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Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare

von

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Kapitel 11.

»Schön, dass du wieder bei uns bist«, begrüßt mich die Ordensschwester Frau Kramer freundlich lächelnd und winkt mich in ihr Büro. Eigentlich wollte ich auf direktem Weg in mein Zimmer gehen und mich dort verbarrikadieren, bis es an der Zeit war, zum Abendessen zu gehen. Auf ein Gespräch habe ich so gar keine Lust. Ergeben nicke ich aber und schließe die Tür hinter mir. Ich lasse meine Tasche von meiner Schulter gleiten und setze mich unaufgefordert in den Sessel vor ihrem Schreibtisch.

»Brauchst du irgendetwas Besonderes? Müssen wir mit etwas Rücksicht auf dich nehmen?«, fragt mich Frau Kramer und sieht mich abermals mitfühlend an, als sie sich hinter ihrem Schreibtisch setzt. Ich schüttel meinen Kopf und verschränke meine Arme vor meiner Brust. Frau Kramers Bürostuhl knarzt, als sie sich bewegt um an einen Ordner zu kommen.

»Nein, danke. Alles gut, ich muss nur im Sportunterricht noch ein bisschen aufpassen, ansonsten bin ich fit.«

»Ich wurde am vergangenen Freitag darum gebeten, dich darüber zu informieren, dass jeder Fachlehrer, in der kommenden Woche, mit dir ein Gespräch führen will, um mit dir gemeinsam einen Fahrplan zu erarbeiten, wie du deine Wissenslücken aufarbeiten kannst, ohne dass du das Schuljahr wiederholen musst. Für die Gespräche wurde mir eine Liste gegeben, dort steht drauf, wann sie in der Woche Zeit haben und wo du sie finden kannst. Am besten suchst du die einzelnen Lehrer so schnell wie möglich auf.« Frau Kramer reicht mir die besagte Liste und ich schaue flüchtig drüber. Überrascht stelle ich fest, dass mich sogar Frau Schwarz sprechen will. Dabei bin ich in Sport eigentlich ganz passabel.

»Gibt es sonst noch etwas, dass Sie mit mir besprechen wollten?«, frage ich und lasse meine Augen noch einmal über die einzelnen Namen der Fachlehrer wandern. Frau Kramer schüttelt ihren Kopf, ordnet ein paar Dokumente und lächelt mich an.

»Nein, Romy, das wäre alles. Abendessen gibt es in circa einer Stunde. Denk danach an das Abendgebet. Kommende Woche wechseln außerdem die Dienste, dein Flur war letzte Woche mit Küchendienst dran, deshalb setzt ihr diese Woche aus. Ach, bevor ich es vergesse«, murmelt Frau Kramer, lehnt sich zurück und wühl in einem Ablagefach und zieht eine dicke Mappe hervor. »Das sind die Hausaufgaben von letzter Woche. Hol sie so schnell wie möglich nach und reiche sie spätestens am Freitag bei deinen Lehrern ein.« Ich nehme die Mappe an mich und freue mich, als ich aufstehe. Zusätzliche Arbeit, die mich davon abhält, all zu viele Fehler, in meiner Rolle zu begehen. Ich hatte schon Sorge, dass ich mich aus purer Langeweile irgendwann mit den Anderen beschäftigen würde. Ich schulter meine Tasche mit einem Ächzen und verabschiede mich von Frau Kramer mit einem wortlosen Nicken.
 

Treppensteigen geht schon viel besser, bei dieser Unmenge allerdings macht sich meine geprellte Rippe dann doch bemerkbar. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass meine Tasche blöd gegen meine Seite schwingt. Als ich auf meiner Etage angekommen bin und mich dem Gang zuwende, der mich zu meinem Zimmer führt, höre ich jemanden hinter mir, eilig die Treppe hoch poltern.

»Wow, was ist dir denn passiert?«, ruft Martha schockiert, als ich mich halb zu ihr umgedreht habe und sie die beiden, genähten Platzwunden entdeckt haben muss.

