Zum Inhalt der Seite

Autumn Blue(s)

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Mea fortuna - Mein Glück, mein Schicksal (Teil 1)

09. September 2019 - in einer geschützten Bucht - Ise Shima/ Präfektur Mie

 

„Hey, da hab ich auch noch einen.“ Ich grinste Ruki und Kai breit an, mit denen ich mir die Zeit bis zur Zeremonie damit vertrieb, dass wir doch eher unnütz in der Lobby herumstanden und uns schlechte Flachwitze an den Kopf warfen. „Wie heißt ein Spanier ohne Auto?“

 

„Reita? Reita!“

 

Ich hatte gerade Luft geholt, um meine Pointe zum Besten zu geben, als ich Aois aufgeregte Stimme hinter mir hörte. Kaum hatte ich mich herumgedreht, sah ich meinen Freund auch schon mit schnellen Schritten auf uns zukommen und sein Gesichtsausdruck versprach nichts Gutes. Diese Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen hatte ich in den letzten Tagen und Wochen wirklich schon viel zu oft gesehen.

 

„Reita! Oh Hallo Kai, Ruki.“ Aoi schnaufte, als wäre er die gesamte Strecke von den Suiten, in denen Uruha und er für das große Ereignis aufgehübscht wurden, bis zu uns gerannt. Und bis in die Lobby des Hotels war es doch ein ganzes Stückchen Weg.

 

„Aoi, was ist denn?“ Besorgt machte ich einen Schritt auf ihn zu, während mein Hirn schon eine Liste der Dinge herunterratterte, die auf den letzten Drücker nun doch noch schiefgehen konnten.

 

Hatten die Wetterfrösche nun doch Regen angesagt?

War die Torte auf dem Transport kaputtgegangen?

War etwas mit dem Essen nicht in Ordnung?

Verspätete sich die Fähre, mit der die letzten Gäste eintreffen würden?

 

Ich fühlte mich von einem Augenblick auf den nächsten wie unter Strom, gespannt wie eine Bogensehne und zu allen Schandtaten bereit, um meinen Liebsten auch ja die Traumhochzeit zu ermöglichen, die sie verdient hatten, verdammt. Innerlich kochte ich schon und war auf 180 bei dem Gedanken, dass es irgendwer oder irgendetwas wagen würde, uns einen Strich durch unsere Pläne zu machen.

 

Aber als Aoi den Mund öffnete und mit der Sprache herausrückte, wo genau das Problem nun lag, entkam mir nur ein langgezogenes Seufzen.

 

„Aoi, warum suchst du nach Uruha, wenn ihr euch vor der Zeremonie gar nicht sehen sollt, mh?“, erkundigte ich mich, gutmütigen Tadel in der Stimme und legte meinem Schatz beruhigend beide Hände auf die Schultern.

 

„Ich such doch gar nicht nach ihm“, schnaufte er aufgebracht und nun wurde ich doch wieder hellhörig. „Asano wollte noch irgendwas wegen Uruhas Frisur holen und als er wiederkam, war er nicht mehr da. Er hat mich eben gefragt, ob ich weiß, wo er steckt.“

 

„Oh …“, gab ich etwas überrumpelt von mir und zog die Stirn kraus. Das war nicht gut, gar nicht gut. So wie ich meinen besten Freund kannte, ging dem der süße Hintern gerade auf Grundeis und wenn dem so war, war Uruha fähig, große Dummheiten zu begehen – zum Beispiel auf die nächste Fähre Richtung Tokio zu steigen. Mir wurde heiß und schlecht zugleich, als ein Schwall Adrenalin durch meinen Körper jagte. „Mach dir keine Sorgen“, sagte ich nach der ersten Schrecksekunde jedoch so ruhig ich konnte und drückte meinem Schatz einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Ich glaub, ich weiß, wo er sein könnte.“

 

„Ehrlich?“

 

„Ja. Und nun geh zurück, du hast noch nicht mal deine Schuhe an.“ Ich grinste und schaute vielsagend auf Aois Füße herab, die in schwarzen Socken, aber nicht viel mehr steckten. „Los jetzt, in einer halben Stunde geht es los.“ Aoi atmete zittrig ein und ich konnte seine Nervosität beinahe körperlich spüren. Einem Impuls folgend legte ich meine Arme um ihn und war beinahe erschrocken, wie prompt und fest er meine Umarmung erwiderte.

 

„Danke“, murmelte er so leise, dass ich Schwierigkeiten hatte, ihn überhaupt zu verstehen.

 

„Doch nicht dafür.“ Ich lachte leise, schob ihn auf Armeslänge von mir und scheuchte ihn dann nachdrücklich davon. „Shit“, seufzte ich, als er um die nächste Ecke verschwunden war und schaute dann zu Ruki und Kai hinüber.

 

„Weißt du wirklich, wo er sein könnte?“ Ich erwiderte Kais fragenden Blick und schüttelte seufzend den Kopf.

 

„Ich hab eine Vermutung, mehr aber auch nicht.“

 

„Okay, das kriegen wir schon hin.“ Ruki klatschte in die Hände. „Kai, du gehst zum Bootsanleger, ich such im Hotel nach ihm.“

 

„Guter Plan, ich geh zum Strand, vielleicht hab ich ja recht und er ist dort. Wer ihn findet, ruft die anderen an, okay?“

 

„Wird gemacht.“

 

Schnellen Schrittes eilte ich durch die Lobby des Hotels und hätte mich beinahe überschlagen, so eilig stieg ich die vielen Stufen zum Strand hinunter. Der Pavillon, in dem die Zeremonie stattfinden sollte, war schon von weitem zu sehen, reflektierte das Weiß des Stoffes die Sonnenstrahlen doch so stark, dass ich geblendet den Blick abwenden musste. Ein rötliches Nachbild hielt sich jedoch hartnäckig auf meiner Retina, während ich dem geschäftigen Treiben am Strand kaum Beachtung schenkte. Stattdessen wandte ich mich nach rechts, ging an den herrlich duftenden Blumenarrangements vorbei und seufzte erleichtert, als mir die ersten Bäume Schatten spendeten.

