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Meines Bruders bester Freund

von

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Schule ist echt die Hölle. Vor allem im Sommer.

 

Warum haben Schulen eigentlich keine Klimaanlage und unter den Tischen Bottiche für ein kaltes Fußbad?

 

Ich kann gar nicht so viel ausziehen, wie ich gerne würde, weil mir zu heiß ist und ich mich kaum konzentrieren kann. Die Mädels haben es gut. Die tragen luftige Sommerkleidchen. Hannah trägt ein königsblaues Skaterkleid und Sandaletten mit Keilabsatz. Wedges nennt man die glaube ich. Ihre Haare trägt sie hochgesteckt, was bei ihrer Lockenpracht wie eine Frisur für eine Gala aussieht. Ich trage die kürzeste Shorts, die ich in meinem Kleiderschrank finden konnte: mintgrün, Chinolook und obenrum ein weißes Tshirt. Hannah findet, ich sehe meistens so aus, als würde ich morgens früh in meinen Kleiderschrank rein stolpern. Ich finde, solange ich Klamotten am Leib trage, ist doch alles in Ordnung?!

 

Deutsch und Englisch gehen noch. Der Morgen und Mittag lassen sich gut überstehen. In der Mittagspause bin ich hin und her gerissen mir in der Mensa etwas zu essen zu kaufen oder einfach nur zu sterben. Wenn ich nämlich was essen würde, würde mein Körper arbeiten und das würde bedeuten, dass mir noch wärmer würde. Nee danke, ohne mich. Ich trinke lieber mein Wasser und hoffe, dass es mich bis vier Uhr sättigen wird. Dann ist die Schule nämlich aus, ich kann endlich Heim und was essen ehe ich mich mal wieder ans lernen mache. Mathe kapiere ich nämlich nicht. Mal wieder. Und nächste Woche steht noch eine Klausur an. Mann, wieso vergesse ich den ganzen Scheiß eigentlich dauernd?

 

Immerhin, es ist Mittwoch. Die Hälfte ist geschafft.

 

Am Freitag gehe ich mit Hannah ins Horizon und muss wieder daran denken, dass Maxi auch kommen wird. Seit Hannah mir das erzählt hat, nehme ich ihn in der Schule nämlich mehr wahr. Also, richtig wahr. Es spricht wohl nicht gerade für mich, aber er ist in meinem Biologiekurs. Sorry, ich hab halt keinen Kopf für andere Jungs, okay? Wir haben auch noch kein Wort miteinander gewechselt und ich bin mir relativ sicher, dass ich das nicht möchte. Das ist nämlich der Anfang vom Ende, ich weiß das. Sobald man freundlich zu jemanden ist der einen toll findet, schürt man Hoffnungen, selbst wenn man keine machen will. Und wenn ich jetzt plötzlich mit Maxi rede wo Hannah mir am Wochenende erst gesteckt hat, dass er mich süß findet, ja wie kommt das bitte rüber? Dann denkt er doch, dass ich ihn auch süß finde. Gut, er ist kein hässlicher Frosch, aber er ist halt nicht Noah. Punkt, aus, fertig.

 

Hannah meint, ich sei ein Arsch und es wäre doch nichts verkehrtes daran, wenn ich jemanden kennen lerne und neue Freundschaften schließe. Da würde ich ihr ja grundsätzlich zustimmen, aber... vielleicht, wenn Maxi jemand anderen süß findet. Ich möchte da lieber auf Nummer sicher gehen. Am Ende, das wissen wir alle, werden die kleinsten Dinge nämlich ganz schnell ganz hässlich. Darauf habe ich einfach keinen Bock.

 

In Musik kann ich endlich etwas entspannen, leider hält das nicht lange, weil ich danach Mathe habe. Ich könnt kotzen. Mathe am Morgen ist besser, als irgendwann am Nachmittag wenn die Luft eh schon raus ist. Bei mir war sie schon um neun Uhr morgens raus.

Wenigstens muss ich nichts an der Tafel vorrechnen und versuche stattdessen dem ganzen Kram zu folgen. Vektorrechnung. Ein Kreuz in eine Tabelle kritzeln kriege ich ja gerade so noch hin. Da hört es dann aber auch schon auf.

 

Ab halb vier gucke ich jede verdammte Sekunde auf die Uhr. Das lässt den Minutenzeiger zwar nicht schneller werden, aber man kann es ja mal probieren.

Als es dann endlich klingelt, stürme ich nach draußen und freue mich über die frische Luft, auch wenn es immer noch unerträglich heiß ist. Hannah läuft neben mir her.

 

„Vielleicht könntest du Noah ja fragen, ob er die Nachhilfe in Mathe gibt?“, schlägt sie nicht zum ersten Mal heute vor. Oder überhaupt. Damit fing sie nämlich vor ein paar Wochen schon an, also noch während Noah mit Frank zusammen gewesen ist. Hannah hat zu viele Bücher gelesen und findet diese ganze Nachhilfe-Sache wahnsinnig spannend.

 

„Stell dir doch mal vor, wie er sich zu dir lehnt und in deinem Heft mit dem Finger Fehler aufzeigt und dann drehst du den Kopf, weil dir das nicht aufgefallen ist, ihr schaut euch tief in die Augen... und dann küsst ihr euch.“

 

Mann, was für ein Buch hat die denn gelesen?!

 

„Ich könnte jeden um Hilfe fragen, wieso ausgerechnet Noah?“, halte ich dagegen und warte mit Hannah an der Bushaltestelle. Das mache ich immer: mit Hannah auf ihren Bus warten. Ich selber kann zu Fuß nach Hause laufen.

 

„Na, weiß nicht. Vielleicht weil du verknallt bist?! Was fragst du denn so doof. Ich kann ja verstehen, dass du es die letzten vier Jahre nicht gebacken gekriegt hast, immerhin war er in einer Beziehung. Aber jetzt kannst du es ihm doch sagen!“

 

Jaaahaaa, das weiß ich doch! Hilft mir aber leider nicht weiter.

 

„Er hat sich gerade erst getrennt... da ist er bestimmt noch nicht bereit für was Neues.“

 

„Naja, du musst ja nicht gleich mit ihm ins Bett gehen.“

 

Meine Birne wird ampelrot.

 

„Ich glaube, da kommt dein Bus. Wir sehen uns morgen.“

 

Hannah verdreht ihre hübschen Augen, schmatzt mir einen Kuss auf die Wange und winkt fröhlich lächelnd.

 

„Bis morgen, Konsti.“

 

Ich winke ihr noch hinterher, dann mache ich mich auf den Heimweg.

Hannah hat echt gut reden. Eigentlich sollte es kein Problem sein, Noah zu sagen, wie ich empfinde. Die Welt wird halt nicht untergehen, wenn er mich ablehnt. Das macht es aber nicht einfacher. Ich fühle mich wie damals, als ich festgestellt habe, dass ich Noah liebe.

 

Und als ich Hannah davon berichtet habe...

 

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Ach du Heiliger!

 

Mein Herz rast bis zum Erbrechen, mir ist heiß und kalt gleichzeitig. Ob ich krank werde? Nein, natürlich nicht. Es ist Hochsommer, da kriegt man maximal Heuschnupfen. Wenn ich denn Heuschnupfen hätte.

 

Noah liegt unten im Garten, nur in Badeshorts. Mann, ist der schön.

Ich schmeiße meinen Schulrucksack in die eine Ecke meines Zimmers, mein Tshirt in die andere. Es ist so heiß, dass ich schwitze ohne was zu tun. Und weil ich Noah halb nackt gesehen habe. Der hat Muskeln... also, nicht übermäßig, aber ein Sixpack hat er und Beine... hallelujah, die würde ich zu gerne mal anfassen. Und seine Arme...

 

Die Sache mit Noah ist ziemlich schnell aus dem Ruder gelaufen. Also, nicht wirklich.

 

Das irgendwas nicht mit mir stimmt, ist mir vor ein paar Monaten aufgefallen, das war noch vor meinem dreizehnten Geburtstag. Als ich vor einiger Zeit Laura geküsst habe, war das nicht so cool und spannend gewesen wie ich es erwartet habe. Es war nicht schlecht – aber gekribbelt hat es nicht. Im Sportunterricht habe ich nicht nach den Mädels geschielt – sondern nach den Jungs. Die Umkleidekabinen sind der Horror gewesen, weil ich total aufpassen musste, dass mir keine Peinlichkeit passiert. Es hat auch nicht geholfen, dass die Jungs sich manchmal aus Spaß... naja, irgendwie aneinander gerieben haben. Keine Ahnung, vielleicht ein Dominanzverhalten? Zum Glück bin ich nie dazwischen geraten, DAS wäre bestimmt peinlich geworden.