»Ich habe einen Denkzettel bekommen«, erwidere ich kühl, wende mich dem Gang wieder zu und gehe ihn hinab, bis zu meiner Zimmertür, wo ich meine Tasche von meiner Schulter rutschen lasse, als ich meine Hosentaschen nach meinem Schlüssel abtaste. Als Martha mich überholt hat und an ihrer eigenen Tür steht, höre ich eine Stimme, die meinen Herzschlag beschleunigt und nach Martha ruft. Mit zittrigen Fingern ziehe ich den Schlüssel hervor und stecke ihn eilig ins Schloss, schließe auf, schlüpfe in mein Zimmer, ziehe meine Tasche ins Zimmer und schließe sofort hinter mir ab. Durch die Tür höre ich, wie Julis Stimme näher kommt, Martha etwas antwortet, was ich aber nicht verstehe und Julis Stimme sich wieder entfernt und irgendwann verklingt. Erleichtert atme ich aus, lehne meine Stirn gegen das kalte Holz der Tür und frage mich, was das noch werden soll. Nach einigen Augenblicken hieve ich meine Tasche auf das Nachbarbett, werfe die Mappe mit den Hausaufgaben, in die ich auch die Lehrerliste gesteckt habe, achtlos auf den Schreibtisch und setze mich langsam auf mein Bett. Es fühlt sich seltsam an, wieder hier zu sein. Seltsam und einsam.
 

Zehn Minuten vor dem Abendessen, als ich gerade meine Tasche ausgepackt und die Klamotten in den Kleiderschrank gepackt habe, klopft es an meiner Zimmertür und ich schrecke aus einem angenehmen Sekundentraum, der mich in mein Zimmer zu Hause entführt hat.

»Wer da?«, rufe ich und mache den Kleiderschrank zu.

»Martha«, erklingt es durch die Tür hindurch. »Ich dachte, wir könnten gemeinsam runter zum Essen gehen?«

Vermutlich hat Juli Martha dazu angehalten, sich mir aufzudrängen. Ich seufze, checke mein Outfit und reibe einen Fleck von meinen Springerstiefeln. Es sind die, die ich damals anhatte, als ich Juli zum ersten Mal gesehen habe. Für kurze Wege dürften die Teile okay sein und definitiv zeigen, welche Weltanschauung ich vertrete.

»Dann los«, nicke ich Martha zu, nachdem ich meine Zimmertür abgeschlossen habe und gebe das Tempo vor, damit sie nicht auf den Gedanken kommt, ich würde mit ihr reden wollen.

»Tut es noch sehr weh?«, fragt Martha mich, als ich die Treppenstufen langsam hinabsteige und deutet auf meinen Kopf.

»Nein«, erwidere ich und schüttel meinen Kopf. »Die Narben zwicken ein bisschen, wenn sich das Wetter ändert, sonst nichts, außer ein stetiger Kopfschmerz, der einfach nicht weggeht. Laut dem Arzt, der mir die Fäden gezogen hat, soll sich das aber auch irgendwann geben.« Bevor Martha mir weitere Fragen stellen kann, ziehe ich das Tempo an, sobald ich mich sicher genug fühle und so kommen wir überpünktlich im Speisesaal an. Ich warte einen Moment, bis Martha sich an ihren Tisch gesetzt hat, dann setze ich mich an einen Tisch ganz nah beim Eingang, der immer recht leer blieb. Ich setze mich mit purer Absicht nicht zu Rati und Uma, schließlich muss ich meinen Standpunkt klar machen. Ich starre auf meinen Teller vor mir und versuche meinen Blick so gut es geht, gesenkt zu halten. Wenn ich doch einmal aufsehe und den Blicken der Anderen begegne, die mich wegen meinem Aussehen anstarren, starre ich zurück, bis sie beschämt ihre Köpfe senken. Haben die noch nie jemanden gesehen, der verprügelt wurde?
 

