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Cold wind blows

von

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Lucius' Erbe

- Kapitel neunzehn -

 

 

 

Es war schrecklich, die Gebrechlichkeit der Frau auf seinen Armen zu spüren, gar zu sehen. Die Brutalität war unbeschreiblich und es tat Draco leid, was eben passiert war. Tatsächlich – und es schmerzte, das zuzugeben – befand sich Granger in einem Haus, an das sie nie mehr eine gute Erinnerung haben würde. Selbst das vorhergegangene Szenario in der Bibliothek, nachdem er ihr die Schuld an dem Dilemma gab, tat ihm schrecklich leid, weil er wusste, dass nicht sie, sondern er Schuld gewesen war. Draco alleine. Schließlich war er es gewesen – wie Blaise es schon zum Ausdruck brachte –, der Granger überrumpelte, indem er seine Lippen ungefragt und ohne ihre Erlaubnis auf ihre gepresst hatte. Aber er würde es wieder tun. Zu jeder sich ihm bietenden Gelegenheit würde er den Schritt wagen und wiederholen. Draco würde abermals ihren schönen Mund verschließen, um den wunderbar süßen Geschmack ihrer Lippen zu schmecken.

 

„Du musst aus den Sachen raus, Granger“, brachte er über die Lippen, bevor er sie zu ihrem Bett trug und darauf niederließ. „Ich kann dich aber auch trocken hexen, wenn -“ Ihm wurde klar, was er gerade sagen wollte. Doch um nicht völlig als Versager vor ihr zu stehen, raffte er seinen Körper auf und beendete den Satz würdevoll. „Wenn dir das Recht wäre? So nass kannst du jedenfalls nicht bleiben.“ Wo war seine Selbstsicherheit hin verschwunden? Früher rollten solche Sätze problemlos und lasziv grinsend über seine Lippen.

 

„Das... ist nett, aber ich ziehe mich einfach um.“ Auch Hermine war verwundert, während Blaise einfach nur stillschweigend im Türrahmen stehen geblieben war.

 

„Sicher.“ Am Liebsten hätte er sich mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen. Natürlich könnte sie sich auch einfach umziehen – nichts leichter als das. „Ich dachte nur, dass es einfacher wäre, wegen eventueller Schmerzen.“ Das Bett war nun auch nass. Das konnte man ohne Mühen trocken zaubern. Granger auch, aber dazu müsste er sie in den weißen Sachen – die triefnass waren und das Wasser bereits zu Boden tropfte – ansehen. Draco würde somit Körperstellen sehen, von denen er mittlerweile träumte, allerdings diese besonderen Stellen nur sehen wollte, wenn sie das auch wollte. Und das würde niemals passieren. Granger verabscheute ihn und schon jetzt war es ihm unangenehm, daran zu denken, weshalb er sich schuldbewusst am Hinterkopf kratzte.

 

„Du kannst zauberstablos zaubern, Malfoy“, stellte sie nüchtern fest, ehe sie aus dem Bett stieg und sich vor Malfoy stellte. Auch sie wollte dem seltsamen Gespräch entgehen.

 

„Ja, kann ich.“ Lächelnd sah er ihr entgegen. Ausgerechnet das war ihr aufgefallen, natürlich.

 

Hermine lag zwar am Boden, doch hatte sie Pansy gehört, wie sie den Fluch aussprach. Sie hörte, wie der Fluch sich zischend seinen gefährlichen Weg zu ihnen bahnte, woraufhin sie mühevoll den Kopf gehoben und erkannt hatte, wie Malfoy derjenige war, der den Fluch mit seinen bloßen Händen abwehrte. „Ich habe so viele Fragen diesbezüglich. Ich habe schon so viel darüber gelesen und -“

 

„Granger, du liest?“ Immer noch lächelnd fasste sich Draco an die linke Brust. „Das ist ja nahezu erstaunlich. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass du liest“, neckte er sie, wonach er Blaise zuzwinkerte, der das Kichern jedoch erfolgreich unterdrückte.

 

Davon ließ sie sich nicht aus dem Konzept bringen. „Jedenfalls können das nur sehr wenige. Und die, die es können sind bereits tot – unter anderem Dumbledore.“

 

„Ich kann zauberstablos zaubern, ja. Hast du erwartet, dass ich nicht zaubern kann?“ Draco war nicht beleidigt, es amüsierte ihn vielmehr, dass sie erstaunt darüber war, dass ausgerechnet er derjenige war, der es konnte und eben nicht ihr sagenumwobener Potter. Demnach schien er sie beeindruckt zu haben, was folglich sein Ego steigerte.

 

„Doch, natürlich weiß ich, dass du zaubern kannst“, erwähnte sie lachend. „Aber zauberstablos zaubern ist eine sehr komplizierte Form der Magie. Man muss mit seinem Inneren tief verbunden sein und sich vollständig auf den Fluch fokussieren. Ansonsten kann das auch ganz schnell nach hinten los gehen.“

 

Oh, wenn sie wüsste, wie tief er mit seinem Inneren und der damit einhergehenden Stimme verbunden war, sie würde Bauklötze staunen. „Nun, ich kann es eben“, erwiderte er achselzuckend.

 

„Woher?“

 

Und es ging los. Sie wollte alle Einzelheiten wissen. Die wissbegierige Granger erwachte, obwohl sie Minuten zuvor angegriffen und verletzt wurde. Das schien allerdings nebensächlich geworden zu sein, da es etwas interessanteres gab, als Wunden zu versorgen oder die Klamotten zu wechseln. „Unwichtig. Du solltest dir wirklich lieber etwas anderes überziehen“, bemerkte er anschließend und musste nun doch den Teil seines Charakters hinauslassen, der ihn ausmachte – seine forsche Klappe. Er konnte es auch nicht mehr verhindern, seinen Blick nun doch über ihren nassen Körper streifen zu lassen, was seinem Gegenüber recht schnell aufgefallen war und sie wusste, es zu verhindern. Augenblicklich schossen ihre Arme nach oben zu ihrer Brust.