 

Nachts habe ich dann von Jungs geträumt. Das ist morgens früh beim Aufwachen teilweise echt eine Tortur gewesen. Mir ist klar gewesen, dass ich diese Gefühle nur bei Jungs hatte. Mädchen sind schön und meine beste Freundin Hannah ist das schönste Mädchen das ich kenne, aber... so, wie ich an und über Jungs denke, denke ich nicht an oder über Mädchen.

 

Noah ist der beste Freund meines Bruders und ich mag ihn echt gerne. Na, wie kann man ihn auch nicht mögen? Er ist charmant, witzig und total lieb. Wenn er zu Besuch ist, findet er immer ein bisschen Zeit um mit mir zu quatschen. Ich kenne ihn seit meiner Geburt, es gibt sogar Fotos von uns, wo er mich in den Armen hält. Oder Bastian und er spielen mit mir. Noah hat sogar Lego mit mir gespielt und ist es nie müde geworden, ein bisschen mit mir den Fußball hin und her zu kicken. Ich habe gerade laufen gelernt, da hat er mir zum ersten Mal durch die Haare gewuschelt. Also, was zu dem Zeitpunkt an Haaren halt so da war. Seitdem ist es zur Angewohnheit geworden. Als ich dann älter wurde war es seine Art mich zu begrüßen oder zu verabschieden.

 

Vor ein paar Wochen hat es angefangen.

 

Jede Berührung von Noah hat einen Blitz durch meinen Körper gejagt. Meine Haut hat gekribbelt, mein Bauch hat sich mega lustig angefühlt, ich bin dauernd rot geworden, wenn er das Wort an mich gerichtet hat. Am Anfang habe ich noch versucht, es als langanhaltenden Sonnenstich abzutun. Für einen Sonnenstich hat es sich nur leider viel zu gut angefühlt. Also, zum Glück.

 

Ziemlich panisch habe ich im Internet recherchiert, was das für komische Symptome sein könnten. Ich bin nicht doof, aber ich wollte es wohl nicht wahr haben. Oder mir Bestätigung holen, keine Ahnung. Man stellt halt nicht mal eben so fest, dass man vermutlich schwul ist, oder?

 

Schwul und verliebt.

 

Das Internet knallte mir diese Tatsache um die Ohren, dass ich hätte heulen können. Ich meine, was sollte ich denn tun?

 

Mit zwölf habe ich mich schrecklich kindlich gefühlt und total nicht bereit dafür. Jetzt bin ich zwar dreizehn, aber das ändert irgendwie auch nicht viel. Noah ist immerhin zweiundzwanzig. Der macht sich strafbar, wenn er was mit mir anfängt. Nicht, dass ich das will! Also, doch... ich meine, keine Ahnung. Ich weiß nur, dass ich wahnsinnig verliebt bin.

 

Panisch rufe ich Hannah an.

 

„Du musst sofort herkommen!“, stelle ich sie vor vollendete Tatsachen und kreische vermutlich wie ein Mädchen. Ich bin nämlich noch nicht im Stimmbruch, was peinlich genug ist, weil die anderen Jungs das gefühlt schon Ewigkeiten hinter sich haben.

 

Hannah gibt ein leicht gequält klingendes Geräusch von sich. So klingt sie nur, wenn sie irgendwelche Kuschelsongs im Radio hört, die sie dann immer sofort wegklicken muss.

 

„Wow, Konsti, komm mal runter. Bin auf'm Weg!“

 

Ich lege auf und laufe in meinem Zimmer auf und ab wie ein Tiger im Zoo.

 

Scheiße.

 

Hannah wird es erfahren, das weiß ich jetzt. Ich werde ihr endlich erzählen, dass ich schwache Knie kriege. Bei Jungs. Das ich in Noah verliebt bin. Wie sie wohl reagieren wird? Hoffentlich rastet sie nicht aus. Andererseits, wieso sollte sie? Hannah ist furchtbar lieb, verständnisvoll und soweit ich weiß sehr tolerant. Sie wird ja hoffentlich kein Problem damit haben, wenn ihr bester Freund schwul ist, oder?

 

Immer wieder stehe ich am Fenster und warte, dass Hannah in Sicht kommt. Mann, ich muss auf Klo. Renne also schnell rüber ins Bad und während ich mir anschließend die Hände wasche, gucke ich in den Spiegel. Scheiße, ist das ein neuer Pickel? Ich rast aus, hoffentlich hat Noah mich nicht so gesehen! Ich hasse die Pubertät. Meine Haut ist zwar nicht der totale Albtraum, aber rein und makellos sieht anders aus.

 

„Ey, Grottenolm, deine Freundin ist hier!“, bollert es von unten herauf und ich schrecke aus meinem Tagtraum über Pickel und Pubertät auf. Ist Hannah geflogen oder was? Sie muss nämlich eigentlich den Bus nehmen.

 

Schnell trockne ich meine Hände ab, verlasse das Bad und renne fast in Hannah, die sich wie selbstverständlich schon mal auf den Weg nach oben gemacht hat. Das stört hier niemanden, schließlich ist Hannah für mich das, was Noah vermutlich für Bastian ist.

 

Hannah sieht mich entgeistert an und mir fällt etwas unangenehm auf, dass ich immer noch nur meine Sommershorts an habe. Oh weia.

 

„Ich dachte wir haben uns darauf geeinigt, dass das mit uns nur Freundschaft ist?“, hakt sie vorsichtig nach und zieht eine Augenbraue hoch. Ich beneide sie dafür, weil ich es auch gerne könnte. Manchmal übe ich es heimlich, kriege es aber nicht gebacken.

 

Schnell packe ich sie am Arm und ziehe sie in mein Zimmer welches schräg gegenüber vom Bad liegt. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, krame ich nach einem frischen Tshirt und ziehe es schnell über. Danach laufe ich wieder auf und ab und knete meine Hände. Verdammt, das brennende Verlangen, ihr alles zu erzählen, ist wie verpufft.

 

„Du großer Gott, was ist denn los? Spucks schon aus!“

 

Hannah ist nervös, so viel ist klar. Sie wird mir gegenüber nämlich nie ungehalten. Also, sie ist nicht ungehalten, aber ziemlich skeptisch.

 

„Äh... setz dich besser.“

 

Schwupps, da sitzt sie auf meinem Bett. Mir wird ein bisschen flau im Magen. Wenn die wüsste, dass ich gestern Abend noch... au weia. Wobei, Hannah ist so abgebrüht – dabei ist sie genauso alt wie ich! - das die sich denken kann, was ich abends so in meinem Bett mache. Mit mir selbst. Mein Kopf fühlt sich an, als würde er jeden Moment explodieren. Immerhin drängt Hannah mich nun nicht mehr, kann ihr aber ansehen, dass sie die Worte am liebsten aus mir raus prügeln würde.

 

Ich knete meine Hände als bestünden sie aus Play-Doh. Mann, vorhin ist mir das alles noch etwas leichter vorgekommen. Plötzlich mache ich mir riesige Sorgen. Was, wenn Hannah mich nun doch abartig findet? Ich könnte es, glaube ich, nicht ertragen, würde sie mich dann hassen. Andererseits... es ist Hannah. Die würde mir vermutlich helfen, eine Leiche verschwinden zu lassen anstatt mich der Polizei auszuliefern.

 

„Ich bin verliebt.“, gestehe ich und bleibe endlich stehen, kann Hannah aber nicht anschauen.

 

„Konstantin“, bringt sie meinen Namen mit halb angehaltenen Atem hervor und ich weiß, es ist ernst, weil sie mich nie bei meinem Namen nennt, „du bist echt süß und ich liebe dich auch, aber du bist mein bester Freund und das ist alles nur rein freundschaftlich.“, faselt sie und ich möchte sie am liebsten rütteln und schütteln. Ein bisschen weh tun ihre Worte schon, wie ich feststellen muss.

 

„Doch nicht in dich!“, schiebe ich schnell hinterher, woraufhin sie verstörend erleichtert wirkt.

 

„Sondern...?“

 

„In Noah.“

 

Ich muss wohl genuschelt haben, denn Hannah guckt ziemlich verwirrt.

 

„Nora? Also, bei aller Liebe, aber sie ist eine Schlange. Die lästert, das glaubst du nicht. Außerdem denkt sie, sie sei was Besonderes, weil ihre Eltern viel Geld haben und ihr alles kaufen, was sie haben will.“

 

Nora ist in unserer Klasse und ich stimme Hannah in allem zu. Kann verstehen, dass sie mich wohl missverstanden haben muss, weil ich ja nicht gerade deutlich gesprochen habe. Trotzdem... wie kann sie nur denken, dass ich ausgerechnet in Nora verliebt wäre?

 

„Noah.“

 

Es herrscht Stille in meinem Zimmer. Hannah sagt nichts. Ich sage nichts. Wir starren uns nur an. Plötzlich springt sie auf und stellt sich ganz dicht vor mich, sucht in meinen Augen nach... keine Ahnung, irgendwas. Ob ich wohl Scherze mache. Wir scherzen viel miteinander rum.