 

Wer hätte aber auch nach den heftigen Regenfällen der letzten Zeit gedacht, dass es heute so schön werden würde. Trotz meiner Anspannung schlich sich ein kleines Schmunzeln auf meine Lippen, als ich mich daran zurückerinnerte, wie sehr Aoi in den vergangenen paar Tagen Uruhas und mein Nervenkostüm strapaziert hatte, weil er auf den letzten Drücker die Lokation für die Hochzeit doch noch verlegen wollte. Okay, die Zeremonie und die anschließende Feier am Strand zu veranstalten, war um die Zeit des Monsuns tatsächlich ein riskantes Unterfangen. Aber wie es der Zufall so wollte, hatte es ja wirklich genau rechtzeitig zu regnen aufgehört, dass alles wie geplant stattfinden konnte.

Oder vielleicht war es auch Schicksal, wenn man denn an so etwas glauben wollte.

 

Ich knöpfte mein Jackett auf, damit die Brise, die mir vom Meer her die Haare aus dem Gesicht wehte, noch besser für etwas Kühlung sorgen konnte. Das Vorankommen auf dem sandigen Untergrund gestaltete sich schwieriger als mir gerade lieb gewesen wäre und gefühlt trug ich bereits eine Tonne Sand in meinen Schuhen, als ich endlich die Stelle erreichte, an der ich Uruha vermutete. Die Bäume standen hier so dicht, dass man meinen könnte mitten in einem Wald zu stehen. Das Meer war von hier aus nicht zu sehen, aber sein Rauschen mischte sich mit dem Wispern des Blätterdachs zu einer beruhigenden Melodie. Oder zumindest wäre sie beruhigend gewesen, würde mein Herz nicht wie wild in meiner Brust schlagen, weil ich Uruha, anders als erhofft, nicht ausmachen konnte. Wo war er denn, verdammt? Ich war mir doch so sicher gewesen, dass er hier sein musste. Beinahe wollte ich mich schon herumdrehen und wieder zum Hotel zurückkehren, vielleicht war mein Schatz ja gerade, als Asano ihn gesucht hatte, auf der Toilette gewesen oder so und die ganze Aufregung war umsonst. Da aber sah ich ein Paar weißer Anzugschuhe und die passenden Socken mehr oder weniger ordentlich neben dem Stamm eines Ahornbaumes abgestellt.

 

Meine Erleichterung zwang mich beinahe in die Knie, als ich mich durch die tiefhängenden Äste der Bäume hindurchmogelte und dann nicht nur wieder das Meer, sondern auch meinen Freund vor Augen hatte.

 

„Uruha.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein erleichtertes Ausatmen und beinahe glaubte ich, dass mein Schatz mich gar nicht bemerkt hatte, so gedankenversunken wie er auf den Horizont blickte. Uruha stand barfuß und bis zu den Knöcheln im Wasser, hatte seine weißen Hosen bis über die Knie hochgekrempelt und sah gerade so verloren aus, dass sich in mir alles zusammenzog.

 

„Ich kann das nicht, Reita.“ Der Wind brachte seine leise Stimme mit sich und noch bevor ich irgendwas darauf hätte antworten können, lagen seine warmen Augen auf mir und ließen mich in jeder Bewegung erstarren. Seine Verunsicherung ließ mein Herz schmerzhaft schlagen und dennoch legte sich ein feines Lächeln auf meine Züge. Himmel, wie oft hatte ich diesen Ausdruck im Gesicht meines besten Freundes schon gesehen? Kaum eine Schulwoche war früher vergangen, in der mich die jüngere Version von ihm nicht genau so angesehen hatte. Sogar im ersten Jahr als Gazette hatte ich ihn noch vor gefühlt jedem unserer Konzerte mehr oder weniger einfangen müssen und warum hatte ich gedacht, dass es an diesem so speziellen Tag anders sein würde?

 

„Ach Ducky“, murmelte ich und streckte eine Hand nach ihm aus. Uruha zögerte kaum einen Herzschlag, drehte sich nun komplett zu mir herum und stand mit wenigen großen Schritten direkt vor mir. Ich konnte nicht anders, streichelte mit den Fingerknöcheln über seine Wange und drückte ihm einen kleinen Kuss auf die Lippen. „Du siehst wunderschön aus.“ Vermutlich nicht das, was mein Schatz in diesem Augenblick von mir hören wollte, aber das Einzige, was mir gerade in den Sinn kam. Uruha lachte leise, sagte aber nichts zu meiner mangelnden Eloquenz  und senkte stattdessen den Kopf, um sich leicht an meine Schulter zu lehnen. Und eigentlich bedurfte es auch keiner Worte, als ich meine Arme um seine Mitte legte und ihn näher gegen mich zog. Ich würde immer für ihn da sein, selbst, wenn die Welt untergehen würde, und das wusste er.

 

„Ich glaub nicht, dass das funktionieren kann, Rei“, murmelte er irgendwann und ließ beschämt den Kopf hängen.

 

„Was genau soll nicht funktionieren, mh? Du und Aoi?“ Ich lächelte ihn an, nachdem ich meinen Zeigefinger unter sein Kinn gelegt und ihn sanft dazu gebracht hatte, mich wieder anzusehen. „Ducky, wie lange seid ihr jetzt schon ein Paar?“ Ich erwartete keine Antwort auf meine rhetorische Frage, hätte ich mir diese doch gut und gern auch selbst beantworten können. Aber darum ging es mir auch gar nicht. „Wovor hast du Angst?“

 

„Ich …“ Uruha zuckte mit den Schultern und schmiegte sich leise seufzend wieder stärker gegen mich. Ich begann über seinen Rücken zu streicheln, versuchte ihn damit ein wenig zu beruhigen. „Ich glaube, ich will nicht, dass sich etwas ändert.“

 

„Veränderungen haben dir schon immer Angst gemacht“, stellte ich ohne Wertung in der Stimme fest. Ich küsste seine Schläfe und schloss für einen Moment die Augen, während ich dem Rauschen des Meeres und des Blätterdachs über uns lauschte. „Aber sie müssen nichts Schlechtes sein, gerade du solltest das doch wissen.“

 

„Ich?“

 

„Ja, du. Oder wer hat damals mehr oder weniger alles aufs Spiel gesetzt und Aoi davon erzählt, dass er mich mal gern flachlegen würde?“

 

„He! Das hört sich an, als wäre es mir nur um das eine gegangen.“

 

„Na, etwa nicht?“ Ich lachte, als sich Uruhas spitzer Zeigefinger in meine Seite bohrte, der Größere seinen Halt um meine Mitte aber noch immer nicht löste.

