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Boody Memories

Die Geschichte eines Auftragsmörders
von

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Kapitel 5

Im Rückblick auf den Auftrag in St. Louis musste ich feststellen, dass es total bescheuert war, dieses Mädchen in Schutz genommen und ihr eine Chance gegeben zu haben. In meinem Kopf hallten Regeln sich wider und riefen mir ins Gedächtnis, das es ein riesiger Fehler war, sie am Leben zu lassen. Die Sache mit der Gerechtigkeit war genauso dumm von mir. Warum sollte ich anderen eine Chance geben, wenn es mir eigentlich egal war, was mit Sophie passierte. Elias musste mir definitiv einen Rat geben, sonst würde das Ganze in einem heillosen Chaos enden. Er und seine Familie waren die einzigen Menschen, für die ich etwas empfand, und dabei war es egal, ob man das Nächstenliebe oder sonst wie nannte. Bevor ich von dort verschwand, um Killer zu werden, war Elias‘ Familie die einzige, die mir geholfen und mich unterstützt haben. Das verdiente Respekt. Und den hatte ich. Alles andere, was danach kam, hatte nix mehr mit positiven Gefühlen oder Respekt zu tun. Sie haben mich zu einem gefühlstoten Menschen gemacht, und das war ich auch, aber Elias und seine Familie hatten einen festen Platz in meinem kalten Herzen, wenn ich überhaupt ein hätte, was für andere schlug.

Nach dem Flug zurück nach Tokio, welcher mir ewig lang vorkam, stieg ich mit Gepäck in den eigenen Wagen.
 

Mir gefiel der Gedanke überhaupt nicht, mit Elias ins Krankenhaus zu fahren und mich dort gegebenenfalls unters Messer legen zu müssen. Jedoch waren Sturheit und Ausdauer nur zwei seiner Eigenschaften, gegen die man einfach nicht ankam. Doch vorher musste ich erst einmal duschen. Also war zuerst meine kleine Zwei-Raum-Wohnung, welche aus einem hellen Wohnzimmer, einem hellgrünen Badezimmer, einem hellblauen Schlafzimmer und eben dem Flur bestand. Meine Obdach von innen verriegelt landeten meine Sachen in der Waschmaschine, die im Schlafzimmer stand. Viel Platz war eben nicht auf nur vierzig Quadratmetern. Schließlich sprang ich unter die Dusche. Es war gar nicht so einfach, diesen dämlichen Verband los zu werden. Kaum war dieser ab, zwang mich der Schmerz, der wieder durch meinen Brustkorb schoss, in die Knie. Es war diesmal kaum möglich, ihn zu ignorieren, denn die gebrochene Rippe bohrte sich immer mehr in den rechten Lungenflügel, weshalb es mir fast unmöglich machte, zu atmen. Vor meinem inneren Auge spielte sich die Situation des letzten Atemzugs ab. Endlich war mir klar, dass etwas passieren musste, damit dieses 'letzte Mal atmen' gar nicht erst kam. Ich verzichtete schließlich aufs Duschen, stellte mich wieder aufrecht so gut es ging und warf mir Klamotten über. Kurz kam die Überlegung, Sachen für den Krankenhausaufenthalt zu packen, doch Elias konnte ja auch noch welche holen, wenn der alles vorbei war.
 

Es machte für mich eigentlich keinen Unterschied, ob Leben oder Tod, es ereilte irgendwann jeden, aber meine Zeit war noch längst nicht gekommen. Es durfte einfach nicht sein. Nicht, nach all der Zeit, in der Elias mir beistand und es sich bis heute auch nicht änderte. Meine Hände schlossen die Wohnung und starteten schließlich den Motor des eigenen Wagens.
 