 

„Ähm... Ja, du hast recht“, antwortete sie peinlich berührt und sah zur Seite. „Ich sollte mich wirklich besser umziehen und... und Danke. Für deine Hilfe, Malfoy. Ich... Ich hätte dich ja umarmt, aber ich bin klatschnass“, versuchte sie die Situation zu retten und sich aus der unangenehmen Situation zu manövrieren. Ferner hielt sie ihm stattdessen lediglich ihre Hand entgegen, die Malfoy ohne zu zögern ergriff.

 

„Nicht dafür, Granger.“

 

„Ja... Danke nochmals – für alles halt“, wisperte Hermine, die mit ihrer anderen Hand lose Strähnen nach hinten schob und im selben Moment Malfoys Hand losgelassen hatte. Die Berührung fühlte sich nicht falsch an, aber seltsam und im Gegensatz zu ihrer, war Malfoys Hand warm.

 

„Kein Problem. Wirklich nicht.“ Ihm war es nicht schwer gefallen, vorhin nach ihrer Hand zu greifen. Er hatte keinerlei Berührungsängste verspürt.

 

Wortlos wandte sie sich nickend von ihm ab und ging anschließend zu Blaise, dem sie ebenfalls die Hand entgegenstreckte.

 

„Bitte Granger, alles gut.“ Ohne dass sie etwas gesagt hatte, hatte Blaise bereits geantwortet, dessen Blick unverzüglich in eine andere Richtung gewandert war. Denn im Gegensatz zu seinem Kompagnon, besaß er genügend Anstand um die Situation nicht auszunutzen.

 

„In Ordnung. Ich... Ich geh dann mal, ja?“ Hermine deutete unsicher auf die Badezimmertür. „Mich umziehen und so.“ Abschließend ließ sie die beiden Jungs in ihrem Zimmer zurück und verschwand hinter der Tür, gegen die sie ihren Rücken lehnte und erschöpft ausatmete. Ihre Beine zitterten, ihr Körper bebte, weil sie sich so schwach fühlte, aber die Berührung mit Malfoy... Sie schien Hermine zu stabilisieren, zu rehabilitieren. Sie fühlte sich nicht mehr so angeschlagen wie zuvor, obwohl sie seine Hand recht schnell losgelassen hatte. Dieser Mensch... seit Neustem übte er eine kontroverse Anziehungskraft auf Hermine aus, die ihr schleierhaft war. Was sollte das bedeuten? Dass sie gerne in seiner Nähe war? Dass sie ihn nicht mehr verachtete? Merlin, sie musste ihren Kopf gegen das massive Holz legen und die Augen schließen, um besser nachdenken zu können. Hinzu kam, dass er ihr bereits zwei Mal das Leben gerettet hatte. Wieso hatte er das getan, wenn er sie doch gar nicht leiden konnte? Himmel nochmal, er zerstörte immer mehr das perfekte Abbild, was sie von ihm hatte – von einem egoistischen, selbstsüchtigen, narzisstischen Misanthrop. Menschen mit diesen Eigenschaften hätten Hermine niemals aus der Schlucht gezogen. Niemals würden solche Charakteristika mit dem Handeln konform gehen. Zumal Malfoy sich selbst in Gefahr gebracht hatte. Selbstlos hatte er sich vor Hermine gestellt, nachdem Pansy den Cruciatus-Fluch auf sie feuerte. War es der Situation geschuldet, dass er sich dazu verpflichtet fühlte, weil Harry ihm ebenfalls zwei Mal das Leben gerettet hatte, während der Schlacht in Hogwarts? Ja, das musste es sein, denn etwas anderes erwartete sie von Malfoy gar nicht. Nie käme sie auf den abstrusen Gedanken, dass Malfoy sie mögen würde.

 

Aber sie wusste – entgegen seiner Meinung –, dass er sich verändert hatte. Er selbst wollte das nie hören, aber es war so. Die Anzeichen konnten nicht eindeutiger sein. Malfoy, ein Mann, der zuvor ein Arschloch war, bewegte sich immer mehr in die Richtung, ein guter Mensch zu werden. Zumindest ein Teil von ihm, da sie sich sicher war, dass er seine Art nie ganz ablegen würde. Das musste er auch nicht, da ihn das auszeichnete, oder? Würde sie ihn nicht kennen und ihn unvoreingenommen kennenlernen, Hermine würde ihm wohl auch verfallen – sofern ihre Zensuren ihr nie wichtig gewesen wären. Und das war der Unterschied zu anderen Frauen, denen sie es nicht verübeln konnte, Malfoy auf den Leim gegangen zu sein. Aber Hermine kannte ihn schließlich und ihre Noten waren immer an erster Stelle. Nichtsdestominder, sie kannte nun beide Seiten von ihm. Sie kannte sowohl seine hässliche, als auch seine schöne Seite. Auch war sie eine der wenigen, die ihn gar nicht mehr so sehr hasste und sie wüsste gerne, wieso er so geworden war. Was hatte dazu geführt, dass Malfoy der Mensch war, der er heute war?

 

In ihren Gedanken versunken, schritt sie langsam zur großen Badewanne. Sie beugte sich vorsichtig über den Marmor und drehte die Wasserhähne auf. Danach würde sie sich in eine warme Decke einwickeln und hoffen, dass dieser schreckliche Tag schnell vorüberziehen würde. Heute war nämlich kein schöner Tag. Ganz und gar nicht. Erst dieses Katz- und Mausspiel mit Narzissa, danach die prekäre Situation mit Malfoy in der Bibliothek und nun das Aufeinandertreffen mit Pansy...

 

 

 
 

~*~

 

 

Den Ellenbogen am Türrahmen abstützend, stemmte Blaise die andere Hand in seine Hüfte. „Wow, das war anstrengend. Ich verstehe mittlerweile ganz gut, wieso du Pansy nie leiden konntest.“ Kurz sah er zur Tür, durch die Granger verschwunden war, ehe er zu Draco zurück sah.