 

„Du weißt, was ich meine. Damals hätte auch alles schiefgehen können und trotzdem hast du das durchgezogen. Und ich bin so verdammt froh darum.“ Meine Lippen fanden die seinen, als er den Kopf hob und meinen Blick erwiderte. Unser Kuss war langsam, unendlich zärtlich und ich legte all meine Dankbarkeit, die ich auch nach fast zwei Jahren noch immer empfand, in diese kleine Geste.

 

„Ich auch“, wisperte mein Freund gegen meine Lippen und fuhr mir durchs Haar, bevor er sich wieder gegen mich lehnte. „Weißt du, ich glaub, es ist gar nicht nur die Angst davor, dass sich alles ändern wird. Ich fühl mich einfach … na ja … nicht erwachsen genug?“ Er zuckte mit den Schultern und lachte leise, auch wenn seine Belustigung mehr nach Galgenhumor klang. „Aoi weiß, was er will, steht mit beiden Beinen mitten im Leben und ist alles in allem einfach viel reifer, als ich es vermutlich je sein werde. Ich …“ Uruha seufzte abgrundtief. „Was will er denn mit mir?“

 

Ich schmunzelte, während ich meinem Freund sanft über den Nacken kraulte – Uruha konnte schon wirklich sehr, sehr dramatisch sein, wenn er wollte. Wüsste ich nicht, wie verliebt Aoi nach all der Zeit, in der die beiden schon zusammen waren, noch immer in meinen besten Freund war, hätte ich seine Bedenken vermutlich auch ernst nehmen können. Aber so wusste ich einfach, das gerade wirklich nur endlose Verunsicherung aus ihm sprach.

 

„Wir reden aber schon vom gleichen Aoi, oder?“, fragte ich neckend und zeigte meinem Schatz die Zähne, als er mich fragend von unten herauf anschaute.

 

„Mh?“

 

„Reden wir wirklich von dem Mann, der auch barfuß nach draußen gehen würde, weil er morgens so tranig ist, dass er seine Schuhe vergisst, wenn sie ihm einer von uns nicht direkt vor die Nase stellt?“ Uruhas Augenbraue wanderte ein kleines Stück nach oben, aber seine eben noch hängenden Mundwinkel zuckten leicht. „Oder von dem Aoi, der auch mitten in der Nacht noch zum Konbini in die Innenstadt fährt, weil es nur dort dieses eine ganz spezielle Macadamia-Karamell-Eis gibt, das du dir so dringend einbildest?“

 

„Da hast du auch mitgegessen.“

 

„Darum geht’s jetzt aber nicht.“

 

Uruha zog eine Schnute und ich musste dem Drang widerstehen, ihn erneut in einen Kuss zu verstricken. Stattdessen legte ich meine Hände auf seine Schultern und blickte ihm direkt in die schönen Augen.

 

„Aoi liebt dich und würde so ziemlich alles dafür tun, um dich glücklich zu machen. Aber gleichzeitig ist er mindestens ein ebenso großer Chaot, wie du und ich es sind.“ Ich lachte, stellte mich auf die Zehenspitzen und küsste seine Stirn. „Wäre Aoi so erwachsen, wie du denkst, dass er ist, hätte er vermutlich schon vor Jahren Reißaus genommen.“ Lachend sprang ich einen Schritt zurück, wollte Uruha gar nicht erst die Chance geben, auf dumme Gedanken zu kommen, denn sein Gesichtsausdruck sprach Bände.

 

„An deiner Aufmunterungstaktik musst du eindeutig noch arbeiten. Jetzt fühl ich mich schlechter als zuvor“, behauptete er mit leidender Miene, aber ich kannte ihn zu gut, um darauf hereinzufallen. Stattdessen hakte ich mich bei ihm unter und schlug den Weg zurück zum Hotel ein.

 

„Nun komm, lassen wir den verrückten Kerl, der heute nichts Besseres zu tun hat, als dein Mann werden zu wollen, lieber nicht länger warten.“ Grinsend bückte ich mich noch nach seinen Schuhen, bevor wir diese hier vergessen würden und freute mich gerade diebisch über den biestigen Blick, den Uruha mir zuwarf.

 

„Mach nur so weiter und ich weiß, wer heute noch nach Hause schwimmen darf.“

 

„Uh, ich steh drauf, wenn du mir drohst.“ Jetzt hatte ich ihm auch endlich das befreite Lachen entlocken können, auf das ich schon die ganze Zeit über spekuliert hatte. Mein Herz machte einen freudigen Hüpfer und der Seitenblick, den ich ihm zuwarf, konnte gut und gern als schwer verliebt bezeichnet werden. Sah wohl auch mein Schatz so, denn noch einmal blieb er stehen und wandte sich mir zu.

 

„Ich liebe dich, Rei.“

 

„Und ich dich erst.“

 

Für einen langen Moment sahen wir uns nur stumm in die Augen und vielleicht hätten wir erneut die Zeit vergessen,  aber wie so oft war es Ruki, der sich nachdrücklich, diesmal aber ausnahmsweise mal nicht unerwünscht, in unsere Zweisamkeit drängte.

 

„Hey, da seid ihr ja!“, rief der Sänger schon von weitem, kaum hatten wir die Baumgruppe hinter uns gelassen und winkte uns vom Fuß der Treppe, die zum Hotel hinaufführte, aus zu.

 

„Jepp. Mission: ‚Die Braut, die sich nicht traut‘ abgeschlossen, mon general“, grinste ich und kassierte nun doch einen Ellenbogenstoß in die Rippen. Verdienterweise, wie ich zugeben musste, aber das tat meiner etwas aufgedrehten Stimmung keinen Abbruch. Ja, auch wenn ich es nicht zugeben wollte, langsam kam auch bei mir eine gewisse Nervosität auf.

 

„Sehr schön, wegtreten, alle beide.“ Ruki lachte, als auch ihn Uruhas giftiger Seitenblick streifte, bevor mein bester Freund mir seine Schuhe aus der Hand nahm und sich auf den Weg nach oben machte. Für einen Moment hatte ich schon die Befürchtung, ihn tatsächlich mit meiner Neckerei gekränkt zu haben, aber auf halbem Weg drehte er sich nochmal zu mir um und sah mir direkt in die Augen.

 

„Danke“, sagten seine Lippen, auch wenn das kleine Wörtchen nicht zu hören war, so leise hatte er gesprochen.

