neben ihr auftauchte und nach ihrer Tasche griff, um sie zur Seite zu stellen. 
 

"Vorsicht", sagte sie japsend. Vor ihren Augen drehte sich noch alles. "Da ist eine Pflanze drin."
 

Um sie vor dem Wetter zu schützen, hatte Evelyn den Topf kurz vor dem Ausstieg in ihre Tasche gestellt.
 

"Eine Pflanze?" Überrascht hob er die Augenbrauen.
 

"Würden Sie sie bitte herausholen?"
 

Ollivander, der gezögert hatte unaufgefordert Evelyns Tasche zu öffnen, tat, worum sie ihn gebeten hatte.
 

"Oh, ja wirklich. Wo haben Sie die her?"
 

Evelyn hob sich die Seite und versuchte ruhig zu atmen. Ihr Schwindel wurde nicht besser. "Sprout ... Professor Sprout hat sie uns gegeben. Wir sollen uns um sie kümmern."
 

Ollivander gluckste, als er den kleinen Setzling näher inspizierte. "Sieht Pomona ähnlich." Er stellte den Topf ans Fenster und holte eine Kanne mit Wasser, um die trockene Erde zu gießen. "Was ist es?"
 

"Ich hatte gehofft, Sie können mir das sagen."
 

"Oh, ein Mysterium. Wie spannend." Seine Augen blitzten vor Eifer das Rätsel um die Pflanze zu lösen. 
 

Evelyn, die begann sich ein wenig besser zu fühlen, wagte einige Schritte ans Fenster, wo Ollivander die Blätter des Triebes sanft berührte. Sie selbst war eher an dem Anblick vor ihr interessiert. 
 

Draußen erstreckte sich eine Winterlandschaft aus schiefen Dächern, aus deren Schneehauben dutzende Kamine ragten, die alle paffend Rauchschwaden ausstießen. Das Backsteinpflaster der Gasse war unter der Schneeschicht nicht zu sehen. Was sie jedoch vor Bewunderung scharf einatmen ließ, waren die unzähligen Girlanden aus saftig grünen Gewächsen, die die Türen der Läden schmückten, und von einer zur anderen Seite in regelmäßigen Diagonalen gespannt worden waren. 
 

"Warten Sie, bis es Nacht wird. Dann werden die Kerzen entzündet", sagte Ollivander, der ihren Ausdruck bemerkt haben musste. "Kein Vergleich mit Hogwarts, natürlich."
 

Evelyn schüttelte den Kopf. "Es ist wunderschön."
 

Einige Sekunden herrschte Stille, ehe Ollivander aufs Holz der Fensterbank klopfte und sich umdrehte. "Nun kommen Sie erst einmal an. Sie haben eine lange Zugfahrt hinter sich."
 

Evelyn riss sich vom Fenster los und folgte Ollivander durchs Wohnzimmer, vorbei am verblichenen Wandteppich, dem sie kaum Beachtung schenkte. Seine Wohnung sah aus, wie immer: keine zusätzliche Dekoration oder Beleuchtung, die den ohnehin düsteren Raum ein wenig erhellt hätten. 
 

"Ich entschuldige mich erneut, dass ich so selten geschrieben habe", sagte Ollivander, als er in der Küche heißes Wasser aufsetzte. "Sie müssen mir nun alles erzählen."
 

Für den Moment fühlte sich Evelyn erleichtert ein weniger ihrer Fassade fallen zu lassen. Statt wie ein Kind auf dem Stuhl zu sitzen, lehnte sie sich zurück und überschlug die Beine, eine Hand auf ihrem Knie. "Was möchten Sie denn hören?"
 

"Keine Lobpreisungen über Hogwarts? Keine Beschreibungen traumhaften Unterrichts? Ich bin enttäuscht, Miss Harris." Seine Worte waren nicht ernst gemeint und ließen Evelyn amüsiert kichern. 
 

"Hogwarts ist atemberaubend. Der Unterricht ist fantastisch und alles ist herrlich."
 

"So habe ich mir das vorgestellt." Er servierte den Tee mit einigen Knabbereien, die Evelyn jedoch zunächst ignorierte, bis sich ihr Schwindel ganz gelegt haben würde. "Den Schalk beiseite, wie ergeht es Ihnen in Hogwarts?"
 

"Ich werde nicht lügen; es ist anstrengend."
 

Ollivander gluckste und nickte, ehe er sich ihr gegenüber niederließ. "Hogwarts ist eine Schule für die Besten."
 

"Für die Besten, ja", sie senkte ihre Stimme mit jeder Silbe. 
 

"Wie ergeht es Ihnen im Hause Salazars?"
 

Sie war froh und erleichtert offene Neugier in seinem Ausdruck zu sehen, statt Besorgnis. Sein Brief hatte ihr bereits Mut gemacht, nun jedoch seine leuchtenden Augen vor sich zu sehen, ließ jeden letzten Zweifel sterben. "Es war nicht ganz leicht, aber ich denke ich weiß jetzt, wie ich mich verhalten muss. Meistens."
 