 

Auch er blickte zur Tür, selbst als er von Blaise angesprochen wurde. „Blitzmerker, aber bedauerlich, dass es dir erst jetzt aufgefallen ist“, informierte er ihn verärgert und drehte sich nun doch zu seinem Freund um. Wo hatte der Junge die ganzen Jahre gelebt, dass ihm Pansys Art erst jetzt negativ aufgefallen war? Ihre damalige Häuserkameradin und Dracos zeitweilige Affäre war immer so gewesen. Immer gereizt und zum Kotzen.

 

„Hey, besser spät als nie. Aber weißt du was?“

 

„Was?“, murmelte Draco, der inzwischen wieder zur Tür gesehen hatte.

 

„In dir steckt etwas verdammt Gutes“, eröffnete Blaise ihm, während er seinen Kopf in die Handinnenfläche legte, die nach wie vor durch den angelehnten Ellenbogen am Türrahmen eine hervorrage Stütze bot.

 

„Ist das so?“, antwortete er repressiv, ehe er seinen Körper gänzlich zu Blaise drehte, um ihn abwartend anzusehen. Draco war nämlich gespannt, mit welchen idiotischen Attributen er ihn nun beschreiben würde.

 

Genervt blähten sich Blaises Wangen. Was war der Kerl anstrengend. Wieso sah es jeder, abgesehen von Draco selbst? Mit Sicherheit war es auch einem dummen Huhn wie Pansy aufgefallen, dass Draco sich veränderte. „Och, ja. Es sieht jedenfalls danach aus“, winkte er belanglos ab. „Ich meine, wieso hättest du dich sonst vor Granger stellen sollen, wenn so rein gar nichts Gutes in dir steckt?“ Der blonde Affe tat etwas barmherziges und sah es nicht – wollte es vermutlich auch nicht sehen, weil er es mit Schwäche in Verbindung bringen würde.

 

„Weil ich keine Lust auf eine Meldung im Ministerium hätte, wenn Granger ins St.Mungo eingeliefert worden wäre. Und sie wäre dorthin gekommen, wenn Pansy -“

 

„Sieh es doch einfach ein, dass in dir ein guter Kern schlummert. Ich für meinen Teil bin jedenfalls froh, dass dein Vater scheinbar doch nicht das letzte Quäntchen Menschlichkeit aus dir geprügelt hat. Das wird dir noch zugute kommen. Ich bin sogar der Überzeugung, dass du sehr einfühlsam warst, als du Granger zu ihrem Zimmer getragen hast.“

 

Was für ein wunderbares Attribut – einfühlsam. Das war nicht das erste Mal, dass er Granger getragen hatte, aber Draco hütete seine vorlaute Zunge wie ein Ei, das ausgebrütet wurde – damit er bloß nicht auf die dumme Idee kam, Blaise auch über diesen Unfall aufzuklären. „Wie meinst du das?“, wollte er stirnrunzelnd wissen und wieso erwähnte jeder immer seinen Vater? Sein Vater war tot. Lucius war nicht mehr hier. Lucius hatte sich aus allem fein säuberlich herausgezogen und konnte jeder Strafe entgehen. Sein toller Vater hatte ihn und Narzissa alleine gelassen. Glimpflich und mit vielen Galleonen hatte er Draco alleine gelassen.

 

„Du bist echt schwer von Begriff, was? Ich will dir sagen, dass du eine menschliche Seite hast, aber das willst du nicht sehen, richtig?“ Parallel legte er einen Arm um Dracos Schulter und es war ihm egal, ob der feine Herr das wollte oder nicht. Blaise tat es einfach. „Du hast Granger -“

 

„Nicht“, stoppte Draco ihn augenrollend. „Sag es nicht, Blaise. Ich will es nicht hören.“

 

Blaise dachte gar nicht daran, sondern sprach unverblümt weiter: „Du hast Granger und mich gerettet. Bei Pansys Treffsicherheit weiß man ja nie, wen sie wirklich getroffen hätte, oder? Sie ist ja so treffsicher, wie du ein Halbblut bist – nämlich gar nicht.“

 

„Blaise“, begann er niedergeschlagen, während er den Arm seines besten Freundes von seiner Schulter entfernte, „nur weil ich einem wie dir“, lächelte er anzüglich, „geholfen habe, heißt das nicht, dass ich dich mag oder eine menschliche Seite habe. Eine, die dazu noch so verborgen sein soll. Schon mal darüber nachgedacht, Philosoph zu werden oder dich mit der Relativitätstheorie zu befassen?“

 

„Du hast auch Granger gerettet“, beharrte Blaise. Diesen Umstand wollte Draco offensichtlich verdrängen. Aber er wäre nicht Blaise, wenn er Draco nicht – kollegial wie er war – daran erinnern würde. „Und seit wann interessierst du dich für Muggelberufe? Wer bist du, und was hast du mit dem Arschloch Malfoy gemacht?“ Kurz pausierte er und fuhr fort: „Was das mit der Relativitätstheorie betrifft. Nun, die befasst sich doch ausschließlich mit dem Wesen der Gravitation, was uns wieder zu der Anziehung bringt, die Granger auf dich ausübt.“

 

„Du nennst mich Arschloch?“, fragte Draco lachend.

 

„Die Wahrheit darf doch gesagt werden. Wenn nicht ich das tue, wer sonst?“, schmunzelte der dunkelhäutige Junge. Ihm war sofort aufgefallen, dass Draco nicht auf die Passage mit Granger einging. „Und wieso lenkst du schon wieder ab?“

 

Oh, ich sage Draco andauernd die Wahrheit. Mich kann er nämlich nicht ignorieren, weil man sein Inneres nicht verdrängen kann, nicht wahr, Draco?“

 

Wie schlagfertig die ätzende Stimme wieder war. Heute gab sie wirklich alles. Nichts, aber auch gar nichts ließ die Stimme aus. Ohne Rücksicht auf Verluste, drosch sie immer wieder auf Draco ein.