 

„Hach ja.“ Ich reckte die Arme in die Luft und streckte mich ausgiebig, während ich meinem Schatz hinterhersah. „Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert.“

 

„Noch haben sie nicht ‚ja‘ gesagt.“

 

„Unwichtige Formalitäten“, winkte ich ab und kassierte nur ein Augenrollen Rukis, der sich gerade das Handy ans Ohr hielt, um vermutlich Kai Bescheid zu geben, dass wir unseren Flüchtigen wieder eingefangen hatten.

 

„Reita?“

 

„Mh?“

 

„Wie heißt jetzt eigentlich der Spanier ohne Auto?“

 

„Carlos.“

 

Mit Rukis gackerndem Lachen im Ohr setzte ich mich wieder in Bewegung und erst, als wir wieder die klimatisierte Lobby betraten, bemerkte ich, wie heiß mir da draußen geworden war. Na, das konnte später ja noch lustig werden. Gut, dass sich Uruha und Aoi doch gegen traditionelle Hochzeitsgewänder entschieden hatten, auch wenn die Anzüge, die die beiden trugen, ihren ganz eigenen Wärmestau verursachen würden. Genau wie mein Exemplar. Ich atmete schnaubend aus und knöpfte mein Jackett wieder zu. Verstohlen gähnend lehnte ich mich mit dem Hintern gegen einen der weichen Lederclubsessel, aus denen man nicht mehr aufstehen wollte, sobald man sich richtig hineingesetzt hatte. Ich hatte es ausprobiert und wusste, wovon ich redete.

 

„Ich geh noch schnell Kai einsammeln“, gab Ruki Bescheid. Ich nickte und zückte im selben Moment mein Handy, um auch Aoi endlich Rückmeldung zu geben, dass ich unseren Schatz wieder eingefangen hatte und er aufhören konnte, sich Sorgen zu machen. Er antwortete mir fast augenblicklich mit einem erleichtert lächelnden Smiley, der wiederum mich zum Lächeln brachte. Mein armer Aoi war die ganze Zeit, in der ich mit Uruha am Strand war, vermutlich auf Kohlen gesessen und hatte sich schon diverse Taktiken zurechtgelegt, wie er den Tag noch würde retten können, sollte unser Flüchtiger verschollen bleiben. Es amüsierte mich wirklich, wie unglaublich nervös und aufgeregt meine beiden Liebsten waren und das, wo sie sich einander doch kaum sicherer sein konnten. Allerdings würde es mir an ihrer Stelle vermutlich nicht anders gehen. Nachdenklich zog ich die Stirn in Falten und erlaubte es mir nur für einen winzigen Moment, darüber nachzudenken, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn ich heute heiraten würde.

 

Ein seltsames Gefühl, teils Melancholie, teils Aufregung, stieg in mir hoch, das meinem ohnehin schon angeschlagenen Nervenkostüm nicht gerade guttat. Ich sollte definitiv aufhören, derartige Gedankenschlösser zu bauen und vielleicht lieber eine rauchen gehen; zur Beruhigung und so. Oder nein, lieber nicht. Uruha würde mich vermutlich doch noch lynchen, würde meine Kleidung schon vor der Zeremonie nach Rauch riechen. Manchmal war mein bester Freund schon eine Marke für sich, aber genau wegen seiner großen und kleinen Macken liebte ich ihn so sehr.

 

Und wo wir schon bei Macken waren … ich schnaubte, als ich mich an den Tag zurückerinnerte, als er mich mehr oder weniger freiwillig zum Schneider geschleppt hatte, um auch für mich einen angemessenen Anzug anfertigen zu lassen. Ich verstand bis heute nur zum Teil, warum das wirklich notwendig gewesen war, aber wie Aoi damals schon so schön meinte, wenn sich unser Schatz erst einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, sollte man ihm besser nicht widersprechen.

 

 

23. Juli 2019 - Tokyo

 

Verschlafen brummend rollte ich mich auf den Bauch, als mich die Morgensonne an der Nase kitzelte. Mein Gesicht in einem Kissen vergrabend atmete ich tief den vertrauten Geruch von Aois Shampoo ein, der daran haftete und mir ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen zauberte. Aber leider hielt diese morgendliche Stille nicht lange an, denn wenige Minuten später wurde die Tür zum Schlafzimmer aufgezogen und ich hörte leise Schritte, die sich mir näherten. Mein Lächeln weitete sich, als ich Aoi schon allein daran erkannte, wie vorsichtig er auf mich zukam. Uruha hätte da deutlich weniger Skrupel besessen und hätte sich vermutlich einfach schon auf mich gelegt oder mir wahlweise laut ins Ohr gerufen, dass ich doch endlich aufstehen sollte. Aber nicht er. Aoi war meist viel zu bedacht für solche Aktionen. Das Bett senkte sich an meiner rechten Seite leicht, als er sich neben mich setzte.

 

Für einen langen Moment, in dem es mir tatsächlich schwerfiel, nicht auf mich aufmerksam zu machen, passierte gar nichts. Dann aber spürte ich sanfte Finger, die begannen unglaublich wohltuend über meinen Rücken zu streicheln und warme Lippen, die mich im Nacken küssten. Himmel, ich liebte ihn dafür, dass er mich immer so liebevoll aufweckte. Von daher tat ich ihm auch den Gefallen, tat so, als wäre ich tatsächlich eben erst aufgewacht und rekelte mich leicht unter seinen Berührungen, bevor ich mich nur langsam zu ihm herumdrehte.

 

„Hey“, murmelte ich noch immer ziemlich zerknautscht und ich hätte lügen müssen, würde ich nun behaupten, dass ich nicht gut und gern noch eine Stunde länger hätte schlafen können. „Guten Morgen.“ Ich hob eine Hand und legte sie an Aois Wange, dirigierte ihn so über mich, dass ich ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen drücken konnte.

