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You Can't Handle The Truth

von

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Sunday Noon Suprise

Sonnenstrahlen durchbrachen immer wieder die flockig weißen Wolken, die der Wettervorhersage noch einen Strich durch die Rechnung machten. Das Blau des Himmels, das den Bewohnern von Little Falls versprochen worden war, kam bisher nur sehr selten zum Vorschein, doch so, wie man den Tag nicht vor dem Abend loben sollte, so sollte man ihn wohl auch nicht schon vor dem Abend schlecht machen. Es war gerade erst Mittag gewesen, einige fleißige Hausfrauen waren mitten in den Vorbereitungen zum Lunch während die Kinder auf der Straße oder in den Gärten der adretten Vorstadthäuser spielten. Manch ein Ehemann las vielleicht gerade auf der Veranda seine Zeitung, ein anderer putzte seinen Wagen. Gartenarbeit stand auch ganz oben auf der Liste, im Moment blühten die Blumen wie verrückt, die ersten Bienen und Hummeln flogen umher und auch der ein oder andere Schmetterling ließ sich blicken.

Little Falls war eine idyllische, wenn auch nicht perfekte Vorstadt. Nicht jeder Rasen war perfekt gemäht, manch eine braune Stelle mischte sich in das satte Grün, an manchen Stellen spross Unkraut neben den Blumen hervor. Doch die Bewohner gaben sich Mühe, ihre Straßen, ihre Vorgärten und ihre Häuser in einem vorzeigbaren Zustand zu behalten und gerade Sonntage wie dieser eigneten sich dafür.

 

Auch auf der To-Do-Liste von Angel stand noch der ein oder andere Punkt an Gartenarbeit. Rasenmähen – würde Jordan übernehmen. Blumenbeete bewässern – seine Aufgabe. Fensterputzen – dringend. Der letzte starke Regenguss am Mittwoch hatte einige Spuren auf ihnen hinterlassen, die matten Abdrücke der Tropfen sahen gerade bei den ersten Sonnenstrahlen des Frühlings hässlich aus, am liebsten hätte sich Angel sofort an die Arbeit gemacht, doch zuerst stand das Mittagessen auf dem Plan. Jordan würde wie immer ziemlich hungrig daherkommen, wenn sein morgendliches Training vorüber war. Je länger er ohne Essen auskommen müsse, desto langanhaltender würde seine schlechte Laune sein, das wusste Angel. Und niemand wollte freiwillig länger als nötig mit einem grummeligen Jordan Samford verbringen. Niemand.

Zwar war seine Laune dank des Siegs in ihrem gestrigen Major-League-Spiels den Rest des Abends und auch heute Morgen einigermaßen ausgelassen gewesen, doch ihm war auch aufgefallen, dass seine eigene vergebene Chance zum 3:1 in der ersten Halbzeit immer noch an ihm nagte. Am liebsten würde er in jedem Spiel treffen, eine so gute Gelegenheit dann liegen zu lassen, war schon fast fahrlässig gewesen und der immer noch 1,76 Meter kleine Fußballer war immer noch zu sehr Perfektionist, als dass er solche Fehler einfach mit der Freude über den Sieg wett machen könnte.

 

Um die Stimmung zu heben, kochte Angel eines von Jordans Lieblingsessen, so wie eigentlich immer nach Spieltagen. Meistens waren diese Gerichte osteuropäischer Herkunft. So manche Zutat oder Beilage, wie zum Beispiel Sauerkraut, welches ansonsten eher selten bei ihnen gegessen wurde, hatte Angel an solchen Tagen immer parat. Das heutige Leibgericht war Sarma mit selbstgemachtem Kartoffelpüree, eines der Gerichte, die Jordans Oma aus Kroatien ihm immer gekocht hatte, wenn er bei ihr zu Besuch war. Damit es Angels Küche mit ihrer aufnehmen konnte, hatte der junge Mann es sich bei ihrem letzten Besuch nicht nehmen lassen und sie um das Familienrezept gebeten. Nach ein paar Anläufen und ein paar Experimenten später gingen ihm die Rouladen leicht von der Hand. Vorteilhaft, wenn man bedachte, dass sie schon alleine zwei Stunden köcheln mussten und es Angel beim ersten Mal beinahe einen halben Tag gekostet hatte, Jordan dieses Gericht zu kochen.