Nachdem Tischgebet, einer belegten Scheibe Brot, einem Apfel und einem Glas Wasser schummel ich mich aus dem Speisesaal, weil ich keinen wirklichen Hunger verspüre und suche die Kapelle auf. In der Kapelle setze ich mich auf meinen regulären Platz, lehne mich an, lege meinen Kopf in den Nacken und schließe meine Augen. Wie soll ich dieses Theater nur die nächsten Wochen überstehen, wenn es mir jetzt schon so verdammt schwerfällt? In meinen Gedanken spreche ich weder Gott an, noch bete ich richtig und doch fühlt sich das Nachdenken in der Kapelle anders an, als wenn ich in meinem Zimmer sitze. Als die Kapelle sich langsam füllt, setze ich mich wieder normal hin und stelle überrascht fest, dass ich mich besser fühle, weshalb ich nach dem Abendgebet noch eine Weile sitzen bleibe und das Kreuz anstarre.

»Guten Abend, Romy«, erklingt es leise neben mir und ich zucke etwas zusammen, bevor ich mich der sanften Stimme zuwende, die Ordensschwester Ingrid gehört. »Ich habe dich schon vor dem Abendgebet hier entdeckt und gesehen, wie du gebetet hast.«

»Ich habe nicht«, beginne ich, verstumme aber, bei dem Lächeln, welches mir die Ordensschwester schenkt.

»Wenn du möchtest, kannst du mit uns eine Kerze entzünden und ein kleines Bittgebet sprechen.« Ich nicke, stehe auf und folge ihr. Ich entzünde meine Kerze direkt neben der von Schwester Ingrid und schaue der Flamme einen Moment lang, hypnotisiert zu. Beobachte, wie die Flamme das Wachs langsam erweicht. Ich schließe meine Augen, bitte darum, dass alles gut wird, drehe mich um, öffne meine Augen und wünsche Schwester Ingrid einen schönen Abend. Seltsam entspannt fühle ich mich, als ich aus der Kapelle trete und mich für einen kurzen Spaziergang über das internatseigene Parkgelände entscheide. Die Abendluft ist kühl, weshalb ich meine Kapuze über meinen Kopf ziehe und meine Hände in den Hosentaschen verschwinden lasse. Meine Füße tragen mich zu einem Brunnen. Ich lasse mich am Rand nieder und starre bedächtig in den Himmel, der langsam immer dunkler wird. Vereinzelt kann ich schon Sterne sehen. Das Vibrieren meines Smartphones, in meiner Hosentasche, schreckt mich aus meinen Gedanken.

»Ja?«, frage ich und unterdrücke ein genervtes Seufzen, als ich den Anruf entgegennehme.

»Yo. Ich dachte, ich rufe einmal an und frage dich, ob du gut angekommen bist«, höre ich Ninas Stimme. »Lari lässt dich Grüßen. Sie zwingt mich eigentlich, dich anzurufen. Nur so unter uns.« Ich kann mir Ninas Grinsen gut vorstellen und höre im Hintergrund Lari.

»Hey Nina«, lächel ich und scharre mit meinen Füßen im Kies. »Was machst du bei meiner Schwester? Ich bin gut angekommen.«

»Besuchen? Und läuft alles gut? Keine unerwünschten Kontakte, zu kritischen Personen?«

Ich lache leise und starre abermals in den Himmel, der fast ganz dunkel ist.

»Nein, noch nicht. Du kannst das aber ruhig deutlicher benennen, dich hört auf meiner Seite niemand.«

»Was denkst du, wollen wir es so machen, dass ich dich jeden Abend kurz anrufe? Deine Schwester nickt.«

»Sicherlich kommt die ganze Idee von ihr«, lache ich. »Aber mach nur, habe ich etwas, worauf ich mich freuen kann.« Seit Nina bei mir war, hat meine Schwester einen Narren an Nina gefressen und Nina augenscheinlich an Lari. Wir reden noch eine Weile über belanglosen Mist, während ich mich langsam zum Internat zurückbewege. Auf meinem Weg ins Zimmer begegnet mir zum Glück niemand und Nina und Lari verabschieden sich von mir, als ich sicher in meinem Zimmer angekommen bin.
 

