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Was ist eigentlich Liebe

von

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Gegenwind

Mit gemischten Gefühlen sah Hikari am nächsten Morgen Takeru vor dem Schultor auf sie warten. Trotz ihrer etwas abgekühlten Freundschaft stand er noch immer jeden Tag vor Schulbeginn dort und erwartete sie. Dann lächelte er zur Begrüßung, hakte sie bei sich unter und ging mit ihr zum Klassenzimmer.

„Heute schreiben wir den Mathetest. Hast du gestern noch gelernt?“ Hikari schlug sich in Gedanken gegen die Stirn. Den Mathetest hatte sie total vergessen. Yamatos Berührung hatte sie noch lange beschäftigt und sie hatte zwar am Abend noch die Hausaufgaben erledigt, aber für den Test hatte sie nicht mehr gelernt. Normalerweise tat sie dies immer mit Takeru zusammen und ihr wurde plötzlich bewusst, dass sie ihn vermisste. Mit Yamato war es aufregend und neu, aber auch schwierig, weil sie oft nicht wusste, wie sie sich verhalten oder was sie sagen sollte, ohne ihn zu verärgern. Bei Takeru brauchte sie diese Angst nicht zu haben.

„Ich habs vergessen“, gestand sie.

„Ich habe dich angerufen, aber deine Mutter sagte, du seiest nach der Schule gar nicht nach Hause gekommen.“ Es lag höchstens ein Hauch von Vorwurf in seinen Worten und er sah sie schräg von der Seite an. „Es läuft also ganz gut bei euch beiden?“ Hikari konnte ein Lächeln nicht unterdrücken, als sie mit „Ja“ antwortete und einen Moment wollte sie „Sehr gut sogar“ hinzufügen, ließ es dann aber sein, weil sie dachte, Takeru könnte sie für überheblich halten, nachdem sie seine Warnungen missachtet hatte. Zu ihrer Enttäuschung fragte er auch nicht genauer nach, und sein Gesicht verriet seine Gedanken nicht. Hikari hätte zu gern gewusst, was er dachte, aber sie hatten das Klassenzimmer erreicht, und Takeru setzte sich an seinen Platz.
 

„Wenn ich Glück habe, reicht es noch für eine Vier“, sagte sie später missmutig, als sie für das Mittagessen anstanden. Takeru hob die Augenbrauen. „Das bringt deinen Notendurchschnitt nur ein bisschen durcheinander.“ Hikari schrieb sonst zuverlässig Zweien und manchmal eine Drei, es passte nicht zu ihr, dass sie das Lernen vernachlässigte.

„Beim nächsten Mal vergesse ich es nicht“, versprach sie.

Mit ihren Tabletts in den Händen suchten sie sich einen freien Tisch und setzten sich.

„Wenn du willst, können wir wieder zusammen lernen“, sagte Takeru über den Tisch hinweg und begann zu essen. Hikari lächelte. „Gern.“

Sie schaute Takeru einen Moment schweigend zu, wie er seinen Gemüsereis aß, und das schlechte Gewissen drückte auf ihre Brust. Yamato hatte nicht recht. Die Unstimmigkeiten zwischen den Brüdern konnte sie vielleicht nicht beseitigen, aber das musste doch nicht heißen, dass sie sich zwischen ihnen entscheiden musste. Sie könnte mit Yamato zusammen sein und sich trotzdem auch wieder mit Takeru treffen.