 

„Guten Morgen“, erwiderte er und küsste meine Nasenspitze, die ich sogleich kräuselte. „Du solltest langsam aber sicher aufstehen.“

 

„Mh, warum denn? Wir haben doch frei“, brummte ich, legte meine Arme um seinen Hals und zog ihn so halb auf mich. „Was hältst du davon, wenn du dich einfach noch für einen Moment zu mir legst?“ Ich ließ ihm keine Chance mir zu widersprechen, haschte stattdessen erneut nach seinen Lippen und zog ihn in einen trägen, aber nicht minder liebevollen Kuss. Ich summte genießend, als ich Aois angenehmes Gewicht stärker auf mir spüren konnte und seine Hände fühlte, wie sie forschend über meinen nackten Oberkörper wanderten. Viel zu schnell jedoch entließ er mich aus unserem Kuss, strich mir den Pony aus der Stirn und lächelte auf mich herab.

 

„Hast du etwa vergessen, dass wir heute den Termin beim Schneider haben?“, fragte er mit hochgezogener Augenbraue, bei deren Anblick ich mir ein schelmisches Grinsen nicht verkneifen konnte.

 

„Vergessen nicht …“, murmelte ich und streckte mich gähnend. „Ich würde es eher verdrängt nennen.“

 

„Lass das bloß nicht unsere bessere Hälfte hören, sonst gibt es Ärger.“

 

„Du meinst wohl, unser besseres Drittel?“ Aoi lachte zustimmend nickend, küsste mich noch einmal und erhob sich vom Bett.  „Ich weiß gar nicht, warum er überhaupt drauf besteht, mich neu einkleiden zu wollen. Ich hab doch genug Anzüge irgendwo rumfliegen“, murrte ich, absolut nicht begeistert von dem Gedanken, den ganzen Vormittag damit zubringen zu müssen, ausgemessen zu werden und irgendwelche Klamotten anzuprobieren.

 

„Du kennst Uruha länger als ich und solltest wissen, dass man ihm besser nicht dagegen redet, wenn er sich erst einmal etwas in seinen hübschen Kopf gesetzt hat. Ist besser für die Gesundheit.“ Aoi fuhr mir durchs Haar und beugte sich noch einmal über mich, um meine Stirn zu küssen. „Steh jetzt lieber auf, bevor es Ärger gibt.“

 

„Nur noch fünf Minuten, okay?“, nuschelte ich, als mich sein tadelnder Blick streifte und mir einen wohligen Schauer bescherte. Himmel, wie sollte ich mich jetzt bitte zum Aufstehen motivieren können, wenn mir ganz andere Dinge im Kopf umhergingen? Unfair war das und Aoi wusste das nur zu genau. Ohne sich noch einmal nach mir umzusehen, durchquerte er unser Schlafzimmer und zog die Tür mit einem leisen Geräusch ins Schloss. Ich seufzte, rollte mich wieder auf den Bauch und schloss die Augen.

 

Ich hatte wirklich nur noch fünf Minuten dösen wollen, aber als ich das nächste Mal aus einem ziemlich netten Traum hochschreckte, war mein Erwachen keinesfalls so angenehm, wie das Vorangegangene. Mit einem erschrockenen Japsen zuckte ich zusammen und hielt mir den schmerzenden Hintern.

 

„Du hast mir nicht wirklich gerade in die Arschbacke gebissen?“, schnappte ich und schaute Uruha vorwurfsvoll an. Der jedoch grinste nur und zuckte Unschuld vortäuschend mit den Schultern.

 

„Wenigstens bist du jetzt wach, alter Langschläfer.“

 

Ich murrte leidend und ließ mich wieder zurück in die Kissen sinken.

 

„Erzähl mir nochmal, warum ich eigentlich mit zum Schneider soll? Wenn du eine Stilberatung brauchst, solltest du lieber Ruki mitnehmen, der hat wenigstens Ahnung von Mode.“

 

„Glaub mir, als Stilberater würde ich dich auch ganz bestimmt nicht dabei haben wollen.“ Uruha grinste noch immer, setzte sich jetzt aber an die Bettkante und beugte sich über mich, um mir einen kurzen Kuss auf die Lippen zu drücken. „Ich kenn dich jetzt zwar schon mehr als mein halbes Leben, aber einem Schneider kann ich deine Proportionen nun doch nicht so genau beschreiben, dass der Anzug nach was aussehen würde.“

 

„Aber es ist doch Aois und deine Hochzeit, warum brauch ich da einen neuen Anzug? Ich nehm einfach einen von einem Fotoshoot, die sehen doch auch gut aus. Oder den, den ich bei Soratas Hochzeit getragen hab.“

 

Während ich gesprochen hatte, hatte ich dabei zusehen können, wie sich Uruhas Gesicht mehr und mehr verfinsterte. Instinktiv versuchte ich den Kopf einzuziehen, was mir in meiner liegenden Position aber nicht wirklich gelingen wollte.

 

„Wir hatten die Diskussion schon, mein Lieber. Mehr als einmal“, knurrte mein bester Freund lauernd, legte seine rechte auf meine Brust, drückte mich tiefer in die Matratze und beugte sich über mich. „Du bist ein Teil von Aoi und mir. Ein sehr, sehr wichtiger Teil.“ Mein Schatz blickte mir bei diesen Worten direkt in die Augen, so liebevoll und ehrlich, dass mir ganz warm ums Herz wurde. „Mitgehangen, mitgefangen so zu sagen. Und wenn Aoi und ich heiraten, wirst du ganz bestimmt keinen Anzug tragen, den du bei anderer Gelegenheit schon einmal angehabt hast. Außerdem sollen die Bilder ja auch was werden.“

 

„He, was soll das jetzt heißen?“

 

„Nichts weiter, nur, dass ich dir nicht über den Weg traue.“ Uruha lächelte mich lieb an und küsste meine Nase. „Du bringst es fertig, in Jeans und Shirt auf unserer Hochzeit aufzutauchen und dann müsste ich dir leider den Kopf abreißen. Das will doch niemand, oder? Also, schwing deinen süßen Hintern aus dem Bett, aber dalli!“

 

Ich murrte, als er sich erhob und mir frech lächelnd auch noch die Bettdecke wegzog. Mein Schatz konnte so grausam sein, wenn er wollte. Noch einmal streckte ich mich, rekelte mich auf der weichen Matratze, bevor ich mich tatsächlich aufraffen und aus dem Bett steigen konnte. Ich hatte wirklich keine Lust darauf, mir einen neuen Anzug schneidern zu lassen, aber ich musste zugeben, dass mich Uruhas Worte, so nonchalant er sie auch gesagt hatte, tief berührten.