Ich sammle meinen Pyjama, den Kulturbeutel und ein Handtuch aus meinem Schrank. Damit bewaffnet, mache ich mich, einen Moment später, auf den Weg zur Gemeinschaftsdusche und hoffe inständig, dass die Mädels alle im anderen Bad sind, wie es eigentlich immer war. Mit meinem Ellenbogen drücke ich die Klinke hinab und kicke die Tür mit meinem Fuß auf, trete ein, lege meine Sachen ab und kicke die Tür von innen zurück ins Schloss. Als ich unter der Dusche stehe und das lauwarme Wasser über meinen Körper rinnt, seufze ich. Schön war die Zeit zu Hause, als das Wasser warm war. Ich seife mich schnell ein und spüle mich eilig ab, bevor das Wasser kalt wird. In mein Handtuch eingewickelt, stehe ich vor dem großen Spiegel und creme vorsichtig das Narbengewebe an meinem Kopf, mit einer speziellen Salbe ein. Die Tür geht auf, als ich gerade konzentriert das Narbengewebe über meinem Ohr einsalbe. Ich erstarre einen Moment, als ich Schritte höre und im Spiegel Juli sehen kann, die mich traurig ansieht und einen Meter hinter mir stehen bleibt.

»Das sieht schlimm aus.«

»Was machst du hier?«, frage ich und meine Stimme klingt kratzig. Ich schraube die Tube zu und vermeide es, Juli noch einmal anzusehen.

»Martha meinte, dass du ins Badezimmer aufgebrochen bist. Und ich dachte«, setzt Juli zögernd und ich sehe durch den Spiegel, wie Juli die blauen Flecken auf meiner Haut betrachtet, als ich sie doch ansehen muss. »Ich dachte, wir könnten reden?«

Ich packe die Tube mit der Salbe zurück in meinen Kulturbeutel, hole Zahnbürste und Zahnpasta hervor.

»Nein«, sage ich leise, sehe sie nicht an und beginne damit, meine Zähne zu putzen. Sie sagt nichts, sieht mich nur an. Unsere Blicke treffen sich immer wieder im Spiegel, bis ich auch meine Zahnputzsachen zurück in den Kulturbeutel stopfe. Für einen Moment hadere ich damit, mich abzutrocknen und mich vor ihren Augen anzuziehen. Aber warum sollte ich meinen Körper verstecken? Ich kann hören, wie Juli überrascht einatmet, als sie all die heilenden blauen Flecke und Schürfwunden auf der Rückseite meines Körper sieht. Im Spiegel sehe ich, wie sie einen Schritt auf mich zugeht.

»Bleib da, wo du bist«, knurre ich und streife mir mein Pyjamaoberteil über den Kopf und schlüpfe in die Hose. Danach schnappe ich mir meine Sachen und gehe an Juli vorbei, ohne sie anzusehen. Juli folgt mir, schnappt mein Handgelenk und hält mich fest. Meine Maske will fallen, als mein Körper, ob der Berührung erschaudert. Ich will aufgeben und weinend in ihren Armen zusammenbrechen.