„Darf ich dich was fragen?“, begann Hikari. Ihr zögerlicher Tonfall ließ Takeru aufblicken und er sah, wie sie nervös mit ihrer Gabel spielte. „Es geht um meinen Bruder, nehme ich an?“ „Ja.“ Sie holte tief Luft. „Weißt du, ob er schon oft … ob er schon viele Freundinnen hatte?“ Takeru runzelte die Stirn und sagte nur: „Nein“, ehe er wieder in seinem Reis herumstocherte. „Aber - er hat schon. Oder?“, forschte sie weiter. „Keine Ahnung. Denke schon“, antwortete er ungeduldig. Das war doch kein Thema, über das er mit ihr reden wollte. Doch sie fuhr in gedämpftem Tonfall fort: „Ich frag nur, weil ich glaube, dass er irgendwann …“ „Um Himmels Willen!“, entfuhr es Takeru und er warf seine Gabel in den Reis. „Ich will das nicht hören“, zischte er. Hikari wirkte betroffen. „Tut mir leid. Ich will nur wissen, was er von mir erwartet.“ Takeru sah sie eine Weile finster an. Dann sagte er: „Um ehrlich zu sein: ich weiß es nicht. Yamato erzählt mir nichts über seine Beziehungen und ich bin daran auch nicht interessiert. Aber wenn du meine Meinung hören willst: Du bist zu jung, um an so was zu denken.“ „In vier Monaten werde ich sechzehn“, erwiderte sie fast trotzig, worauf er mit einem halb verächtlichem Laut reagierte. „Das meine ich. Du rechtfertigst dich damit, dass du bald Geburtstag hast.“ Er seufzte und sah sie nun wieder freundschaftlich an. „Letztendlich musst du selber wissen, was du willst. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“

Er stand auf und nahm sein Tablett. „Ich gehe raus. Wir sehen uns später.“

Hikari blieb zurück mit dem Gefühl, dass das Gespräch nicht so verlaufen war, wie sie gehofft hatte. Aber was hatte sie sich eigentlich erhofft? Spätestens seit dem gestrigen Kinobesuch musste ihr doch selbst klar sein, dass Yamato eines Tages mit ihr schlafen wollen würde. Und Takeru hatte natürlich recht: sie musste diese Entscheidung selbst treffen.
 

Nach der Schule ging sie diesmal gleich nach Hause. Yamato hatte Bandprobe, und obwohl sie sehr gerne dabei gewesen wäre, wollte er sie nicht mitnehmen.

Sie war ein wenig gekränkt darüber, aber andererseits hatte sie in der letzten Zeit auch die Schule ganz schön vernachlässigt, und so war es gut, dass sie den heutigen Nachmittag Zeit hatte, den Stoff aufzuarbeiten.

Sie saß bereits über den Hausaufgaben, als ihre Mutter vom Einkaufen zurückkehrte und sie in ihrem Zimmer aufsuchte. Wie immer fragte ihre Mutter, ob es etwas Neues gäbe, und wie immer wollte Hikari mit „Nein, Mama“, antworten. Bisher hatte sie ihrer Familie noch nichts von Yamato erzählt. Erst war es ein aufregendes Geheimnis gewesen, aber nach fast zwei Wochen hatte sie das Gefühl, ihn zu verstecken.

„Mama, können wir kurz reden?“ „Natürlich, Schatz. Geht es um die Schule?“ „Nein, nicht die Schule.“ Die bevorstehende schlechte Note verschwieg sie und wartete, bis ihre Mutter auf dem Bett Platz genommen hatte. „Also dann. Wer ist es?“ Hikari öffnete überrascht den Mund, und Mutter lächelte wissend. „Hast du gedacht, ich würde nicht merken, wenn meine Tochter sich plötzlich nach der Schule herumtreibt? Und Takeru fragt auch immerzu nach dir.“ „Warum hast du nichts gesagt?“ „Warum hast du nichts gesagt?“ Hikari schaute etwas verlegen zur Seite. „Ich wollte erstmal abwarten. Wie es sich entwickelt und so.“ „Und wie entwickelt es sich so?“ Hikari spürte ihre Wangen heiß werden, und mehr als ein „Gut“, brachte sie in Gegenwart ihrer Mutter nicht heraus.