 

„Du bist ein Teil von Aoi und mir. Ein sehr, sehr wichtiger Teil …“

 

Ein überaus glückliches Lächeln schlich sich auf meine Lippen, während ich im Bad verschwand. Plötzlich freute ich mich richtig, den Vormittag mit meinen Männern verbringen zu dürfen … und die Anprobe würde ich auch noch überleben.

 

~*~

 

Naiv. Damit hätte man meine Herangehensweise an diesen Tag vermutlich am besten beschreiben können. Ich seufzte, als ich mit dem gefühlt hundertsten Anzug-Ensemble erneut hinter den Vorhang der Umkleide verschwand. Um ehrlich zu sein, hätte ich ja echt nicht gedacht, dass mein Süßer ausreichend Nerven übrig hatte, um sich neben seiner eigenen Garderobe auch noch Gedanken um meine zu machen, aber andererseits ... Wir sprachen hier schließlich von Uruha, meinem manchmal doch recht pedantischen besten Freund, der wollte, dass an seiner Hochzeit alles perfekt lief. Das war vermutlich Grund genug für ihn, an jedem einzelnen Teil, das ich bisher anprobiert hatte, etwas zu finden, an dem er etwas aussetzen konnte, und sei es auch noch so klein. Aber genau das war auch der Grund, warum ich mitspielte und mich nur geringfügig beschwerte. Wenn es meinem Schatz so wichtig war, dass auch ich an seiner Hochzeit eine gute Figur machte, dann würde ich der Letzte sein, der ihm im Wege stand.

 

„Model einhundertundeins“, seufzte ich leise, als ich mich im Spiegel betrachtete und die graue Krawatte zurechtrückte. Anfänglich hatte ich die kleinen Strass-Steinchen, die sich neben einem klassischen Paisleymuster  auf ihr tummelten, als etwas zu viel empfunden, aber Uruha hatte sie gefallen und jetzt, wo ich sie im Zusammenspiel mit dem Rest des anthrazitfarbenen Dreiteilers sah, musste ich zugeben, dass sie mir auch durchaus zusagte. „Ich bin so weit“, rief ich halblaut, auf eine Reaktion wartend, während ich wieder hinter dem Vorhang hervortrat. Die Sonne schien durch die hohen Fenster der Lagerhalle, die dem Designer, den Uruha gefühlt über fünfzig Ecken kannte, als Showroom diente. Geblendet kniff ich für einen Moment die Augen zusammen und hörte daher nur, wie sich mir Schritte näherten.  

 

„Wir auch“, kündigte sich Aoi fast zeitgleich an und brachte mich dazu, mein verstohlenes Grinsen hinter einer Hand zu verstecken, als auch sein weitaus leiser gesprochener Nachsatz an meine Ohren drang. „Das hoffe ich zumindest sehr.“

 

„Das hab ich gehört.“ Uruha funkelte unseren Schatz von der Seite her an, aber ich erkannte das gutmütige Schmunzeln auf seinem Gesicht. Dann jedoch wäre mir beinahe die Kinnlade heruntergefallen, als meine Männer vor mir stehen blieben und ich sie genauer betrachten konnte. Auch sie trugen eine Kombination aus schmal geschnittenen Anzughosen, einer farblich passenden Weste und einem Jackett, doch wo Uruhas Dreiteiler in reinstem Weiß erstrahlte, was ihm – wenn ich das einmal anmerken durfte –unheimlich schmeichelte, war Aois Anzug auf den ersten Blick schlicht und schwarz. Auf den zweiten jedoch konnte ich blaue Reflexe erkennen, die nur auffielen, wenn das Licht genau im richtigen Winkel auf den Stoff fiel.

 

„Blue“, murmelte ich schmunzelnd, „du machst deinem Spitznamen gerade alle Ehre.“

 

„Das heißt wohl, dass ich dir gefalle?“

 

„Ihr beide“, gab ich heftig nickend zu und konnte meine Augen gar nicht von meinen Männern lassen. Ihre Hemden waren im selben schlichten Hellgrau gehalten, wie das, das auch ich gerade trug und selbst die Krawatten waren die gleichen.

 

„Erinnere mich daran …“, begann Uruha, kam näher und strich fast bedächtig über meine Schultern, zeichnete so den Verlauf des Jacketts nach. „… dass du in Zukunft viel öfter mal einen Anzug für mich tragen musst.“

 

„Mh, für mich auch.“ Aoi grinste mich auf diese typische Art und Weise an, die mir ziemlich eindeutige, aber gerade doch ziemlich unpassende Ideen in den Kopf setzte.

 

„Soll das heißen, dass du diesmal nichts an meinem Aufzug auszusetzen hast?“ Meine Frage war an Uruha gerichtet, der mich gerade umrundete und so durchdringend musterte, dass sich ein unbestimmtes Kribbeln in meinem Magen breitmachte.

 

„Nein, ich glaube, wir haben unsere Outfits gefunden.“ Uruha ließ noch einmal seinen Blick erst über mich, dann Aoi gleiten und streckte uns dann beide Hände entgegen. „Kommt mit, ich will uns zusammen sehen.“ Er führte uns aus dem Umkleidebereich hinaus, bis wir wieder im Ausstellungsraum waren, wo an der hintersten Wand – dort, wo das Licht am besten war – ein riesiger Spiegel aufgehängt war, der diesen Teil des Showrooms fast wie ein Tanzstudio wirken ließ.

 

„Wisst ihr was?“, fragte ich, als wir uns zu dritt vor dem Spiegel aufgestellt hatten. „Ich bin wirklich froh, euch nicht heiraten zu müssen.“ In der Spiegelung sah ich, wie mir zwei nahezu identisch empörte Blicke zugeworfen wurden, die mich erneut zum Lachen brachten.

 

„Auf die Begründung bin ich jetzt aber gespannt“, murrte Uruha und verschränkte zur Verdeutlichung seines Missmuts die Arme vor der Brust.

 

„Na, weil ich kein Wort in Gegenwart von zwei so schönen Männern herausbringen würde.“

 

 

09. September 2019 - in einer geschützten Bucht - Ise Shima/ Präfektur Mie

 

Und genau so erging es mir auch jetzt, als Uruha und Aoi gemeinsam die Treppe in die Lobby herunterstiegen. Es kostete mich tatsächlich einiges an Anstrengung, meine Kinnlade nicht der Schwerkraft folgen zu lassen und mich stattdessen zu erheben und auf sie zuzugehen. Komplett angezogen, gestylt und herausgeputzt waren die beiden aber auch wirklich ein Anblick für sich. Ich räusperte mich und hoffte, dass mir meine Bewunderung nicht gerade übers ganze Gesicht geschrieben stand. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, dass meine Männer wussten, wie toll ich sie fand, aber so rein aus Prinzip wäre es mir schon ganz recht gewesen, wenn ich nicht gerade wie das verliebte Schulmädchen rüberkommen würde, als das ich mich im Moment fühlte.