Von weitem erkannten meine Augen schwarzen Rauch. Es war nicht nötig nachzudenken, denn es war Elias' Haus, welches lichterloh brannte. Ich hörte seine Schreie. Viel, als da rein zu rennen und zu retten was ging, blieb mir nicht. Meine Gedanken waren bei ihm und seiner Familie. Sie würden sterben, bevor die Feuerwehr kam. Die Haustür existierte schon gar nicht mehr und durch alle Fenster schossen Flammen in die Höhe. Ich rannte mit einem Stück Stoff von meiner Jeans vorm Gesicht in das Gebäude. Als erstes war Elias zu sehen, welcher von mir hinaus geschoben wurde. Nach kurzem Suchen im Erdgeschoss war klar, dass seine Frau und die Kinder oben waren. Es wurde immer schwerer, Luft zu bekommen, aber Aufgeben war keine Alternative. Ich war Elias etwas schuldig. In allen Räumen war niemand zu sehen. Die letzte Hoffnung war der Dachboden. Dorthin führte eine Holzleiter, welche am unteren Ende bereits brannte. Oben angekommen sah mein Antlitz nur noch verschwommen, jedoch waren die drei noch erkennbar. Sie waren durch den Ruß total schwarz im Gesicht und an den Händen. Ich deutete ihnen, mit mir zu kommen, da es nicht mehr lang gedauert hätte, bis das Haus über uns zusammengefallen wäre. Sie kamen mir nach, und ich nahm die Kleine an mich, da die Mutter nicht beide Kinder tragen und gleichzeitig aus dem Haus rennen konnte. Wir eilten aus dem brennenden Gebäude, welches kurz darauf langsam zusammenfiel wie ein Kartenhaus. Elias, seine Frau und der große Bruder meines Schützlings, Joshua, standen bereits etwas weiter entfernt. Das kleine Mädchen meines Freundes nahm den Zeigefinger meiner Hand und wollte mit mir gerade wacklig zu ihren Eltern laufen, als sich ein brennender Balken vom Vordach löste und sie zu erschlagen drohte. Sie fiel hin und in letzter Sekunde stemmte ich mich schützend über sie, bevor der Balken direkt auf meinen Rücken krachend auseinander brach. Tränen schossen in ihre Augen, weil sie Angst hatte. Die höllischen Schmerzen aus meinem Brustkorb wurden unwichtig, als mein erschöpfter Blick ihren dankbaren traf. Als ihr klar wurde, was gerade passiert war, stand sie auf und lief weinend zu ihren Eltern, bevor mir schwindelig und schwarz vor Augen wurde.
 

Um mich herum war es ruhig. Ruhiger, als ich es je gewohnt war. Ein Gefühl von Ausgeglichenheit und Erleichterung machte sich bemerkbar und all die Schmerzen und letzten Ereignisse waren wie von einem Regenguss weggespült. Sah etwa so der Tod aus? Für mich unbegreiflich, wo ich doch so viele Leben auf dem Gewissen hatte. Vor mir, umhüllt von hellem Licht, erschienen Elias mit seiner Familie. Jetzt wurde mir klar, dass das kein Traum war, sondern, dass es wohl doch mein letzter Atemzug war. Der, welcher doch noch gute Taten vollbrachte, um ohne schlechtem Gewissen zu gehen.

Die Ruhe wurde durch ein leises, aber regelmäßiges Piepen unterbrochen und eine bekannte Stimme drang in meine Ohren. Kurz darauf waren alle weg und aus dem hellen Licht wurde Dunkelheit.

„Kakyo, bitte wach auf... bitte…“ Es war die Stimme meines besten Freundes, welcher schließlich mit einem kleinen Mädchen sprach.

„Papa? Wird der Onkel Kakyo bald gesund?“

„Ganz bestimmt, Alicia. Ich bin mir sicher, dass du ihm sehr bald Danke sagen kannst.“

Er war mit seiner kleinen Tochter in hörbarer Nähe. Langsam öffneten sich meine Augen und aus den verschwommenen Wahrnehmungen entwickelten sich ganz langsam klare Bilder. Über mir war eine weiße Decke, woran eine Lampe hin und her baumelte. Eine seichte Brise, welche von der linken Seite kam, strich über mein Gesicht.