 

Ohne Rücksicht auf Verluste? Du wirfst mir mangelnde Empathie vor, Draco? Ja? Dabei bin ich doch genauso, wie du einst warst.“

 

War? Ha, er war nicht anders geworden. Er war nach wie vor derselbe. Nichts hatte sich geändert, außer dass Granger mit ihm zusammen im selben Haus lebte und er ihr zwei Mal das Leben gerettet hatte.

 

In der Bibliothek hattest du wenigstens die Erkenntnis gewonnen, dass man die Augen vor der Wahrheit nicht verschließen soll, hinsichtlich Grangers Aussehen. Das war ein Fortschritt. Wieso diesen Fortschritt nicht ausweiten?“

 

„Blaise, ich lenke nicht ab. Du missverstehst das.“ Wenn er die Stimme ignorierte, würde alles gut werden. Ja.

 

„Natürlich. Die Gravitation wird es letzten Endes richten, nicht?“, teilte Blaise ihm mit und verschränkte gönnerhaft die Arme vor seiner Brust. „Was hat dich eigentlich dazu getrieben, mit mir zu reden? Mein gutes Aussehen wird es nicht gewesen sein, oder?“

 

„Nichts“, antwortete Draco nachdenklich. Er wollte Blaise nicht erzählen, dass Granger ihn unbewusst zu dem Schritt getrieben hatte. Dass er all das ihrer Mimik und ihrer Ausstrahlung verdankte, sich endlich halbwegs öffnen zu können. Dass sie es war, die ihm zeigte, dass es sich lohnte, wenn man sich alles von der Seele sprach. Allein ihre Reaktion war es. Sie zeigte immerzu ihre Freude – schon in der Bibliothek.

 

„Aha. Gar nichts?“

 

„Nein, nichts.“

 

„Man, das alles war haarscharf. Granger sieht aus wie ein Wrack“, offenbarte Blaise die unaussprechliche Wahrheit.

 

„In Wracks sind trotzdem immer noch die begehrtesten Schätze, oder nicht?“

 

„Ich hoffe es, Draco“, erwiderte er ernst. „Wirklich, ich hoffe es.“

 

Auch er war niedergeschlagen, weswegen er auch nur den Kopf schüttelte und sich im Anschluss zur Tür wandte. Draco wollte nicht länger als nötig hier bleiben. Granger wäre gewiss auch froh, wenn sie nachher aus dem Bad käme und niemanden mehr in ihrem Zimmer vorfinden würde. Diesen Gefallen würde er ihr tun, auch wenn ihn das störte. Eigentlich wäre er gerne noch hier geblieben. Er hätte sich gerne auf ihr Bett gesetzt und auf sie gewartet, was er natürlich für sich behielt. Wer wusste schon, welche Schlüsse Blaise daraus wieder zog. Nachdem sie sich stillschweigend darauf geeinigt hatten, das Zimmer zu verlassen, sah der junge Malfoy noch einmal zur Badezimmertür. Er dachte daran, was sie dahinter wohl gerade anstellte. Wie sie sich aus ihren nassen Sachen schälte, um ihren zierlichen Körper später in weiche Kleidung zu stülpen. Merlin, bei dem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken runter.

 

Mit schnellen Schritten ging er voraus. Gemeinsam schlenderten sie durch die Flure und immer mehr überkam Draco das Bedürfnis, zu Lucius' Portrait zu gehen, weil er unaufhörlich an Blaises Satz denken musste – bezüglich seiner Freude, dass Lucius nicht alles Gute aus ihm geprügelt hatte. Und wieso hatte sein Vater es überhaupt getan – ihn geschlagen? Was trieb ihn dazu? Zum wohl ersten Mal dachte er ernsthaft über die Absichten seines Vaters nach. Lag es tatsächlich nur an der Loyalität gegenüber des dunklen Lords? Wollte er Draco zu Gunsten des dunklen Lords formen? Aber wieso hatte sich jenes Verhalten nicht geändert, als der dunkle Lord von Potter – als dieser nichts weiter als ein Kleinkind war – zum ersten Mal gestürzt wurde? Warum hatte Lucius sich nicht geändert, verdammt? Ahnte er, dass der Tyrann auferstehen würde? Aber was brachte es ihm letztendlich? Schließlich hatte Blaise recht. Lucius und Bellatrix hatten ihn komplett versaut. Selbst Granger hatte recht, als sie ihm vorwarf, mit den falschen Idealen genährt worden zu sein.

 

„Übrigens“, murmelte Draco nach mehreren Gehminuten, „gut für dich, dass du in eine andere Richtung geschaut hast, als Granger dir ihre Hand entgegenstreckte.“

 

„Draco, ich bitte dich. Granger ist sehr hübsch, aber -“

 

„Vorsicht, Blaise“, knurrte Draco mit erhobenem Finger. Er wollte sich nicht wieder anhören, dass Granger hübsch war. Er wusste das.

 

„Hey“, kicherte Blaise, bevor er beide Hände von hinten auf Dracos Schulter platzierte und seinen Kopf darüber beugte. „Noch ein bisschen mehr und deine Eifersucht lässt sich nicht mehr so leicht verbergen, Kumpel. Gut, dass ich es bin, dem du sie so offensichtlich zeigst. Erstaunlich, dass Granger noch nichts bemerkt hat“, stichelte er lachend weiter und nahm seine Hände von Dracos bebenden Schultern. „Oder hat sie etwas bemerkt?“, fragte er immer noch lachend.

 

„Keine Ahnung, was du alles siehst.“

 

„Ich sehe die Realität, Draco.“

 

Schön, Blaise wollte weiterhin ein Arsch sein. „Sie hat nichts gemerkt, wie auch?“

 

„Stimmt“, bestätigte Dracos bester Freund hämisch. „Du verhältst dich ja auch wie ein Idiot – ihr gegenüber. Meine Sorge ist unbegründet – sie wird gar nichts merken.“

 

„Wie kaltschnäuzig du wieder bist, obwohl du eben so bleich werden konntest, wie es eben möglich war.“

 

„Tja, ich bin eben talentiert oder kannst du auch so dunkel werden, wie ich es bin?“, lachte Blaise auf, bevor er wieder einen ernsten Gesichtsausdruck annahm. „Aber sag mal, glaubst du, Pansy geht zu Weasley?“ Die Heiterkeit war verschwunden, nachdem er den Ernst der Lage wieder erkannt hatte.