 

„Was an: ‚Ihr sollt euch vor der Zeremonie nicht sehen‘, versteht ihr eigentlich nicht, mh?“, erkundigte ich mich tadelnd, als die beiden am Fuße der Treppe angekommen und vor mir stehengeblieben waren. „Ihr seid wirklich unverbesserliche Dickköpfe.“ Mein strenger Blick war wohl weitaus weniger einschüchternd, als ich es mir erhofft hatte, denn statt reuevoller Mienen erhielt ich nur zwei nahezu identische Schmunzeln und einen beidseitigen Schmatzer auf je eine Wange. Verdammt, wie sollte ich ihnen da auch nur im Ansatz böse sein? „Unverbesserlich, sag ich ja.“ 

 

„Hör auf zu grummeln und so mürrisch zu gucken, das gibt nur Falten.“ Uruha stippte mir gegen die Stirn, die ich tatsächlich leicht gerunzelt hatte und machte sich dann an meinem farblich zur Krawatte passenden Einstecktuch zu schaffen.

 

„Du siehst wirklich verboten gut aus“, raunte mir Aoi ins Ohr und zu meiner Schande musste ich gestehen, dass mir doch tatsächlich die Hitze in die Wangen stieg. Ein Kompliment von meinem Schatz war immer etwas Besonderes, weil Aoi dahingehend doch eher zurückhaltend war, aber wenn er wie jetzt selbst auch noch so gut aussah, war wirklich alles zu spät.

Ich lächelte, vielleicht ein bisschen verlegen und schlang einem Impuls folgend einfach mal die Arme um meine Männer, um sie in eine zwar etwas ungelenke, aber nicht minder wohltuende Umarmung ziehen zu können.

 

„Verratet ihr mir jetzt, warum ihr nicht bis zur Zeremonie damit warten konntet, bis ihr euch seht? Seid ihr beide wirklich so neugierig?“

 

„Ich hab noch immer Lampenfieber“, gab Uruha kleinlaut zu und ich spürte die Bewegung seiner Lippen an meinem Hals, was mir eine gehörige Gänsehaut verpasste.

 

„Und ich hab mir Sorgen um ihn gemacht“, warf Aoi ein, löste sich leicht von mir und küsste Uruhas Schläfe.

 

„Alles also wie immer.“ Lachend ging ich auf Abstand, hatte aber noch immer je eine Hand an den Oberarmen meiner Liebsten und musterte sie nun ausgiebig. „Ich bin so stolz auf euch“, murmelte ich und hatte große Mühe, nicht von meinen Emotionen übermannt zu werden, als eine bittersüße Woge der Freude und Melancholie in mir hochstieg. Hinter uns wurde die vorherrschende Stille der Lobby mehr und mehr mit dem Gemurmel der Gäste erfüllt, die nach und nach aus ihren Zimmern kamen und den Weg hinunter zum Strand antraten. Noch einmal blickte ich von einem zum anderen, bevor ich einen Schritt zurücktrat. „Na dann. Geht schon mal vor, ich komm gleich nach.“

 

„Kommst du denn nicht jetzt schon mit?“ Fast schon alarmiert richtete sich Uruhas fragender Blick auf mich und ich konnte beinahe am eigenen Leib spüren, wie seine innere Unruhe noch um ein ganzes Stückchen anstieg.

 

„Ich hab eure Ringe noch auf dem Zimmer, dauert keine fünf Minuten.“ Mit einem letzten Kuss verabschiedete ich mich und hastete die Treppen nach oben, die mich in unser Zimmer bringen würden. Immer vorausgesetzt natürlich, ich hätte auch wirklich vorgehabt, dorthin zu gehen und mich nicht wie ein Feigling zu verstecken.

 

Ich atmete bemüht ruhig durch, als ich hinter einer Ecke des Flures Deckung fand und lehnte mich gegen die Wand. Meine Finger tasteten automatisch nach der kleinen Ringschachtel, die sich schon die ganze Zeit über in meiner Hosentasche befunden hatte. Kein Grund also, mich davor zu drücken, gemeinsam mit meinen Männern zum Strand zu gehen, stünden mir nicht gerade tatsächlich Tränen in den Augen. Verflucht, wo kamen die nun bitte her? Ich lehnte den Kopf nach hinten und schloss für einen Moment die Lider. Ich sah uns erneut vor dem großen Spiegel im Showroom stehen, uns gegenseitig bewundernde Blicke zuwerfend, bis Uruhas Bekannter und der Schöpfer unserer Outfits zu uns gestoßen war und uns überredet hatte, doch ein Foto zur Erinnerung zu schießen. Besagtes Foto zierte nun den Sperrbildschirm meines Handys und jedes Mal, wenn ich es sah, wusste ich nicht, wie ich mich fühlen sollte. Natürlich verstand ich, was es zu bedeuten hatte, dass wir drei die gleichen Hemden und Krawatten trugen – ein zwar subtiles, aber doch für jeden erkennbares Symbol dafür, dass wir zusammengehörten. Ich war mir sicher, dass Uruha auf diese Idee gekommen war und ich konnte gar nicht sagen, wie sehr ich ihn dafür liebte. Warum also fühlte ich mich gerade so alleingelassen?

 

‚Du wirst sie nicht verlieren, Dummkopf!‘, schalt ich mich in Gedanken.

 

Verdammt, was hätte ich jetzt nicht alles für eine Zigarette gegeben. Noch ein paar Minuten der relativen Ruhe gönnte ich mir, versuchte meine Unsicherheiten wieder dahin zu verbannen, wo sie hingehörten und schaute dann beinahe entsetzt auf meine Armbanduhr, als mir diese mit leuchtenden Ziffern klarzumachen versuchte, dass ich beinahe schon zu spät dran war.