„Also: wer ist der Junge, der dir schlaflose Nächte bereitet?“ Hikari schmunzelte über die Wortwahl ihrer Mutter, dann antwortete sie, in der vagen Hoffnung, sie würde „Takerus Bruder Yamato“, nicht sofort mit Taichis altem Freund[/] in Verbindung bringen, deren gemeinsame Freundschaft kein gutes Ende genommen hatte. Mutter schien einen Moment zu überlegen. „Der Yamato? Er ist doch auch Taichis Freund, nicht? Aber das ist ja schön, dann muss ich mir bestimmt keine Sorgen machen.“

Hikari lächelte unsicher. Konnte es so leicht sein?

„Lad ihn bald ein, ja? Ich habe ihn schon lange nicht mehr gesehen. Er ist nett. Ein bisschen wortkarg, aber wenn ihr beide mit ihm befreundet seid, muss er einfach ein anständiger Mensch sein.“ Hikari wollte vor Erleichterung lachen. Mutter machte sich offensichtlich keine Sorgen, weder über den Altersunterschied, noch über den Grund, warum sie Yamato lange nicht mehr hier gesehen hatte. Und sie fragte sich urplötzlich, was Eltern eigentlich wirklich über ihre Kinder und deren Leben wussten.
 

Hikaris gute Stimmung hielt bis kurz vor dem Abendessen. Sie hatte noch eine ganze Weile gelernt und räumte gerade ihre Schulsachen in die Tasche, als jemand an ihre Tür klopfte und sie gleich darauf aufstieß.

„Taichi!“ Sie sah ihren Bruder überrascht an. Er kam nie ohne Aufforderung in ihr Zimmer, wenn die Tür geschlossen war. Und er sah wegen irgendwas böse aus.

„Was ist los?“, fragte sie beunruhigt. „Gar nichts. Außer, dass Mama mir eben erzählt hat, dass du mit meinem Freund Yamato zusammen bist.“ Er betonte meinem Freund auf ganz hässliche Weise und sah Hikari fast finster an. „Und?“, entgegnete diese empört über seinen Auftritt. Taichi antwortete nicht sofort. Etwas sagte ihm, dass er auf diese Art nichts bei Hikari erreichen würde, und so besann er sich und sagte ruhig: „Ich hab das nicht erwartet, okay? Ausgerechnet Yamato.“

Dabei waren sie tatsächlich mal sehr gut befreundet gewesen, Yamato und Taichi. Yamato hatte zwar damals schon einen relativ unumgänglichen Charakter besessen; von einem Moment auf den anderen konnte bei ihm die Stimmung umschlagen und er ziemlich unfreundlich werden, dennoch hatte Taichi meist gewusst, wie er mit der Situation umzugehen hatte. Aber dann kamen die ersten Erfolge mit den Teen-Age-Wolves und Yamato merkte schnell, wie selbst ein kleiner Ruhm sich positiv auf das Interesse an seiner Person auswirkte.

Es wäre falsch zu sagen, er wäre größenwahnsinnig geworden, wo er sich doch immer im Klaren darüber war, dass sie erfolgstechnisch noch in den Kinderschuhen steckten. Aber sie hatten dennoch Fans und Anhänger, und Yamato sowie seine Bandkollegen gingen noch zur Schule, was bedeutete, dass er ihnen täglich begegnete. Hier lernte er schnell, wie er die Begeisterung der Mädchen für sich nutzen konnte. Anfangs mochte er vielleicht noch so was wie Skrupel gehabt haben, und als er viel später Taichi davon erzählte, prahlte er auch nicht mit seinen Eroberungen. Tatsächlich sprach er fast mit Verachtung darüber, denn die Mädchen seien doch selbst schuld, wenn sie sich auf so was einließen.

Taichi stellte Yamato zur Rede, dieser wurde wütend und ihre Freundschaft endete schließlich - beinahe mit einer Schlägerei.