„Guck mal Papa! Onkel Kakyo ist aufgewacht!“

Mir war es unmöglich, meinen Kopf nach rechts zu drehen, jedoch wusste ich, dass die beiden neben meinem Bett saßen. „Oh Gott, Kakyo!“, stieß es aus ihm heraus. Mein Freund sah seine kleine Tochter an und gab ihr zu verstehen, uns kurz allein zu lassen. Sie hörte aufs Wort und verließ das Zimmer, in dem mein schlaffer Körper auf einem Bett lag.

„Wo bin ich?“

„Im Krankenhaus auf der Intensivstation, Kakyo. Du hast ungefähr eine Woche lang im Koma gelegen.“

„Was ist passiert?“

„Erinnerst du dich nicht mehr?“

„Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich nach Tokio zurück geflogen bin und dann zu dir wollte.“

Elias seufzte. „Du hast meine Familie gerettet, Kakyo. Im Haus ist ein Brand ausgebrochen, doch als wir es bemerkten, brannte die unterste Etage schon. Meine Frau und die Kinder waren oben im Dachboden. Ich konnte ihnen aber nicht helfen und...“ Man brauchte seinen Gesichtsausdruck nicht zu erfassen. Allein an der Stimme erkannte ich, dass er unendlich dankbar war, sich jedoch ebenso Vorwürfe machte. „Und dann kamst du. Du bist, ohne mit der Wimper zu zucken, in das Haus rein gerannt und hast mich als Erstes herausgeholt. Und dann liefst du mit meiner Frau und den Kindern aus dem brennenden Haus. Dann löste sich ein Balken, und du hast Alicia, meine Tochter, abgeschirmt, damit ihr nichts passiert...“

„Und dann?“

„...dann fiel der Balkon auf dich.“

Langsam dämmerte es mir. Vereinzelte Erinnerungsfetzen kamen ins Gedächtnis zurück und fügten sich zusammen wie ein komplexes Puzzle.

„Geht es der Kleinen gut?“

Er nickte.

„Der Schock sitzt immer noch tief, aber uns geht es gut.“

„Da bin ich aber erleichtert.“

„Kakyo, wie fühlst du dich?“

„Echt beschissen, danke der Nachfrage. Hab höllische Schmerzen. Was haben die hier mit mir angestellt?“

„Nun, wie soll ich es dir sagen? Als sie dich eingeliefert haben, sahen die Ärzte sofort deine gebrochenen Knochen und die Rippe, die sich in deinen Lungenflügel bohrte. Dein Lungenflügel...“

„Die Kurzfassung bitte, Elias!“

„Na gut. Sie haben dir künstliche Knochen eingesetzt und deine Organe in die ursprüngliche Position gebracht. Kurz gesagt, alles repariert, was kaputt oder schief war.“

„Da hatten die Ärzte sicher mehrere Stunden gebraucht, da an meinem Körper so gut wie gar nichts unversehrt blieb.“

„Das kannst du laut sagen. Der behandelnde Arzt fragte mich sogar, ob ich dich schlagen würde.“

„Und was hast du ihm erzählt?“

„Dass du beim Militär wärst und davon die Verletzungen hast.“

Eines musste man Elias lassen, lügen konnte er gut, wenn es darauf ankam. Und ganz falsch war es auch nicht.

„Gut. Und wie lang muss ich noch hier bleiben?“

„Nun ja, ich würde behaupten, bis du wieder gesund bist, Kakyo.“

„Sehr witzig. Nein, jetzt mal im ernst!“

„Das war mein voller ernst. Ich weiß es nicht. Wohl mindestens so lange, bis deine Lunge sich regeneriert hat und deine Knochen ordentlich verheilt sind. Und das kann dauern.“

Na großartig. Eine bessere Perspektive hatten sie wohl nicht übrig. 'Bis alles ordentlich verheilt ist' bedeutete, dass das hier sehr, sehr viel Zeit in Anspruch nehmen würde. Wenn mein Clan erfuhr, dass ich meine Zeit im Krankenhaus verschwendete, war ich so gut wie erledigt!
 