 

Hektisch stieß ich mich von der Wand ab, hastete mit schnellen Schritten erst die Treppe zur Lobby wieder hinunter und dann den Weg, der zum Strand führte. Beinahe hätte ich mich doch noch langgelegt, aber ein beherzter Ausfallschritt, den mir mein Knöchel ein wenig übel nahm, bewahrte mich vor dem Schlimmsten.

Die meisten Gäste hatten sich schon im Pavillon eingefunden, als ich auch endlich am Strand ankam und nur der ein oder andere Raucher stand noch davor, während die Band gerade eine klassische Version von Stand by me zum Besten gab. Uruhas absolutes Lieblingslied. Ich schluckte gegen den Kloß in meiner Kehle an, als mich plötzlich eine wahre Flut an Erinnerungen einholte. Mein bester Freund und ich hatten diesen Film schon so oft gesehen, dass wir die Dialoge schon im Schlaf mitsprechen konnten. Irgendwie war der Song gerade passend.

 

Stand by me - bleib bei mir.   

 

Ich schnaubte und atmete tief durch, um mich nicht nur ins Hier und Jetzt, sondern auch wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzuholen. Meine Liebsten würden jeden Moment heiraten und ich hatte ihre Ringe in der Hosentasche. Also wurde es höchste Zeit, dass ich mich zusammenriss und endlich diesen Pavillon betrat, verdammt.

 

So unauffällig wie möglich schlüpfte ich in das Innere, winkte meinen Müttern kurz zu, die ihre Plätze neben Uruhas und Aois Verwandtschaft in den ersten Stuhlreihen gefunden hatten und schritt zügig den Mittelgang entlang. Meine Männer warteten bereits am Ende und auch die Priesterin, die die Zeremonie leiten und meine beiden Liebsten segnen würde, betrat gerade durch einen Seiteneingang die Lokation.

 

Leise entschuldigte ich mich, dass ich so lange gebraucht hatte, bekam von Aoi und Uruha jedoch nur zwei fast identische Lächeln geschenkt, in denen ich ihre Nervosität nur zu deutlich lesen konnte. Es blieb keine Zeit mehr für beruhigende Worte oder Gesten und wenn ich ehrlich war, war ich plötzlich selbst so nervös, dass jeder Versuch in diese Richtung meinerseits die allgemeine Anspannung vermutlich nur noch schlimmer gemacht hätte. Die Band verstummte, dann das leise Murmeln der Gäste, als die Priesterin das Wort an Uruha und Aoi richtete. Ich schluckte und umklammerte die Ringschachtel in meiner Hosentasche so fest, dass die Kanten unangenehm in meine Handfläche drückten. Nun war es also soweit … kein Zurück mehr.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  QueenLuna
2019-12-13T18:03:03+00:00 13.12.2019 19:03
Weiter geht's und Achtung

Ich hatte schon im Vorfeld die Befürchtung, ob Uruha nicht noch nen Rückzieher macht oder wenigstens nen kurzen Panikanfall bekommt. Aber es passt halt einfach zu seinem Charakterbild.
Ich mag dieses unsichere Bild von Uruha. Man will ihn einfach nur drücken ^^ und es ist irgendwie mal ne andere Seite an ihm... Anders als halt bei Playtime.

Und du hast mal wieder wunderschöne Szenenbilder beschrieben <3 Hach, was für ein traumhaftes Bild von Uruha am Strand und dann später halt mit Reita. Da schlägt das romantisch veranlagte Herz schon ziemlich *lach*
Das Gespräch zwischen den Beiden war auch so voller Gefühl. Einfach wunderbar. Auch die Gesten zwischen ihnen hast du toll beschrieben. Man merkt richtig die Verbundenheit von ihnen.

Oh und die Beschreibung von Aoi, die Reita da zur Aufmunterung von Uruha los lässt... Einfach herzallerliebst. Dass er nachts in den Konbini fährt, nur um Uruha sein Eis zu holen... Oh man. Der alte schwerverliebte Kerl. Da geht mir gleich das Herz auf...  So süß <3
Hier in diesen Szenen hast du mich überzeugt, dass es gut gehen kann von allen Seiten, wobei ich darauf warte, dass die Unsicherheit bald wieder zu schlägt xD

Und der Witz ist echt flach aber musste echt lachen... Sowas blödes xD hatte den glatt schon wieder vergessen während des Lesens und schön, dass du noch mal drauf zurück gekommen bist. Hats schön aufgelockert.

Bei der Rückblende:
Ich mag die Unterschiedlichkeit wie Aoi und Uruha, auch in ihren Weckmethoden... Einfach herrlich und irgendwie realistisch beschrieben. Und wer will nicht so liebevoll geweckt XD Jeder hätte gern so einen Aoi <3
Urus Methode ist da halt etwas eigen aber passend zu seinem Charakter ^^ aber mag Aois Art echt gerne, also generell wie du ihn halt während der FF beschreibst. Da passt der Spitzname Blue auch.. Es wirkt auf mihh irgendwie sanft... Weiß nicht ob du das auch so ausdrücken wolltest aber bei mir kommt es halt sanft an^^

"Du bist ein Teil von Aoi und mir. Ein sehr sehr wichtiger." - hach war genauso berührt davon wie Reita. Das hat Uruha sooo schön rüber gebracht und wieder ist da diese Verbindung zwischen den dreien <3

"Na weil ich kein Wort in Gegenwart von zwei schönen Männern herausbringen würde." - Oh Reita, du alter Romantiker, das hast du aber wunderbar gesagt <3 da bekommt man glatt Herzchenaugen und besonders bei der Beschreibung wie die Drei vor dem Spiegel stehen. Das ist wirklich schön.
Und hier hat mich Reita fast überzeugt, dass alles gut ist... Bis natürlich zu seinem schwachen Moment vor der Zeremonie. Ach Mann. Hätte ihn gern drücken wollen, wobei ich mich hier gerade nicht so von Zweifeln erdrückt fühlte, wie bei den vorherigen Malen, da mich das vorher Geschriebene etwas aufgebaut hat ^^

Mal sehen wie sich meiner und Reitas Gemütszustand während der nächsten Kapitel so verändern xD Yami, du wirst es erfahren <3

Bis bald
Luna :*

Antwort von:  QueenLuna
13.12.2019 19:04
Übrigens wollte ich am Anfang "Achtung Spoilergefahr" schreiben aber habs vergessen weiter zu tippen xD deshalb steht da jetzt nur Achtung xD nicht wundern


Zurück