Zum Inhalt der Seite

Das Auge von Paris

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Die E-Mail war vom großen Chef höchstpersönlich. „Kommen Sie umgehend in mein Büro.“ Oh oh, eine solche Aufforderung darf man nicht ignorieren. Entweder hatte ich etwas massiv verbockt, oder es gab eine Belobigung. Aber eine Belobigung von unserem erlauchten Chef ist ungefähr so selten wie Schneefall im August. In Gedanken ging ich die Aufträge durch, die ich in den letzten Wochen erledigt hatte. Keiner war so komplex oder von extremer Wichtigkeit gewesen, dass er die Aufmerksamkeit des Chefs genossen hätte.
 

Luc, der Kollege, mit dem ich das Büro teilte, sah meine sorgenvolle Miene. „Was ist los?“ fragte er. „Der Chef hat mich in sein Büro befohlen.“ „Oh“ kam von Luc. „Mein tief empfundenes Beileid. An wen soll ich Deine Klamotten schicken?“ Ich verdrehte genervt die Augen. Egal was passierte, Luc machte einen Witz darüber. Ich bin mir sicher, wenn irgendwann ein Asteroid Paris treffen würde, auch darüber würde er seine Witze reißen. Ich nahm mein Jackett, schlüpfte hinein. Dann verließ ich das Büro. Als ich die Bürotür schloss, pfiff Luc ‚Le Boudin‘, das Marschlied der Fremdenlegion. Arschloch, dachte ich nur.
 

Eigentlich ist unser Chef, Monsieur Simon, sehr umgänglich. Studierter Mathematiker und Informatiker, hatte er einige Softwareprojekte für die Pariser Stadtverwaltung durchgeführt. Eines dieser Projekte war die Zusammenfassung aller Überwachungssysteme in Paris in ein einheitliches System. Als er das Projekt beendet hatte, wurde er der Chef des gesamten Teams, das aus über vierzig Leute bestand. Wie gesagt, ein netter, umgänglicher Mensch. Aber bei gewissen Dingen verstand er absolut keinen Spaß, wie es ein Kollege am eigenen Leib erfahren musste. Der hatte Videomaterial an Paparazzi verkauft, auf dem ein prominentes Paar zu sehen war, dass miteinander recht heftig turtelte. Die beiden waren verheiratet, allerdings nicht miteinander, die Sache löste einen ziemlichen Skandal aus. Der Mitarbeiter wurde wegen Geheimnisverrat gefeuert, danach kam es zu einer Anklage.
 

Vor dem Büro von Monsieur Simon angekommen, klopfte ich an die Tür. „Herein“ kam prompt von drinnen. Ich öffnete die Tür, dann betrat ich das Büro. Mein Chef stand am Fenster. Das war etwas, worum ich ihn wirklich beneidete; die Aussicht. Der Blick ging direkt in Richtung Eiffelturm. „Jean, haben Sie eine Idee, warum ich Sie hier bestellt habe?“ kam die Frage, ohne dass er mich begrüßt hätte. Ich hatte eine Idee, aber die würde bedeuten, dass er die Arbeit von uns ziemlich genau kontrollieren würde. Er drehte sich um, sah mir ins Gesicht. Ein ganz neutraler Gesichtsausdruck, aber ich merkte, dass es in ihm brodelte. Er nahm zwei Ausdrucke von seinem Schreibtisch, und reichte sie mir. Ein kurzer Blick genügte, es handelte sich um Ausdrucke des Versionsmanagements. Mein Blick schoss hoch. Nachdenken, schoss es mir durch den Kopf. Gleichzeitig wiederholte sich ein Gedanke in meinem Kopf wie eine kaputte Schallplatte: er hat Dich erwischt.
 

„Jean, das ist die Dokumentation der Versionen des zentralen Analyseprogramms. Es sind an dem Programm nicht genehmigte Veränderungen vorgenommen worden, zwar nur kleine, aber sie sind da. Ein weiteres Programm befindet sich im zentralen Computersystem, das im Versionsverzeichnis nicht dokumentiert ist. Alles von Ihrem Arbeitsplatz aus passiert. Das Ganze hat vor sechs Monaten angefangen.“ Mir brach der Schweiß aus. Adieu schöner Bürojob, dachte ich. „Ich will eine Erklärung, Jean, auf der Stelle!“ Monsieur Simon hatte auf seinem Stuhl Platz genommen.
 