Die Tage und Wochen vergingen und jeden Morgen zur Visite wurde mir beinahe dasselbe gesagt, nämlich, dass der Heilungsprozess langsam verliefe und keiner so richtig wüsste, wann ich hier wieder raus konnte. Das Fernsehprogramm war zum kotzen, den Fraß hier konnte auch keiner ertragen und vom Pflegepersonal brauchte man nicht reden. Aber immerhin hatte ich fast jeden Tag eine Ablenkung, durch den regelmäßigen Besuch von Elias, seiner Frau und den Kindern. Manchmal kam seine Frau, Emilia, auch mit Alicia allein. So wie heute auch. Sie wollten um vier nachmittags vorbei kommen, also in wenigen Minuten. Kaum hörte ich auf, über deren Zeitplan nachzudenken, klopfte es auch schon.

Die Tür war kaum geöffnet, da kam die kleine Alicia auch gleich quiekend an mein Bett gerannt und umarmte mich fröhlich zur Begrüßung. Die Geste erwidert, fiel mir auf, wie sehr ihre Augen leuchteten und dass sie gewachsen war.

„Hallo, Onkel Kakyo! Wie geht es dir heute?“

„Mir geht’s supi, danke! Und wie geht es dir?“

„Gut!“

Emilia sah ihre Tochter an. „Alicia, irgendetwas wolltest du doch Onkel Kakyo sagen. Erinnerst du dich?“, fragte sie und deutete auf mich. Die Kleine machte eine Geste, als wäre ihr ein Licht aufgegangen, krabbelte auf mein Bett und sah mich lieb an. „Ähm… danke, dass du mich gerettet hast, Onkel Kakyo. Ich hatte so viel Angst… aber du hast mich beschützt. Das war so mutig von dir! Vielen, vielen Dank!“, sagte sie und sah mir dabei tief in meine Augen. Ihre waren blau-grün und strahlten regelrecht vor Glück und Dankbarkeit. Ich versuchte, mich hinzusetzen, aber es ging kaum. Emilia half mir, indem sie das Kopfteil des Bettes höherstellte und meinen Rücken polsterte. Alicia hatte nun aber keinen freudigen Blick mehr, sondern ein besorgtes Gesicht. „Dir geht es nicht gut, Onkel Kakyo!“ sagte sie strafend, jedoch verzog sich mein Gesicht zu einem matten Lächeln. Ich griff sanft nach ihren kleinen Händen und umschloss diese vorsichtig.

„Doch, es geht mir gut, und weißt du, warum das so ist?“

„Nein…“

„Weil es dir gut geht, und deinen Eltern, nicht zu vergessen, dass auch dein Bruder wohlauf ist. Deshalb geht es mir gut. Weißt du, ich habe euch alle so gern, dass ich einfach helfen musste. Sonst hättest du dich nicht bei mir bedanken können. Verstehst du das?“

„Ja, das versteh ich. Aber du hast immer noch diese komischen Schläuche und dieses Ding dort, das immer wieder piept. Wozu ist das gut?“

„Damit schauen die Ärzte ganz genau zu, wie ich gesund werde. Und damit es mir noch schneller besser geht, möchte ich, dass du nicht mehr traurig oder böse auf mich bist, okay?“