Es war kurz nach Zwölf, die Rouladen köchelten wie geplant vor sich hin, ebenso die Kartoffeln. Jordan war sicher schon auf dem Heimweg, wenn er sich nicht gerade verquatscht hatte. Im Gegensatz zu einem seiner Kollegen saß der Kroate nach dem Training nicht noch zwei Stunden in der Sauna, reichte ja auch, dass er nach dem Training immer eine halbe Ewigkeit brauchte, um seine Haare wieder zu richten und seine Haut ausreichend zu pflegen. So wie auch jeden Morgen im Bad, wenn man ehrlich war. Zwar hatte Jordan Angel in der Vergangenheit oft wegen dessen weiblichen Zügen beleidigt – auch heute noch war er in die Richtung empfindlich, besonders, wo er jetzt einen Profivertrag beim New York City Football Club unterzeichnet hatte und dort seine erste Major-League-Saison spielte – doch wenn man ehrlich war, dann hatte er zu teils selbst weibliche Züge. Man musste sich allein sein Äußeres ansehen. Immer penibel gepflegt, ein Faible für Mode und für's Klamottenkaufen. Man könnte glatt meinen, der leichte Bart, den er sich hat stehen lassen, käme daher, weil er dringend männlich wirken wollte. Er passte kaum in das penible Styling des jungen Kroaten, sollte aber sein Kindergesicht ausgleichen, wie er immer sagte. Sie waren nun beide Mitte zwanzig, da wollte Jordan auch aussehen wie ein Erwachsener und nicht mehr wie ein 16-jähriger High-School-Schüler.

 

Er und Angel, der mittlerweile seinen Master in psychologischer Pädagogik gemacht hatte, konnten sich immerhin auch ein eigenes Haus leisten, in dem sie zusammen als beste Freunde lebten, wie der Fußballer seinen Kollegen und den Reportern immer wieder erzählt hatte. Und damit auch ja keine Zweifel an dieser Geschichte aufkamen, wurden immer wieder glaubhafte Details hinzu gedichtet. Sie seien beste Freunde aus Kindheitstagen. Sie seien beide gerade erst ein paar Monaten in ihren Jobs, da half es, wenn man den Haushalt nicht alleine führen musste. Sie seien schon während ihrer Studienzeit super WG-Partner gewesen, es sei auch schon eine Art Gewohnheit geworden. Überraschenderweise hatte das ausgereicht, niemand stellte mehr Fragen, Jordan konnte sich einigermaßen sicher fühlen und was hinter verschlossenen Türen geschah, musste eben geheim gehalten werden. Sie passten auf, alles war gut. Soweit.

 

Ein Klopfen an der Haustür ließ Angel den Kopf heben, gerade hatte er die Kartoffeln geprüft, sie waren definitiv bereit zur Weiterverarbeitung. Mit einem Handgriff stellte er die Herdplatte aus, stellte dann den Topf auf einen Untersetzer aus Akazie, ehe er sich verwundert zur Haustür aufmachte. Er erwartete keinen Besuch, er erwartete lediglich Jordan und der würde nicht Klopfen. Ob er seinen Schlüssel vergessen hatte? Oder gar verloren? Manchmal war der junge Kroate ja schon ein wenig schusselig oder vorschnell, kopflos eben. In so manch einem Streit ist Jordan schon Hals über Kopf aus der Wohnung gestürmt, ohne an seinen Schlüssel zu denken, doch das war ja eigentlich auch etwas völlig Anderes gewesen, da hatte der Hitzkopf Gründe gehabt. Heute Morgen, da hatte er keine.