»Romy«, erklingt Julis Stimme zittrig und sie umfasst mein Handgelenk fester. Ich atme durch die Nase tief ein, reiße mich los und atme aus, als ich sie grob von mir wegstoße, sodass sie gegen eines der Waschbecken stolpert. Ich eile kommentarlos, mit meinen Sachen aus dem Badezimmer und bin froh, als meine Zimmertür, hinter mir ins Schloss kracht und ich abgeschlossen habe. Die Tränen rinnen unaufhaltsam an meinen Wangen hinab auf mein Pyjamaoberteil. Die Stelle an der mich Juli berührt hat, brennt. Unter Tränen tippe ich eine Gute-Nacht-Nachricht an Uschi und Ralf. Als ich ihre Antwort lese, beruhige ich mich langsam und bringe mich dazu, mir die Hausaufgaben anzusehen und kümmere mich um Mathe, Physik und Deutsch. Morgen, nehme ich mir vor, werde ich die alten Hausaufgaben nachholen, die ich verpasst habe und am Dienstag gesammelt abgeben. So muss ich mich die restliche Woche nur mit den neuen Hausaufgaben und meinen Wissenslücken herumschlagen. Erst weit nach Mitternacht liege ich in meinem Bett, um zu schlafen. Sofort, als mein Kopf das Kopfkissen berührt, zieht es mir die Augen zu und ich werde in Morpheus stürmische Arme gezogen.
 

Als ich meine Augen wieder aufschlage, fühle ich mich gerädert und habe Mühe aus dem Bett zu kommen und mich fertigzumachen, doch ich schaffe es. Nachdem Duschen, eincremen und Zähneputzen, ziehe ich mir ein Outfit an, dass die Gesinnung meiner Schauspielrolle ziemlich eindeutig unterstreicht, aber noch nicht verboten ist zu tragen. Einige T-Shirts in meinem Fundus, zu Hause, sind das aber definitiv, die werde ich irgendwann, wenn das alles vorbei ist, einmal verbrennen, mit all den Dingen, die ich noch von Paul habe, mit Ausnahme des T-Shirts, welches Juli an hatte. Ich schaffe es gerade noch pünktlich zum Morgengebet und freue mich ein bisschen auf das Frühstück, obwohl ich keinen Appetit verspüre. Nur Hunger. Im Speisesaal setze ich mich wieder an den Tisch vom Abendessen, an den sich einige Augenblicke später auch Rati, Uma, Juli und Martha setzen. Ich kommentiere es nicht. Suche keinen Blickkontakt und achte nicht auf das Gespräch, das geführt wird. Ich esse schnell und verbrenne mir an meinem heißen Kaffee die Zunge, doch ich will so schnell wie möglich aus dem Saal. Ohne ein Wort verlasse ich den Tisch, als ich fertig bin und gehe auf mein Zimmer, wo ich die Schulsachen in meine Tasche stopfe. Zurück im Foyer schließe ich mich den Ersten an, die in die Schule aufbrechen.
 

Als es zur Mittagspause schellt, habe ich mit den meisten Lehrern gesprochen und alle sind sich einig, dass ich mich einer Lerngruppe anschließen oder mir einen Nachhilfelehrer suchen soll. Frau Bär, meine Deutschlehrerin hat sogar direkt einen zur Hand.

»Ich habe sie schon für dich gefragt, Romy. Sie sagt, sie würde dir auch bei den anderen Fächern helfen, wenn du möchtest. Ich würde jede Hilfe nutzen, die sich mit bietet, wenn ich an deiner Stelle wäre.«

»Wer ist es denn?«, frage ich und als Julis Stimme hinter uns erklingt, bin ich nur milde überrascht.

»Danke. Ich lehne ab«, sage ich zu Juli, ohne mich umzudrehen und sehe Frau Bär an. »Jeder, nur nicht sie.«

»Jemanden Besseres wirst du nicht finden. Juliet ist unsere beste Schülerin. Ich traue niemanden Anderes zu, diesen Job besser zu machen.«

»Ich lehne trotzdem ab«, erwidere ich und sehe Frau Bär, die verwirrt wirkt, gleichmütig an. Frau Bär nickt schließlich und entlässt mich. Auf meinem Weg aus dem Klassenraum sehe ich, wie Juli mich anstarrt. Für einen Moment begegnen sich unsere Augen und ich erkenne in ihren braunen Augen Schmerz. Ich habe sie verletzt, ihr zum wiederholten Male wehgetan.
 

Weil ich es noch vor dem Nachmittagsunterricht erledigt haben will, suche ich nach einem schnellen Mittagessen Frau Schwarz in der Bibliothek auf.