"Meistens?" Ollivander lachte laut auf. "Dabei hatte ich mir vorgestellt, dass die Verhaltensregeln heutzutage in Hogwarts nicht mehr so ernst genommen werden."
 

Darauf erwiderte Evelyn nichts, sondern trank stattdessen von dem süßen Tee, der sich wohltuend warm ausbreitete.
 

"Sie scheinen sich immerhin gut mit der jungen Miss Bullstrode zu verstehen. Das Mädchen mag Sie."
 

"Millicent", sagte sie mit einem Seufzer. "Sie ist sehr hartnäckig gewesen, aber ohne sie hätte ich es wohl nicht geschafft mich in Slytherin wirklich einzuleben." Erinnerungen daran, wie oft Millicent ihr bereits in der wenigen Zeit, die sie sich nun kannten, geholfen hatte, kamen ihr in den Sinn. "Sie wächst mir ans Herz."
 

"Was ist mit dem Unterricht, können Sie gut folgen trotz Ihrer, nunja?"
 

"Sagen Sie es ruhig; Unbegabung."
 

Er legte empört den Kopf schief. "Das wollte ich bestimmt nicht sagen, Evelyn."
 

"Verzeihen Sie, Sir, den Galgenhumor kann ich mir nicht abgewöhnen."
 

"Ich kann kaum glauben, dass Ihre Leistungen einen derartigen Pessimismus rechtfertigen können."
 

"In Teilen schon. McGonagall hat mich zur Nachhilfe verwiesen, weil ich hinter den Erwartungen liege." Es war seltsam ihm davon zu berichten. Ihr Kopf sagte ihr ständig, dass sie sich nicht vor ihm rechtfertigen musste, doch gleichzeitig glaubte sie ihn ein wenig mit ihren schlechten Leistungen zu enttäuschen.
 

Ollivander fuhr sich mit der Hand über das Kinn, wo ein kurz gewachsener Bart zu sehen war. "Minerva ist sehr streng, und fordert viel von Ihren Schülern. Ich bin sicher, sie möchte nur das Beste für Sie."
 

"Das weiß ich." Sie griff nun verlegen nach den Knabberein und nach dem ersten Bissen merkte sie, wie hungrig sie tatsächlich war. Während sie kaute herrschte Stille, bis Evelyn sie durchbrach. "Allerdings gibt es Hoffnung in anderen Fächern."
 

Sie beobachtete, wie Ollivander sich streckte. "So? Und die wären?"
 

"Verteidigung liegt mir. Geschichte", wobei das eher ihren eigenen Nachforschungen zu verdanken war, als an Professor Binns Unterrichtsfähigkeiten, "Oh, und Zaubertränke, denke ich. Ist nicht so, als würde mein Hauslehrer irgendwen loben, aber auszusetzen hat er auch nichts, was ich einfach mal als gutes Zeichen ansehe."
 

Sofort verzog Ollivander das Gesicht, hob sein Kinn jedoch triumphierend nach oben, so als sei er, stolz? "Sie geben ihr Bestes, da bin ich sicher. Achten Sie nicht auf das, was der Tränkemischer sagt. Apropos, haben Sie ihre heutige Dosis eingenommen?"
 

Evelyn senkte den Blick. "Ich musste ein wenig sparen, ansonsten wären meine Tränke zu früh ausgegangen. Merlin sei Dank, dass ich nun hier bin."
 

"Ich fürchte es wäre nicht klug die Tränke abzusetzen. Man weiß nun, dass Sie hier sind. Sie, die junge Evelyn, meine Enkelin." 
 

Enttäuscht ließ sie ihre Arme fallen. "Ich hatte gehofft wenigstens hier ein wenig ... ich sein zu können." Ollivander erwiderte ihren Blick mit einem entschuldigenden Ausdruck, ehe er den Kopf schüttelte. 
 

"Ich verstehe Ihren Wunsch, aber um Ihretwillen, sollten Sie auch weiterhin die Tränke nehmen."
 

Dass er recht hatte, stand außer Frage. Trotzdem traf sie die Entscheidung hart. Grob überschlug sie das kleine bisschen Rest, den sie noch übrig hatte, der kaum noch ausreichte, um sie über die Runden zu bringen. Gerade, als sie sich fühlte angekommen zu sein, überkam sie rastlose Panik. "Dann muss ich einkaufen, so schnell wie möglich."
 

Ollivander stand auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. "Darum können Sie sich morgen kümmern. Dank Yule sind die Öffnungszeiten etwas gekürzt, also können Sie heute sowieso nichts mehr besorgen."
 

Eigentlich hatte sie tatsächlich sofort den Drang gehabt aufzuspringen und die Winkelgasse nach ihren Zutaten abzusuchen. Ollivander hielt sie mit sanftem Druck davon ab. 
 

"Vergessen Sie nicht trotz allem Yule ein wenig zu genießen, Evelyn."



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