Hikari seufzte unglücklich. „Warum denkt ihr alle so schlecht von ihm? Takeru hat mir auch schon den Kopf gewaschen.“ Taichi sah sie fast mitleidig an. Da stand sie nun, zum ersten Mal verliebt und mit dem Gefühl, die halbe Welt gegen sich zu haben. „Dann hör doch auf ihn. Er ist immerhin sein Bruder.“ „Ihr seid schöne Brüder. Euch so gegen das Glück eurer Geschwister zu stellen“, sagte sie leidenschaftlich, und in ihrer Vorstellung wirkte sie erwachsener, als sie war. Taichi hätte über diesen trotzigen Ausspruch beinahe gelacht, stattdessen sagte er besänftigend: „Ich mache mir einfach Sorgen. Yamato kann ziemlich …“ „Ich will das nicht hören. Hört auf zu sagen, dass er ein schlechter Mensch ist oder dass ich einen Fehler mache.“ Sie schniefte und sah ihn jetzt direkt an. „Was auch immer er damals gemacht hat, ist mir egal. Ich bin jedenfalls glücklich.“ Sie errötete, hielt seinem Blick jedoch tapfer stand. Und Taichi spürte nun den kleinen Stich, der ihm sagte, dass seine Schwester sich schließlich ein ganzes Stück von ihm entfernt hatte. Er seufzte resigniert.

„Ist gut. Ich lass dich in Ruhe. Sei bitte trotzdem vorsichtig, Yamato ist ein Wolf im Schafspelz.“
 

Hikari war bestürzter, als sie zugegeben hätte. Nun hatte auch ihr Bruder sie vor Yamato gewarnt; der Mensch, dem sie auf der Welt vielleicht am meisten vertraute. Und doch ergaben diese Warnungen für sie keinen Sinn. Taichi und Takeru zufolge war Yamato ein selbstsüchtiger, nahezu böser Mensch, der sich nicht um anderer Leute Gefühle scherte. Doch ihr gegenüber hatte er sich bisher sehr großzügig und freundlich gezeigt, sah sie einmal davon ab, dass er sie hin und wieder scharf zurechtwies, wenn sie ein Thema ansprach, das ihm nicht gefiel. Ansonsten behandelte er sie meist sehr zuvorkommend und vor allem respektvoll. Hikari ahnte es nicht, aber die vielen kleinen Berührungen, die wie zufällig wirkten, waren von Yamato reine Berechnung. Er hoffte, auf diese Weise das Feuer in ihr weiter zu schüren, sie dazu zu bringen, endlich den nächsten Schritt zu tun. Nach zwei Wochen langweilte es ihn, sich nur mit ihr zu unterhalten. Sie war schüchterner, als er anfangs gedacht hatte, und bisher war zwischen ihnen nicht mehr passiert als ein paar Küsse und die Kleinigkeit im Kino. Wann immer er versuchte, sie zu verführen, blockte sie ab und nuschelte beschämt: „Noch nicht, bitte.“

Heute hatte er sie wenigstens dazu überreden können, mit ihm ins Schwimmbad zu gehen.

Es war Samstagnachmittag und dementsprechend voll, und Yamato war lange vor Hikari fertig und nutzte die Zeit, sich umzusehen. Er hielt sich im Schwimmerbereich im Wasser am Beckenrand auf und positionierte sich so, dass er die Tür der Damenduschen im Blick hatte, um Hikari nicht zu verpassen, wenn sie denn endlich käme, und vertrieb sich nebenbei die Zeit damit, die Mädchen anzusehen. Es war beinahe bedauerlich, dass er mit Hikari verabredet war und nicht flirten konnte.