 

„Ehrlich? Is' mir scheißegal, wenn sie zu Weasley geht“, polterte der Angesprochene, der der Versuchung widerstehen musste, mit der geballten Faust gegen die Wand zu schlagen. Heute wollte er von Pansy gar nichts mehr hören, denn ihr Verhalten heute, schlug dem Fass den Boden aus. Noch besser wäre es, er würde nie wieder etwas von ihr hören, aber das bezweifelte er.

 

„Es sollte dir aber nicht egal sein“, forderte sein Begleiter.

 

„Nein, es sollte mir nicht egal sein, aber es wird sich auch nichts ändern, wenn ich mich deswegen jetzt verrückt mache. Passieren wird sowieso nichts oder glaubst du, Weasley würde Pansy irgendetwas glauben?“ Kurz hielt er inne und schaute zu Blaise, dem die Antwort offenbar nicht ausreichte. „Was? Weasley weiß, dass Granger hier ist, aber etwas ausrichten kann auch er nicht. Der Trottel weiß, dass er nicht einfach durch die Pforten spazieren kann. Mach dir also keine Gedanken, Blaise.“

 

„Ich mache mir aber Gedanken.“

 

„Unnötige, Blaise.“

 

„Na schön, aber du weißt, dass ich immer hinter dir stehen werde, oder?“ Er drehte Draco zu sich und sah seinem besten Freund in die Augen. „Oder?“

 

„Ja, das weiß ich, und ich denke, das ist es auch, was ich an dir schätze“, offenbarte Draco. Denn dem war so. Er schätzte Blaise als Freund, obwohl er erst sehr spät begriffen hatte, dass sein bester Freund nur das Beste für Draco wollte.

 

„Gut.“

 

„Du findest den Kamin, oder?“ fragte er unnötigerweise. Natürlich würde Blaise den Weg finden. Immerhin kam er seit Kindertagen zu ihm. Sie kannten sich schon so lange, dass es Draco schon schwer fiel, zu lokalisieren, seit wann sie sich genau kannten.

 

„Sicher, aber -“ Blaise ließ den Satz unbeendet, da Draco bereits abgewunken hatte und um die nächste Ecke gebogen war. Merlin, verrückt. Seit Granger hier war, passierten unvorhergesehene Dinge. Aber solange es Draco gut tat, würde Blaise sich nicht beschweren...

 

Auch Draco machte sich seine Gedanken. Vieles hatte sich hier schon in den Hallen von Malfoy Manor zugetragen. Der dunkle Lord hatte sich nach Dracos sechstem Schuljahr vollständig in das Haus seines Vaters einquartiert und zusätzlich versucht, Dracos Familie systematisch zu zerstören – durch Tyrannei und Unterdrückung. Bei jeder lächerlichen Versammlung demonstrierte der dunkle Lord seinen Anhängern, was für eine verkommene Sippschaft die Malfoys doch waren. Immer wieder führte er Lucius, Draco, Narzissa und Bellatrix vor. Oh ja, selbst vor seiner treusten Anhängerin, die ihn vergötterte, machte er nicht Halt. Bellatrix war oft das Opfer seiner Demütigungen, angesichts der Tatsache, dass die dritte black'sche Schwester einen Muggel namens Ted Tonks geheiratet hatte. Wie abstoßend der dunkle Lord doch in Wirklichkeit war... Wieso sah sein Vater das nicht? Wie konnte Lucius, der so viel Wert auf alles legte, so weit fallen? Wie entstand überhaupt dieser Kontakt zum dunklen Lord?

 

All dem wollte Draco plötzlich auf den Grund gehen. Seine Schritte wurden immer schneller, während er sich vage daran erinnerte, dass Granger diejenige war, die wahre Qualen erlitten hatte in all den Jahren – viele durch ihn selbst, was ihn schmerzte. Er konnte den Schmerz fühlen, den er Granger seelisch zugefügt hatte, aber er konnte nichts mehr daran ändern. Warum schätzte er nicht früher ihre Intelligenz? Weil sie ein Schlammblut war? Oder lag der Ursprung im Neid? Lag es an Lucius' Hetzjagd? Immer gieriger nach Antworten, ließ er zahllose Flure hinter sich, bis er sich in dem Flur befand, der ihm hoffentlich Antworten lieferte. Draco wollte endlich verstehen und begreifen. Er wollte anfangen, mit der Vergangenheit abzuschließen – sie nicht mehr verdrängen, sondern verarbeiten. Und je näher er dem Punkt kam, der ihm helfen sollte, umso langsamer wurden seine Schritte. Der junge Malfoy näherte sich unaufhaltsam einem Portrait, an dem er zuletzt vorbeigegangen war, als er Granger eines der vielen Zimmer gezeigt hatte. Bedächtig und doch darauf hoffend, dass die Aussprache in weiter Ferne lag, kam er an, doch er konnte sich nicht überwinden, das Wort an Lucius' Portrait zu richten...

 

Vor ihm – eingebettet in einen goldenen, verzierten Rahmen – war er. Lucius. Und er war – wie zu erwarten – in seinem Rahmen, aber das war er immer. Er wechselte die Rahmen nicht, spazierte nicht herum und unterhielt sich auch mit niemandem.

 

Bis jetzt.