 

„Sag das nochmal.“

 

„Ich bin in Noah verknallt.“

 

„Noah? Du meinst, Bastians Noah? Den besten Freund deines Bruders?“

 

Wenn sie das so sagt, fühle ich mich furchtbar schlecht. Mir ist sehr danach, ihrem Blick auszuweichen, doch da packt Hannah mich am Kinn und zwingt mich, sie anzusehen. Ich nicke schwächlich, weil ich meiner Stimme nicht über den Weg traue. Hannah sieht... mhh, ich weiß nicht, geschockt aus? Keine Ahnung, ich kann das irgendwie nicht so richtig deuten. Sie lässt mich augenblicklich los.

 

„Das ist ein schlechter Witz. Das ist doch ein Witz, oder?“

 

Ich sage nichts.

 

„Oh Gott, du meinst das ernst! Konsti, also... bist du schwul? Ja klar, wenn du in Noah... ach du kacke, der ist wie alt?“

 

„Zweiundzwanzig.“

 

„Zweiundzwanzig! Und du bist dreizehn. Du bist fünf Jahre zu jung, um irgendwas mit dem anzufangen, mal völlig davon abgesehen, dass er der verdammte beste Freund deines Bruders ist. Bastian köpft dich, wenn er das erfährt.“

 

„Das soll er doch auch gar nicht! Mann, Hannah, ich... ich hab mir das doch nicht ausgesucht. Das kam halt irgendwie... so. Ich musste ständig an Jungs denken und ich kenne Noah seit ich ein Kind bin und...“

 

„Du bist immer noch ein Kind.“, stellt meine beste Freundin nüchtern fest und zieht mich zum Bett. Ich lasse mich fallen wie ein nasser Sack. Meine Knochen haben sich in irgendeine Quabbelmasse verwandelt. Mein Herz rast.

 

„Wie lange schon? Also, warum hast du denn nichts gesagt? Wenn du ja offensichtlich schon länger...“, nimmt sie gleich wieder das Wort an sich und ich fühle mich seltsam in die Ecke gedrängt. Dabei spricht Hannah völlig normal mit mir – wie immer.

 

„Ein paar Monate? Als ich mit Laura geknutscht habe... keine Ahnung, das war irgendwie... nicht so cool, weißt du? Ich hab gar nichts gespürt und fands halt überhaupt nicht schön. Dann hab ich mir vorgestellt einen Jungen zu küssen und das hat irgendwie mehr... gekickt.“

 

„Wie, das hast du dir einfach so vorgestellt? Ohne Vorbehalte?“

 

„Nein! Also, ja, irgendwie schon. Keine Ahnung. Irgendwann ist es dann aus dem Ruder gelaufen und ich konnte nur noch, wenn ich an Jungs-...“

 

„Um Gottes Willen, bitte erzähl mir nichts von deinen Wichs-Fantasien!“, ruft Hannah aus und hält sich prompt die Ohren zu. Ich will ihr am liebsten den Mund zuhalten und im Erdboden versinken. Zeitgleich, am besten. Mensch, was muss die denn hier so rum krakeelen? Hannah weiß, dass ich... naja, das ist ja wohl normal. Das musste ich ihr nicht erzählen, immerhin kann sie sich das denken. Mir ist es auch nicht wirklich peinlich, dass sie es weiß... naja, ein bisschen unangenehm vielleicht. Nicht, dass es wirklich ein Thema zwischen uns ist.

 

Ich boxe ihr leicht gegen den Arm, sie senkt ihre Hände und greift dann nach meiner. Sie drückt meine ganz fest.

 

„Hattest du Angst es mir zu sagen?“

 

„Nein. Ja. Irgendwie schon. Ich wusste nicht... ich meine, ich weiß ja selber nicht, was mit mir los ist... ist es nur eine Phase? Keine Ahnung.“

 

„Wissen es deine Eltern?“

 

„Nein! Das kann ich denen nicht sagen.“

 

„Aber Lisa und Richard sind doch super lieb. Die würden dich niemals verstoßen.“

 

Hannah darf meine Eltern seit dem ersten Tag duzen. Ich glaube, am Anfang dachten sie noch, dass Hannah mal später die Schwiegertochter wird. Aber so oft wie Hannah hier ist und so oft, wie in den drei Jahren, die wir uns kennen, nichts passiert ist... ich glaube sie haben sich allmählich damit arrangiert, dass Hannah nicht die Mama ihrer Enkelkinder wird.

 

„Das heißt aber nicht, dass sie es wissen müssen. Außerdem kann ich denen doch nicht sagen, dass ich Noah... liebe.“

 

„Das kannst du wirklich nicht. Die denken doch, der hätte dich angefasst oder so. Ist Noah eigentlich... äh, schwul?“

 

„Nein. Keine Ahnung. Also, er hatte wohl mal eine Freundin, aber das ist Ewigkeiten her. Hannah, was soll ich denn jetzt tun?“

 

Ich glaube ich sehe aus wie Oskar, wenn er sein Leckerchen nicht bekommt.

 

„Gar nichts. Hoffen, dass es vorbei geht. Ich meine, dir ist doch klar, dass das nicht geht? Also das mit Noah, nicht, dass du schwul bist.“

 

Manchmal hasse ich es, wenn Hannah so direkt ist.

 

„Du hast kein Problem damit...?“

 

Auf ihre Frage bezüglich Noah gehe ich gar nicht erst ein.

 

„... das du schwul bist? Nee, ich bin doch nicht völlig blöde. Außerdem werde ich später was Besonderes sein, weil mein bester Freund schwul ist. Alle Mädchen wollen einen schwulen besten Freund, keine Ahnung wieso. Scheint wohl ein Trend zu sein.“

 

Ich bin so erleichtert, dass ich Hannah umarmen muss. Die tätschelt mir den Rücken und drückt mir einen Kuss aufs Haar.

 

„In deinen Büchern steht nicht zufällig, wie man sich wieder ent-lieben kann?“

 

„Nee. Vielleicht ist es aber auch keine Liebe sondern irgendein Papikomplex?“

 

„Ich will Noah küssen.“

 

Hannah stöhnt und schiebt mich von sich.

 

„Ok, vielleicht doch kein Papikomplex. Mann, du bist zu jung dafür. Und er ist hoffentlich so verantwortungsbewusst, dass er sich niemals nie mit dir einlassen würde.“

 

Tja, was soll ich darauf noch sagen?

 

Am besten gar nichts. Das ist mir sowieso alles zu viel gewesen für heute. Dann werde ich Noah eben heimlich anhimmeln... bis ich achtzehn bin oder so. Vielleicht treffe ich ja aber auch auf einen Jungen in meiner Altersklasse und kann Noah endlich vergessen. Also, im Moment will ich das natürlich nicht, weil ich ihn so wahnsinnig doll liebe... was man halt als dreizehnjähriger von Liebe versteht und weiß.

 

Ein halbes Jahr später will ich Noah tatsächlich vergessen.

 

Da taucht er nämlich mit Frank zu Kaffee und Kuchen eines schönen Sonntags hier auf. Eigentlich habe ich ihn nur begrüßen wollen, bin dann aber verunsichert gewesen, weil da eben noch dieser andere Mann war. Der Noahs Hand hielt. Bastian begrüßte die beiden, als wäre es das normalste von Welt. Mama und Papa freuen sich, Frank endlich kennen zu lernen.

 

Was habe ich eigentlich hier verpasst?

Ich kann gar nicht aufhören, Frank anzustarren. Der ist groß, breitschultrig, trägt Markenklamotten und sein schwarzes Haar ist ordentlich zurück gekämmt. Ich finde, er sieht aus wie ein Lackaffe und soll aufhören, Noah so verliebt anzuschauen. Er gehört mir!

 

Au weia, ich bin total verrückt geworden. Oder die Welt. Ich bin mir da nicht so sicher.

 

Ich weiß nur, dass Noah mir das Herz gebrochen hat.

 

Immerhin kann ich ihn jetzt wohl vergessen.

 

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Vier Jahre später habe ich Noah natürlich immer noch nicht vergessen.

 

Jedes Jahr ist es schlimmer geworden.

 

Jedes Jahr habe ich Frank ein Stück mehr gehasst und es tunlichst vermieden daheim zu sein, wenn die beiden zu Besuch kamen. Das ist echt schrecklich gewesen, weil ich Noah so dringend und gerne sehen wollte, es aber nicht ertragen konnte, wenn er mit Frank zusammen war. Zwischendurch habe ich oft darüber nach gedacht, ob es nicht doch nur eine Schwärmerei ist. Das kann ja durchaus vorkommen, schließlich bin ich quasi mit Noah in meinem Umfeld aufgewachsen und er ist sicherlich eine Person, auf die ich mich geprägt habe. Die Gefühle, die ich für ihn habe, sind aber nicht nur rein freundschaftlich. Nicht, dass wir Freunde sind... also, jedenfalls nicht so, wie er mit Bastian befreundet ist. Eigentlich weiß ich gar nicht, in welcher Beziehung wir zueinander stehen. Ich weiß nur, dass ich gerne in einer Beziehung mit ihm wäre. So kompliziert die Situation auch ist, an meinen Gefühlen hat sich all die Jahre nichts geändert.