Trotzdem amüsierte er sich. Nur etwa einen Meter neben ihm saßen zwei Mädchen und ließen die Beine im Wasser baumeln. Er hörte, wie eine über eine dritte Freundin herzog, da diese sich „im Moment wie eine widerliche Zicke“ aufführte. Er hörte nur halb hin, aber das Bikinioberteil der Rednerin gefiel ihm irgendwie. Es war auf den ersten Blick nur ein rotes Stück Stoff, das sich über ihren runden Busen spannte, aber durch das grüne Band, das in ihrem Nacken verknotet war, wirkten diese wie zwei gewaltige Kirschen. Offensichtlich war das so gewollt, denn auf ihrem weißen Bikinihöschen entdeckte er ebenfalls kleine Kirschen. Yamato hatte durchaus Sinn für solche Spielereien, und ungeniert betrachtete er das Mädchen, das er auf fünfzehn oder sechzehn Jahre schätzte. Und weil er so damit beschäftigt war, sie anzustarren, sah er die Attacke nicht kommen und bekam eine volle Ladung Wasser ins Gesicht gespritzt. Er brauchte einen kurzen Moment, um sich zu besinnen und die Situation zu begreifen; Offensichtlich hatte die Zuhörerin irgendwann bemerkt, dass er auf den Busen ihrer Freundin starrte und deren Ehre mit einem Wasserangriff verteidigt.

„Was soll das?!“, keifte sie nun und hüpfte ins Wasser, wo sie sich vor ihm mit leichten Arm- und Beinbewegungen über der Oberfläche hielt. Yamato sah sie belustigt an und hob den rechten Mundwinkel leicht hoch. „Was denn?“ „Was glotzt du sie so an?“ Wieder spritzte sie mit Wasser nach ihm, und das genügte, um ihn stachelig zu machen. Er wischte sich übers Gesicht und raunte: „Reg dich nicht so auf. Sie hat es doch nicht gestört.“

Dabei warf er der Freundin, die noch immer am Beckenrand saß und die Szene beobachtete, einen kurzen Blick zu. Sie erwiderte diesen und für den Bruchteil einer Sekunde erschien ein Lächeln auf ihren Lippen. „Du hast keine Manieren“, befand die erste und musterte Yamato abschätzig. Dieser hätte gern noch etwas darauf erwidert, aber durch Zufall hatte er Hikari entdeckt, die sich suchend nach ihm umsah. Sein Blick blieb kurz an ihr haften, denn abgesehen von dem grünen Badeanzug sah er zum ersten Mal alles von ihr.

„Du glotzt wohl jede an“, blaffte das Mädchen im Wasser vor ihm, das seinem Blick gefolgt war, und fügte stirnrunzelnd hinzu: „Die ist zu jung für dich.“ Yamato ärgerte sich über sie und um ihre Aussage Lüge zu strafen, sagte er: „Ist meine kleine Schwester.“ „Dann pass auf, dass sie nicht an Typen wie dich gerät“, setzte sie noch einen drauf, worauf er grimmig dachte: Zu spät. Und dann schwamm er so dicht an ihr vorbei, dass er sie dabei berührte, was sie mit einem verärgerten: „Hey!“, kommentierte.

„Ihr Jungs seid doch alle gleich“, sagte da das Mädchen im Kirschbikini, als er auf dessen Höhe war. Er hielt an und sah zu ihr hoch und glaubte, um ihren Mund einen amüsierten Zug zu erkennen. „Wie sind wir denn?“, fragte er herausfordernd. „Respektlos. Sobald ein Mädchen Haut zeigt, gilt es für euch als Freiwild. Selbst im Schwimmbad ist jeder Bikini eine Einladung für euch, auf den Busen zu starren.“ Yamato hatte mit so einer Antwort nicht gerechnet, und ihre herablassende Art ärgerte ihn. „Manche Mädchen haben leider nicht mehr zu bieten als einen hübschen Bikini.“ Er wartete nicht auf ihre Antwort und schwamm mit raschen Zügen zu Hikari.