Und wie erwartet war es nicht Jordan, der vor der Tür stand, wäre auch noch ein bisschen früh gewesen, andererseits wusste man nie, wie lange er wirklich trainieren würde oder müsste. Für die Spieler, die an dem Spieltag davor einen Einsatz gehabt hatten, gab es meistens nur ein lockeres Auslaufen am Folgetag, die Ersatzspieler dagegen mussten richtig trainieren. Jedenfalls hatte der Kroate ihm das mal so erklärt, als Angel zum Training gefahren war und regelrecht enttäuscht wurde, weil es von Jordan nichts zu sehen gab. Was Angel nun allerdings vorfand, irritierte ihn nicht weniger. Vor ihrer Haustür stand ein kleines Mädchen, vielleicht schon im Grundschulalter. Große blaue Augen, dessen äußere Augenwinkel nach oben leicht spitz zuliefen, etwas von zwei Schlupflidern überzogen wurden. Ein schmaler Mund, sehr feine Lippen, die Mundwinkel hingen leicht nach unten, während sie erwartungsvoll zu Angel aufsah. Zwei helle Leberflecken zierten ihre linke Wange so ziemlich genau in der Mitte, ähnlich gefärbt wie ihre dunkelblonden Haare, die zu zwei Zöpfen zusammengebunden worden waren.

Verwundert sah Angel das kleine Mädchen an. Er hatte sie bisher noch nie hier gesehen, sie war weder das Kind der Nachbarn, noch meinte Angel sich daran zu erinnern, dass sie überhaupt in dieser Straße lebte. Ob sie vielleicht neu zugezogen waren? In eine nahegelegene Straße vielleicht? Denn dass in ihrer Straße kein Umzug stattgefunden hatte, wusste der junge Mann genau.

 

„Hallo kleine Lady“, begann Angel mit ruhiger, sanfter Stimme, als er sich zu dem kleinen Mädchen hinunter hockte. „Wo sind denn deine Eltern?“

Angel konnte weit und breit niemanden sehen, niemanden in den Vorgärten, niemanden auf der Veranda, niemanden auf der Straße. Und besonders letztere konnte er sehr weit überblicken. Sein leicht skeptischer Blick blieb wieder auf dem Mädchen hängen. Die Kleine machte es ihm nicht gerade leicht, stand wortlos vor ihm und sah ihn einfach nur an, was Angel kurz leise seufzen ließ. Sie war allerdings nicht das erste Kind, dass bei ihm zuerst nicht den Mund auf bekam. Vor allem bei den jungen Kindern war es auffällig dass sie sich einem Fremden, wie Angel es war, zuerst nicht öffneten. Da musste er jedes mal wieder etwas in die Trickkiste greifen, Vertrauen und Geborgenheit schaffen, damit sie sich wohl fühlten. Die letzten Monate hatte er darin schon Erfahrung gesammelt, doch sie war das erste Kind, dass er vollkommen unbegleitet von seinen Eltern vor sich hatte. Meistens hatte er es mit Kindern zu tun, die in ihrer Entwicklung zurück hingen oder die in der Schule aus unterschiedlichen Gründen auffällig wurden. Manche von ihnen sprachen sogar ebenfalls nicht. Gar nicht. Nicht einmal zuhause.

 

„Wohnst du hier in der Nähe? Sollen wir mal gucken, wo deine Mama ist?“, versuchte es Angel erneut während die großen Augen ihn ansahen. Das Mädchen schüttelte leicht den Kopf.

 

„...Nein?“

Angel war wirklich ein wenig perplex, versuchte die Fragen in seinem Kopf aufzulösen, doch so schnell, wie er das gerne hätte, ging es nicht, ließ das Mädchen nicht zu. Bei Kindern musste man oft viel Geduld aufbringen, der junge Psychologe war darin dank Jordan aber auch bestens geübt, wenn auch nur widerwillig. Er war kurz davor, mit dem Mädchen an der Hand bei ein paar Nachbarn nachzufragen. Wäre ja möglich, dass sie zu Besuch bei Verwandten war, dass sie irgendwer kannte, jemand, bei dem Angel sie sicher abliefern konnte. Wenn er ein kleines Kind hätte, hätte er ihm einen Schlüsselanhänger oder ähnliches angefertigt, auf dem zumindest eine Adresse oder Telefonnummer stand, besser sogar noch ein Name. Den Namen eines Kindes zu kennen, wäre immerhin schon mal ein Schritt in die richtige Richtung.