Alicia nickte, hüpfte vom Bett und begann, in der Ecke des Zimmers zu spielen. Nun konnten Emila und ich ungestört miteinander reden. Elias‘ Frau war deutlich anzusehen, dass sie überglücklich war, sich aber auch große Vorwürfe machte. Ihr Blick traf meinen. „Kakyo, ich… es tut mir-„, begann Emilia, wurde aber sofort von mir unterbrochen. „Nein, hör auf damit. Es ist doch alles gut gegangen. Ihr habt so viel für mich getan. Ich musste etwas tun. Ehe die Feuerwehr dagewesen wäre, wäre von euch nichts mehr übrig geblieben.“ Ich sah kurz zu dem kleinen Mädchen. „Ich verstehe nichts von der Liebe, deshalb sei mir nicht böse, dass ich Alicia angeschwindelt habe, dass ich sie lieb hätte. Aber sie gehört zu euch. Und ihr habt mir damals das Leben gerettet und ein Stück von dem wieder gegeben, was ich verloren habe.“ Meine Augen wanderten wieder zu Elias‘ Frau, die vollkommen sprachlos war. Ihr war das Mitleid mir gegenüber anzusehen, deshalb wurde es Zeit, das Thema zu wechseln. „Was ist mit eurem Haus? Wie hoch ist der Schaden?“ Ihr Blick war gequält. „Nur noch Schutt und Asche. Das Feuer hat sich so schnell ausgebreitet, das nichts mehr von dem Gebäude übrig geblieben ist...“ Sie begann zu zittern und hatte Tränen in den Augen. „…und wir wissen beim besten Willen nicht, was wir machen sollen. Seitdem arbeitet Elias tagelang durch. Er hat sieht gar nicht mehr, dass seine Kinder ihn vermissen. Und ich kann nicht mehr so viel arbeiten. Wer soll denn für die Kinder da sein, wenn er sich nicht mehr blicken lässt und schon in der Klinik übernachtet. Und das nur, damit wir uns irgendwann einmal wieder ein Haus leisten können?“ Mein Entschluss stand fest. Ich musste es ihnen ermöglichen, wieder in das alte Haus ziehen zu können.

„Wie viel?“

„Mindestens zweihundertfünfzig Tausend Yen.“

„Puh, dann ist vom Gebäude wirklich nichts mehr übrig.“

„Nein. Wir wohnen vorübergehend bei Freunden. Die haben genügend Platz für uns 4, aber ich ertrage es jetzt schon nicht mehr.“

Ich nahm ihre Hand. „Ihr werdet es schaffen, da bin ich mir ganz sicher.“
 

Kurz bevor Emilia und Alicia gingen, bat ich die beiden, dass Elias mich besuchen kommt. Sie nickten mit dem Kopf und gingen. Kaum war der Raum wieder still, kreisten die Gedanken in Zeitlupe durch meinen Kopf. Elias ging also schuften, um irgendwann mal genügend Geld zu haben, damit seine Familie das Haus restaurieren lassen und wieder einziehen konnten? Das Wort ‚Familie‘ gab es bei mir nicht in dem Ausmaß, wie es bei meinem besten Freund der Fall war. Irgendetwas musste passieren, damit er wieder mehr Zeit hatte. Für sich, Emilia und die Kinder. Mit einem kräftigen Händedruck gegenüber einem Darlehen war es jedoch nicht getan, die Banken waren alle pure Halsabschneider.
 

Bereits am nächsten Tag stand Elias in meinem Zimmer. „Hallo, Kakyo,“ begann er kurz angebunden. „Was gibt es denn so dringendes. Ich habe keine Zeit.“ Die Reaktion konnte ich mir denken, ließ mich davon aber nicht beeindrucken. „Setz dich.“, hörte er mich sagen und nahm still auf dem Stuhl neben meinem Bett Platz.

„Gestern war Emilia mit Alicia hier.“

„Ich weiß.“

„Und sie haben mir erzählt, dass du sogar auf der Arbeit übernachtest.“

„Ja, Kakyo. Aber irgendwie müssen wir doch die Restaurierung bezahlen. Wenn ich damit erreiche, dass das Haus irgendwann wieder intakt ist und wir nach Hause zurückkommen, ist es das mir wert. Auch wenn es bedeutet, dass ich alles verpasse.“

„Was ist mit dem Rest deiner Familie?“

„Emilia und ich versuchen, trotz der schwierigen Phase, alles so normal wie möglich zu gestalten. Aber die beiden Kinder sind nicht blöd. Alicia hat in drei Wochen ihren achten Geburtstag und Joshua hat bald sein erstes Fußball-Turnier. Er wünscht sich am allermeisten, dass wir ihn gemeinsam anfeuern, nur geht das nicht!“