„Da bist du“, sagte diese erleichtert, nachdem er sie erreicht hatte. Sie setzte sich an den Beckenrand und ließ sich dann ins Wasser gleiten, wobei sie sich weiterhin am Rand festhielt, weil sie im Gegensatz zu ihm hier noch nicht stehen konnte. Der Vorfall hatte an Yamatos Ego gekratzt, und um sich besser zu fühlen, brauchte er jetzt Hikari. Hoffentlich hatte sie nicht wieder ihre moralischen Allüren. „Küss mich“, raunte er ihr zu. Die Chance bestand immerhin, dass die beiden Mädchen zu ihm herübersahen. Sollten sie doch aus allen Wolken fallen, wenn er seine Schwester küsste.

„Jetzt?“, fragte Hikari und sah sich beklommen um. Yamato zog sie ungeduldig an sich und küsste sie einfach, und er war erleichtert, dass sie sich nicht wehrte. Sie im Arm haltend drehte er sich mit ihr halb um die eigene Achse, sodass er zu den Mädchen herüberschielen konnte, die ihn tatsächlich beobachteten. Natürlich würde ihnen schnell klar sein, dass Hikari nicht seine Schwester war, aber allein für diesen Moment fühlte er sich besser. Und um Hikari eine Freude zu machen, machte er eine Weile das, was ihr Spaß machte, wenn es auch bedeutete, ein ums andere Mal die alberne Wasserrutsche zu benutzen. Nach dem fünften Mal streikte er jedoch und sie sahen eine Weile beim Turmspringen zu.

„Takeru und ich verteilen immer Noten“, erzählte Hikari, die am Beckenrand saß und die Beine im Wasser baumeln ließ. Yamato war im Wasser geblieben und hielt sich locker am Rand fest, fragte aber nur dumpf: „Wozu?“ Sie hob die Schultern. „Nur so.“

Yamato runzelte die Stirn. „Für den Schwierigkeitsgrad des Sprungs oder die Ausführung?“ Es interessierte ihn nicht wirklich, aber worüber sollten sie sich sonst unterhalten? „Für alles.“ „Aha. Und was kriegt dieser Köpfer von dir?“ Er nickte zu dem letzten Springer, der gerade im Wasser gelandet war. Hikari überlegte kurz. „Eine zwei plus.“ „Du bist ja nicht sehr anspruchsvoll.“ „Vielleicht. Aber ich würde nie von dort runterspringen.“ „Höhenangst?“ „Nur Angst.“ „Warst du schon mal da oben?“ Sie schüttelte heftig den Kopf.

Yamato war schneller aus dem Wasser, als sie etwas erwidern konnte und zog sie sie am Arm hoch. „Was hast du vor?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort wusste. „Du springst“, erklärte er im Befehlston und wollte sie zum Sprungturm ziehen. „Nein“, sagte sie fast panisch und so laut, dass einige Umstehende sich umsahen und Yamato aufmerksam ansahen. Hikari begriff, dass sie ihn wie einen Sittenstrolch dastehen ließ und ging schnell mit ihm, um zu zeigen, dass alles in Ordnung war, raunte ihm aber zu: „Ich kann nicht, ich hab angst.“

„Das weißt du nicht, wenn du nie oben warst.“

Sie erreichten die Leiter und er schob sie vor sich, immer noch am Arm festhaltend. Vor ihnen warteten noch drei Springer, doch Hikaris Knie zitterten jetzt schon. Würde er sie wirklich zwingen, gegen ihren Willen da hoch zu steigen? Noch zwei. Sein Griff war fest, sie spürte seinen Körper dicht hinter sich. Noch einer. Er schob sie nach vorne. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Wie viele Stufen hatte diese Leiter? Nun war sie dran. Zögernd griff sie nach der Stange und setzte einen Fuß auf die unterste Sprosse, sagte aber mit Schulterblick zu Yamato: „Ich trau mich nicht.“ Sie nahm den Fuß wieder herunter und trat einen Schritt zurück, wobei sie gegen Yamato stieß.