»Romy? Wie schön, dich wieder hier zu haben. Bist du wegen dem Gespräch hier?« Ich nicke, schließe die Tür hinter mir und setze mich auf den Stuhl, der neben dem Schreibtisch steht.

»Es geht nicht um Sport, oder?«, frage ich und kann mir nicht vorstellen, dass sie mich im Unterricht so schlecht eingeschätzt hat. Frau Schwarz grinst kurz und sieht mich abschätzend an.

»Nein geht es nicht. Aber kannst du denn voll teilnehmen?«

»Ich werde bei Bällen und beim Bodenturnen noch etwas aufpassen müssen, wegen dem Kopf. Ansonsten bin ich wieder fit.«

»Gut zu hören«, lächelt Frau Schwarz. »Wäre schade, wenn das nicht so wäre, denn du bist gut im Sportunterricht. Wie ich höre leider nur dort. Hast du schon mit den anderen Fachlehrern gesprochen?«

»Ja«, nicke ich bestätigend, ohne weiter auszuführen, was besprochen wurde.

»Und was wirst du machen? Lerngruppe oder Nachhilfe?«

»Nichts. Ich werde es vorerst alleine weiter versuchen. Frau Schwarz sieht mich überrascht an.

»Warum?«

»Persönliche Gründe«, wehre ich eine genauere Antwort ab. »Gibt es sonst noch etwas oder kann ich gehen?«, frage ich und habe sie mit meiner Gegenfrage aus dem Konzept gebracht. Völlig zerstreut sieht sie mich an.

»Ja«, beginnt sie nach einem Moment. »Ich wollte dich fragen, ob du nicht Lust hättest, mir mit der Bibliothek zu helfen, so wie Martha.« Jetzt bin ich es, die überrascht ist. Die Idee reizt mich, denn Frau Schwarz hier zu helfen würde bedeuten, dass ich nicht auf Martha oder Frau Schwarz angewiesen bin, wenn ich in die Bibliothek möchte. Der Nachteil ist natürlich, dass mir Freizeit flöten geht, wenn Leute rüber in die Bibliothek wollen.

»Kann ich ein paar Tage darüber nachdenken?«

»Klar«, zwinkert Frau Schwarz. »Aber überlege es dir bitte. Denn wenn du das machst, wäre das echt klasse und auch eine Entlastung für Martha.«

Nach etwas Smalltalk verabschiede ich mich schließlich von Frau Schwarz und begebe mich in den Klassenraum, um die letzte Stunde, Deutsch bei Frau Bär, hinter mich zu bringen. Ich treffe zeitgleich mit Frau Bär ein und halte ihr zuvorkommend die Tür auf.

»Oh vielen Dank, Romy«, lächelt sie mich an und ich kann in ihren Augen sehen, dass sie es mir nicht krumm nimmt, dass ich ihren Vorschlag abgelehnt habe. Ich schließe die Tür hinter uns, gehe zu meinem Platz und ignoriere dabei Juli, die mich so deutlich anstarrt, dass ich froh bin, als ich hinter ihr sitze und sie keine Augen am Hinterkopf hat. Wieso muss ich nur jede verdammte Stunde hinter ihr sitzen? Frau Bär begrüßt die Klasse und teilt nach einem Moment ein kleines Reclamheft aus. Als ich den Titel lese, wünsche ich mir, heute morgen nicht aufgestanden zu sein.

Romeo und Juliet.

»Heute also ein Werk von Shakespeare«, lächelt Frau Bär in die Klasse und sieht in meine Richtung. »Als kleine Erklärung für dich, Romy: Wir haben letzte Woche Kabale und Liebe von Schiller kurz besprochen. Eigentlich Stoff der Neunten, da wir aber jedes Jahr, kurz vor Weihnachten ein Schauspiel aufführen, um die Eltern und Ortsansässigen zu erfreuen, suchen wir seit letzter Woche ein passendes Schauspiel.«

»Weihnachten, warum dann nicht das Krippenspiel?«, frage ich laut und sehe das Frau Bär erfreut lächelt.