 

„Draco“, murrte die dunkle Stimme nach fünf Minuten, „wie lange willst du mich ansehen?“

 

Mit zusammengekniffenen Augen fixierte er das Abbild seines verstorbenen Vaters. Draco sah ihm direkt in die Augen – in dieselben schiefergrauen Augen, wie die von Draco. Sie waren so grau, dass die Malfoys gelernt hatten, mithilfe eines einzigen Blickes inmitten ihrer Iriden einen Tornado los wüten zu lassen. Daneben umrundeten Lucius' weizenblonde Haare das Gesamtbild, welche ihm selbst nach dem Tod als Portrait anmutig über den Schultern lagen. In seiner linken Hand hielt er – wie zu Lebzeiten – seinen Gehstock, wovon man nur den Schlangenkopf erkannte.

 

„Lucius, ich -“ Draco sah augenblicklich die Missbilligung in den markanten Zügen seines Vaters. Davon ließ der malfoy'sche Sprössling sich jedoch nicht einschüchtern. „Ich will wissen, wieso wir so geworden sind? Wie konnte es so weit kommen?“

 

„Hinterfragt du das wegen deinem Gast?“

 

„Nein.“ Sein Vater war schon immer clever. Kühl und distanziert auch – Eigenschaften, die Draco von ihm geerbt hatte. Um seiner Aussage mehr Überzeugung zu verleihen, steckte er simultan beide Hände in die Hosentaschen. Zwar hatte sein Vater ihn durchschaut, aber Draco versuchte dennoch, die Maskerade aufrecht zu erhalten, wenngleich er wusste, dass jede weitere Lüge zwecklos war. Lucius kannte die Wahrheit, er ließ sich nicht so leicht in die Irre führen. Getreu dem Motto: Einen Gescheiten musste man überzeugen, einen Dummen überreden. „Beantwortest du mir trotzdem die Frage, oder willst du dich wieder aus der Affäre ziehen?“

 

„Was willst du von mir hören, Draco?“

 

„Zur Abwechslung mal die verdammte Wahrheit. Wieso hast du nichts getan und uns stattdessen schutzlos ausgeliefert?“ Der jüngere der beiden Malfoys fühlte sich wie ein kleiner Junge, den man im meterhohen Schnee zurückgelassen hatte. „Waren Narzissa und ich dir so wenig wert?“

 

„Nein“, schnaufte Lucius. „Deine Mutter und du – ihr wart das Größte, das ich je besaß. Ihr wart und seid mir wertvoller als jede Galleone, die sich in unseren Verliesen in Gringotts stapelt.“

 

„Lächerlich“, knurrte Draco, der inzwischen die Arme vor der Brust verschränkte und angewidert zur Seite sah. Reden konnte sein Vater schon immer. Darin war er Weltklasse.

 

„Junge, du -“

 

„Spar dir die Ausreden, Lucius. Erspar sie dir und vor allem mir, ich bin es leid.“

 

„Draco, ich war jung. Jung und naiv. Ich war ein Mann, der von einer Welt träumte, von der der dunkle Lord uns allen vorgeschwärmt hatte – von einer freien Welt. Merlin, ich wollte auch ein Stück vom Kuchen“, gestand das Portrait wehmütig. „Schlussendlich konnte ich diesem machiavellischen Saatgut, das der dunkle Lord säte, nicht mehr widerstehen.“

 

„Das ist der Grund? Du hast deine Seele verkauft, weil du ein Stück vom Kuchen wolltest?“ Ihm kam es eher vor, als wollte sein Vater damals die ganze Bäckerei, statt des Kuchens. „Tja, der Zweck heiligt nun mal nicht alle Mittel.“ Er verstand wohl richtig. Weil sein Vater machtgierig geworden war, musste er darunter leiden? Lucius nahm jegliche Konsequenzen in Kauf, weil er glaubte, für einen guten Zweck zu handeln – der zumal nur in den Augen eines Todessers ein guter Zweck war – und dafür sogar fragwürdige Mittel eingesetzt hatte?

 

Merlin, wie scheinheilig das alles doch war. Aber nicht Lucius' Bigotterie enttäuschte Draco. Nein. Es war die Gleichgültigkeit seiner Familie gegenüber.

 

„Du kanntest die Zeiten damals nicht. Es waren dunkle Zeiten, über die du nicht urteilen kannst. Im Gegensatz zu dir, wurde ich anders erzogen. Ich -“

 

„Anders erzogen, ja? Vielleicht hast du ja eine Erziehung genossen, die eines Kindes würdig war – im Gegensatz zu mir.“

 

Lucius ignorierte den Einwand. Ändern konnte er es sowieso nicht mehr. „Unter Reinblütern war es nun mal üblich, dass alles, was nicht von Reinblütern stammte, unwürdig war. Aus dem Grund habe ich mich für die dunkle Seite entschieden.“

 

„Das glaubst du doch selbst nicht.“ Unmöglich konnte sein Vater das ernst meinen. „Wenn du damals schon wusstest wie falsch es war... Wieso hast du es bei mir dann nicht besser gemacht, Lucius? Gott verdammt, wieso hast du und Bellatrix mich so versaut, Dad? Warum?“ Es waren böse Vorwürfe, die Draco erhob, aber sie beruhten auf Tatsachen. „Wieso warst du nicht stark genug, es besser zu machen?“

 

„Ich wollte nur dein Bestes.“ Lucius' graue Augen erstarrten, nachdem sein Sohn ihn Dad genannt hatte. Immerzu hatte er ihn Vater oder Lucius genannt. Draco hatte immer davon abgesehen, den liebevollen Kosenamen zu verwenden.

 

„Scheiße, nein. Das wolltest du nicht. Ein Dad lässt seinen Sohn niemals im Stich.“ Mit voller Wucht schlug Dracos Faust neben das Portrait. So fest, dass der Rahmen wackelte. Anschließend lehnte er sich mit dem Rücken gegen die gegenüberliegende Wand. „Du hast Narzissa und mich alleine gelassen. Du hast mich eine Kindheit durchleben lassen, die ich nicht einmal Potter wünsche.“ Die Situation würde nicht besser werden, aber es tat dem jungen Malfoy gut, endlich die angestaute Wut herauszulassen und sie dem Menschen entgegen zu schmettern, der verantwortlich für Dracos damaligen Weg gewesen war. „Du hast mich mit deinen Hetzparolen zu einem emotionslosen Eisklotz herangezüchtet. Und jetzt schlagen Gefühle auf mich ein, Emotionen und Trauer, mit denen ich gar nicht umgehen kann, weil ich all das nicht kenne.“ Merlin, er spürte die immer kleiner werdende Diskrepanz zwischen sich und Granger. Gerne würde er mit ihr darüber sprechen. Immer mehr wollte er ihre Nähe. Sie... Sie war wie ein verdammter Magnet.