„Geht’s weiter da vorne?“, fragte jemand hinter ihnen genervt, worauf Yamato mit: „Halt die Klappe“, antwortete. Trotzdem schob er Hikari mit sanfter Gewalt weiter.

Sie stieg die Leiter herauf und er blieb ganz dicht hinter hier. Der Weg nach oben war dann auch gar nicht so schlimm, aber als sie das Sprungbett begehen sollte, wurde ihr ganz mulmig zumute. Der Boden war unerwartet fern, und schlagartig wurde ihr der vermeintliche Schwindel klar. Vom Boden aus war dieser Sprungturm tatsächlich fünf Meter hoch, aber das Wasser unter ihr war durchsichtig und ging noch mal etwa zwei Meter in die Tiefe; Hikari sah sich praktisch fast sieben Meter über dem Grund – und diese Tatsache ließ sie regelrecht erstarren. Ihre Beine begannen zu zittern und sie fröstelte. „Ich möchte wieder runter“, sagte sie flehend und wollte umdrehen, wobei sie die Hand nach Yamato ausstreckte. „Nach unten geht’s hier lang“, sagte dieser trocken, nahm ihre Hand und zog sie mit sich bis zum Ende des Brettes. Sie wollte sich wehren, aber die Angst, dabei herunterzufallen war größer, und ehe sie wusste, wie ihr geschah, hörte sie Yamato „Luft anhalten“, sagen - und dann kippte sie nach vorne. Panisch schloss sie die Augen und wartete auf den schmerzhaften Aufprall. Stattdessen tauchte sie ein in kühles, weiches Wasser, und dieser Widerspruch machte sie orientierungslos. Verzweifelt ruderte sie mit den Armen und Beinen, und dann durchbrach sie die Wasseroberfläche.

„Geht doch“, bemerkte Yamato trocken, der ruhig auf der Stelle schwamm und sie mit einem ironischen Lächeln ansah, nachdem sie sich das Wasser aus dem Gesicht gewischt hatte.

Sie suchte seinen Blick, lachte erleichtert und hielt sich an seinen Schultern fest.

„Das war unglaublich!“ Sie war so aufgeregt, dass Yamato Mühe hatte, sich mit ihr über Wasser zu halten. Doch wo er sie für gewöhnlich belächelte, wenn sie allzu euphorisch auf etwas reagierte, blieb er diesmal nachsichtig, denn offensichtlich wirkte sich der Erfolg positiv gegen ihre Berührungsängste aus, und sie schlang die Arme um seinen Hals und drängte sich an ihn. Ihr halbnackter Körper an seinem erregte ihn, und mittlerweile wurde es anstrengend, sich und sie über Wasser zu halten. Mit einem Arm presste er sie weiter an sich, mit der anderen Hand tastete er nach dem Beckenrand, fand ihn und zog sich heran.

„Und welche Note gibst du mir dafür?“, fragte sie grinsend, und ihre Finger spielten mit den Haaren in seinem Nacken. „Du bist ja nicht allein gesprungen“, entgegnete Yamato trocken, lächelte jedoch dabei. Und zu seiner Überraschung antwortete sie mit einem fast stürmischen Kuss.

Yamato musste sich noch immer mit einer Hand am Beckenrand festhalten, aber mit der anderen hielt er Hikari fest an sich gedrückt. Zum ersten Mal konnte er fast ungehindert durch Stoff ihre Haut streicheln und spüren, und sie zog sich diesmal nicht beschämt zurück. Sie waren noch immer im tiefen Bereich des Beckens, und Hikari klammerte sich sprichwörtlich an ihn, als fürchtete sie, zu ertrinken, während sie ihn doch so voller Leidenschaft küsste.

Tatsächlich hatte Hikari für einen Moment fast alles um sich herum vergessen. Der Sprung vom Turm hatte sie aufgekratzt und jede Menge Glückshormone durch ihre Blutbahn gejagt, was sie in eine derart aufreißerische Stimmung versetzte. In diesem Augenblick genoss sie seine feste Umarmung und seine gierigen Küsse.