 

„Ich bin Angel. Verrätst du mir, wie du heißt?“

 

„...Ivana“, kam es zögerlich von dem kleinen Mädchen, ließ Angel zum ersten Mal ihre niedlich nuschelnd hohe Stimme hören, ehe sie den Blick auf den Boden senkte.

 
 

Wenn ich ein Kind hätte, würde ich es Ivan nennen.“

Ein sehr eigenwilliger Name für ein Mädchen, Jordan.“

Wer sagt, dass es ein Mädchen wäre?“

Wer sagt, dass es keines wäre?“

... Ivana halt.“

 

Ein paar Bilder schossen durch Angels Kopf. Sehr alte Bilder, sie waren schon Jahre her, das muss noch zu High-School-Zeiten gewesen sein, wenn er sich nicht täuschte. Eines dieser seltenen Gespräche, in der sie sich über ihre Zukunft unterhielten, damals, als sie noch glaubten, dass sie eine hätten. Bevor das alles- Bevor sie die schwerste Zeit ihres Lebens durchgemacht hatten, dessen Narben immer noch nicht wirklich verheilt waren. Nach all den Jahren...

Angel versuchte zu lächeln, ganz gelang es ihm allerdings nicht.

 

„Ivana. Ein schöner Name“, sagte der junge Mann sanft, hielt ihr eine Hand hin, die Handfläche nach oben gerichtet. „Kommst du mit mir? Ich bring dich nach Hause.“

Die Hand des Mädchens zuckte zögerlich, ehe sie diese komplett wegzog, scheinbar war sie ganz und gar nicht damit einverstanden. Ihr Blick wurde fast ein wenig trotzig, so trotzig konnte sonst nur einer gucken.

 

„Ich will auf meinen Daddy warten“, sagte das kleine Mädchen schließlich, überraschend entschlossen, wo sie doch bisher eher zurückhaltend und still war. Sie griff dabei in die Hosentasche ihrer Jeanshose und zog einen Zettel hervor, den sie Angel entgegenhielt. Er war zwei mal zusammengefaltet zu einem kleinen Quadrat. Zögerlich und ein wenig irritiert – nicht sicher worüber mehr, über die Aussage des Mädchens oder über ihren plötzlichen Charakterwandel – öffnete Angel den Zettel und stockte deutlich.

 
 

» Jordan Samford «

» 46 2nd Ave, Little Falls, New Jersey «

 

Einen Moment lang konnte Angel gar nichts sagen, selbst wenn er wollte, ihm fehlte die Stimme, um auch nur einen Ton herauszubekommen. Sein Blick lag noch auf dem Zettel. Er starrte ihn fast schon an, als würde sich etwas ändern, wenn er nur lange genug drauf sehen würde. Als würde das, was er dort las, gar nicht wirklich dort stehen und sich jeden Moment auflösen und den eigentlichen Text hervorbringen. Doch so war es nicht. Der Zettel blieb unverändert.

 

„Magst du reinkommen?“, brachte Angel schließlich hervor, richtete sich langsam wieder auf und machte dem Mädchen den weg frei, indem er aus der Tür trat.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  SuperCraig
2019-04-08T14:07:22+00:00 08.04.2019 16:07
Der Flashback alleine zauberte wieder Gänsehaut. Wie sich Angel an das Gespräch mit Jordan über den Namen eines potentiellen Kindes erinnert hat. Dazu noch der Alltag, die kleinen Problemchen, die Jordan und Angel, wie normale Menschen eben, haben. Wer mäht den Rasen, wer putzt die Fenster, wann? :D Das hat dem Ganzen einen gewissen Hauch von "Alles ist okay" verliehen.

Aber mal im Ernst: Wer bitte setzt ein Mädchen aus, mit einem Zettel in der Hand? Ich meine, das ist ja wohl sowas von Fahrlässig. :D Aber ich verstehe es schon. Will nicht spoilern, aber konnte mich echt nicht dazu aufraffen, vor dem Beenden des Lesens zu kommentieren.


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