 

„Ich weiß, dass ich nicht stark genug war.“ Lucius' hochmütiges Antlitz veränderte sich in Demut. Ein Portrait konnte eigentlich keine Gefühle ausdrücken. Sie wurden ohne jegliche Emotion gezeichnet, aber Lucius' Portrait schien anders zu sein. „Ich war dumm und habe mich der falschen Seite hingegeben, aber du, mein Junge, du wirst stark genug sein, dein Leben neu aufzubauen – ohne mich. Und du wirst Fehler machen, aber die Fehler, die ich begangen habe, wirst du nicht wiederholen, weil du es besser weißt“, ergänzte er traurig und doch mit Stolz in der Stimme, da er wusste, wie gut sein Sohn im Grunde war. Er selbst wusste, dass er unzählige Fehler im Bezug auf Draco gemacht hatte, daher wusste er umso besser, dass sein Junge alles besser machen würde.

 

„Was ein Schwachsinn.“ Hörte sein Vater ihm überhaupt zu? Offenbar nicht.

 

„Ich mochte deine Mutter zu meiner Schulzeit im Übrigen auch nicht, weißt du?“, fügte er nach wenigen Sekunden zusammenhanglos hinzu.

 

„Was soll das werden, Lucius? Vergleichst du mich und Granger etwa mit dir und Narzissa?“ Das Gespräch nahm eine völlig andere Richtung ein. Erstaunlich, dass sein Vater seine gute Kinderstube nicht vergaß und es schien das erste Gespräch zwischen Vater und Sohn zu sein, das gesittet verlief – ohne Geschrei, ohne Wut im Bauch. Hinzu kam Lucius' Spürsinn, obwohl er doch nur ein Portrait war... Lucius hatte Draco durchschaut. Er wusste, das hinter all dem Granger steckte. Das Mädchen, das ihn zum Nachdenken animierte. Vermutlich wäre ihm auch dieses Mal keine glaubhafte Lüge über die Lippen gekommen, das wusste Draco. Zudem überraschte es ihn, dass sein Vater die Wut – die sein Sohn in sich trug – widerstandslos über sich ergehen ließ, aber was blieb dem Portrait auch übrig? „Vergiss es. Das, was zwischen mir und Granger ist, ist völlig anders“, gab er seinem Vater zu verstehen, obzwar er gerade zugab, dass er womöglich mehr für Granger übrig hatte. In seinem Kopf schien etwas zu entstehen, dessen Ausmaße er gar nicht einschätzen konnte und ohne sein Zutun immer größere Kreise zu ziehen schien.

 

„Findest du? Nun, sie ist das Gegenteil von uns, Draco.“
 

„Was?“

 

„Dieses Mädchen... Sie wird dir aus dem Loch helfen, in welches ich dich habe fallen lassen. Vielleicht hat sie dir sogar schon geholfen, ich weiß es nicht.“ Nachdenklich wanderte seine Hand in seinen Nacken.

 

„Was ist los? Du rastest gar nicht aus.“

 

„Sollte ich?“, wollte Lucius belustigt wissen, der froh gewesen war, dass die Stimmung sich scheinbar lockerte. „Ändern kann ich es ja auch gar nicht. Ich will es auch nicht. Außerdem ist Miss Granger eine recht interessante und sehr intelligente Persönlichkeit, nicht?“ Gut machen konnte Lucius nichts mehr, aber er könnte sich wenigstens darüber freuen, dass sein Sohn nicht mehr alleine war. Alleine in diesem Haus, wo sein Hass auf Lucius weiter wachsen konnte. „Guck nicht so skeptisch, Draco. Ich habe das schon gemerkt, als ich sie – zu Anfang eures zweiten Schuljahres damals – das erste Mal gesehen habe. Du erinnerst dich? Bei Flourish & Blotts, als ich... die Auseinandersetzung mit Arthur Weasley hatte.“

 

„Ich erinnere mich, ja.“

 

„Gut, ich denke, Miss Granger wird dein Leben bereichern. Langweilig wird es mir ihr sicher nicht, wenn man den Gerüchten der Portraits Glauben schenken darf.“

 

Er spielte auf die vielen Zwischenfälle an, seit Granger auf Malfoy Manor lebte. Aber konnte man das mit Bereicherung vergleichen? Es war alles andere als spaßig und selbst die Portraits wussten scheinbar bestens Bescheid. „Das ist ja alles schön, wie du das siehst. Narzissa sieht das alles etwas anders.“

 

„Ich weiß. Ich rede mit deiner Mutter öfter als mit dir.“ Seine Frau hatte in ihrem Domizil ebenfalls einen Rahmen für Lucius, den er oft aufgesucht hatte. Es war Draco lediglich nie aufgefallen, dass Lucius das eine oder andere Mal nicht in seinem Rahmen war. Aber woher auch? Sein Sohn mied den Gang, in dem sein Portrait hing. „Die Erziehung deiner Mutter war bedeutend härter. Ihr wird es schwer fallen, zu akzeptieren, dass ihr einziges Kind erwachsen wird. Du solltest ihr Zeit geben.“

 

Fast hätte Draco laut gelacht. Narzissa sorgte sich nicht um andere. „Versuch nicht, der falschen Erziehung die Schuld zuzuweisen. Irgendwann ist jeder für sich selbst verantwortlich.“ So wie auch Draco für seine Entscheidung verantwortlich war, Granger hier einzusperren.