 

Die Peinlichkeit des Jahrhunderts war es übrigens damals gewesen, als Mama und Papa mich beiseite genommen hatten um mir zu erklären, dass auch zwei Männer sich lieben können.

 

Wenn die wüssten!!

 

Hannah hat sich inzwischen damit arrangiert und unterstützt mich total. Ich glaube sie hat eingesehen, dass meine Gefühle für Noah keine pubertäre Schwachsinnigkeit gewesen sind. Unsere Rollen haben sich über die Jahre etwas vertauscht. Ganz am Anfang habe ich Noah alles gestehen wollen. Ich wollte so dringend bei ihm sein, wollte von ihm berührt werden und habe nur darauf gewartet, dass er mir durchs Haar wuschelt. Bis Hannah dann damit anfing, dass ich es ihm endlich sagen sollte. Das konnte ich natürlich nicht, weil er ja mit Frank zusammen war.

 

Und jetzt sind meine heimlichen Gefühle ein Teil von mir geworden. Ich fürchte ein bisschen, dass sich was ändert, wenn ich es ihm sage. Und ich habe Angst, dass er mich ablehnt. Das wird er nämlich zwangsläufig tun, das weiß ich.

 

Also muss ich ihn von mir überzeugen, findet Hannah. Sie schleppte mich in den letzten Jahren so oft zum shoppen mit, dass mir das schon total spanisch vorkam. Irgendwann ist mir dann aufgefallen, dass sie ständig Klamotten für mich vorschlug. Insbesondere Hosen, die etwas tiefer saßen und Tshirts, die kurz genug waren um hoch zu rutschen, wenn ich mich strecken würde. Noah soll schließlich was zum Gucken haben hat sie dann immer gesagt und mich in eine mittelschwere Krise gestürzt. Ich meine, ich wollte mich Noah ja nicht anbiedern wie eine läufige Hündin! Hannah möchte auch heute noch die Klamotten für mich aussuchen weil sie findet, dass ich etwas mehr Pepp brauche. Ich bin da aber nicht so der Typ für und trage lieber casual Krams, der so casual ist, dass ich auffalle, weil ich so normal bin. Es kommt selten vor das ich Tshirts mit irgendwelchen Prints trage. Hannah kann darüber nur den Kopf schütteln. Die trägt meistens Bandshirts und Tops, oder hübsche, alternative Kleider. Hannah kann alles tragen. Auch meine ausrangierten Tshirts, die sie als Nachthemden nutzt. Das könnte man creepy finden, mir solls aber recht sein. So weiß ich meine Klamotten immerhin in guten Händen.

 

Wenn wir freitags – oder generell am Wochenende – ausgehen, habe ich bezüglich meines Outfits kein Mitspracherecht mehr. Auch heute nicht.

 

Hannah friemelt seit einer gefühlten Ewigkeit an meinen Haaren herum. Während ich die nämlich meistens nur irgendwie durchstrubbel und mal ein bisschen Wachs rein klatsche, schlägt Hannah immer fleißig die Hände über'm Kopp zusammen. Deshalb besteht sie drauf, wenigstens an den Wochenenden was ordentliches mit meinen Haaren zu machen. Ich muss gestehen, ich sehe nicht sehr viel anders aus, wobei meine Haare schon ordentlicher sitzen. Ordentlich unordentlich. Hannah weiß, wie das geht.

 

Sie beäugt mich kritisch, was ich nicht wirklich sehen kann, weil sie hinter mir steht, aber ich höre, dass sie einen Schritt Abstand nimmt. Das macht sie nämlich immer, um ihr Werk zu betrachten. Dann geht sie um mich herum, friemelt noch an einer Strähne in meinem Gesicht herum und nickt sich dann selber zu.

 

„Fehlt nur noch Kajal.“

 

„Hannah...“, seufze ich und weiß genau, dass das mal wieder eine endlos Diskussion wird. Seit wir zusammen feiern gehen, will sie mir Kajal in die Augen schmieren. Das ich ein Junge bin und mir demnach kein Make Up in die Visage klatsche, ist ihr egal. Es gibt schließlich Jungs und Männer die sich schminken, das sei also alles gar kein Problem. Was andere machen, muss ich ja aber nicht auch machen, oder?

 

„Komm schon, dieses eine Mal wenigstens. Ein ganz kleines bisschen.“, bettelt sie und kramt einen noch verschweißten Kajalstift aus ihrer Tasche hervor. Das Mädel macht mich fertig.

 

„Hast du dir mal die ganzen Leute mit Kajal angesehen? Das verschmiert, sobald man schwitzt.“

 

„Na, weil die keinen wasserfesten Kajal nutzen. Der hier ist 'extra waterproof for 24h to rock on' zitiert sie die Beschreibung und öffnet das Siegel. Ich geb auf und lasse die Schultern hängen.

 

„Ich muss mich doch für niemanden hübsch machen...“, starte ich einen letzten, kümmerlichen Versuch, doch da manövriert Hannah meinen Kopf auch schon in den Nacken und zieht mein rechtes Unterlid etwas herunter. Ich will blinzeln wie doof.

 

„Ich mich auch nicht, aber es macht Spaß.“

 

Und das ist alles, was sie dazu sagt bevor sie mir Kajal auf die Wasserlinien aufträgt. Ich blinzel wie ein Idiot und muss direkt in den Spiegel schauen. Hoppla, bin das ich?

 

Meine Pickel aus den Anfängen der Pubertät sind inzwischen weg, Hannah sei Dank. Die hat mir nämlich irgendwann so eine vegane Gesichtspflege angedreht, ohne die ich nicht mehr leben kann. Seitdem kommt der versprochene natürliche Glow meiner Haut zum Vorschein. Naja, was bei mir halt so glowen kann. Weil ich die Sonne eher meide, bin ich nämlich nicht gebräunt, sehe aber auch nicht aus wie Schweizer Käse. Meine Haare sind rehbraun und damit ein gutes Stück heller als die von Bastian. Er hat blaue Augen, meine sind eher grünlich. Die kommen dank des schwarzen Kajals, den Hannah wirklich sehr dezent aufgetragen hat, noch ein bisschen besser zur Geltung. Der Rest von mir ist wie immer: ein bisschen zu schmächtig für meine Größe, meine Schultern hängen etwas nach vorne. Hannah boxt mir direkt gegen den Arm weshalb ich sofort die Schultern straffe und mich aufrechter halte. Den Jungen im Spiegel erkenne ich direkt nicht wieder. Er sieht selbstbewusst aus, mit allen Wassern gewaschen. Ein bisschen frech, aber auch cool.

 

Ich bin weder das eine, noch das andere. Ich bin nämlich vollkommen normal und zu feige, meinem Schwarm meine Liebe zu gestehen. Und scheinbar habe ich mehr Ähnlichkeit mit einer kaputten Schallplatte.

 

„Also ich würde dich sofort anschmachten, wäre ich ein Junge.“

 

„Findest du mich also sonst nicht anschmachtungswürdig?“

 

„Ich schmachte doch nicht meinen besten Freund an!“, ruft sie völlig entrüstet aus und klopft mir anschließend tröstend auf die Schulter.

 

„Du siehst gut aus, Konsti. Und wenn Noah dich nicht will, ist er entweder doof oder blind. Oder beides.“

 

Ich verdrehe die Augen. Vielleicht könnte er ja auch nicht auf Minderjährige stehen?! Nur so eine Vermutung.

 

Ein letztes Mal schaue ich in den Spiegel und bin mir sicher, dass ich mich zu Tode schwitzen werde. Hannah ist aber der Meinung, dass die schwarze, enge Jeans – die sie so tief wie möglich auf meine Hüften runter geschoben hat – meine schlanke Statur perfekt unterstreicht und das dunkelrote V-Ausschnitt-Tshirt einen ganz netten Hinweis auf meine Brust gibt. Das es da nichts zu sehen gibt, scheint Hannah entfallen zu sein. Die trägt im Übrigen schwarze Docs – ich würde sterben, wenn ich damit raus müsste! - Netzstrumpfhose, einen schwarzen Faltenrock, schwarzes Top und viele Silberkettchen und Armbänder. Die Haare sind unordentlich-ordentlich hoch gesteckt, Mascara, Kajal und einen perfekten Lidstrich. Ihre Lippen sind knatschrot geschminkt. Sie ist wunderschön, wie ich feststellen muss. Wäre sie nicht meine beste Freundin und würde ich mich für Mädchen interessieren, würde ich sie wohl auch anschmachten.

 

Ich schnappe mir Schlüssel und Geldbörse, dann gehen wir runter. Mama kommt gerade aus der Küche und blickt auf ihre Armbanduhr.