»Das machen schon die Grundschüler, aber ein guter Einfall, den deine Mitschülerrinnen auch schon hatten. Okay, dann lasst uns doch einmal die Rollen verteilen und einfach ein bisschen lesen. Wie wäre es Romy, du als Romeo? Passt so schön«, zwinkert Frau Bär. Von wegen, passt so schön, die will nur ihren Willen bekommen, dass ich doch mit Juli zusammenarbeite. Denn wer liest Juliet? Natürlich Juli, wer sonst, passt doch so schön. Ich hoffe inständig, während die restlichen Rollen verteilt werden, dass wir uns nicht für dieses Schauspiel entscheiden. Denn wenn doch, dann bin ich mächtig am Arsch. Fällt es mir doch so schon schwer genug, meine Rolle zu spielen, da brauche ich nicht noch ein blödes Schauspiel. Als die Schulklingel läutet, lehne ich mich erleichtert zurück. Wir haben es heute nicht bis zu dem Ball geschafft, wo sich Romeo und Juliet erstmals begegnen. Ich werfe meine Schreibsachen achtlos in meine Tasche und frage mich, warum die bei dem Schauspiel damals so seltsam poetisch gesprochen haben. Als ich das Lehrerpult passiere und ich das Reclamheft zurück zu den Anderen lege, hält mich Frau Bärs Stimme zurück.

»Romy, kannst du noch einen Moment hier bleiben?«

»Warum?«, frage ich argwöhnisch und sehe meinen Klassenkameradinnen neidisch hinterher.

»Komm, setz dich einen Moment und lass uns warten, bis wir alleine sind.« Anstatt mich zu setzen, wie sie es vorgeschlagen hat, lehne ich mich an einen der Tische und starre auf meine Finger hinab. Als der Lärm immer mehr verfliegt, höre ich Frau Bär seufzen und beobachte sie, wie sie aufsteht und die Tür des Klassenraums schließt.

»Romy«, beginnt sie und setzt sich wieder hinter dem Pult. »Ich bin nicht deine Klassenlehrerin, noch eine Vertrauenslehrerin, aber ich muss trotzdem mit dir sprechen. In der kurzen Zeit, die du nun schon unsere Schule besuchst, hast du eine bemerkenswerte Veränderung durchgemacht, auch wenn dir das nicht aufgefallen ist und du in den schulischen Dingen etwas hinterherhinkst. Deshalb bin ich verwundert, dass du nun wieder in deine alten Verhaltensmuster zurückfällst und jeden von dir stößt, der sich dir nähert.«

Ich lache leise, obwohl das Thema ernst ist. Doch ich muss, den Schein waren.

»Ist das ein Witz?«, frage ich Frau Bär, warte aber nicht auf eine Antwort. »Von welchen Veränderungen sprechen wir? Davon, dass ich keine rassistischen Äußerungen von mir gebe? Oder davon, dass ich nicht in diesem Aufzug in die Schule kam? Sorry, Sie enttäuschen zu müssen, die Klamotten durfte ich beim letzten Mal nicht einpacken, sonst wäre ich schon eher so in die Schule gekommen.«

»Romy«, erklingt Julis Stimme hinter mir flehend und ich drehe mich abrupt zu ihr um. Daher weht also der Wind. Juli sieht mich traurig an.

»So ist das also«, zische ich und balle meine Fäuste, als ich mich abwende und auf die Tür des Klassenzimmers zuhalte. Vor der Tür bleibe ich stehen, lege meine Hand auf die Klinke und ziehe eine Karte, die ich nie ausspielen wollte. Verärgert und verraten sehe ich zu Juli zurück und ignoriere Frau Bär einfach. Soll sie es doch melden, wenn es ihr nicht passt.

»Reicht es dir nicht, dass man mich beinahe in den Tod geprügelt hat, weil ich mich mit dir abgegeben habe?«



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