Ich holte tief Luft. „Ladybug und Chat Noir“ sagte ich. Der Gesichtsausdruck meines Chefs war eindeutig verwirrt. „Die beiden sind unvorsichtig, wenn sie sich verwandeln und wieder zurückverwandeln. Was meinen Sie, was für einen Schreck ich bekommen habe, als ich die beiden bei einer solchen Aktion in einer Metrostation auf den entsprechenden Überwachungsvideos gesehen habe?“ sprudelte es aus mir heraus. Der Gesichtsausdruck meines Chefs wurde weich, er lächelte sogar. „Setzen Sie sich Jean, dann erzählen Sie bitte alles der Reihe nach.“
 

Während ich erzählte, holte ich einen USB – Stick aus meiner Hosentasche, den ich Monsieur Simon reichte. Er steckte ihn in seinen Laptop. Als er die Aufnahmen sah, lachte er sogar leise auf. Als ich zu Ende geredet hatte, sah er mich an. „Wer außer mir hat diese Aufnahmen gesehen?“ fragte er. „Niemand“ antwortete ich. „Ich habe das Ganze nur gemacht, um die beiden zu schützen.“ Monsieur Simon nickte. „Das Programm, das Sie in unbefugter Weise in den Zentralrechner eingeschmuggelt haben, löscht die Aufnahmen der beiden, sobald das eigentliche Hauptprogramm eine entsprechende Meldung absetzt, richtig?“ Ich nickte. „Wissen Sie, wer die beiden jungen Leute sind?“ fragte er dann. „Der junge Mann mit dem Blondschopf und den grünen Augen ist Adrien Agreste, das war relativ einfach. Schließlich ist er mindestens einmal die Woche in irgendeinem Modemagazin abgebildet, die meine Freundin liest. Bei dem jungen Mädchen hatte ich keinen Erfolg.“ Das Grinsen, das sich im Gesicht von meinem Chef abzeichnete, war das eines Jungen, dem ein großartiger Streich gelungen war. So hatte ich ihn noch nie gesehen. „Das ist Marinette Dupain – Cheng, eine Mitschülerin meiner beiden Kinder aus der Parallelklasse. Sie erinnern sich an meine beiden Kurzen?“ Ich nickte. Dieses Zwillingspärchen war nicht nur wegen ihrem Aussehen erinnerungswürdig, feuerrotes Haar plus blaue Augen, sie waren auch Mathematikgenies, die schon mehrere Wettbewerbe auf nationaler Ebene gewonnen hatten. „Marinette hat mit Mathematik ihre Probleme, sie hat zweimal die Woche bei den beiden Nachhilfe. Daher kenne ich sie, unsere Ladybug.“
 

„Jean, Sie wissen, dass meine Assistentin geheiratet hat?“ fragte er unvermittelt. Ich nickte. Claudette, gutaussehend und den Spruch, dass Blondinen von Geburt an doof sind, Lügen strafte. Eine hochbegabte Analytikerin, die ihrem neuen Ehemann nach Marseille folgen würde. „Ab dem nächsten Ersten werden Sie mein neuer Assistent“ sagte er. Ich muss ziemlich fassungslos aus der Wäsche geschaut haben, als Monsieur Simon das sagte. „Sie sind ein ziemlich schlauer Kopf, wenn Sie es schaffen, die Verwaltungssoftware zu übertölpeln. Die Veränderung am Zentralprogramm werde ich nachträglich genehmigen, das Zusatzprogramm lassen wir als Geisterprogramm dort, wo es ist.“ „Aber wieso feuern Sie mich nicht? Ich habe gegen sämtliche Vorschriften verstoßen, die den Einsatz von Software in dieser Behörde regelt!“ sagte ich, immer noch fassungslos.
 

„Weil Sie etwas gemacht haben, was ich schon längst hätte machen sollen“ sagte er schlicht. „Unsere Superhelden retten uns regelmäßig den Arsch vor diesem Verbrecher Hawk Moth. Sie haben noch nie etwas als Gegenleistung verlangt. Es wäre im höchsten Maße ungerecht, wenn man durch unsere Systeme irgendwann feststellt, wer hinter den Masken steckt. Unsere Überwachungssysteme werden immer umfangreicher, es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis genau das passiert wäre. So sind die beiden geschützt, was ihre zivile Identität angeht. Allerdings sollten wir die beiden anonym darauf aufmerksam machen, dass sie bei ihren Verwandlungen mehr Vorsicht walten lassen, meinen Sie nicht auch?“ Ich nickte grinsend. „Machen Sie zwei USB – Sticks fertig, auf dem jeweils die Verwandlung von Ladybug und Chat Noir getrennt zu sehen ist. Keiner der beiden darf von der zivilen Gestalt des anderen erfahren. Diese Sticks geben Sie mir dann, ich werde diese an die beiden per Post schicken, inklusive eines Anschreibens.“ Er überlegte. „Wie soll ich die Briefe unterschreiben?“ fragte er mich. Ich grinste „Das Auge von Paris.“