 

„Denk dran, um zwölf bist du zuhause.“

 

Mann, wie peinlich ist das bitte!

 

„Ja, Mama...“

 

„Komm mir bloß nicht damit, junger Mann! Hannah, entschuldige, mein Sohn ist manchmal etwas schwachsinnig.“

 

„Ich weiß genau, was du meinst!“, lacht Hannah und schiebt mich durch die Tür. Ich hasse sie. Nein, ich lieb sie. Aber manchmal möchte ich Hannah ganz schlimm verprügeln.

 

Zum Horizon müssen wir knapp zwanzig Minuten mit dem Bus fahren – und dann nochmal ungefähr so viel laufen. Es ist acht, wir haben noch nicht getanzt und ich schwitze jetzt schon. Hannah schwebt neben mir her, als würde ihr die Hitze nichts ausmachen. Abends kühlt es leider nicht mehr so wirklich ab, allerdings kriege ich schon die Krise, wenn es nur zwanzig Grad ist. Ich bin echt kein Sommertyp. Frühling geht gerade noch so klar und ein warmer Herbst ist auch ok. Aber alles dazwischen ist irgendwie kacke.

 

Als wir das Horizon betreten, kriegen wir ein rotes Leuchtarmband um. Das markiert uns als Minderjährige und wenn wir nach Mitternacht noch hier sein sollten, werden uns die Security Männer liebevoll raus begleiten. Alles schon erlebt. Hannah war nämlich mit ihrem Bier noch nicht fertig und fand, dass sie das ja wohl noch zu Ende trinken dürfte. Durfte sie nicht.

 

Tiefe Bässe schlagen mir um die Ohren, Discolicht flackert über das Publikum und taucht die überwiegend schwarzen Klamotten in etwas farbenfroheres. Das Horizon ist kein Grufti-Schuppen, aber generell eher alternativ, genauso wie das Publikum. Hier gibt es jede Menge hübsche Jungs und Mädels. Alterstechnisch ist es wirklich bunt gemischt. Viele rote Armbänder, Studenten, aber auch erwachsene Männer und Frauen. Hannah hat mich mal gefragt, ob ich auch ältere Männer anziehend finde, da ist mir ja fast alles aus dem Gesicht gefallen. Sie hat das nicht so schlimm gefunden und ja nur mal nachfragen wollen, ob es einfach nur an Noah liegt oder ob ich nicht doch so was wie ein Papikomplex habe. Ich glaube, diesen Gedanken hat sie damals noch einige Zeit fortgeführt.

 

Wir kämpfen uns zur Bar durch. Obwohl es noch früh am Abend ist, ist es hier immer gut besucht. Sitzplätze sind nämlich rar und heiß begehrt. Ich sehe jetzt schon keine einzige freie Stelle und hoffe, dass mir das nach ein paar Bier egal sein wird.

 

Hannah bestellt zwei Bier und reicht mir eins, wir stoßen an, lehnen uns gegen die Bar und scannen das Publikum. Plötzlich stupst sie mich an – es ist eine Angewohnheit.

 

„Da ist Maxi. Sei ja freundlich, ok?!“, zischt sie mir ins Ohr, dann hebt sie den Arm und winkt aufgebracht herum.

 

„Maxi! Hier drüben!“, brüllt sie und ich mag... ja genau, im Erdboden versinken. Ein paar Gäste schauen zu uns rüber, ich trinke betont gelassen von meinem Bier und verfluche Hannah ein bisschen, weil die so was immer bringt. Naja, nicht immer. Aber sie hat keine Probleme damit, jemanden quer über die Straße zu rufen, wenn sie denjenigen kennt.

 

Maxi sieht uns und ich glaube, er lächelt, so genau kann ich das in dem Licht mal wieder nicht erkennen. Als er auf uns zukommt, bollert mein Herz fürchterlich in meiner Brust. Ich schwöre, dem seine Klamotten sind eine Nummer zu klein. Vielleicht auch sogar zwei. Mir fällt auf, dass er wohl irgendeine Art Sport machen muss, denn unter seinem Tshirt erkenne ich definierte Muskeln. Seine Beine erinnern mich ein bisschen an Noahs, die sind nämlich auch gut trainiert. Warum ich so nervös bin, ist mir allerdings auch ein Rätsel. An seinem Handgelenk entdecke ich kein rotes Leuchtband. Hä? Ich schwöre, der sieht nicht sehr viel älter aus als Hannah oder ich.

 

„Hi, ich bin Maxi.“, strahlt er und hält mir seine Hand hin, die ich nur schwächlich schütteln kann. Der ist doch in der Parallelklasse, oder? Naja, das muss nichts heißen... vielleicht ist er ja mal sitzen geblieben.

 

„Konstantin“, stelle ich mich vor und deute auf die Bar, „willst du was trinken?“

 

„Nee, im Moment nicht. Habt ihr Bock zu tanzen?“

 

„Na klar!“, strahlt Hannah und Zeit für Protest bleibt nicht. Sie zieht mich mit auf die Tanzfläche und ich muss aufpassen, dass ich meine Flasche nicht verliere. Hannah tanzt... puh, da werden Jungs echt schwach. Sie balanciert ihr Bier so lässig in ihrer Hand, als wäre es ein Accessoire zum Tanzen. Ich stelle mich zwar auch nicht gerade total dämlich an, aber aufpassen muss ich trotzdem. Maxi bewegt sich ähnlich wie Hannah super selbstbewusst und ich gebe zu, er kann gut tanzen. Naja, so was kann man ja durchaus anerkennen. Wir tanzen zu dritt in einem Pseudokreis, manchmal tanzt Hannah ein bisschen mehr mit mir, manchmal mit Maxi. Ich passe auf, dass Maxi und ich uns nicht zu nah kommen oder ich versehentlich falsche Signale in seine Richtung sende. So beim Tanzen kann das ja durchaus mal passieren. Deshalb komme ich ihm auch nicht zu nah oder versuche ihn irgendwie anzutanzen, wie Hannah es abwechselnd bei uns tut.

 

Wir hopsen eine ganze Weile auf der Tanzfläche herum, mir ist schon längst der Schweiß ausgebrochen, Hannah und Maxi geht es immerhin ähnlich. Mein Bier ist schon lange leer und ich finde, ich kann die Flasche endlich mal durch eine neue ersetzen.

 

„Willst du auch noch eins?“, rufe ich Hannah zu, die ihren Kopf in tanzender Manier nickend auf und ab bewegt und mir ihre leere hinhält, die ich direkt an mich nehme.

 

„Ich glaube, ich hole mir auch was.“, höre ich Maxi und suche Hannahs Augen auf... doch die dreht sich zur Seite und tanzt munter weiter. Argh!!

 

Maxi folgt mir zur Bar und ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber hat der seine Hand in meinem Rücken? Egal, ich muss was trinken. Wasser und Bier. Bestelle also zwei Bier und ein Wasser, das ich an der Bar trinke. Muss zwischendrin einfach mal sein. Maxi bestellt Gin Tonic. Vermutlich bemerkt er, dass ich bemüht heimlich auf seine Handgelenke schiele... naja, ich bin wohl doch nicht so heimlich unterwegs wie ich gehofft habe.

 

„Ich bin neunzehn, falls du es wissen willst.“, lacht er und nimmt sein Getränk an, nachdem er gezahlt hat.

 

„Äh...“

 

Oh Mann, das ist echt mein Trendwort des Jahres. Manchmal glaube ich, mein ganzes Leben besteht aus Äh.

 

„Umzug, Klasse neu angefangen, sitzen geblieben.“, erklärt er, als hätte ich ihn danach gefragt. Naja, immerhin weiß ich es jetzt.

 

„Ist Maxi eigentlich kurz für Maximilian?“

 

Was Besseres fällt mir leider auch nicht ein. Er nickt, hält mir sein Glas hin, worauf ich den Kopf schüttele.

 

„Oh Mann, zum Anstoßen, ich gebe Minderjährigen keinen Alkohol.“

 

Also... ich weiß nicht. Er benimmt sich überhaupt nicht, wie er aussieht. Er ist nämlich, rein optisch, mehr der schüchterne Typ? Keine Ahnung. Vielleicht liegt es daran, dass er ein Stück kleiner ist als ich. Irgendwie erwartet man da doch ein scheues Reh, oder?

 

Naja, anstoßen kriege ich hin, kann ihm aber nicht in die Augen sehen. Ich weiß wirklich nicht, was mit mir los ist, aber aus irgendwelchen Gründen macht er mich nervös.

 

„Was machst du denn so?“, fragt er und muss sich etwas mehr zu mir lehnen, weil ich ihn sonst nicht verstehen könnte.

 

„Ich spiele Klavier.“

 

Was Besseres ist mir nicht eingefallen, aber ich will mich ja auch nicht interessant für ihn machen.