 

„Du weißt, was sie getan hat, nachdem -“

 

„Weiß ich. Aber eine gute Tat reicht nicht aus, um alles wieder gut zu machen.“ Seine Mutter hatte mit Snape vor Beginn des sechsten Schuljahres einen unbrechbaren Schwur geleistet. Etwas, wovon er dachte, wozu seine Mutter nie im Stande gewesen wäre.

 

„Ich wäre froh, es wäre alles anders gekommen, mein Junge. Es tut mir leid, dass ich dich all dem ausgesetzt habe“, offenbarte Lucius mit gesenktem Haupt. „Auch wenn du mir nicht glaubst, aber es ist so. Ich habe dir nie die Vaterliebe zukommen lassen, die du verdient hättest, aber ich dachte damals, es... es wäre der richtige Weg. Ich war der Überzeugung, dass du weniger Enttäuschungen ertragen wirst, wenn du... so bist, wie du jetzt bist.“ Vertraut lächelte er ihm zu, nachdem er den Kopf hob und Draco ansah. „Ich war auf Hogwarts, weil deine Mutter und ich dich gesucht haben. Unsere erste Priorität bestand darin, dich zu finden, Draco.“

 

Das war also Lucius' Erbe? Seinen Sohn zu versauen, und jenes Verhalten mit einer Entschuldigung auszubügeln? Nett, aber dass sein Vater sich tatsächlich für etwas entschuldigte, setzte all dem doch die Krone auf. Dem sonst so stolzen Draco Malfoy wurde speiübel. Mit der linken Hand fuhr er sich schweißgebadet durch die blonden Haare, um sich abzulenken. Antworten bekam er auch nicht wirklich, aber wie konnte er es einem Portrait auch verdenken? Diese Aussprache hätte vor Lucius' Tod stattfinden müssen, aber es war zu spät gewesen. Es war auch nur eine einzige Entschuldigung, für all die Schandtaten die Lucius begangen hatte, aber das war wohl auch der höchste Grad an Gefühlen, die sein Vater aufbringen konnte. Zumindest gab er zu, in der Erziehung alles falsch gemacht zu haben, was man falsch machen konnte. Demzufolge war Draco nicht alleine schuld, dass er so war, wie er eben war. Und damit konnte man arbeiten – zusammen mit Granger. Mit ihr würde er den Anfang wagen.

 

Wie wäre er wohl geworden, wenn er unter anderen Umständen aufgewachsen wäre? Wären er und Granger ein Paar gewesen?
 

„Aber Hallo. Draco, was sind das denn für Gedanken? Akzeptierst du also, dass du etwas für Hermine Granger empfindest?“

 

Standhaft sah er zu Lucius – die Stimme ignorierend. Das erste Mal, dass ihm aufgefallen war, dass Granger schön war, war auf der Weihnachtsfeier in ihrem vierten Schuljahr. Er wusste noch ganz genau, wie hübsch sie in ihrem fliederfarbenen Kleid ausgesehen hatte. Wie schön ihre zusammengebundenen Haare ihre Rücken hinab fielen – ähnlich wie heute. Nur damals hatte er sich verflucht, dass es ihm aufgefallen war. Er wollte damals gar nicht denken, dass Granger wunderschön geworden war. Aber das war nicht das letzte Mal. Das zweite Mal ertappte er sich im sechsten Schuljahr dabei. In dem Schuljahr, in dem alles seinen Lauf nahm und es ihm immer schlechter ging. Und dann war da Granger. Das Mädchen, das unerreichbar und doch so nah für ihn gewesen war. Sie gab ihm Kraft, sie war Symbol dafür, dass alles gut werden könnte. Ihm fiel auch ihre Weiblichkeit auf, wonach er viel präziser auf sie achtete. Er nahm sowohl ihre, als auch seine Umwelt komprimierter wahr – wie sie sich bewegte, wie ihren Augen glänzten, wenn sie die nächste Seite ihres Buches umgeblättert hatte, wie viel Spaß sie einfach im Leben hatte.

 

„Draco?“, entkam es Lucius, nachdem sein Sohn schweigsam geblieben war.

 

„Schon gut, Dad“, flüsterte Draco, doch bevor er sich wegdrehte, berührte er noch einmal Lucius' Rahmen. Er würde jetzt – mit einem gefüllten Kopf und so vielen Fragen – ins Bett steigen und darauf hoffen, wenn er morgen aufstand, dass sein Kopf leer und befreit wäre. Im Anschluss ließ er völlig konfus das Portrait seines Vaters zurück, wodurch ihm nicht auffallen konnte, wie Lucius' Mundwinkel nach unten sanken. Hoffentlich erwartete sein Vater jetzt nicht, dass Draco ihm – bezüglich seiner Entschuldigung – Tribut zollte? Schmunzelnd, hinsichtlich dieses Gedanken, fuhr er seinen Weg Richtung Schlafzimmer fort.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  sama-chan
2019-09-15T17:48:04+00:00 15.09.2019 19:48
Oh Gott ich liebe deine FFs! Dein Schreibstil, die Charakterbeschreibungen, die Gedankengänge! Ich schmelze dahin! 😍
Und ich bin überglücklich, dass du deine FFs fortsetzt. Zwischenzeitlich hatte ich echt Angst, dass es ein appruptes Ende finden würde.
Und jetzt auf zum nächsten Kapitel! 😍
Antwort von:  Dracos-Princess
15.09.2019 20:06
Ach, du Liebe :>

Ich kann dir gar nicht oft genug danken. Du schreibst mir immer so liebe Zeilen - kann das gar nicht richtig würdigen. Und deine Lobgesänge erst - sie sind wunderbar.

Natürlich! Es wird kein abruptes Ende geben. Die Geschichte wird beendet! Ich mag es selbst nicht, wenn Geschichten unbeendet hinterlassen werden, was auch ein Grund war, dass ich kaum noch FFs lese (natürlich spielt der Zeitfaktor auch ne Rolle.) Aber ich sage es ganz deutlich: Cold wind blows wird beendet :)


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