________________________________________________________________________________________________
 

Zwei Tage später kam Marinette von der Schule zurück. Sie begrüßte ihre Mutter. „Da ist ein Brief für Dich angekommen“ sagte Sabine Cheng. „Wahrscheinlich wieder nur irgendeine dämliche Reklame“ meinte Marinette. „Danach sieht es nicht aus“ antwortete Sabine Cheng. Sie reichte ihrer Tochter den Brief. Ein Din A5 – Umschlag, der sich anfühlte, als ob er innen mit Luftpolster gefüttert sei. Etwas Kleines und Stabiles war im Innern zu spüren. „Das schaue ich mir oben mal an, danke Maman.“ Marinette ging in ihr Zimmer hoch.
 

Sie warf ihre Schultasche auf ihre Couch, dann öffnete sie ihre kleine Umhängetasche, aus der ihre Kwami – Vertraute hervor schwebte. Die beiden begrüßten sich, dann sauste Tikki auf den Teller mit Keksen zu. Marinette öffnete den Umschlag. Ein Brief und ein USB – Stick tauchten auf. Marinette las zuerst den Brief.
 

Sehr geehrte Mademoiselle Dupain – Cheng,
 

zuerst spreche ich Ihnen meine Bewunderung und meine Hochachtung aus. Ihr Mut, sich immer wieder den Schurken von Hawk Moth zu stellen, ist eine Inspiration für uns alle.

Weiterhin versichere ich Ihnen, dass Ihr Geheimnis in guten Händen ist. Worum ich Sie allerdings bitten möchte, bei Ihren Verwandlungen in Ladybug wie auch Ihren Rückverwandlungen in Zukunft mehr Vorsicht walten zu lassen. Die Überwachungssoftware der Stadt Paris ist so eingerichtet, das entsprechendes Material sofort gelöscht wird. Dies gilt auch für Ihren Partner, Chat Noir, der ebenfalls einen Brief erhalten wird.
 

Mit freundlichen Grüßen,
 

Das Auge von Paris
 

Als Marinette diese Zeilen las, wurde sie blass, ihr Herzschlag beschleunigte sich massiv. Mit fahrigen Fingern klappte sie den USB – Stick auf, den sie dann in ihren PC schob. Die Antiviren – Software fand nichts auf dem Stick, was gefährlich hätte sein können, also machte sie die dort befindlichen Dateien auf. Mit einem leisen Aufschrei sah sie sich die Aufnahmen an. Mehrmals an verschiedenen Stellen in Paris war sie dabei gefilmt worden, wie sie sich in Ladybug verwandelte, bzw. sich zurück verwandelte. Die haben mich erwischt, schoss es ihr durch den Kopf. „Tikki“ kiekste sie. „Schau Dir das mal an.“
 

Tikki schwebte heran, las den Brief, dann sah sie sich die Aufnahmen an. Sie kicherte. „Diese modernen Kameras überall, die filmen wirklich alles. Aber Du solltest Dich beruhigen. Derjenige, der das geschrieben hat, scheint diese Kameras unter seiner Kontrolle zu haben. Außerdem scheint er ein Bewunderer von Dir und Chat Noir zu sein. Du brauchst keine Angst zu haben.“ Marinette schaute Tikki verunsichert an. „Ich hoffe, Du hast Recht. Aber ab sofort schaue ich mich drei Mal um, bevor ich mich verwandle.“
 

Als Adrien an diesem Tag in seinem Zimmer ankam, fand er neben der üblichen Fanpost einen nüchternen Din A5 Briefumschlag vor. Als er ihn befühlte, spürte er einen kleinen, harten Gegenstand in dem Brief. Bevor er aber ihn öffnen konnte, kam das übliche Genöle von Plagg. „Ich sterbe hier gleich vor Hunger. Wenn ich nicht gleich etwas Käse bekomme, gehe ich in die ewigen Jagdgründe ein.“ Adrien verdrehte die Augen, dann ging er zu dem Schränkchen, wo er den Camembert aufbewahrte. Er nahm ein Päckchen heraus, öffnete es, dann stellte er es auf den Couchtisch. Innerhalb von knapp einer Minute war die Schachtel leer. Adrien schüttelte belustigt seinen Kopf. Er wandte sich seinem Schreibtisch zu, wo er den Din A5 – Briefumschlag öffnete. Heraus kamen ein Brief und ein USB – Stick. Adrien las den Brief.
 