 

„Echt? Cool. Was spielst du denn so?“

 

„Klassische Musik, Mozart und so was.“

 

„Wow, das ist ganz schön anspruchsvoll. Ich wollte auch immer Musik machen, aber ich kann einfach nicht still sitzen.“, grinst er entschuldigend und trinkt von seinem Gin Tonic. Vielleicht gucke ich ein bisschen zu genau auf seine Lippen und seinen Hals, als er schluckt.

 

„Machst du denn irgendwas?“

 

„Ich spiele Fußball.“

 

Oha, mir wird schwumselig.

 

„Welche Position?“

 

„Außenverteidiger links. Aber ich spiele nicht so regelmäßig, wie meine Eltern das gerne hätten. Die sind nämlich totale Fußballfans und finden, dass ich mal ganz groß raus kommen soll. Auf den Trubel habe ich aber gar keine Lust.“

 

„Wohnst du noch bei deinen Eltern?“

 

„Ja, aber sobald ich das Abitur in der Tasche habe will ich ausziehen. Als Student noch bei den Eltern wohnen kommt nicht so gut.“

 

Tja... Bastian hat während seines Fotografie Studiums noch daheim gewohnt und wohnt jetzt auch noch da. Ich glaube aber, er wird bald ausziehen, sicher bin ich mir da allerdings nicht. Noah wohnt ja irgendwie zwangsläufig alleine...

 

„Was willst du denn studieren?“

 

„Das weiß ich noch nicht. Überlege ich mir, wenn es so weit ist.“

 

Dazu kann ich nun nicht mehr viel sagen und halte beide Flaschen Bier hoch.

 

„Ich bringe Hannah mal ihr Bier.“

 

„Klar. Ich mach hier ne Pause.“

 

Zum Glück!!

 

Zwänge mich also durch die tanzende Masse und finde irgendwann Hannah, die schon wieder ihren Kopf herum schleudert, dass ich mir Sorgen machen muss. Als sie mich bemerkt, hüpft sie zu mir rüber und nimmt ihr Bier dankend an.

 

„Und?“, brüllt sie mich an und guckt, als würde sie die Story ihres Lebens erwarten. Die tanzende Meute um uns herum rempelt uns gelegentlich an, aber wirklich dran stören tut sich keiner von uns.

 

„Was?“, brülle ich zurück und sehe, dass Hannah ihre Augen verdreht.

 

„Na, du und Maxi! Wie ist es gelaufen?“

 

Ach du kacke! Ich wusste, dass sie das mit Absicht gemacht hat. Eigentlich kommt Hannah nämlich immer mit um sich ihr Bier selber zu holen. Ich gebe ihr zwar durchaus auch mal eins aus oder sie mir, aber trotzdem gehen wir immer zusammen. Warum ist mir das vorher nicht so wirklich aufgefallen?

 

„Mann, der ist direkt zur Sache gegangen und hat mich an der Bar geküsst. Mit Zunge.“

 

Hannah sieht schockiert aus.

 

„Was? Ey, dieser Arsch, ich dachte der ist etwas rücksichtsvoller!“

 

„Das war ein Scherz. Wir haben uns unterhalten.“

 

Haha, wenn ihr Hannahs Gesicht sehen könntet!!

 

„Du bist ein ganz mieser...!“

 

„Das ist für deine dämliche Aktion, mich mit dem alleine zu lassen. Mann, ich will nichts von ihm, okay?“

 

Hannah seufzt, was ich zwar nicht hören, aber sehen kann. Egal. Wir tanzen und das für die nächsten paar Stunden. Zwischendrin holen wir uns immer mal wieder Bier, Maxi gesellt sich auch irgendwann wieder zu uns und insgesamt ist es ein ganz entspannter Abend. Ich denke auch kaum an Noah. Das ist doch schon mal ein guter Start ins Wochenende. Hannah unternimmt auch keine schwachsinnige Versuche mehr, mir Maxi irgendwie schmackhaft zu machen und Maxi behandelt mich völlig normal. Keine Flirterei, kein angetanze. Vielleicht hat er ja durch mein Verhalten bemerkt, dass ich ihn nicht so süß finde wie er mich wie Hannah erzählt hat.

 

Irgendwann wird mir das ganze Bier zu viel.

 

Ich gestikuliere Hannah zu und forme mit meinen Lippen das Wort Klo, sie nickt und dann quetsche ich mich durch die Menge. Je später es am Abend wird, desto voller. Man kann kaum noch richtig tanzen, weil man maximal einen Quadratmeter Platz dafür hat. Und selbst das ist schon sehr großzügig bemessen. Ich sehe zu, dass ich schnell zum Klo komme und bin froh, als ich wieder raus bin – die verräterischen Geräusche aus einer der Kabinen haben mir echt den Rest gegeben. Es ist fast zwölf, also müssen Hannah und ich eh bald hier raus. Immer dann, wenn es am besten ist. Die Stimmung ist ausgelassen und die kleinen Kids müssen Heim.

 

Besser, ich sage Hannah schon mal Bescheid.

 

Gerade möchte ich los gehen, als ich plötzlich mit jemanden zusammen stoße. Ich habe echt Mühe, mich auf den Beinen zu halten und strecke automatisch meine Arme aus, die sofort von warmen Männerhänden umfasst werden. Auch wenn ich mich glücklicherweise nicht auf die Fresse lege... wo kommt dieses Arsch eigentlich her? Ich möchte direkt ein bisschen schimpfen, doch jedes Wort bleibt mir im Halse stecken.

 

„Konstantin?“

 

Noah guckt mich mindestens so überrascht an wie ich ihn.

 

Au scheiße.

 

AU SCHEISSE!

 

Was zur Hölle macht der denn hier? Warum zur Hölle sieht der so unverschämt gut aus? Okay, er trägt eine ganz normale Bluejeans und ein weißes Tshirt... Mann, der ist geschwitzt, sein Tshirt klebt an ihm und ich kann jeden verdammten Muskel seines Oberkörpers sehen... guter Gott, sind das seine Brustwarzen? Scheiße. Mir wird augenblicklich heiß. Also, noch heißer als ohnehin schon. Mein Kopf ist wie leer gefegt und ich weiß nicht, was ich sagen soll. Wo ist meine Stimme hin? Ich bringe noch nicht mal den kleinsten Ton über meine Lippen.

 

Noah sieht besorgt aus und legt eine Hand an meine Schulter. Mann, seine Hand ist so groß und...

 

„Hey, geht es dir gut? Ist alles in Ordnung mit dir?“

 

Das ist eine verdammt gute Frage.

 

Ich weiß es nämlich nicht. Die Musik dringt nur noch gedämpft, wie durch Watte an meine Ohren. Noah redet scheinbar auf mich ein, das weiß ich aber auch nur, weil ich sehe, wie sich seine Lippen bewegen. Meine Sicht verschwimmt ein bisschen. Vielleicht habe ich ein Bier zu viel getrunken und die Luft hier drin ist auch nicht unbedingt das gelbe vom Ei. Ein aberwitzig übermütiger Teil in mir findet, dass ich Noah einfach küssen und ihm meine Liebe gestehen sollte. Jetzt kann ja auch nichts mehr schief gehen, oder? Ich meine, wenn er mich hier trifft?

 

Am Eingang des Horizon weht nämlich eine Regenbogenflagge.

 

Das heißt natürlich nichts, immerhin kommt Hannah ja auch hierher, aber in aller Regel ist das Publikum... vielfältig. Das Noah hier ist... das kann ich noch verstehen. Das ich hier bin... was denkt er denn jetzt bloß?! Oh Gott, hoffentlich erzählt er das nicht Bastian. Scheiße. Dass das meine geringste Sorge sein sollte, ist mir egal.

 

„Konstantin?“, versucht Noah es nochmal, dieses Mal energischer und rüttelt mich leicht an der Schulter. Das hilft ein bisschen, weil mir direkt etwas schwindelig wird und mich das wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt.

 

„Alles gut.“, bringe ich irgendwie röchelnd hervor und blinzel ein paar mal. Bitte, bitte lass das ein Traum sein. Leider verschwindet Noah nicht. Ebenso wenig wie seine Hand an meiner Schulter. In jeder anderen Situation wäre mir das nur recht gewesen, aber doch nicht hier!

 

„Bist du sicher?“

 

Er sieht echt besorgt aus aber auch... mhh, neugierig? Keine Ahnung. Vielleicht ist er auch immer noch überrascht, mich hier zu sehen. Ich meine, wir sind uns nie hier über den Weg gelaufen. Oder woanders.

 

„Ja... ja, alles gut. Äh, Hannah ist noch da, ich... wir müssen jetzt gehen, also...“

 

Ich sehe zu, dass ich mich vom Acker mache und lasse Noah einfach stehen, schiebe mich durch die Masse, bis ich Hannah gefunden habe und packe sie am Arm.

 

„Aua! Spinnst...“

 

„Noah ist hier! Und wir müssen jetzt gehen!“, zische ich und ziehe sie heftig am Arm. Hannah stolpert mir verwirrt hinterher.