Bis sich plötzlich jemand über ihnen räusperte. Hikari sah erschrocken, und Yamato genervt auf. Zu ihnen beugte sich ein junger Bademeister herunter, in Lehrermanier mit den Händen hinterm Rücken. „Entschuldigt bitte“, sagte er herablassend, „das ist ein Familienbad. Sowas könnt ihr hier nicht tun.“ „Was tun?“ „Das hier ist ein Familienbad. Ihr müsst euch mit euren Intimitäten zurückhalten.“ „Das ist doch ein Scherz“, brauste Yamato auf. „Wer beschwert sich denn?“ Hikari befürchtete, er würde demjenigen sofort die Nase brechen. Sie löste sich beschämt aus seiner Umarmung und sah hoch in das Gesicht des Bademeisters, der nun wichtigtuerisch fortfuhr: „Außerdem seid ihr zu zweit vom Turm gesprungen. Das ist ebenfalls verboten.“ Yamatos Miene wurde noch düsterer, falls das überhaupt möglich war, und er war drauf und dran, aus dem Wasser zu steigen, aber Hikari hielt ihn am Handgelenk zurück. Ihr war die Situation unangenehm und sie wollte nur, dass Yamato sich einsichtig zeigte und nicht noch mehr Aufsehen erregte. Mit einem letzten abschätzigen Blick auf Yamato, sagte der Bademeister: „Haltet euch an die Regeln oder geht nach Hause.“ Damit ging er und ließ einen verärgerten Yamato und eine verunsicherte Hikari zurück. Nicht nur, dass sie Angst gehabt hatte, Yamato könnte ausrasten, ihr war der ganze Vorfall auch so furchtbar peinlich, dass sie das Schwimmbad sofort verlassen wollte. Und obwohl Yamato wider Erwarten sehr ruhig geblieben war, schaffte sie es nicht, ihm an diesem Tag noch einmal so nahe zu sein. Irgendwas in ihr sträubte sich dagegen.

Yamato war leidlich genervt von diesen Rückschlägen und fragte sich wieder, ob es die ganze Mühe wert war. Hikari war immerhin erst fünfzehn, hatte noch nie einen Freund gehabt und machte gerade ihre ersten Erfahrungen mit Yamato, der selbst kein Typ für eine ernsthafte Beziehung war.

Yamato war durch den Erfolg seiner Jugendband, den Teen-age Wolves, verwöhnt. Zwar war ihnen der große Durchbruch noch nicht gelungen, aber sie traten auf diversen Veranstaltungen auf und waren zumindest regional bekannt. Zudem sah Yamato auch noch sehr gut aus, was nicht unerheblich dazu beitrug, dass die Mädchen sich ihm nahezu an den Hals warfen. Und schnell hatte er begriffen, wie er das zu seinem Vorteil nutzen konnte, was trotzdem nicht bedeutete, dass sich jedes Mädchen abschleppen ließ, und ein einziges Mal hatte er sich deswegen schon eine Ohrfeige eingefangen.

Wieso er aber nun auf Hikari so viel Energie verwendete und sich bemühte, sie in sein Bett zu kriegen, war ihm ein Rätsel. Natürlich könnte er sie einfach abschieben und schauen, ob sich woanders eine Gelegenheit ergab, aber irgendetwas an ihr reizte ihn. Vielleicht war es, weil sie trotz anfänglicher Anhimmelei ihrerseits nicht sofort mit ihm geschlafen hatte und er nun sehen wollte, ob und wann er sie doch noch rumkriegte.

Trotzdem nahm er sich die nächsten Tage eine Auszeit und ignorierte Hikaris Anrufe einfach. Hoffentlich fühlte sie sich wenigstens ein bisschen schlecht und bereute ihre wehleidige Reaktion, dachte er böse.



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