„Und warum nicht?“

„HÖRST DU MIR ÜBERHAPT ZU?!“

„Elias, du musst mich nicht gleich anschreien!“

Ich sah in seine Augen und erkannte sofort, das etwas passieren musste. Er war schlapp, erschöpft und extrem übermüdet. Dieser Mann war nicht mehr die standhafte Person, die ich vor neun Jahren kennengelernt hatte. Elias war jetzt nur noch ein Wrack im Autopilot-Modus. Aus diesem Grund telefonierte ich gestern mit meiner Bank, um mir das Geld von meinem zweiten Konto auf mein Hauptkonto zu überschreiben, und sprach mit ein paar Kontakten aus der Hinterhand, die das Geld abheben und hierher bringen sollten. Gesagt, getan. Und nun saßen Elias und ich hier, und während er total verzweifelt ins Leere starrte, griff meine Hand zum Nachttisch und holte aus der Schublade einen dicken Briefumschlag heraus. „Elias, ich habe etwas für dich.“ Sein starrer Blick löste sich und lenkte die Aufmerksamkeit auf mich und den Umschlag. Diesen gab ich ihm in die Hände.

„Was ist das, Kakyo?“, fragte mein bester Freund, der diese ganze Situation noch nicht verstand. „Das ist deine Freiheit, endlich wieder Zeit mit deiner Familie zu verbringen.“, begann ich. „Mach ihn auf, Elias.“ Immer noch verwirrt machte er den Umschlag ganz vorsichtig, fast schon ängstlich, auf und holte einen dicken Bund Scheine heraus. Der Familienvater war fassungslos, aber auch den Tränen nahe. „Das sind die Restaurierungskosten. Dazu noch Geld, um die Firma zu bezahlen, die eurem Haus arbeiten werden. Wenn es fertig ist, könnt ihr vier wieder nach Hause kommen. Ab jetzt schiebst du keine Überstunden mehr und verbringst Zeit mit deiner Familie. Ach, und wo wir gerade dabei sind, Kleingeld für Alicias Geschenke ist auch dabei, ein kleiner Beitrag von mir.“, sagte ich und lächelte etwas. Elias war sprachlos. Seine Augen wurden glasig, und irgendwas sagte mir, dass er gleich weinend zusammenbrach, aber nichts dergleichen geschah. Wahrscheinlich war er dafür viel zu erschöpft, und früher oder später durfte ich mir sicher eine Predigt von ihm anhören, aber in seinen Augen sah ich ganz deutlich Dankbarkeit.

„Du bist wahnsinnig.“, flüsterte Elias. Ich nickte wissend. „Ich weiß, aber als Emilia und Alicia gestern zu Besuch kamen und mir erzählten, was los ist, konnte ich einfach nicht anders. Ich verstehe nichts von Liebe oder ähnlichen Gefühlen, aber von Dankbarkeit habe ich sehr wohl Ahnung. Und ich bin es jeden Tag, seitdem du mir damals das Leben gerettet hast. Das wird sich nicht mehr ändern, nie. Nimm das Geld und genieße die Zeit mit deiner Frau und deinen Kindern.“ Immer noch sprachlos und überfordert umarmte er mich kurz, bevor er die Tür wieder öffnete und ging.
 

Ein paar Tage später wurde mir bei der Visite gesagt, dass ich in 2 Tagen entlassen werden sollte. Das wurde auch langsam Zeit, immerhin lag ich schon fünf Wochen hier, musste aber bald wieder arbeiten. Die Auftraggeber konnten es nicht leiden, wenn ihre Anliegen nicht wenigstens pünktlich erledigt wurden. Mein Gefühl sagte aber, dass es dafür bereits zu spät war. Sicherlich warteten schon die Strafvollstrecker auf mich. So war nun mal das Leben eines Killers. Einmal verbindlich zugesagt, unterschrieb man mit seiner Gesundheit oder mit dem Tod. Doch darüber durfte ich mir jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Wenn es so sein sollte, konnten wenigstens Elias und seine Familie für mich weiterleben. Meine Sachen landeten in der Reisetasche.



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