 

„Wo?“

 

Sie dreht den Kopf in alle Richtungen.

 

„Und wo ist Maxi? Wir können doch nicht einfach so abhauen ohne Tschüss zu sagen!“

 

Doch, das können wir und das tun wir!!

 

Maxi ist jetzt echt meine geringste Sorge. Ich muss hier raus, sonst werde ich noch wahnsinnig. Erleichtert aufatmen kann ich erst, als ich draußen an der... naja, nicht wirklich frischen Luft bin, aber immerhin ist es nicht stickig oder schwül wie im Club. Ich muss erstmal tief durchatmen, stütze meine Hände auf meine Knie. Hannah tätschelt mir den Rücken und streichelt behutsam auf und ab.

 

„Hey, alles gut. Soll ich ein Taxi rufen?“

 

Ich schaffe es, meinen Kopf zu schütteln. Ich muss einfach nur atmen.

 

„Konstantin?“

 

Ach du kacke! Nicht schon wieder!

 

Ich hebe nur kurz den Kopf, schaffe es aber nicht in eine aufrechte Position. Hannah tätschelt mir weiter den Rücken.

 

„Ich glaube, er hatte ein oder zwei Bier zu viel...“, faselt sie entschuldigend und ich weiß, dass ich ihr dafür morgen eine Szene machen werde. Die kann mich doch nicht vor Noah wie einen kleinen Teenie hinstellen, der zu viel trinkt!! Mann, jetzt denkt der doch, ich sei ein totaler Vollidiot.

 

„Mein Auto steht in der Nähe – ich kann euch nach Hause fahren.“, bietet Noah freundlich an. Stimmt, er hat ein Auto. Das nutzt er zwar kaum, scheinbar aber, um in die Stadt zu kommen. Zumindest hierhin zum... Feiern? Was hat der im Horizon eigentlich zu suchen? Oh Mann, Konstantin... das willst du bestimmt nicht wissen!

 

„Oh, das ist echt lieb von dir! Macht dir das auch echt nichts aus? Wir wollen dir nicht den Abend vermiesen.“

 

„Ach was, auf keinen Fall.“

 

Wenig später sitzen wir in Noash Auto. Der fährt einen Ford... irgendwas. Nettes Teil. Die Klima ist an, wofür ich ihm um den Hals fallen möchte. Hannah möchte ich strangulieren, weil sie darauf bestanden hat, dass ich vorne sitze. Hinten sitzen ist nicht gut, wenn einem schlecht ist, weil es da immer so ruckelt, hat sie erklärt. Es ruckelt vorne auch, Noah sitzt neben mir und wenn er schaltet ist seine Hand meinem Schenkel so nah, dass ich schreien möchte. Ich setze mich etwas anders hin und lehne die Beine so weit wie möglich nach rechts, Hauptsache weg von Noah.

 

„Nach der Brücke musst du rechts in die Baumallee,“, erklärt Hannah und streckt ihren Kopf zwischen die Vordersitze nach vorne. Hallo? Ist die nicht angeschnallt oder was?

 

„Da vorne dann links und die zweite rechts.“, ergänze ich und will eigentlich nicht mit Noah alleine im Auto sein. Wir sind noch nie alleine in einem kleinen, begrenzten Raum gewesen. Also, in seinem Auto. Da Hannah etwas mehr Richtung Stadt wohnt, macht es logischerweise mehr Sinn, erst sie nach Hause zu bringen. Dann fahren wir noch zehn Minuten zu mir. Das werden die längsten zehn Minuten meines Lebens, das weiß ich jetzt schon. Und obendrein muss ich auch noch ein bisschen angetrunken spielen. Ich gebe ein tiefes Seufzen von mir und drehe den Kopf etwas zur Seite. Hannah tätschelt mir aufmunternd die Schulter.

 

„Bist ja bald zuhause, Konsti.“

 

Morgen ist Hannah fällig, ich schwöre es bei Gott!!

 

Nachdem wir – ähm, Noah – Hannah daheim abgesetzt und gewartet haben, bis sie nach drinnen verschwunden ist, fahren wir – fährt Noah – los um mich daheim abzusetzen. Wir schweigen. Ich, weil ich ja betrunken spielen muss, er... naja, was hat er auch schon mit einem betrunkenen Teenie zu bequatschen, hm?!

 

„Ist bei dir noch alles in Ordnung?“

 

Der denkt bestimmt ich muss kotzen.

 

„Ja... alles gut. Bin nur müde.“

 

Wieder schweigen. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er manchmal zu mir rüber schielt. Hat bestimmt Panik, dass ich ihm ins Auto kotze. Mann, was für eine total beschissene Situation. Was denkt er wohl gerade von mir? Also, davon, dass ich im Horizon war? Theoretisch hat das natürlich nichts zu bedeuten. Eine Regenbogenflagge hängt ja durchaus auch aus Solidarität mal irgendwo rum. Und nur, weil man eventuell einen entsprechenden Club aufsucht, heißt das ja noch lange nicht, dass man sexuell etwas mit dem eigenen Geschlecht oder was auch immer anfangen möchte. Hannah ist schließlich hetero und geht auch dahin. Es macht halt Spaß, es ist ein cooler Club, gute Musik – alles ganz harmlos.

 

So alleine mit Noah fällt mir wieder ein, dass es der perfekte Moment wäre, ihm endlich meine Liebe zu gestehen. Naja, mal abgesehen davon, dass ich ja immer noch betrunken sein muss... aber kommt schon: wir sind alleine, es ist Nacht, er bringt mich in seinem Auto nach Hause... das ist doch wie in einem Buch. Hannah muss das wissen, sonst wäre die niemals Feuer und Flamme dafür gewesen, dass Noah uns nach Hause fährt. Manchmal habe ich ein bisschen das Gefühl, dass Hannah ihre eigene Story schreibt und ich die Hauptfigur in ihrem Roman bin. Es ärgert mich ein bisschen, dass sie mich in diese unmögliche Situation gebracht hat.

 

„Gehst du oft ins Horizon?“, fragt Noah plötzlich, als wir in unsere Straße einbiegen. Er. Mann, wieso denke ich die ganze Zeit an ein wir? Und wie soll ich auf diese Frage antworten, ohne mich irgendwie verdächtig zu machen? Man könnte immerhin annehmen, dass ich... dem eigenen Geschlecht nicht abgeneigt bin. Komm schon, Konstantin, lass dir was einfallen!

 

„Ja, schon. Die spielen gute Musik.“

 

Stille. Na, immerhin sind wir jetzt da, also können wir beide dieser Situation endlich entfliehen. Ich sollte jetzt schnellstmöglich hier raus und in mein Zimmer. Aber vorher sollte ich Noah noch Tschüss sagen, doch bevor ich auch nur den Mund öffne, packt Noah mich am Arm. Seine Berührung löst ein kleines Feuerwerk in mir aus. Ich gucke auf seine Hand, dann suche ich seinen Blick auf.

 

„Du hast nichts genommen, oder? Du wirkst etwas weg getreten, wenn ich ehrlich bin.“

 

Noah guckt mich ziemlich ernst an. Ich brauche einen Moment bis ich verstehe, was er meint. Fassungslos starre ich ihn an – was denkt der denn von mir?! Mal völlig abgesehen davon, dass es ihm ja wohl egal sein dürfte, selbst wenn es so wäre.

 

„Ich nehme keine Drogen!“, herrsche ich ihn vielleicht ein bisschen zu aufgebracht an, denn er lässt mich sofort los und hebt abwehrend die Hände.

 

„Entschuldige, ich wollte nur...“

 

„Nee, mir tuts leid. Ich wollte dich nicht anschreien...“

 

Au Mann, ich will doch das er mich mag!

 

„Schon gut. Also dann, gute Nacht. Wir sehen uns.“

 

„Ja, bis dann. Danke fürs nach Hause bringen.“

 

Ich muss ihn anlächeln. Und gucke ihm in die Augen. Ganz lange. Und wirklich bewusst. Ich glaube, ich habe ihn noch nie so lange angesehen und vor allem nicht in die Augen. Denn eigentlich macht er mich furchtbar nervös. Ständig. Wie es wohl wäre, wenn er mein Freund wäre? Würde er meine Hand halten, wie er es bei Frank getan hat? Würde er mich auch so ansehen, verliebt und glücklich? Würde er mir wohl einen Kosenamen geben? Urgh, besser nicht... ich will nicht Schatz oder so genannt werden. Eigentlich mag ich es, wenn er mich bei meinem Namen nennt.

 

„Brauchst du Hilfe?“

 

Grundgütiger, ich sitze immer noch hier und starre ihn an!