Sehr geehrter Monsieur Agreste,
 

zuerst spreche ich Ihnen meine Bewunderung und meine Hochachtung aus. Ihr Mut, sich immer wieder den Schurken von Hawk Moth zu stellen, ist eine Inspiration für uns alle.

Weiterhin versichere ich Ihnen, dass Ihr Geheimnis in guten Händen ist. Worum ich Sie allerdings bitten möchte, bei Ihren Verwandlungen in Chat Noir wie auch Ihren Rückverwandlungen in Zukunft mehr Vorsicht walten zu lassen. Die Überwachungssoftware der Stadt Paris ist so eingerichtet, das entsprechendes Material sofort gelöscht wird. Dies gilt auch für Ihre Partnerin, Ladybug, die ebenfalls einen Brief erhalten wird.
 

Mit freundlichen Grüßen,
 

Das Auge von Paris
 

Adrien gefror innerlich. Da er dem PC misstraute, den er in seinem Zimmer stehen hatte, holte er aus seinem Schreibtisch ein Tablet hervor, das er vor einiger Zeit gekauft hatte. Mit Hilfe von Max hatte er es so eingerichtet, das niemand von außen darauf zugreifen konnte. Er steckte den USB – Stick in die entsprechende Buchse, dann griff er auf die Daten zu. Sein Magen verkrampfte sich zu einem festen Klumpen, als er sich die Dateien ansah. Plagg hatte den Brief inzwischen gelesen, und sah sich die Verwandlungen und Rückverwandlungen seines Meisters an. „Na und?“ kam von ihm kurz angebunden. „Plagg, Du Vollpfosten! Es gibt jemanden, der weiß, wer wir beide in Wirklichkeit sind!“ Adrien war kurz vorm Durchdrehen.
 

„Komm wieder runter“ kam von Plagg. „Derjenige, der von euch beiden weiß, hat diesen Brief mit gutem Grund geschrieben. Er will das Geheimnis bewahren, er sorgt sogar dafür, dass eure Aufnahmen sofort verschwinden. Also keine Panik auf der Titanic.“ Plagg grinste. „Ab sofort schaust Du Dich dreimal um, bevor Du Dich verwandelst.“ Adrien beruhigte sich langsam. So gesehen hatte sein Kwami Recht. Wenn derjenige, der wusste, wer hinter den Masken von Ladybug und Chat Noir steckte, und ihnen Böses wollte, hätte derjenige ihnen ganz bestimmt nicht einen Brief geschrieben. „Du hast nicht ganz Unrecht“ meinte er zu seinem Kwami.
 

Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf. „Nur eines ist schade“ meinte er, sein Chat Noir Grinsen erschien auf seinem Gesicht. „Und was?“ fragte Plagg desinteressiert. „Das er bei dem Schreiben nicht die Sticks verwechselt hat. Dann wüsste ich endlich, wer Ladybug in Wirklichkeit ist.“ Plagg schüttelte seinen Kopf. „Und Ladybug wüsste es auch. Vielleicht wäre sie dann tierisch entsetzt, das so ein braves Kerlchen wie Du den Chat Noir gibt“ sagte er mit einem fiesen Grinsen. Dann wich er dem Kissen, das Adrien mit aller Wucht nach Plagg geworfen hatte, mit einem eleganten Schwung aus.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Villain666
2023-02-10T19:11:21+00:00 10.02.2023 20:11
Ich hab mich beim schauen der Serie schon immer gefragt warum Orte wie die Ubahn oder das Hotel nicht videoübewacht sind. Geil dass das hier aufgegriffen und beantwortet wird.
Von:  jeaquline
2018-08-28T20:04:41+00:00 28.08.2018 22:04
das ist echt mal eine verdammt interessante Sicht der Dinge, die da so in Paris vor sich gehen. eine sehr gute Idee und absolut einzigartig ^^ gefällt mir gut :)


Zurück