 

Scheiße, ist das peinlich. Mein Gesicht wird ziemlich heiß. Mann, Noah ist mir noch nie so nah gewesen. Er hat sich nämlich ein bisschen zu mir rüber gelehnt, wohl weil er denkt, dass er mir wirklich helfen muss. Schnell löse ich den Gurt und... bleibe immer noch sitzen. Wenn ich es Noah jetzt nicht sage... sage ich es ihm nie. Ich kann Hannah regelrecht in meinem Kopf schreien hören, dass ich es endlich sagen soll. Maxi schleicht sich auch kurz in meine Gedanken.

 

„Noah...“, bringe ich ziemlich heiser hervor und... ich kann nicht mehr. Ich hab so lange auf diesen Moment gewartet. Ich packe ihn am Tshirt und bringe unsere Lippen zusammen. Ich schwöre, ich kann die Engel im Himmel singen hören. Hannah klatscht in meinem Kopf Beifall.

 

Oh Mann, Noah hat so weiche Lippen... also, eigentlich sind sie ein bisschen rau, was ich super sexy finde, aber gleichzeitig auch weich... vielleicht kann mein völlig verliebtes Hirn sich auch einfach nicht entscheiden. Und er riecht so gut... ich weiß, dass er geschwitzt hat, denn auch das rieche ich ein bisschen, aber das ist mir egal. Seine Lippen schmecken nach... mhh, Cola. Klar, der trinkt nicht, wenn er noch Auto fährt. Er ist so verantwortungsbewusst, dass ich nie wieder aufhören möchte, ihn zu küssen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit. Eine Ewigkeit, die ich völlig im Delirium verbringe.

 

Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet? Wie lange davon geträumt, Noah nah zu sein? Ihn zu berühren, zu küssen? Ich fühle mich wieder wie dreizehn: vollkommen überfordert mit der Tatsache, dass ich scheinbar romantische Gefühle für einen Mann hege. Für den besten Freund meines Bruders. Damals habe ich wenigstens noch den Anstand gehabt, mich ein klein wenig schlecht zu fühlen. Immerhin ist das ja mal völlig Tabu, oder? Später ist es mir egal gewesen. Was soll man auch schon gegen die eigenen Gefühle machen? Ja wohl gar nichts. Solange sie eben nicht schändlich sind.

 

Naja, Noah ist gerade mal seit zwei Wochen Single. Ein bisschen schändlich ist es vielleicht schon, dass ich ihn hier so küsse. Immerhin hat er mir ja quasi erzählt, dass ihm die Sache mit Frank doch noch etwas zu schaffen macht.

 

Ablenkung tut gut, fällt mir wieder ein und plötzlich wird mir alles klar.

 

Der geht ins Horizon um sich Ablenkung zu suchen.

 

Ich reiße mich von Noah los, der mindestens genauso geschockt aussieht wie ich. Geschockt ist ein gutes Gefühl, oder? Er könnte ja auch total wütend sein oder angeekelt.

 

„Konstantin...“

 

Ich falle regelrecht aus dem Auto, knalle die Türe zu und renne ins Haus. Oskar lasse ich links liegen als er mich begrüßen kommt und ignoriere sein leises winseln, als ich die Treppe hoch renne. Mama ist noch wach und ruft mir irgendwas hinterher, aber ich verschwinde in mein Zimmer, reiße mir die Klamotten vom Leib und gehe ins Bett.

 

Zähne putzen kann ich morgen früh. Sorry, aber ich kann mich jetzt unmöglich mit so etwas Banalem aufhalten.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  Maginisha
2018-08-24T20:19:51+00:00 24.08.2018 22:19
Kleiner Nachtrag noch: Du beschreibst oft Outfit und Styling recht genau. Für meinen Geschmack ist das manchmal überflüssig. Beim Ausgeh-Outfit sicherlich ok, aber ansonsten muss ich bei einer Hose nicht unbedingt wissen, welche Farbe sie hat. :)
Antwort von:  eulenkueki
25.08.2018 07:52
Danke, das werde ich in den zukünftigen Kapiteln mal beherzigen.
Ist wohl einfach meine Vorliebe, mir alles zu genau vorstellen zu müssen... xD
Antwort von:  Maginisha
25.08.2018 08:57
Ach vorstellen ist ja ok. Und etwas beschreiben ist ja auch durchaus ok, wenn es passt. Dass Konstatin zum Beispiel nur eine kurze Hose anhat, als er die Tür aufmacht. Aber beim nächsten Kapitel werde ich als Leser quasi gezwungen anzuhalten, um mir die navyblauen Shorts und das schwarz weiß getreifte T-Shirt vorzustellen. Also halte ich da entweder beim Lesen an, um das zu tun oder ich überlese es geflissentlich. Bei beidem sollte man sich als Autor überlegen, ob man das an der Stelle möchte. Bei einem besonderen Outfit möchte ich das sicherlich. Aber auch bei etwas, das mein Prota einfach nur so zu spazieren gehen mit dem Hund anzieht? Noch dazu, wo er selber meint, dass die Sachen eigentlich langweilig sind?

Ich meine, man kann alles machen. Ich will ja nicht vorschreiben, wie du schreiben sollst. Bitte nicht falsch verstehen. ;)
Ich wollte nur eine Rückmeldung darüber geben, wie es auf mich beim Lesen wirkt. :)
Antwort von:  Maginisha
25.08.2018 09:02
Nachtrag:

Mir stellte such halt schon die Frage, ob du es schreibst, um zu betonen, dass Konstantin auf seine Kleidung achtet. Könnte ja zur Figur gehören. Da du aber an anderer Stelle geschrieben hast, dass ihm das, was er anzieht, meist relativ egal ist, passt das nicht so recht zusammen und ließ bei mir die Vermutung aufkommen, dass diese Wirkung eher unbeabsichtigt und auf deiner eigenen Vorliebe beruht. ;)
Antwort von:  eulenkueki
25.08.2018 16:35
Nein, nein, ich verstehe dich schon nicht falsch! Tatsächlich bin ich da wohl nicht gerade konsequent in dem, wie ich schreibe. Konstantin findet es generell zwar nicht wichtig, was er selber trägt (zB Markenkram) und bei Noah ist es ihm so oder so egal - aber auffallen tut es ihm wohl eher schon, weil er den armen Noah zumindest von oben bis unten scannt. ;)

Es ist wohl ein Misch aus beiden, in dem Fall: meiner Vorliebe zum kleinen Detail und Konstantins Aufmerksamkeit.

Aber auf jeden Fall super, mich darauf hinzuweisen! Danke!
Von:  Maginisha
2018-08-24T20:16:09+00:00 24.08.2018 22:16
Ha, wie konnte ich nur vergessen, weiter zu lesen? Ist ja furchtbar...nicht. Weil ich so nämlich gleich weiter lesen kann. :D

Man, was für eine Aktion. Kann Konstantin doch nicht einfach so machen. Das ist ja mal...

Die Szene mit dem Coming Out fand ich auf jeden Fall auch sehr witzig. Ich mag deinen Stil; er unterstützt irgendwie Konstantins Charakter. :)

Antwort von:  eulenkueki
24.08.2018 22:18
Mir passiert das sehr oft - "vergessen" weiter zu lesen und dann aber freuen, weil man gleich viel mehr lesen kann! :D

Danke für das liebe Kompliment, das freut mich sehr! Vor allem, wenn es einen Konstantin und seine Gefühlswelt so gleich noch etwas näher bringt.
Von: abgemeldet
2018-08-20T21:04:03+00:00 20.08.2018 23:04
OMG, was war das denn jetzt am Ende bitte?! O.o; also DAMIT hatte ich trotz allen Anbändelungen im Leben nicht gerechnet... Dafür kam Konstantin nämlich bisher einfach viel zu schüchtern rüber. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass es wieder nichts wird...
Wenn das mal keinen Rattenschwanz an Problemen nach sich zieht. Jetzt wird's ernst Recht spannend, der Cliffhanger ist perfekt!~
Aber trotzdem, ich saß hier so nach dem Motto 'Just kiss, verdammt' - und dann tut's Konstantin tatsächlich :0 saubere Leistung ;D
Ich fand das Kapitel insgesamt sehr amüsant, und ich liebe Hannahs trockene Art xD
Plus, Lieblingswort dieses Kapitels: 'anschmachtungswürdig' ;P
Antwort von:  eulenkueki
21.08.2018 18:02
Lieben Dank für deinen tollen Kommentar!
Ich war wirklich am überlegen, ob ich den Kuss einbaue... es soll ja nicht ZU schnell gehen, aber irgendwas muss ja irgendwann mal passieren... husthusthust. ;)
Es freut mich sehr, dass du das Kapitel als amüsant empfunden hast - und wenn Hannah punkten kann, ist das sowieso immer gut. Es macht mega Spaß sie zu schreiben!
#TrendwortDesJahres
Von:  Phoenix-of-Darkness
2018-08-18T06:59:25+00:00 18.08.2018 08:59
😱 noin!!! Ich will weiter lesen....JETZT!!!!!
Antwort von:  eulenkueki
18.08.2018 16:52
Aber Vorfreude ist doch die schönste Freude! ;)


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